K. K. H (O) F 3 | B L | O T H E K
OSTERR. NATIONALBIBLIOTHEK
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Johann Heinrich Mayrg
R e i st e
- in a ch
K. o. n ft a n t i n op e 1,
Aegypten, Jerusalem,
und auf den
L. i b a. n o n.
**- -
H er ausgegeben
von -
Johann Conrad Appenzeller.
- - “
– – –
-
"te verbesserte Auflage.
Mit vier Kupfern
“*===-
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S t. G a l l e in 1 3 2 O.
B eh Hub e r und Co. m p a g in i e.
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V. o r r e H e
die s H. e r r in V e r fa ff e r's.
An den Liefer !
N gab ich etwas unter die Preffe von dem, was
niederschrieb. Lange weigerte ich mich des Ge-
genwärtigen. Vielfach wiederholte Aufforderungen
von Freunden und Verwandten nöthigten mir gleich-
in die Einwilligung dazu ab.
Den Hauptbeweggrund zu der Reise, die hier
erzählt wird, bewirkten die Handel und Wandel er-
drückenden Zeitumstände; das Stocken aller Fabri-
lin und Manufakturen. Durch etwas Waarenabsatz
lach der Levante hofte ich einem Trupp Arbeiter der
Meinigen, meistens von Kindheit auf darin beschäft
lig, weiter Brod nnd Verdienst zu verschaffen.
TV
Wie ich immer tiefer in die selten bereisten
Länder verschlagen ward, sagen diese Blätter. Das
meiste Bedenken bey Herausgabe der folben, trug ich
wegen ihrer flüchtigen Bearbeitung. Mein verehrte-
fer Freund, Herr Pfarrer Appenzeller, sagt
das Mehrere hierüber zu meiner Entschuldigung.
Es follte das Ganze nur für Freunde geschrieben
feyn. Von diesen verhofft man Nachsicht; nun geht
die Sache über in Druck und kommt, so zu sagen,
aus vertraulicher Stube auf offenen Markt, also
auffer Freundes Hand.
-
Ueberall Freunde zu finden, durfte sich noch kein
Sterblicher freuen. Genug, daß die Mehrheit der
Guten es mir fey, und ich wegen den Andern die
Beruhigung habe: daß ich keinen davon veranlaßte
weder persönlich, noch willkührlich, es nicht zu sein!
Arbon, Ende Herbsts, 1814.
Johann Heinrich May"r.
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ich
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Rechenf haft,
D Herausgabe dieser Bruchstücke aus dem Tage-
blich eines Reisenden durch die Levante, scheint, bey
der Menge von vortrefflichen Schriften, die wir, be-
ents aus der neuern Zeit über dieses denkwürdige
Land haben, einer Entschuldigung vor der lefenden
Welt und einer Rechtfertigung vor dem Richterstuhle
der Kritik zu bedürfen; beides getraue ich mir in so
fern getrost übernehmen zu dürfen, als ich jener Bil- -
ligkeit und diesem Gerechtigkeit zutraue.
Ich glaube es unserm verehrtesten Freunde, dem
Feren Verfasser, schuldig zu sein, die Erklärung
riftlich abgeben zu müssen: daß Er es sich nie
Mals einfallen ließ, Ansprüche auf Gelehrsamkeit
machen. So wenig er die Absicht und den Plan
hatte nach Palästina zu gehen, so wenig dachte er je
an, sein Tagebuch in der Absicht niederzuschreiben,
im einst dafelbe ganz oder theilweise zur Kenntniß
WI
des Publikums zu bringen, oder wohl gar bei seiner
Anspruchlosigkeit den Gedanken zu nähren: als Be-
richtiger früherer Reisenden durch diese denkwürdigen
Gegenden einen Commentar zu schreiben.
Würde ich dieser feiner Bescheidenheit und An-
fpruchlosigkeit nicht gerade dadurch wehe thun oder
zu nahe treten, daß ich feine eignen Aeufferungen
über die Menge der an ihn ergangenen Aufforderungen
„fein Tagebuch drucken zu laffen,“ hier anführte: so
wäre in diesem wohl die unzweideutigsten und stärk-
ften Gründe vorhanden, ihn gegen die Vorwürfe in
Schutz zu nehmen, die man gewöhnlich, und fehr
oft mit Grund, unserm schreibfertigen Zeitalter macht.
Doch, um nur etwas Weniges aus. Vielem anzu-
führen, möge folgende Stelle aus einem seiner Briefe
an mich, statt aller weitern Entschuldigungen oder
Rechtfertigungen, ihren Platz finden:
„Als ich das Vergnügen hatte, Sie bei mir zu
sehen, hatte ich, wie ich schon früher gegen alle
In eine Freunde mich äußerte, keineswegs einen Ge-
danken daran, meine Reise je öffentlich bekannt zu
machen. Was ich schrieb sollte blos als Rückerinne
v11
er
e-
fung für mich und als Stoff zu einigen unterhalten-
den Stunden für meine Freunde niedergeschrieben
sein,“ - - - -
„Wenn ich nun aber meine Handschrift zehn
Freunden zu lesen gab, so sind es jetzt hundert alte
… und neue Bekannte, die sie verlangen, und vielleicht
bald fünfhundert aus allen Gegenden meiner frühern
und spätern Bekanntschaften, welche sie zu lesen wün-
"in werden. Mein Manuscript ginge darüber zu
Eurde, und ich bekenne Ihnen die Schwachheit, daß
ich die Blätter, welche ich auf der großen Reise über-
schrieb und mit Mühe rettete, eben so ungern abg-
ist oder gar zerrissen sähe, als ich ungerne zum
zweiten Male eine Abschrift von meinem Tagebuche
machte. Zum bloßen Abschreiben aber könnte ich es
kaum jemanden überlassen.“
„Dennoch erhalte ich von allen Seiten Aufforder-
gen: meine Reisegeschichte der Presse zu überlassen.
Ich könnte in Versuchung gerathen eitel zu werden,
wenn ich Anlage zu dieser Krankheit hätte; oder
Gefahr laufen, mir einen neuen Erwerbsquell zu
fen, wenn es mir daran gelegen wäre. S
v111
„Ich wollte nie etwas davon wissen, daß meine
Schrift der Presse sollte übergeben werden. Mir
mangelt nach meiner innigsten Ueberzeugung. Alles,
was zu einem Schriftsteller gehört: Gelehrsamkeit und
Sprachkunde. Selbst die nöthigen Vorkenntniffe, wel-
che unnachläßlich von einem Manne gefordert werden
können, der eine folche Reife unternimmt oder be-
-
fchreiben will, gingen mir ab. Ich konnte mich gar
nicht auf dieselbe vorbereiten, weil ich nicht ahnte,
daß die Pest mich bis auf die Felsenklippen des Liba-
nons jagen würde. Noch in Konstantinopel dachte
ich nicht daran; höchstens wollt' ich Smyrna sehen,
aber das Schicksal führte mich, wohin ich nicht
wollte,
„Was nicht mein Verdienst , sondern ein Geschenk
der Vorsehnng und eine Folge meiner vielen frühern
Reisen durch die meisten Staaten Europas war,
das mag auch einzig diesen Blättern einigen Reiz
und Werth geben: Beobachtungsgabe, Men-
fch enntniß und Geistesgegenwart; Vor-
züge und Eigenschaften, von welchen ich wohl als
Rasender behaupten darf, daß sie mir in entscheiden-
IV
den Augenblicken weit mehr nisten, als alle tief
Gelehrsamkeit. Ohne einen einzigen Begleiter, macht"
ich die beschwerliche Reise öfter in Todesgefahr;
wird mir meine Errettung, selbst manchmal ein Wun-
der, - -
„ Daß ich indes noch da bin, ist das Werk der
Vorsehung! Denn Menschenkenntniß und Geistesge-
genwart reichten nicht immer aus, und Klugheit und
Worscht werden oft zu Schanden. Es ist das Auge
Geils, das uns bewacht, und seine allmächtige
Hand, die uns haltet, -.
Wenn ich nun jemand die Herausgabe dieser
Filter zu übertragen Willens wäre, so wären Sie
aber dann müssen Sie's auch vor der Welt ver-
worten, daß ich, ohne ein Alterthumsforscher,
ein Botaniker, Mineraloge, Astronome, Na-
indiger und dergleichen zu sein, diese Bruchstücke
riftlichen Bekanntmachung überließ,
-----
Zudem ich mit Vergnügen diese Verantwortung
"nich nehme, glaube ich, daß diese Schrift ihren
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. - - -
ganz eigentümlichen Reis für den Leser derselben
haben werde; denn gerade der Umstand, daß der
Verfasser weder mit einer gelehrten Brille fah, noch
mit tiefen, vielseitigen, gelehrten Kenntniffen ausge-
rüstet, noch mit vorgefaßten Meynungen, Ansichten,
Vorstellungen und Urtheilen über die Gegenstände,
welche ihm vorkommen konnten, reiste, machen diese
Schrift um so unbefangner und wahrer. An gelehr-
ten, scharfsinnigen Untersuchungen und gewagten -
Muthmaffungen fehlt es uns ohnehin nicht. Manche
könnten vielleicht vergeblich hier etwas Neues über
Länder-Völker- und Geschichts- Kunde suchen; aber
sollte der ungekünstelte Ausdruck einer gefunden, nüch-
ternen, und durch nichts bestochenen Beurtheilungs-
kraft, die ein so schönes Mittel zwischen kalter, blos
raisonnirender Beobachtung, und zwischen schwärme-
rischer Erstase hält, uns nicht einmal eben so willkom-
# - -
men sein, als das Werk eines gelehrten" akademikers
oder eines religiösen Phantasten !
Man erwarte also in diesen Blättern keine scharf
finnigen untersuchungen; keine gelehrten, kritischen
Bemerkungen oder Berichtigungen über das, was der
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infiler Zurückgezogenheit unsern den ufern des Bo-
dies in philosophischer Ruhe der Freundschaft und
der Wisenschaften lebt, ist auch seine Beschreibung.
Die Sprache, in welcher der Verfasser schrieb, ist
größtenteils unverändert mit ihrer Gedrungenheit und
Eigenthümlichkeit beibehalten; ichlaubte, das durch
eine zu grammatisch-strenge Sichtung der Schreibart,
Wels weniger anziehend, Manches minder herzlich
nd natürlich den Geist und das Gemüth des Lesers
ansprechen würden.
in jenen Fächern des Wissens, die zu einer auslegen-
berichtigenden oder ergänzenden Darstellung die-
Weise gehörten, es mir noch weniger begehen
f, ein Wort aus mir selbst hinzu oder davon zu
hin, oder etwas, gegen den Sinn der urschrift,
idern, unter der Aufsicht des Herrn Verfall
fes Ward diese Auswahl von Bruchstücken (MUs seinem
"tiche getroffen, durchgesehen und verglichen, so
Aus eben diesem Grunde konnte ich, selbst fremd
-
-
Herr Verfaser gesehen oder gehört hat. Einfach, - -
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K.
Wie der Pilger, der diese Wallfahrt machte und nun
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-
XII
daß nichts Fremdartiges sich beymischen oder einschie-
ben konnte. -
Nach dieser offenen Erklärung an die Lesewelt,
glaube ich meiner Pflicht Genüge geleistet zu haben,
indem ich auf den Standpunkt aufmerksam machte,
von welchem aus diese flüchtigen Umriffe müffen be-
trachtet werden! Ich wünsche, daß die verehrten
Leser, denen diese Schrift in die Hände kömmt, eben
die süße Erholung von ihren Geschäften dabey finden
mögen, welche mir diese unterhaltenden Erzählungen,
während der bloßen Durchsicht derselben, gewährten.
Kaum wird es noch zu berühren nöthig feyn,
warum aus dem Tagebuch von der Reise des Ver-
faffers aus feinem heymathlichen Wohnorte bis zur
teutschen Kaiserstadt, nichts genommen wurde. Er
glaubte, daß die Schweiz, in deren östlichem Theile
er sein näheres Vaterland hat, bis Wien herab, be-
kannt genug fey, als daß er sich hiebey aufhalten
dürfte.
Arbon, am Bodensee, im Frühjahr 1S15.
J. C. Appenzeller,
Pfarrer auf Brütten, Canton Zürich.
XIII
it-
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| V or r e de
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weht ein Ausgabe.
der verkehrt Rechenschaft, welche be-
"erfe Ausgabe dieses selts begleitete, nichts
in dieser zweiten behzufügen. Die allgemeine Theil-
ne, welche das Publikum diesem Buche schenkte,
lichte eine neue Auflage nothwendig, Man ist in
"in den Besitzern der frühern Ausgabe die Ver-
f
herung schuldig, daß keine wesentlichen Verändern,
"ich in dieser neuen – einige Zusätze abgerechnet -
inn, und es gereicht dem
befinden Freude,
Reisender durch eben diese
"Altran von Genf
Intnissen ausgerüstet di
Herausgeber zu einer
fügen zu können: daß ein neuerer
Gegenden, Herr Alle ran-
der mit vielen Sprach-
ele Länder besuchte, dem
) z- -
Mayrischen Werke das Zeugniß gab: „Daß es uns
>, e,
XIV
ter allen ihm bekannt gewordenen Bü-
ahern über diese Gegend ein, dasjenige
wäre, welches der Wahrheit am treue-
ften geblieben feh.“
z:
Was die beiden Zusätze selbst betrifft, so be-
schränkt sich der eine blos auf die Berichtigung einer
irrigen Vorstellung der Cedern des Libanons, wozu
die Beschreibung derselben in der ersten Ausgabe mag
Veranlassung gegeben haben; der andere Zufah bringt
das Heilmittel zur öffentlichen Kunde, das den Herrn
Verfasser von feiner, durch viele Jahre dauernden,
Krankheit befreite. ) ,
- Gaiß, Canton Appenzell, den 12. July 4820-
>
I. C. Appenzelley,
Direktor des Gymnasiums, und erster Prediger
an der deutschen Gemeinde zu Biel.
------------
R e gift er.
*-
Seite.
“Buch. Reise von Wien bis Konstantinopel . 4.
2tes
3tes
4te
stes
6tts
Reise von Konstantinopel bis Alexandrien 35,
Aufenthalt in Aegypten, bis zur Abreise
nach Smyrna und Palästina. . . 173,
Reise nach Jerusalem Aufenthalt da-
selbst und auf dem Libanon • • • 273,
Ausflüge vom Libanon nach Balbeck und
dem Cedernwalde . . • • • • 379.
Reise von Salonichi zurück nach Wien 479.
T-–___
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E rft es Buch,
Reise von Wien bis Konstantinopel.
Af
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K. a p i t e l
1.
Geschrieben in Bojukdéreh am Canal,
E hat an ein und zwanzigsten May Eintausend Acht-
hundert und Zwölf, als ich von Wien in einem Schiffe
abfuhr, welches mit Menschen angefüllt war, aus denen
elfth keiner um mich – und ich um keinen aus ih-
le mich interessierte. Mein Reifegesellschafter seit acht
Wochen – Hr. Dr. Eifenlohr, ein muntrer, braver,
iger Mann aus dem Badischen – blieb in der Kaifer-
idt zurück. Ich war eigentlich allein,
Oft fühlte ich dieß Alleinseyn auf meiner Reife; un-
genehm durch Mangel an Mittheilung von Beobachtun-
n; an Theilnahme von Freud und Leid; – Genuß wird
thlet durch Mittheilung, Verdruß vermindert
Ich saß auf dem Verdecke und pfiff für die lange
Wille, der Schiffspatron kam zu mir und bat doch nicht
Pfeifen, um nicht Wind zu verursachen.“ Ich sah den
inn an, ob er mich etwa zum Besten hätte, – keine
er meinte es in vollem Ernte. Ich spitzte den
und nicht mehr; zu spät! Es scheint, ich hatte fchon
in viel gepfiffen. Es kam Gegenwind. - -
-“
A 2
4 Erstes Buch. Erstes Kapitel.
Mein Aufenthalt in Preßburg dauerte mehrere Tage,
während welcher Zeit ich häufige Gelegenheit hatte, mich
an der Unreinlichkeit, welche durchgängig in Ungarn,
auf dem Lande wie in der Hauptstadt herrscht, zu ärgern. -
Vernachläßigte Polizey in jedem Fache scheint ihm eigen-
thümlich. Die Einwohner selbst äußern ungescheut diese
Meinung. – Die Unzufriedenheit drückt sich unverkenn-
har, wenn sich schon durchgehends Wohlstand ankündigt, z.
auf den Gesichtern aus. Es kam mir der Sinn an das
Sprichwort: wenn es der Gaiß (Ziege) zu wohl wird in
so scharret fie. -
Der Landtag dauerte seit neun Monaten – ein langer - -
Tag – noch wußte man wenig vom Resultate. Die Säle
der Magnaten und Stände, zeichnen sich vor andern
durch ihre ungeheure Größe aus. Nie sah ich abgeneß ,
nern, höhern Ton – an Schwulst gränzend al- da
ich noch in Wien auf der ungarischen Kanzley mich. Um
den Paß bewarb; nie einen demüthigern, als auf der ruf-
fischen ebendaselbst; zwey wahre Extreme!
Die fliegende Brücke, auf zehn Schiffen schwebend,
ist schön; den ganzen Tag führt sie unentgeldlich auf der ,
schon breiten Donau, Menschen und Wagen über. Die
Gegend von Preßburg hat ungemein viel Reizendes. Die
weißen Mauern des ausgebrannten Schloffes auf dem F
Gipfel des Berges, scheinen etwas Aehnliches mit Neil- g
pels unvergleichlichem St. Elmo zu haben. Die Waldung
auf der andern Seite des Stroms ist romantisch. Ein
prächtiger Baumschlag dichtverschlungener Alete, formt
den Sonnenstrahlen undurchdringliche Schattung breit“
und schmale Spaziergänge durchkreuzen den Hain, d
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Wafers,
Preßburg. 5
Mein ungarischer Paß war in lateinischer Sprache;
oft hört' ich diese Sprache in Preßburg. In meiner Ju-
gend sollte sie mir durch Prügel eingeimpft werden. Mit
Willen ward späterhin, das auf diesem unangenehmen
Fuß Erlernte, bald wieder vergeffen. Auf einmal belebte
mich die Lust, das Vergeffene wieder zu erlernen"; eine
lateinische Grammatik ward gekauft, Tag und Nacht faß
ich darüber, der Eifer dauerte beinahe – – – acht
Jage!
Als ich eines Tages, am nachläßig unterhaltenen Ufer,
längs der Donau spazierte, sah ich der Landung eines
Schiffes zu. Wie gewohnt sprangen einige Matrosen in's
Wort – das Seil in Schnelle mehrere Male um einen Pfo-
fien zu schlingen, und dadurch das Schiff vom starken
Lilfe, näher ans Land zu ziehen und festzuhalten: aber
das Seil riß und das Schiff ward weggefluthet, durch
den reißenden Zug des Stromes. Ein Matrose warf sich
in das Boot, um das Seil nachzubringen. Er kam zwt-
schen die Anfangsjoche der fliegenden Brücke und das
Schif. Des Waffers Zug zog es hinunter – zwischen
beide würgte es den Kahn. Im Augenblicke der höchsten
Mothersah der Mann ein hangendes Seil – in einem
Schwung war er hinan und wie eine Katze daran hin-
auf eine Sekunde später, oder den Sprung verfehlt,
wie er verloren gewesen. Umgekehrt und zerdrückt, kam
der Machen weit unten wieder auf die Oberfläche des
Ein Augenzeuge dieses Vorfalles, der bey mir stand,
erzählte, wie er einst zugesehen hätte, als einen Ma-
tosen bey diesem gefährlichen Geschäfte das Seil am Bein
erwischte und – wie abgeschnitten – der ganze Fuß und
6 Erstes Buch. Zweytes Kapitel,
die Hälfte des Schenkels unterm Seil am Pfahle hängen
blieb. Mit folcher Gewalt treibt das Waffer des Schif-
In Preßburg erfuhr ich zum ersten Male eine Unan-
nehmlichkeit, die mir späterhin öfter zu Theil ward. Ich
hatte mich geäußert: meinen Weg nach Bucharest zu
nehmen. Dieser Ort war nahe den Kriegsschauplatze,
Augenblicklich entstanden tausend Muthmaffungen, daßpo-
litische Angelegenheiten der Zweck meiner Reife wären;
nun begann: verborgen feyn follendes Forschen – – –
unbedeutend sein sollen des Fragen, gleichgültig scheinend
feyn follende Akufferungen, um zu erforschen auf feine
Art – wie . . wo . . . und wann . . . . . .
Es verdroß mich, den wichtigen Politikern nicht ver-
ständlich machen zu können, daß man reifen könne, ohne
eben diesen Zweck zur Absicht haben zu müffen; dann
fchwieg ich entweder zur unschicklichen Zeit, oder ich gab
fauertöpfisch - spitzige Antworten. Aus Uebel ward Aer-
ger, und immer fchied ich mit Verdruß von diesen Kan-
nengießern. -
2.
„ Die Donaufahrt bietet einem Schweizer wenig
anziehende Gegenden dar; oft ermüdet das Auge, bey dem
Anblicke des unangebauten und doch des Anbaues fo fähi-
gen Landes. Die Einwohner scheinen fehr träge zu feyn.
Ich kann nicht entscheiden, ob vielleicht die Staatsver-
faffung Mitursache hievon feyn möchte, wie es an vielen
Orten der Fall ist, - "
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Donau fahrt. - 7
Zu Schiffe gings weiter. Das gähe Dach über den-
selben war das Lager der Reisenden. Die Einrichtung ist
weder bequem noch sicher, und wer das Unglück hat, hin-
abzufallen und nicht schwimmen zu können, ist verloren.
Dieser traurige Fall ereignet sich öfter, wie der Schiffmei-
fer gleichgültig versichert. - -
Bei der Festung Komorn vorbey, kam ich den acht
und zwanzigsten May in der Dämmerung zu Peth und
Ofen an. Nun packte jeder feine Sachen zusammen; ich
hatte Mühe im Gedränge alles heraus zu finden; was mir
zugehörte,
Der Schiffer forderte beim Ausbezahlen mehr, als
ich mich bestimmt mit ihm verstanden und abgefunden hat-
te; schriftlich war nichts aufzuweisen; ich bezahlte also
was er forderte, versicherte ihn aber auf gut teutsch, daß
er ein Schurke fey. Er nahm das Kompliment gedultig
an und schob das Geld in die Tasche. Es zeigte sich ein
Lastträger, wahrscheinlich redete er die Landessprache,
Wenigstens verstand ich nichts davon, ich war aber nur
froh, Jemand zu finden, der mich weiters förderte,
Er nahm das Gepäcke und wanderte mir voran durch ver-
hiedene Straßen. An der Ecke von einer derselben fragte
durch Pantominen: „wohin ?“ Ich hatte mir vorge-
stellt, der Mann führe mich gerade in einen Gasthof; jetzt
füber gewahrte ich, daß er in der Meinung stand, daß
ich ihm den Ort angeben würde, wo ich hinzielte. Es
war mir unmöglich, mich ihm verständlich zu machen –
drei bis vier Personen sprach ich an, um mich zurechte zu
weisen. Fremdtönte die Antwort; ich wurde nicht verstan-
den und verstund nicht. Das Ding war schnakkisch: mitten
in einer großen Stadt zur Nachtzeit mit Führer und Ge-
-/
Z Erstes Buch. Zweites Kapitel.
päcke wandern und nicht wissen wohin; keinen Menschen -
kennen und die Sprache nicht verstehen. Zudem hatte -
ich genug zu thun, den unbekannten Träger immer im
Auge zu behalten, damit es mir nicht gehe wie jenem Hand- -
werksburschen, dem bei seiner Ankunft in Wien, durch ei- -
nen Jaunerkniff unter dem Vorwande, ihm Arbeit zu .
verschaffen, das Felleisen weggekapert wurde.
Indeß erblickte ich in der Ferne eine erhellte Kram- …
bude und mehrere Personen darin – ich beeilte mich -
hineinzukommen und erhielt endlich in italienischer Sprache ::
die benöthigte Auskunft. – Der Gasthof zum weißen ,
Schiffe ward – anempfohlen, mit der Bemerkung, daß …
er der Sicherste wäre – so wie ich aber auf der einen ,
Seite froh war, aus meiner Verlegenheit gekommen zu
fern, als ich den Gasthof erreicht hatte, so fand ich denn -
wieder auf der andern Seite an meinem Wirthe, der es
4"
verstand das Eifen zu schmieden, weil es warm ist, einen
Preller, der mich unter dem Vorwand der eintretenden
Meßzeit, eine fo starke Zimmermiethe bezahlen ließ, als
ich sonst an keinem Orte bezahlen mußte.
Pesth und Ofen bilden ein Ganzes, sie sind “
nur getrennt durch die Donau , wie Basel durch den
Rhein, Zürich durch die Limmath, beyde verbindet eine
schöne Schiffbrücke die über sechshundert Schritte lang ist. "
Pesth ist ganz Ebene – Ofen ganz auf gähen Abhängen
erbaut. Aufm Gipfel des Berges liegt Schloß und Festung,
wo man einer prächtig ausgedehnten Ansicht genießt. Ueber
den Grat des Berges ziehen sich die entvölkerten Gaffen
der Stadt der Länge nach hin; bei uns könnten sie als
Weidgänge dienen, so schönes Gras bedeckt sie. Einen ,
noch seltsamern Anblick gewährt ein anderer Theil der "
P e th, 9
Stadt : kleine Häuser, wie unsere Wachhäuschen, eins
dem andern ganz ähnlich, kleben in vielen Gaffen an dem
steilen Berge. Nichts giebt diesem einförmigen Liliput
Abwechselung – blendend weiß ist der Anwurf aller ,
kohlschwarz die Schieferdächer aller; in gleichen Reihen
hingegoffen – an Abhängen schwebend, wo mir fchwind-
licht ward, erinnere ich mich nicht, je etwas ähnlicher
Art gesehen zu haben.
Unten, längs der Donau, sind warme Schwefelbäder,
deren Lage mit der von unserm Baden einige Aehnlichkeit
zu haben scheint. Peth blüht durch einen vorübergehen-
den Speditionshandel nach der Levante. In dieser Stadt
verliert sich das Teutsche; eine Menge anderer Sprachen
durchkreuzen sich hier, und in Ungarn dürfte die Verwir-
lag der Sprachen einen zweyten babylonischen Thurm un-
ausgebautlaffen. Y,
Von Wien hatte ich nur eine mündliche Empfehlung
nach Pesch, an Hrn, Macher und Comp. und ich ver-
sprach mir also um so weniger von der Aufnahme; dennoch
Ward ich sehr freundschaftlich empfangen. Der Herr des
Hauses, ein alter, rechtschaffener Mann, von ausgebrei-
itten Handelskenntniffen, sorgte für mich, wie ein Vater.
Welch ein ganz anderes Benehmen, als das gewöhnliche,
besonders von den so geheiffenen bedeutenden, ersten Häu-
fert, wo man oft wie ein Bittstellender mit feinen Empfeh-
lugschreiben auftritt und auch so behandelt wird.
3.
Meine weitere Reise war mit Schwierigkeiten ver-
hunden. Viele Rücksichten mußten genommen werden,
-
-
40 Erstes Buch. Drittes Kapitel.
wenn ich meinen Zweck erreichen wollte. Meine Empfeh-
lung ging nach Bucharest, da aber vom russischen Ge-
fandten in Wien kein Paß dieses Gebiet zu bereisen erhält-
lich war, so schien es mir mißlich, die walachische Grenze,
die durchgehends von Ruffen besetzt war, zu überschrei-
ten; aus eben diesem Grunde konnt' ich nicht über Odeffa
reifen; der Weg über Brod längs Dalmatien hinunter
nach Salonichi war, wenn nicht eigentlich unmöglich,
doch ungeheuer kostspielig. Plane wurden gemacht und
wieder verworfen. Allein einzig zu reifen ging auf keinen
Fall an. Fünf Tage waren in dieser Ungewißheit verstri-
chen, als es endlich der freundschaftlichen Bemühung des
Hrn. Mach er s gelang, eine Gelegenheit ausfindig zu
machen, durch welche ich in den Stand gesetzt ward, meinte
Reise fortzusetzen. Es waren zwey Griechen, Kaufleute
aus Bucharest, jeder mit eigenen Wagen, mit welchen
ich gegen Vergütung des halben Postgeldes reifen konnte.
Ich hatte nun Gesellscheft, die für alles sorgte, Sprache
und Weges kundig war – Männer, die als angesehene
Kaufleute galten – „freylich Griechen“, wie der er-
fahrne alte Mann sich mit Achselzucken ausdrückte – „von
denen man immer drey Juden auf. Einen rechnen kann“ –
Eine Behauptung, die ich späterhin durch Erfahrung oft
bestätigt fand. Dennoch war mein Entschluß schnell gefaßt
und die Abreise auf Uebermorgen festgesetzt.
Aber am Vorabend erhielten die Griechen Nachricht:
daß bey Todesstrafe verboten fey, ohne einen russischen,
in Petersburg unterzeichneten Paß das Gebiet zu betre-
ten. . . , . . und einen folchen Paß hatt' ich nun nicht.
Aber fort wollte ich, müde des Aufenthalts in Perth; vor-
wärts galt es um jeden Preis ! Ich konnte wenigstens
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i
Pest h. 411
mit den Griechen, bis an die Grenze des Banats rei-
sen, und von dort bis Orfowa konnte es nicht mehr gar
weit sein. Ich zählte auf gut Glück und blieb bey der
Abrede. --
Morgens sechs Uhr des dritten Junius sollte die Ab-
reif sein, die Pferde kamen aber erst – nach ungari-
fcher Bedienung und Postordnung – mehr denn drey Stun-
den später; endlich aber gings doch vorwärts, und zwar
vier Nächte und fünf Tage durch, ohne einen andern Au-
fenthalt zu machen, als denjenigen, der beym Umspannen
nöthig war.
Habe ich jemals einen einförmigen, langweiligen
Strich Landes bereist, so ist es derjenige von Pest h bis
Temeswar. Alles nur Eine ermüdende Ebene, durch
unbebaute Felder, durch Steppen und tiefen Sand – oft
von einer Poststation bis zur andern – Baumlose Oeden!
und doch wäre eben dieß Land eines der ergiebigsten (die
Sandplätze ausgenommen) wenn es den trägen Einwohneru
zuträglich vorkäme, es urbar zu machen. Die angebau-
ten Bezirke sind ein Beweis defen. Bäume sieht man
keine andere, als Akazien und nirgends als in den
Dörfern – die sich gewöhnlich in Einer langen, schönen
und geraden Gaffe hinziehen – zwischen jedem Hause zwey
bis drei solcher Bäume, was einen niedlichen Anblick
gewährt. Die Schönheit und Frische dieser Baumgattung
eigt, daß ganze Waldungen davon angelegt und somit dem
Holzmangel abgeholfen werden könnte: statt diesem ziehen
aber die Einwohner vor, den Kuhmist zu sammeln,
dörren und in Ermanglung des Holzes zu brennen;
dynahe an jedem Hause sieht man dergleichen Kuchen ge-
gen die Sonne aufgehängt. Was diese Gegend – sonst
12 Erstes Buch. Viertes Kapitel.
einer Wüste nicht unähnlich – etwelcher Maßen belebt –
find die zahlreichen Schafheerden. -
Die Posten in Ungarn verursachen dem Reifenden viel
Zeitverlust; gewöhnlich mußten die Pferde auf entlege-
nen Weiden aufgesucht werden und es verstrichen öfter
Ein und eine halbe, bis zwei Stunden, ehe die acht
Pferde (vor jedem Wagen viere) zur Abfahrt bereit wa-
ren – oft dauerte es noch länger. War man aber einmal
von der Stelle, so ging es sehr rasch und nicht selten im
Galoppe von einer Station zur andern. Kalte Küche und
Weine hatten wir von Peth aus mit uns, und während
dem Umspannen Zeit genug zum Genuffe. Während der
Nacht erscholl in den Städten und auf den Feldern das
Geheul der Schäferhunde, so daß man kaum ein "eigenes
Wort hörte. Diese Thiere find fehr gut abgerichtet, aber
für den Durchreisenden eben so unangenehm als gefährlich.
4
Temeswar hat Aehnlichkeit mit Mantua. Die
verschiedenen Festungswerke, Mauern, Moraftgräben, Um-
gebungen u. f. w. erinnerten mich nnwillkührlich an die-
fes. Der Ort selbst ist heiter und lieblich, die Gebäude im
neuern Geschmacke; breite fonnigte Straßen scheinen –
was jedoch nicht ist – einen gefunden Aufenthalt zu gewäh-
ren. Die Päffe werden hier untersucht und für weiters
unterzeichnet; angenehmer und bebauter wird von hier
an die Landschaft. Schnell gings im gewohnten Zuge
vorwärts und Morgens um zwey Uhr waren wir in Lugos,
dem Orte, wo ich mich von meiner Reisegesellschaft tren-
nen mußte; es war die Grenze von Ungarn, dem Bannate
und der Walachey.
1:
ei
lel
er
-
Lugos 43
Meine Griechen waren verschiedenen Charakters. Der
Eine, dem feiner Nation nicht entsprechend, war still,
kaltblütig, misstrauisch und an's Mürrische grenzend – der
Andere, mein Gefährte, ein muntrer, aufgeweckter Kautz, er
fahren, listig, verschlagen, sieben Sprachen geläufig redend–
– ganz Grieche. Es kam zur Abrechnung; er bewies in
derselben eine griechische Natur; ich tröstete mich, die
etlichen Dukaten, um welche ich handgreiflich geprellt war,
hätten auf andere Weise zu reifen, noch multiplicirt
werden können und also dachte ich: „Geduld!“
Trotz der ungleichen Ansichten, die wir nach unfern
Grundsätzen und Denkungsweisen hatten, schieden wir den-
noch ungerne von einander; ich von ihm – und ich bin
überzeugt – auch er von mir,
Jetzt war ich wieder ganz allein; in einem Lande,
das ich bisher kaum dem Namen nach kannte, ohne Kennt-
niß weder der ungarischen, noch der walachischen, noch der
ilyrischen Sprache,
Das Morgenroth begann höher den Tag anzudeuten,
als ich mich auf ein übel beschaffenes Kabriolet fetzte;
mein Felleisen unter den Füßen, den Nachtfack als Pol-
fler unterm Arme, und den scharfgeschliffenen Hirschfän-
ger in der Hand.“ Die beyden Postpferde rannten, als ob
sie nichts zu ziehen hätten – was auch im eigentlichen
Sinne der Fall war – und ich konnte mich meinen Empfin-
dungen ungestört überlaffen. Daß mir meine Lage zuwider
gewesen wäre, könnte ich nicht fagen. Der Gedanke: daß
ich fortan ganz durch mich wirken müffe; durch Fas
fung, Muth und Ausdauer in allen sich möglich ereignen-
den Fällen, nur ich durch mich Rath schaffen könne; in
Ländern, wo kein Hahn nach mir krähte – ob ich lebe oder
14 Erstes Buch. Fünftes Kapitel.
fürbe – mich durchzuwinden; durch alle Ereigniffe, die
fo vielfach mich treffen könnten – hier und auf noch wei-
term Wege mich durchzuschlagen; überhaupt das Gewagte
der Sache, hatte etwas Anziehendes und Reizendes für
mich; feste Besonnenheit und Entschloffenheit erwachte,
und – ich gestehe es, daß in dieser und andern ähnlichen
Lagen ich mich selbst mit Zuversicht fühlte.
Von den vierzig Stunden, die ich allein zu machen
hatte, war die erste Poststation zurückgelegt ; von den
Postknechten allen, die mich führten, verstand keiner ein
Wort teutsch und auf der Post selbst war es mehrere Male
der Fall, durch Geberdensprache sich verständlich zu machen.
Gleich auf der ersten begriff ich, daß ich statt in Kutschen
auf Leiterwagen fahren mußte; dennoch kam mich dieß hö-
her zu stehen, als wenn ich in jenen gefahren wäre. Kut-
fchen fah ich im ganzen Bannate keine, wohl aber em-
pfand ich die Leiterwagen.
Beym Scheiden von den Griechen ward mir von den
Lebensmitteln noch etwas Brod und Käse zu Theil; ich
war froh darüber; die Posthäuser sind keine Wirthshäuser,
und uln gutes Geld konnte ich auf der meistens einfam gele-
genen Post, nichts bekommen. Brod und Käse waren meine
Speise, und Wein aus'm Sodbrunnen mein Getränke,
5
Ich war nun schon aus Ungarn und hatte also von der
ungarischen Krankheit, mit der man mir oft bange machen
wollte, nichts zu befahren. *) – Als Schutzmittel gegen
*) Das ungarische Fieber, die ungarische Seuche besteht in ei-
nem bösartigen Nervenfieber, das vorzüglich den im Felde
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1:
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F
Kleider tracht in Ungarn, 15
dieselbe empfahl man mir: „Mäffigkeit im Effen, keine
Fische, kein Fett, kein bloffes Waffer, keinen neuen Wein
und viel spanischen Pfeffer (Paprika) zu genießen, mich
vor Verkältung, besonders zur Nachtzeit zu hüten.“ Das
Mittel war probhältig, ich befand mich, so lange ich in
Ungarn war, fehr wohl.
Den ganzen Tag über war die Reife fehr anziehend
für mich, und ich faß felbst auf dem Leiterwagen äußerst
vergnügt; es war Sonntag und also alles in Galla; die
mir neue wunderliche Kleidertracht, besonders der Wei-
ber, konnte ich nicht genug begaffen: ein reines Hemd
bis auf die Füße herab, vorn offen, wie bei uns die
Männerhemden, mit zierlichen Armspangen geschmückt,
wd um die Hüfte ein gewobener Gurt von ein bis zwey
Eugen Breite; von derselben dunkeln Farbe des Gürtels
fielen Fransen bis auf die Füfe; je nachdem die Be- -
wegung es mit sich brachte, flogen sie unordentlich auf dem
heißen Gewande umher; die geflochtenen schwarzen Haare
zierten Blumen und Büschel von seidenen Bändern. Die
Kleidung der Männer hat weniger Auffallendes, doch ist
der Schnitt derselben eigenthümlich. Schnurrbärte sind
durchgehends an der Tagesordnung und geben dem sonst
überhaupt regelmäßigen Gesichte ein wildes Ansehen. Man
würde sich aber täuschen, wenn man vom Aeuffern aufs
Innere schließen würde, denn die Leute sind freundlich
und gut, wenn man sich ihnen verständlich macht, oder
auch nur den Willen dazu zeigt. - * -
*-----
stehenden Soldaten befällt, und sich durch die heftigsten Kopf-
schmerzen, Delirien, Diarrhöe und einen Petechial-Ausschlag
Auszeichnet,
46 Erstes Buch. Fünftes Kapitel.
Die Grenze des Bannats erkennt man an der beffern
Anbauung des Landes, als in Ungarn. Man sieht Fleiß,
findet lang entbehrte Hügel, Wälder und erfreuende Land-
fchaften wieder.
Ich hatte eine starke Tagreise von acht Posten ge-
macht; noch wollte ich nach Mehadia; dort, sagte man
mir, könnte ich übernachten, es war schon tiefer Abend,
als ich mich dem Orte näherte: es gieng nun langsam,
Schritt für Schritt einen steilen Berg hinan; es muß
fehr schlechter, felsigter Weg gewesen feyn; alle Augen-
blicke, meinte ich, läge der Leiterwagen am Boden und
ich darunter: es war mir daher höchst erfreulich, als
endlich der Wagen hielt und ich Licht fah; der Posthal-
ter sprach gut teutsch. Ich verlangte blos eine Suppe,
etwas Wein und ein Bette, aber alle dreye gut. Er ver-
fprachs; der Wein kam und übertraf meine Erwartung –
Er war est est est *) , , , , , aber die Suppe wollte nicht
”) Wenn man von Sienna nach Rom reist, kommt man
auf die Post Monte fascone, auf dem Hügel eines hohen
fpitzen Gebirges, wenige Stunden von der Stadt Viterbo
gelegen. Weit und breit rühmt man den Reisenden den 1.reff
lichen Wein, bekannt unter dem Namen est est est und wie
man hinkömmt, so find Vetturini und Postillons so gut
als der Wirth daselbst dafür besorgt, dem Fremden diesen
(übrigens nichts weniger als wohlfeilen) Wein zu verschaf-
fen – und wer billig feyn will, muß dem Geschmack des
deutschen Weinkenners Gerechtigkeit widerfahren laffen,
Die Anekdote oder vielmehr die Geschichte ist diese: Ein teut-
fcher Prälat, Namens Johannes v. Fuager bereiste
Italien; in welchen Geschäften wird uns nicht erzählt,
wohl aber, daß er, wie mancher Andere, etwas auf einem
Gläschen Guten hielt. Um nicht den Zweck zu verfehlen,
r
1:
z
4.
M eh a dia, - 17
erscheinen, es dauerte wohl eine Stunde; endlich brachte
die Wirthin ein fehr gutes, schmackhaftes Gericht von
Fleisch, und ich erfuhr, daß man hier zu Land dieß Suppe
hieße; der den Tag über entbehrte Wein würzte den Ge-
muß des nun Aufgetragenen um so viel mehr, je we-
niger mir diese Tage durch ähnliche Erquickung zu Theil
wurde. Ich ward sehr munter, und wenn ich fchon feit
vier Nächten nicht zu Bette war, so ging ich die fünfte
ward der Bediente vorausgeschickt. War die Sache dem
Wunsch entsprechend, so war das Wort: »est « die Losung
zum Aussteigen, hieß es ,est est“, so bedeutete es schon, da
man auf längere Zeit da sich einhausen würde. Bey Monte
fiascone nun ging der Bediente ein Stück Wegs feinem
Herrn entgegen und rief von weitem: Est! Est! Est! Der
Erfolg zeigte, daß er seinen Herrn nicht unbegründet ver-
tröstete; er stieg aüs und der Magnet blieb wirksam, nicht
nur bis zum Tode, sondern noch über denselben hinaus. Denn
fein Leben war zu kurz, um den Geluft nach diesem Nektar
zu stillen, noch im Tode folte die Asche darin gebadet wer-
den. Der erkenntliche Prälat vergabte eine beträchtliche
Summe der Amtsbehörde mit dem Bedingniffe : alljährlich
auf den Tag eines Absterbens ein Fäßchen von dem besten
Gewächs seines Lieblingsweins auf einem Grabe auslaufen zu
lassen. Das Versprochene zu halten, war damals noch Sitte!
und his noch vor wenigen Dezennien befeuchtete die anzie-
hende Flüssigkeit die ueberreste ihres ehemaligen Liebhabers.
Ich war selbst in der Kirche, sie liegt ausserhalb der Stadt,
und besah den Grabstein, dessen Innhalt und besonders die
Jahrzahl verwaschen, undeutlich und abgeschliffen ist: fie
lautet:
EsT, EST, EST,
pRopTER MINIMUM EST
DOMINUS MEUS MORTUUS EST.
JoANEs DE FUGGER.
B
18 Erstes Buch. . Fünftes Kapitel.
ungern darein, schlief aber nichts desto weniger aufs beste
bis an den lichten Morgen.
Um das Land, das ich bey dunkler Nacht betreten hat,
te, bey Tage zu erkunden, streckte ich gleich nach meinem
Erwachen den Kopf zum Fenster hinaus, in die frische
Morgenluft und . . . o, willkommen mir herrliches Land!
ruhige Stille und Einsamkeit! es war ein Schatten von
Schweizergegend, wild und romantisch; gegen mir über
Felsen und Gebüsche und Wälder, unten klare Quellen,
die sich zum Bache vereinten. Mit kindischer Freude
durchrannte ich den ganzen Vormittag Berg und Thal;
es kam mir kein Sinn an’s Abreifen.
Nachmittags führte mich der Posthalter auf ein ver-
nachläßigtes Landgut. Zwei Schweizerfamilien müßten
darauf innerhalb zehn Jahren zu wohlhabenden Leuten
werden, und der Posthalter klagte über Schaden. . Un-
glaublich unwiffend, nachläßig, dumm oder liederlich wer-
den fo oft die einfachsten Dinge betrieben; bey den ent-
schiedensten, sichersten Vortheilen, welche die Natur der
Sache darbietet, unbeachtet gelaffen. Es ist dieß aber
gut; denn, wie könnten sonst andere bestehen, die jene Vor-
theile vermissen. Ich bemerkte also dieses dem Posthalter mit
dem Beyfatze: daß er und feine Nachbarn die Landwirth-
fchaft betrieben, wie die Tröpfe, was er auch gelten ließ.
Abends führte er mich auf die Kegelbahn, es war
zugleich der Versammlungsplatz der vornehmen Welt von
Mehadia ; galante Damen von Officieren und Be-
amteten . . . und Beamtete und Officiere de bon ton. In
dieser wichtigen Gesellschaft, die bereits anfing, sich die
Köpfe zu zerbrechen: warum ich den ganzen Tag in Me-
hadia zubrächte, wollte ich meine Zeit nicht verlieren;
t
t:
Till
Alt-Orfowa, 9
ich ließ den Posthalter beim Kegelschieben, welchem Fache
er mehr gewachsen war, als der Landwirthschaft, und ging
ins Freye.
| # 6.
d Am folgenden Tage reiste ich ab. Noch wünschte ich
die benachbarten, sogenannten Herkulesbäder zu sehen, und
" der Posthalter machte sich anheischig, mich zu denselben
zu begleiten. Es war aber nicht so fast um meiner als
um seinetwillen; es wird in diesen Bädern sehr hoch ge-
spielt und ich erfuhr erst späterhin, daß der Posthalter
in der Regel mit von der Parthie fey.
Das Bad oder die Bäder liegen in einer wildschönen
Gegend; die warmen und siedenden, aus der Erde hervor-
sprudelnden Quellen ziehen sich stellenweise mehr als eine
Viertelstunde in die Länge; das Waffer ist von verschiede- -
der Zusammensetzung und Farbe (unter andern auch eines,
" das weiß ist) und würde den Platz wahrscheinlich sehr
wichtig machen, wenn gehörige Anstalten getroffen wären.
" Aber diese scheinen jenen der Landwirthschaft ähnlich zu
sein, nnd bringen dem Kaiser, der bauen ließ, mehr
" Schaden als Nutzen. -
" Ich verreiste Nachmittags, und kam am Abend des
" - netten Juni vor sieben Uhr in Alt-Orfowa an. Ich
" machte mir von diesem Orte eine große Vorstellung und
" faunte daher nicht wenig, statt einer beträchtlichen Stadt
" in kleines Dorf zu finden, dessen oberer Theil meist aus
" Leimhütten mit Bretterdächern besteht: Bei uns trifft man
“ auch in geringern Dörfern auf nichts so schlechtes; unten,
“ - der Donau nach, sind einige neue, ansehnliche Häu-
fer, Auf der Post, dem einzigen Gasthause in Orlowa,
20 Erstes Buch. Sechstes Kapitel.
wo ich abstieg, vernahm ich durch einen Dolmetscher,
der ein Grieche war : „ daß kein Platz mehr darinnen
sey. “ Sögleich ging ich mit meinem Empfehlungsschreiben
zu Hr. Demeter Tyrka und Compagnie, defen Schwa-
ger Hr. Dem elids, ein junger, gebildeter, kenntniß-
voller Mann, die Güte hatte, mir fein eigenes Haus zur
Wohnung anzuweisen, welches freundschaftliche Anerbie-
ten ich denn ungefäumt mit Vergnügen und Dank an-
nahm.
Noch wollte ich die umliegende Gegend besichtigen,
es war ein so schöner Abend! Ich wandelte der Donau
nach hinunter. Kaum einige hundert Schritte weit, siehe
da, ein neuer überraschender Anblick für mich: ein Zug
Türken, mit einer Pracht gekleidet, wie mir nie vorkam,
zierlich und groß. Eine Gala in europäischer Kleidung,
fo glänzend fie auch feyn mag, ist mager und ärmlich da-
gegen; in bunten, atlaßnen Talaren mit abstechendem Um-
tergewand prangte die Gruppe; ein feiner Kafchemir -Tur-
ban umwand das fich stolz umherwerfende Haupt ; von
verschiedenen Farben war das zierliche Gewebe; die leichte
Flinte mit künstlicher Silberarbeit ganz überzogen auf dem
Rücken schwebend, neben ihr die fünf Schuh” lange Ta-
backspfeife; im reichen Gürtel zwei blendende Pistolen;
in Mitte desselben der Dolch, defen Griff von Brillanten
fralte. Der gesetzte feste Gang zeigte Zuversicht zu sich
felbst und das Impofante des wilden, aber schönen regel-
mäßigen Gesichtes fagte daffelbe. Weiffer Atlaß mit schwat-
zem, kostbarem Pelze verbrämt, war die Kleidung des
Vornehmsten aus ihnen –– es war der Pascha, Com-
mandant von Neu-Orfowa und fein Gefolge, das wie-
der zu Schiffe ging,
z
Seryien, Aufenthalt im Alt-Orfowa. 21
Da war ich nun an der Grenze des Landes, das ich
mir zu durchstreifen vorgenommen hatte. Der Eindruck,
welchen das zufällige Begegnen des muselmännischen
Trupps auf mich machte, war der erste lebhafte, und da
er unvermuthet war, ungemein wirksam und stark. Die
Sonne war im Untergehen, und prächtig die Beleuchtung
der wilden Gebirge des aus der Donau sich hebenden, .
eben aufrührischen Serviens. Emsig sah man unter
Sang und Klang mehrere hundert Einwohner, Schanzen
und Festungswerke errichten und aufführen. Das Getöse
und Geschrey bey dieser Arbeit hallte laut herüber.
Mein Kopf war voll und eingenommen von all den
Neuen, das ich heute sah und späterhin erst noch sehen
sollte; mein Blut war in Wallung; man fagte mir von
Schwierigkeiten wegen den Durchpaß; ich ging zu Bette;
machte Plane auf Plane zur Erreichung meines Ziels.
Das Brüllen der servischen und russischen Vorposten tönte
hel herüber; ich schlief diese ganze Nacht nicht einen Au-
genblick
\,
Zehn Tage dauerte mein Aufenthalt in Alt-Orfo-
wa; wenn ich aber an irgend einem Orte aufgehalten
werden mußte, so war mir dieser gewiß der angenehmste;
in Gesellschaft der liebenswürdigen Familie. Den elids
und ihrer Verwandten, unter welchen auch Hr, Paul
Emanuel, ein erfahrner, junger Mann, der zehn Jahre
in russischen Diensten eine Officierstelle bekleidete und
durch eine großen Reisen, wie durch feine beredte Un-
erhaltung alles belebte, verfloß mir diese Zeit sehr schnell;
die schöne Gegend bei Sonnen Auf- oder Untergang,
22 Erstes Buch. Siebentes Kapitel,
so wie unser unsterbliche Ludwig Heß voll Gefühl die
Natur in ihren Beleuchtungen auf feine Landschaftsge-
mälde hinzauberte, trug auch vieles dazu bey ! Kurz, ich
werde den lieblichen, ruhigen Aufenthalt bey diefen guten
Menschen nie vergeffen; es waren Griechen, um so
mehr ist eine folche Aufnahme Seltenheit!
Mein etwas langer Aufenthalt bey dieser Familie und
die Verbindung, in welcher dieselbe mit andern Griechen,
stand, gab mir Anlaß, etwas näher mit dieser Nation be-
kannt zu werden,
7.
Mit ausgezeichneten Geistesgaben, man möchte fast
fagen mit angebornen, ist der größte Theil dieses Volks
von der Natur ausgestattet; ein glückliches Gedächtniß
und ein entschiedenes Talent für die Sprachen, scheinen
den meisten aus ihnen eigen, nicht selten findet man Grie-
chen, die acht bis neun Sprachen verstehen und sprechen;
fie find überhaupt von lebhaftem Charakter, fein, heiter,
gesellig; dieß ist der Grundzug derselben ; ausgebildet –
fey es durch Verfaffung oder Religion – beherrschen sie
sich selbst mit Kraft im Unwillen und Zorn, sie scheinen
kalt, wenn es auch in ihnen kocht. Von früher Kind-
heit an wirkt das Beyspiel überlistender Verstellung; ver-
fchlagen und verschmitzt bedecken sie künstlich die glatte
Auffenseite durch die Grimmaffe der Freundschaft und
Höflichkeit, sobald es um ihren perfönlichen Vor-
theil zu thun ist. Sehr oft hatte ich Gelegenheit, mich
hievon in Beziehung sowohl auf meine Person als auf
Andere zu überzeugen; ihr Hauptzug, beinahe ohne Aus-
Morgenbesuch im Hause Tyrta. 23
ahne, ist Partheygeist, Eifersucht eines Stammes gegen
den andern; ist der geringste Anschein vorhanden, daß
eine Parthey die andere überflügeln möchte, so finden sich
gleich ein halbes Hundert, die es heimlich nach Möglich-
keit zu hindern suchen, und ich bin überzeugt, daß, wenn
man es auf ein Stimmen mehr ankommen lieffe, eher ziehen
Türken auf den Thron gesetzt würden, als daß man sich
einverstehen würde, einen Griechen diesen Platz einzu-
räumen. Keine Familie, kein Stamm würde groß genug
denken, ein Opfer für eine andere Fämilie, einen andern
Sann darzubringen: von dem Geiste der alten Griechen
hat sich auf die neuen nichts vererbt, als der, der Zwie-
tracht und Familienpartheysucht. Das Sprüchwort: „Zehn
Griechen eilf Sinne“ soll eines der richtigsten feyn. Dieß
offenherzige Bekenntniß habe ich selbst nicht nur von Ei-
nen, sondern von mehrern Griechen gehört. Der Grundsatz
durch Ehrgeiz und Eifersucht fortdauernd genährt: lieber
einen Landsfremden über sich zu fehen, als einen verhaß-
ten Nebenbuhler, wird die Griechen bis an den jüngsten
Ighindern, ein selbstständiges Volk zu werden.
An einem Feyertage der Griechen, ging ich mit noch
einen Freunde einen Morgenbesuch im Haufe Tyrka zu
machen, nach der Kirche; eine Gesellschaft von acht bis
zehn Personen saß schon in der nemlichen Absicht im Kreise
herum; die Frau vom Hause kam bis an die Thüre entge-
gen und bewillkommte uns auf fränkische Art *) fehr ar-
') Bei den Türken heißt alles Franke, was nicht Türke oder
Raya (Unterthan), Grieche und Jude der Levante ist, –
Auch bei den Europäeren ist dieß Wort anerkannt und üblich
geworden. – Man fagt: er war ein Franke, – nicht ein Euro-
päer; – Christ, – – fränkische Sitte: Sitte in Europa e.
24 Erstes Buch. Siebentes Kapitel.
tig. Der Kreis der Griechen legte die rechte Hand auf die
linke Seite der Brust und neigte das Haupt – der ge-
wohnte Gruß der Griechen. Wir vermehrten den Sitzen-
den Bogen, -
Nun begann das Frühstück nach Landessitte. Die Frau
vom Hause bedient auf groffen silbernen Aufwarttellern
Eingemachtes – eine Art Latwerge – bald von Pfirsich,
bald von Orangen, Trauben u. dgl.; für jeden Anwesen-
den findet sich ein Glas Waffer und ein Theelöffelchen
auf dem Teller; jeder nimmt einen Löffel voll und trinkt
nach Wohlgefallen aus seinem Glase. Ist die Frau in
der Reihe herum, so erscheint der Herr mit zwei Auf-
warttellern, auf dem einen für jeden Gast ein Gläschert
Rosoli, auf dem andern Cybeben und Mandeln. Etwas
späterhin erscheint wieder die Frau und bringt den Kaffee,
welchen sie wieder jedem in der Reihe herum zubringt.
Auf türkische Art – trüb, dick und schwarz – wird die-
fes Getränk, ohne Zucker, mit dem Satze getrunken. In
der Türkey wird der Kaffee nirgends gemahlen, wohl aber
fein, wie Mehl, zerstoffen. Ich könnte nicht sagen, daß er
mir, so zubereitet, anfänglich behagte, aber späterhin trank
ich ihn auf diese Art sehr gerne. Untere Schaalen sind
nirgends üblich, statt derselben dienen silberne Becherchen,
in denen eine kleine Obertaffe von feinen Porzellan, bunt
bemalt, steht, in welcher der fchwarze Trank ist – oder,
wie bey den Türken durchgehends üblich ist – eine zweyte
kleine Obertaffe in einander gesteckt – um sich an der
einfachen nicht zu brennen – indem der Kaffee überall
fiedend heiß serviert wird. Sowohl vor dem Mittag - als
Nachteffen wird, ehe man die Suppe aufträgt, Rosoli
z
-
i
Ein Schuß in meine Nähe, 25
herumgeboten. Dieses ist eine kurze Charakteristik der Grie-
chen und ihrer Lebensart.
In der zweiten Nacht ward von einer fervischen Schild-
wache jenseits der Donau eine Kugel herübergejagt. Der
Schuß fiel keine dreißig Schritte von meinem Bette, in
den ich ruhig schlief, nieder,
Eines Morgens stand ich am Ufer des Stromes, und
sah dem emsigen Schanzen auf der andern Seite zu; all-
gemeine Munterkeit war, obgleich wegen der Ferne –
unbestimmt vernehmbar; auf einmal erscholl ein helles
Gelächter des ganzen Trupps. Wie kommts! ohne wei-
tern Beweggrund als den des Gehörs, zog sich maschinen-
artig unwillkührlich bei mir der Mund zum Mitlachen,
ohne nur einen Schein als Grund zum Lachen zu haben,
eine halbe Viertelstunde vom Gelächter entfernt! Ist das
moralisch? Ist es Instinkt, Trieb, Einwirkung, Mitgefühl?
Seryien wollte sich vor acht Jahren der türkischen
Herrschaft entziehen, und balgte sich seit dieser Zeit
inner herum. Es gelang unter russischem Schutze; feine
Unabhängigkeit scheint für den Augenblick gesichert. Das
ganze Land ist verödet und verbrannt – bald durch Tür-
k, bald durch Ruffen. Die Einwohner scheinen das
Unruhige Leben gewohnt und find bey Elend und Mau-
gel immer munter. Man schildert den Anführer und Be-
fehlshaber des Landes Tzfcherni George (soviel als
der Schwarze) in oder bey Belgrad sich aufhaltend,
von festem, strengem Charakter. Nach dem eisernen
26 Erstes Buch. Siebentes Kapitel.
A
Sinne eines Brutus, verurtheilte er feinen Bruder zum
Strang, weil dieser ein Mädchen geraubt und entehrt
hatte – freilich waren fechfe ihrer Brüder unter feinen
Truppen –; den Gesetzen Genüge zu leisten, stimmte er
der Erste zu seinem Tode. -
Bei meiner Rückkehr hörte ich nachfolgende Anekdote
von Tscherni erzählen: Es starb ein Bauer, der einen
Sohn hinterließ, – um jenen zu beerdigen, verlangte
der griechische Papa fünfzig Piaster. – In Serbien
werden die Leichenbegängniffe mit den Geistlichen gewöhn-
lich vorher ausgemarktet, da die meisten nicht fixe Ein-
kommen haben. – Der Sohn konnte nicht so viel auf
treiben und der Vater blieb unbegraben. – In der Ver-
zweiflung geht der Sohn zu Tzscherni, welcher ihm das
noch Mangelnde, was der Priester verlangte, auszahlte –
mit Auftrag zwey Gräber machen zu laffen, und dem Ver-
heißen, den Begräbniß felbst beizuwohnen. Mit einigem
Militär traf er wirklich zur he stimmten Stunde ein; als
man am Beerdigen war, fragte er den Geistlichen: „ob er
bezahlt fey ? – und“ auf bejahende Antwort – „wie viel
- Kinder er habe?“ – der Priester gab deren mehrere an.
Nun, fägte Tzscherni, auf daß sie nicht einst in die Ver-
legenheit dieses jungen Bauern kommen, wenn sie nicht
so viel Geld haben, dich bestatten zu laffen, so will ich
ihnen die Unkosten ersparen und es auf meine Unkosten
jetzt thun. Der Papa ward in den Sarg gezwungen,
diefer vernagelt und beerdiget; während mehreren Stun-
den, daß die Soldaten Wache hielten, konnte man den
Unglücklichen nicht befreyen, und als es endlich geschehen,
fand man ihn entseelt.
- -
f
Ungebungen von Orfowa. . . 27
Von feiner noch lebenden Mutter ward er, der Schwarze
genannt, weil er feinen Vater darum, daß er zur türki-
ichen Parthie übergehen wollte, um das Leben brachte.
Mässig und arbeitsam, kennt er für sich selbst weder Auf-
and noch Pracht; er bleibt in feiner Nationaltracht von
grobem Tuche – und, indeß feine Officiere vielen Auf-
and machen, arbeitet er felbst auf'm Felde.
- - -
Die Umgebungen von Orfowa find sehr angenehm
firs Auge, aber die Dorfschaften sind in einem elenden
Zfande. Ich war auf einer eine Stunde weit entlegenen,
und fand unter beiläufig anderthalb hundert Dachungen
kaum zwei Häuser, die einem Waschhaus bei uns
verglichen werden konnten. Die Einwohner aus der ge-
eingern Klaffe find fo höflich, daß sie – einzeln, oder
Truppenweise beyfammen sitzend, immer aufstehen, wenn
man bei ihnen vorbeigeht. Diese Höflichkeit machte mich
zlzt so verlegen, daß ich lieber einen Umweg nahm,
als ganze Gruppen, die sitzend beysammen arbeiteten, zu
erbrechen oder zu stören. -
8. .
Es war am zwölften Junius, als ich endlich einen
Schein oder Paß folgenden Innhalts erhielt:
„Hr. J. H. Mayr, Handelsmann, kann in das
Zeitige passieren.“ Dann unterschrift und Datum. La-
bisch genug lautete die Erlaubnis. Doch genügte sie mir.
ihre Abreise ward noch mehrere Tage verschoben, da
der Kommandant von Neu-Orfowa seine Bewilligung
28 Erstes Buch. Achtes Kapitel.
dazu aufzuschieben, für gut fand. Aus welchen Gründen
blieb mir unbekannt. .- -
Wo sich vor einem Haufe eine Bank fand und Schat-
ten war, lagerten sich Griechen mit Brett- und Damen-
fpiel. Im Augenblick Zuschauer die Menge rund herum;
die Plätze blieben besetzt bis in die Nacht hinein. Wie
gleichgültig fie. Unfälle in Würfelspiele ertrugen, die un-
fer einem sonst bald Galle erregen, hatt' ich oft Gelegen-
heit zu bewundern. Kein Wort der Ungeduld entfuhr,
oft änderte sich felbst die Gebehrde nicht, wenn es schon
innerlich anders beschaffen feyn mochte. --
Etwelche Strecke über Oxfow a hinaus, ist die fo-
genannte Straße Trajans. Der Donau gegen über stan-
den die beiden Heere der Griechen und Römer gelagert.
In Felsen ausgehauene Wege, nebst vielen andern Merk-
würdigkeiten finden sich in der Nähe; oft entdecken die
Landleute Münzen und andere Kostbarkeiten, wovon aber
die Hälfte immer der Regierung muß ausgeliefert wer-
den. Verheimlicht der Finder. Etwas, so hat er eine fehr ?
harte Strafe zu erwarten, auf den Fall er entdeckt wird.
Den nächsten Sonntag Abend gingen wir in zahlreicher
Gesellschaft, die wallachifchen Tänze der Landleute. "Wir
von Banat zu sehen. Auf einem freien Platze hatten sie
sich versammelt. Drei Musikanten spielten; die Tauzen- ''
den bildeten einen Reihen in frappanten Costüme, die
Weiber in rothscharlachenem Talare; die Männer in weißen ",
Röcken und Beinkleidern, dabei reinliche Wäsche. Jede
Person band ein Tuch um die Hüfte, an welchem sie von "g
den Nachbarn zu beiden Seiten gefaßt wurde, bis das Wii
Ganze eine Kette bildete. Dreimal ward mit dem Fuße
aktmässig der Boden geklopft, dann bewegte sich der ganze
'-
Abreise nach Neu-Or fowa, 29
Zug vier Schritte vorwärts und eben soviel wieder zurück;
dann ward derselbe Taktschlag auf'm Boden wiederholt.
hl. Nie Bewegung war so fanft, ähnlich dem Wogen des
1, Wafers, und alles war so anständig – eher an das Ernste
in gränzend, daß der Abstand zwischen diesen Tanzenden, und
W | einer Stube voll unserer mit Schweiß bedeckten, besoffenen
| Wallern, mit ihrem wilden, tobenden Walzer, mir unge-
- heuer groß vorkam. Ein zweiter Tanz bildete einen Ring,
die Bewegung war, wie beim ersten, gleich sanft und an-
fündig und eben so taktmässig. Mit Vergnügen verweilten
wir einige Stunden bei diesem ländlichen Feste.
f, * -
" Endlich am achtzehnten Junius kam die Erlaubnis zur
Abreise. Das Schiff wurde fchon ein Paar Tage zuvor
geldet und feit einigen Stunden vorgefahren. Um vier
Uhr war ich an der Quarantaine, nahm Abschied von
" stand Demelids – und zwei Schritte vorwärts über
die Grenze, war ich auf türkischem Gebiete; was ich von
" nun an berührte, durfte ohne Kontumaz nicht in christliche
" Eulen über. Wir wurden in ein Einakl – ein Boot
" aus. Einen Baumstamme gehöhlt, verpackt, vier Griechen
" beten meine Gesellschafter. Einer aus ihnen sprach er,
" liche Worte gebrochen teutsch. Dieß sollte mein Schutz-
Mit sein; bis weithin machte er dieselbe Reife, aber
ich konnte zu dem Manne kein Zutrauen faffen; schon
fijer waren wir mehrere Male beisammen, aber immer
Mt es der gleiche Fall. -
Sympathie – Antipathie ! inneres, gehei es, uner-
klitbares Gefühl, und doch fo laut sprechend, so entschie-
den anziehend oder zurückstoffend! Welcher Denker, wel-
het forschende Weise ist im Stande, mir Auskunft zu
30 - Erstes Buch. Achtes Kapitel.
geben über das, was ich hierüber fragen möchte? Wohl,
bis ich bessere Erklärung erhalte, möcht ich sagen, ists
der Geist, der zum Geiste spricht – das Unendliche zum
1Unendlichen !
Schnell förderte der Strom den schwankenden Kahn
hinunter; in einer kleinen halben Stunde waren wir "
auf türkischem Boden, in Neu-Orfowa; es soll eine "
der stärksten Festungen feyn. Ich verstand nichts hievon : "
nur foviel merkte ich, daß die Mauerwerke und die Lauf."
gräben, kurz alles, äußerst vernachlässigt war; der Be-
fehlshaber spielt, fagt man, fchon feit Jahren eine zwei-
deutige Rolle, und man glaubt, daß auch er sich, gleich
feinen Nachbarn in Servien, unabhängig erklären, oder ?
wenn er dabey zu viel wagte, mit feinen beträchtlichen
Schätzen nach der österreichischen Grenze wandern dürfte.
Einen Theil meines Gepäcks lud ich mir selbst auf,
den andern gab ich einem Türken, nach der andern Seite "
der Insel zum Schiffe zu tragen. s
Schon im ersten Augenblicke lernt ich hier, die auf
fallende Verschiedenheit der Nationalcharaktere kennen.
Als ich dem Manne ein Stück Geld nach meinem Gut-
dünken gab, fchob er es, ohne nur darnach zu fehen,
was oder wie viel es wäre, in die Tasche und ging da- -
von. Wär' es aber auch das Doppelte gewesen – oder zu
nur halb so viel – ich bin überzeugt, der Türke hätte
sich eben so verhalten. Der Stolz gegen Alles, was
Franke ist, erstreckt sich bei ihnen bis auf die niedrigste ;
Klaffe. Nie würden sie einen anbetteln, eher verhungern. i
Bald kam man, um sich nach der Schiffsgesellschaft zu
erkundigen. Es waren meistens Griechen – also türkische
Unterredung mit dem Pafah a. s
Unterhalten. Ich, als der einzige Fremde, mußte mich
vor den Pascha stellen.
Er war dießmal weniger in Galla, als da er mir in
Alt-Orlowa begegnete; – er faß in einem, in die Donau
hinaus gebauten, und mit Strauchwerk bedeckten Pavillion,
mit bloßen Füßen und kreuzweis übereinandergeschlagenen
Weinen, auf einen Teppich am Boden, eine lange Pfeife
vor sich hin dampfend; fechs bis acht langbärtige Türken
um ihn; ein junger Grieche war fein Dragomann. Er
fing nach meinem Vaterlande, dem Zweck meiner Reise
1. a. m.; er konnte nicht begreifen, daß die Schweiz
der unter Frankreich noch Oestreich stehe und ver-
wechselte lange die Schweiz mit Schweden; endlich fiel
der -
ihnbei, von diesem Lande gehört zu haben, und er gab sich
zufrieden; er erheilte mir die Erlaubniß, überall unge-
hindert herum zu gehen und gewährte mir feinen Schutz.
Zch nach sehr freundschaftlich entlaffen. Hätte ich gewußt,
was ich erst später erfuhr, ich würde ihn um wirkliche
Beweise hievon angesprochen haben, um so mehr, da ich
dazu berechtigt gewesen wäre. -
- 9.
Der Kommandant heißt Recep p, nennt sich ab ,
als politischen Gründen nur Aga – handelt indes ganz
als Pascha und übt vielleicht noch höhere Gewalt, als
der der letztern. Er ist ein Mann von mittlern Alter,
ansehnlicher Figur und frischen, entschloffenen Gesichts-
en, daß diese nicht täuschen, beweisen schon verschie-
dene Fälle, in denen er diesem Charakter entsprach. Der
ein Verehelichung gehört mit unter dieselben. Seine
32 Erstes Buch. Neuntes Kapitel.
-
-
Frau ist die Tochter eines Vorstehers von Servien ; fie
soll ein bildschönes Mädchen gewesen feyn, er bewarb sich
um sie, und erhielt –– abschlägige Antwort. Wieder-
holte Versuche hatten ähnliche Erfolge, Die Unruhen in
Servien brachen aus, und die Aeltern der Tochter waren
zuerst besorgt, dieselbe in Sicherheit zu bringen, was ih-
nen gelang, aber wenig fruchtete. Der Pascha hatte als
Feind des Landes freyes Spiel; er machte einen Haupt-
zug in die Gegend, wo die Familie ihren Sitz hatte und
es gelang ihm, sich aller zu bemächtigen. Nun behielt er
sie so lange, bis die geflüchtete Tochter sich stellte und durch
ihre Berchlichung mit dem Pascha die Ihrigen befreite
er soll vergnügt mit ihr leben.
Daß er vorurtheilsfreyer ist, als feine Glaubensge-
noffen, beweist, daß er nach der muhamedanischen Lehre
die Todsünde beging / sich malen zu laffen. Das Migna-
turbild hat, wenn schon nicht das Verdienst von guter
Malerey, doch das der Aehnlichkeit. Er soll eine große
Freude damit haben, Der Künstler, ein Wiener, erzählte
mir selbst, wie daß der Pascha auch einen Bruder ge“
zwungen hätte, sich malen zu laffen und wie dieser ihm
während der Arbeit geklagt: » daß, wenn er nun sterben
sollte, er von Mahomed verworfen würde, weil er gegen
sein Gesetz gehandelt habe und sich malen ließ“ – „doch“
_ meinte er – „fein Bruder würde noch mehr verdammt
werden, da er die Ursache fey, und bevor er sterbe, wolle
er sein Bild verbrennen, um desto eher Verzeihung zu
erhalten.
– ."
in
d
Schlimmt e Lage, 33
Mit meiner Reifegesellschaft, den Griechen, welche
verschiedene Bekannte hier trafen, besahen wir das Innere
der Insel, meistens aus hölzernen, elenden Hütten befte-
hend. Bei der Rückkehr zum Schiffe erfuhren wir: daß
wir heute nicht abgefertigt würden, und also hier übernach-
tei müßten,
Man denke ich nun aber mein Erstaunen, als ich
hörte, daß kein Gasthaus und kein Obdach für den Frem-
den hier zu finden fey. Diese unangenehme Nachricht
sollte mir nun recht fühlbar werden, denn der Himmel
überzog sich, und gegen die Dämmerung brach Wind und
Kigen los; meiner Gesellschaft schien dieß gewohnte Sa-
che, denn keiner äußerte ein Merkmal, daß ihm das
Dingfend fey. Jeder nahm feine gewobene Decke (deren
ich noch nie fah, viel weniger hatte) und wanderte nach
dem Sande der Donau, fich auf demselben zu lagern,
Mfte sich mit einer zweiten, und ließ dann gelaffen auf
sich regnen, was das Zeug halten mochte.
Jch, vor Ungeduld über das für mich neumodige
Quartier, wollte fast aus der Haut fahren , lästerte
an einem Orte zu feyn, wo Tausende von Menschen
wohnen, und doch keine Hütte zu finden wäre, sich gegen
Wind und Regen zu schirmen; wenn ich das gewußt
hätte, ich würde dem Pascha durch den Dragomann
meine Meinung unverholen und freymüthig über die Ver-
Ichäftigung einer solchen Anstalt gesagt haben u. f. w.;
ich fuchte französisch, schwur italienisch, fchimpfte
leutsch, alles vergebens. Niemand gab mir Bescheid,
denn es war niemand da, der meine unwidersprechlichen
Gründe nur verstand, auffer meinem griechischen Schutz-
gel, Ich glaubte aber zu bemerken, daß dieser über
- C
34 Erstes Buch. Neuntes Kapitel.
mich, in dieser Schlafmanier noch unwiffenden Neuling,
hämisch den Mund zu einem schadenfrohen Lächeln zu ver-
ziehen begann; denn ohne einen Laut zu verlieren, machte
er sich nur noch tiefer unter feine Decke,
Indeß ward es immer dunkler und stürmte heftiger,
Ich merkte, daß mein Unwille gar nichts fruchtete und
ergab mich also in mein Schicksal. Auf den kalten Sand
an das Waffer mochte ich nicht, obgleich meine Gesellschaft
fich dort hingelagert hatte; es fchien mir in jeder Hin-
ficht fogar unsicher und mißlich. Ich legte mich also auf
die naffen Ballen im Schiff und hüllte mich mit dem Ue-
berrocke, der bald durch und durch naß war, so gut ich
konnte, ein. Aber noch war keine Stunde vorbey, so
merkte ich andere Uebel. Ungeziefer in schrecklicher
Menge trachtete sich an mir zu erholen; wäre ich mit
die fer Gesellschaft auch im fchönsten Zimmer und be-
sten Bette gewesen, ich hätte nicht eine Minute Schlaf
gefunden. Nun begriff ich, aus welchem Grunde sich
die Mehrheit auf den Sand gelagert hatte. Was mich
einigermaffen tröstete, war, daß ich auf'm Schiff we-
nigstens nicht Gefahr lief, von den Hunden zerriffen
zu werden, wie es mir am Ufer geschehen zu können
vorkam; denn stündlich kamen ganze Truppen von her-
renlosen Hunden (die in der Türkey zu Millionen
herumlaufen), wie das wüthende Heer auf die Schla-
fenden losgestürmt.
Die lange Nacht verstrich endlich und der Regen
war vorbey. Die Sonne erfreute uns und indem sie
uns erwärmte, trocknete fiel den Tag über , was
während der Nacht durchnäßt worden. Etwas Fleisch,
Brod, Käse und Wein, was ich von Alt-Orlowa mit-
–
Rußischer Priester, - 35
genommen hatte, erfrischte und erlustigte mich; in ei-
ner Viertelstunde war alles Uebel der Nacht vergeffen.
Ich war großmüthig, theilte mit, wer nur in meine
Nähe kam. Frohsinn kennt keine Vorsicht, noch weniger
Eigennutz. Vor Abend war mein Brodkorb erschöpft.
Es war Freytag und also Sonntag der Türken.
War es deswegen, oder war es, weil Herren von kleinen
Lande sich gerne als Herren von großer Macht und
Gewalt zeigen möchten, genug ! wir bekamen vom Sul-
an dieses Bezirkes die Erlaubniß zur Abreise heute
wieder nicht, welches mir sehr unangenehm war.
Man warnte mich, nicht mehr in das Innere der
Insel zu gehen, da es schon Aufsehen machte. Vergeb-
lich bezog ich mich auf den vom Pascha zugesicherten
Schutz und dessen Erlaubniß, mich dieser Freyheit zu
bedienen, -
Am Abend dieses Tages, erscholl in der Wohnung
gleich neben unterm Schiffe, Musik. Ich ging in den
Hof und mischte mich unter die Zuhörer, um dieser dem
Pascha veranstalteten Ergötzung beizuwohnen, aber fchnell
muß ich mich entfernen, um vor Lachen nicht zu ber-
fett, denn einen grellern, betäubendern, alles überschrey-
enden Bärentanzton hörte ich in meinem Leben nie;
ist möglich, dachte ich, daß das Ohr sich an solche
treifende Klänge gewöhnen kann.
Abends stieß noch ein russischer Pope zu unserer
Gesellschaft. Ein Geistlicher – ein Lehrer der Menschen
is möglich! Ists möglich! jagt' ich mir einmal über
das andere. Ich mordete etwas Latein mit ihm. Der
Mann war so ganz unwissend und unbeholfen, daß ich
ihn in einer türkischen Taverne als Dolmetscher dienen
C 2
36 Erstes Buch, Neuntes Kapitel.
mußte, um ihm etwas Wein von den Griechen zu ver-
fchaffen. Auffer in einer Minute ziehen Kreuze zu schla-
gen und maschinenmäffig lateinische Gebete herzuplappern,
bemerkte ich wenig menschliches an ihm.
Die Nacht rückte heran. Ich hatte zeitlich Antal-
ten zu einer beffern Herberge getroffen, als in der ver-
floffenen; ein schmales langes Schiffchen, das zerlöchert,
halb unter Waffer war, follte das Lager werden. Durch
Zeichen theilte ich meinen Plan mit. Auf runden
Stangen halfen ein Illyrier und ein türkischer Jude
es mir heraufziehen und an einen bequemen Ort legen.
Es war billig, daß sie Theil am Quartier hatten; ein
Platz war übrig und der russische Pope bezog ihn. Ein
Haufen Steine, die Hunde zu empfangen, war aufge-
fchichtet, und so lagen nun Viere aus verschiedenen Na-
tionen, wo keiner den andern ein Wort verstand, der
Länge nach im zerlöcherten Boote, als ihrer Ruhestätte,
beisammen! Kaum einige Stunden verstrichen, als der
heulende Feind heranstürmte ; luftig begann das Bom-
bardement mit dem Steinhagel, bald war der Sieg
entschieden. Der Feind wurde aus dem Felde geschla-
gen, der Hund des Bezirks lagerte unweit dem Schiff,
blieb ruhig und muxte sich nicht. *) Zum zweiten Male
fürmten die Bestien auf uns los – wieder derselbe Em-,
pfang mit größerm Nachdrucke, und wir schliefen nun ru-
hig bis an den Morgen,
*) Jeder Hund hat seinen Ort, den er als eine rechtmässige
Heimath, so lange er lebt, bewohnt. Fallen Junge, so kam-
piren diese in der Nähe, aber immer jeder auf seinem eigenen
Flecke; dies scheint einverstandene Sitte unter dieser Rase, .
k
i
–
",
Abreife und gefährlicher Paß. 37
Am grauenden Tage ertönte wieder jene Bären-Mu-
jk, um den Pascha aus seinen Morgenträumen zu wecken;
ein lautes Gelächter entfuhr mir, auch meine Kammeraden
förte sie auf; vorbey war der Schlaf; wir erhoben uns
aus dem hölzernen Sopha; die übrigen aus dem Sande des
lfers.
10
Es war sieben Uhr Morgens, als die Erlaubniß zur
Abreise anlangte. Ein Türke und ein Ruffe kamen als
Schutzwache zu uns auf das Schiff
Eine Stunde weiter unten von Orte der Abfahrt, kann
ein gefährlicher Paß; ich ward gefragt: „ob ich Furcht
hätte und ein kleines Schiff nehmen wolle, um ohne Gefahr
durchzukommen? – Als ein guter Schwimmer kannte ich
keine Furcht, Stiefel und Rock weg, und ich hoffte mich
geborgen. Erst späterhin merkte ich den Kniff, daß die
Frage nicht wegen mir an mich geschah, sondern wegen
Andern, denen ich das Schiff zahlen sollte. Der Paß
war indeß wirklich nicht heimlich, und mein heuchleri-
scher Schutzpatron fing an in der Angst Gebete abzu-
lehern. Ein bestätigender Beweis der Wahrheit: daß
wahrer Muth zur Zeit der Noth sich weder bey Heuch-
lern noch Hehlern findet.
Indeß ging das Schiff rasch vorwärts; hinüber und
herüber wurden wir wechselsweise, bald von Ruffen, bald
von Serviern angerufen; späterhin waren die Türken al-
ein Meister vom Lande und Waffer.
Zwey-Nächte hatten wir am Ufer der Donau zu
schlafen; mit Flinten und Pistolen, mit welchen Waffen
33 Erstes Buch. Zehntes Kapitel.
jeder in der Gesellschaft versehen war, ging man zur
Ruhe. Schon in Linz hatte ich mir ein Leintuch, we-
gen der Unreinlichkeit in Ungarn, gekauft; es kam mir
die Zeither gut zu statten; während der Nacht zog ich
mir es über den Kopf und schützte mich vor Kälte, Thau
und Insekten. -
Meine Lebensmittel waren in Neu - Orlowa durch
meine Gefährten, denen ich gutmüthig ausgetheilt hatte,
alle geworden, Unterwegs fand ich etwas schlechten Käfe
und Brod zu kaufen; ziemlich fchweres Donauwaffer war
mein Trank, meist noch dicker als Limonade.
Die letzte Nacht fchnoberte etwas zunächst meinem
Kopfe; ich fuhr auf, es war ein großer Schäferhund,
der wahrscheinlich durch den Geruch meines kargen Spei-
fevorraths, den ich im Nachtfacke hatte, der mir als
Kopfkiffen diente, angelockt, herbeykam und mit mir thei-
len wollte; ich jagte den ungebetenen Gast von dannen
und schlief wieder ruhig ein. Es mochten wenige Stunden
vergangen feyn, als neuerdings ein herbes Keuchen mich
im Schlafe störte; ich fchlug das Leintuch zurück; der
Mond war düster aufgegangen und beleuchtete nur fpar-
fam den kohlenschwarzen Büffelkopf, der sich über den mei-
nigen hinstreckte; mein blitzschnelles Auffliegen läßt sich er-
rathen, und der Schrey des ersten Moments, im Taumel
des Schlafes, über die fo nahe Nachbarschaft des krumm-
gehörnten Ungethüms, wäre vielleicht jedem Andern eben
so gut entfahren! Wir erfchracken beyde vor einander, ohne
Roth !
Die Gesellschaft der Griechen gewährte mir den Vor-
theil, türkische Worte und Redensarten aufzuschnappen
und allmählig eine Art Wörterbuch daraus zu bilden.
z
d
Neckereyen der Griechen. 39
Andere Vorteile, um nicht von Nachtheilen zu sprechen,
hatte ich übrigens wenige oder gar keine. . .
Je länger ich um den Mann war, defen Empfohl-
er ich feyn follte, je mehr fah ich ein, daß wir nicht
für einander taugten; ich glaube bey nahe, daß, wenn
man ihn zergliederte, fände man da, wo andern ehrlichen
Leuten das Herz schlägt, das Einmal Eins. Sinn für
etwas anderes fand ich wenig bei ihm. Handwerksmeid
und verborgener Haß gegen die Mehrheit feiner Lands-
leute – Alles handelnde Seelen gleich ihm, waren die
Hauptzüge seines Charakters. Diese Eigenschaften theil-
ten aber alle gegenseitig mehr oder weniger brüderlich
mit ihm,
Scheinbare Plakereyen der Griechen aufm Schiff
gaben mir Aufschluß fürs Wichtigere; wie hämisch nenn-
lich, und wie ein verborgen bösartiges Wesen unter glat-
ter Larve sich bey ihnen entwickelt und äußert! Um vor
der schwülen Mittagssonne sich etwelcher Maaffen zu fchü-
zen, zog einer ein leichtes Tuch über die hohe, zwecklose,
schwarze Mütze (die gewöhnliche Kopftracht der Griechen)
vor das Gesicht. Mit einem Stäbchen stieß ein hinter
ihn Sitzender das Tuch langsam herab. In der Mey-
wung, es fey ihm sonst herabgefallen, bedeckte er das Ge-
ficht wiederholt, aber eben so oft fiel das Tuch wieder
herunter. Endlich merkte er die Ursache; noch vier - fünf-
mal machte er Versuche bedeckt zu bleiben; vergebens!
Ohne das mindeste Zeichen von Ungeduld ließ er sich nun
von der Sonne brennen. Ein Anderer war im Begriffe
etwas zu schlummern, aber gleich fiel man mit Neckereyen
von Strohhalmen und Stöcken über ihn her, daß er ge-
fört wurde, und aus war's mit dem Schlafe. Ein Teut-
40 Erstes Buch, Zehntes Kapitel.
cher, ein Franzose, ein Italiener, ein Schweizer wäre
endlich ungedultig aufgefahren: aber an dem Griechen
verzog sich keine Muskel im Gesichte; kein Anschein von
Unwille zeigte sich; kein Wort ward dabey gesprochen.
Augenzeuge von einer Menge Poffen, Neckereyen und
Chikanen dieser Art, fah ich, wie all das mit glatter
Stirne geduldet, mit ruhigem Munde verschluckt wird:
aber im grollenden Innern wards nur ausgekocht bis zu
gelegener Gegenvergeltung.
Am zwey"und zwanzigsten Junius des Vormittags war
unsre Ankunft in Widdin. Das Schiff ward entladen;
die sprachkundigen Griechen lieffen fich zuerst fördern,
Jeder ging um eine besondern Angelegenheiten zu besor-
gen feines Weges. Es war als ob ich diese Gesellschaft
von Menschen nie gesehen hätte, und doch war nicht Ei-
ner, der nicht mehr oder weniger auf dem Schiffe etwelche
Aufmerksamkeit von mir empfangen hätte. Was ich an
Lebensmitteln , Taback und dgl. besaß, davon hatte ich
ihnen mitgetheilt. Diese Schlechtigkeit verdroß mich fo
fehr, daß ich bey mir selbst das Gelübde that, mit keinem
dieser Selbstsüchtler nur eine Viertelstunde weiter zu rei-
fen. So blieb ich ganz allein auf dem Schiffe zurück,
was mir wegen der Unbekanntschaft mit der Sprache und
dem Orte, in einer für mich ganz neuen Welt, um so
widriger war.
Zwey Israeliten, die auch auf dem Schiffe waren
und um etwas abzuholen, das sie auf demselben vergaffen,
zurück kamen, hatten christlichern Sinn als die Kreuz-
fchlagenden Griechen, und geleiteten mich bis an das
Haus, an welches ich empfohlen war: die Empfehlung
11
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in
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- Widdin. 41
war an einen Türken gerichtet; das beste Haus in Wild-
din, Halil Aga fein Name. Ein braver Muselmann;
wenn er schon keinen Wein trank, er gab mir dennoch; er
nahm mich in seine Wohnung auf, nachdem man am
Schiffe meine Sachen fo durchsucht hatte, wie ich noch
in keinem andern Lande erfuhr.
Jetzt sah ich ganz türkische Wirthschaft. Schon der erste
Eintritt in die Schreibstube, kündigte mir dieselbe auffal-
lend an. Statt Pulte, Tische und Stühle, saßen die
Arbeitenden mit kreuzweise übereinander geschlagenen Bei-
nen auf Polstern am Boden, und fchrieben – das Pa-
hier auf einem Brette auf den Knieen haltend. Statt
mit einen Stuhl zu bieten, ward mir ein Zeichen gemacht,
auf dem auf der Erde liegenden Kiffen Platz zu nehmen.
Noch seltsamer war für mich das Mittagmahl! In ein
Zimmer, in welches schon ein Paar reifende Griechen ein-
Quartiert waren, brachte man ein rundes Tischblatt und
setzte es auf ein Gestell, dessen Höhe sich kaum einen Schuh
vom Boden erhob. Die an den Wänden herum gelagerten
Polster wurden um den Tisch herum gelegt; die Tafel mit
einen gefärbten Teppich mit Fransen bedeckt und die Spet-
fen aufgetragen. Unser achte an der Zahl lagerten sich
nun auf den Polstern umher, die Beine kreuzweise auf
türkische Art übereinander, welches für europäische Klei-
dertracht in den engen Beinkleidern eine fehr unbequeme
Sache ist. Jetzt hieß es eigentlich nach den Buchstaben:
„Aus Einem Becher trinken wir; aus. Einer Schüffel effen
vir!“ Jeder holte sich einen Brocken mit der Gabel
heraus. Unser Wirth war sehr aufmerksam, indem er
uns noch zum Theil nach der Sitte der gebildeten Welt
bediente, denn die Türken langen sonst nur kurz weg mit
42 Erftes Buch. Zehntes Kapitel.
den Fingern nach dem Topfe, und machen die Sache von
Hand – nach dem Sprichworte: „wie der Bauer die
Feigen c.“
Es waren zwei Gläser auf dem Tische; so wie sie
leer wurden, forgte gleich ein Mundschenke, der font
nichts weiter zu thun hatte, für ihre Auffüllung. Der
Wirth des Hauses begnügte sich, feinem Gesetze gemäß,
mit Waffer. Die Flasche ward an den Mund gesetzt und
nach Lust daraus getrunken; sie kreiste bey den Wafferlu-
ftigen und das Glas ward zum überflüffigen Geräthe.
Ländlich, fittlich! Die Speisen waren meist sehr stark
gewürzt ; bey nahe an allen , fcharfe Gartengewächse,
Knoblauch, Zwiebeln, spanischer Pfeffer, Essig, Kap-
pern und noch andere bey uns unbekannte, den Gaumen
kitzelnde Kräuter; oft wußte ich nicht, ob ich die Sache
gut fand oder nicht, so neu war mir diese Küche! Das
Ende des Gastmahls, das ineift nicht über eine Viertel-
stunde dauerte, beschloß – wie es bey den Osmannen die
Gewohnheit ist – so auch hier, saure Milch.
Ehe man zu Tische ging, wusch sich jeder Hände ,
Gesicht und Mund; zu jenen bediente man sich wohlrie-
chender Seife." Nach dem Effen brachten zwey Diener in
die Runde herum wieder Waffer, Seife und Tuch zum
Trocknen. Nach geendigter Wache wurden die Polster
wieder an die Wand gelegt, man setzte oder legte sich
nach Behagen darauf hin. Schwarzer Kaffee, dicke von
Satz, ohne Zucker und Milch, ward“ aufgetragen, dar-
geboten und dann aus fünf Schuh langen Pfeifen geraucht
bis in die Nacht. Das Nachteffen war dem von Mittage
ähnlich – nachdem die Polster wieder an die Wand ge-
bracht waren, trank man neuerdings Kaffee und rauchte
\
- B3 id hin, » 43
so lange, bis es einem gelüstete, auf den Polstern, auf
denen man den Tag über herumkalberte *), fich auszu-
strecken und dem Schlaf zu überlassen. Die Türken wie
fen nichts von Betten und Auskleiden; fie bleiben des
Nachts in der Kleidung des Tages, und schlafen auf dem
flben Platze ein, auf welchem sie den Tag über wachen
und rauchen; zu meiner Freude bekam ich ein eigenes
Zimmer und konnte meine Wache verändern; es half aber
zu nichts; es war im Zimmer zehnmal mehr Ungeziefer,
als ich mitgebracht hatte; ich konnte keinen Schlaf
finden. --- -
Widdin war der erste Ort von eigentlich tür-
kischer Bauart, den ich fah. Alles hölzerne Häuser, alles
im gleichen Geschmacke mit gebogenen Balken, den Vor-
schuß des obern Theils des Hauses zu stützen; unten bildet
es eine Gattung von Hallen; inwendig findet sich ein ge-
räumiger Hof. Die schwarze Farbe dieser Häuser, die
Menge Schwibbögen geben der Wohnung einen patriarcha-
lischen Schnitt; das Ganze war mir gar nicht unheimlich,
Einem Europäer, der zum ersten Male eine türkische
Stadt betritt, kommt fo vieles noch nie Gesehenes,
Auffallendes vor, daß man sich eigentlich Gewalt anthun
muß, um nicht mit aufgesperrtem Munde sich in Stau-
nen zu verlieren; schon das Neue der Bauart sowohl des
Ganzen, als des Einzelnen, wäre hiezu hinreichend, wenn
auch nicht die fonderbar auffallende und fich auszeichnende
Tracht der Einwohner dazu beitrüge. Die Weiber scheinen
aus dieser Welt verbannt und wenn man je zur Seltenheit
" Man verzeihe mir diesen schweizerischen Ausdruck, der nicht
feinsinnig gewählt, aber höchst angemeffen und bezeichnend ist !
4: Erstes Buch. Zehntes Kapitel
eine weibliche Gestalt erblickt, so gleicht sie eher einen
Gespenst, als einem Menschen. Unter einem bis auf die
Füffe gehenden Rocke, über den noch ein langer Talar von
gleicher Farbe (gewöhnlich sehr dunkel) fällt – schimmern
die rothen oder meist hochgelben Stiefeln, mit den Pan-
toffeln von gleicher Farbe darüber, hervor. Mit einem
blendend weißen Tuche wird der Kopf eingehüllt, von un-
ten bis über die Nase, von oben bis unter die Augenbrau-
nen, gewöhnlich noch ein feiner, weißer Schleyer über
das Ganze. Von dem blaffen und farbellosen Gesichte blickt
kaum ein, ein paar Finger breiter Theil hervor. Es ist
einzig wegen dem Gebrauch der Augen, daß diese Blosge-
ihung nothgedrungener Weise – gestattet werden muß.
Um als Türkinnen sich zu zeigen und der Landessitte zu
entsprechen, müffen die Nägel hübsch roth gefärbt feyn;
wenn die ganze Bekleidung der Armenerinnen ohne Un-
terschied der türkischen ähnlich ist, so macht die Farbe
der Nägel den kennbaren unterschied, sie bleiben bei die-
fen weiß. . -
Der Gang entspricht der Mumiengestalt; er ist lang-
fam und schleppend. Anders treten die Männer einher,
stolz und verachtend; die des mittlern Schlags mit bar-
fchen Gesichtern, Straßenräubern ähnlich. Die Beklei-
dung, ohne die Haltung in Anschlag zu bringen, berech-
tiget zu diesem harten Ausdrucke. Jeder ohne Ausnahme,
der nur dem Knabenalter entronnen, führt im breiten
Gürtel zwey glänzende Pistolen; in der Mitte einen drey
bis drey und einen halben Schuh langen Dolch. Der
Gürtel mit einem Inhalte, wiegt gegen die zwanzig
Pfund, öfter mehr. Der Hallunke, der kaum Lumpen zu
feiner Bedeckung hat, führt diese Waffen in der Regel
Unannehmlichkeiten. 45
mit sich, so gut als der Vornehmste des Ortes; geht ei-
er nur hundert Schritte auffer die Stadt, fo trägt er
noch eine leichte Flinte auf dem Rücken; jeder Reisende
zu Pferde ohne Ausnahme die feinige.
Die Kleidung und besonders das martialische Gesicht,
das unter dem gelben, rohen, weißen, grünen, gefleck-
ten Turban, verbrannt hervorsticht und durch den schwar-
zen Bart noch mehr verwildert wird, macht für unser ei-
nen, eine unheimliche Gesellschaft. Das Nachsehen der
Einwohner, nach Allen, was fich in Frankentracht zeigt;
Aeusserungen von witzigen Anspielungen nach ihrem Sin-
e; je zuweilen Scheltworte von Troßbuben im Vorbeige-
hen, und bisweilen sogar ein Nachwerfen verdorbener
Fichte von eben diesen, beunruhigen nicht wenig. Die
Lizaroni der Stadt sind grob, verwegen, und scheinen
sehr gefährlich. - -
Eine andere Unannehmlichkeit, sich frey in der Stadt
umzusehen, ist diejenige der unzähligen Menge herrenloser
Hunde. Oft liegen vor einem Hause drey dis viere; alle
Gafen sind damit überdeckt. Mitten im Gedränge legen
fe ich, keiner weicht aus, jedem muß ausgewichen wer-
det. Der in Frankenkleidung. Vorübergehende befahrt
sehr oft von einem angefallen zu werden; fängt einmal
ein Hund an zu bellen, so kommt der nächste zu Hülfe,
der dritte, vierte, kömmt auch herbey gelaufen, und oft
scht man sich von dem ganzen Bezirke verfolgt, was dann
den Türken eine heimliche Freude macht. -
Auffer der Menge von Mäufen, Flöhen, Wanzen u.
d, welche mir die Nacht fchlaflos machten, gehört auch
zu den Unannehmlichkeiten das Geheul der Hunde, das
von Zeit zu Zeit ganz erschrecklich tönte, bald oben bald
46 Erstes Buch. Zehntes Kapitel.
unten an der Straffe anfing und fich wie ein Lauffeuer
von einem Ende derselben zum andern fortpflanzte.
Turteltauben nisten so zahlreich, wie bey uns die
Schwalben, in allen Häusern, und das einförmige Gir-
, ren den ganzen Tag über von vielen Hunderten lang-
weilt bald. Fast auf jedem Kamine sieht man ein Stok-
chennest.
Mit einem Freunde des Hauses ging ich eines Abends,
in den Garten des griechischen Erzbischoffes. In einer
Ecke desselben lag eine große, geflochtene Strohdecke;
augenblicklich brachte man einige, von Wolle gewobene
mit Polstern; man setzte sich und ward mit schwarzem
Kaffee und Taback, wie gewohnt, bedient. Da die Un-
terhaltung griechisch war, konnt' ich wenig Antheil dar,
an nehmen, dieselbe aber mir verständlich machen zu las
fen, hätte das Gespräch unterbrochen.
Der Garten war sehr weitschichtig und von großem
Umfange; die Bebauung aber glich einem vernachlässigten
Bauerngarten bey uns, besonders die der Bäume; der
größte Theil des Bodens fchien eher ein Brachfeld als
ein Garten zu feyn. Von dem Aeuffern des Erzbischoffes
könnt' ich nicht fagen, daß ich nur einen Zug wahrge-
nommen hätte von dem, was ich bey einem Manne von
solcher Würde erwartete, oder doch gerne gesehen hätte.
Von einem Innern kann ich nicht urtheilen. Was indes
das Aeuffere betrifft, so war daffelbe bey andern Geistli-
chen, die ich kennen zu lernen den Anlaß hatte, derselbe
Fall! . . . -
Ein Rosenkranz ( wie ich glaubte) war in der Hand
der meisten Griechen; es schien mir dieß um so eher ein
Werkzeug der Andacht, als ein silbernes Kreuzchen ber-
l
r
g
Abgeänderter Reifeplan, A7
nahe an allen war. Die Unterhaltung war aber, wie
ich deutlich merkte, keineswegs von diesem Inhalte, und
ich ließ mir späterhin sagen, daß dieß bey den Griechen
Gewohnheit fey. Jedes Individuum dieser Confeffion,
wie ich Gelegenheit fand mich nachher felbst davon zu
überzeugen, führt dieß Zeug beständig mit sich, um da-
mit nach unserm Ausdruck zu g'fäterlen. Tiefer gemuth-
nast glaubte ich oft, daß dieß Spiel ein feiner Spott
über anders denkende Christen fey. Ich laffe indeß meine
Antimafung als solche dahingestellt sein, nur ist es
schwierig zu erklären, wenn meine Meinung nicht der
Grund davon ist, daß eine so wunderliche Gewohnheit sich
bei keinem andern Volke auf unserm Welttheile – viel-
leicht auch nicht in andern – findet. Der gegenseitige
Haß möchte, indeß noch Belege zu meiner Muthmaffung
liefern, -
Zwey Griechen von Salonich, Einer sprach teutsch,
der Andere italienisch, waren auf ihrer Heimreise; so
gleich bemühten sie sich, mich zum Gesellschafter anzu-
werben. Mein Plan war, über Sophia, Philipo-
Polis und Adrianopel, für welche Orte ich Em-
fehlungen hatte, zu reifen; die Vorstellung aber, daß
diesen Weg keine Karawanen gingen und ich hingegen auf
denjenigen nach Salon ich bis Series, damit reisen
könnte, bestimmte mich, meinen Weg durch Bulgarien
nach Macedonien einzuschlagen; was mich besonders
entschied, diesen Entschluß zu nehmen, war der Gedan-
k: daß ich doch immer in diesem für mich fremden Lande,
zwei Gesellschafter hätte, mit denen ich mich abwechselnd
unterhalten könnte. Ich ficherte also meinen beyden Grie-
hen die Mitreise zu, was ihnen erwünscht war, und in
4s - Erstes Buch. Zehntes Kapitel.
diesem Lande Jedem erwünscht feyn muß, da die ver-
größerte Gesellschaft immer entschiedene Vortheile ge-
währt. -
Wir wurden einig und sahen der Abreise der Kara-
yane mit Verlangen entgegen. Sie erfolgte den vier und
zwanzigsten Junius Abends nach vier Uhr. *) Es wa-
ren zwey Karavanen, welche denselben Weg zu machen
hatten. Ich setzte mich mit Hülfe. Anderer auf mein
Pferd. Unbeholfen wie auf einem Kameele, faß ich in
dem hölzernen Saumsattel, mit allem möglichen Gepäcke
überladen. Stricke dienten statt Steigbügel und Zaum;
letzterer ward nur um den Kopf des Pferdes, ohne
durch das Maul zu gehen, geworfen. Vorwärts hieß
es, und nun, .. - - -
Zweyerley Ansichten.
Des Sommers schwüle Hitze fengte den Schädel,
braun gefärbt ward die Haut durch der Sonne stechende
Strahlen; es keuchte das Pferd auf holperichtem Wege,
bald feil den Weg hinan, bald gähe hinab unter der
Schwere drückender Last. Im Schweiße gebadet, er-
mattete der Reuter in dem Unbehaglichen seiner Lage;
vor Tagesanbruch erfcholl der Aufruf zur Mühe, nach.
Sonnenuntergang meist erst das Ende! In unwirthbarer
Gegend fehnte man sich vergebens nach Labfal; die Fabel
des Hahns mit dem gefundenen Diamante ward hier
* Sie bildete sich in Widdin selbst – wie immer an der tür-
kischen Grenze, - - - - -
Zweyerley Anfichtet, 49
befändlich. Das karge Mahl von eckeln Käse, oft
nur trockenem Brode , fandigt, halb Kleye, kaum mehr
als Tig, stärkte kümmerlich zu neuen Mühseligkeiten.
Schlimmer noch war das harte Lager auf kahlem Boden
der Haide, auf ungebrochenem Acker, im Gebüsche, oder
Sande am Waffer. In der Mittagszeit, wenn die
Pferde sich labten oder ruhten, verstrichen langsam in
der schattenlosen Haide die Stunden der sengenden Hitze.
Ungeziefer aller Art schien die quälende Länge derselben
zu verdoppeln. Die Habseligkeiten unterm Haupte, Flin-
it und Pistolen zur Seite, streckte jeder sich aufs un-
schre Lager, oft zu mehrerm Schutze gegen Gefahren
in die Schanze, -errichtet von Ballen und Kisten,
die rund um, einer Wagenburg gleich, aufgethürmt
Mrden,
Ward es Abend, dann rückte schauerig und kalt die
Macht heran und des Tages Hitze ward bezahlt durch den
scheidenden Reiff des veränderten Dunstkreises. In den
erhöhten Gegenden störte den wenigen Schlummer durch-
dringender, unfreundlicher Wind; in der Tiefe der gif-
Stich von Millionen Insekten. Von ferne dröhnte
der Donner näher und näher zog das Ungewitter, in
den dachlosen Wanderer. In erstarrender Kälte ersehnte
man wieder die unbequeme Hitze der Mittagsstunde. Auf
ehen, wilden Gebirgen, wo keine Spur von Menschen
mehr war, wo nichts die einförmige Wüste unterbrach,
als der schmale Steig der wandernden Karavanen; in
jündigter Einöde oder in unübersehbarem Gebüsche, ver-
fegte des Waffers labender Quell. Sparsam, wo es sich
zeigte, ward es aufgefaßt in Gefäße bis zur Zeit der
Regen und Schloffen ergoß sich das schwere Gewölke auf
-
-
so Erstes Buch. Zehntes Kapitel.
Noth. Aus dem trüben Bache ward oft mit Lust der,
brennende Durst gelöscht; oft auch mußte schlammigtes-
dickes Moratwaffer als Labung gelten ! War auch jezu
weilen das feinste, zarteste Fleisch roh in Ueberfluß vor-
handen, so mußte man auf den Genuß desselben Verzicht
thun, oder es verzehren wie die Hottentotten, weil Mei-
len weit auch nicht ein Reischen Holz aufzufinden war.
Das Auge verlor sich auf Holz- und Fruchtloser Haide! -
An der Spitze der Karawane von hundert Pferden
zog der erste Kiraggi, *) mit feinem rothen Turban, auf
gewandtem Roffe das Ganze leitend. Die untergeordneten
Führer in weißen Turbanen schwebten bald hin, bald
her, wo es die Noth erforderte. -
Schön war der Anblick der bunten Rotte, die Wild-
niß belebend; – das höhere Gold des morgenländischen
Himmels beim Sonnenaufgang, verdunkelte die Erin-
nerung an gewohnte Beschwerde. Wundersam stärkte die
frische Morgenluft, und man vergaß es, daß das Nacht-
lager weder Polster noch Flaum gewesen. Die abge-
kühlte Luft von balsamischen Düften erfüllt, war Mor-
gens wie Abends den Reisenden himmlische Erquickung;
besonders der Wohlgeruch der wilden, blühenden Rebe –
als Hecke überall sich rankend – die strichweise angenehm
vor hundert andern Pflanzen und Gesträuchen sich her-
aus hob. Leicht geht das türkische Pferd und die sanfte
Bewegung bringt dem Reiter Gesundheit und Frohsinn.
Neue Gegenden, neue Gegenstände, neue Verhältniffe,
neue Ansichten, machen die Einförmigkeit des Augenblickes
*) Wird ausgesprochen Kirgt fchi,
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ich
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Bulgarien, 51
weniger bemerkbar. Ungestörter und lebhafter wirkt die
Einbildungskraft; sie wiegte in Träume vergangener Zei-
ten, vergegenwärtigte den Genuß verfloffener Jahre im
Umgange geliebter Freunde, jetzt viele hundert Stunden
durch Berge, Thäler und Meere getrennt; die Täuschung
durch nichts gehemmt, erreichte allmählig den höchsten
Grad, von Bezauberung, und gleich dem Erwachen aus
tiefem Schlafe, fchien die Besinnung dem Geträumten
Wirklichkeit zu geben. - -
Dem kargen Mahle mangelte nie die Hauptwürze, der
Hunger, und elende Kost fchmeckte beffer als meist ander-
härts Epikurs leckerste Tafel. Nicht immer war Mangel
unser Loos, zuweilen wo Glück und Zufall begünstigte,
fand sich Speise und Holz; ein Lamm ward gekauft und
geschlachtet. Dann theilte man sich in die Geschäfte der
großen Küche; Holz zum Feuer suchten die Einen; einen
tauglichen Stamm zum hölzernen Bratspieß die Andern,
während die Uebrigen sich befiffen, der Eroberung die
Haut über die Ohren zu ziehen und in kleinen Stücken
das Genießbare vom Eingeweide, künstlich an ein geschäl-
li Stäbchen zu ordnen, um es an langsam wirkender
Gluth abdampfen zu lassen. Wie bei der Kaiserkrönung
in Frankfurt, ward, wie dort der ganze Ochse, hier
das ganze Schaaf an den Spieß gesteckt, und zur Freude
wie zum Genuße aller Anwesenden am hellen Feuer gedreht,
bis es zum goldgelben Braten umgewandelt war. Mit
möglichst bester Bequemlichkeit zur bevorstehenden Arbeit,
lagerte sich dann Alles in traulichen Kreise umher; gleich
den Salomonischen Schwerdte, zerhieb der Hirschfänger
in ungleiche Stücke, den dampfenden schmackhaften Gespieß-
tei, Ordnung - und regellos sah man bald den Berg
D 2 -
32 Erstes Buch. Eilft es Kapitel,
von Fleisch zum Hügel herabschmelzen und später auch
diesen zum Nichts verschwinden. Froher und heller ward
die Gesellschaft bey fleissig kreisendem Becher guten Weins;
lustig und munter endete immer das Mahl; der volle Mond
erhellte die Gruppe von Auffen, von Innen Noahs
Erfindung! . . . . Auf entgegen liegenden Anhöhen flim-
merten die Feuer anderer Karawanen; rundum klingelte
der Saumpferde Geröll; des Schäferhundes Stimme ertönte
von Ferne als Wächter der Heerde: Menschen zeigten sich
nur sparsam im weiten Bezirke zerstreut. In frühere,
patriarchalische Zeiten glaubte man sich versetzt, oder im
fernen Arabien mit nomadischen Horden wanderndes Loos
zu theilen. Die frohe Unterhaltung, ohne Argwohn,
machte täuschender noch die Sache, heiter das Seyn!
Auf die Erde hin preitete jeder die dichtgewobene Decke;
durch die Gewohnheit verlor das Lager feine Härte; den
klaren Himmel erhellten die leuchtenden Sterne und das
aufgeschlagene Auge blinzte in die Mitte der Milchstraße.
Beym Gedanken: „So viele Millionen Welten! und ich
– kaum einen Theil. Einer noch durchreist“ –
erlosch dann gewohnt das Gefühl der Besinnung
11.
Bulgarien ist ein elendes Land ! Zu Grunde ge-
richtet, abgebrannt. Alles im Kriege, von Ruffen und
Türken. Oefter waren wir bey beträchtlichen Dörfern
und dennoch mußt ich fragen: wo das Dorffey? Keine
Spur von einem Haufe, geschweige Dorfe. Unterm Bo-
den, wie die Maulwürfe, wirthschaften die Leute. Die
Dachung bildet kaum einen Rasenbedeckten Hügel auf der
Oberfläche des Bodens, Bey Nachtzeit könnte man über
\
Bulgarien, 53
das ganze Dorf hinstolpern, ohne zu ahnen, daß man über
eine Menge Lebender hinschritte. Daß die Einwohner in
dergleichen Löchern sich aufhalten, foll zum Theil aus
politischen Gründen herrühren, weil sie den habsüchtigen
Türken bey diesem Schein von Armuth fich weniger zins-
bar machen und diese ihre Bedrücker dadurch in der Mey-
nung erhalten werden, als fey wirklich nichts in diesen
Höhlen zu finden, obgleich indes der Wohlstand nicht un-
beträchtlich feyn foll. Dieser wenig angebaute Strich
Landes, in welchen nichts von menschlichen Wohnungen
sichtbar ist, fcheint – unlängst den Händen des Schö-
fers entronnen – noch den Herrn der Erde und in fei-
nem Gefolge die Kultur zu erwarten. Die meisten Ein-
wohner Bulgariens sind Griechen; die Mehrheit wanderte
nach der Wallachey aus, und das Land ist gar nicht
bevölkert. Vor sieben Jahren, ehe der Krieg losbrach,
soll das Gegentheit gewesen feyn.
Von jenen zweyerley Ansichten ist sicher, daß derje-
nige Reisende, der im Geringsten Mühseligkeiten fcheut,
Entbehrungen nicht kennt, Hunger und Durst nicht zu er-
tragen vermag, oder Gefahren fürchtet, im Tone der er-
fen geschrieben haben würde; – ich – bey dem alles
dieses nicht der Fall war, darf wohl fagen: daß die Reise
mit der Karavane in Absicht des Verhältniffes, in welchem
die Annehmlichkeiten zu den Unannehmlichkeiten fanden,
und in Konstantinopel die heitern und trüben Stunden
gegen einander gehalten, jene diese um neun Zehntheile
überwiegen und mich das meiste aus dem hellern Gesichts-
Punkte erblicken ließ. Doch etwas ausführlicher von die-
fen Tagereisen! - -
54 Erstes Buch. Eilft es Kapitel."
Den vier und zwanzigsten Junius ward nach
fieben Uhr Abends Halt gemacht. Wir lagerten unweit
einem Chan *) und übernachteten unter freyem Him-
mel. Die Karavanen trennten sich, da nicht genug Weide
für die Pferde war. Die kleinere mußte weiter vor.
Den fünf und zwanzigsten ging der Weg durch
öde, unfruchtbare Gegenden; gänzlicher Mangel an Be-
arbeitung des Landes : zwey Dörfer unterm Boden; im
letzten ward ein Lamm gekauft und Nachts bey fchönem
Mondschein gebraten und verzehrt. Die Gegend soll sehr
unsicher feyn. -
Den fechs und zwanzigsten. Durch unüberseh-
bares, wildes Gestrüppe von Eichengebüsch zog heute die
Karavane. Wir machten keine sieben Stunden Weges
und übernachteten an einem Orte, wo es am wenigsten
gefährlich feyn follte. Sechs Mann von der Karavane
wachten; vier waren als Schutzwache mitgekommen. Gleich-
wohl waren die Kir aggis die ganze Nacht fehr unru-
hig; alle Kaufmannswaaren wurden als ein Bollwerk auf-
einander gewälzt, die geladenen Flinten darauf; in der
Mitte drinnen waren wir, Jeder feine Pistolen und Sä-
bel neben sich. Es erfolgte nichts, als öftere Störung
von wilden Hunden, was aber beynahe alle Nächte der Fall
war. Die Fasten der Griechen begann. -
Den fiebern und zwanzigsten. Der heutige
Marsch war stärker und dauerte bei sechszehn Stunden.
Von Türken kauften wir ein rohes Stück Lammfleisch. Die
Kiraggis und ihre Knechte genoffen schon nichts mehr als
- Kräuter und gesalzene Fische; der Weg führte über wil-
*) Eine Art Wirthshäuser.
Unficherheit der Straffen. 55
des Gebirge, steinigt und kahl; das Waffer fing an zu
mangeln; die Hitze nahm schrecklich überhand; es fand
sich kein Holz unser Fleisch zu braten, da, wo man über
den Mittag speiste; wir genoffen, den Rest von Käse, Brod
und Wein; gegen Abend erst fand sich ein Bächgen von
ziemlich trübem Waffer. Alles sprang freudig von Pferde
und erlabte sich. Erst nach Sonnenuntergang kamen wir
an ein griechisches Dorf, wo die Nacht zugebracht wurde.
Wir fanden Brod und Wein – auch Holz. Die griechi-
fche Reisegesellschaft erachtete es aber für beffer, unser
Fleisch in einem Ofen braten zu laffen; es ward einer
gefunden; die Griechen gaben sich für Türken aus und
die Erfüllung des Wunsches fand keinen Anstand. Wir
waren sehr hungrig und konnten die Ankunft des Bratens
kaum erwarten, der Ort war entlegen; es dauerte lange;
es wurde Nacht, endlich kam der Mann und brachte das
Fleisch – roh zurück. Man ward scheint's im Dorfe in-
ne, daß es Griechen und nicht Türken wären, die das
Fleisch genießen wollten. Die abergläubischen Tröpfe
löschten das Feuer im Ofen wieder aus und nöthigten ihre
Glaubensgenoffen, wider ihren Willen fromm zu feyn.
Es war zu spät auf dem Felde noch Feuer anzuzünden;
man begnügte sich mit trockenem Brode, etwas Wein und
– Waffer aus dem Bache.
Den acht und zwanzigsten. Die Unsicherheit
der Straßen war fortdauernd. Oft zogen wir durch
Strecken von schönem, fettem Grafe, das weder gedörrt
noch gesammelt werden konnte, weil sich Niemand in die
entlegene Gegend getraute, und anderwärts Ueberfluß an
Weiden für das Vieh der Einwohner sich findet. Da, wo
die Kiraggis zur Fütterung ihrer Pferde taugliches Gras
56 Erstes Buch. Eilft es Kapitel.
antreffen, machen die Halt; werden die Pferde in wirk-
liches Eigenthum der Einwohner getrieben, fo macht die
"ezahlung für ein Pferd oft nicht zwey Parahs (unge-
fähr einen Kreuzer) aus. Mittags fanden wir Holz, und
herrlich fchmeckte der Braten, wenn schon die Kiraggis
und die zu ihnen Gehörigen fcheel dazu fahen. Nachmit-
tags zogen wir durch eine groffe Waldung von Eichen,
deren Stämme größtentheils oberhalb gestutzt waren und
auf deren jedem sich ein Storchennest fand.
Den neun und zwanzigsten fahen wir vom Gi-
pfel eines hohen Gebirges die Ebene von Sophia und
in dem Schleyer der Ferne – undeutlich – die Stadt
felbst; sie fähien beträchtlich groß zu feyn. Wir lagerten
über Mittag auf dem Abhang des Berges; schwüle Gewit-
terwolken zogen über uns; gegen den Fuß defelben hin
fielen zuweilen schwere Tropfen; kaum im Thale ange-
langt, brach aus kohlenschwarzen Gewölke das Unheil
los, in Zeit einer Minute Wirbelwind, Regen, Schloss
fen; ich fah nicht mehr das vor mir gehende Pferd, nicht
mehr den Kopf defen, auf dem ich ritt. Es war ein be-
täubender Augenblick; kaum blieb mir so viele Besinnung,
daß ich mich vom Pferde, welches. wild und scheu quer
Feldein lief, werfen konnte. Ballen und Kisten lagen wie
ausgesäet umher; an eine derselben klammerte ich mich
fest, warf den schon durchnäßten Mantel über das Gesicht
und die Hände, mich vor den Schloffen zu schützen, die
mir fehr wehe thaten. Das Ende der Welt schien anzu-
rücken. Keineswegs: "Es war nur Spaß! Kaum zehn
Minuten dauerte die heillose Verwirrung. So schnell der
Orkan begann, so fchnell ging er vorüber ! In kurzer
Zeit hatten wir wieder hellen und warmen Sonnenschein.
-
Karavanfe rai, 5
Indeß waren wir alle bis auf die Haut durchnäßt. Alles
Perlorne ward zusammengesucht und die hundert, weit
auseinander gerannten Pferde wieder gesammelt. - In Zeit
einer Stunde war alles in die schönste Ordnung hergestellt,
aber die Nässe und der kalte Wind, der, wie im Winter
pfiff, ließ gleichwohl diese Unannehmlichkeit nicht so bald
vergeffen, … Nach drey Stunden wurde das Nachtlager auf
geschlagen; noch selten fror ich in einen Winter so hef-
tig, als in dieser Sommernacht, durchnäßt, unter freyem
Himmel, bei heftigem Ostwinde auf kalter Erde liegend.
Den dreyßigsten. Die Ebene von Sophia
dehnt sich in einer ungeheuern Breite von vielen Stunden
lid in einer unübersehbaren Länge aus. Wir durchreis-
ten die Breite und ließen die Stadt ungefähr zwei Stun-
den zur Linken liegen, den Weg dem Gebirge zu ver-
folgend, auf defen Gipfel fernher der Schnee glänzte.
Den ersten Juli. Wir übernachteten in einen
Chan, dessen Name mir entfiel. Es war das erste und
letztemal auf dieser Karawanenreife, daß wir unter Dach
schliefen. Die Chans in der Türkey find keineswegs un-
fern Wirthshäusern ähnlich; oft findet sich blos ein Ka-
tahlanfe rai – ein groffes gleichseitig viereckiges Ge-
bäude – in welchem einzig die Pferde und Reisende sich
vor Regen schützen können; andere Bequemlichkeit findet
sich keine darin, da das Gebäude meist leer und unbewohnt
ist. Unsere Beherbergung mitten in einem nicht unbe-
nächtlichen Orte, war erträglich und nach Landessitte.
So wie man die Treppe hinauf kam, befand man sich auf
einer Laube, auf welcher die vorstehende Dachung vor
Sonne und Regen schützt, übrigens durgehends ganz of-
fit und frei ist. Diese Laube dient dem Fremden als
5s Erstes Buch. Eilft es Kapitel.
Wohnung und Schlafgemach ; von Hausrath ist nichts
sichtbar, es wäre dann, daß man die Schilfdecken hiezu
rechnete, welche auf dem Boden ausgespreitet da liegen.
Auf diese legt der Fremde feine eigene wollene, und damit
ist denn auch das Bette zugerüstet.
Von den Türken erkauften wir einen fchönen Ham-
melbraten; er ward kaum zur Hälfte genoffen und auf die
Seite gelegt; Morgens fand sich keine Spur mehr davon.
Hunde oder Katzen benutzten in der Nacht den offenen Zu-
gang, um uns auf einen folgenden Fasttag vorzubereiten.
Meine Gesellschaft befund aus drey Griechen und dem
Bedienten eines derselben. Wie ich schon früher bemerkte,
fprach einer aus ihnen teutsch und ein anderer italienisch;
fie waren in Widdin mit mir in demselben Hause und
bemühten sich gleich nach meiner Ankunft, mich zu ihrem
Gefährten bis Series anzuwerben. Wie ich ebenfalls
fchon bemerkte, ist die Vergrößerung der Gesellschaft beym
Reisen in diesem Lande höchst erwünscht. Ich opferte
darüber meine Empfehlungen, welche ich nach Sophia,
Philipp ope is lik und Adrianopel hatte, indem
ich, wie gesagt, auf dem Wege nach Seres diese Orte
gar nicht berührte, auf. In besonderer Rücksicht auf die
zugesichrte Gesellschaft und die Verheißung, mich von
Seres weiter zu besorgen, erwählte ich das Letztere.
Heute erfuhr ich, was das Sprüchwort: „von grie-
chifcher Treu - sagen wolle. ... Der eine, ein aufge-
weckter und bisweilen lustiger Kamerade, traf Bekannte,
die einen nähern Weg nach Salon ich reisten, und au-
genblicklich war er von der Parthie. Der andere, ein
feiger, hämischer Filz, überwarf sich mit den Kiraggis
und reiste nebst seinem Bedienten (einem Kerl, der, wie
h
in
Griechische Tren. 59
fein Aussehen und feine Aeufferungen es bezeugten, wenn
mich nicht der andere Grieche defen versichert hätte, im
Stande wäre, Jemand um einen Thaler kalt zu machen)
mit den Tartaren weiter. Dieser Mann macht ein bedeu-
tendes Haus in Salonich und bildet ein anderes in
Wien, Ich, als Landesfremd, glaubte die Kleinigkeit
von Auslagen einem folchen Manne wohl anvertrauen
zu dürfen, und keinerley Art von Mißbrauch zu befahren;
ich konnte dieß um so weniger ahnen, da ich ihm bey einer
Unpäßlichkeit, die ihn betraf, Gefälligkeiten ohne allen
Eigennutz erwies. Jetzt kam es zur Abrechnung, und er
hatte die niederträchtige Schamlosigkeit, mir mehr zu for-
dern, als beinahe die Auslagen für alle zusammen betru-
gen. Ich warf ihm das Geld hin und wandte ihm den
Rücken zu, - -
Indem ich mir vornahm, keine Namen in diesen Blät-
tern auszusetzen, als die der anerkannten braven Leute,
f, wäre derjenige dieses Schuftes der letzte, den ich je
niederschreiben könnte. - -
Der dritte Grieche, ein Knauer, aß nie genug und
war doch ein sehr reicher Mann, dabey voller Neid und
Schmutz; dieser war in einem benachbarten Dorfe zu
Hause und trennte fich ebenfalls von mir. Somit verblieb
ich ganz allein bey der Karavane. Die Kiraggis wußten
außer der griechischen und türkischen kein Wort aus einer
andern Sprache; von jener verstand ich nichts, von die-
fer nur wenige Worte. Man denke ich meine Lage : auf
mehrere hundert Stunden keine Empfehlung, keinen Men-
schen, der mich, und keinen, den ich kannte. Ich gestehe,
die ersten Stunden, in denen ich mich so ganz allein fühl-
te, waren herbe. Der Umstand, daß der erste Anführer
so Erstes Buch: Eiftes Kapitel
zweymal vom Pferde stürzte (was mir früher auch einmal
begegnete, weil der Gurt des Pferdes zerriß) – und Scha-
den nahm, trug ebenfalls zu meiner Beunruhigung bey,
indem ich in einem ähnlichen Unfall weit übler daran ge-
wesen seyn würde. Diese Kiraggis beforgen überhaupt blos
ihre Pferde und bekümmern sich weit weniger um den
Fremden (wie begreiflich) als um jene; gleichwohl waren
fie übrigeus ordentliche Leute, was sonst bey weitem nicht
immer unter dieser Klaffe von Menschen der Fall ist.
Den zweyten Julius. Immer stark bergan führte
der Weg. Stillschweigend ritt ich bald vorn, bald zwi-
fchen, bald hinten am Zuge. Allmählig wurde ich auch
dieser Lage gewohnt. Meine Nahrung bestand in Käse aus
dieser Gegend *) und Brod, das kaum genießbar war,
An Wein mangelte es niemals. Ein durch Bewegung er-
regter Appetit ließ mir das gut fchmecken, was in meinem
Hause die Dienstboten verworfen haben würden. Das
Nachtlager war fast auf dem Gipfel des Berges; eine
halbe Stunde von uns lag Schnee; drey Ballen dienten
mir als Zimmer; es fror stark, doch schlief ich gut; der
Käs war alle geworden und ich hatte nur noch trocken
Brod, -
Den dritten Julius. Des Morgens vor Tag
ging es, wie gewohnt, vorwärts. Die Last des Pferdes
– das Auf- und Abpacken mußt' ich selbst besorgen, was
mir anfänglich sehr fremd und mühsam, zuletzt hingegen
ganz gewohnt und leicht vorkam. Die Einbildungskraft
wirkte thätig und ungestört; oft vergingen Stunden wie
*) Einer Gattung Zieger, das Dicke von geschiedener Milch mit
Salz vermengt, - - - - -
al
i
N
f
Musik von Blinden. 6i.
Augenblick. Das Versinken in die Vergangenheit oder
Zukunft, oder der Flug in eine idealische Welt entschä-
digte so oft die kahle Wirklichkeit der augenblicklichen
Lage ! - - -
Um acht Uhr kamen wir durch ein Dorf, wo eben
Markt war; die Kiraggis wollten die Meffe benutzen; man
machte Halt, stieg ab und ging in den Chan, O, der
Pracht! Mitten darinn ein ungeheurer Keffel überm Feuer
voll Suppe für die eßluftigen Meßbesucher; fie war just
fertig und ich gab mit Händen und Füßen zu verstehen,
daß ich mit von der Parthie fey, Da ward mir für vier
Parahs in eine hölzerne Schüffel herausgeschöpft; ich fchlug
drey Eyer hinein und frühstückte eigentlich nach dem
Sprichworte: wie ein Fürst. Seit zehn Tagen hatt' ich
zum erstenmale wieder etwas Warmes und das Gericht
war in jeder Hinsicht gut, schmackhaft und reinlich. Meine
fne Tafel zog Zuschauer herbey die Menge; Landleute,
denen mein Anzug so nett war als mir der ihrige. Die
Bekleidung der Weiber ließ nicht übel. Seit einigen Ta-
gen schon bemerkte ich als einen Hauptschmuck von Allen-
behalt und jung, doppelte Armspangen, schwer von Sil-
ber, oft vergoldet; sie fchloffen oberhalb der Hand und
hielten meist vier Finger Breite. Die plumpe Arbeit mußte
ins Gewicht fallen, und ich bin überzeugt, daß diese Mode
nicht wenig beschwerlich ist; indeß huldigt ihr die Aermste
wie die Reichste, die Vornehmste wie die Geringste !
Den vierten hatten wir fchlimmen Paß durch Ge-
birge, die beinahe, wie der Splügen, sich erheben. Das
Wafer war sehr selten und warm; ich litt von Durst.
Tiefer unten auf der Landstraße erscholl Musik. Zwey
Geiger und ein Dritter, der mit Gesang das Spiel be-
62 Erstes Buch. Eiliftes Kapitel.
gleitete, Es war nicht der Ton der Freude; klagend war
das Lied, wie seine Weise. Drey Blinde wollten Erleich-
terung ihres Daseyns damit erzielen; ein Knabe fam-
melte die Gaben der theilnehmenden Vorüberreifenden.
Ich war zum Denken gestimmt: blind geworden, herbes
Schicksal blind geboren, schreckliche Entbehrung ! Mit
aller Beredsamkeit, mit allen Künsten, Wiffenschaften
und Erfindungeu sind wir noch nicht fo weit gekommen,
einem Blindgebornen, vermittelt seiner übrigen Sinne,
einen auch nur einigermaffen befriedigenden Begriff von
den Farben beizubringen. Mit allen unsern so geheiffenen
fünf Sinnen vermögen wir es nicht, dem, der nur viere
hat, eine Vorstellung von dem ihm mangelnden fünften
mitzutheilen, in sofern er ohne denselben geboren wurde.
Gleichwohl vermeffen wir uns, uns Begriffe und Vorstel-
lungen von einer künftigen Welt zu machen – einer Welt,
die wir gar nicht kennen, wollen mit unserer Nase - Weis-
heit diesen künftigen Zustand erforschen! Nur: Ein Sinn
mangelt dem Blindgeborenen, dennoch reichen feine übri-
gen viere nicht hin, sich den mangelnden zu verdeutlichen.
O, so können in einem andern Zustande auch noch hun-
dert andere Sinne statt finden, von welchen wir in un-
ferm gegenwärtigen keine Ahnung haben. Diese Wahr-
heit lag in diesen Blindgebornen so deutlich vor mir, daß
ich in diesem Augenblicke all die Abhandlungen über
transcendentale und metaphysische Spitzfindigkeiten, Hirn-
gespinste, Träumereyen und Muthmaffungen, die man
uns in schulfüchsischer Manier in schweren Foliobänden
über unser zukünftiges Seyn, jeder nach feiner Ansicht,
Art und Weise, aufzutischen bemüht ist, hätte ins Feuer
schmeißen können! Wie soll, wie kann der Verstand er-
Durst und verzweifelte Stillung. 63
§rübeln, was für das Herz geschaffen ist? Und wie fo
unendlich klar, einfach, allumfaffend lautet nicht der
Aufschluß in den wenigen Worten: „Was kein Auge ge-
sehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ge-
kommen ist“, das wird die Beschaffenheit unfers künftigen
Zustandes ausmachen.
Auch in demselben Dorfe, durch welches wir gestern
kamen, war eine auffallend große Menge geleiteter Blin-
der, die meisten schienen es durch die Pocken geworden
zu sein. Alle suchten sich auf ähnliche Weise durch
Musik und Gesang ihr Brod zu verdienen. Auch nicht Ei-
ner der Führer dieser Unglücklichen wandte sich um eines
Almosens willen an mich, obwohl ich ohne anders der
bestgekleidete in der Gesellschaft war. Wenn ich nicht
einem zuwinkte, so kam er gewiß nicht. Diese Beobach-
ung machte ich beinahe ohne Aysnahme an allen Landes-
eingebornen, - -
12,
Am Morgen des fünften Juli war heißer Son-
nenschein, kein Schatten über Mittag; felten Waffer, und
das wenige noch warm und schlecht. Zu effen nur trock-
des Brod; die Kiraggis hatten, wie ich beinahe glauben
mußte, Freude daran, mich, wider meinen Willen, gleich
ihnen durch Hunger zu entfündigen, indem sie mir nichts
anders verschafften,
Der Genuß von Käse und Brod allein reizte den
Durst nur um so mehr. Gegen Abend kamen wir über
einen Bach, der erträglich klares Wasser führte, aber die
64 Erstes Buch. Zwölftes Kapitel.
Kiraggis faßten keines in das gewohnte Fäßchen. Ich . . .
hoffte auch befferes. Wir reisten bis neun Uhr; mein
Durst stieg auf einen unerträglichen Grad – in einem
moorigten Grunde, welcher auf feiner fast unabsehbaren
Fläche, keinen Tropfen trinkbares Waffer zu gewähren
fchien, machte man Halt. Ich redte mit dem ersten Ki-
raggi roh und ernst, da ward einer der Knechte mit dem
Fäßchen abgesandt, welches zu holen. Fast eine Stunde
verzog sich feine Rückkunft, mir schien sie drey zu dauern!
Der höchste Unmuth , wahrscheinlich die Wirkung des
brennenden Durstes, vergrößerte das Uebel, und ich zähle
diesen Abend unter die verdrüßlichsten während dieser
Reise. Endlich kam der Knecht, schon lange war mein
Glas bereit: schnell trank ich herunter, das Waffer rann
mir, dick wie Morast, über die lechzende Zunge! Ich
trank das zweite Glas! das dritte füllte ich halb mit Wein,
aber ich war nicht mehr im Stande, ungeachtet allem Reiz
dazu, zu trinken. So ungerne ich etwas Böses von den
Menschen denke, so habe ich doch alle Ursache zu glauben,
daß der Knecht aus Bosheit, weil er das Waffer fo weit
herholen mußte, es absichtlich voll Schlamm brachte, denn
er äußerte den höchsten Unwillen, als er hiezu abgesandt
ward. Unmuthig warf ich mich auf den feuchten Moor-
boden, die Schokolade zu verdauen, an den Trost mich
haltend, daß ich morgen um diese Zeit mich in Series
erholen werde.
Den fechsten. Lange vor Tagesanbruch gings wei-
ter. Ein ruhiger Schlaf hatte den Unmuth gehoben. Die
frische Morgenluft und der Wohlgeruch von tausend an-
genehm duftenden Kräutern stärkten mich: allmählig ward
ich wieder froher Stimmung, wie gewohnt, und fah mit
-
- -
- “ Verlegenheit, - 65
Verlangen den ersehnten Seres entgegen. Auch von
in der Mittagsweide brachen die Kiraggis früher auf; sie
liefen die Karawane zurück, um mich noch heute an Ort
und Stelle zu bringen. Bei fünf Stunden gings in star-
kein Trotte und endlich Abends gegen sieben Uhr war ich
in Series.
Wie gewohnt, bezogen die Führer ihren Chan und
t liefen mich durch einen Türken zu der Wohnung geleiten,
an die meine Adreffe gerichtet war. Es war ein fehr
grofer, viereckigter Hof mit einer Gallerie oben rund
um. Es wimmelte oben und unten von Krämern und
Handwerkern aller Art und Gattung; der Wirth unten
am Eingange schnitt ein trotziges, unfreundliches Gesicht;
das meinige war desto freundlicher, als ich ihn um Auf-
nahme in sein Haus ansprach: „Nichts, kein Platz im
" Khan?“ Er sagte und fragte mich eine Menge Zeugs,
wovon ich keine Sylbe verstand; ich war so zu sagen im
Fälle des Papagays, wenn er feine Sache hergesagt hat,
fis aus; ich konnte mich nicht weiter verständlich
machen. Eine Menge Menschen sammelte sich nach und
ich an mich her; bald türkisch, bald griechisch wandte
sich jeder an mich; wär' es auch auf chinesisch gesche-
he, es wäre gleichviel gewesen. Wie ein fremdes Thier
wurde ich begafft. Die Kiraggis waren weit weg in
der andern Straße; ich zweifelte den Rückweg dahin
zu finden; auch dieß konnte ich nicht verständlich ma-
hen. Meine Lage war einzig! Auf den besten Fall
konnt' ich meine Herberge im Stalle aufschlagen. Meine
Verlegenheit stieg aufs Höchste,
In diesem Augenblicke, sieh da, kam durch das Ge-
dränge ein junger Grieche! Teutsch redte er mich an.
- E
66 Erstes Buch. Zwölftes Kapitel.
Wie Musik erscholls in meinen Ohren; er machte eine
ehrenvolle Ausnahme von seiner Nation; in seine Kan
mer nahm er mein Felleisen und ich konnte bei ihm mit
mehrern Hunderten aus verschiedenen fremden Ländern
auf dem Boden des Ganges auf der Laube schlafen; ich
war herzlich froh, nur wieder Jemand zu haben, mit
dem ich ein Wort sprechen konnte und freute mich wieder
einmal unter Dach zu schlafen. -
Aber diese Freude ward mir garstig zernichtet. Eine
Höllennacht hatte ich. In Neffeln zu liegen wäre ein
Flaumbette gewesen, gegen das, was ich die Nacht durch
von dem Ungeziefer aller Gattung, dem Tausend nach,
auszustehen hatte. Ich war am Morgen halb zu Grunde
gerichtet; bey vierzehn Tagen blieben die giftigen Stiche
fichtbar! - - * - -
Der brave, junge Grieche – Giovan Malesko
ist sein Name – besorgte eine bessere Lagerstätte und er-
wies mir überhaupt so viele Freundschaft während meinem
Aufenthalte in Seres, als heut zu Tage selten der Fall
ist. Ein Vorschuß der Laube diente jedem als Schlaf-
zimmer, ein Stockwerk hoch waren die Bretter; ein paar
Latten werden des Abends angeschlagen, um, im Fall
man fich des Nachts im Schlaf um wenden sollte, nicht
herunter zu fallen; obgleich immer zerfreffen vom Ung-
ziefer, gings doch erträglicher als die erste Nacht. "
Ser es liegt schon tiefer in Macedonien, und,
wie in Bulgarien Elend und Zerstörung herrscht, so
ist hingegen in dieser Provinz Wohlstand und Reichthum.
Der bessere Anbau des Landes ist schon Beweis
davon; die Stadt ist beträchtlich und groß; oft schlen-
derte ich mit den Griechen durch die langen und
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Ich
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U in rein lichkeit, 67
eigelt (Gaffen, aber die Kleidungstracht der Franken ver-
Irfacht sowohl hier als in Widd in manche Unannehm-
lichkeit. Jeder Türke fah einem nach, wie man kaum
bey uns den Juden nach sieht. Troßbuben von acht bis
zwölf Jahren betrugen sich nach ihrer Art, fogar die
Hunde – der fremden Tracht ungewohnt – erheben sich
in Menge, den Ungläubigen zu verfolgen. Das Pflaster
in den fehr engen Gaffen ist, wie an allen andern Orten
in der Türkey, zum Halsbrechen. ",
Unbeschreiblich und unglaublich ist die Unreinlichkeit,
die Leute haben wegen die fer, die größtentheils aus
Machlässigkeit entsteht, am meisten zu leiden. Hier fo-
wohl als an mehrern andern Orten sah man gleich auffer
den Thoren todte Pferde oder Esel mitten auf der Land-
fraße liegen, bis die Fäulniß sie aufgelöst hatte; die
wilden Hunde, welche man in Menge um den Braten
sah, thaten dann ihr Bestes zur Wegschaffung der Kada-
er. Der Geruch bei der Hitze war schon von ferne er-
fickend, aber lieber ging, vom Pascha bis zum Bettler
herab, jeder einige Monate lang mit verhaltner Nase
vorbei, als sogleich in den ersten Stunden dafür zu sor-
gen, daß es mit unverhaltner geschehen könne. "
Wey so vieler Unreinlichkeit war ich erstaunt, dieje-
nige nicht anzutreffen, die in der Christenheit beinahe
ausschließlich und durchgehends. Statt findet: nemlich die,
jeden Gaffenwinkel als Abtritt einzuweihen, oft wohl
die Hauptplätze der Stadt und ihre Kirchen mit dem Ge-
kuche erfüllt zu finden, als ob man sich in einem von
jenen befände. Nirgends im ganzen türkischen Gebiet
wird man diese Art Unreinlichkeit finden; späterhin er-
fuhr ich aber, daß dieß eher Folge ihres Gesetzes, als
E 2
68 Y, Er fes Buch, Zwölftes Kapitel,
Gefühl für Schamhaftigkeit und Anstand, oder Liebe
zur Reinlichkeit fey. - - -
Der Pafcha wohnt aufferhalb der Stadt, fein bun,
ter Pallast, auf einer fchönen Anhöhe gebaut, nimmt sich
nicht übel aus; nur von Ferne hatte man den Genuß der
Ansicht; in die Nähe zu gehen hielten die Griechen nicht
für ratham. - -
Seres ist eine Hauptniederlage der Baumwolle und
foll nach Smyrna der volktheilhafteste Platz zum Ein-
kaufen feyn. Der Pascha benutzt aber die günstige Zeit
und macht durch Auflagen, Abgaben und Einkäufe oft
eine Erhöhung von fünfzig Prozent dieser Waare, zu fei-
nem Vortheile, -
Ich war früher schon auf jeden Fall Willens, in
Seres auszuruhen und mich, bis ich eine schickliche
Gelegenheit fände weiters zu reisen, daselbst zu erholen.
Die Beschaffenheit des Aufenthalts war aber hiezu nicht
gar günstig. Das Wesentlichste fehlte mir von Anfang
bis zu Ende: ein eigenes Zimmer; ein anderer
Mangel war die Reinlichkeit, und ein dritter, nicht
gute, sondern nur genießbare Speifen. ... Im Chan
ward nichts gekocht und nichts zu haben als Lager aufm
Boden; alles mußte außerhalb der Wohnung geholt, ge-
kauft und gekocht werden. Noch dauerten die Fasten der
Griechen; fie affen abgefondert, ich weiß nicht was,
fchwerlich aber etwas anders als Brod und Zwiebeln und
etwa Fischeyer (Kaviar ). Fische find Sünde, ihre
Eyer aber nicht! Eben fo ist Oel, Käse, Butter, kurz
alles Genießbare so zu sagen, während der Fasten unge-
nießbar; so auch das ganze Jahr durch jeden Mittwoch
/
Geschrey türkischer Priester in der Kirche. 69
und Freytag. So erforderts der Ernst dieser Religion,
die dann in allen andern Schelmenstücken fich um fo duld-
janer beweiset, Moral und Tugend ist Nebensache; Fa-
ten und Kreuzschlagen hingegen Hauptfache und unerläß-
lich zur Seligkeit.
Durch einen griechischen Jungen ließ ich mir das
Effen, bald da bald dort, von Türken zubereitet, brin-
gen, Ausgehungert wie ich war und nur froh, wieder
einige Menschen zu haben, mit denen ich ein Wort fchwa-
zen konnte. *), übersah ich im Anfang die unreinen, ku-
fernen Schüffeln und das oft noch Unreinlichere darinn.
Alles war mir noch fo sehr neu ! -
Kaum ein paar hundert Schritte vor mir war ein
schönes Minaret, das zu nächtlicher Zeit beleuchtet er-
schien. In der Dschamie daneben brüllten die türkischen
Priester, gleich wilden Thieren die ganze Nacht durch;
es sollen ihrer vierzig an einer Kette um den Hals
das Geschrey so weit erheben, bis es zum Blutspeyen
kömmt und sie ohnmächtig hinfallen; ich hätte. Vieles ge-
geben, nur eine Viertelstunde hineinsehen zu dürfen. Vom
Morgen bis an den Abend wußte man nicht viel zu thun;
Man flackte um einander und führte ein eigentliches Laz-
zaroni-Leben; oft kürzte man sich die Zeit durch Kaffee-
und Branntwein-Trinken; oft nahm man Zuflucht zum
Fachus, es ward so ganz lüderlich und sorgenlos in den
Tag hinein gelebt! Obgleich diese Lebensweise mir für
einige Tage nicht unlustig vorkam, hatte ich doch bald
ihrer att; der Ueberdruß erwachte in kurzer Zeit.
*-
*) Es fich h einige Griechen und Juden, die italienisch
prachen,
70 Erstes Buch, Zwölftes Kapitel.
Der kleine griechische Bube, der mir das Effen be-
forgte, hatte die listige Gewandtheit feiner Nation. Von
Tag zu Tage brachte er für das nemliche Geld wenigere
und fchlechtere Nahrung und immer diejenige, welche ich
nicht genießen konnte. Er verstand frühe feinen Vor-
theil.
Der Reiz der Neuheit hatte sich allmählig ver-
loren, während, die Wirkung des Ungeziefers bei Tag
und Nacht immer fühlbarer wurde; ich faßte Eckel und
genoß gar nichts mehr von den herbeigebrachten Speisen.
Was Mühseligkeiten und beschwerliche Anstrengungen auf
der ganzen Reise nicht vermochten, das vermochten Un-
reinlichkeit und Eckel: ich war d krank!
Die heftigen Schmerzen, welche ich in den Knieen
verspürte, machten mich erst glauben, die Ursache davon
läge in dem mir ungewohnten kreuzweifen Sitzen; sie ka-
men aber immer stärker, mit Kopf- und besonders Au-
genschmerzen verbunden; statt bett- wurde ich bodenläge-
rig. Gleichwohl ließ ich mich am Sonntag Morgen von
den Griechen überreden, mit ihnen in die Kirche zu ge-
hen; aber statt Trost und Erbauung, holte ich heftigen
Verdruß über das abgeschmackte, läppische, zurückstoffende
Poffenspiel dieses fogenannten Gottesdienstes, Ueberg offen
von Schweiß, hatte ich kaum noch fo viele Besinnung,
schnell der Thüre zuzueilen, um nicht in der Kirche ohn-
mächtig nieder zu fallen. Mit Mühe zu Hause angelangt,
.. mehrte sich das Fieber und ich fühlte ganz das Gefährli-
che meines Zustandes. - -
Der brave, junge Malesko sorgte für mich, wie
ein Freund im eigentlichen Sinne des Wortes. Am fol-
11
i.
d
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N
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Ruhe der Türken. 71
genden Tage reiste eine Karavane, bey welcher ein Grie-
che war, der teutsch sprach, ab; ich ernannte mich und
war entschloffen mitzureisen. Der biedere Mal esko
besorgte alles für mich und begleitete mich mit einigen
Andern bis vor die Stadt, wo sich die Karawane befand.
Ein herzlicher Abschiedskuß war unser Lebewohl, mit
Mühe kroch ich aufs Pferd; - weiter gings, mit fremden
Gesichtern und Sprachen, nicht eines war mir kenntlich,
kein Wort verständlich, aber ich athmete freye, frische
Luft und das Pferd gab mir wohlthätige Bewegung,
Nach Verfluß dreyer Stunden war ich wieder hergestellt,
munter und heiter.
Es waren ungefähr zwanzig Pferde, die meist alle
mit Reisenden besetzt waren, nur zwei bis drey mit Ge-
1äck. Griechen und ein paar Rüffen machten die Gesel-
schaft aus; dreizehn Tage und Nächte gings wie es frü-
hergegangen war, man schlief auf freiem Felde und hatte
den Himmel zur Decke; der Grieche, der als Kaufmann
in Wien teutsch gelernt hatte, begleitete seine beiden
Söhne nach Konstantinopel in die Schule, die sie sehr
nöthig hatten. Begreiflich hielt ich mich ausschlieffend,
aller Zänkereyen und Spaltungen, die späterhin dieselbe
in mehrere Theile theilten, ungeachtet, zu dieser Ge-
sellschaft, -
Ich erwähne noch mit einigen Worten des Abstandes
zwischen der Denkungsart der Türken und der Getauften,
Es war Montag und Markttag; im Hofe des Chans wa-
ten über hundert Pferde und Esel; nicht eine Menschen-,
flimme ließ sich hören; that man die Augen zu, so glaubte
man im Gewühle zwey - und vierbeinigter Geschöpfe, am
---
72 Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel.
einfamsten Orte zu feyn. Im ganzen übrigen Europa
wäre wohl in so engem Raum Lärm gewesen und man
hätte mit Noth sein eigen Wort verstanden. Drey Men-
fchen aus Neapel übertönen hundert hier Anwesende. Eine
Todesstille waltet unter der Menge der Lebenden; regte
sich ein Pferd oder Eifel, nicht wie es sich gebührte, so
erhob sich stillschweigend die Pantomime des Prügels und
man erzielte daffelbe, was bey uns unter lärmendem Ge-
fchrey und Fluchen, ohne beffern Erfolg: Ruhe und
Stille, Es ist offenbar, daß die Lunge der Türken sehr
geschont wird!
–T
13.
Den dreyzehnten Juli machten wir drey bis vier
Stunden in schönem angebautem Lande, und übernachteten
auf frischem Umbruche eines Ackers.
Den vierzehnten kamen wir fortgehend durch be-
bautes Feld. Die Landschaft ist sehr fruchtbar. Eine
Menge türkischer Weiber, die zur Arbeit auf das Feld
gingen, begegnete uns. Alle und jede hatten ihren weis-
fen, wenn schon von grobem Tuche, doch rein gewasche-
nen, Schalw über dem Kopf. Bey Annäherung der
Karavane stellten sie sich zusammen und zogen ihren
Schleyer tiefer über das Gesicht herunter. Um ja recht
- sicher zu feyn, blieben die Truppenweise, der Karawane
den Rücken zuwendend, stehen, bis der Zug eine Strecke
Weges vorgerückt war; erst dann setzten auch sie ihren
Weg weiter zu ihrer Arbeit fort und zwar in der Ueber-
zeugung, daß Niemand, auch nicht das Geringste, von ih-
Erinnerungen. 73
rem Gesichte gesehen hätte. Dieß für mich ganz neue
Zartgefühl gewährte mir nicht wenig Spaß; ich dachte
nicht an das Wort: „Ländlich, fittlich!“ und lachte
also unbilliger Weise; doch war es nicht böse gemeint!
Später zogen wir durch die Gegend, wo Alexan-
der der Große seinen Aufenthalt hatte. Seit ein paar tau-
send Jahren wird das Andenken an diesen berühmten Mace-
donier hier unterhalten. Von Ferne fah man weit-
schichtige Gebäude. Die Gegend ist äußerst anziehend,
Nahe liegende Gebirge bilden einige Thäler; weiterhin
dehnen sich Ebenen von großem Umfange aus. Der Him-
mel war bewölkt, und wo die Wolken Schatten warfen,
schienen diese so dunkel, wie Dintenflecken auf gemalten
Landschaften. Ob dieß das dunklere Grün der Pflanzen,
oder das heiterere Licht des Tages bewirkte, wußt' ich
nicht zu entscheiden. Neben dem blendenden Weiß der
Minarets eines Dorfes, in öder felsigter Gegend, erho-
ben sich in Menge die dunkeln Cypreffen. Wahrlich ein
romantisch schwärmerischer Anblick für den Fremden !
Den fünfzehnten kamen wir durch noch wildere
Gegenden; selten fanden wir Waffer, doch zeigten sich
hin und wieder Brunnen, den Reisenden zu laben, Ka-
rawanen, die nach Ser es gingen, bey achzig Kameelen
fark, in fünf bis sechs Züge geheilt, kamen uns ent-
gegen. Jeden Zug leitete ein Mohr auf einem Esel sitzend,
an der Spitze desselben; auf zehn Schuhe Entfernung
Waren die Thiere aneinander gebunden; mit ihren langen,
tagenden, ausgestreckten Hälsen, suchten sie rechts und
links am Wege an Disteln und schlechten Kräutern ihr
Futter, - -
74 Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel.
Den fechszehnten entstand Uneinigkeit unter den
Griechen; wir rasteten einige Stunden in der Karavan-
fe rai eines großen Dorfes; die Zänker theilten sich
Gruppenweise zum Schlaf. Ich empfand keine Neigung
dazu, und ging in ein benachbartes Kaffee von Türken
angefüllt. Ich lagerte mich mitten unter fie; Zucker und
Brandtwein bracht' ich mit, und trank Gloria nach ge-
wohnter Art. Spaßhaft war die Unterhaltung und es
gab auf beiden Seiten Stoff zum Lachen. Schon mehre-
remale begab ich mich früher frey und frank mitten in
ihre Gesellschaft; immer ward ich von ihnen freundschaftlich
aufgenommen. Die Griechen, welche unter ihrem Drucke
find, fürchten sie und heucheln vor ihnen, darüber verach-
ten die Türken sie hin wieder und behandeln sie auf die-
fem Fuß. -
Im Kaffee war Musik, das Instrument, eine Gat-
tung Guitarre von vier Saiten, wurde mit einem Hölz-
chen gestrichen; der Gesang zog sich in lang unterbroche-
nen Pausen strophenweise, still, feyerlich, klagend hin;
alles war aufmerksam. Keine Poffe von der Menge, kein
drolliger Einfall störte die lieblichen, Vergnügen gewähren-
den Töne, die nicht dem Gelderwerbe, sondern der Freude
der Anwesenden galten. – Abends genoß ich des pracht-
vollen, überraschenden Anblicks des Meeres und einer
Menge von Inseln. . -
Den fieben zehnten. Groffe Baumwollenfelder
breiteten sich vor unsern Augen aus. Die Pflanzen wa-
ren schön und versprachen eine reichliche Erndte. Je
tiefer wir in das ottomannische Reich kamen, desto mehr
Brunnen und Karavanerai trafen wir, letztere jedoch
größtentheils unbefucht, da zur Sommerszeit alles unter
*-
Schildkröten kampf, 7
freiem Himmel sich lagert. Das Waffer aber war fade
und warm; wir fetzten über einen fehr breiten, trüben
Fluß. Auf verschiedenen Wagen, von Büffeln gezogen,
wurde die Gesellschaft hinüber gebracht; er war so tief,
daß die Thiere beynahe zum Schwimmen kamen. Beym
schönsten Sonnenuntergang und stiller Luft ward das Nacht-
lager bereitet; ich ging noch nach einer Höhe, die Ge-
gend zu übersehen. Ein unregelmäßiges hohles Klopfen
5
in meiner Nähe zog meine Anfmerksamkeit auf sich; ich
ging dem Tone nach und fand zwey Schildkröten im Ge-
fechte gegeneinander. Der Kampf war sehr ungleich. Die
Eine, weit größere, behauptete das Recht des Stärkern.
Sie stieß mit überlegener Gewalt und Last so lang an die
Kleinere, bis diese umgeworfen ward. War dieß ge-
fchehen, so biß sie die Ueberwundene so lange durch die
Oeffnung der Schaale in den Fuß, bis diese sich wieder
Im wandte, um von neuem wieder über den Haufen ge-
worfen zu werden. Ich fah diesem unbilligen Spiele eine
Weile zu, dann nahm ich die in der Klemme steckende und
trug sie eine gute Strecke weit weg und die andere, ich
Wette, kann noch auf den jetzigen Augenblick nicht begrei-
fen, durch welches Wunder die Besiegte so plötzlich ver-
schwand, Seit mehreren Tagen fanden sich diese Thiere in
Menge; die Griechen genießen sie nicht, wohl aber zu
jeder Jahreszeit, Schnecken klein und groß; mitunter
ganze Frösche. -
Jetzt war unser Nachtlager unweit dem Meere. See-
räuber, welche zuweilen unvermuthet zur Rachtzeit an
das Land kommen und plündern, machen hier immer
die größte Vorsicht nöthig, so daß jetzt scharf gewacht
wurde,
76 Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
Am Morgen des achtzehnten, beynahe mit Tages-
anbruch , kamen wir durch ein Dorf, in welchem sich
die Türken schon bei ihrem Kaffee gelagert hatten, die
lange Pfeife im Mund; sie verlöscht nicht bis in die
Nacht, eben so wenig als das Feuer zum Kaffee. Wir
fanden in diesem Dorfe kein Fleisch, wohl aber Brod und
Käse. Die Meisten von der Karavane waren fchon wie-
der zu Pferde, als ich noch eine Gaffe durchstöberte und
einen herrlichen Fund machte; es waren Fische, die groß
und lebend in einem Korbe von einem Manne getragen
wurden. Im Triumph führte ich ihn zur Gesellschaft;
er ward rein ausgekauft. Mittags fand sich Holz; ein
gewaltiges Feuer ward gemacht, und ausgebrannt das Holz,
dann unter die glühende Afche die Fische nach militäri-
fcher Vorschrift, in gleiche Reihen gelegt und hoch die
Asche darüber aufgethürmt; nach. Verfluß einer halben
Stunde ward die Armee ans Tageslicht hervorgeholt.
Wie herrlich dampfte das neue Gericht; wie die Wach-
teln den fleischluftigen Israeliten in der Wüste, so schmeck-
ten uns jetzt die Fische. Die eine Hälfte ward aufbewahrt
und Nachts kalt mit gleicher Eßlust verzehrt. Die Ki-
raggis hatten uns angekündigt, daß wir uns auf zwey
Tage mit Brod und Wein versehen sollten, weil wir über
diese Zeit nichts finden würden. Nie trank ich fo wohl-
feilen und zugleich so trefflichen Wein. Meine hölzerne
Flasche hielt etwas über zwey. Maaffe, und ich bezahlte
dafür fünfzehn Parahs, ungefähr fieben Kreuzer, nach UN-
ferm Gelde. - - -
Den neunzehnten durchzogen wir einen Paß durch
ein wildes, kahles Gebirge; Holz zeigte sich keines, fel-
ten andere Pflanzen. Von ferne, unweit der Landstraße,
W
Schöne Sitte der Türken, 77
erblickte ich einen Baum, unter dessen Schatten ein Türke
rhete; als wir näher kamen, erhob sich der Muselmann
und brachte uns zwey Krüge gutes, frisches Waffer ent-
gegen; unter dem Baume war der Brunnen. Oft noch
fanden sich ähnliche Anstalten edelmüthiger Vermächt-
trifft, aus dem religiösen Grundfatze entsprungen: „dem
Fremden Gutes zu erweisen,“ werth der schönen patriarch-
alischen Vorwelt. Je näher wir der Hauptstadt kamen,
desto zahlreicher waren diese Brunnen; auf die Letzte tra-
fen wir jede halbe Stunde einen; über jeden derselben
war eine Schaale, oder ein Becher, um bequem zu trin-
ken. Mehr als Todsünde wäre es bei den Türken, ein
solches Gefäß zu entwenden oder zu verderben; bey uns
wäre es nicht vier und zwanzig Stunden ficher. – Bey
den Muhamedanern, denen der Prophet den Wein ver-
bot, sind indes solche Anstalten, oft Waffer zu finden,
bei der Hitze dieses Himmelstriches und dem Mangel an
Gasthöfen, sehr mothwendig.
Die Reise von Seres bis Konstantinopel war
zugleich weniger beschwerlich und mühsam, als es die
von Widdin bis Seres war. Ich litt beinahe nie
von Durst oder Hunger. Die Erfahrung leitet zu Vor-
heilen, die der Unerfahrne erst erwerben, oft theuer be-
zahlen muß. In Ser es fchaffte ich mir eine kleine
Kaffeekanne an; oft, wenn sich nur ein wenig Holz fand,
lebte ich mich des Tages zweimal aus derselben; dann
hatte ich eine Schachtel, in deren Heubette meine Eyer
schliefen; diese, um das Feuer herumgestellt, gewährten
ein gutes Mahl; eingesalzene Fische und Oliven waren
Festtagsgenüffe. Nicht weniger als diese meine fahrende
7s Erstes Buch. Dreyzehntes Kapitel.
s“
Küche, trug auch die größere Reisegesellschaft, wenn sie
sich gleich abwechselnd zankte und schmollte, dazu bey,
mir Zerstreuung zu gewähren. Kurz dieser letztere Weg
hatte ungleich mehr Annehmlichkeiten, als jener erstere.
Den zwanzigsten bot sich uns eine fortdauernd
unfruchtbare Gebirgskette dar; keine menschliche Woh-
nung zeigte sich. Seit zwei Tagen hatten wir heftig
anhaltenden Ostwind, der unangenehm fürs Gesicht und
fchädlich auf die Augen wirkte. Heute verschwand eine
verdächtige Gesellschaft dreyer Wallachen, welche seit
einigen Tagen zu der unsrigen gestoffen war; sie sollen,
behaupteten einige, Nägel bei sich führen, welche sie den
schlummernden Reisenden in die Schläfe hinein schlagen,
wenn sie sich denselben überlegen glaubeu.
Den ein und zwanzigsten, hatten wir wieder
urbares Land. Schon früher bemerkte ich zuweilen auf
den Bergen Erhöhungen, die sich rund und nett abschnit-
ten. Von ferne sahen die Maulwurfshügeln ähnlich, in
der Nähe aber hatten sie die Größe eines beträchtlichen
Hauses. Diese Hügel fanden sich hin und wieder oft
näher, oft weiter von einander, auch auf ganz flachem
Lande bemerkte man welche. In meiner Landessprache
erhielt ich von den Griechen darüber folgende Auskunft:
„Wenn die türkische Armee im Felde irgendwo lagert, so
ward da, wo der Großvezier fein Nachtlager hielt, zum
Andenken von jedem Adelichen und Officier" Morgens ein
Säckchen Erde auf die Stelle gebracht. Die Menge der
Erde bildete endlich den Berg. Vor Jahrhunderten waren
diese Denkmäler viel größer; heut zu Tage sind sie weit
kleiner und die neuen hatten nur noch das Ansehen von
Heuhaufen, während jene der alten Zeit Berge vorstellten.
-
-
- “ -
Anblick des Meers von Marmora, T 79
Den zwey und zwanzigsten. Das Meer von
Marmara und defen Inseln boten dem trunkenen Auge
eine entzückende Aussicht dar. Auf dem Gebirge einer
Erdzunge, monte santo, in der Nähe dieser Inseln, erhe-
ben sich fünfundzwanzig griechische Klöster; Marmara
felbst entdeckte man gegen über. – In der griechischen
Kirche eines Dorfes, in welche ich hinein ging, hatte ich
neue Beweise von Diebsgesindel und Pfaffentrug! . . . . .
Heute und gestern störte uns beim Nachteffen eine - Menge -
großer Käfer, weiß und schwarz, etwas kleiner als unsere
Hornschröter; sie flogen aufs Effen, ins Gesicht, in die
Haare. – Die Griechen trieben ihre Plackereien, so daß
die Einen außerhalb dem Dorf, die Andern im Dorfe
Mittag mal hielten. - -
Den drey und zwanigsten, schleppten wir uns
durch geerndtete Felder, Berg auf Berg ab. Nirgends
war so viel Holz, um nur einen Kaffee machen zu können.
Später genoffen wir wieder einer schönen Ansicht des
Meeres. Die Nähe der Hauptstadt verrieth sich durch die
häufigen Dörfer und Städte, welche Romelien belehten.
Den vier und zwanzigsten. In der verflossenen
Nacht zog ein Theil der uneinigen, entzweiten Griechen
weg und vorwärts; unser Trupp ward nach und nach
zum Trüppchen. Zum letztenmale übernachteten wir auf
den Felde, auf dem ich nun bereits so gut schlief, als
auf Eiderdunen, :
- - - - - - - - - - - --------
14. - -
Es war am Morgen des fünf und zwanzigsten Juli,
lange vor Tagesanbruch, als wir uns erhoben. Es sollte
G
so Erstes Buch. Vierzehntes Kapitel. “
der Tag unsers Einzugs in die Hauptstadt sein. Wir
zogen über eine ungeheure lange Brücke, die unlängst ein
russischer General als Ueberwinder zu machen nöthigte;
ich erinnere mich nicht mehr weder des Namens des Feld-
herrn, noch dieses Ortes . . .
Unser Mittagsmahl hielten wir noch auf einer Haide;
in der Ferne verlor sich in Ungewißheit das Auge, als
ob es unzählige Menschenwohnungen erspähte . . . Drey
Stunden weiter entdeckte man heller ein Meer von Häusern:
„Es ist nicht der vierte Theil von Konstantinopel“ rief
mir der Grieche auf teusch zu.
Wir näherten, und lange, sehr lange ging der Zug
zwischen Leichensteinen, die hier nicht bei hunderttausen-
den, sondern bey Millionen gezählt werden müssen, über
türkische Begräbnißplätze. Endlich erreichten wir das
Thor. Wir wurden untersucht und zwar nicht unhöflich,
wohl aber war es Gebrauch, das Bakfis (Trinkgeld) von
einem jeden einzuziehen.“ Dieß fiel mir um so mehr auf
weil es nur einige Kreuzer auf den Kopf betrug; mehre-
remale ward Halt gemacht und ängstlich nachgezählt, ob
jeder das Seinige berichtigt habe. . . . . . . .
Langsam ging nun durch die schlecht gepflasterten,
engen Straffen der Zug; ich konnte mich an der Neu-
heit der Gegenstände zur Rechten und Linken nicht satt
schauen. Doch ärgerte mich, mitten in diesem Genuffe,
das gegenseitige Verhalten der wenigen Griechen, die
bey der Karavane noch gegenwärtig waren; auch diese
wenigen konnten sich nicht vertragen und ein verstehen.
Ich weiß nicht, war es Groll, daß zufälliger Weise
(vielleicht auch absichtlich) der Eine vor dem Andern in
Zuge zu reiten kam, oder war es wegen etwas andern,
-
Einzug in Konstantinopel. 81
das ich nicht wußte; kurz, derjenige, der in Mitte des
Zugs ritt, stieg ab und ging zu Fuße ! Der Erste des
Zugs glaubte sich dadurch gehöhnt und stieg auch ab. Bey
anderthalb Stunden arbeiteten sich nun beyde durch di
ganze Länge der elend gepflasterten, engen Straßen, ohn
die Unbequemlichkeit in Anschlag zu bringen, den tausend
Vorbeigehenden mit jedem Schritte ausweichen zu müffen.
Zweimal mußte die ganze Karavane in engere Nebengäß-
chen einschlagen, ehe sie zum Chan gelangte. Das erste
Mal, weil wir einem vornehmen Türken mit feinem Ge-
folge begegneten; das zweyte Mal einem vergitterten, ganz
übergoldeten, von zwey Ochsen gezogenen und mit ver-
mummten, türkischen Frauenzimmern besetzten Wagen.
Das Nebengäßchen war so enge, daß die Pferde nicht
um wenden konnten; man mußte ganz durch bis zu einem
Kehrplatze und dann wieder denselben Weg zurück. Nach
ungefähr anderthalb Stunden gelangten wir also in
den Chan. Er war mitten in Konstantinopel; jeder der
Reisenden hatte einen andern Bezirk zu beziehen im Sinne;
ich wollte nach Per a : zwey Griechen nach Galata.
Mit diesen konnte ich also noch die Ueberfahrt über den
Hafen machen, was mir fehr willkommen war; wir gin-
gen zu Fuse. -
Der gegenseitige Abschied der Griechen war ziemlich
hämisch. Als ich in dem Hofe des Chans anlangte, war
mein Fleisen mit dem Pferde von einem andern Griechen,
der das feine auch darauf gepackt hatte, fort. „Erst
Morgen sollt ichs bekommen“, hieß es, was mir äußerst
verdrüßlich war. - -
Indeß wanderte ich mit den Beiden, die einen Strich
Weges, mit mir zu achten, durch die ungehobelten Gaffen
F
82 Erstes Buch. Vierzehntes Kapitel.
Berg auf, Berg unter, bei einer halben Stunde; wir
gelangten endlich an das Ufer des Hafens, und fuhren
in einem der tausend umherschwebenden Kaiks *) über.
Jetzt waren wir in Galata, eine Maffe Häuser vom Um-
fange einer beträchtlichen Stadt. Die Griechen blieben
unten in einem Haufe; ich follte nach Pera,
Aber, wo war nun Pera! Das wußte ich nicht.
Die beyden Griechen verstanden nur ihre Sprache, und
ich kein Wort davon. Es war mir nicht wohl zu Muthe;
mein Felleisen in weiter Welt, wo, war mir unbekannt;
ich selbst, den Nachtfack und Ueberrock unterm Arm, ohne
zu wissen: wohin, wo aus? Unkundig der hier herrschen-
den Sprachen, verloren in einer ungeheuern Stadt, war
ich hier in derselben, oder noch größern Verlegenheit,
als in Pesth! Der Fall war ernsthaft,
Indeß half mir auch hier die italienische Sprache
wieder durch; unter der Menge von Menschen, die von
mir angesprochen wurden, fand sich endlich einer, der
mir antwortete. Mit dem Versprechen eines Trinkgeldes
bekam ich Jemand, der mich nach einem der beyden Gast-
höfe in Pera bringen sollte. Steil, durch enge, gar-
istige Straffen, und endlich geraume Zeit zwischen Brand-
stätten durch, ging es weiter; nach einem halbstündigen
Steigen, vom Schweiße bedeckt, trat endlich mein Füh-
rer in den Gasthof. Es ward eine Weile englisch ge-
fprochen und dann mir verdeutet: „daß kein Zimmer
zu haben fey.“ Da war ich nun wieder auf offener
Straffe !
-
*) Nachen.
Mein Fell eifen ti an gelt, 83
Erst späterhin dachte ich, daß mein Aufzug, der
wirklich nicht stattlich war, die Ursache der abschlägigen
Antwort feyn mochte; ich vergaß zu fagen, daß Mor-
gen ein Felleisen nachfolgen würde; man war jedoch so
gefällig und gab mir einen Führer ins zweyte Hotel.
Es war Platz. O wie froh war ich! Ich fand – welche
Freude! wieder europäische Art zu bedienen, Tische und
Stühle, warmes, gutes und reinliches Effen. Einzig
Weißzeug mangelte auf der Tafel; ich fchloß, daß es hier
so gebräuchlichfeyn müffe. Ich war fo glücklich, fo froh,
wieder unter Dach zu feyn und lange entbehrter Lebens-
bequemlichkeiten wieder theilhaft zu werden, daß ich laut
hätte jauchzen mögen. Raum war genug im Hause, auffer
einem Malthefer fand sich Niemand darin. Nachts
find ich wieder ein Bette! Meine Freude war indes
überflüssig, denn seit vierzig Nächten den Boden zum
Wette, konnte ich nicht darin fchlafen !
Nun noch auf einen Augenblick zurück zu meiner
griechischen Gesellschaft ! Es ward auf den folgenden
Morgen zwischen acht und neun Uhr verabredet, wieder
bei ihr einzutreffen, um mein Felleisen abzuholen und
sämmtliche Rechnungen in Richtigkeit zu bringen; es war
halb neun Uhr, als ich zu ihrer Wohnung kam: „Vor
einer Viertelstunde,“ hieß es, „wären sie ausgegangen,
drei Stunden harrte ich auf ihre Rückkunft. Auf Mor-
gen Mittags um vier Uhr wurde eine neue Zusammen-
kunft bestimmt.
Aus Besorgniß, es möchte gehen wie gestern, fand
ich mich eine halbe Stunde früher an dem Orte ein, wo
-
F 2
84 Erstes Buch. Vierzehntes Kapitel.
sich mein Felleisen und die ganze Gesellschaft finden sollte.
Es fand sich Niemand auffer dem Knechte, der das Pferd
geritten hatte, auf welchem mein Gepäcke war. „Die
Herren werden kommen“, hieß es; es verging eine Stunde,
fie kamen nicht. Bald schöpfte ich Verdacht, Endlich fragte
mich. Einer kaum vernehmbar auf italienisch: „Ob ich
Geld bey mir hätte, um das Felleisen zu lösen?
Jetzt lief mir die Galle über; ich packte den Knecht
beym Kragen: „Mein Felleisen, Spitzbube !“ rief ich
„oder ich steche dich über den Haufen.“ Ich zog das
Meffer und ich weiß nicht, was ich in der Wuth gethan,
hätte, wenn die andern nicht dazwischen geschrieen und den
Knecht gestoffen hätten, das Felleifen zu holen. Ich war
auffer mir vor Zorn und fagte ihnen: daß sie alle Schur-
ken und Diebe wären. Ich riefs so laut, daß es fünfzig
Griechen in der Runde herum hörten. Keiner muckerte sich.
Derjenige, welcher teutsch sprach, war ein gescheidter,
gewandter Mann; er soll sehr reich feyn, aber auch in
gleichem Grade häuslich sparsam. Er war eigenwillig,
bitter und stolz gegen die andern. Ich sah ihn nicht
wieder, obgleich er wußte, wo ich wohnte; zwey Thaler
blieb er mir schuldig.
Doch genug! Und nun zu Konstantinopel,
Zwe y t es B. u ch.
R e il f e
1) D KI.
Konstantinopel bis Alexandrien.
-
K a pit el
1.
Geschrieben in Smyrna.
A bis neun hundert Stunden Weges waren durch,
reist, Konstantinopel erreicht! Ueber dem schönen Son-
nenuntergange vergaß ich des unangenehmen Auftritts
wegen meinem Felleisen und alles deffen, was ein Ande-
rer Unheil genannt haben würde, und machte einen Gang
nach dem Ende der Straffe, nachdem ich mich durch ein
gutes Essen und trefflichen Wein erquickt hatte. Hier von
der Höhe übersah ich einen Theil des Kanals, Skutari
gegenüber, Leanders Thurm in der Mitte des Kanals,
unten an demselben das Serail und einen Theil Konstan-
tinopels; fernher blinkten die Prinzeninseln, und weiter-
hin verlor sich die eine Küste des Meers von Marmara.
Das nahe, gegenüber liegende Asien, war von der unter-
gehenden Sonne unbeschreiblich schön beleuchtet. Ein
türkisches Kaffeehaus war auf dem herrlichen Standpunkte
dieser Ansicht; ich setzte mich hinein, trank meinen Kaffee
und schmauchte aus der mir dargereichten, langen Pfeiffe,
Die Unterhaltung begann. Von meiner Seite, in ge-
drängter Kürze; zum Lachen für beide Theile. Bald .
d
8s Zweytes Buch. Erstes Kapitel.
erschienen einige Franken mit ihren verschnittenen Rock-
zipfeln, und selbst in der Hanswurstenkleidung, voll Ei-
gendünkel und Anmaffung. Vorbey war meine Freude!
Die Alltagsfragen: woher? wohin ? wie – wo – wann?
verdroffen mich. Ich entzog mich ihrer Zudringlichkeit
und ging fort! -
Im Gasthofe war nicht Wirthstafel. Jeder fand zu
effen, zu welcher Stunde er kam (eine schöne, bequeme
Einrichtung !). Jetzt beim Mittagsmahl entschuldigte
fich der Wirth, „daß für dießmal kein Weißzeug gegeben
werde.“ Warum für dießmal nicht ? fragte ich natürlich,
und erhielt die Antwort: „weil die Pest ausgebrochen fey.“
Eine schöne Nachricht! dachte ich, kehrte mich aber
für einmal nicht stark daran. Pest hin, Pest her, ging ich
fleißig aus; die Wirthsleute sahen freylich bedenklich da-
zu, und ein alter, französischer Koch, der da war, trat
immer ein halb Dutzend Schritte zurück, wenn ich heim-
kehrte, und machte mir dadurch nicht wenig Spaß. In-
deffen fiel einige Tage nach meiner Ankunft eine Frau,
gleich gegenüber in einem engen Gäßchen, krank; hinter
dem Hause war der oberste Stock ganz geschloffen, weil
ein Kranker darin gestorben war. Die Küche des Wirths,
anstoffend an diese Wohnung, Ward verlaffen und eine
andere in der Nähe gemiethet; was zur Thüre hineinkam
ward geräuchert; Geld, das eingenommen oder gewechselt
ward, in Waffer und Effig geworfen; kurz, es gab über
jede Kleinigkeit. Anstände, die mich lachen machten.
Frey und frank hatte ich für einmal der Türken Glau-
ben *), das heißt, ich ging an alle Orte, wo etwas zu
--- -
*) Welche, im wahren Widerspruche mit diesen Bedenklichkeiten,
gleichwohl sorgenlos umherwandeln.
-
Englische Gefandt fchaft. 89
fehen war, fogar ins Gedränge des Marktes (Bafars),
das eigentlich stärker nicht feryn konnte. Fremd, neu war
mir diese Sache. Unter Hallen, von oben herab beleuch-
tet, sparsam, wie Mondschein, finden fich Konstantino-
pels Kaufmannswaaren in engem Raume, aufgethürmt,
vom kostbarsten bis zum wohlfeilten, vom feinsten bis zum
gröbsten; alle und jede mögliche Artikel! Das Gedränge
ist unbeschreiblich, und wenn die Pest ansteckend ist, so
war es ein Wunder, daß ich heute gesund zurückkehrte.
Späterhin konnt' ich meinen Leichtsinn selbst nicht be-
greifen, - -
Einige Tage nach meiner Ankunft zog der englische
Gesandte durch die Straffe des Wirthshauses. Er hatte
bey dem Großvezier einen Besuch gemacht, und kehrte jetzt
mit der Ehrenwache desselben wieder nach Hause; man kann
sich kein närrischeres, bunteres Gemisch denken, als diesen
Troß, der eine Wache vorstellt; überhaupt scheint dieser
Zug eine Sammlung aller Abgeschmacktheiten zu sein.
Es ist unmöglich, eine Beschreibung all des tollen Zeugs
zu machen, das da vorging. Der Gesandte foll einen
äußerst kostbaren Pelz überreicht, und dafür ein Pferd von
erster Schönheit als Gegengeschenk erhalten haben.
Im Gasthof war ein einziger Fremder, der Kauf-
mann aus Malta. Er äußerte, daß vor wenigen Mona-
ten. Alles besetzt gewesen und nun vor der Krankheit ge-
flohen wäre; gleichwohl ermangelte ich nicht, täglich in
die türkischen Kaffeehäuser zu gehen. Immer setzt' ich mich
mitten in die Gesellschaft hinein, und unterhielt mich,
so gut es gehen konnte; mitunter wurde gekannengießert,
wovon die Türken starke Liebhaber zu sein scheinen. Im
Gasthof verschwieg ich natürlich meine Besuche, um nicht
90 Zweytes Buch. Erstes Kapitel.
zu beunruhigen. Die kranke Frau starb indeß nach we-
nigen Tagen, jedoch nicht an der Pest, sondern an dem
Gifte, welches ihr, ihr Mann, ein Grieche, der scheints
ihrer überdrüssig war, und sich nach Asien hinüber flüch-
tete, beygebracht hatte. - ---
Die Spaziergänge in Pera gehen nach dem kleinen
und großen Todtenfelde. Auf einem derselben war ich am
ersten Abende meiner Ankunft; man genießt da Ansichten,
wie man sie nur in Konstantinopel findet. Jeden Abend
find sonst beyde Plätze mit Franken angefüllt; jetzt gab es
deren wenige, und mit der größten Vorsicht geschah ihre
gegenseitige Annäherung. - -
s Rund um Konstantinopel, auch in der Stadt felbst,
finden sich dergleichen Begräbnißplätze; wo sich nur eine
Spange groß leerer Raum zeigt, wird er zur Ruhestätte
eines Verstorbenen benutzt, dem man dann Leichensteine
mit Innschriften darauf fetzt. Die meisten haben ver-
goldete oder bemahlte Buchstaben mit mancherley Schnör-
keln und Verzierungen als Zugabe. Die Vornehmen
zeichnen sich durch mehrere kostbare Zierlichkeiten aus, da
hingegen die Geringern und Aermern, welche oft nicht ein-
mal eine Grabschrift vermögen, sich damit begnügen, ein
paar Marchsteine dem Andenken des Todten auf das Grab
zu setzen. Diese Denkmäler sind übrigens ohne bestimmte
Formen hingestellt, und auf denjenigen Plätzen, wo keine
Cypreffen sind, sieht es beinahe aus, wie in einem Stein-
bruche. - - -
Welche ganz andere Gefühle bemächtigten fich meiner
auf dem Friedhofe von Herrnhut! Die ernste, ruhige,
erhabene Stimmung, die mehr oder weniger jeden ergreift,
der diesen lieblichen Platz betritt, mangelt hier gänzlich.
Spaziergänge. 91
Es ist hier üblich, dieselbe Begräbnißstätte für Fa-
miliengeschlechter benznbehalten. Ich fah Begräbnisse und
Grabmäler, die seit drei bis vier hundert Jahren von
Geschlecht auf Geschlecht herab dienten.
Die schönen Ansichten abgerechnet, konnte ich diesen
Spaziergängen keinen Geschmack abgewinnen; dennoch *
sind es die einzigen in Pera. Fänden sich bei uns solche
liebliche Schattenwäldchen, so würde man fich dadurch
jenen süßen Genuß verschaffen, den sie darböten; hier ist
der bloße Anblick aus der Ferne bezaubernd; in der Nähe
verschwindet die Täuschung! Kein Schritt läßt sich unter
den herrlichen Cypreffen thun, ohne daß man über Lei-
chenhügel oder Grabsteine hinstolpert; zudem, was ich
anfänglich für eine bloffe Wirkung der Phantasie hielt, die
auf Todtenäckern ohnehin Nahrung genug erhält, vermeinte
ich den Geruch einer Ausdünstung zu verspüren, der mir
zuwider war, Bey genauerer Umsicht verwandelte sich aber
dieser Widerwille in Abscheu, da ich die Löcher wahr-
nahm, welche die wilden Hunde gruben, um sich in die
Gräber Bahn zu brechen. Meine Muthmaffung unterlag
einem weitern Zweifel. - -
Hätte auch der Dunstkreis dieser Todtenfelder mich
nicht von fernern Spaziergängen nach diesen sonst so rei-
zenden Gegenden abgehalten: fo wäre mir dennoch das be-
fändige Räuchern, so oft ich nach Hause kam, immer lä-
figer geworden. Mehr als dieß aber bewog mich das An-
hören des Jammers, und das fortdauernde Gespräch des
Tages, über die Pestseuche und das Sterben zu dem Ent-
schluß, nach Bojuk der eh auf das Land zu gehen, und
dort die gepriesene Ansicht des Kanals zu genießen.
- - - - -
92 Zweytes Buch. Zweytes Kapitel,
- 2. - - -
Es war ein herrlicher Morgen, als ich mich in
Tophana früh um sieben Uhr einschiffte. Kühl und
lieblich kräuselte ein sanfter Wind das Gewäffer; leicht
schwebte der niedliche, mit Vergoldung und Schnitzwerk
verzierte Kaik auf der Fläche des ruhigen Waffers da-
hin. Zwei Schiffer, mit rohen Kappen, machten mit
vier Rudern in einförmigem Schlage die kaum bemerkbar
schnelle Bewegung; gleich einem sich allmählig erheben-
den Halbkreise bilden die beiden Ufer des Kanals sich
gleichsam als die mittlern Hügel dieser, kaum von der:
Breite einer halben Stunde, theilt die benachbarten Welt-
theile. Wie bey den Darstellungen einer Zauberlaterne,
wandelt sich mit jedem Augenblicke die Gegend; das Auge
ist in Verlegenheit, auf welchem der unendlich vielen,
neuen, nie gesehenen Gegenständen, die sich fort und fort
darbieten. und wieder verschwinden, es weilen soll. Wer
das erste Mahl als Fremdling diese Fahrt macht, befin-
det sich in einer Art von Betäubung; man ist nicht im
Stande, all das Neue und Anziehende in Einem Punkt
zusammengedrängt, gehörig aufzufaffen.
Eine vorheilhafte Beleuchtung vollendet die Täu-
fchung, welche ohnehin im Anblicke der bunten, gelben,
rothen, schwarzen, weißen, grauen Häuser, die sich durch-
einander und übereinander emporheben, liegt. Bald ist
es die Menge engvergitterter Erker *), buntscheckigt über-
malt; bald sind es die unzähligen Fenster von ganz ei-
genthümlicher Form, Gattung und Farbe; bald die hin
*) Die Wohnungen der Frauen,
h
Anfichten, 93
und wieder zerstreut sich in blendenden Weiß erhebenden,
hohen Minarets, die, wie Zuckerstöcke auf dunkelm Grun-
de, abstechen gegen die niedrigen Häuser; oder die
fchattenreichen, dunkeln Cypreffen, welche fich abwechselnd
mit den Pinien bald neben jeder Wohnung empor heben,
was gleichsam in eine Feenwelt den Fremdling versetzt.
Die Cypreffe ist der Lieblingsbaum der Türken; oft
stehen sie in ganzen Gruppen, oft als Lustwäldchen bey-
sammen. Unter ihrem Schatten glimmern die vergolde-
ten, die weißen und bunt gemalten Leichensteine hervor;
dieser Anblick ist unbeschreiblich und einzig. Die kühnste
Phantasie vermag sich nichts Aehnliches zu denken. In
äßiger Entfernung weiß man oft nicht, ist es Stadt
oder Wald, so fließen die Bilder in dem irren Auge in
einander.
Die Kuppeln der Dschamien *) bilden einförmige
Flecke in der seltsamen, wunderlichen Landschaft; die
Sommerferail des Veziers und der Menge anderer Gro-
ßen vom ersten Range, heben sich an beyden Ufern aus
den Gewäffer hervor. Die Bauart derselben gränzt oft
an die chinesische; und die gemalten, wie die wirklichen
Säulen und Geländer an der Menge von Lufthäuschen
in den Kanal hinaus gebaut, gewähren einen Anblick,
von welchem wirklich nichts Aehnliches aufzuweisen ist,
Beinahe bis Tarapia fährt man gleichsam durch eine
ununterbrochene Gaffe, deren eine Seite Europa, die
andere Asien angehört.
Um das bunte Gemälde zu vollenden, gesellt sich
zu den leblosen Gegenständen auch noch das rege Gewühl
*----------
*) Kirchen. - - - -
94 Zweytes Buch. Zweytes Kapitel.
der Lebendigen. Unzählig ist die Menge der Hin- und
Herwandelnden an den beiden Ufern, und von den fie-
benzig tausend Kaiks, die man im Kanal rechnet, sieht
man immer eine ungeheure Zahl umherschweben, nicht
zu gedenken der vielen mittlern, kleinern und größern
Schiffe, die sich beständig auf diesem Spiegel herumtrei-
ben. Waffervögel aller Art, oft fo zahm, daß sie unter
die Ruderschläge kommen, und dem Tausend nach auf den
Dächern und Pfählen lagern, erfüllen die Luft mit ih-
rem Geschrey; häufig purzelt der Delphin über die Flä-
che feines Elements empor. In den ersten Malen, daß
fich dieser Fisch mit feinem schwarzen Rücken gleich neben
dem Kaik schnaubend emporwarf, war ich etwas ängstlich
darüber, späterhin machte es mir aber Vergnügen.
Bojuk der eh, das sich eine halbe Stunde weit
am Kanale, gegen das schwarze Meer hin, ausdehnen
mag, war gegenwärtig der Aufenthalt aller Europäer,
die der Pest entrinnen wollten. Der Ort bildet nur eine
einzige Reihe Häufer, die sich an den Berg hinlehnt; hier
hatten die englischen, ruffischen, deutschen Consuln ihre
Wohnsitze aufgeschlagen, während der französische in dem
eine halbe Stunde entfernten Tara pia wohnte.
Nirgends giebt es wohl in gewissen Sinne zierlichere
Wohnungen, schönere Gärten und reizendere Gesichts-
punkte, als hier in Bojuk der eh. Auf der Anhöhe
des Orts übersieht man auf der einen Seite den Kanal
von Konstantinopel, auf der andern die Gegend des
fchwarzen Meeres; unübersehbar erheben sich da allmälig
die Gärten des Orients, und beherrschen die weite Um-
gebung; was wir fogenannte englische Anlagen heißen,
das hat hier die Natur in Fülle hervorgebracht. Der
-
T
Die Sophiakirche. $5
Eindruck wirkte fo mächtig auf mich, daß der Entschluß
bald zur Reife kam, hier auf längere Zeit zu verweilen. -
Den Rückweg nach Konstantinopel machte ich inner-
halb zwei Stunden; drey hatte ich gebraucht, um hieher
zu kommen. Die Ursache lag in dem Zuge des schwarzen
Meeres durch den Kanal in das Meer von Marmara und
aus diesem in das Mittelländische; er ist so stark, daß
man Mühe hat, in der Nähe des Serails und zwischen
Skutari durchzukommen, wenn der Wind im Geringsten
entgegen ist; fo zwar, daß die Schiffe bisweilen hinunter
genommen und weit weggeriffen werden,
Am folgenden Tage wanderte ich nach dem schwarzen
Meere und schwaderte am Ufer dieses für mich neuen
Gewäfers umher. Seine Lage und Umgebungen gehören
zu den schönsten, die ich fah. Im Hafen von Bojukdereh
befand sich der größte Theil der türkischen Flotte; zwölf
Schiffe von fechzig bis hundert zwanzig Kanonen, waren
gleich vor dem Orte selbst geankert, vielleicht das Dop-
pelte in der Nähe des Umkreises. -
Wieder in Konstantinopel zurück, ging ich noch ein-
mal in das Innere der Stadt, durchwanderte mehrere
Stunden die beynahe endlosen Gaffen und hatte doch nur
einen kleinen, unbeträchtlichen Theil vom Ganzen der
größten aller europäischen Städte gesehen! Ich fah die
Sophiakirche von Auffen und ward in meiner Erwar-
tung getäuscht. Nach dem, was ich über dieses Gebäude
gelesen und gehört hatte, erwartete ich unendlich mehr,
Wäre auch das Innere in jeder Hinsicht entsprechend
so mangelt doch gewiß eine sich erhebende Façade! Wie
wenig bietet dieser vermauerte Raum in Vergleichung
einer Peterskirche in Rom dar! Auch nicht das Gering-
96 Zweytes Buch. Drittes Kapitel.
ste, was nur als Schatte mit dieser verglichen werden,
könnte.
Mehrere andere beträchtliche Moscheen ging ich blos
vorbey; das Innere konnt' ich nur flüchtig beschauen;
Um hinein zu gehen brauchte es einen Firman, und ei-
nen solchen hatt” ich für den Augenbick nicht. Durch
die Fenster eines Gebäudes, welches die Särge eine
Sultans und seiner Familie enthielt, sah ich mitten inne
den einigen, bedeckt mit rohem Samnnt und Goldborten,
um ihn die Särge seiner Angehörigen. All diesen Staub
und Moder umhüllte Flitter und Pracht. -
3.
Konstantinopel zählt mehrere Fabriken von Taback-
pfeiffen und Mundstücken von Bernstein. Auch in diesem
Punkte weichen die Muselmänner von uns ab. Bey uns
hat gewöhnlich der Pfeiffenkopf den meisten Werth an der
ganzen Pfeiffe; das Rohr und Mundstück ist Nebenfache;
umgekehrt ists in der Türkey. Die Vornehmsten des Lan-
des rauchen aus einem Kopf, der felten mehr als einige
Kreuzer kostet; von beträchtlicherm Werthe hingegen ist
das Rohr, und das Mundstück“) kann sich gegen die tau-
fend Piafter belaufen.
Eben so finden sich mehrere Kaffeefabriken. Täglich
arbeiten bei vierzig und fünfzig Menschen darinn; der
Kaffee wird in großen Mörsern zerstoffen, immer drei
*) Dieß ist anders geformt als bei uns, es ist kugelförmig,
wie eine mittelmäfig große Kirche, und wird nur an die
Lippeu gelegt, nie in den Mund genommen ! .
Spazierritt. 57
Arbeiter auf einen Mörfer, jeder mit einem schweren eifer-
uen Stöffel beschäftigt, während andere sich mit dem Rö-
fien des ungeheuer großen Vorraths abgeben. Das Pul-
yer ist zart, wie das feinste Mehl, und daher bleibt der
Kaffe auch immer trübe und dick.
Ein Grieche war mein Begleiter durch die Irrgänge
der Straffen; seit zehn Jahreu war er hier, und doch
mußte er sich noch zurecht weisen lassen, um nicht zu fehlen,
Am folgenden Tage machte ich mit dem Sohne des
Wirths, einen Spazierritt nach den füffen Waffern.
Hier lustwandeln gewöhnlich Franken und Türken; letztere
üben sich im Wurf mit dem Dschirid *) zu Pferde. Die
herrschende Krankheit machte aber den Platz unbesucht,
Besondere Annehmlichkeiten fand ich keine an diesem Luft-
---
*) Dieses Spiel besteht darinn: Man verfolgt sich zu Pferde;
jeder Reuter hat einen leichten, vier bis fünf Schuhlan-
gen Stock; dieser nun wird dem Gegner, sobald es ein
günstiger Augenblick erlaubt, auf den Rücken geworfen,
Um nun bald auszuweichen, bald den Wurf erzielen zu
können, geschehen. Schwenkungen und Wendungen des
Pferdes, von denen man bei uns keine Vorstellung hat;
dadurch erhalten die Pferde eine ausserordentliche Gewandt-
heit; bey uns wäre dieses Spiel schon der Sättel wegen
nicht möglich; die türkischen sind nemlich meist – vorn
wie hinten mit Erhöhungen versehen, an welchen man
sich behaglicher als bei uns anlehnen kann. Die Steig-
bügel sind so kurz gehalten, daß das Knie hoch hinauf,
bis gegen den Hals des Pferdes stark gebogen, kömmt,
bei welcher Manier man auch begreiflich viel fester und
sicherer auf dem Pferde sitzt,
- G
98 Zweytes Buch. Drittes Kapitet.
orte. Seinen Hauptreiz machen die schönen Wafferbehäl-
ter aus, die fich hier in einer Ebene von beträchtlichem
Umfange befinden. - -
Ein Juwelier aus Genua, der in den Gasthof zu
effen kam und den Sommer über auf den Prinzeninseln
wohnte, warb mich, mit ihm dahin zu gehen; es gesellte
fich noch ein Kaufmann aus der gleichen Stadt zu uns,
und wir verliefen miteinander den Gasthof. Kaum einige
hundert Schritte davon entfernt, kamen Träger mit einem
Kranken; als ob es brannte, stürzten sich meine Beglei-
ter durch eine Nebengaffe hinunter, so weit sie konnten.
Die Fläschchen mit Effig flogen aus der Tasche; man
wusch sich, verhielt sich anfänglich die Nase, roch dann
an den Kampher; kurz Handgriffe, bey denen ich mich
zu ihrem Verdruffe, des Lachens nicht enthalten konnte.
Schon weit waren die Träger vorbey, als man mit ver-
haltenen Nasen sich wieder zurück in die Hauptstraffe
wagte.
Es ist schwer zu entscheiden, welcher Fahrt rücksicht-
lich der Annehmlichkeit der Vorzug gebühre: ob derjenige
nach den Prinzeninseln oder jener im Kanale, es ist
wieder ein anderer Genuß fürs Auge. Vor sich das Meer
von Marmara mit seinen Inseln, rechts Skutari, al-
lein so groß, als die größte unserer Hauptstädte in der
Schweiz, rückwärts bleibt Stambul in feiner Unermeß-
lichkeit. Aus der einen Seite des Hafens hebt sich Ga-
Iata gegen den Gipfel des Berges bedeckt Pera, über
Tophana sich ausbreitend, den Boden. Am Fuße des
Serails vorbey leitet der Weg hin, und unbeschreiblich
anmuthig hebt es sich als Halbinsel aus der Fluth . . .
- . "
Die Prinzeninseln. 99
ein Zauberschloß mitten in Cypreffenwald mit Säulen
und Kuppeln, und vergoldeten Dächern und Spitzen; das
schwarze Grün blendend überragend und schimmernd in
der Morgen- oder Abendsonne, daß das Auge leidet; so
dachte ich mir als Knabe, als ich zum ersten Male Wie-
lands Dichtungen las, die Feenschlöffer. Was ich im
Romane beschrieben fand, erblickt' ich hier in der Wirk
lichkeit, es fehlt nur der Ritter und der Drache, die
Prinzessinnen sind darinnen.
Ungefähr eine Stunde waren wir wegen dem Gegen-
winde nahe am Ufer von Asien hingefahren, als der Kauf-
mann kläglich rief: vedete una famiglia impestata! y
Auf dem Sande des Ufers lagen die Unglücklichen umher,
nebenbey eine Gattung von Bretterhütte, wo die Nachts
und bey rauher Witterung sich aufhalten konnten. Bey
der Ankunft auf der Insel wurden wir stark beräuchert,
und nach und nach begann ich doch nun etwas Grauen
vor dem Uebel zu bekommen. -
Die Prinzen in feln, vier an der Zahl, jede
zur etwa eine Viertelstunde von der andern, gewähren
einen reizenden, herrlichen Aufenthalt. In einer Stunde
geht man von einem Ende zum andern. Berge, die sehr
fruchtbar seyn würden, wenn man sich die Mühe nähme
sie zu benutzen, bieten Standpunkte dar, um Gegenden
zu übersehen, die auch nur hier so zu finden sind. Bey
Sonnenaufgang bestieg ich den höchsten Gipfel des Ber-
ges. Wie eine Handvoll auf den Tisch hingeworfener
Wohnen, so liegen in verschiedener Entfernung unregel-
') Seht eine yyn der Pest angesteckte Familie!
- 4"- - - - G 2 -
400 Zweytes Buch. Drittes Kapitel.
mäßig die Inseln, klein und groß, in Menge im Meere
von Marmara herum. Einige derselben ragen nur als
Felsenbrocken kahl und grau aus dem Waffer hervor. Die
Küste von Asien bietet in der Nähe einen anziehenden An-
blick dar und dehnt sich allmälig, bis das Auge kaum
mehr das Waffer vom Lande zu unterscheiden vermag,
am Horizonte hin. Als eine halbe Welt blinkt Konstan-
tinopel auf feineu Hügeln aus der Ferne; näher gegen
die Inseln hin macht das Serail mit seinen Waldungen
und Kuppeln und weißen Thürnen mit vergoldeten Spi-
zen den Vorgrund; endlich, erhaben über die benachbar-
ten Berge, zeigt sich im Hintergrunde mit beschneitem
Gipfel des alten Griechenlands Himmelsleiter, der hohe
Olymp, in seiner Majestät!
Ich beschloß meinen Aufenthalt abzukürzen, um für
längere Zeit wieder zu kommen! Die Einwohner, alles
Griechen und Armenier (keine Türken), scheinen eigent-
lich hier in bester Form, des Lebens zu genießen. Lustig
und mynter vom Morgen bis Abend verleben sie den Tag,
am Schluffe desselben beginnt an zwey Orten Musik, dann
wird getanzt und juchheyet bis in die späte Nacht!
Folgenden Tages macht’ ich den Rückweg mit einem
Genueser, der sein eigen Schiff hatte. Eine Viertel-
funde von den Orte, wo wir im Herfahren die kranke
Familie fahen, steuerte er ans Land; ein ihm bekannter
Franke war dort mit feiner Haushaltung, bestehend in
sieben Kindern, an einem einsamen verlaffenen Orte; feine
Frau war vor zehen Tagen an der Pest gestorben; der äl-
teste Sohn, achtzehn Jahr alt, hatte seine Mutter bis
an die letzten Tage besorgt; man glaubte und wußte nicht,
daß es die Pest fey, bis zwei Tage vor ihrem Tode. Der
Griechischer Kultus. - 401
Mal, um nicht andere der Gefahr auszusetzen, ange-
steckt zu werden, zog sich aus menschenfreundlichen Grund-
sätzen mit den Seinigen hieher zurück, um die Quaran-
taine, oder eine vierzigtägige Abfönderung in dieser
Einsamkeit aus freiem Willen zu verleben. Weder er
noch eines von den sieben Kindern ward krank; vor meiner
Abreise von Konstantinopel kehrte er, wie man mich ver-
sicherte, mit allen gesund und wohl dahin zurück.
Wieder in der Stadt, ging ich noch immer aus, ob-
gleich mit der nöthigen Vorsicht, die ich früher nicht be-
obachtete. Eines Nachmittags ließ ich mich hinüber nach
Skutari fetzen und bestieg eines von den dafelbst immer
bereit stehenden Pferden. Der Ort ist sehr steil und weit-
läufig, so daß man lieber etwas weniges ausgiebt und
reitet, als den Weg zu Fuffe macht. In der Meinung,
von meinem Begleiter auf die Stelle geführt zu werden,
wo eine der schönsten Aussichten der Gegend ist, ritt ich
immer bergan und gelangte endlich beym Haitmachen zu
einer griechischen Kirche, so wollte und bewirkte es die
Verwirrung unserer Sprachen. Der Türke meinte, ich
wolle zur Kirche, ich, aber verstand einen ganz andern
Platz, Weil ich aber nun doch hier war, so stieg ich ab
und ging hinein. Es schien eine Hauptkirche, und es ward
gerade Gottesdienst gehalten.
Durch die Nase singend ging der Priester von einem
Heiligenbilde zum andern, jedem den Gesang unter Knie-
beugungen und taufendfältigen Kreuz schlagen zueignend.
Einige Buben, die fcheints mit zur Handlung gehörten,
fielen zuweilen mit ihrem Geschrey in das des Papa's ein,
Unanständigere, nachläffigere und ungezogenere Stellungen“
als diese Bursche zu nehmen beliebten, sah ich noch selten
402 Zweytes Buch. Drittes Kapitel.
in einer Bauernstube bey uns würde man sie rügen. In-
deß scheint eben diese Haltung und Stellung bey dieser
Feyerlichkeit, so wie der schmutzige Anzug dieser Troß-
buben, amtliche Kleidung zu feyn. Wie schon andere
Male, ging ich auch aus diesem griechischen Andachtsorte
mit Unmuth und Verdruß weg; das Judas gesicht des den
Dienst versehenden Priesters zeigte im ersten Moment,
wie bei den Andern seiner Amtsbrüderu, den verkappten
- Schalk, - -
In höchsten Grade des Unwillens bestieg ich wieder
das Pferd und verdeutlichte dem Eigenthümer desselben,
so gut ich konnte, meinen Wunsch, nach jenem erhabenen
Standpunkte zu kommen; denn Vergütung mußte ich doch
haben für diese Unannehmlichkeit. Er schien mich zu ver-
stehen, und nach einer Viertelstunde kam ich an einen sehr
besuchten, schattigten Spaziergang, auf welchem es von
Türken, Armeniern, Griechen und Juden wimmelte. Fran-
ken fah ich keine. Ich trug einzig den Hut. Griechen
redeten mich freundlich an, ich verdeutete ihnen aber, daß
ich von ihrer Sprache gar nichts verstünde. Im Verfolge
unserer Unterhaltung sagten sie mir auf türkisch: „ daß
die schöne Aussicht oben auf dem Berge fey,“ und bezeich-
neten mir die Stelle; einige Bäume zu oberst waren sicht-
bar; „aber es fey über eine Stunde Weges“ setzten sie
hinzu; ich sah nach der Uhr, es rückte gegen die sechse!
- -
4.
Der Mann mit dem Pferde forderte einen unver-
fchämten Preis, und ich entchloß mich, zu Fuffe zn gehen
Schlimme Lage in Skutari. - 403
Ich sah die Stelle, wo ich hinzielte ja vor mir, und
Skutari lag nnter meinen Füfen; es fchien mir unmöglich,
den Nückweg zu verfehlen. Rasch rannte ich bergan und
nach einer starken Stunde war ich am Ziele und genoß
eine der schönsten und ausgedehntesten Ansichten über Asien
und Europa, Land und Meer; ich verweilte wohl eine
halbe Stunde. Die Sonne sank und näherte sich den
Gränzen des Gesichtskreises und somit begann ich noch
rascher meinen Rückweg; ich konnte ja nicht fehlen.
Skutari lag, wie schon gesagt, zu meinen Füßen; aber
jetzt kam es mir viel größer vor, als ich es hielt; ich
durchlief mehrere Gaffenbergab, es waren nicht die, durch
welche ich gekommen war; ich eilte noch mehr Berg auf,
Berg unter; ich kam zu keinem Hafen; in den engen Gäß-
chen konnt' ich kaum den Himmel, geschweige etwas vom
Meere sehen; noch mehr auffer Athen lief ich durch die
engsten Winkel in halbem Galopp. Die Leute fahen mir
nach. „Ey der tausend“ ( werden sie gedacht haben)
der weiß die Wege gut, daß er fo ficher durch alle die
Nebengäßchen rennt“, wenigstens hoffte ich, daß sie dieß
denken würden, und hütete mich wohl, ihnen etwas
anders merken zu laffen. Die Dämmerung war da; end-
lich sah ich das Meer, athemlos kam ich an sein Ufer, aber
es war ein für mich ganz fremder Ort. Keine Schiffe
zeigten sich; ich war in der größten Verlegenheit. Die
Furcht vor der Pest erwachte, und die Hunde, weniger
freundlich als die Leute, klafften und sprangen mir oft nach.
Nach der Lage von dem gegenüber liegenden Tophana,
das ich noch durch die Dämmerung erkannte, mußte ich
weit weg, aufwärts, Jetzt erst kam mir Skutari groß
A-
104 Zweytes-Buch. Viertes Kapitel.
-
vor; nachdem ich gegen die zwey Stunden darinn herum
gestürmt war, kam ich endlich an den Ort der Ueberfahrt.
Wie froh war ich da zu feyn ! In verlorner, aber
freudiger Fassung setzt' ich mich in einen Kaik, ohne vor-
her mit den Schiffern deutlich den Preis abzumachen;
jenseits benutzten diese meine forgenlose Stimmung, um
mich zu schröpfen. - Es war dunkel, als ich ausstieg.
Vom Hafen in Tophana bis heim nach Pera hatte
ich auf nächstem Wege beynahe eine halbe Stunde. Ich
hatte den Weg erst ein einziges Mal allein und nur bey
Tage gemacht. Es war heute mein Unglücksstern! Kaum
war ich eine Viertelstunde bergan durch Gäßchen hinauf-
gewandelt, als ich fchon irre zu gehen fürchtete; kein
menschliches Wesen war in den engen, dunkeln Gaffen
merkbar“), hingegen desto mehr Hunde von der schlimm-
ften Art, welche mich bellend und heulend von eiuem
Hause zum andern verfolgten. -
Athemlos und keuchend fah ich von Ferne Licht; es
war ein Kaffeehaus und noch einige Türken darinn; ich
floh hinein und die Hunde geleiteten mich bis an die
Thüre; ich fragte nach Pera, und es schwindelte mir fast
zu hören, daß ich auf dem gleichen Wege wieder zurück
müßte. Hier bleiben konnt' ich nicht! ich weiß nicht,
welche Angst wegen der Pest mich so plötzlich faßte; und
wieder unter das wüthende Heer von Hunden mich zu
begeben, war auch keine Kleinigkeit! Gleichwohl blieb mir
keine andere Wahl. Ohnehin hatte ich Mittags einen
\
, *) Es wohnen in Tophana nur Türken und Armenier, die
nach ihrer Neligion mit Sonnenuntergang auch nieder-
gehen.
Große Verlegenheit. 405
schönen Fisch kaufen laffen, den ich auf den Abend mit
einigen Bekannten, die ich erwartete, genießen wollte,
Die Wirthsleute und das ganze Haus waren in Auf-
ruhr, wenn ich ausblieb; zudem warf ich mir selbst billi-
gernaffen meine Unklugheit bey diesen gefährlichen Zeit-
punkte vor und dachte, daß es die Hansgenossen im Ge-
heim noch mehr gegen mich thun würden, und auch dazu
berechtigt wären. Halb ohne Befinnung, stürmte ich
wieder hinaus in Nacht und Dunkel. Wo ich einen Stein
locker fühlte, ward er als Schutzpatron eilend aufgenom-
men, und immer drang ich vorwärts; wann die Noth am
größten war, flogen ein Paar gegen die nächsten Verfol-
ger, Ich weiß nicht, wie lange ich so in die Kreuz und
Quer gelaufen war, es war. Nachts zehn Uhr, als ich end-
lich in Pera wieder Lichter erblickte. Beyde Taschen voll-
ler Steine, das offene Meffer in der Hand, bedeckt mit
Schweiß und Koth, rannte ich zur Thüre des Wirths-
hauses hinein. Diese Promenade diente mir für immer
zur Lehre, - -
Erst jetzt hörte ich noch, daß ich wirklich in Gefahr
war, und daß, wenn ich das Unglück gehabt hätte zu fall-
le, ich sehr übel davon gekommen seyn würde, die Hunde
von Tophana feyen die fchlimmsten, und vor wenigen
Jahren fey ein Franke von ihnen zur Nachtzeit zerrissen
worden. Daß dieß Loos für alle Zukunft das meinige nicht
fyn würde, war nun sicher ! -
Ich hatte mir früher vorgenommen, die Bäder von
Konstantinopel zu besuchen, und, um an einem Frey-
tage den Sultan zu sehen, nach der Sophiakirche zu reis
406 Zweytes Buch. Viertes Kapitel.
ten. *) Beydes unterblieb nun aus Furcht vor der Pest,
In Konstantinopel fand ich das Gedränge der Volks-
maffe“) nicht so ungeheuer stark, als es Murhard so
oft beschreibt. Es könnte auch in feinen lebhaftesten Straf-
fen, nicht mit dem eines Toledo und Chiaja in
Neapel, mit keinem Caffero in Palertho verglichen
werden; und Paris, in seinen Hauptstraffen, ist mühsa-
mer zu durchwandern, als die engen Gäßchen der türki-
fchen Hauptstadt. -
Immer auffallend, wenn ich etwa in müffigen Au-
genblicken aus dem Fenster sah, blieb mir der große Kon-
trast zwischen der türkischen und unserer Kleidung. Der
stoffreiche und würdevolle Anzug der breit und ernsthaft
einherschreitenden Türken; ihr fliegendes Gewand, über
welches noch kostbare Pelze geworfen sind, sticht sonder-
bar ab gegen unsere magern, verschnittenen Jacken und
Röcke, die weder für die Wärme noch gegen die Kälte
dienen. Ein Europäer, welcher Frankreichs allmächtiger
Mode huldigt, und an den Muselmännern von Konstan-
tinopel vorbeyhüpft, erinnert mich an einen gerupften
Vogel unter kalkuttischen Hähnen. -
Nicht minder unterhaltend war das verschiedene Be-
nehmen, wenn Kranke vorbeygetragen wurden; ficher und
ruhig streifte der unbesorgte Türke hart an den Trägern
vorbey: während der verschmitzte Grieche sein langes Ge-
wand vorsichtig zusammenraffte, und fich geschickt durch-
- - - - - - -
*) Am Freitage ohne Ausnahme muß er dort erscheinen.
“) Den Basar ausgenommen, auf welchem Platz in der L-
vante beständiger Markt ist. -
-‘
– m-
-
-
- -
Kontrast der Kleidung. - 107
wand; voller Schrecken preßte der für seine Haut besorgte
Franke den kurzen Rockzipfel noch unter den Ellenbogen,
und lief, das Fläschchen vor die Nase haltend, über
Hals und Kopf in die nächste Queergase.
Häufig zogen Wagen, mit Türkinnen besetzt, vorü-
ber. Jene gleichen unsern Hühnerställen, nur daß die
Gitter hier doppelt und so enge sind, daß man nicht hin-
einsehen kann; die einen sind bemalt und mit allen Far-
ben überschlirgt *); viele vergoldet, oft gezogen von Men-
fchen, oft von Ochsen, oft von einem, auch wohl zwey
Pferden. Begegnet man auf dem Kanal einem Kaik mit
Weibern, so meint man, es fey Charon, der eine Lie-
ferung von Geistern über den Styx zu bringen beschäftigt
sei. Die Vermummung dieser ist ganz wie jene gezeich-
net worden. *); das Wenige, was vom Gesichte zu sehen
ist, bestärkt durch die blaffe, unreife Farbe die Täusch-
Illig, … - . . . . . . " - - -
Es war den vierzehnten August, als ich zum zwei-
tennale den Weg nach Bojukdereh durch den Kanal
machte. Reizend, wie das erste Mal, fand ich die Ge-
genden, doch konnte ich nun, weniger überrascht vom Reize
der Neuheit, beffer beobachten und vergleichen. Es las-
fen sich, scheint es mir, Einschränkungen und nähere Be-
stimmungen über die Empfindung machen, welche den Ein-
druck, den die Ansicht einer Gegend in uns erzeugt, ziem-
- - -
- - -
lich bestimmt angeben; fo, zum Beispiel, nenne ich eine
*) Schweiz. Idiot: unordentlich bemalt, süberschmiert.
“) Wer erinnert sich nicht dabei an die letzte Tafel des Ba-
jedowschen Elementarwerks -
40s Zweytes Buch. Fünftes Kapitel,
Aussicht vom Gipfel des Aetna in das Unermeßliche
von Land und Meer ruhig – erhaben. Eine An-
ficht von der Höhe unters Rigi's gegen die Kette der
Gletscher vom Morgenroth glühend ruhig – er ha-
ben. Ein Ausbruch des Vesuvs zur Nachtzeit, die
Finsterniß in Tag umwandelnd, fchaurig – erhaben.
„Klüfte, wo fich des Waffers Sturz vom Himmel ange-
thürmten Felsen hinunterfäubt in den dunkeln Abgrund“)
fchaurig – er haben. Bei Sonnen Auf- und Un-
tergang vom Golf, Neapel und feine Umgebungen schön;
schön bey vortheilhafter Beleuchtung die Gegenden vom
Genfer - Boden - und Zürcher fee. Eine Ansicht
von Florenz von der Höhe herunter, zierlich; eben
fo die Lage einer Villa Borghelfe bey Rom *), ei-
nige Parthien des Comer - und etwelche des Langen-Sees.
Konstantinopel und feine Umgebungen stehen zwischen bey-
den letztern, d. h. zwischen fahön und zierlich, inne.
Natur und Kunst haben hier in einem groffen Umfange
vereinigt, was anderwärts theilweise und einzeln schon
Aufsehen machen würde. Einige Standpunkte zwischen
Konstantinopel und den Prinzeninseln gränzen beinahe
ans Erhabene. - - -
5.
Im Gasthofe von Bojuk der eh fand sich kein Platz
mehr; gefangene russische Officiere hatten alles inne. Der
*) Wie der mittlere Fall des Reichenbachs im Oberhasli in
der Schweiz.
*) Durch Kunst und Anbau verschönert gleich der von Florenz.
-
Morgen gruß der Türken, 109
Wirth legte mich in ein anderes Haus fchlafen; in dem-
selben bezog ich ein enges Kämmerchen, in welchem es
sehr ärmlich aussah; jedoch war das Weiszeug des Bet-
tes, welches auf den Boden ausgebreitet war, reinlich.
Nach zehn Uhr legt” ich mich nieder – aber eine
Stunde später erwacht' ich, von tausend Wanzen bedeckt.
Zum Glücke brannte meine Nachtlampe. Unruhe wollt"
ich im Hause keine machen, darum kleidete ich mich auch
nur in frische Wache um, und ging hinaus auf die
Treppe, welche fehr reinlich war; da lagerte ich mich hin,
den Morgen zu erwarten, und vertrieb mir mit Schreiben
die Zeit; ich gestehe aber, daß mir die Nacht lang schien,
Auf einmal donnerte ein Kanonenschuß. Ich lief
ans Fenster; es begann die Morgendämmerung, und was
ich hörte, war nichts anders als der tägliche Morgengruß
der Türken.
Wie froh war ich, diese Nacht überstanden zu haben!
Eilends macht' ich mich auf und ging hinaus längs dem
Hafen hin. Am Ende des Ortes verfolgte ich einen schma-
len Fußsteig nach der Höhe, der mich in einer Stunde
Zeit auf den Gipfel eines steilen Berges führte. • Zu mei-
nen Füßen schlängelte sich der Kanal wie ein ungeheurer
Fluß, vom Morgenroth beleuchtet, zwischen den beyden
Welttheilen hin; in weiter Ferne blendete und flimmerte
das schwarze Meer; zwölf türkische Kriegsschiffe lagen TU-
hig in der Tiefe; viele hundert Kaiks und andere Schiffe
durchkreuzten belebend den Wafferspiegel; auf einmal er-
tönte Musik von Blasinstrumenten. Es war das Admi-
falschiff, welches damit begann; nach einer Weile fie-
len die übrigen wechselsweise ein. Die Töne, langsam
und feierlich, wie ernste Psalmen, begrüßten die aufge-
zende Sonne; hoch wehte die Flagge von der brennen
den Farbe der Kapuzinerblume. Es war ein lieblicher
genuß für Aug und Ohr! Vergeffen war die harke La-
gerstätte auf der Treppe
Zwei Wochen verweilte ich hier - es war meine
tägliche Freude, einige Stunden auf dem Kanal herum
zu fahren. Oft hatte ich das Vergnügen, jener Musik
den Sonnen Auf- und Untergang zuzuhören, den
letzterer ward auf allen Schiffen das Gebet verrichtet,
stille zuerst, daß man nicht den geringsten. Laut vernahm,
dann, wie abgelöst, ein Schiff nach dem andern, alle
gmannschaft auf jedem derselben mit lauter Stimme wie
gzorte; es waren je die letzten des Priesters, welche
von allen wiederholt wurden, endlich zum Schluffe er-
schallte auf jedem mit wilder Stimme ein Ton, der
"süb, lang, und der aus der Kehle vieler Tausenden
auf einmal gerufen, eine zum Erschrecken widrige Wir-
fung hervorbrachte.
die türkischen Kriegsschiffe sind sehr schön und fchei-
nen ganz neu, reinlich und gut unterhalten; sie sind weiß
und schwärz mit Oelfarbe bemalt, an der Stirne voll
jedem ein ausgeschnitzter, kolossaler Löwe, hochgelb ang-
strichen, mit aufgesperrten Rachen, was eine hübsche
zirkung thut. Das Boot der Kapudan Pafcha ist
von zierlichem Schnitzwerk und ganz vergoldet; die der
" gefehlshaber desgleichen. Die Matrosen die
Boote – oft dreyßig bis vierzig an der Zahl – machen
aus dem Ruderschlag eine Gattung Spiel; zwei bis drey-
wird stark auf das Wasser geschlagen mit der ganzen
seite des Ruders, dann drei bis viermal blos die Luft
–
- Ausflug des Sultans. 444
durchschnitten, öfter hundert Schritte weit gefahren, oh-
ne das Ruder wieder ins Waffer zu bringen. Es geht
wie beim Militär aufs Kommando.
Still und ernst ist der Türke, wie immer, besonders
auf den Schiffe; selten, fast nie, hört man ein Wort,
Wenn man auf dem Kaik nahe beym Admiralschiff vorbey
fährt, so darf man nicht rauchen, eben so wenig, wenn
der Sultan in der Nähe ist, oder auch nur, wenn man
auf dem Kanal bey feinem Sommerpalaste vorbey fährt,
Ich war bey einer Viertelstunde weit davon entfernt,
und hatte die Pfeiffe nur gesenkt in der Hand, dennoch
nöthigte mich der Schiffer, die hinunter in den Kaik zu
legen, indem er mir durch Zeichen von Kopf abschneiden
verständlich machte, was er befahren würde,
Der Großherr fuhr eines Morgens in ein asiatisches
Dorf Cavachi ö, um dafelbst eine Tuch- und Papierfa-
brike zu besuchen. Als fein Kaik erschien, begrüßte ihn
unter Kanonendonner die ganze Flotte; die Fenster des
Wirthshauses klipperten zusammen. Der Wirth fluchte
und wünschte den Sultan und die Fabrike zum T*,
Abends bei der Abfahrt ward er wieder so verabschiedet;
ich war auf dem Berge; es erbebte die ganze Gegend;
Eteine rollten von der Erschütterung herunter und von
Asiens Küste schlug der Wiederhall, wie rechter Donner,
auf die gegenseitige hinüber. Schiffe, die bis auf zwey
Stunden weit entfernt waren, antworteten, und kaum
vernehmbar noch, hörte man den Ton des fernten.
Eines Tages besuchte ich Belgrad *), ein elendes
') Wohl zu unterscheiden von der berühmten Festung dieses
Namens, -
-
112 Zweytes Buch. Fünftes Kapitel.
-
Dorf, mitten in einem Eichenwalde. Der Ort besteht
aus schlechten Wohnungen von Lehm und verfaultem
Holze, die Lage aber in dieser Wildniß macht es als
Landsitz gelten, und zur Zeit der jetzt herrschenden Krank-
heit war es ganz von geflohenen Franken angefüllt. Das
viele vortreffliche Waffer bietet eine, sich hier selten fin-
dende Annehmlichkeit dar. Ganz Konstantinopel wird
von hier aus, durch prächtige und kostbare Wafferleitun-
gen, mit diesem nöthigsten aller Bedürfniffe versehen,
Eine Stunde von hier sind bey hunderten von Bogen,
dreyfach auf einander gebaut, noch aus den Zeiten Ju-
stinians; neuere, von den türkischen Kaisern erbaute,
finden sich auch noch vorhanden; alle schön unterhalten,
Angenehm war mir der Aufenthalt in dieser romanti-
fchen Gegend; unter einer, viele hundert Jahre alten
Eiche, genoß ich im kühlen Schatten das Mittagmahl.
Es hatte freylich eine Lok and a Nobile, die aber von
so unadelichen zwei und vierfüßigen angefüllt war, daß
ich den lieblichen Schatten im Freyen jener weit vor-
F09. -
Eines Morgens, es regnete, ich war eben zu Hause
und schrieb, hörte ich Lernt. Ich fah zum Fenster hin-
aus in ein enges Gäßchen, in welchem sich eine Schenke
befand. Ein Türke und Grieche waren scheints nicht zu
paß, über den Kauf von Lebensmitteln, für wenige Pa-
rahs. Der Türke war im Begriff, mit dem Gekauften
wegzugehn, der Grieche lief fchreyend und lärmend nach.
Der Muselmann schien Gegenvorstellungen zu machen,
jener, ohne darauf zu achten, ward noch wortreicher und
lauter; heftig und wild, ohne viel Worte zu verwenden,
-
Etikette, 113
war des Türken. Gebehrde; sie wurden des Handels nicht
einig. Ein magerer Hund stand zwischen beyden; der
Türke betrachtete ihn, verzog sich das Gesicht und machte
das Thier zum Friedensrichter. Während nemlich der
Grieche heftig fchrie und mit einem Schwall von Worten
und vielen Gebehrden sich Recht zu schaffen suchte, gab
dieser stillschweigend den Hund in drey Theilen den gan-
zen Kauf zu freffen. Kalt, ohne mehr ein Wort zu ver-
lieren, ohne den Griechen eines Blickes zu würdigen,
ging er von hinnen, dieser aber ließ nicht ab, nachzubel-
fern, bis er jenen aus dem Gesichte verlor,
Bojukdereh ist klein; dennoch sind, so zu sagen, alle
Staaten Europas in den Personen ihrer Gesandten hier
zusammendrängt : Spielraum genug zu Kabalen und po-
litischen Kannengießereyen, bey welchen dann der Par-
theygeist, durch Etilette und Grimaffe, bald gut, bald
schlecht verborgen, in jedem Winkel spuckt; „sous quelle
protection vous êtes vous mis?“ ward ich nirgends mehr
als hier gefragt; sous Celle du bon dieu! lautete dann
meine Antwort. - -
Auf hohem Söller, der die ganze Gegend beherrschte,
war mein Quartier. In der Tiefe herum, rech: s und
links waren Wohnungen türkischer und griechischer Frauen,
In welches Fenster ich auch trat, sah ich sie auf ihre
Sophas hingedehnt sich pflegen, wenden und faulenzen,
Am nächsten Fenster gegen über fah mich ein Türke, ein
schon betagter Mann, und, an folgenden Morgen waren
die Laden geschloffen. Er hätte diese Vorsicht unterlaffen
können, denn seine . . . . . . . war nichts weniger als
schön. Die Türkinnen müffen indes ein sehr langweiliges
Leben führen. Stundenweis gehen sie Phlegmatisch in
ID
/
444 Zweytes Buch. Fünftes Kapitel.
Zimmer hin und her, und lagern sich dann wieder stun-
denweise geschäftlos, auf ihre Sopha's. Auf der an-
dern Seite des Hauses waren mehrere beysammen; die
Fenster, eng vergittert, gaben ihrer Aufmerksamkeit den
ganzen Tag von der Straffe herauf, den einzigen Unter-
haltungsstoff. - - W
Munterer sind die Griechinnen, sie arbeiteten zuwei-
len und hatten öfter Gesellschaft; ich fah welche unter
ihnen von hübschen Wuchse und lieblichen Gesichtern.
Etwas, das meinen Aufenthalt in Bojukdereh eini-
germaßen trübte, war die Tischgesellschaft von ungefähr
einem Dutzend gefangener, russischer Offiziere, unter
denen ich mein eigenes Tischchen hatte. Es ward diesen
guten, ehrlichen, aber nicht unbefangenen Leuten weiß
gemacht, daß ich von französischer Parthie wäre. Ich
verstund keine der hier gangbaren Sprachen und sie nicht
die meinigen, ist aber einmal eine gewisse Spannung
vorhanden, über die man sich nicht bald verständigen kann,
fo wird aus Uebel, Aerger, Auf die Letzte ward ich auch
verdrüßlich, da ich nie mit keinem Worte weder für noch
gegen Frankreich, weder für noch wider England mich
geäuffert hatte, und das Ganze einer dummen Kabale
glich. -
Es sollen gegen hundert und zwanzig gefangene Ruf
fen, unter welchen auch Officiere waren, den Mahome-
danischen Glauben angenommen haben,
Einmal noch, ward mir ein Genuß dieser schönen
Gegend zu Theil; schon bey dunkler Dämmerung schlen-
derte ich längs dem Hafen hin. Ein schwefelgelber, schma-
ler Streif schien eine leuchtende Brücke über den Kanal
-
",
-
Die Pest greift um sich. 115
zu ziehen und Asien mit Europa zu vereinigen. Es war
der aufgehende Vollmond, der hinter den Hügeln und
Gebürgen des andern Welttheils allmählig hervorstieg.
Rechtslagen die Kriegsschiffe, alle beleuchtet, jedes auf
eine andere Weise, ausgezeichnet; vor allen aber das
Admiralschiff; das Ganze schien beynahe das Kunster-
zeugniß eines Theaters. Der Abstand des blaffen Mond-
scheins und der Tausenden von hochrothen, Lichtern; der
Unterschied dieser gegen die Sterne, dann der Mittelton
des schwindenden Abendroths auf der entgegengesetzten
Seite, alles das im schönen Wiederschein der stillen,
hellen See, gewährte mir eine herrliche Stunde,
- -
6.
Geschrieben auf der Insel Scio,
in der Klosterzelle St. Antonio,
Den fechs und zwanzigsten August kehrte ich in die
Hauptstadt zurück, die Krankheit hatte mehr um sich ge-
griffen. Die Familie des Wirths war aufs Land geflüch-
let. Selten sah man noch Hüte auf der Gaffe, und zum
Essen kam feltner noch, als ehemals, ein Gast. , Todte
und Kranke sah man dagegen öfter vorbeytragen.
Unter diesen Umständen ward ich unruhiger und
vorsichtiger, als früher; oben im Kaffeehaufe bey der
schönen Aussicht, wo ich sonst oft Stunden verweilte,
tief mir der Wirth von Ferne freundlich zu: O Capi-
tani! *) Er hatte gut gerufen und ich blieb ferne.
') Zn Wien war ich „Ihr Gnaden“; in Or fowa :
„Hr. v. M gy r“, auf der übrigen Reife: Basarian im
- H 2 .
416 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel,
N
Der Rhamazan ( die Fasten) begann um diese Zeit;
nicht nur von den Christen, auch von den Türken wur-
den die Straffen leerer. Alle und jede Verrichtungen des
Magens, des Mundes, der Nase find ihnen während der
Tagszeit verboten. Nach Sonnenaufgang und vor Son-
nenuntergang dürfen sie weder effen noch trinken, noch
rauchen noch schnupfen. Die sonst von Morgen bis Nachts
angefüllten Kaffeehäuser, waren den ganzen Tag öde;
man fah durch die Glasfenster den Wirth ruhig schlafen,
und wenn er gestört ward, so geschah es durch einen
Griechen oder Franken; so wie aber die Dämmerung be-
gann, ward es darin n lebhafter und tiefer in die Nacht
ganz voll. Das ganze Verdienst, scheint mir, bestehe
darinn, aus Tag Nacht, und umgekehrt aus Nacht Tag
zu machen. Gegen Mitternacht verlaffen sie den Rauch-
und Kaffeeplatz, um sich schlafen zu legen. Nach zwey
uhr ertönt wunderlich eine dumpfe Trommel durch alle
Gaffen, zum Gebete zu wecken. Das Geheul von tausend
Hunden begleitet überall den Trommler. Die Minarets
find beleuchtet und die Dschaminen belebt. -
Vierzig Tage dauert diese umgekehrte Welt als An-
denken, während welcher Zeit Mahomed sein Kameel
verloren, / -
Ich war auf meinem Zimmer, als der Maltheter
hineinrief: „venite a veder norire un umpestato!“ Auf
die Straße hinaus fah ich, da lag ein Mann, etwa
sechzig Jahre alt; er versuchte sich mit feinem Stockt
(Kaufmann )“, in Series: „Hr. v. Johann“, und
hier: Capitani. (So werden in Konstantinopel und
andern Städten alle Franken von den Türken betitelt.)
Flucht nach den Prinzen in feln. 117
aufzuhelfen, unsonst; es mangelten die Kräfte; im
Schweiß kämpfte er immer, denselben Versuch zu wieder-
holen; rund herum beschloffen die Griechen die Thüren;
die Franken sahen mit verhaltenen Nafen zum Fenster
hinaus; lachend sprang ein türkischer Knabe herbey,
ihm aufzuhelfen; ein vorbeigehender, schön gekleideter
Türke bot die dienstfertige Hand; der Unglückliche erhob
sich mit Mühe; dreyßig bis vierzig Schritte führten sie
ihn, er sank aufs neue und mußte weggetragen werden.
Schreckhaft sind die Folgen dieser Krankheit, und
wenn nicht ein mitleidiger Muselmann, auf ein Glau-
bensbekenntniß gestützt , Barmherzigkeit übt, so ist man
verlaffen von der ganzen christlichen Welt! Freund und
Feind flieht weit weg; nicht einen Trunk Waffer bekömmt,
man um alles Gold der Welt !
Müde dieser und anderer ähnlicher Auftritte, floh ich
den vierten September nach den Prinzeninseln. Ich mie-
thete gerne ein eigenes Schiff, um nicht Gefahr zu lau-
fen, durch Gesellschaft angesteckt zu werden. Mit günsti-
gem Winde war ich in wenigen Stunden an Ort und
Stelle; ich bezahlte den türkischen Schiffer, stieg eine
Strecke von dem Orte aus, um mich in der Höhle räu-
chern zu laffen. Die Türken fuhren weiters. Ich ließ
mein Gepäcke in der Höhle und ging einzig im Ueberrocke,
meine Pfeife rauchend in der Hand, gegen den Ort; da
stürmten die griechischen Schildwachen auf mich los,
fchreyend und lärmend, wovon ich aber kein Wort ver-
fand. Ich sagte ihnen auf türkisch, daß ich das Grie-
chische nicht verstünde, und verlangte den Dragomann; .
sie hörten mich nicht; ich konnte keinen Schritt weiter
vorwärts, sie winkten den Schiffern zurück, ich aber
&
4-
- «
-
11s Zweytes Buch. Sechstes Kapitel.
machte Gegenzeichen, fest entschloffen, einige Tage hier
zuzubringen, und unter freiem Himmel zu schlafen, wenn
ich kein Obdach fände. - -
Der Dragonann erschien, und auf italienisch be-
merkte ich ihm, daß ich vor einigen Wochen hier gewesen
wäre, noch Wache da habe, und, wo möglich, noch et-
was Zeit mich hier aufhalten möchte. Wirth und Wir-
thin wurden heraus berufen, die Wahrheit zu bezeugen,
und nun, werfen ich herzlich froh war, von der Repub-
lik aufgenommen. '-
Die Ursache dieses etwas rohen Verfahrens mochte
darinn liegen, daß einige Tage vorher eine zahlreiche Fa-
milie mitten im Orte eine Wohnung bezog. Die Pest
brach in derselben aus; drey türkische Kaiks kamen Mit-
tags darauf an die Insel, um alles einzuladen, die Ge-
funden mit den Kranken. Auf einmal war Lärm auf der
ganzen Infel: „Die Pest, die Pest ! durch Fremde zuge-
bracht!“ und somit ward beschloffen, keinen Fremden
mehr aufzunehmen; wäre ich nicht früher da gewesen,
fo hätte ich jetzt auch nicht bleiben können. Alle Fahr-
niffe und Geräthe des Hauses, worinn die Kranken wa-
ren, wurden ins Meer geworfen; ich fah noch welches
davon hin und her am Ufer umherschwimmen. Diese Woh-
nung wird vielleicht bei einem halben Jahre nicht wieder
geöffnet werden. Den Insulanern konnte ich übrigens
diese Vorsicht nicht verdenken. - -
Mein Aufenthalt von vierzehn Tagen auf dieser In-
fel war behaglich. Keine Furcht wegen der Pest plagte
mich mehr. Ruhe und Stille bei Tage; kein Geheul der
Hunde bei Nacht; reine, gute Luft; frohes, ungezwun-
genes Wesen, und keine politischen Kannengießereyen,
-
Kloster leben, - I 19
was konnte ich auf diesem schönen lieblichen Flecke in
Meere wohl besseres wünschen? -
Ein Armenier, ehemaliger Dragomann von Holland,
machte, ohne die etwelchen Genueser und Griechen, meine
meiste Gesellschaft aus. Das Betragen der Erstern ließ
mich wahrnehmen, daß, wenn schon das Meer ohne Fische
nicht da war, doch das Sprüchvort in beiden Nachsätzen
eintraf. *) Auf der Insel sind drey griechische Klöster;
ich war erstaunt, sie so bevölkert zu finden, als ob Jahr-
markt darin wäre. Man kam und ging, aß und trank
als wie in einem Wirthshause, auffer, daß die Wohlan-
ständigkeit erheischte, hier doppelt zu bezahlen, weil –
(in Voraussetzung dieser Tugend) keine Zeche gemacht
wurde. Da finden sich Frauen und Kinder der Papa's,
Frauen und Kinder der Fremden, Gesellschaften und
Besuche von Frauen und Töchtern aus der Nähe und
Ferne; jedoch das weibliche Geschlecht vom männlichen
abgesondert, beisammen, unter dem Schatten der Bäum
sitzend *) –. So ist hier zu Lande das Klosterleben be,
fchaffen! Ein schöneres Leben, fo forgenlos, müffig,
frey, ungebunden, ganz nach Willkühr, giebt es kaum,
Und auf solchen Fuß haben es diese leiblichen Geist-
lichen, eingerichtet! - -
Zuweilen machte Fischerey den Zeitvertreib aus,
Aus dem Boote warf man das Netz, und nun ging es
bald auf Glück und Rechnung von jenem oder diesem.
Einer Lotterie glich der Fang, bald die Fülle, bald
nichts, - -
*) Mare senza pesce, notflini senza fede e donne senza vergogna-
") Die Männer meist zechend,
420 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel.
Zur Wachtelzeit, welche auch in diese Tage meiner
Anwesenheit fiel, ist die ganze Insel von der Morgen-
dämmerung an von Jägern übersäet. Bis um acht oder
neun Uhr gings wie ein Pelotonfeuer; bey warmem Wind
und Regen kommen die Wachteln in Menge aus Asien;
bey kalter, heller Witterung nur sparsam; immer blei-
ben sie theuer, bis auf sechzig Parahs das Paar. Diese
Jagd macht eine Hauptbelustigung der Griechen und
Franken in der ganzen Levante aus. -
Mitten in diesem Monat – dem September – war
die Witterung so kalt, als ich nicht glaubte, daß es un-
ter dieser Zone, selbst im Winter, feyn würde. Man
zog die Winterkleider an und fror dennoch; die Trauben
blieben schlecht und die übrigen Früchte gediehen auch
nicht gut. Ich liebe warmes Klima, und ich gestehe,
daß mir diese Kälte in die Länge nicht behagt hätte.
Mehrere Male machte ich den Weg der Insel nach
ihrer Länge und ihrem Umfange, was ungefähr eine bis
eine und eine halbe Stunde Zeit fordert. Hin und wie-
der waren Trüppchen von Leuten, die wegen Verdacht
der Pest verwiefen waren, und nun hier Quarantaine
hielten. . Einige hatten Zelte, andere Bretterhäuschen
aufgeschlagen, um zur Nachtzeit und bey schlechter Wit-
terung ein Obdach zu haben. Q
Einige Schüffe entfernt von der Insel, hob sich ein
kahler Fleck als Eiland aus dem Meer; sein Umfang
mochte kaum eine Viertelstunde betragen, und auch da
- lagen mehrere Familien. Sie ernährten sich kümmerlich
von Fischen, Austern, Meerfrüchten und Kräutern. Oft
beschäftigte mich das Nachdenken über die Einwirkung
des Mondes auf Gewächse und Menschen, auf welche man
Klima und Aufenthalt. 121
gemeiniglich bei uns diese Einwirkung bezweifelt; offen-
bar äußert sich dieselbe auf die Schaalenthiere so stark,
daß man sie beym leeren Mond beynahe wegwirft, weil
fie dann leer sind, beym vollen Monde hingegen über und
über bezahlt, weil dann auch sie voll sind.
Zweimal war ich in Gesellschaft in den griechischen-
Klöstern, und immer, auch wenn ich allein hinging,
hatte ich den Anlaß, den Stand dieser Geistlichen als
den bequemsten von der Welt zu preisen. Was ich frü-
her bey reisenden Griechen, beynahe ohne Ausnahme,
fand: Kenntniß von verschiedenen Sprachen, das man-
gelte ihren Lehrern hier ganz, und so stand es verhält-
mißmäßig mit ihrer Kenntniß von andern Wiffenschaften;
leider scheinen auch ihre Grundsätze diesem entsprechend.
Ich war höchst befremdet von einem Manne, dem fürs
Allgemeine zu forgen erste Pflicht feyn follte, auf meine
Frage: Warum nicht mehr Olivenbäume gepflanzt wür-
den, da sie so gut gedeihen? in Antwort zu vernehmen:
„Weil diese Bäume langsam wüchsen, so hätte er keinen
Genuß mehr davon, da er schon auf Jahren fey, und er
sich also Mühe und Kosten deswegen ersparen wolle.“
Keiner wußte, wo in der Welt die Schweiz fey. In-
mer nahmen die Suezia (Schweden) für Suizzera. Ich
glaube nicht, daß diese Leute nur einen Begriff von einer
Landkarte haben. Noch mehr, ich wette darauf, daß die
meisten fo in der Unwissenheit versunken sind, daß sie
nichts von der Geschichte ihres berühmten Mutterlandes
und einer groffen unsterblichen Männer wissen. Ich
fragte z. B. mehrere um den Namen und die Beschaffen-
heit des dort im Abendroth glänzenden und beschneiten
122 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel,
Berges *) aber keiner wußte nicht die geringste Aus
kunft, und dennoch blendete ihnen dieser Götterfitz der
alten Welt tagtäglich die Augen.
Einer aus ihnen sprach etwas gebrochen italienisch;
unbefangen und ohne Arges zu denken, fragte ihn eine
Italienerin: „E voi altri che avete tempo e libri – per-
che non studiate?“ . . . Er blieb die Antwort schuldig.
Die Griechen überhaupt scheinen ihren äußern Kul-
tus als genugthuend und hinreichend anzunehmen, um
mit dem obersten Wesen in gutem Vernehmen zu bleiben.
Ich war mehrere Male Augenzeuge von den Ceremonien
beym Räuchern. Was der Grund davon war, wußte ich
nicht, doch es war eine religiöse Handlung; neben der
Thüre faffen einige Griechen auf dem Boden beyin Da-
menspiel, der Geistliche machte hundert Bücklinge, schlug
tausend Kreuze und das Rauchfaß flog fast an den Kopf
der Spielenden" andere schäckerten und es ward auch
nicht, die mindeste Achtung der ganz in der Nähe vorge-
henden Feyerlichkeit geschenkt. Viele Franken, auch meh-
rere Griechen ( ich hoffe, es waren alles böse Zungen)
behaupteten, daß beim Entwenden, wenn der Raub ge-
beichtet werde, vermittelt der Abtretung eines Theils da-
von an den Beichtiger, der Fehlgetilget fey!
Wegen der Pest ward eine Prozession angeordnet.
Das Ganze glich aber eher einem Scharivari *), als ei-
*) des Olymps.
*) Ein verwirrter Lärm mit Keffeln und Pfannen, welchen
der Pöbel in einem Theil der Schweiz vor, dem Hause
der Wittwer und Wittwen macht, welche fich heyrathen.
Griechen gegen Griechen, 123
ner religiösen Feyerlichkeit, und ein Schwarm von Troß-
buben, die den Zug überall durchlärmten, trugen das ih-
rige dazu bey, den Fremden in jener Meynung zu bestär-
ken. In der Mitte ging der Papa, den ich gestern vor
dem Kloster in einem tüchtigen Glanz unter mehrern
Aehnlichen und Aehnlichern gesehen hatte.
In allen und jeden griechischen Kirchen, in denen
ich war, und ich war in vielen, fand ich nicht eine, die
nur etwas von dem gewährte, was man auch in mittel-
mässigen, der römisch-katholischen findet, etwa schöne Ge-
mälde und gute Musik. Jene sind meist Fratzen und letz-
tere war für mich zum Ohren verhalten. Durch die Nase
geht der widrige Ton, der, wie in jüdischem Dialekt her-
geschnattert wird; auch in der Baukunst fehlt das Edle,
das den meisten italienischen Kirchen eigenthümlich ist.
Die Todten werden in offenem Sarge mit Blumen ge-
schmückt zur Begräbniß getragen *); einige Geistliche
begleiten den Zug fingend und räuchernd. -
In Bojukdereh fah ich einen Mann begraben, der
über das mittlere Alter hinaus war; drey Kinder rannten
hinter dem Sarge her; ihr Geschrey war durchschneidend;
es schien das der Verzweiflung; das Händeringen, die
Ausrufungen . . . . dieser Anblick ging mir lange erschüt-
ternd nach, und ich begriff, daß der Nasengesang der nach-
schlendernden Papa's wenig tröstliches für die armen ver-
laffenen Kinder haben mochte, *) Doch genug für im-
*-------- --
*) Bedeckt hingegen die an der Pest. Gestorbenen.
*) Wie ganz anders, wenn ich mir einen ähnlichen Fall bey
den Christen, in Herrnhut denke! - -
124 Zweytes Buch. Sechstes Kapitel.
tner und immer von einer Kirche, die wenigstens den
Namen einer Kirche trägt.
Die Griechinnen auf der Insel kleiden sich elegant,
und ich irrte zuweilen im Range der Person um manche
Grade, da ich denselben anfänglich nach der Kleidung
glaubte errathen zu können. Die feinste Perkale ist hier
allgemein; kömmt aber, der Zeitumstände wegen, nicht
viel höher als bei uns das gewöhnliche Baumwollentuch.
Silber- und Goldstickereyen sind sehr beliebt; auf schwar-
zem Sammt prangen oft breite Blätter von Goldflittern,
Auf dem Kopf tragen sie ein kleines Käppchen, entweder
weiß mit schwarzem Gebrän, oder roth mit einem blauen
Zöttelchen in der Mitte; die Haare hängen der Länge
nach über den Rücken herunter, weniges davon wird in
Zöpfen um Haupt und Käppchen gewunden: ein kurzer
Ueberrock ist über das lange Gewand hingeworfen; schö-
nes Blut und geistreiche Gesichter sieht man in Menge,
die Gestalt ist von schlankem Wuchse.
Es ist sehr üblich, auf kleinen Schemmelchen zu ge-
hen, die lederne Bande haben, um mit dem Fuße hin-
einzuschliefen; es braucht Uebung, um auf diesen Stel-
zen fortzukommen; einige sind über einen halben Schuh
hoch von der Erde.
Ganz eigenthümlich ist die Gesichtsbildung der Män-
ner, wie beynahe über einen Leist geschlagen sehen alle
fein und listig aus. Die Verschlagenheit kündigt sich über-
all deutlich an. Alle tragen goldgelbe Stiefeln, mit Pan-
"offeln (Paptutschen) von ähnlicher Farbe darüber; rothe
>
Griechen gegen Griechen, 125
sind ihnen verboten, wie denn auch Niemand anders, als
Türken, rothe Häufer bewohnen dürfen. -
Sonntags gehen sie zierlich und kostbar gekleidet;
ich konnte aber die nackt geschornen Köpfe und die eben-
falls nackten, langen Hälfe, mit dem fchwarzen Kalpack
darauf, nicht ausstehen, das meist blaffe Gesicht sticht so
widrig davon ab. -
Die Gewohnheit des Tabackrauchens erstreckt sich hier
bisweilen bis auf die Frauen. Ich war auf einem Abend-
besuch bei Bekannten. Die Frau vom Hause, eine leb-
hafte Griechin, bediente mit Pfeifen, stopfte sie selbst,
zündete sie an, und brachte mir eine solche rauchend zu.
Ein wahres Gegenststück, dachte ich, von unsern mit Va-
peurs behafteten Damen. Dieser Luxus hat aber wohl
in hiesiger Gegend den höchsten Grad erreicht. Der Rauch
wird gewöhnlich durch die Nase weggeblasen, und sehr
oft findet man Rauchende, die ein bis zwei Minuten fpre-
chen, und erst dann den eingeathmeten Dampf plötzlich
von sich geben, - -
Hier mag noch ein Zug der Denkungsweise der Grie-
chen gegen Griechen, und das Urtheil eines Griechen über
seine Nation einen Platz finden. Die Erzählung ist von
denjenigen, der die Reise von Seres nach Konstan-
tinopel mit mir gemacht hatte, und sie als Thatsache
verbürgen konnte, weil zwey feiner Brüder mit in die
Geschichte verwickelt waren. Ungefähr um dieselbe Zeit,
als die französische Revolution ausgebrochen war, oder
doch im Anfang derselben, hatte eine geheime Gesellschaft
bon Griechen ähnliche Plane zu ihrer Befreyung entwor-
fen; ich weiß nicht mehr, ob sich diese Gesellschaft aus
Furcht oder gegenseitiger Uebereinkunft, weil es in ihren
126 Zweytes Buch. “
Plan gehörte, nach Wien zurückzog. Genug! Eifersucht
und gegenseitig gleichsam angeboren scheinende Gehässig-
keit – diese zweite Natur der Griechen – verrieth das
Komplott dem Großherrn; es waren nicht nur Lands-
leute, Griechen, welche die Verrätherey begingen, son-
dern die nächsten Verwandten des Bundes, welche die An-
zeige machten. Schnell wurden Maas regeln, um der
Verbündeten habhaft zu werden, getroffen. Der Sultan
verlangte die Auslieferung derer, welche sich nach Wien
zurück gezogen hatten, und Oestreich bewilligte sie. Zwölfe
an der Zahl wurden gebunden nach Belgrad geschleppt,
und ihnen dort die Köpfe vor die Füße gelegt. Die zwey
Brüder des Griechen befanden sich unter diesen.
Der Grieche hatte seine Erzählung mit Hitze geendigt:
„Wir rechnen auf einen Türken im Lande vielleicht zehn
Griechen, aber wenn auch hundert auf einen wären, fo
wäre es eben so sicher, daß die Griechen nie eine felbst-
ständige Nation würden. Weit eher erhübe man den
schlechtesten Türken auf den Thron, als daß die gegensei-
tige Eifersucht, der Familienhaß, der persönliche Neid
und die Falschheit es gestattete, unser Einen darauf zu
fetzen. Einen großen Theil dieser unseligen Bildung des
Karakters haben wir unsern Pfaffen zu verdanken, die
solche Gesinnungen nicht nur zu unterhalten, sondern auch
zu pflanzen besorgt sind.“
In Absicht der Grundsätze, welche die vornehmen
Mahomedaner bei ihrer Verehlichung befolgen, so sind
dieselben in einem auffallende u Kontr .. st mit denen
welche unter uns angenommen sind. Bei uns nemlich
-
richt
ist,
)
i
i,
Mit
Wie
–
Grundsätze der Türken beym Heyrathen. 127
wird auf Familie, Rang und Reichthum, bey den Groffen
auf Staateverhältnisse u. dgl. Rücksicht genommen; nicht
so bey den Türken, die meistens Sklavinnen ehelichen *),
Ein Hauptbeweggrund hievon foll feyn, daß man nicht
befahre, durch Einfluß der Weiber in Regierungssachen
unglücklich zu werden, weil dann zumal Kabalen und
Intriguen kaum vermieden werden könnten, aus diesem
Grunde werden meist Sklavinnen in Fürstinnen verwan-
delt, - - - - - - - - - -
Wie bey uns das Rindvieh beym Abschlachten erst ge-
schlagen wird, so wird in der Levante der Kopf der abzu-
schlachtenden Thiere mit einem Handfchiar *) anf
einen Schnitt weggehauen. In einem Nu ist der Kopf
des stärksten Ochsen vom Rumpfe, -
- 7. -
Geschrieben auf der Insel Rhodos,
in der Klosterzelle von la Vittoria.
Nach einem vierzehntägigen angenehmen Aufenthalt
auf dieser Insel war es Zeit, wieder zurückzukehren.
- -
') Da das weibliche Geschlecht in der Türkei eigentlich im
Stand der Sklaverey erzogen wird und lebt; da die Viel-
weiberei ohnehin mehrere reiche Parthien schwer macht,
weil Glückliche nicht gerne Nebenbuhlerinnen um sich ha-
ben, fo läßt sich aus den bereits angeführten und vielen
andern Gründen diese Verheyrathung angesehener Musel-
männer in die unterm Stände leicht begreifen,
*) Gattung Hirschfänger,
428 Zweytes Buch. Siebentes Kapitel,
Kaum angelangt im Hafen von Konstantinopel –fieh da!
die Folgen der Pest: zwey Kaiks fuhren über nach Sku-
tari mit gestorbenen Türken, um dieselben nach ihren Fa-
milien-Begräbnissen zu bringen. In Galata hielt man
an. Rund um den Hafen waren sonst meistentheils offene
Werkstätten von Schneidern und Trödlern; nun fand sich
alles reihenweise zugeschloffen; die meisten Besitzer star-
ben an der Pest, da sie mit angesteckten Waaren Verkehr
hatten, und durch diese die Krankheit erbten.
Bey so bewandten Umständen nahm ich lieber den
Nachtfack, Ueberrock u. a. felbst unter den Arm, um sie
eine halbe Stunde weit Berg auf in den Gasthof zu tra-
gen, als durch einen Träger mich anstecken zu lassen.
t: Ich war nun wieder in meiner ehemaligen Gefangen-
fchaft; selten kam noch jemand zu Tische, doch versicherte
mich dieser Tagen. Einer – nicht in teutscher Sprache –
daß alles, was in Konstantinopel Hüte trage, Abenthen-
rer oder Halunken feyen. Ich fah scharf nach feinem
Kopfe und fand einen Hut darauf . . . . avis au Lecteur,
dachte ich, und behielt die Moral seiner Behauptung für
mich. - -
Man erzählte: „Der Sultan habe befohlen, daß
jedes Quartier von Konstantinopel ( deren zwey und fie-
benzig tausend sein sollen » feine an der Pest Verstorbe-
nen eingebe. Er fand die Zahl der Türken unverhältniß-
mäßig groß gegen die der Griechen, und diese gegen die
der Franken; er befragte den Mufti, den ersten Geistli-
chen, über die Ursache dieses Mißverhältnisses. Dieser, aus-
weichend einer bestimmten Antwort, sagte blos; Kesmet!““)
*) (Prädestination) Vorausbestimmung, Verhängnis,
Schicksal. -
| Der Sultan und der Mufti. 129
Der Sultan war entrüstet, daß das Verhängniß: „übler
den Seinigen mitspiele, als den Fremden“. Der Mufti,
aufgeklärter und scheints uneigennütziger als mancher fei-
ites Standes, wagte es den Beherrscher der Gläubigen
näher auf die Quelle des Uebels zu leiten, und, indem
er, nach alter Sitte, feine Lehre in Gleichnisse hüllte,
frug er den Sultan: „Wenn im Sommer plötzlich ein
starker Regen fällt, was thut man ? Man flieht unter
das Dach, warum? Um nicht naß zu werden . . . und
doch kömmt der Regen auch vom Himmel und ist eben-
falls Verhängniß!“ Machmut soll nichts weniger als
von beschränktem Geiste, oder an Vorurtheilen krank sein;
etwelche der gesunden Vernunft entsprechende Maasregeln -
wurden schnell genommen, um dem Uebel zu steuern. –
Dies waren die ersten Folgen dieser allegorischen unter-
haltung; so z. B. durfte von nun an dem Großvezier beyn
Ausgehen. Niemand mehr (wie es sonst gewöhnlich war)
das Gewand küssen u. a. dgl. Vorsichtsregeln mehr. Die
Janitscharen, immer unzufrieden und schon vorher nicht
im Einklang mit ihrem Herrn, ergriffen diese Gelegen-
heit, den Sultan anzuklagen: daß er die Muhamedani-
sche Religion zu verletzen sich unterfange;“ und alle Vor-
scht noch mehr wegwerfend, starben sie hin, wie die
Mücken. Man meinte aber, da sehr viele dieser Aufrüh-
ter eingezogen wurden, daß sie entweder stranguliert oder
enthauptet worden, und bloß unter dem Vorwand, sie
sehen an der Pest gestorben, begraben worden seien.
- - - -
-
. . . . ]
Täglich zweymal wird den Garden in den verschiede-
nen Quartieren, inn- und außer der Stadt, das Effen ge-
I
V
so Zweytes Buch. Siebentes Kapitel.
bracht. Zwei Männer tragen an langer Stange in zwei
Keffeln die Speisen. Einer, in Hanswursten ähnlicher
Kappe und Kleidung, geht vor den Trägern her; wer
fich unter die Keffel flüchtet, findet eine Freystatt, auch
wenn er gemordet hätte, und bleibt unverletzt, " Auch
von der innländischen Obrigkeit kann er von da nicht be-
langt werden. - -
Nach mehreren Tagen Regen erhellte sich der Himmel
und ich wollte wieder ins Freye, um außer den Mauern
Luft zu schöpfen; ich durch stolperte die schlecht gepflaster-
ten, engen Gaffen, wich aus rechts und links den Men-
fchen und den Hunden, und gelangte endlich zum Begräb-
nißplatz der Franken. Zu beiden Seiten, vor und hin-
ter mir waren Gruppen, um Verstorbene zu beerdigen;
Träger, die kamen oder gingen; bestürzt, irre gemacht
war ich nun schon, ich eilte durchzukommen und lief
was ich konnte, um die Höhe außer den Todten zu ge-
winnen. Zum letztenmale genoß ich den schönen Anblick!
Ameineten Ende der Stadt stund ich auf einer mäfi-
gen Anhöhe; bald Thal, bald Hügel, von zahllosen Häu-
fern befäet, lagen vor mir, weiterhin sich dehnende Gas-
fen gegen die Bucht, bis an die Rundung des Hafens sich
erstreckend; dann Waffer überdeckt mit Schiffen und
Kähnen; jenseits bildet sich ein neues Gewimmel von
Menschenwohnungen; weiter verliert sich das Auge in
der Gegend der fieben Thürme, und schwimmt, ungewiß
oh es wohl das andere Ende der größten Stadt Europas
feyn möchte, oder, ob trüglich die Ferne noch weiterhin
sich in Gaffen erstrecke, am fernen Horizonte hin.
Wunder in der Kirche zu Skutari, 131
Müde vom Gang und der Sonnenhitze fand ich einen
Baum, der fchönen Schatten gewährte ; darunter mich
zu lagern, war ich im Begriff; aber, nein! fchnell
zog ich mich in den heißen Sonnenschein zurück, um
nicht im lieblichen Schatten die Pest zu holen. Kein
Fleck bewahrt davor; sollt' ich zurückkehren über das
Todtenfeld? Hier scharrte man ein, dort grub man zu
gleichem Behuf. Genug hatte ich! - -
Weg von hier! war mein schneller Entschluß, weg
von dem Orte, wo jetzt die Leichensteinhauer, Todten-
gräber und Todtenträger den besten Verdienst hatten,
Gleich vor den Häusern begegnete ich einem Trupp der
letztern; sie kamen zurück vom Begräbnißplatze und eilten
schnell in die Stadt, um andere zu holen. Ein Troß von
etlichen und zwanzig Buben folgte ihnen lärmend und
ruhte nicht, bis sie hielten, einen aus ihnen auf die leere
Wahre warfen und mit ihm davon sprangen; lachend und
jubelnd und Steine nachwerfend, folgten die übrigen so
weit ich ihnen nachsehen konnte! Dieß mag auch ein
Beweis sein, wie wenig diese fürchterliche Krankheit hier
schreckt, und es ist sich noch zu wundern, daß ihre Opfer
nicht noch zahlreicher fallen.
Ich war früher willens noch einmal nach Skutari
in eine griechische Kirche zu gehen, um das daselbst ver-
ehrte Wunder mit eigenen Augen zu sehen. Zur Zeit als
Konstantinopel an die Türken überging, und von diesen
erobert ward, befand sich der Patriarch in besagter Kirche
in Skutari. Er ließ sich nicht überzeugen von der Mög-
lichkeit der Eroberung von Konstantinopel, und behaup-
itte einen Zweifel mit möglichster Keckheit; durch eine
Küche gehend und einen Fisch aufm Roste erblickend, der
-
J 2
432 Zweytes Buch. Achtes Kapitel. - -
halb gebraten war, äußerte er spottend: „So wenig die-
fer Fisch vom Rost ins Waffer springt, so sicher ist Kon-
stantinopel nicht in türkischer Gewalt!“ -
Aber, o Wunder! fieh da, mit einem Sprunge er-
hebt sich der Fisch vom Rost und wirft sich ins nächste
Wafferbehältniß! Der halbgebratene Fisch ist seit den vie-
len Jahrhunderten noch jetzt lebendig und auf der einen
Seite gebraten zu sehen. Nun ist das Gedränge in die-
fer Kirche eben des Fisches wegen, immer sehr groß, und
aus diesem Grunde fand ich es auch mir zuträglicher,
gegenwärtig meine Neugierde zu unterdrücken.
-
8,
Es war den sechs und zwanzigsten September, Mor-
gens um zwey Uhr, daß ich wachte und feit einer Stun-
de keinen Schlaf finden konnte; ganz gegen meine Ge-
wohnheit fund ich auf und ging mit der Uhr an das
Fenster. Ich zog den Vorhang. Wunderbar röthlich
schien der Gesichtskreis; es war nicht die Helle des par-
fam erleuchtenden Mondes . . . . es waren in der Ferne
die Wolken, wie in Glut getaucht; eine Feuersbrunst
in Konstantinopel! rief ich laut auf, und weckte den
Sohn des Wirthes im Zimmer nebenbey. Ich meinte,
Alles müßte wie bey uns in Alarm feyn. Dieß war
aber hier nicht üblich: „oh, c'est loin d'ici!“ sagte er
nach einer Weile, und legte sich auf das andere Ohr.
Heller ward der Horizont; röther das Gewölk; ich konnte
mich gar nicht in die Gelassenheit der Eingebornen bei
einem so schrecklichen Schauspiele finden. In der unruhe
S -
Feuersbrunst in Konstantinopel. 133
kleidete ich mich an und trippelte im Zimmer herum;
stille und ruhig ward's draußen in den Gaffen; ich war
der Einzige wach . . . . Jetzt hört' ich von ferne den
Feuerwächter; mit dem eisernen Stab schlägt er stark
wider die Quadersteine, und er sang dießmal in liebli-
chem, gedämmten Tone *). Von den tausend Hunden,
die ihn gewohnt jede Nacht mit Geheul verfolgen, war
jetzt keiner hörbar. Die röthenden Wolken mehrten sich,
und meine Ungeduld bey diesen Schauspiele eingesperrt
zu feyn, damit. Ich ging hinunter den Kellner zu we-
ken: „ach,“ äußerte er unwillig, „es brennt ja fchon
zeit. Nachts neun Uhr, wir haben hier nichts zu fürch-
ken.“ Ich verlangte. Jemand, der mich begleiten möchte,
um das Feuer zu sehen. „Es schlafe Alles.“ Ich bot
Geld, bot einen Piaster für eine halbe Stunde, bot
zwey für eine Viertelstunde. Umsonst, niemand wollte
fich den Schlaf brechen. So gehe ich allein ! verfetzte ich
entschloffen; nahm mein starkes Meffer in die Hand und
hinaus in die engen, dunkeln, menschenleeren Gaffen.
Was ich am meisten fürchtete, waren die Hunde; die
Furcht war überflüssig; ganze Schaaren durchzog ich,
es rührte sich keiner; so starken Einfluß scheint selbst auf
die Thiere dieß zerstörende Element zu haben! Ein Platz
bei einer griechischen Kirche zeigte mehr Helle; bey ge-
genauerem Lauschen schien es dumpf in der Ferne zu
dröhnen; ich rannte voll Ungeduld noch eine Gaffe durch,
noch um eine Ecke, und ich hatte plötzlich unter meinen
*--------
*) Singend zeigt er an, wo es brenne, und welchen Gang
das Feuer nimmt, welches ich damals nicht wußte,
s
434 Zweytes Buch. Achtes Kapitel.
-
Füßen das Gemälde einer Hölle! Das Unglück wüthete,
rund um den Hafen her, wo ich stand, mehr denn eine
Stunde vom Schauplatz des Jammers, war’s hell zum
lesen; ein Raum von gewaltigem Umfange war roth und
glühend; an drei verschiedenen Orten, kaum einer eine
Viertelstunde vom andern entfernt, flammten die Feuer-
fäulen lichterlohe zum Himmel empor; leckend griff das
Feuer mit unglaublicher Schnelle, gleich einem Erguße
der Lava des Vesuvs, dem auch einzig dieser Anblick zu
vergleichen ist, um sich, und fraß in der Runde herum,
was es antraf. Die hölzernen, gediegenen Häuser, alle
dick mit Oelfarbe überstrichen, flatterten in hohen Flam-
men auf und stürzten dann krachend in einen Augenblick
zufammen. Das Quartier der Juden ward ergriffen,
Magazine von Oel, Brandtwein, Holz, vermehrten das
Schreckliche der Sache. Es war Samstag, sie durften
ihrem Gesetz zufolge, nicht einmal ihre Haabe flüchten.
Immer furchtbarer dehnte sich an allen drey Orten die
Verheerung aus. Mitten inne leuchtete düstere Glmt;
den Vorgrund machten Schiffe, Segel, Tauwerk, Schiffs- -
magazine. Rabenschwarz hoben sie sich aus dem Feuer-
meer; die Minarets fchienen, wie lange weiße Wachsker-
zen aus den dunkeln Cypreffenwäldern, das beleuchtete
Stambul gab den Mittelton; im Waffer des Hafens wir
derspiegelte sich der Brand und die Beleuchtung; nur
dumpf und unvernehmlich war der Hall des Gelärms und
der Verwirrung aus der Ferne; immer und immer heller
ward die Gegend; wenig hörte man von Schrecken ge-
lähmt, die Umstehenden. Tschogg, tschogg*)! feufzten
-----
*) Zuviel, zuviel!
Feuersbrunst in Konstantinopel. 435
leise die Türken; weniger dabey interessiert schnatterten
die Griechen untereinander.
Es begann zu dämmern. Es tagte; verändert ist die
Szene; der rothe Rauch gewann graue Farbe, mit weiß
und röthlicht untermischt; die bey Nacht abgebrannten
Stellen vom Feuer noch glänzend, stachen jetzt fchwarz
wie Kohlen heraus; es ward ganz Tag, ich befand mich
auf'm Gipfel eines Schutthaufens, wo vor drey Jahren
ganz Pera abbrannte ! Hinunter fah ich noch einmal in
das Chaos von Schutt und Asche, Qualm und Glut von
acht bis zehntausend Häusern! Das Elend der Menschen
trübte und verwirrte meinen Sinn; zu meinen Füßen lag
der türkische Todtenhof; tiefer unten der Brand . . . .
ich fah um mich, Schaaren von Trägern kamen! Sie
kamen zurück vom Begraben derer, welche die Pest“töd-
tete, mit Tagesanbruch! Sie eilten. Andere zu holen,
Mich schauerte; genug, genug hatt' ich des Elends ge-
fchen! Weit, weit weg von hier, war sogleich mein
wiederholter Entschluß.
Zwei Tage darnach schritt ich zur Ausführung des
selben. Ich ging noch um etwas Nöthiges zu besorgen,
zu dem Kaufmanne an den ich addressiert ward; vorher
unterhandelte ich schriftlich mit ihm, weil der Krankheit
wegen Niemand angenommen, oder wenigstens nicht gerne
gesehen wurde. Ich ging das lange Pera hinunter nach
Galata; ein Sarg nach dem andern begegnete mir, vier
Träger bey jeden; der Sarg war überdeckt mit einem
gedruckten Teppich, meist fehr greller Farbe, roth um
4.36 Zweytes Buch. Achtes Kapitel.
gelb gestreift, und vorne darauf einen Turban, das
Wahrzeichen des Muselmanns. -
Zurück, schlug ich den kürzern Weg (um weniger dic-
fem traurigen Anblicke zu begegnen) über den kleinen
Begräbnißplatz der Türken, ein; aber ich kam vom Regen
unter die Traufe ! Pestkranke wurden vorbeygetragen,
Todte versenkt; der Platz schien ein frischer Umbruch;
die Atmosphäre war mit Leichenduft und Dünsten der Ver-
wesung angefüllt. Wie konnte es anders sein! In der
kurzen Zeit meines Aufenthalts zählte man neunzig tau-
fend Menschen als Opfer dieser Krankheit! Das sind
Schreckniffe, welche bey uns unbekannt sind. *): Pest,
Feuersbrunst und Revolution. Kein Augenblick
sichert in der Levante vor allen diesen drey Uebeln!
- Erschüttert und matt erreichte ich den Gasthof und
beeilte mich, schnell meine Sachen zusammen zu packen.
und nun noch einen Rückblick auf Konstantinopels
Wirklichkeit, auf diese unermeßliche Stadt! Welch ein
prachtvoller, einziger Anblick sind ihre Umgebungen!
Wahrlich, wie er nirgends anderswo zu finden ist! Wohl
ist es aber auch nur der Anblick und zwar nur der aus
der Ferne, nicht die Gegenstände an sich! Anwendbar ist
hier das Gleichniß von Freskogemälden oder Dekorations-
*) Wenigstens in diesem hohen Grade. Unsere epidemischen
Uebel und Feuersbrünste halten keine Vergleichung mit
der Pest und einem Brande in Konstantinopel aus, und
eine eigentliche Revolution sahen wir nicht."
Rückblick auf Ko n fit antinopel, 137
mahlerey, welche in gewisser Entfernung herrliche Wirk-
ung thun, aber in der Nähe betrachtet mit groben Pin-
fel aufgetragen nur Kleckse und aufgehöhte Schmiere
darbieten, und wo, statt höherm Genuß nur Unwille er-
folgt. So ist's mit Konstantinopel! Von ferne winkt
der Hain mit seinen dunkeln Cypreffen und ladet in seine
schwärmerischen Schatten; man eilet hin und findet un-
wegsame Steinbrüche; nicht drey Schritte kann man
außer den schmalen, sich durchkreuzenden Pfaden, darinn
machen; Verwesungsgeruch duftet unter diesen Schatten,
und lieber setzt man sich wieder der Sonnenhitze aus.
Die lieblichen, amphitheatralischen Höhen, so unbeschreib-
lich schön und reizend den Auge, was sind sie, wenn
man sich hinbegiebt? Durchmühen zwischen engen Lö-
chern, durchschlüpfen zwischen baufälligen Hütten von
faulen Holze muß sich der Wanderer, Wohnungen, oft
eher Hühnerställen ähnlich, als menschlichen Aufenthalts-
orten; überschmiert mit gefärbter Erde, verwittert und
Stellenweise abgebleicht, und wenn man sich endlich durch-
gearbeitet hat bis zu diesen, von ferne zauberähnlichen
Hügeln, so findet man Geschrey und Gelärm; wird ge-
stoffen und getreten von der Hefe eines rohen Volkes in
den unreinen und engen Straßen; verfolgt von zahllosen
Hunden, die oft mehr Recht genießen als der Fremde ;
übler Geruch, erzeugt durch Unreinlichkeit, was denn die
Luft in diesem Lande, welche die beste sein sollte und
könnte, höchst ungesund macht; das Sehenswerthefte der
Stadt, die Dschamien und Minarets, verboten zu be-
treten; endlich, die fchönsten in die Augen fallendsten
Gebäude, weiche aus der Ferne beinahe das Auge blen-
den, wie z. B. der Brunnen von Tophana nnd die Menge
438 Zweytes Buch. Achtes Kapitel.
andrer mehr: was leisten sie in der Nähe? . . . . Ver-
goldete, hölzerne Tülpchen, auf blauem Grunde; Blu-
mentöpfe einer Nuß groß und die Pflanze darin einer Ei-
che gleich; Fische nach Grappenart; Zweifelstricke und
Schnörkel, einer zierlicher als der andere, fo zwar, daß
die Kilbi-*) Schmierereien unserer Bauern noch Raphael-
fche Arbeit dagegen sind. Alles dieß, wenn man in die
Nähe kömmt und das Ganze wie die Theile so völlig an-
ders findet, als aus der Ferne, erweckt eine Empfind-
ung, wo man nicht weiß, ob man lachen oder weinen
foll, sicher aber sich ärgern muß! -
Die Armenier, deren es mehrere christliche und ma-
hottedanische Sekten giebt, machen in Konstantinopel ei-
ne sehr beträchtliche Volksmenge aus. Wie die Griechen
sich unter einander haffen, plagen und fo zu sagen selbst
vernichten, so halten hingegen die Armenier in Handel
und Wandel wie die Juden zusammen. Die größten Reich-
thümer befinden sich in ihren Händen. Dennoch ist es bei
ihnen stillschweigende Uebereinkunft und Politik, arm zu
fcheinen und sich schlecht zu tragen; sie befolgen allge-
nein die höchste Oekonomie; auch die reichsten und ange-
sehensten aus ihnen begnügen sich beim Frühstück mit ein
paar Schaalen Caffee; beym Mittageffen mit etwas Käse
und Brod für wenige Parahs, und ihre Hauptsache, das
Nachteffen, ist eben so einfach. Gilt es aber zu glänzen,
feys auf ihren Landgütern, oder wo sie von den schröpfen-
den Türken nicht beobachtet werden, fo wird allem auf
*) Kirchweih.
\
Türkische Sprache, 139
geboten, um sich zu, zeigen; und auf ein Geburts- oder
Namensfest werden für ein Gastmahl fechs- achthundert
bis tausend Piaster nichts geachtet; an einen solchen
Tage macht man sich aus Dukaten weniger als an jeden
gildern aus einem Parah.
Die türkische Sprache lautet lieblich fürs Ohr,
ist sanft und angenehm; sie wird von den Einwohnern
richtig und deutlich gesprochen, und ich glaube, daß in
derselben weniger verdorbene Mundarten statt finden, als
in jeder andern. So viel ich davon erlernte, fand ich
auch nicht ein einziges Wort, daß eine Aehnlichkeit mit
dem Latein, oder den Töchtern dieser Sprache, denn
italienischen, französischen und eben so wenig mit den
deutschen hätte. Die Schrift ist, wie bey den Juden,
von der Rechten zur Linken; sie soll äußerst schwierig zit
erlernen seyn, welches daher rührt, daß die Sprache
keine feste Regeln hat; sie stammt aus der arabischen,
und ist so schwierig, daß der Türke, wenn er achtzig
Jahre an seiner Muttersprache studierte, dennoch am Ende
feines Lebens gestehen müßte: Er wüßte nichts Gründ-
liches davon, eben weil keine Sprachlehre vorhanden
ist *). - e- - -
Die Türken haben es nicht gerne, daß man sie bey
diesem Namen nennt; lieber ist ihnen die Benennung
Muselmann, oder Oßmannli.
") So versicherte mich einer, der ein Kenner war, und
die türkische Sprache geläufig zu reden, zu liefen und
zu fchreihen wußte, . - - -
140 Zweytes Buch. Achtes Kapitel.
Mahomed *) ist ihr erster, oberster Prophet. Er
ward geboren im J. 598. in Mekka, ward Sklave eines
fehr reichen Frauenzimmers in Servien und heyrathete
fie, nachdem er sich allmählig aus dem Sklavenstande
erhob; erbte sie dann und vermählte sich mit verschiede-
nen andern, von denen er denselben Vortheil zog. Im
J. 621. begann er seine Religionsgrundsätze öffentlich
auszubreiten; mit Beyhülfe christlicher Mönche faßte er
den Koran ab, und starb im 63sten Jahre seines Alters.
Sein Glaubensbekenntniß:
„Mahomed ist Prophet und mit Gott verbunden; das
alte und neue Testament ist wahr, aber von Juden und
Christen verdorben; der Koran hebt beyde auf, und ver-
dient als Gottes Wort, Verehrung.“
Die Mahomedaner glauben an das jüngste Gericht;
an immerdauernde Strafe oder Belohnung, also an Hölle
und Himmel. Letzterer enthaltet alle Reize der sinnlichen
Lust. Bilder und Heilige zu verehren ist nicht erlaubt.
Verboten von Gott find: Kartenspiel, Wein, Jagd,
Schweinefleisch. Die Bielweiberey gestattet; Gebeth
fünfmal täglich; Almosen und den Zehenden geben; Fa-
ften in Rhamazan von Morgen bis in die Nacht; einmal
im Leben nach Mekka wallfahrten, ist Religionsgesetz.
Alle Ereigniffe kommen von Gott, das heißt bey ihnen
Kesmet ( Vorausbestimmung); sie haben keinen Tag
im ganzen Jahr, an welchem ihnen zu arbeiten verboten
wäre **). - - - - - -
*) Bedeutet fo viel als der Gelobte.
**) Da dieß. Alles größtentheils bekannt ist, so enthalte ich
mich billig darüber ausführlicher hier zu reden.
Abreife nach Smyrna, - 441
9,
Geschrieben in Alexandrien.
Den dreißigsten September, Nachts um eifuhr,
setzte ich mich zu Schiffe. Noch einmal sah ich Konstan-
tinopels Pracht, der Rhamazan hatte die ganze Stadt
beleuchtet, die hohen Minarets überglimmerten mit ihrem
dreifachen Lampenkranze die erhellten niedrigern Gebäude,
und Musik ertönte in allen Moscheen,
Aber ich ließ jetzt Konstantinopel mit seinen Herrlich-
keiten und Schreckniffen hinter mir und segelte über in
einen Welttheil, in welchem ich kein athmendes Wesen
kannte, -
Schon zwei Stunden ging die Fahrt gegen die Mitte
des Meeres von Marmara hin und doch schimmerte noch
düter das beleuchtete Stambul. Zierlich hell war der
Horizont; weit größer als bei uns erschienen die Gestirne;
es war so ruhig in mir und nichts störte mich. Der Ja-
mitschar, mit dem ich reiste, und noch ein anderer mit
Depeschen von Wien, auch nach Smyrna bestimmt,
waren nach Landessitte still und Stundenweise sprachlos;
bei so vielen Anläffen, gleichsam allein zu sein, fand
ich immer für mich erhöhtern Genuß in der Stille, als
bei den meisten Unterhaltungen in Gesprächen. Einge-
wiegt in die Phantasie, verschwand die Nacht, wie ein
ruhiger Traum. Von ferne erkannte ich noch die Prin.
zeninseln. Die See ging allmählich hoch, das Kaik war
sehr klein; eine Welle schlug oben über und machte mich
über den Rücken naß bis auf die Haut. Gegen Abend
landeten wir in Anatolien; ein beträchtlich breiter
E
142 Zweytes Buch, Neuntes Kapiter.
\
Fluß von Malhone herkommend, ergießt sich da ins
Meer; wir fuhren ihn mehrere Stunden hinauf, und,
da er scheint's, Untiefen in Menge hat, waren an den
Mündungen Männer mit Fahnen bis an die Hüften im
Waffer, um die Schiffe sicher zu leiten.
Weiter vor erblickte ich drei bis vier kleine Schiffe,
welche ein beträchtlich Großes umgaben, das bestimmt war,
die Melonen, womit die kleinen beladen waren, nach
Konstantinopel zu bringen. So wie die Ladung aus den
kleinern Schiffen ins Große vor sich ging, schien die Manier
zu laden, von den Affen entlehnt. Aus jedem Kaik ward
die Frucht von vier bis fünf Personen einander zuge-
worfen, und immer sah man ein Dnzend Stück in der
Luft fchweben. - -
Beym ersten Eintritt in den andern Welttheil, fand
ich die ihm zugehörigen, eigenthümlichen Thiere an den
Häusern abgemalt; Schlangen, Tiger, Löwen, in der
Größe von Ochsen, gebunden mit, der Kette an einem
Baum von der Dicke eines Strohhalms. Auffallend war
mir das prächtige Geländ: die Tabackpflanze war bis fünf
Schuh hoch in zierlichem Flor; alle Bäume, so krüpp-
licht sie waren, trugen Früchte; Feigenbäume proßten
aus allen Steinhaufen; eben so Oliven, in der Dicke
wie Eichen, und doch ist das Ganze der Gegend eigent-
lich unangebaut. O wie viele Menschen könnten in dieser
fruchtbaren Wildniß pflanzen, leben und glücklich sein:
Auf raschem Pferde, das Innere dieses Erdstriches durch
rennend, sagte ich mir so oft: diefe und diese Gegend
ist nicht in Europa, sie ist unter anderer Zone, hat an,
dern Charakter u. f. v.
C
z
Wirthschaft mit den Türken. 443
Mit meinen Türken konnte ich wenig selter haben;
flach Landes gebrauch aß ich Anfangs mit ihnen Pillau
und Hühner von der Hand weg. Glied für Glied ward
abgekneipt, bis das leere Gerippe übrig blieb; dienstfert-
ig legte mein Muselmann mir die besten Brocken, die er
abreißen konnte, vor. Späterhin brachte man süßes
Kalva *) und raren Kaimak *), und zum Beschluffe
Jaurt *). Ich schlief ruhig aufm Boden der Hütte
der im Hof des Khans, oder im Stalle. Zum Verdruß
meiner Begleiter trank ich freilich Wein, den ich bey
einem Griechen erfragen konnte und womit ich meine höl-
zerte Flasche ganz anfüllte.
Späterhin eckelte mir doch vor dieser Manier, die
Speisen unter Dach zu bringen; zudem geschah diese
Verrichtung von Seite der Türken mit einer solchen Eil-
fertigkeit, daß ich weit zurückblieb und anzufangen meinte,
wenn sie schon fertig waren. Es ist unbegreiflich, wie
schnell diese Menschen überhaupt die Speisen verschlingen,
daher denn auch das bei ihnen so gewohnte Aufstoffen
“), aus dem sie sich aber so wenig machen, als wir
aus dem Nießen; und endlich war's mir fehr unangenehm,
sehen zu müssen, daß sie mein Weintrinken wirklich ver-
') Kalva ist von Honig und Oel zubereitet, in der Form
eines Käses mittlerer Größe, es krächelt. Anfangs im
Munde, und scheint hart, ist aber bald in einen süßen,
angenehmen Saft aufgelößt. -
") Kaimak, besonders eingekochter Milchrahm.
*) Saure Milch, - - - - - - - - - - -
*) Rülpfen, . ."
444 Zweytes Buch. Neuntes Kapitel.
droß. Tausend Andre hätten ihnen darüber ins Gesicht
gelacht, mich aber störte es, denn ich konnte nun schon
- nicht mehr, wie ich's gewohnt war, beym Effen frohfeyn,
Was ist aber auch für unser einen, der des Weins be-
darf, für Freude: zu effen ohne Wein zu trin - -
ken? Das Gesellschaftliche und Erheiternde fällt ganz
weg, und durch diesen Umstand läßt sich die Schnelligkeit
ihres Abspeisens auch eher erklären. Kurz, es ward
nach und nach eingeleitet, daß ich die vollen Schüffeln
eine halbe Stunde vorher erhielt und mich mit Weile
und nach Belieben bedienen konnte, gleichwohl, wenn sie
sich auch späterhin bei mir niederließen, waren sie ge-
wöhnlich doch noch vor mir fertig. . . . .
Eine Menge großer Karawanen von Kamelen begeg-
nete uns. Vor jedem Trupp gewöhnlich ein Mohr aufei-
nem Esel, als Anführer. Es ist beinahe unglaublich
welche starke Märsche die Pferde dieses Landes ausdauern;
eines Tages, von Morgens halb sechs bis Abends neun
Uhr, ward kaum eine halbe Stunde Halt gemacht. Die
Pferde bekommen nur Gerste und gehacktes Stroh zu fres-
fen, und einmal des Tages nur in der größten Hitze,
und zwar sehr sparsam, zu trinken. -
Ich glaube nicht, daß die bei abgerichteten Reit-
pferde unserer Gegend leichter gehen, als die hier gewöhn-
lichen. Meistens verreiste man ein oder zwei Stunden
nach Mitternacht; wenige Stunden abgerechtert, blieb
man bis spät in die Nacht zu Pferde; dennoch empfand
ich beim Absteigen auffer der unbequemlichkeit der immer
gleichen Haltung, keine andere. Sie klettern und sprin-
gen, wie die Katzen, die steilsten Höhen hinan und über die
Gräben, Eben so sicher laufen sie in Tiefen und Löcher
t
Pferde dieses Landes, 445
hinunter, wohin es zu kommen kaum möglich scheint, und
doch haben sie an den Hufen keine Zacken zum Aufhalten,
wie bey uns, im Gegentheil ihre Eifen find gebogen und
gehen verloren aufwärts; in der Mitte des dünnen Hufs
ist eine Oeffnung von der Größe eines halben Neuentha-
lers. - -
Der Janitschar ersah sich gewöhnlich den nähern
Weg; und ohne Umstände ritt man mitten durch die
schönsten Baumwollenfelder und Pflanzungen, um abzu-
kürzen. Wie Schneeflocken drang die reife Wolle elastisch,
aus der engen Kapsel und gewährte auf den unübersehba-
ren Feldern einen lieblichen Anblick; fchöner noch er-
schien der bey uns bewunderte Balluster *), mit den
frischgrünen kecken Blättern und prachtvollen rothen Blu-
men; ganze Strecken waren als Wildniß von diesen schö-
nen Bäumen überdeckt; wild wächst überall der Salbey;
wild, der bey uns mühsam zu erhaltende Spargel; wild,
aus steinigtem Grunde, in Menge kleine, weiße Jonquil-,
len, herrlich duftend. Ueberhaupt der balsamischen Kräu-
ter, Blumen und Pflanzen die Fülle.
- 10,
Geschrieben auf dem Nil.
Den zweiten Abend, es war schon dunkel, führte der
Weg zwischen enge entgegenstehenden Felsen durch. Der
-
*) Granatenbaum. Die Blume dieses Baumes heißt lat.
Balaustium; die Griechen hatten sie dem Sonnengotte ge-
weiht, die Aegypter brauchten die fchöne Form zu Säu-
lenverzierungen, daher heißt jetzt noch ein Geländer von
folchen Säulen franz. Balustrade.
- - K
446 Zweytes Buch. Zehntes Kapitel.
Wind sauste und machte Geräusch; auf einmal erscholl
ein klägliches Geschrey, wie von einem Kinde von vier
bis sechs Jahreu. In dem Gebirge verirret dachte ich es,
und lauschte mehr; bald schien es zu sprechen, bald laut
zu schreyen; der Wind machte die Töne zweifelhaft. Die
rohen Menschen, die Janitscharen, spotteten darüber und
äfften es nach; ich wollte mich erkundigen; entweder
verstand ich es nicht, mich gehörig auszudrücken, oder
man wollte mich nicht verstehen. Plötzlich, auf der an-
dern Seite des Berges, erscholl ein ähnlich Geschrey;
jetzt begriff ich, daß ich irrig muthmaßte, daß es kein
Kind, wohl aber ein Thier sein müsse, und jetzt nannte
ein Knecht das Wort: „Schakal,“. Ich war aus dem
Wunder. Ein gellenderes, durchdringenderes und der
Menschen stimme ähnlicheres Geschrey, als das dieser
Schakals, hörte ich felten.
Ich befand mich nun in jeder Rücksicht auffer der
Christenheit, und aus wars mit Jakob und Johann,
mit Peter und Paul, statt dieser klang jetzt Ab-
du lah, Achmet, Mustapha, Ali, Jsmael,
Mehmet und Osmann a. Auch in gewohntem Ge-
spräche machte ich in dieser neuen Lage Druckfehler, die
nicht zu entschuldigen waren; so fragte ich einmal: ob
wir heute Sonntag hätten ? ein andermal, ob hier ein
guter Wein wachse? -
So wie bei uns auf der Straße oft angehalten wird,
um ein Glas Wein zu trinken, so geschieht es hier um
Caffee zu geniefen; kaum ab dem Pferde, so bringt man
schon eine Schaale entgegen. Mit Rauchen und Caffee-
trinken beschäftigt man sich in den Ruhestunden: ob diese
Lebensart nicht vorzüglicher sei als die unsrige, will ich
J.
iii)
Herrliche Polizey in Anatolien, 147
nicht entscheiden, mir will fcheinen, daß sie wenigstens
für den Reifenden sicherer fey, als der zu öftere Gebrauch
des Weins. Man verliert nicht, wie bei diesem, die
halbe oder ganze Besinnung, oder macht sich durch ge-
schwefeltes Getränk. Kopfschmerzen. Der Genuß des
Caffees macht munter und stärket noch überdieß den Ma-
gel, -
Was in der europäischen Türkey allgemein üblich ist,
Waffen bei sich zu tragen, das findet hier gar nicht statt,
Es ist die gute Polizey des Pascha von Anatolien, Co-
roßm an Oglu, denn man diese bewundernswerthe Ord-
nung verdankt. Jeder Fleck dieser Gegend ist von der
Sicherheit der ganzen Provinz bezeichnet, und macht die
schwerfälligen Waffen, Pistolen und Flinten überflüßig.
Dieß ist ein höchst beruhigender Anblick für den fremden
Reisenden, -
In weiter Landschaft, bei vielen Stunden im Um-
fange, sah man kein Waffer, und doch war die Gegend
bergicht, so daß sich muthmaßen läßt, daß beym gering-
fen Regen die Waffer austretten, sich vereinen und zu
Füßen bilden könnten, und doch sah man nirgends eine
Spur davon. Vielleicht, daß in dem fandigten Boden
alles Gewäffer versiegt: felten findet sich etwelches zum
Trinken. In Man affa ward Halt gemacht und über-
lachtet; die Stadt ist beträchtlich groß und lieblich am
Abhang von Felsen in romantischer Gegend gelegen; übri-
gens, wie alle türkische Städte, von engen und unreinen
Gaffen u, f, w. entstellt. -
Von einem Türken ließ ich mich hier raffiren. Wenn
man die Sitte nicht kennte, fo könnte ein türkischer Bar-
hier einem den Angstschweiß auf, Der Kopf wird
- 448 Zweytes Buch. Zehntes Kapitel,
A
von dem Scherer hart an feine Lenden gedrückt und der
Bart so scharf und tief genommen, als nie bey uns;
am Ende werden mit einer feinen Schere noch die Härchen
aus den Nasenöffnungen geschnitten.
Drey Stunden vor Ankunft in Smyrna sah man
von einer Höhe herab die Stadt mit ihrem von Schiffen
angefüllten Hafen. Bey Sonnenuntergang ritten wir
durch die weitschichtigen, engen Straßen, aus welchen
der üble Geruch der herrschenden Unreinlichkeit mir den
Eindruck des ersten Augenblicks schon verdarb. Die Ana
ficht der eigentlich nicht unebenen Gegend war nicht ver-
mögend, die widrige Empfindung dieser Unannehmlichkeit
zu tilgen, besonders bey Jemand, der von Konstantino-
pel kömmt und also an jenen Himmel verwöhnt ist. Nicht
weniger unangenehm sind die schlechtgepflasterten Stra-
fien; und, wenn man sich müde darauf gerennt hat, um
etwas freie Luft zu schöpfen, so ist es eine schattenlose,
einförmige sich immer gleiche Landschaft. Hohe Mauern
beschränken die Aussicht auf Land und Meer ; die be-
uachbarten Inseln entschädigen nicht, und sind, wie
schon bemerkt, für das in Konstantinopel verwöhnte Auge
nicht anziehend genug! -
In Smyrna war früher die Pest, immer aber wird
die Krankheit auf Sankt Johannisfeyer gebrochen. So
wars auch dieß Jahr derselbe Fall. Die Franken waren
alle wieder von ihren Landsitzen zurück, wohin sie sich,
wie in Konstantinopel, während dem Uebel geflüchtet
hatten. Es war mir neu, wieder ins Gedränge gehen zu
*,
Kamele. - - - - 149
dürfen und nicht schon von ferne ausweichen zu müffen,
was ich bereits ganz gewohnt war. - -
Smyrna galt für die erste Handelsstadt der Levante,
litt aber, gleich jeder andern, ungemein durch die Zeit-
umstände und den Wetteifer des augenblicklich vortheil-
hafter gelegenen Salon ich s. -
Skutari, nur ein Fleck von Konstantinopel, ist viel-
leicht größer als Smyrna. – Der Basar ist beträchtlich;
der Warenlager gibt es eine Menge, sind aber oft
nicht viel beffer als unsere Jahrmarkts-Budengerüste; die
ganze Stadt ist von Holz; die Bauart und der herrschende
Ton dem in Konstantinopel ähnlich; die Frauenzimmer
noch vorsichtiger als dort, bedeckten die wenige Oeffnung
um die Augen her, noch mit einem schwarzen Flor, so
daß man gar nichts als Vermummung sieht.
Die Kaufleute find gesellschaftlicher als die Konsuln
und befoldeten Beamteten. Erstere haben ein Kasino, wo
man eine gefällige Einrichtung und jeden Abend Gefell-
fchaft antrifft, -
Die Kamele sind im allgemeinen Gebrauche für die
Reisen sowohl, als für die Fortschaffung der Waaren zuf
Lande. Diese nützlichen, dauerhaften Thiere, so folgsam,
daß ein Knabe von sieben bis acht Jahren fiel durch Worte
sogleich auf die Knie und sodann zum Niederliegen bringt,
umgeladen zu werden, sind weder mit Güte noch durch
Schläge zu bewegen, wieder aufzustehen, wenn sie nur
wenige Okka *) über das gewohnte Gewicht beladen wer-
den. Sie murren und schreien laut, wenn man sie in
- - - - -
) Ein Okka ist zwei Pfund.
- -
4150 Zweytes Buch. Zehntes Kapitel.
diesem Falle aufzustehen nöthigt; bewegen sich aber nicht
von der Stelle. - -
Ich besuchte die den Armeniern angehörige Indienne-
fabrike; auch hier das Entgegengesetzte von uns. Die
Drucker sitzen mit Kreuzweife übereinander geschlagenen
Beinen, wo nur ein Platz zum Sitzen sich findet, den
ganzen Tag über, und fetzen den Model gleichwohl mit
einer Schnelligkeit und Genauheit, die in Erstaunen fetzt.
In allen den kostspieligen Farben, mit welchen bei uns
fo haushälterisch umgegangen wird, wird hier gegeudet.
Bey uns ändert Zeichnung, Model und Farbe immer
und unaufhörlich, hier bleiben sie halbe Jahrhunderte
durch dieselben. Bey uns trachtet man Gefallendes zu
verfertigen auf Kosten des Haltbar-Nützlichen. Hier das
Haltbar-Nützliche ohne Rücksicht auf die mindeste Abände-
rung zu Gunsten des blos Gefallenden. Bey uns ist man
– vorsichtig und geheim mit den chemischen Zubereitungen
und Behandlungen, hier werden sie so offen vorgenommen
wie in einer Garküche.
Smyrna (türkisch Ismir) ist der einzige Platz in
der Levante, welchem gestattet ist, mit Glocken, oder
vielmehr Glöckchen, zum Gottesdienste einzuladen. Der
Pöbel ist hier roher als in Konstantinopel und gegen die
Franken barsch und gehässig. Bei der letzten Revolution
gegen diese, sollen, wie mir ein Augenzeuge erzählte,
unsägliche Greuelszenen statt gefunden haben; die Ur-
fache des Aufstands ward aber mehr oder weniger durch
die Schuld der Franken bewirkt. Es ward nämlich ein
Türke von einem Franken erschoffen. Die Freunde des
Erstern verlangten den Thäter und Genugtuung, dieser
aber wußte sich bald als ein von dieser, bald als ein von
Neckereyen in Smyrna. 154
jener Nation Beschützter anzugeben, und der venetianische,
freichische und noch ein anderer Gesandter, spielten so
lange nach ihrer Meinung mit europäischer Politik, bis
die türkische Geduld brach und sich engend und brennend
in einem Aufstande, durch den Mord einer Menge Fran-
ken, selbst Genugthuung verschaffte. -
Ich ging eines Abends gegen die zerstörte Festung
oben auf dem Berge, um die Aussicht zu genießen; in
einer entlegenen Gaffe fand sich ein Trupp Mohren bey-
derley Geschlechts, die mit Musik begleitet, ihre Tänze
tanzten. Ohne mich aufzuhalten ging ich vorbey; ward
aber nichts desto weniger mit Steinen verfolgt; ein Glei-
ches begegnete mir von türkischen Buben in einer Haupt-
straße. Niemals erfuhr ich das geringste Aehnliche in
Konstantinopel.
11,
-
Geschrieben im Groß - Kairo,
Nach acht Tagen Aufenthalt , ging ich den siebzehn-
ten Oktober zu Schiffe, um die Inseln Griechenlands
zu besuchen. Die Rückerinnerung ehemaliger Unfälle auf
frühern Seereisen im mittelländischen Meere; der ausge-
standenen Stürme auf dem adriatischen, die ganze Länge
von Dalmatien herunter, ward erneuert; ich bestieg nicht
ganz gerne dieß mißliche Element. -
In heftigem Sturm ward abgefahren; in dreyviertel
Stunden hatten wir mehr als eine deutsche Meile zurück-
gelegt; plötzliche Windstille trat ein; das Schiff blieb,
452 Zweytes Buch. Eilft es Kapitel.
wie angenagelt; es ward Nacht. Donner und Blitz roll-
ten und zuckten in einem fort, und ich hatte Angst die
schlimme Nacht zu überstehen. Sie war unnöthig! Das
Gewitter dauerte bis am Morgen mit vollkommenster
Windstille; dann erhoben sich später Gegenwinde; mit
mühsamem Lavieren ging es langsam vorwärts. Die Reife
dauert gewöhnlich zwei Tage ; mein Vorrath von Lebens-
mitteln war für nicht viel länger eingerichtet, und ich
mußte mich die drey übrigen Tage mit Brod allein begnü-
gen. – Noch hatte ich Caffee und Wein und war fomit
nicht zu beklagen! – Seitwärts in einer mäßigen Ent-
fernung von uns, lagen bald Infeln, bald fllaches Land,
auf welchen letztern kleine weiße Hügel, wie sehr großt
Heuhaufen, dem Dutzend nach, einer am andern sich zeigt
ten. Schnee konnte es in diesem warmen Lande nicht
feyn, und doch war es so blendend weiß!
Es war Salz das hier auf der ganzen Oberfläche und
in den Tiefen sich so häufig findet, daß man nur mit
Schaufeln es zusammenfcharren kann, um ganze Schiffs-
ladungen im Augenblick aufzuhäufen; ich wäre gerne ans
Land gegangen, aber die See ging hoch und ich war we-
nigstens noch eine halbe Stunde davon entfernt. Delphi-
nen geleiteten das Schiff in Menge; oft zählte man gegen
ein Dutzend auf einmal in der Nähe desselben. Türken,
Creolen und Mohren waren meine Schiffsgesellschaft. Ich
war der einzige Getaufte, doch kam ich erträglich mit
diesen fremden Gesichtern und Farben aus. ,
Seio. 453
12.
Seio ist als eine der schönsten und größten Inseln
des Archipels beschrieben. Die Einwohner sind thätige,
spekulative Kaufleute; alle reifen, und in den meisten
entfernten Handelsplätzen findet man Seioten. Die Insel
scheint wenig urbar und bietet von Außen längs dem Meere
nur kahle Felsen dar, aber in ihrem Innern findet sich
prächtiges Gelände. -
Fast nirgends in Griechenland sind Wirthshäuser üb-
lich; ich ward demnach in ein Kapuzinerkloster einquar-
irt, in welchen sich gegenwärtig ein einziger Pater auf-
hielt. Er war aus dem italienischen Tyrol; ein ver-
nünftiger, aufgeklärter, einsichtsvoller Mann, defen Um-
gang mir Vergnügen machte; als Gast befand sich gerade
ein junger Arzt von Lukka gegenwärtig, der mehrere
Jahre in Aegypten zugebracht hatte, und beynahe zur
gleichen Zeit mit mir wegen der Pest aus Konstantinopel
entwich. Die Zelle, die mir zur Wohnung diente, war
enge und dunkel, oben aber war ein großer, geräumiger
Saal und ganz oben ging man auf'm Dache spazieren,
Welche Aussicht! Welches Vergnügen für mich! Italiens
Klima und Asiens Produkte. Aus den gleich unten
liegenden duftenden Orangenwäldchen tönten die Stimmen
einer Menge von Nachtigallen; weiter, in der Ferne, un-
fruchtbare, kreidenartige Felsen; romantische Parthien
von Homers Vaterland; auf der andern Seite beschifftes
Meer, belebte Küsten, und des Archipels reizende Ansicht
mit den fernen Inseln ! - -
Auf der Teraffe dieses stillen, ruhigen, mir so an-
gemessenen Aufenthalts, genoß ich eigentlich glückliche
454 Zweytes Buch. Zwölftes Kapitel.
Stunden. Bald war es die Einsamkeit, bald die anzieh-
enden Gespräche der beyden Einsiedler und öfter noch
das belehrende Buch, was mir diesen Aufenthalt so theuer
und lieb machte,
Ueber Klöster und Klosterleben an einem solchen Orte
Betrachtungen anzustellen, ist ganz begreiflich. Durch den
Gang und Drang der Zeiten und Zeitumstände find diese
Institute beynahe durchgehends aufgehoben und von Vor-
urtheilsfrey feynwollenden Menschen in unserm aufge-
klärten Zeitalter für überflüßig erklärt worden. Jede
Einrichtung, Anlage, Anstalt in der Welt artet endlich
von ihrer ursprünglichen Bestimmung aus, und es ist nicht
zu leugnen, daß auch die Klöster nach und nach den Geist
ihrer Stiftung verloren; aber, indem man den Stab über
fie brach, schüttete man auch das Kind mit dem Bade
aus! . . . . Wer hat denn jetzt den Genuß, den vorher
oder ehmals die Klöster hatten ? Einst ward an geist-
liche Behörde erstattet, was jetzt an weltliche, an Civil-
oder Militairbehörden muß abgegeben werden: gutwil-
lig, wenn auch oft durch Vorurtheil mehr oder weniger
geleitet, trug ehemals jeder fein Schärfchen nach der
Opferbüchse in Tempel, und hatte noch die Freudigkeit
zu wähnen, ein gutes Werk verrichtet zu haben. Mit
Zwang wird jetzt das Gleiche und noch mehr erhoben,
mit Widerwillen bringt das Volk feinen Tribut nun als
ein Muß dar, und zwar an beide, die geistlichen und
weltlichen Behörden, wo dann noch bisweilen nach Will-
kühr, Laune und augenblicklicher Stimmnng, zufolge dem
Recht des Stärkern, verfahren wird. Die Sache hat den
Namen nur verändert, nicht aber ihre Natur, vorher be-
zog Hinz, jetzt Kunz! Mögen immerhin tenter hundert
Mahomeds Wunder. 155
dieser vertilgten Anstalten neun und neunzig nicht dem
Zwecke der ersten Stiftung entsprochen haben, so ward
es doch vielleicht die hundertste! Wie vieles in beinahe
allen wissenschaftlichen Fächern ward nicht in stillen Klo-
ferzellen gethan und gearbeitet! Wie viele Entdeckungen
felbst in der Sternkunde, Scheidekunst, Größenlehre,
Sprach- und Länderkunde u. f. w. verdankt man ihnen
nicht! - *-
Und endlich fand sich doch in dieser Abgeschiedenheit
eine Zufluchts- und Ruhestätte für den Unglücklichen; für
den, der sich zurückziehen wollte vom Gelärm und Gewühl
der Welt, um sich selbst und Erhabnerm zu leben, als
jene gewähren konnte, in ruhiger, religiöser Stille sich
zu bilden für Zukunft und Ewigkeit!
---
Der vorurtheilsfreye und belesene Pater äußerte selbst:
„daß durch die Diener der christlichen Kirche, durch die
Geistlichen selbst, das, was man äußere Religion und
Christenthum heiße, untergraben und je länger je mehr
vertilgt werde, weil sie den Geist der Lehre Jesu nicht
kennen und der bloße Buchstabe tödte. Es war die Schuld
der Christen, sagte er, daß der muhamedanischen Religion
auf die Beine geholfen ward, und er erzählte mir bey
Gelegenheit dieser Unterhaltung eine Anekdote, die nich“
allgemein bekannt sein dürfte; sie betrifft den Ursprung
jenes Berges bey Mekka, der noch jetzt täglich - an-
Wachst, -
Mahomed, der nicht fchreiben konnte, bediente sich
zu Bewirkung seiner Wunder eines gewandten christlichen
Mönchs, dessen Gewinn es war, die Vortheile mit seinem
156 Zweytes Buch. Zwölftes Kapitel,
Herrn zu theilen, ohne das Ende der Belohnung zu ahnen,
Der Koran soll von diesem Mönch geschrieben worden
feyn. Mahoned aber, um sich allein geltend zu machen,
fuchte ihn für immer zum Schweigen zu bringen und sich
feiner zu entledigen. Der verschmitzte Türke ergriff bey
Anlaß des Hauptwunders, welches er ä wollte,
die Gelegenheit, seinen bisherigen Gehülfen zu verderben.
In öder, steinigter Gegend bey Mekka war ein tiefer
Brunnen; mit zahlreicher Menge Volks ging der Pro-
phet dahin; ein weißes unbeschriebenes Buch hielt er hoch
empor: „wenn es trocken und beschrieben wieder aus dem
Brunnen herauskommt: so ist es Gottes Wort!“ rief
Mahomed. In der Tiefe war der Mönch versteckt und
wechselte feine Handschrift mit dem weißen Buche, die
ihm fonst in Allem ähnlich war; heraufgezogen ward das
Seil, und – o Wunder! – beschrieben war das vor-
her weiße Papier. Es war der Koran *)! „Zum An-
denken des Wunders,“ – rief der Prophet der erstaunten
Menge zu, „werfe jeder einen Stein in den Brunnen,“
Im Augenblicke flogen unzählige Steine in den Brunnen
hinab, und bis auf den heutigen Tag hat der Bewirker
des Wunders keinen Laut mehr von sich gegeben. Jeder
Pilger wirft zum Andenken noch jetzt einen Stein auf
" . - -
- -
*) Sonst wird auch erzählt, „daß auf himmelblauem Papier
mit goldenen Buchstaben die Blätter des Korans vor al-
lem Volke einzeln, vom Himmel herabgefallen wären,“
was Mahomed in gewissen Tempeln, wo das Licht von
oben herabfällt, gewiß einrichten konnte. - -
- - - -
- - -
Sympathie. 457
den Berg von Steinen, und es hat also keine Roth, daß
der Mönch zum Verrathe wieder herauskomme.
Es ist sonderbar , wie der Mensch durch einen gehei-
nen unerklärbaren Zug unwillkührlich zu Menschen hinge-
zogen wird, mit denen er, wäre es auch nur kurze Zeit,
gleiches Schicksal hatte. Ich ging durch eine Gaffe von
Scio, vier bis fünf Neger faßen beyfammen unter der
Menge; plötzlich erhoben sie eine Gattung von Freuden-
geschrey und winkten mir zu: als ich näher kam, erkannte
ich sie für dieselben, welche mit mir auf dem gleichen
Schiffe waren. Ich hatte nie ein Wort mit ihnen ge-
wechselt, aber durch Gebehrdensprache gaben sie mir zu
verliehen, daß sie mir hold wären! Früher und später
hatte ich den gleichen Fall mit Türken und Armeniern,
13,
Um die weitere Reise von Scio mußte ich mich selbst
kümmern. Niemand that nur einen Schritt für mich.
Ich wollte nach Rhodos, und es war schwierig, mit
meiner wenigen Sprachkenntniß in einem lebhaften, g"-
drängvollen Hafen nach Wunsch ein taugliches Schiff
auszufinden. Da nur die türkische Flagge nichts zu be-
fahren hatte, so wollte ich auch keine andere wählen,
Der Anblick eines französischen Korsars im Hafen felbst,
der ein englisches Schiff weggenommen hatte, empfahl
Vorsicht. » - -
Endlich fand sich eines, und ohne an weitere Be-
deutlichkeiten mich zu kehren, war in fünf Minuten der
158 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel,
Vertrag abgeschloffen. Ich bestieg das Schiff. Aber ein
heftiger Syrokowind verhinderte, während vier bis fünf
Tagen, die Abreise; der Regen drang durch die Kajüte;
die Mäufe fraßen einen Theil meiner Lebensmittel, das
übrige des Vorraths veraltete, und eine Menge verschiede-
nen Ungeziefers raubte mir Ruhe und Frieden. Endlich
änderte der Wind und eine frische Tramontana machte die
Anker lichten, -
Jetzt erschien ein Troß noch nie gesehener Mitreisen-
der; schwarzgelbe, wilde Gesichter aus den südlichen In-
feln des Archipels und von der Küste der Barbarey, Al-
baneser und Mohren; ich war in übler Gesellschaft! Am
meisten unheimlich war mir ein Kerl aus Tripoli, der sich
in der Kajüte eingenistet hatte; nach feiner eigenen Aus-
sage mordete er. Mehrere in Konstantinopel und war also
auf der Flucht. Immer erkundigte er sich nach dem Werthe
meiner Uhr; fragte wohl auch: „, ob ich viel Geld bey mir
hätte?“ Ich fagte ihm: daß ich Depeschen an den engli-
fchen Konsul nach Rhodos hätte, ohne zu wissen, daß ei-
ner daselbst war, und anders mehr, das mich sichern und
ihn schrecken konnte. Am meisten beunruhigte mich die
Einigkeit und das öffentliche Leifereden der ganzen Bande
unter sich. Ein Jude und feine Familie waren, ohne
jene Gesellschaft, die einzigen Paffagiere in einem Winkel
des Schiffs, -
Es mochte Nachts zehn bis eilf Uhr feyn, es war die
zweite der Reise, und ich schlief ruhig, als Lärm aufm
Verdeck entfund. Der Tripolitaner kam eilends daher
schnaubend, und richtete bey zwanzig Schießgewehre, die
sich in der Kajüte befanden, in Ordnung. Ich war noch
im Taumel des Schlafes und konnte von ihm den Zweck
W
14,
Vergebliche Beforgniß. 459
dieser Manipulation nicht erfahren; zum Loch aus der
Kajüte heraus kriechend, fah ich, wie man auf'm Ver-
deck beschäftigt war, zwey kleine verrostete Kanonen Schuß“
fertig zu machen. Diese Aussichten beruhigten mich nicht;
noch weniger, als mir ein Matrose ins Ohr raunte: „Al-
gier!“ Jetzt hatte ich auf einmal das Räthel gelöst:
Seeräuber *)! -
Das Unerwartete dieses Ereigniffes ergriff mich; ich
hatte früher keinen Gedanken an dieß Uebel. Ich fing an
zu zittern, daß die Zähne klapperten ! In Sklaverey zu
gerathen, war mehr als ich ertragen mochte; indeß war
ich bald getröstet, da man mir zu verstehen gab: „daß
Alles niedergehauen würde.“ Der erste Schreck hatte fieh
gelegt; ich kroch wieder hinunter in die Kajüte; die Helle
brachte auch Licht in meine Seele, vorbey war die Furcht;
ich stürzte ein Glas Wein herunter; siedend heiß überliefs
mich; – mit dem Säbel arbeitete ich mich wieder aufs
Verdeck; jetzt waren die meine Bundesgenoffen, vor de-
nen ich kurz vorher nicht sicher zu feyn glaubte. Es galt
zu siegen oder zu sterben! Es war mir, ich weiß nicht,
wie fo lustig, und ich war Tropfs genug, es mich ver-
driefen zu laffen: nicht fchon Schiff an Schiff zu seyn !
Auch diese Hitze verlor sich und eine Stunde später
lachte die ganze Schiffsmannschaft. Der gefürchtete Feind
war ein freundliches, türkisches Schiff, das sich wegen
uns so fehr ängstigte, als wir uns wegen ihm. Der Paß
war übrigens berüchtigt, wegen Gefahren dieser Art.
*) Mit Algier war indeß die türkische Flagge befreundet; es
waren eigentlich Piratten, die man befürchtete, eine Gat-
tung Filibustier, fo nichts fchonten.
460 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel.
Die Fahrt auf'm Archipel ist fast wie auf einem See,
nie verliert man das Land aus dem Gesichte, und Inseln,
groß und klein, nicht den Hundert, sondern dem Tau,
fend nach, eine an der andern, oft nur Felsenbrocken
steigen aus dem Gewäffer empor, unaufhörlich ist das
Auge mit neuen Gegenständen beschäftigt. -
Das Aeuffere dieser Inseln, den Küsten nach, scheint
rauh und wild, die Ufer bilden steile Felsenwände; we-
nig oder kein Anbau des Landes ist sichtbar, auffer wo
ein Hauptort als Hafen gilt; wo sich kein solcher findet,
kann auch nicht gelandet werden; zuweilen bey heftigem
Gegenwinde sieht sich der Schiffer genöthigt, obgleich
scheinbar überall mit Land umgeben, bey zwanzig und
dreyßig Stunden rückwärts zu fahren, um nur Anker
werfen zu können. Tiefer im Lande schüfe man Para-
diese, wenn man sie schaffen wollte, wie man könnte;
denn das Klima ist herrlich und die Erde unvergleichlich.
Die Reise zog sich wegen Gegenwinden sehr in die
Länge; man landete zweimal, fand aber wenig oder
nichts. Die Judenfamilie war am übelsten dran; ver-
stoffen in ein Loch, wo sie von den Mäusen fast aufge-
zehrt ward und gar nichts mehr zu effen hatte, befand
fie sich in der traurigsten Lage; zwei Kinder von ein
und zwei Jahren, elend und ungesund; ein Bube von
ungefähr fünf, schon frech und unverschämt, machte das
Trio der Kinder aus, welche alle, so wie ihr Vater und
Mutter, die Köpfe mit schmutzigen Lumpen siebenfach
umwunden hatten. So auferzogen, wie wäre es möglich
sich an Reinlichkeit zu gewöhnen? Es scheint diese Tu-
gend aber bey diesem Volke eine ganz unbekannte Sache,
wenigstens im Allgemeinen, zu seyn, Wie der Körper,
–-m-
---
Juden familie in Schiff, 461
so ist die Seele bey ihm! Ich gab ihnen Anfangs ge-
salzene Fische; das erste Mal ward gedankt; späterhin
nicht mehr; eben so wenig, als ich in der äußersten
Noth ihnen Brod mittheilte. Dieß war ganz aufgegan-
gen; ich hatte schlechterdings felbst nichts mehr als Kalva;
die letzte Nacht gab ich ihnen den Rest, um die Kinder,
die fast verhungerten, zu erfreuen. -
Damit fiel doch auch fähen, was ich ihnen darreichte,
gab ich dem Juden mein Wachslicht; er nahm es ohne
ein Wort zu verlieren an, und ich blieb im Dunkeln in
der Kajüte, in der Meinung, daß dieß ein Beweggrund
für sie feyn würde, ihr Mahl zu beschleunigen, wozu
keine Viertelstunde nöthig war. Keineswegs! Vergeblich
nahm ich mir vor, es abzuwarten, wie weit die Unver-
fchämtheit gehen würde. Nach Verfluß von mehr dann
einer Stunde verging mir die Geduld; ich rief hinunter:
mein Licht!“ endlich brachte ers, nebst der leeren,
ungewaschenen Schüffel; ich erwartete, daß er wenigstens
eine Aeufferung von Zufriedenheit zu erkennen geben
würde, „daß es den Kindern geschmeckt“ oder so etwas;
aber nichts von alle den ! Kein Ton dieser Art kam aus
seinem Munde, sondern einzig die Frage: „Na, hat der
Herr nicht ein Gläschen Schnapps?“
Dieses Volk überhaupt hat noch wenig aus der
Art, oder vielmehr Unart, geschlagen. Wie wir es im
alten Testamente finden, so ist es noch! Feigheit, Nie-
derträchtigkeit und Unverschämtheit scheinen die, es eigen-
thümlich bezeichnenden, Eigenschaften zu feyn! *)
*- --
*) Einen ähnlichen Beweis hiervon erfuhr ich früher auf dem
s
482 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel,
Mit inniger Freude erblickte ich endlich das berg-
igte Rhodos; ich hatte in jeder Rücksicht Ursache
froh zu feyn, dieses Schiff und die darauf befindliche
Gesellschaft verlaffen zu können. Ich fand wieder Platz
in einem Kloster; es waren zwey Geistliche darinn,
aber weder an Geist noch Herz dem von Scio gleich. Ich
hatte den Anlaß hier, - und späterhin anderswo, tiefer
in den , diese Anstalten eigentlich beherrschenden Geist zu
blicken, und ich fand ihn verhältnismäßig eben so ausge-
artet, als den Charakter der Juden unausgeartet!
Rhodos ist wie Scio ganz von Stein aufgeführt;
wahre Gegenstücke von Konstantinopel und Smyrna;
übrigens, wie alle türkische Städte, enge ineinander ge-
baut. Die hohen Häuser werden, wo die Gaffen am eng-
fen sind, durch Schwibbogen oberhalb, wie durch schmale
Brüggen miteinander verbunden und befestigt; die Länge
beyder Städte mag jede etwa eine kleine halbe Stunde
Schiffe, das mich von Regensburg nach Wien führte
Fünf bis sechs Juden, die nichts zu effen hatten, erreg-
ten Mitleiden, da sie in Schnee und Kälte viel rudern
mußten. Wir ließen ihnen zukommen; die Bursche besof-
fen sich, arbeiteten späterhin nicht mehr; wurden frech
und trotzig und zuletzt fand ich, daß mir eine seidene
Kappe entwendet ward, was nur beim Durchwaß durch
die Kajüte von einem derselben geschehen konnte. Was
ich aber hier von diesem Rolke überhaupt urtheile
geht den beffern Theil und die Edlen dieser Nation
nichts an, . -
V
Aufenthalt in Rhodos, 163
betragen, die Vorstädte mit innbegriffen. Man findet
hin und wieder Merkmale ihrer frühern Besitzer, der
Genuefer und Venetianer. Ein in Stein gehauener St.
Paolo ist mit fammt der Innschrift in den Thurm einer
türkischen Festungsmauer angemauert; aus viereckigten,
christlichen Kirchthürmen ragen runde, türkische Minarets
höher empor. -
Die Hausgänge und Galerien der meisten Häuser,
find mit Steinen einer Hafelnuß groß, von zweyerley
Farbe, besetzt, und bilden eine niedliche in das Auge
fallende Mosaik-Arbeit. Am Ufer des Meeres, wo der
Million nach folcher Steinchen aufgehoben werden können,
ist die Auffindung derselben eine leichte Sache; so wie
man länger auf diesem Pflaster geht, fchleifen sich die
fchwarzen sowohl als die weißen Steine ab, und bald er-
fcheint der Boden, wie von Zuckerzeug gegoffen.
Auf Rhodos waltet ein herrliches Klima; felten ver-
geht ein Tag im ganzen Jahr, daß man die Sonne nicht
genieße; der Boden ist zur Erzeugung aller Gewächse,
wenn man sich nur die Mühe nimmt sie zu pflanzen, geschickt
Und überaus fruchtbar.
Im Garten des Klosters fand ich in der Mitte No-
bembers, kaum halbreife Trauben an denselben Stöcken
wo zwei Monate früher schon überreife hingen. – Die
Frucht des Nektars, den die alten beschrieben, soll in die
für Gegend den Ursprung gehabt haben! Zum Erstenmale
feh ich auf dieser Insel die Frucht des Palmbaums, die
süße Dattel, von ferne wie Kirschkörbchen aussehend,
bringt sie unter den fünfzehn bis zwanzig Schuhe langen
Wien rund um den Stamm herunter; goldgelb sind die
L 2
164 Zweytes Buch. Dreizehntes Kapitel.
Stiele und zinnoberroth die Früchte, dem Tausend nach
an einem Büschel. Wie Federbüsche ragen die schönen
Bäume, auf unglaublich hohem Stamme, bis achtzig
Fuß Höhe und in gleicher Dicke, oben wie unten, über
alles die Umgebende empor; ein fanftes Grün schmückt das
Blatt, und der Baum bringt alles mögliche Nützliche,
Die bei uns so seltenen Orangen verkauft man hier Halb-
dutzendweise um einen Kreuzer, die Zitronen find noch
wohlfeiler.
Nicht einmal eine Spur mehr, konnt' ich von dem
ehmaligen Wunder der Welt, dem Koloffen, erfahren;
nicht einmal eine Muthmaßung, wo er gestanden haben
- möchte; wahrscheinlich aber über der Einfahrt in den Ha-
fen, welche wenigstens die Möglichkeit andeutet, voraus-
gefetzt, daß das Oertliche feit der langen Zeit keine Ver-
änderungen erlitten habe. - -
Hier sowohl als in Scio - findet sich das Ufer des
Meeres von Windmühlen besetzt. Da sie aber nur von
Einem Winde in Bewegung gebracht werden können,
fo entsteht oft große Theurung und Seltenheit des Bro-
des aus Mangel an Mehl; auf beyden Plätzen bezahlte
nuan dieß zu ungeheuerm Preiß aus eben erwähnter Ur-
fache. Auch in den Gärten finden sich Windmühlen, um
Waffer aus den Sodbrunnen heraufzupumpen, damit aus
den oberen Behältern das Gelände bewäffert werden könne
Hier erfuhr ich eine zweite Probe türkischer Ehrlichkeit“
der in Srio ähnlich; ich kaufte nämlich an letzter in Orte
Orangen, frug nach dem Preife und vernahm „zwey“ umt
einen Parah; ich aber verstund ein um zwey Parah,
bezahlte so viel und ging. Der Mann rief mir nach,
ich kehrte um, und er bot mir noch drey andere, die
mir nach feiner Rechnung noch gehörten,
Aufenthalt in Rhodos. 165
Hier kaufte ich benöthigte Tellerchen aufs Schiff;
ich befah zwey und wählte eines. Ich frug nach dem
Preife, er war zehn Parahs, ich bezahlte neun; es ward
angenommen. Ich ging mit dem Blättchen weiters, schon
mehrere Schritte von dem Kramladen entfernt, ward ich
zurückgerufen und erhielt das zweyte auch noch. Ich
glaubte, der Preis verstünde sich fo von einem und be-
käme das andere geschenkt. - -
Etwas Aehnliches im Größern ward mir von einem
Geistlichen des Klosters, als Augenzeugen, erzählt; öfters
entlehnte ein Türke (Geld von einem Franken; als fein
Bekannter geschah dieß ohne Schein und Verschreibung.
Der Franke, ein Kaufmann, ward auf weiter Reife
umgebracht; der Türke fiel späterhin krank und starb.
Nach geraumer Zeit brachte der Sohn des Türken dem
Sohne des Europäers die entlehnte, nicht unbeträchtliche
Summe, von welcher dieser nichts wußte, und die An-
fangs gar nicht annehmen wollte, – Christliche Sitten-
lehre und türkische Ausübung !
14.
Im Basar von Konstantinopel, von Smyrna, Seres,
Scio und allen übrigen levantischen Märkten, ist's Landes-
fitte gemäß, dunkel. Die Kleinwaaren liegen unter ein-
ander, als ob sie. Niemand angehörten, und ein mittelmä-
figer, europäischer Schelm könnte hier sicher in einem
Tage sein Glück auf Jahre machen. Nichts dergleichen
hört man hier; als wie streng bewahrt, bleibt hier un-
verwahrt das Geringste wie das Wichtigste; und was
z
166 Zweytes Buch. Vierzehntes Kapitel.
dem Herzen wohl macht, ist, daß es nicht die Furcht
vor der Strafe des Diebstahls als vielmehr guter Grund-
fatz zu feyn scheint, fremdes Eigenthun als heilig zu
achten, obschon denn doch auch nebenbey sich bey aller
fcheinbaren und wirklichen Ehrlichkeit vieles findet, wel-
ches nicht sogar heimlich macht.
Die Vögel sind auf dieser Insel wegen ihrem Futter
weniger fchlimm daran, als die Menschen; oft ist dieß
aber in dem größten Theil der Türkey der Fall. Vor
allen Kramläden, wo Reis, Korn und dergleichen ver-
kauft wird, find aufferhalb Gefäße voll dieser Lebens-
mittel, und bisweilen ganze Flüge von Spatzen darauf,
welche sich nach Lust sättigen, ohne daß jeder Türke sie
zu stören sich unterfänge. Das gleiche ist beim Aussäen
der Frucht; ganze Schaaren folgen nach und freffen einen
nicht unbeträchtlichen Theil weg. Der Säemann würde
es für Sünde halten, nur einen dieser Diebe zu ver-
jagen. "
Nie fah ich in einem Lande, wo Alles in ueberfluß
zu haben feyn sollte, ein solches Reißen und Kämpfen
um Lebensmittel, wie in Rhodos, nicht anders als wäre,
die größte Theurung eingeriffen! Vor einer Krambude
war ein Gedräng von dreißig bis vierzig Menschen; ich
mischte mich unter fie, um zu fehen, was es gäbe. Trau-
ben waren zu kaufen, und nichts anders; unweit davon
derselbe Lärm, schlechter Kohl ward feilgeboten und je
des Blatt auf die Wage gelegt.
-
Entschluß nach Cypern zu reifen. 167
Bald dachte ich an das Weiterreisen. Meinem frü-
hern Plane zufolge follte Griechenland gelten, um in den
Ruinen des neuen, die Größe des alten aufzufuchen,
Aber das lebhafte Gefühl, daß ich nicht genug mit der
Geschichte des letztern bekannt, oder vielmehr vertraut
war; dann, die Abneigung gegen die Neugriechen, deren
Denkungsweise ich bis jetzt nur von schlechten Seiten ken-
nen lernte, schreckten mich davon ab. Ich wählte anders
um so mehr, da ich ohnehin nicht genug Begeisterung in
mir fühlte, zerstörte Meisterwerke und traurige Ueber-
bleibsel ehmaliger Größe mit poetischem Sinne zu betrach-
ten; dieser war schon früher durch das, was ich in
Rom und Sizilien fah, etwas abgekühlt, und was Scio
und Rhodos in diesem Fache mir darboten, war nicht
geeignet, ihm einen neuen Schwung zu geben. Mein
Entschluß war: nach Cypern und dann von dort aus
nach den merkwürdigen Aegypten hinüberzusetzen, um
inter feinem Himmelstriche statt einen Winter, einige
Frühlingsmonathe zu verleben.
Es war seit acht bis zehn Tagen schrecklich stürmi-
fche Witterung, kein Schiff konnte abfahren. Alles
harrte auf mehr Ruhe und veränderten Wind. Jeden
Tag wanderte ich nach dem Hafen, um eine Gelegenheit
nach Cypern ausfindig zu machen. Mit Mühe fand ich
zwey auf einmal; das eine Schiff war aber unlängst mit
der Pest behaftet gewesen, und das andere verlangte ei-
nen unverschämten Preiß.
Der Wind änderte. Es galt abzufahren; die beiden
Patres im Kloster waren ohne Bediente, ich mußte also
den Einkauf meines Vorraths von Lebensmitteln und die
Fortschaffung desselben in das Schiff selbst besorgen.
168 Zweytes Buch. Fünfzehntes Kapitel.
Mit meinem Korb im Arme, wanderte ich von einem Ende
der Gaffe zum andern. Hier kaufte ich Butter zum Pillau,
das ich felbst zu kochen hatte, dort Käfe; hier Kastanien,
dort gesalzene Fische. Fleisch fand sich keines um alles
Geld, das ich bot; ähnliche Beschaffenheit hatte es mit
den Eyern und dem Geflügel; schlechtes Brod mußte
man mit Kämpfen erwerben, nichts anders. Genießbares
fand fich; der Vorrath ward gemacht, aber mit welcher
Gelegenheit ich weiters konnte, das wußte ich noch selbst
nicht! Um zehn Uhr noch wollte ich abfahren nach Cy-
pern, und um eilf Uhr flieg ich ein, um – nach
Alexandrien zu fegeln!
---
15.
Wenn je die Extreme sich berühren, so geschieht's
bey einer Seereise, höchst gefällig, und höchst ungefällig:
zur guten oder bösen Stunde, kann man es treffen. –
Das italienische Sprüchwort: „In hundert Meilen nicht
ein Brod, und mit hundert Broden nicht eine Meile,“
ist nicht unpaffend. Geld und Zeit-Ersparniß bey dem,
1welchen das Glück begünstigt; Geld und Zeit-Verschwen-
dung und obenein unbehagliche Lage, wo es fehlt. Der
rasende Sturmwind, der fo günstig, eigentlich mit Pfei-
leschnelle uns vorwärts jagte, fchien uns für das lange
Warten schadlos halten zu wollen, doch durfte man nicht
voreilig laut thun, da ein anderes Schiff gleich vor uns
herfuhr, das vor acht Tagen unweit Alexandrien war
und dennoch wieder, die ganze Meeresbreite des Busens
zurück, in den Hafen von Rhodos verschlagen wurde.
"Schiffs gefellfchaft. 169
Die See ging die Nacht über gewaltig hoch, das
Schiff fuhr mit schwindelnder Schnelligkeit in die Tiefe
der Wogenthäler und schwebte dann in Abgrunde, wie
zwischen hohen Felsen. Es war warm und das Waffer
sprühte elektrische Funken *). Es ist eine sonderbare Em-
pfindung, keinen festen Standpunkt mehr für das Auge
zu finden; nichts als Himmel und Waffer und die Spam-
genbreite der zusammen genagelten Bretter, welche den
frechen Wanderer vom Tode scheiden.
Der Anblick der stürmischen See ist ungemein erhe-
bend für den, den das Gewagte der Sache nicht schreckt.
Stundenlang bey Tag, wie bey Nacht, genoß ich des er-
greifenden Schauspiels, und ich hätte es wahrlich, mit
keinen andern vertauscht.
Die Schiffsgesellschaft bestand aus türkischen Kauf-
lenten, Mohren und Arabern, zu meiner Freude war
noch ein Jude von Livorno *, darauf, mit dem ich we-
nigstens sprechen konnte. Obgleich ich in mancher meiner
Lebenslage, so zu sagen gewohnt war, gesellschaftslos zu
feyn, oder, wenn Andere sprachen, halb stumm zu blei-
ben und den Wahlspruch bestätiget fand: „ meglio solo,
che mal accompagnato;“ so gestehe ich auch gerne, daß
mir jetzt die Unterhaltung eine eigentliche Annehmlichkeit
gewährte.
*-
- *) Zuweilen bey farkem Ungewitter Sommerszeit soll das
f Feuer durchs ganze Dauwerk hinaufkriechen und fo helle
- machen, als ob das Schiff beleuchtet wäre.
") Der es aber für aerathen und aut fand, fein Glaubens-
bekenntniß zu verleugnen und sich für einen Christen
geltend zu machen. -
470 Zweytes Buch. Fünfzehntes Kapitel.
Ich hatte Bücher und Papiere, also unterhaltung
in fo weit genug. Oft störte mich aber auch hierinn das
Mißtrauen der Türken; ihnen, die nicht gewohnt find zu
liefen oder zu fchreiben, kommt diese Beschäftigung an
Fremden höchst seltsam vor, und bald schöpfen die Arg-
wohn und mennen, es geschehe oder entstehe dadurch et,
was Nachtheiliges für sie oder ihr Land,
Als der gelehrte Pater Sicard seiner Zeit als
Emiffär Aegypten durchreiste, hinterbrachte man dem
Gouverneur: „ dieser Mann ginge damit um, vermittelt
Zaubernägeln den Ausfluß des Nils zu vernageln und den
Strom rückgehend zu machen.« Der arabische Fürst gerieth
in die größte Verlegenheit über die Gefahr feines Landes,
und Sieard würde nicht durchgekommen feyn, wenn
nicht feine Janitscharen sich für ihn verbürgt hätten,
Mehr oder weniger ist es auch jetzt noch ein Leich-
tes, den Levantinern einen Floh dieser Art ins Ohr zl
fetzen, da diese gänzlich ungebildete und gegen alle Euro-
päer Mißtrauen hegende Nation bald Alles, was sie nicht
verstehen, als Hexerey und Zauberer ansehen, Ging ich
auf einen Berg, um die Gegend zu betrachten, so meyn-
ten fie, es geschehe um ihr Land auszuforschen *); las
ko
“) Jeder Maya (eingeborner Grieche oder Fude der geplant)
- muß auf der Reife fein Patent bey sich führen, um es
- bewm Anfragen aufzuweisen. Diese Patente oder Kopf-
feuerfcheine werden alle Jahre umgeändert und wechsels
weife auf arün, gelb, roth Pavier, jedes Jahr von einer
andern dieser drei Farben erneuert. Jeder Raya, vom
fünfzehnten Jahr an, hat diese Abgabe der Kopfsteuer
zu zahlen. Namen und Geschlecht, Aeltern und Wohnort
d
Landung in Afrika, 471
ich, fo konnten sie nicht begreifen, wie man fo lange still
da sitzen könnte; schrieb ich, fo fchöpften die Argwohn
und zeichnen durfte ich nun gar nicht.
Auf den heftigsten Sturm erfolgte Windstille; zwey
Tage blieb man auf den gleichen Flecke, endlich am fünf
ten des Morgens fah man flaches Land, und freudig
betrat ich Afrika! - -
des Vorweiler befinden sich auf dem Zettel. Dieser Ge-
nauigkeit ungeachtet, versicherte mich ein Grieche, foll
denuoch manche List, sich durchzustehlen, statt finden.
- - -
-
Drittes Buch.
Aufenthalt in Aegypten
s s
bis zur
Abreise nach Syrien und Palästina,
K. a p i t e l
4.
T-
Geschrieben in Fajun, ehmals Arfinor, in Oberägyptet.
, S war Aegypten *), das Land, das ich in frühester
Jugend besser kannte, als St. Gallen, und wo ich vom
roten Meere, mehr zu erzählen wußte, als vom Bodensee f
erreicht und betreten. Wie viele Rückerinnerungen, durch
Länge der Zeit halb vergeffen, erneuerten sich! Lebhaft
schuf die Einbildungskraft Szenen vergangener Zeiten,
die Zeiten der Patriarchen (wie dieselben uns das alte
Testament beschreiben ); und sie leitete mich fort auf die
Geschichte der Drangsale des jüdischen Volkes; fort in
die Zeiten des neuen Testaments, die Tage fo vieler Er-
eigniffe, die billig intereffiren, und bis auf die neueste
Zeit: die Besetzung dieses Landes durch die Franzosen
und ihren Rückzug, die diese Gegend so denkwürdig mach-
len; aber, wie die Geschichte des Volkes, so find feine
Denkmäler aus der grauen Vorzeit, welche sich in Pyra-
miden und Obelisken erhielten, und dem Zahne der Zeit
Jahrtausende widerstanden, jetzt noch als Wunder der
*) Türkisch Elkohit.
476 Drittes Buch. Er ist es Kapitel,
alten Welt in zusammengestürzten Säulen und andern
Werken der Baukunst zu bewundern, indem sie von jenem
kühnen Geiste zeugen, der ihr Schöpfer war.
In Alexandrien *) ward gelandet. Beynahe tiefer
als das Meer fcheint das Land zu liegen; man kann von
diesem nichts entdecken, bis man es erreicht hat. Die
Einfahrt in den Hafen ist wegen den Untiefen sehr miß-
lich. -
Nichts als gelbe Sandhügel und etwelche Einfägge,
von Palmbäumen beschattet, bieten sich beim Aussteigen
im Hafen dem Blicke dar, hoch über die Palmen aber
reicht die Pompejusfäule, und die Obelisken der Kleopa-
tra winken hart am Ufer. Weiterhin liegen ganze und
zerbrochene Marmorsäulen. Uebelbeschaffene Wohnungen
machen mitten unter diesen Ruinen das jetzige Alex-
an drien aus. -
Es war am achtzehnten November, als ich diese,
mir dem Anblicke nach, eigentlich neue Welt, nach
Klima, Einwohnern, Thieren, Pflanzen und Sprachen
mir neu, betrat. Bald nach meiner Ankunft ging ich
außer die Stadt und wandelte auf und über den Trüm-
mern des alten Alexandriens, das sich zu dem heutigen
verhält, wie der Prachtanzug eines persischen Prinzen
gegen die Lumpen eines halbnackten, mit Koth bedeckten
ägyptischen Bettlers unserer Zeit,
Ein Platz im Umfang von mehrern Stunden enthaltet
Zeugniffe davon. Säulen und Marmorblöcke ohne Zahl,
von aller Größe, ragen unter Schutt und Sand hervor,
*) Türkisch Sandria.
Alexandrien, 177 -
- Einst Tempel und Paläste, jetzt Fußboden dem staunen- -
den Wanderer; oft tönt es hohl beim Auftreten oder
wenn man einen Stein stark auf die Erde und den Schutt
wirft. Klaftertief unter meinen Tritten, wer weiß, wie
viel Schätze verborgen für Kunst und Wissenschaft, wie
It - viel von Gold und Silber! dachte ich,
Die verwilderten, braun-schwarzen Einwohner, in ih-
ten Anzuge Mumien gleich, den schmutzigen, verlöcher-
ten Mantel über den Kopf bis auf die Füße fallend, ha-
ben keine Ahnung mehr von der Größe ihrer Vorgäuger.
Die höchste Stumpfheit folgte der höchsten Verfeinerung!
| Das Wichtigste, was für sie aus der alten Zeit übrig
id blieb, sind die Zisternen *), ihre Kamele, ihr übriges
Vieh und sich selbst zu tränken. Unter diesen ist wenig
Abstufung in moralischer Rickicht von den Einwohnern
felbst wahrzunehmen!
Diese Zisternen sind so häufig, daß ein großer Theil
„h des Platzes davon unterhöhlt ist, und es scheint, daß
beinahe jedes bedeutende Haus feine eigene hätte; um
die Oeffnung oben bequem zu haben, dienen die Capitäler
z- von Prachtsäulen, die Zierden ehmaliger Tempel und Pal-
läste, jetzt ausgehöhlt und von den neuern. Bewohnern
haushältrisch auf den Sodbrunnen gepflanzt, der ganzen
Tag von Kameelen und Eseln umringt, um das Waffer
in Ziegenfelle zu faffen und in der Stadt zu verkaufen;
ich sah oft, wie der Treiber seinem Vieh zu trinken gab
und den Ueberrest in den Schlauch schüttete, um später
die Menschen damit zu tränken. -
*------
') Waffer oder Sodbrunnen in der Erde.
M
/
47s Drittes Buch. Erstes Kapitel.
Die Pompejusäule ist die schönste und größte, die
ich je fah. Alle die von Rom, Sizilien und der Türkey
reichen nicht an dieses gewiß erste Werk feiner Art in
der Welt. Man kann sich heut zu Tage nicht einmal die
Möglichkeit denken, wie eine folche ungeheure Maffe,
aus einem Stücke verfertigt, fortgefchaft und aufgerichtet
werden konnte. Die Höhe mit den Fußgestelle foll hundert
und zehn Schuhe betragen. Tiefer unten ragen gleichfalls
drey ungewöhnlich große Säulen von feinem Gestein bey
etlichen fünfzig Schuhen aus der Erde hervor. Ich über-
gehe die Menge kleinerer von verschiedener Marmorfarbe,
welche bald Gänge , bald Tempel gebildet zu haben schei-
nen. Von den "Obelisken der Kleopatra liegt einer um-
gestürzt; der Granit des andern ist angegriffen durch die
alles zerstörende Zeit, und die Hieroglyphen sind auf bey-
den Seiten stark verwittert und ausgewaschen.
Gelber Sand und Sandhügel überdecken die Gegend,
aber vor Jahrtausenden, als die Säulen und Obelisken
in Tempeln, Palästen und auf Hauptplätzen prangten,
war wohl diese Gegend anders beschaffen, als diese Sand-
wüste! Aus dem heißen Sandboden hebt sich einzig die
Palme empor; feine Frucht, erst grün, dann gelb wie
Seide, dann fcharlachroth, Und jetzt reif braunschwarz,
schmeckt herrlich und erfrischend. Einige Einfänge von
Pflanzungen dieses nützlichen Baumes, unter dessen Schat-
ten Gartenanlagen sind, befinden sich in der Nähe der
Stadt, den einzigen Stellen, wo kühlende Schatten sich
ausbreiten. Ich ward von Arabern in ihren Garten ein-
geladen, um diese Frucht zu genießen; einer aus ihnen
sprach etwas italienisch, und konnte nicht genug über die
Türken, über die Abgaben, welche sie erpreßten, und die
Einwohner in Alexandrien. 479
Behandlung klagen, die sie von ihnen zu dulden hätten.
Die Abgaben schienen mir indeß nicht so ganz unbillig, sie
waren auf die Anzahl der Bäume verheilt; war es ein
fruchtbares Datteljahr, so bezahlte man mehreres vo
Baum, war es nicht gut, weniger. - -
Die gemeine Klaffe der Einwohner ist übrigens ein
fo garstiges Gesindel, wie man es selten anderswo an-
trifft. Ein Theil aus ihnen von schwarzgelber, ein ande-
rer von Eisen- Farbe *). Die meisten tragen kaum ei-
nige Lumpen um die Lenden, die übrigen einen schwarzen,
oder dunkelblauen, oder braunen Teppich, schmutzig und
zerlöchert über die ganze Figur geworfen. Die Lazaroni
von Neapel sind neben diesen wahre Mobili!" . .
So die Weiber. Sie entsprechen in ihrem Costüme
dem der Männer; sie sind im Gesichte, besonders am
Kinn, auf den Armen und an den Händen tatuiert; viele "
aus ihnen, um sich gefallender zu machen, tragen einen
Ring von der Größe eines Neuthalers an der Nase, über
die Lippen herunter, fällt die beschwerliche Zierrath.
Kein Biffen kann in den Mund gebracht werden und an . . .
Ort und Stelle gelangen, bevor der Nasenschmuck in die
Höhe gehoben wird. Die enge Oeffnung, wo das Auge
noch etwelchen Spielraum hat, wird, um das Tuch oder
den Lappen, der über und unter den Augen durchgeht,
zusammen zu halten, bey den Reichen durch gute Perlen-
schnüre oder eine Kette von Dukaten verbunden; bey den
Aernern versieht denselben Dienst auch Silbergeld, mit-
") Woher dieß unter demselben Himmelstriche 2 etwa durch
Vermischung angränzender Völker?
- - - - - -
M 2 - - -
4so Drittes Buch. Erstes Kapitel.
unter sogar Parahs-Geldstücke, wie wir schon früher
bemerkten, von dem Werthe eines halben Kreuzers,
Armspangen und Fußringe, je nach dem Stand der
Personen, vom beßten Golde bis auf Glasringe von allen
Farben herunter, zieren mehr oder weniger alle diese
verbrannten Gesichter und halbnackten Einwohnerinnen,
die meisten bedecken sich mit einem hellblauen, groben
leinenen Tuch, das im Lande felbst verfertigt und gefärbt
wird, -
Das Klima ist herrlich, immer Sonnenschein, nie
ein völlig trüber Tag im ganzen Jahr, und bey Sonnen-
untergang ein so lebhaftes brennendes Abendroth, als ich
fogar im mittäglichen Italien nicht fand. Aber dieß lieb-
liche Klima wirkt schädlich auf die Augen. Oft beobach-
tete ich die Vorbeygehenden, und immer fand ich, daß
wenigstens der Dritte, wo nicht blind, doch einäugig,
oder mindestens fehr angegriffene und leidende Augen
hatte,
Nicht mehr gehört war die sanfte türkische Sprache;
die hier herrschende ist die arabische, hart für Schlund
und Ohr. Der Pöbel fchreyt, daß einem die Ohren gäl-
len; die Geber den entsprechen dem Tone, und Mord und
Todtschlag ist das Wenigste, was man erwartet. Aber,
wie bey einem Zweykampfe oder Gefecht im Schauspiel-
hause, wo keiner dem andern im Ernst etwas zu leid thut,
endigt auch hier das Toben und Wüthen mit einem grol-
lenden Auseinandergehen,
Indeffen ist doch auch dieses Charakteristische in einer
auffallenden Verschiedenheit mit dem der Türken. Sel-
ten, heynahe möchte man sagen, nie, hört man bey die-
Z)
". 181
fen folch unbändiges Toben: sehr oft hingegen statt Wor-
ten – That, fey es mit Pistolen oder Dolch.
Die französische Sprache ist in Aegypten gemeiner
als in der Türkei. Auffer Konstantinopel hört' ich kein
Wort davon, hingegen sehr oft italienisch. Beynahe alle
Griechen und Juden sprechen dieß letztere, felten aber
das erstere. -
Die Straße, in welcher in Alexandrien die Franken
wohnen, ist gleich der in Smyrna längs dem Meere hin
Die Menge der sich hier aufhaltenden ist nicht unbeträcht-
lich. Die Wohnungen der verschiedenen Konsuln sind
dicht aneinander. Alexandrien hat zwey Hafen. Der eh-
mals so berühmte Pharus ist fast ganz zerstört. An der
Spitze der Einfahrt ist ein Festung ähnliches Werk, und
die Laterne bedeutet den nächtlichen Schiffer die Ge-
gend,
Acht Tage Aufenthalt genügten mir hier; ich mißte
das Angenehme einer schattigten Gegend, und, um eine
solche zu genießen, muß man beynahe eine halbe Stunde
über Ruinen und brennenden Sand. Ein Kaufmann
aus Venedig und ein Mahler aus Pisa schloffen sich als
Gesellschaft an mich an, als ich den sechs und zwanzig-
sten November verreiste. s
Klima in Alexandrien.
=----
2.
Geschrieben in Groß - Kairo, -
Nach Rio fette *) ging die Reise, Begreiflich war
*) Türkisch Raschid. - -
182 Drittes Buch. Zweytes Kapitel.
ich entschloffen, etwas mehr von Aegypten, als blos die
äufferte Grenze zu sehen! . . . . Morgens vor Tag stieg
man statt zu Pferde, nach Landes gebrauch zu Esel, und
trabte weiters. Beynahe eine Stunde reitet man über
oder zwischen Ruinen des neuen Alexandriens, das Fran-
zosen und Engländer in die Wette zerstörten. Oft tönte
es unterm Huf der Thiere als ritte man über Brücken
oder Gewölbe. - -
Weiterhin kömmt man an einem Damme, der einst
viele Millionen gekostet haben mag, vorbey. Das Werk
war eine Brustwehr gegen einen Theil des Meers, und
follte dazu dienen, das Waffer des Nils zu benutzen.
Durch die militärischen Verfügungen neuerer Zeit ward
dieses schöne Werk zerstört, und das ehmals fruchtbare
Land in einen Sumpf verwandelt, der durch seine Aus-
dünstung ungesunde Luft und durch diese ansteckende Krank-
heiten verbreitet. - -
Zweymal kamen wir zu Schiffe über Mündungen des
Nils, die mehrere Stunden dauerten, den nähern, wohl
feilern Weg zu Waffer machten wir nicht, weil die Ue
berfahrt des Bogafo *) gefährlich ist, sobald sich der
geringste Wind bey dieser Vereinigung des Stroms mit
den Meere erhebt; man zählt in jedem Jahre eine
Menge Dscherme *), die zu Grunde gehen und ver-
finken.
Die Reise dieses Tages war für mich höchst interes-
fant. So vieles noch nie Gesehene, Neue, Fremde in
*) Mündung, Hauptausfluß des Niks.
*) Schiffe der Ueberfahrt.
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Erfcheinungen in der Sandwüste. 183
allen Gegenständen, die sich mir darboten. Ich war in
meinem Elemente ! Meine beiden Reisegesellschafter fürch-
teten bei etwas hohen Wellen Gefahr und wollten das
Schlimmste zu Land machen; unsere Efel wurden über
Bord geworfen und wir durch entkleidete Schiffer auf den
Schultern an das Ufer getragen, weil das Schiff wegen
Untiefen nicht nahe an das Land konnte. -
Nun führte der Weg längs dem Meeresstrande hin,
der mit schönen Muscheln besäet war. An mehrern Or-
ten lagen todte Fische von zwölf bis fünfzehn Pfund
fchwer, die wahrscheinlich der heftigen Gewalt der Bran-
dung in einem Sturme nicht widerstehen konnten, und
an das Ufer geworfen wurden.
Ueber heißen Sand trabten unsere Thiere einige Stun-
den, als ich eine für mich ganz neue charakteristische
Gegend durchwanderte. Von gelben Sandhügeln war die
Aussicht beengt. Weder Strauch noch Gras war hier
sichtbar. Die Hitze flackerte wie die Bewegung über ei“
nem Feuer, man sah nichts als den grellen, abstechenden,
blauen Himmel von dem zwitzernden Gelb des Sandes,
noch eine Wendung um einen Hügel, und siehe ! auf dem
Gipfel des nächsten ein Beduine mit der Flinte auf dem
Rücken, Pistolen und Dolch im Gürtel, nackt bis auf
denselben, mit langem Barte und wildem Ansehen, also
bot sich diese Erscheinung unserm beunruhigten Blicke dar.
Alle Waffen hatten wir im Schiffe, und wir befanden
uns in seiner Gewalt, wollt er als Feind sich zeigen,
aber er war Freund! Der Treiber rief ihm zu, er
näherte sich und grüßte uns auf arabische Art *), dann ,
') Man berührt sich gegenseitig die flache Hand, legt sie auf
\,
484 Drittes Buch. Zweytes Kapitel.
führte er uns nach feinem Zelte. Wunderlicher Anblick,
einziger in feiner Art! Zwischen diesen gelben Sandhü-
geln, wie vom Winde ungleich zusammen geworfene
Schneehaufen, die das Einförmige dieser Welt unterbra-
chen, erhoben sich zwey Zelte, die Wohnungen des Bedui-
nen und feiner Familie. Das eine schien einzig für ihn
und allenfalls für einen Fremden bestimmt, das andere
für die Haushabe. Man konnte nur darinnen sitzen, und
um hinein zu kommen, mußte man sich stark bücken, in-
deß war zahlreiche Wirthschaft darinn: Hunde, Tauben,
Kaninchen lagerten hier friedlich nebeneinander, die letz-
tern in Höhlen unterm Boden; statt einem Kaninchen
guckte plötzlich ein großer Katzenkopf aus dem Loche her-
aus; daneben auf dem Boden brüteten zwey Tauben in
Körben. - - -
Etwas Fischergeräthe war zu sehen, von Hausrath
hingegen nichts, weder Stuhl noch Tisch; es fand sich
nicht einmal Platz dafür, als Bette lag eine Decke Von
Schaaffellen in einem Winkel, anders verhielt es sich mit
dem Kaffee-Apparate, die acht Schaalen, ein befremden-
der Anblick in dieser Wüsteney, nahmen reichlichen Platz
ein. Wir hatten uns nach Möglichkeit auf unsere unter-
fchlagenen Beine enge zusammen gelagert. Aus einem
tiefen in das Sand gegrabenen Loch ward Waffer ge-
reicht; jeder Gast mußte zum Willkomm trinken; es wäre
Unhöflichkeit gewesen, es nicht zu thun. Das Waffer
war dem Klima entsprechend, mehr als lau, dick von
die Brust und neigt den Kopf, will man sehr höflich oder
unterthänig feyn, fo wird sie vorher noch auf die Stirne
gebracht.
f
---
-
- Ankunft in Rosette. - 185
Sand und üblen Geschmacks. Der Beduine, der uns an-
fänglich so sehr schreckte, war ein Mann von achtzig
Jahren, aber gesund und stark, und schien bey zwanzig
Jahren jünger. - -
So wie wir bey ihm eintraten, röstete er fogleich
Kaffee, stampfte ihn hernach mit einem gewichtigen Stocke
zu Staub und bot uns denselben nach der Weise der Tür-
ken zubereitet gastfreundschaftlich dar.
Von ihm weg besuchten wir das andere Zelt; eine alte
Frau und zwey Töchter, mit tatuierten Kinn, Hals und -
Arme, waren beschäftigt, Mehl zwischen abgeschliffenen
Steinen zu reiben. Die Familie verbarg das Gesicht und
fah züchtig nach Landessitte auf die Seite; ein paar
nackte Buben wälzten sich in Sand; das bewegliche Ge-
täthe war wie im andern Zelte beschaffen. -
" Was mir sonderbar schien, war: daß diese Leute
alle, mitten in der Sandwüste, frische, helle und gesun-
de Augen hatten; ich erwartete sie schlimmer als in der
Stadt, und fand das Gegentheil. - - - -
Wir durchzogen andre Sandwüsten, nichts Grünes
war auf ihnen zu sehen als Palmbäume, mit reichlicher
Frucht beladen. Spät in der Nacht langten wir in Ro-
fette an.
Gleich vor dem Gasthof war ein Einfang von Schilf-
rohren; mitten in demselben helles Feuer und ein Dutzend
Aegyptier darum gelagert. Lauter Gesang, mit taktmä-
sigen Händeklatschen der ganzen Menge, kürzte ihnen
die Zeit. Von ferne schon vernahm man den Lärm; es
waren Arbeiter, die den Tag über auf dem Platze Reis
zubereiteten und jetzt ausruhten und sich lustig mach-
ken. , - .
186 Drittes Buch. Zweytes Kapitel.
Tags darauf erfreute mich die Ansicht des prächtigen
Nils und die schöne Lage Rosettens am Ufer desselben.
Fremd und neu waren mir die Gruppen der Palmen und
unter diefen die Hütten der Landbewohner ; ruhig und
fanft wogte der merkwürdige Strom sich ins Meer. Auf
der andern Seite lag das fruchtbare Delta ; unzählig
Vieles, das mich als Neuling intereffirte, sprach mich
fowohl im Pflanzen- und Thierreich, als in der politi-
fchen Verfaffung des Landes an. Der immer helle Him-
mel trug, das Seine zum Frohsinn bey; es war mir ei-
gentlich wohl. -
Im Ueberfluffe ist hier die süße Dattel, und die
feltne Banane das ganze Jahr durch einheimisch. Nach
der Ananas mag wohl die Banane die schmackhafteste
Frucht feyn; ihr Geruch ist der der Erdbeer - Melonen
und Pfirsiche; die Gestalt der Pflanze ist prächtig, die
Blätter Klafterhöhe, ein paar Schuhe breit, mastig und
von lebhaftem Grün, vom ersten Monat des Jahres bis
zum letzten. - - - -
Rosette hat wohl doppelte Größe von Alexandrien,
Längs dem Nile erstreckt sich der lebhafte Ort, der mit
ganzen Reihen von Schiffen geschmückt ist, am Ende war
der Gasthof, und nicht weit von diesem war man am
ufer dieses schönen Fluffes und genoß höchstinteressante
Aussichten in das Freye; ein Vergnügen, das für mich
von hohem Werthe ist. - - -
Der Anbau von Reis macht einen Hauptnahrungs-
- -
und Erwerbzweig der Stadt und des Landes aus. Wie
bei uns das Heu, so wird hier diese Frucht behandelt;
auf eigenen Plätzen, die mit Schilfrohr eingehägt werden,
liegt diese Frucht Schuh hoch. Reihen von Einwohnern,
i
Die Behandlung des Reifes. 157
" nackt bis an den Gürtel und beinahe so schwarz wie die
Mohren, spazieren der Länge nach durch den Reis und
d wenden ihn mit den Füßen, Die Mode will, daß jeder
der Hand LN dünnes Spazierstöckgen hat, die Roth-
- wendigkeit davon fah’ ich nicht ein, doch hatte es jeder,
– also Mode! – - " ,
Abends wird auf dem ganzen Platz der Reis in hohe
Haufen zusammengezogen, um, gleich bei uns das Heut,
hier den Reis vor dem Einfluß des Thaues soviel als
möglich zu bewahren. Aller Reis wird mit Salz stark
vermengt, um fich in diesem warmen Klima zu erhalten
Die Dächer dieses Landes sind flach und dienen statt
einen Boden, auf allen wird Reis gereinigt und zUg-
rüstet, Zieht der Wind, so ist es bey nahe unmöglich,
durch die Straßen zu kommen, denn der Staub und Ab-
gang des Reises, welcher von den Dächern weggeweht
Und fortgetragen wird, thut den Augen so wehe, daß
man sich oft lange nicht von den Schmerzen erholen
kann. – Wer weiß, wie viele Augenkrankheiten nur
- hierdurch verursacht werden! " . .
- 3,
s e
Geschrieben in Rosette. -
- - - . - . . .
- - "A g. s - - - - -
Immer war mir die Ansicht des Nils merkwürdig,
* so ganz verschieden gegen die von unserer Schweiz. Es ist
nur Eine Ebene, so weit man diesen Strom bereitet, und
nur Sandhügel unterbrechen zuweilen die immergleiche
Fläche, einzig die lieblichen Gruppen von Palmenwäld- -
188 Drittes Buch. Drittes Kapitel,
chen, unregelmäßig zu beyden Seiten des Nils hingebaut,
in deren Schatten die Landeseinwohner in sogenannten
Dörfern leben, unterbrechen das Einförmige der Sand-
wüsten. Oft finden sich Einfänge, wo unter den Palmen
die Banane, Zitrone und Orange wächst. Die Oberflä-
che des Nils selbst beleben tausend Schiffe und Schiffchen,
während in feinen Tiefen ein Heer von Fischen wimmelt,
an denen hier ein Ueberfluß ist, wie selten in andern
Gewäffern. Vom Morgen bis in die Nacht ist dem Ufer
nach ein Fischer am andern. Diese Leute haben ein run-
des Netz, das sechs bis acht Schuhe weit in das Waffer
hineingeworfen wird, womit sie ihre Fänge machen; nie
fah ich eines ganz leer herausziehen. Der Genuß der
Nilfische ist übrigens wegen ihrem Fette weder gesund,
noch wegen dem morastigen Grunde des Flußbettes al-
genehm. - -
Alles Waffer, das hier zu Lande getrunken wird, ist
aus dem Nil. Eine große Menge von Menschen erhält
fich einzig von der Beschäftigung, das Wafer in Schläu-
che zu fchöpfen und dann in der Stadt zu verkaufen,
Bey dieser Arbeit des Schöpfens geschieht es nicht selten,
daß Fische mit dem Waffer in den Schlauch oder viel-
mehr in die Ziegenhaut gebracht werden. So geschah es
eines Morgens, als mit Waffer zum Waschen gereicht
wurde, daß im Becken ein Fischchen schawmm.
Die Trinklust selbst aber verliert sich, wenn man am
ufer steht und so zusieht, was man zu trinken bekömmt.
Alles Waschen längs dem Ufer nach, alles Baden, alle
weggeworfene und fortgeschafte Unreinigkeiten und noch
fo vieles andere, dem Landesgebrauche hier entsprechend,
und was ich nicht anführen mag, machen eine Mischung,
z-
Ueber das Nil - Waffer. 189
die fast zum Brey wird. Das Waffer, welches auf den
Tisch kömmt, wird zwar gesichtet durch Gefäße von einer
Erde, welche fogleich die Flüßigkeit durch schweißen läßt,
aber was zum Kochen gebraucht wird, wird wohl dieser
Mühe überhoben bleiben und dick gebraucht werden.
Auch mit Beymischung von Staub und bittern Mandeln
setzt sich in kurzen alle Unreinlichkeit. Bey alle dem ist
das Wasser gleichwohl gut und gesund, nur ist es wohl-
gethan, während dem Trinken die Augen zuzuschließen.
Oft ließ ich mich, bald allein, bald in Gesellschaft
auf die Seite jenseits hinübersetzen, dann ging ich nach
den entlegenen Hütten der Landbewohner oder Araber.
Aber welche Wirthschaft in diesen Hütten, wie Bienen-
körbe geformt und von Koth erbaut! Auf allen Vieren
muß man hineinkriechen; im Schneckengange herum find
Abtheilungen zu verschiedenem Behufe und noch ziemlich
rein unterhalten. Wir waren diesen Menschen so neu,
als uns ihr Thun und Laffen. Alles an uns erregte die
höchste Bewunderung bey ihnen, hauptsächlich die Beweg-
ung der Uhrfeder. In der Runde herum ward die Uhr
geküßt zum Zeichen des Erstaunens. -
Oft sah ich Aegyptierinnen mit beiden Händen be-
fchäftigt und ihren Weg fortwandelnd, indem ihr Kind,
noch kein Jahr alt, auf ihrer Schulter nach Affenart
saß, sich um den Kopf festklammerte und ohne Beyhülfe
sich ganz frey und frank schwebend hielt. Vergebens suchte -
man in Europa solche Gewandtheit in diesem Alter! Die
hierischen Kräfte erhalten hier mehr Entwicklung als bey
uns, und sind daher vorherrschend. -
------- *
490 Drittes Buch. Drittes Kapitel.
Man zieht hier viele Büffel, die weit größer und
schöner sind, als die in Europa, aber auch weit wilder,
" Wenn die Kuh ihr Junges bey sich hatte und wir näher,
ten uns mit den diesen Thieren fremden Kleidern, so
wurden sie so unbändig, daß nur ein schnelles Entfernen
vor der Wuth, mit welcher sie die Seile zerriß, an die
fie gebunden war, sichern konnte. Die Milch ist sehr
gut und das Fleisch schmackhaft.
Nun in Aegypten selbst, erinnerte ich mich jener
vergangenen Zeit, in welcher ich als Bube oft dachte:
wie schrecklich viele Ziegel die Kinder Israels doch müß-
ten gemacht haben. Hätte ich damals gewußt, was ich
jetzt fah, kein einzige s Ziegeldach in ganz A-
gypten, ich hätte frischweg die ganze Historie der Zie-
gelfabriken bezweifelt, aber ich fah etwas anders, was
die heiligen Urkunden rechtfertigt: Mauerstöcke , Kanäle,
Ruinen, durch Jahrtausende verwittert und zum Theil
versunken, dem Nile nach, Werke von ungeheuerm Ko-
stenaufwand, kaum noch erkennbar, sind von Backstei-
nen, und beweisen die Wahrheit der alten Ueberliefe-
rung. Die vermoderten Ueberreste, die den Wanderer
jetzt noch in Erstaunen fetzen, sind vielleicht noch Erzeug-
niffe der erzwungenen Arbeit vom jüdischen Volke wäh-
rend seiner Knechtschaft. -
Seit langem befand ich mich nun wieder zum ersten-
male in Gesellschaft. Diefe hat unstreitig ihre Annehm,
lichkeiten; aber allein feyn, ganz für sich, hat sie nicht
minder, besonders, wenn etwelche Angewöhnung an die
felbe, (wohl bey fast Allem in der Welt nöthig!) die
Einleitung machte. Gebunden ist und bleibt man doch in
Gesellschaft mehr oder weniger immer; man hat Verpflich-
ueber gesellschaftliches Reifen, ist
tungen auf sich, auch wenn es Unannehmlichkeiten gibt,
die der Gesellschafter ohne unsere Theilnahme verschuldete,
Unannehmlichkeiten, die man, wenn man allein ist, nicht
kennt, und doch muß tragen helfen. Gefälligkeitshalber,
wenn man auch lieber allein wäre, muß man mit auf
die Jagd, mit spazieren, Gespräche unterhalten u. a. m.
Dadurch wird man so oft in den Träumen einer fruchtba-
ren Einbildungskraft gestört: dann entschädigt die Wirk-
lichkeit nicht für die entriffene süße Täuschung. Physische
Bedürfniffe kommen hinzu: oft wollte ich effen, oft trin-
ken, jetzt, es ist eigentlich nicht die Zeit dazu, weil die
Anderen nicht dasselbe Bedürfniß fühlten; dann hielt ich
die launige Begierde meinen Gefährten zurück, schwieg:
weil sie eigentlich launigt war; aber, wär' ich allein,
Niemand hätt' ich Rechenschaft abzulegen, auch nicht
von Launen! hiezu kömmt, daß man gerne genereus feyn
möchte , , , mit Lappereyen von Kleinigkeiten –– beym
Effen und Trinken . . . sich genirt wegen Gesellschaf-
ter . . . oder den Gesellschafter großmüthig damit umgehen
sieht, ohne daß man Intereffe dabey hat u. f. w. Kurz,
es find tausenderley Dinge, die sich eher fühlen als fagen
laffen. Demnach fällt es schwer zu entscheiden, welche
Art zu reisen, ob allein oder in Gesellschaft, die wählens-
und wünschenswerthere ey. Es versteht sich wohl, daß
hier nicht davon die Rede sein kann, was vorzüglicher fey,
ob in Gesellschaft eines vertrauten Freundes oder in blos
zufälliger Reisegesellschaft, was denn ein schon himmel-
weiter Unterschied ist. * - -
Es war die Zeit der reifen Datteln; im Ueberfuß
fanden sie sich und in äußerst geringem Preise in dieser
Gegend, wo so viele wachsen. Der Stamm des Baumes
192 Drittes Buch. Drittes Kapitel.
-
ist beinahe bis oben mit stark aufgeworfenen Ringen (die
Wirkung der allmählig abgehauenen Blätter) versehen,
Wie Katzen klettern oder vielmehr springen die Landes-
einwohner den hohen Stamm hinan, indem sie ein Seil
um den Leib befestigen, das im geschickten Schwung im-
mer wieder um etliche Ringe höher am Stamme hinauf
sich fchlingt. Ein flacher Korb hängt um die Hüfte, zum
Sammeln der Frucht. -
Alles Mögliche an diesem gesegneten Baume wird be-
nutzt; die Frucht, noch unreif, wird zum Theil ein-
gemacht zu Confitüren; oder roh und reif gegessen,
oder auch gekocht; fie giebt einen Wein, der nicht
übel feyn foll, und trefflichen Branntwein; in
großer Menge werden die Datteln gedörrt und ins
Ausland versandt. Der Stein wird zur Koralle ge-
fchnitzt, um an einer Schnur nach Landesfitte damit zu
tändeln; das Holz taugt zu der gröbsten wie zur feinsten
Arbeit; aus den Blättern werden Körbe geflochten und
auß. dem Baste Seile gedrehet.
Da, wo jetzt Rofette steht, fey vor noch keinen zwey-
hundert Jahren der Ausfluß des Nils (der Bogaso) gewe-
fen. Neues Land wird hier Strichweife angesetzt, ande-
res weggefluthet.
Den letzten November setzten wir uns zu Schiffe, um
nach Groß-Kairo zu reisen. Wir Dreye hatten die
Kajüte einzig für uns auf dem Maas *) gemiethel.
Die Reise dauerte neun Tage; meist hatten wir Gegen-
*) Name dieser Gattung von Schiffen.
Z
f,
- Nilfahrt. 133
ihind; mir war damit gedient. Das Wetter war immer
hell und schön, und je mehr wir uns Kairo näherten,
je wärmer wurden die Tage, obgleich die Nächte frisch,
ich möchte sagen, kalt waren. Der Thau fiel so stark,
daß alles, wie von einem geringen Regen naß war.
Die Fahrt auf dem Nile ist sehr angenehm; der Fluß
gleitet, wenn kein Wind geht, so ruhig dahin, daß man
keine Bewegung fühlt und dabey schreiben und zeichnen
kann. Können die Segel nicht benutzt werden, so wird
das Schiff durch eine Reihe von Schifleuten gezogen,
so daß es noch ziemlich schnell wider den Strom läuft,
Unaufhörlich beschäftigen stets wechselnde neue Ansichten
und Gegenstände das Auge. Dieß- und jenseits des Nils,
beinahe ununterbrochen erstrecken sich nämlich Dörfer auf
viele Hunderte an der Zahl; niedlich nehmen sie sich aus
der Ferne, von Palmen beschattet, aus, aber in der Nähe
sind es elende Kothmauern; Löcher, die den Namen von
Häusern nicht verdienen; weder Holz noch Stein ist an
ihnen, denn sie sind einzig vom Nilschlamme zusammen-
gepappt. Nie regnet es eigentlich hier, sonst würden
diese Barracken bald wieder in Schlamm zusammenrin-
nen, was indeß oft der Fall mit ganzen sogenannten
Dorfchaften ist, wenn der Nil über eine gewöhnlichen
Schranken austritt, und überschwemmt. Seit etwa sie-
ben Wochen war das … Waffer wieder im Fallen, und
bald alle hundert Schritte weit, waren der ganzen Länge
nach, wo urbares Land ist, Schleusen. Einen sonderba-
ren Anblick gewährten die Fellahs *), welche, wie Kunst-
*) Bauern. /
- S -
. "
194 Drittes Buch. Drittes Kapitel.
bereuter, übereinander stunden vom Morgen an bis in die
Nacht, um das Waffer in die Gräben ihrer Aecker zu
fchöpfen; wie man bey uns den wilden Mann mahlt, so
ist ihr Aussehen schwarz, verbrannt, nackt bis an den
Gürtel, nur statt dem Eichenkranze einen Turban um
den Kopf gewunden. Bald wird das Waffer in Gefäffen,
vermittelt eines Gegengewichtes, heraufgezogen; bald,
wo das Gelände nicht hoch liegt, in einer Gattung Korb
von Zween im Schwunge gefaßt, und unter lautem Sin-
gen der Zahl, welche die Menge des herausgeschwunge-
nen Waffermaßes bezeichnet, in den obern Graben ge-
schüttet. Den Danaiden gleich, sind sie verdammt, ihr
ganzes Leben durch, Nilwaffer zu schöpfen. Aus den grö-
ßern Gräben wird dieses in die kleinern, die zu Millio-
nen das ganze Gelände in Abtheilungen kaum eines Zit,
mers groß durchkreuzen und bewäffern, geleitet.
Wie bereits bemerkt, mußte das Schiff wegen dem
Gegenwinde immer gezogen werden, und ein mittelmäßi
ger Fußgänger kam ihm leicht zuvor. Stundenweise oft
wanderten wir mit der Flinte dem Schiff zur Seite, und
machten auf die Waffervögel Jagd, welche in unzähliger
Menge ruhig den Schuß abwarteten; da sie hier fo wenig
durch Feuergewehre gestört werden, lagern sie sich unbe-
forgt dem Ufer entlang. – Aufm Lande selbst sind die
wilden Tauben und Turteltauben so häufig, daß vier
und noch mehrere auf einen Schuß fielen. Alle Tage
hatten wir das Pillau von unserer Jagd garniert, fettes
zartes und schmackhaftes Geflügel.
Oft gingen wir in benachbarte Dorfschaften aus Neu-
gierde theils, theils um Brod und Eyer zu kaufen, dann
flohen fchen ganze Truppen von Kindern und Weihern,
i
»- Schiffsgebet. 495
schon von weiten ihrer Heimath zu, und im Orte selbst
geschah es mehrmals, daß Büffel und anderes Hornvieh,
durch die europäische Kleidung geschreckt, den Reißaus
nahmen und die Hunde heulend davon liefen.
Eines Tages ward unweit einem Dorfe gehalten,
gleich am Ufer war der Begräbnißplatz; da saß ein jun-
ges Weib, weinend und klagend, ein fehr alter Mann
neben ihr, der fie zu trösten schien. Aber immer hefti-
ger übernahm sie der Schmerz. Zuspruch, Trost und
Kuß von feiner Seite, nichts störte sie in ihrer Trauer.
Es war die Tochter des Mannes, welche über den Verlust
ihres Gatten, der schon lange verstorben war, sich dem
Ergufe ihrer Klagen hingab, über welche fiel der Vater
nach Sitte der Araber vergeblich tröstete. -
Der immerwährende Gegenwind veranlaßte vieles
Bethen bey unsern Schiffleuten, und als er gar zu heftig
wurde, ward gelandet, der Keiß *; nebst feinen Haupt-
leuten stiegen aus, fpreiteten ihre Mäntel auf die Erde,
und – er an der Spitze – gegen Morgen gewendet, bei
gann ein lange dauerndes Gebeth, r -
Die übrige Reisegesellschaft befund, außer einigen
türkischen Kaufleuten, in einem Trupp Soldaten von bey-
läufig zwölf Mann, nebst ihrem Offizier; meist Albanefer,
Auswürfe dieser Provinz, die ein Auswurf von den übri-
gen Provinzen der Levante ist. -
Eines Abends, ich war auf dem Verdecke, meine bey,
den Gesellschafter waren an dem Ufer des Nils dem Schiff-
vorgelaufen, entstund zwischen dem Militär etwas Wort-
wechsel, der nicht bedeutend schien, bald aber rannte
') Schiffmeister, -
496 Drittes Buch. Drittes Kapitel.
der Offizier neben mir vorbey und wieder zurück mit ei-
nem Leder von Elephantenhaut, (eine Gattung Peitsche,
doch schärfer als diese ), auf den Soldaten los, und schlug
unbarmherzig auf Kopf und Gesicht, wo es hintraf, lall-
ge auf ihn los. Der Soldat wehrte sich losfchlagend auf
den Offizier, und nur mit Mühe riß man sie auseinan-
der. Der Zorn verzog das Gesicht des Geschlagenen ; er
rief ihm einen Schimpfnamen nach; der Offizier wandte
sich um die Schläge zu wiederholen, noch mehr blitzte die
Wuth aus den Soldaten; rasch zog er aus feinem Gürtel
eine Pistole, zielte und schoß – es versagte; zum zwei-
tenmale ward losgedrückt; die Kugel pfiff dem drei Schritte
von mir entfernten Offizier durch das Oberkleid, ohne
ihn zu verletzen. Zum Schiffe hinaus setzte der Soldat
mit einem Sprunge an das nahe Ufer; ihm nach der Of-
fizier und fein Gefolge. Etwa eine Viertelstunde wurde
ihm nachgesetzt, ein Sumpf hemmte seine Flucht, oben
auf einem Sandhügel fah ich nach; mit ungezogenem,
meffingenem Säbel hieb der Offizier mit aller Macht über
den Schädel des Erreichten, er stürzte blutend und finn-
los zu Boden; ohnmächtig ward er aufs Schiff gebracht;
ich glaubte nicht, daß er davon kommen würde; indeß
erholte er sich am folgenden Tage in etwas und ward bald
darauf in einem Dorfe abgegeben. Der ganze Auftritt er“
folgte so still und gelärmlos, daß man nicht einmal Unei-
nigkeit akf dem Schiffe muthmaßte.
Meine beiden Reisegesellschafter und der Bedient
bekamen Ausschläge in Gesicht und Härden. Das Milwa,
fer soll dieß bei den Fremden verursachen; ich blieb in-
deß davon befreit, wovon die Ursache wohl sein mag
- - -
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Ansicht der fernen Pyramiden. 197
daß ich felten oder nie dieß Waffer blos trank, sondern
fatt desselben öfter gebrannte Waffer genoß,
Zwei Tage vor unserer Ankunft in Kairo, sieh da,
die Pyramiden von Gizeh in blauer Ferne ! Aus der
kahlen Ebene durch nichts unterbrochen als von platten,
gelben Sandhügeln, hoben sich lustig und kühn die schar-
fen Spitzen und lieblichen Formen aus den einförmigen
Umgebungen empor ! -
Welch einen erfreulichen Anblick gewähren diese Mei-
sterstücke vereinter Menschenkräfte aus vergangenen Jahr-
tausenden! Lange sah ich nur die beiden Hauptpyramiden,
näher entdeckte ich auch die dritte kleinere, und bey Son-
nenuntergang, bey unaussprechlich lebhaftem und buntem
Kolorite des leichten Gewölkes, hoben sie sich dunkelblau
aus der vergoldeten Abendgegend höher als alle anderu
Gegenstände in der dem Auge erreichbaren Ferne empor.
Den achten Dezember kamen wir in Bulak an. Auf
Eseln reitend machten wir den Weg nach der Stadt, in
einer halben Stunde erreichten wir das Thor, und ge-
langten gleich innert demselben auf einen freien Platz,
der voll Waffer einen kleinen See bildete, umkreist vön
Wohnungen, -
4.
Groß-Kairo *) ist nach Konstantinopel wohl die
größte und volkreichste Stadt des ottomanischen Reiches.
*) Türkisch Maßr.
498 Drittes Buch. Viertes Kapitel.
Verhältnißmäßig ist sie noch volkreicher als Byzanz, we-
nigstens lebhafter, denn ein größeres Gedränge und Ge-
wühl fand ich fonst nirgends. Schwerlich vergeht eine
halbe Stunde, in welcher nicht entweder ein vornehmer
Türke mit feinem Gefolge, oder... eine pompöse Hochzeit,
oder eine Leiche, von heulenden Weibern begleitet, und
dgl. vorüberzieht.
Die Gaffe der Franken ist so ziemlich in der Mitte
der Stadt. Ich durfte mich nicht gleich in das Getüm-
melwagen, das einem überall entgegendröhnt, ich hätte
Gefahr gegangen den Rückweg nicht mehr zu finden; ut-
ter tausend Einwohnern verstund nicht einer türkisch, noch
weniger eine andere als die innländische Sprache, und es
wäre eine weit üblere Lage für einen Fremden, sich hier
zu verlieren, als in Konstantinopel, Bediente oder Bur-
fche, welche den Fremden als Wegweiser dienen, sind
hier nicht üblich; man ist gezwungen, wenn man in die-
fer großen Stadt noch unbekannt ist, zu Esel feinen Weg
zu machen, welches auch wieder feine Schwierigkeiten
hat, denn in schnellem Trabe oder Galoppe jagt einert
der Eseltreiber durch die engen Straßen, und man befährt
jeden Augenblick jemand umzubringen oder umgebracht
zu werden. Das Erstere wegen der ungeheuren Men-
fchenmaffe, die, wie bei uns an Jahrmärkten, die Gast
fen füllt; das zweyte vom Troß der Kamele und Drome
dare, oder von vorbeystürmenden Türken zu Pferde, haupt-
sächlich vom Militär oder von Eifel-Reitern, die wie ra-
fend durch die Straßen galoppieren, -
Die hohen Häuser der Stadt sind ganz von Stein
aufgeführt, und man kennt hier das Unglück der Feuers-
brünste nicht, Die Hauptstraßen sind meist geräumig
Josephsbrunn. 199
und breit, die Nebengaffen hingegen so enge, daß man
wieder zurück muß, wenn einem ein beladenes Kameel be-
gegnet. Je Judenquartier sind mehrere Gäßchen, durch
welche zwei Menschen nur gegen einander gepreßt, durch“
schlüpfen können. Mehrere Hauptstraßen sind bedeckt mit
Bast- oder Stroh-Decken, welche auf Stangen an den
obersten Stockwerken der Häuser von einem zum andern
hinüber befestigt, gelegt werden, um die drückende Hitze
zu mildern. Diese Bedeckung macht ein gewisses heimli-
ches Helldunkel, man glaubt sich in einem Gewölbe, in
welchem der Sonnenglanz zur Mondhelle umgewandelt
wird, ---
Unser erste Ausgang war nach den fogenannten Jo -
fephsbrunn, der auf der höchsten Anhöhe dieser Ge-
gend sich befindet und die ganze Stadt im Gesichtskreise
hat: um ihn ruht, eine Ebene, auf welcher sich das Auge
verliert; – hier ist eine zerstörte Burg oder Festung
welche von dem berühmten Salahd in oder Salah-Hed
din erbaut worden feyn soll, und da findet sich dieser
Josephsbrunn. In eine ungeheure Tiefe hinunter führt
gähe ein breiter Weg; mit Fackeln wird die Finsterniß
erhellt. Wir kamen bis an die Tiefen, wo sich Waffer
befindet, das ist aber erst die Hälfte des Wegs nach dent
Antersten Grunde. Uns genügte an dieser ersten. Von
hier aus liefen wir einen Stein die letzte Hälfte machen,
erst nach langer Zeit vernahmen wir feinen Fall in das
tiefste Becken, -
Auch dieses Werk gehört unter jene, welche den je-
zigen Erdbewohnern als eine unbegreifliche Schöpfung
menschlicher Kräfte erscheint. Oben wird Jahr aus Jahr
ein vom Hornvieh das Rad getrieben, um das Waffer an
-
---
- -
-
200 Drittes Buch. Viertes Kapitel.
einem Seil, das bis hinunter reicht, in die Höhe zu brin-
gen *). -
Späterhin besuchten wir den Sklavenmarkt, deren
es mehrere in Kairo hat. Das Gebäude, in welchen
sich diese Unglücklichen befinden, ist mit einer Art von
Gallerie, die wieder ihre Abtheilungen hat, umgeben.
Gegenwärtig wurden keine Sklaven feilgeboten, die ganze
Lieferung der letzten Karavane war bereits verkauft, eben
fo alle, welche die Stadt aus Spekulation kauft und wie-
der verkauft. Mein Wirth, ein Franzose , erzählte mir:
"daß er vor ein paar Wochen eine Sklavinn verkauft habe,
weil sie es verlangte, und es dann rathsam fey, solchen
Wünschen zu entsprechen, indem sie späterhin nicht mehr
gut thun. Er habe sie um denselben Preis, wie er fit
gekauft habe *), auch wieder weggegeben, obgleich sie mehr
werth gewesen wäre, da sie bei ihm waschen und plätten
gelernt habe.
Die Sklaven, welche in die Hände der Türken fallen,
haben ein besseres Loos, als die, welche in christliche
Dienstbarkeit gerathen. Meist werden sie bey jenen bald
als Mitglieder der Familie betrachtet, die Mädchen be-
kommen Männer und es ist nichts Seltenes, daß aus den
geraubten oder erkauften Knaben - späterhin Paschas
werden. - - - -
Zufälligerweise begegnete ich einst dem Pascha von
Kairo , Mehmet-Ali; er machte seinen gewöhnlichen
Zug, doch nicht in Gala; gleichwohl imponierte der ihn
*) Dieses Seit ist Stellenweise mit irdenen Gefäßen bis
- hätgt, die im Herunterlaffen das Waffer aufnehmen.
*) um 300 Piaffier, ungefähr 1.130 unfers Geldes. "
Der Pafcha Mehmet-Ali und Gefolge. 2011
begleitende Kavallerietroß. Eine herrliche Wirkung für
das Auge thun die unvergleichlichen Pferde, jedes berit-
ten von einem Reuter in anderm Costüme, andrer Haltung;
die bunten Farben der fliegenden Gewänder; die ver-
brannten Gesichter und fchwarzen Bärte; die Turbane
von allen Farben, die so fest auf den Köpfen saßen,
wie die Reuter auf den Pferden; die Gewandtheit, mit
welcher Pferd und Mann sich benahm. Da nimmt sich
ein blitzender Dolch mit schönen Hefte , zwischen polir-
ten Pistolen im kostbaren Gürtel, dort ein fchwarzes Ae-
thiopiergesicht vor den übrigen aus; der Glanz von Sil-
ber und Gold blendet das Auge; nicht weniger schim-
mern die reichen Faltenwürfe der langen, wallenden
Aermel von Seidengewebe köstlich und bunt. Welch ein
Unterschied zwischen unserer steifen Pappenkavallerie und
dieser gelenkamen, welche ihre Flinten wie Federkiele
regiert, und leicht und gewandt auf den zierlichen Ros-
fen, so wie sich ein jeder am besten fühlt, drohend da.-
herschwebt? So ists hier Brauch und Sitte! - Ein
Herr von Dienern zu Fuß und zu Pferde vollenden den
Pomp des Ganzen ! -
Andrer, minder brillanten Kavallerie begegnet man
oft; es ist die der Santons, der Heiligen dieses Lan-
des. Ganz nackend auf einem Esel, die Füße auf dem
Sattel und so sitzend, war der erste Heilige dieser Art,
den ich fah; es mochte ein Kerl von 26 bis 28 Jahren
fehn. Dumm- zufrieden waren die bedeutungslosen Züge
feines Gesichts; neben ihm ging ein Führer mit einem
Sacke um Almosen und Lebensmittel von den Verehrern
des Heiligen einzuziehen. Einige Tage darauf begegnete
ich einem andern von fchwerern Kaliber. Dieser fa
202 Drittes Buch. Viertes Kapitel.
auf einem schönen Schimmel; ein leichter Gürtel um,
gab seine Hüften, sonst war er auch ganz nackt wie je-
ner; rasch ritt er durch das Gewühl, das sich ihn zu
berühren um ihn drängte. Von ferne fchon hob man ihm
die Kinder entgegen, die er dann fegnete und im Vor
beyeilen die Hand über ihr Köpfchen hob. Er schien ein
Mann von etwas über die fünfzig Jahre, und ein wah-
res Gegenstück von jenem jüngern. Gescheut und heiter,
gewandt und frohmuthig lenkte er das hübsche Roß und
entzog sich der Menge.
Solcher Heiligen gibt es in Kairo felbst wie auf dem
Lande ganze Schwärme; die gemeinsten aus ihnen tra-
gen am Ende einer Stange Riemen von Tuch und der-
gleichen in Büscheln gebunden von verschiedener Farbe ;
diese gemeinere Klasse geht aber zu Fuße, ist bekleidet
und von weniger Bedeutung.
Eines Abends ritten wir nach Alt- - Kairo. Von
In einem Wirthshause bis an das Thor dieser volkreichen
Stadt mag es beiläufig eine Stunde feyn, in einer hal-
ben Stunde von da hat man Alt- Kairo erreicht. Auf
der Hälfte des Weges dahin ist eine prächtige Wafferlei-
tung, die sich in ihrer ganzen Länge dem Nile nach, als
Ruine und halbzerstörte Mauer hindehnt. Seitwärts
liegt die jetzt bewohnte Stadt, deren enge, finstere und
schmutzige Gaffen einen höchst melancholischen Anblick ge-
währen; anziehender sind die Umgebungen, und die Aus-
ficht über den Nil ist sehr interessant; man ist den gleich
gegenüber stehenden Pyramiden näher und die schöne In-
fel Raou da hat man von ihrer Vorderseite. Eine Allee
von Sykomorn, oder sogenannten Pharaosfeigen, erstreckt
sich fast eine Stunde in die Länge und dieser Baum ist
. (Grotte der Maria, 203
der schönste der Gegend; die Frucht proßt aus dem
Stamme und gleicht den andern Feigen, doch nicht an
Güte. - -
Im Kloster der Kopten zeigt man die Grotte, in -
welcher Maria mit ihrem Kinde auf ihrer Flucht nach
Aegypten übernachtet haben soll. Man geht, etwa zwölf
Stufen in die Tiefe hinab, Fackeln beleuchten den Weg.
Man findet ein ziemlich geräumiges Zimmer, fimetrisch
mit gegenüber stehenden, kleinen Säulen besetzt, da zeigt
man eine Vertiefung, in welcher sie gewaschen haben
soll, und andere Lappereyen mehr.
Das alles sieht aber einer Geldprellerey so ähnlich,
wie ein Ey dem andern. Wenn Maria auf der Flucht
war, so ward fiel schwerlich in einem Gemach von Mar-
morsäulen einquartiert; wo keine Berge find, da giebt
es auch keine Grotten, und hier ist nichts als eine Ebne
von Ruinen. Indeffen mag das Kloster sich wohl dabey
befinden, da die Wallfahrt dahin sehr stark ist. ueber
die berüchtigte Stelle ist eine Kirche gebaut; die Gemälde
in derselben sind Frazzen und Karrikaturen nach neu grie-
hischer Manier, - -
5,
An der Spitze der Insel Raouda befindet sich in
einem zerstörten Palaste der Mekias oder Nilometer.
Eine viereckigte Säule steigt aus der Mitte einer gevier-
ten Einfassung, welche die Größe eines beträchtlichen
Zimmers hat, aus dem Waffer empor. Die Säule
ist von regelmäßigen Stücken, deren jedes anderthalb
204 Drittes Buch. Fünftes Kapitel,
Schuhe ins Gevierte beträgt, auf einander gesetzt; in
jedem Stück sind Striche“) ungefähr zollbreit eingehauen,
und dienen als Maasstab des Steigens und Fallens des
Nils, nach welchem denn auch das Wachsthum der Feld-
früchte sich bestimmen läßt, welches täglich dem Volke
durch Ausrufer angekündigt wird. Hat der Maaßstab eine
gewiffe Höhe erreicht, so begiebt sich unter Beyseyn des
Pascha eine Art von Gefandtschaft dahin, um den Auf-
genschein als Zeugen einzunehmen, und das Volk zu ver-
sichern: daß die Höhe des Waffers das bestimmte Zieler-
reicht *) habe, dann erfolgen Freudenfeste und – ohnt
*) Während ich dieß in Nofette niederschrieb, ward ich
durch ein Jammergeschrey im gegenüber liegenden Zime
mer unterbrochen. Die Wirthin war krank und ihr
Mann fiechte an der Schwindsucht. Ich, der einzige
Fremde im Haufe, springe nach dem Wohngemache,
Da lag der Wirth und konnte nichts hervorbringen, als:
„O die Brust!“ Der Athen mangelte ihm; ich war
in der Erwartung, ihn - in meinen Armen sterben zu
fehen, die Frau, welche im Bette lag, schrie und
weinte, daß es durch Mark und Bein ging. Nur ein
Araber, der als Koch im Haufe fand, und kein ita-
lienisch verstund, war da. Ich wußte weder aus noch
an, rannte endlich zu einem franz. Wundarzte und sprach
diefen um Hülfe an. Es ergab sich, daß der gute Wirth
die steinerne Treppe herunter gefallen war und so Scha-
den nahm, daß er nicht mehr reden konnte.
*) Ehmals, wenn das Waffer nicht die bestimmte Höhe er-
reichte, mithin die Felder, meist unbewäffert und also
unfruchtbar blieben, wurden - keine Abgaben erhoben,
Heut zu Tage gehts anders!
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Der Nilmeffer. 205
Wein – halbe Bachanalien. Ganz Aegypten ist dann
meist unter Waffer und die Verbindung eines Dorfes mit
dem andern wird nur durch Schiffe unterhalten; eine
scheinbare Sündfluth droht das Land zu verheeren, aber
beim Abnehmen des Waffers bleibt eine solche Menge fet-
ten Schlamms zurück, daß der Landmann feine Saamen
Und Früchte nur hinein werfen darf, um in wenigen Mo-
naten fie hundertfältig zu erndten. -
Anfangs Juni fängt der Nil an zu wachsen, und
nimmt bis Ende Septembers und Anfang Oktobers immer
zu. Dann ist die Ueberschwemmung am stärksten, und er
beginnt allmählig wieder gleichförmig zu fallen. - -
Vor alten Zeiten soll ein Nilometer auf der Insel
Elephantine von Einem Stück Marmor gewesen sein,
an dem man noch früher bemerken und wissen konnte, wie
hoch das Waffer steigen würde.
In Kairo, fo wie in Aegypten überhaupt, fieht man
weder Wagen noch Kutschen; Alles wird durch Kameele
und Dromedare bisweilen und mitunter auch durch Esel
weiter geschafft; was zum Aufladen zu schwer ist, wird
durch Träger fortgeschafft. Ich fah Fäffer, die vielleicht
dreißig Centner Gewicht hielten, von Bulak bis Kairo
durch dergleichen Lastträger, zwölf bis fünfzehn Mann
hoch, welche die Last auf Stangen trugen und gewöhnlich,
Takt im Schritte haltend, bey dieser Arbeit fangen, .
weiter bringen. -
- - - . . . . . ."
Alle Frauenzimmer von Bedeutung reiten verschleiert
auf Pferden, Eseln oder Maultieren, auf äußerst hohen
905 Drittes Buch. Fünftes Kapitel.
Sätteln, mit ihren Bedienten zur Seite. Die Pferde
werden hier nicht, wie bey uns, zum Ziehen oder Last-
tragen gebraucht, sondern edler geachtet, nur beritten.
Die Türken reiten beynahe alles Hengste, die Araber hin-
gegen nur Stuten. Jene reinigen, putzen und pflegen sie
beständig; diese, die immer unterm Sattel haltend, ge-
wöhnen sie an Hunger und Durst. Unscheinbar, aber
ausdauernd bis aufs Ungläubliche, ist in diesem Lande
dieß Thier, wie fein Bereuter. Bald einzeln, bald zahl-
reich durchstreift das Freyheit liebende Volk der Araber
die Sandwüsten, und lauert auf Raub, jeder auf die
Weise, wie er ihn am sichersten zu erringen glaubt. Tage
und Nächte durch sprengen sie auf ihren Rennern über
die Meere von Sand; am Tage von der Sonne und den
Sandhügeln ungewiß geleitet, weil letztere sich immer
wieder verändern; sicherer bey Nacht durch die Lage der
Gestirne in den immer heitern Nächten. Nie legen sich
die Pferde; eine gewohnte Sache ist es, über vier und
zwanzig Stunden ohne einen Tropfen Waffer auszuhalten;
eben so ist der Reuter an ähnliche und noch weit stär-
kere Entbehrungen von Kindheit auf gewöhnt. . .
Wenige Wochen bevor ich hieher kam, ward eine
Karavane, von Sue s kommend, mehr denn tausend Ka-
meele stark, von den streifenden Arabern rein ausgeplün-
dert. Die Ladung gehörte größtentheils den Pascha von
Aegypten. -
Eben als ich dieß vernahm, erzählte mir ein alter
Mann, Grieche von Geburt, wie er in seinen jüngern
Jahren mit einer Karavane aus Aethiopien mitten in der
Wüste überfallen und geplündert worden sei: „Die Ebene
wäre unabsehbar gewesen, man hätte keine Spur weder
Französische Renegaten in Kairo. 207
hon Kameelen noch Pferden gehabt. Alle hätten sich in
der größten Sicherheit geglaubt: aber auf einmal, ganz
in der Nähe, habe sich der Boden zu beleben geschienen;
ein Schwarm von Arabern, auf dem Bauche der Länge
nach im Sande liegend, erhob sich und stürzte auf die Ka-
ravane. Alles wurde geplündert und bis auf das Hemde
ausgezogen.“ .
So erzählte der Alte. Auch die Fahrt auf dem Nile
ist nicht ganz sicher, besonders in Oberägypten; und
wenn ein Schiff mit einiger Uebermacht kann angegriffen
werden, so schützt selbst das Waffer nicht; denn mit
ihren leichten Pferden setzen sie tief in die Flüffe hinein.
In Kairo gibt es viele Renegaten aus der franzö-
fischen Nation, welche bei dem Rückzuge ihrer Lands-
leute hier blieben. Ich machte die Bekanntschaft mit
mehreren und vernahm von ihnen das eint und andere
über türkische Sitten und Gebräuche.
Einer derselben war kaum Türke geworden, alsohne
sein Wissen schon seit Monathen die ganze Gesellschaft der
Weiber seiner Gaffe sich damit beschäftigte, ihm eine
Frau zu verschaffen. Er nahm sie, ohne sie vorher gef-
hen zu haben, obgleich das Gesetz es gestattete, fiel in
Beisein der Verwandten zu sehen. Fünf Jahre lebte er
vergnügt mit ihr : „ aber plötzlich“, fagte er, „that sie
kein gut mehr.“ Er litt sich ein Jahr lang, und als
es nicht befferte, jagte er sie ohne Umstände fort und
nahm bald darauf eine andere, Wie bey der ersten, ward
auch bei der zweiten um das Heyrathsgut gemarktet, so
.
20s Drittes Buch. Fünftes Kapitel,
wie man bey uns um ein Stück Vieh handelt. Wird
man nämlich Kaufs nicht Eins, so geht die Heyrath
nicht vor fich, -
Die Meisten halten Sklavinnen neben den Frauen; -
wird eine Mutter, so kann sie nicht mehr verkauft wer-
den und das Kind wird den ehelichen gleich gehalten.
„Mehrere Frauen in Einem Hause, sagte der Franzose,
„thun nicht gut“. Die Mädchen werden hier meist vor
dem zwölften Jahre verheyrathet. .
-
- - -
In Kairo allein sollen vier von einander abweichende
Sekten seyn, welche sich durch ihr Fasten, Waschen u.
dgl. Dinge von einander unterscheiden. Eine derselben
ist so strenge, daß, wenn die Bekenner derselben nur vom
Schatten eines Hundes befallen werden, sie sich schön für
verunreinigt halten und sich waschen müssen; diese Hand-
lung ist sehr weitläufig und ist ebenfalls von verschiedener
Art. Oefter sah ich derselben zu; erst kams an die Hände,
dann allgemach zurück bis an die Ellenbogen; jetzt an
die Füße, Zehen für Zehen bis gegen die Knie; dann
an den Kopf, zuerst hinter den Ohren, so allmälig vor,
gerückt an die Schläfe, Augen, Hals. Dabei kämmten
fie den Bart, spühlten den Mund, und die Feierlichkeit
dauerte nicht unter einer Viertelstunde; sie gehört unter
ihre wichtigsten religiösen Gebräuche. Ist – nach dem
Gesetze – recht gewaschen, so ist jede Sünde getilgt.
- Wegen der Eroberung von Medina, und, wie einige
sagten, auch von Mekka, war drei Tage und Nächte durch
auch öffentliches Fest und Beleuchtung. Von den Wecha-
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Feste wegen der Eroberung Medina’s. 209
biten *) waren diese beiden Plätze früher genommen; an
letzterm Orte sollen sie unermeßliche Schätze gefunden
haben. - - -
„Die Wiedereroberung dieser beiden denkwürdigen
Orte hätte kaum statt gefunden“ (so hörte ich behaup-
ten), „wenn die Araber nicht durchs Gold der Muhame-
daner geblendet, Parthie für diese genommen hätten.
Der Tag ward mit militärischen Uebungen von den Soll-
daten gefeiert. Ich hörte, daß gleichwohl scharfe Pa-
tronen geladen und, um nicht zu schaden, die Flinten
blos in die Höhe gehalten würden. Ob dieß wirklich
der Fall war, weiß ich nicht, aber in einem Tage fol,
len gegen die zwanzig verwundet worden feyn; mehrern
davon begegnete ich in der Stadt. Dieser Anblick ermun-
terte mich nicht, besonders als Franke, unter die Zu-
schauer mich zu mischen. Die Illumination zur Nacht-
zeit wollte nicht viel fagen ; nirgends fand man das ge-
ringste Bemerkenswerthe, und war für den Fremden eben
so wenig rathsam, sich in das Gedränge entfernter
Hauptstraßen zu begeben, als unter jene Manöver bey
Tage. -
Ein Türke äußerte mir zwar, daß von Seite der
Einwohner nichts zu besorgen sey, wohl aber von den
Landleuten, welche bei solchen Gelegenheiten sich häufig
*) Eine Sekte, die seit wenigen Jahren entstanden ist,
und ungläubliche Fortschritte in dieser Gegend machte;
ihr Stifter, Abdullah Wahab, auf blos sittliche
- Grundsätze sich beschränkend, verwirft alle Religionsbe-
kenntnisse anderer Völker. Das einzige Rettungsmittel
der Besiegten ist, sich gutwillig zu ergeben,
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210 Drittes Buch, Fünftes Kapitel.
in der Stadt einfänden und durch ein auffallendes Co-
stüme leicht zu Grobheiten gereizt würden. Indeß wa-
ren doch vom Militär die meisten Unannehmlichkeiten zu
befürchten; es besteht meist aus Janhagel der ersten Klaffe.
Im Vorbeigehen ward von einem solchen Helden, dem,
der mich begleitete, der Hut vom Kopf gestoßen. Zur
Nachtzeit hatte der Soldat noch mehr Spielraum zu fol-
chen und ähnlichen Großhaten, denen man bei Tage
kaum ausweichen konnte.
So erzählte mir ein Amerikaner, was ihm vor weni-
gen Tagen begegnete. Er wollte nach Bulak reiten,
Mitten auf der Straße ward er von einem Janitscharen
angehalten. Dieser wollte aufsitzen, jener bedeutete ihm,
daß er das Thier für sich gemiethet habe, der Janitschar
ohne weitere Worte, packte ihn bey einen Beine und warf
ihn herunter, im nämlichen Augenblick schwang er sich
auf den Esel und ritt davon. Dieser Vorfall ereignete
sich in der Nähe einer Hauptwache. Der Amerikaner ging
hin sich zu beklagen, allein man gab ihm zu verstehen:
dieser Soldat wäre bisweilen halbnärrisch, und damit
war er abgespeist. Der Erzähler machte noch die Be-
merkung: „Was ist zu machen in folchen oder ähnlichen
Fällen, wo man verhöhnt wird !“ Diese Halunken tra-
gen immer ein paar geladene Pistolen und einen Dolch
im Gürtel, den sie gleich von Leder ziehen. Würde man
auch Einen niederstoßen, oder über den Haufen schießen,
gleich wäre man von hundert andern umringt und verlo-
ren, und wer wollte am Ende um eines solchen Sch**
willen fein Leben einbüßen, /
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Schädlicher Staub, 244
Späterhin ward ich in der Stadt etwas bewander-
ter, und oft ging ich ins Freye hinaus, um mein Auge
an dem frischen Grün des hohen Getreides und des üppi-
gen Klees, in welchem das Vieh weidete, zu laben.
Schöne liebliche Frühlingstage gingen hier im December
auf. Und am kürzesten Tage, den 21. Dezember beob-
achtete ich, daß die Tagszeit hier bey drey Stunden
länger feyn mochte, als bey uns. Abends 5 Uhr war
noch heiterer Sonnenschein und Morgens bald nach 7 Uhr
begann er wieder. -
Kaum geht aber die Sonne unter, so verbreitet sich
ein dichter Nebel über das große Kairo, und eine Gat-
tung scharfer Staub, schädlich für die Brust und anste-
ckend für die Augen, belästigte mich jedesmal um die
Dämmerungszeit. -
Zur Zeit der Anwesenheit der Franzosen waren alle
" Hunde weggeschoffen, jetzt fanden sie sich wieder überall
wie in großer Menge; hauptsächlich in den entlegenen Gas-
en fallen sie nicht wenig beschwerlich. Einst von einem
die Truppe verfolgt, wanderte ich gleichwohl ruhig meine
Straße fort, auf das Sprüchwort trauend: „Ein Hund
der bellt, beißt nicht.“ Aber diese Redensart ist betrüg-
lich. Der Hund riß mir ein großes Stück aus meinem
Kleide; ein paar Tage darauf, mit einem Sack voller
Steine beschwert, rächte ich mich desto kräftiger an die-
en Bestien. -
Auch auf eine Menge von Höckerweiber stößt man
z" immer in Kairo, die ihre Pfeiffe rauchen; ich könnte
wicht sagen, daß mir ihr Schmuck, die Ringe durch
Nase und Ohren, gefallen hätte. Beim Anblick eines
Fremden wenden sie sich weg und bedecken ihr Gesicht,
O 2
212 - Drittes Buch. Sechstes Kapitel.
wenn sie übrigens auch nichts anders zu bedecken haben.
Viele Raubvögel lagern und schweben über den höchsten
Gebäuden der Stadt und ihrer Umgebungen, da sie an
dem häufig und überall herumliegenden Aafe genug am
Nahrung finden. Ich beobachtete oft auf der Teraffe mei-
ner Wohnung ganz in der Nähe ziemlich große Adler,
- - - -
6,
Einen Ausflug nach den Pyramiden in Gesellschaft
zu machen, war bereits verabredet, aber von Tag zu
Tage verschoben. Bald schickte es sich diesem, bald je-
nem nicht; wie's gewöhnlich geht, wenn jeder auf sich
und nie aufs Ganze Rücksicht nimmt. -
Ich hatte große Lust, Oberägypten, wenigstens ein
nen Theil davon, zu sehen, und war zu dieser Reise
entschloffen; aber die Unsicherheit des Landes, und die
gänzliche Unkunde der arabischen Sprache waren große
Hindernisse. Endlich sollte ich mit der Karavane, und der
Tag ward festgesetzt.
Ich ward aber gespielt, statt einer Karavane bekam
ich nur zwey Araber zur Gesellschaft, mit denen ich kein
Wort wechseln konnte. Indeß an dergleichen widrige
Umstände fchon gewöhnt, fügte ich mich auch in diese
Unannehmlichkeit, und verreiste. Abends den 22. Dezember
von Kairo nach der Provinz Fajum, ehemals Arsino,
in Oberägypten. *)
*) Dieß Land wird von den Arabern allgemein der Sai"
genannt,
Arabische Wohnung. 213
Der Weg führte über Alt-Kairo, zweyttal mußten
wir über den Nil; spät in der Nacht kamen wir nach
Gizeh; einer meiner Führer war da zu Hause und ich
wurde bey ihm einquartiert. v, *
Ich bestieg eine Treppe der Wohnung dieses Argbers
und ich befand mich auf dem Dache des Hauses. Der
unerwartete Gast machte im Hause und im Orte eine
halbe Staatsumwälzung.
Ueber das Dach ragte eine Gattung Kammer; man
ging gebückt zur Thüre hinein, eine Schilfdecke ward
“ über den Boden ausgespreitet; die Frau des Hauses,
" etwa vierzehn Jahre alt, brachte, indem sie ihr Gesicht
nach Landessitte mit einem groben, hellblauen Tuche be- -
“ deckte, eine Kohlpfanne, angefüllt mit Kolben vom In-
nern des türkischen Korns, die bald in helle Flammen
aufoderten. Man lagerte sich auf dem Boden um dieselbe
herum und in Zeit einer halben Stunde war das Ge-
er nach von Bekannten verschiedenen Alters und Geschlechts
als angefüllt. Ein Dutzend Eyer wurden in eine Pfanne
eingeschlagen und gleich auf dem Feuer in Kuchen ver-
wandelt; Honig *) und Zwieback von Dura erquickten
- -
g Der Aegyptische Honig ist sehr berühmt. Im obern -
Said, näher den Katarakten, verladen die Araber ihre -,
z Bienen auf ein Schiff, das ganz damit angefüllt wird.
z Nachts wird ein Stück Wegs Nil abwärts gefahren,
Morgens wird dann am Ufer gehalten, und wenn die
Gegend für die Bienenweide gut ist, 3–4 Tage ver-
weilt, bis sie abgenützt ist. So geht es einige Monate
z lang den Mile abwärts fort, bis endlich die Bienenweide
vollendet ist und bei der Ankunft in Groß-Kairo die
214 Drittes Buch, Sechstes Kapitel,
mich. Meine hölzerne Weinflasche fand, obgleich anfäng-
lich abgelehnt, doch späterhin den besten Zuspruch, und
ermunterte die Republick,
Die Frau vom Hause entledigte sich nach und nach
des Schleyers, allmählig kamen die fchwarzen Augen des
fchwarzen Gefichts und blendend weiße Zähne zum Vor-
fchein. Um uns gegenseitig verständlich zu machen, war
die Zunge eigentlich ganz überflüßig, doch lachten wir
eben über diesen Umstand nicht wenig.
Und, o welch ein Wunder, meine Taschenuhr und
die Knöpfe von Perlmutter, noch mehr Spaß machte das
Meffer mit einer Schnellfeder, und als ich aus meinem
Nastuch einen Hafen bildete, floh Alles, und die Kinder
fchrieen laut auf.
Spät in die Nacht hinein zog sich jedes zurück auf
fein Lager. Es war voller Mond; ein hoher Palmbaum
stieg dicht an der Hütte empor; die Hälfte des Daches
lag in den langen Schatten der prachtvollen Zweige, ich
lagerte mich hin, noch wachend in poetische Träume ge-
wiegt.
Aber bald unterbrach die kahle Wirklichkeit den pot-
tischen Schwung! Rauch und Dampf wogte in dem Ge-
mache oder Loche, in welchem ich schlafen sollte; ärger
und schlimmer aber, als alles andere, war das Heer von
Flöhen, von welchen alles schwarz überdeckt schien *).
Bienen schwer und gut an diesem letztern Ort mit gro-
J ßem Vortheil verkauft werden.
*) Im Sommer sterben in Aegypten wegen der großen Hitze
diese Insekten. Nur im Winter plagt und quält dort
dieß Ungeziefer.
fit,
is
N
z
s"
- -
Fernsicht der Pyramiden. 245
Nothgedrungen legte ich mich am Ende unter die Schatten
der Palme, aber ich fror die ganze Nacht über eben so
stark, als hätte ich unter einem Birnbaume der Schweiz
geschlafen. Am Morgen verschwand der Zauber der
nächtlichen Beleuchtung. Mir eckelte vor dem Schmutze
und der Unreinlichkeit, die sich in der ganzen Wirthschaft
ankündigte; noch mehr empörte mich die Schaamlosigkeit
der Forderung, als ich eigentlich schon zu gutmüthig und
mehr als genug bezahlt hatte. Beynahe vor Tag ward
ich um Wein, den sie schon getrunken hatten, und um
Brandtwein und andere Dinge, mit dem abstoffendsten
Eigennutz angebettelt.
Daher bestieg ich zeitlich meinen Eifel, um weiter zu
kommen. Die heitere Morgenluft, ein Stück Brod , das
ich von einem der fünf mitgenommenen abriß, und ein
Schluck Rum verjagten den Unmuth; ich ward wieder
heiter. Die nahen Pyramiden entzückten mich ; ich glaubte
fie kaum eine Viertelstunde von mir entfernt, aber später
erfuhr ich, daß noch über zwey Stunden Weges dahin
erforderlich wären. Meine beiden Begleiter, die Araber *),
blieben meist eine Strecke hinter mir bey dem Esel, der
mein Gepäcke und den Mundvorrath trug. -
Ich hatte meinen Säbel an der Seite, und der eine
der beiden Bursche trug eine Flinte. Dieß war unser
ganzes Zeughausgeräthe in dieser gefährlich sein sollenden
Gegend. Vor meiner Abreise aus Kairo traf ich aber
meine Vorsichtsmaßregeln, indem ich fast gar kein Geld
f s
*----------
'). Der Kaufmann und der Mahler, die mich nach
Kairo begleitet hatten, blieben in dieser Stadt
zurück.
216 Drittes Buch. Sechstes Kapitel.
zu mir nahm. Meine Repetieruhr hatt' ich schon früher
an eine schlechtere goldene ausgetauscht. Uebrigens hatte
ich keinen Augenblick Zeit, an die abschreckenden Sagen
zu denken, das Neue der Umgebungen verscheuchte jeden
Gedanken an Gefahr und beschäftigte mich ganz; denn
kaum eine Strecke weiter vorwärts geritten und die drey
Pyramiden von Gizeh rechter Hand gelassen, erschienen
die von Sakara und in weiterer Ferne die von Da-
chour. Eine ganze Reihe dieser zugespitzten, künstlichen
Berge, dehnt sich da der Länge nach vor dem Auge hin
und gewährt einen in dieser Art einzigen Anblick in der
Welt. Den ganzen Tag über blieben sie mir im Gesichte;
mehrere waren angegriffen von der alles zerstörenden Zeit;
aber diese Gegenstände sind wahrscheinlich diejenigen, die
von allen menschlichen Werken am wenigsten davon litten.
Die Jahrtausende, welche seit ihrer Errichtung hinroll-
ten, find unbestimmt. Ich hörte wohl Muthmaßungen,
daß es noch Arbeit von den Israeliten feyn könnte; daß
die Pharaone nicht einzig aus Eitelkeit diese ungeheuern
Riesenwerke aufhürmten, sondern wichtigere Beweggründe
mitwirken mochten, um ein zahlreiches, unruhiges Volk
fortdauernd zu beschäftigen, als dem einzigen Mittel,
es im Zaum zu halten. Je herber und niederdrückender
die Arbeit war, je weniger folte der Gedanke an eine Be-
freiung aus dieser Sklaverei, Raum und Nahrung für
den. -
-
von Backsteinen aufgeführt, und nur diese, aus vielen
Millionen zusammengesetzt, war fchon für die Juden eine
kecke Nuß zu knacken.
-
Eine der größten Pyramiden von Dachour ist ganz
#
-
M
Plünderung meines Mundvorraths. 217
Aber auch nirgends konnte der Ort zur Ausdauer
solcher Werke beffer gewählt werden, als gerade hier in
Ober-Aegypten, wo man nicht weiß, was Regen ist,
und in einem Jahre vielleicht kaum ein paarmal die Erde
davon befeuchtet wird. -
Das Land, welches ich nun bereiste, war durchge,
hends herrlich; alle Pflanzen trieben wie bey uns im
Sommer. Zur Linken blieb mir der Nil, zur Rechten
die Sandhügel der Wüste, und die Pyramiden ragten
daraus hervor, -
Von Morgens früh bis gegen drei Uhr Abends ward
anhaltend geritren; ich hielt meinen Esel bald für ein
Perpetuum Mobile ; ich versuchte es, mich zu erkundi-
gen: wo Halt gemacht würde? konnte mich aber nicht
verständlich machen. Ich stieg also ab, lagerte mich in
den Klee, und deutete: mir den Korb, in welchem mein
Speisevorrath lag, herbey zu bringen, denn ich fühlte
guten Appetit. Aber, sieh da, jetzt erhellte es: daß es
wirklich an Dieben hier nicht mangelt; ich war mit
Arabern, und dieß war genug! Die Schufte blieben
fo oft zurück, um ungestört meinen noch geringen Mund-
vorrath zu freffen, und Rum zu uachen. Von meinen
fünf Broden fand ich noch eines und von meinem Huhn
noch einige Ueberreste ! -
Meinen Durst stillte ich nun aus dem nahen Bächlein.
Die Kerls zu Rede setzen konnt' ich nicht, da ich kein
Wort ihrer Sprache redete: was hätte ich aber auch ma-
chen wollen in dieser Lage? ich hat also als ob Alles in
gehöriger Ordnung wäre; fand das noch wenige Vorrä-
hige vortrefflich, und bald saßen wir wieder auf
218 Drittes Buch. Sechstes Kapitel.
- Nach ein paar Stunden, es war schon Nacht, ge-
langten wir an ein Dorf, wo wir vor einem nicht unbe-
deutend scheinenden Bauernhof abstiegen. In einer Gat-
tung Schopf wurden wir auf dem Boden hingelagert.
Die arabische Gastfreundschaft erheischt es, den Fremden
zu bewirthen und zu beherbergen. Pillau und Kuchen
von Dura wurden aufgetischt und meine beyden Gefell-
fchafter oder Geleiter lieffen sich's nicht übel schmecken;
ihre Thiere im Stalle wahrscheinlich noch mehr, da sie
den ganzen Tag über nur gearbeitet und gar nichts ge-
freffen hatten,
Diese Bauersleute, – Fellahs, wie sie hier hei-
ßen, – fchienen fehr wohlhabend zu feyn. Eine Menge
Vieh aller Gattung und Schaafe, gegen die Hundert,
lagerten unter freiem Himmel, letztere mit Strohdecken
über den Rücken bedeckt, welches nach der Schur immer
einige Monathe geschieht; ein ähnliches Verfahren
in der Bedeckung des Rückens der frisch geschornen
Schaafe, fah ich fehr häufig, es foll dazu dienen, die
Wolle zu verbeffern. -
Ruhig entschlief ich auf dem Boden der Baracke;
etwas Stroh unterm Kopf diente als Kiffen. Noch hatte
ich auf den folgenden Tag gesorgt. Beym Ankommen gab
nämlich der eine Geleiter zu verstehen: ob ich nicht et-
was Geflügel kaufen wollte? Ich gab ihm einen Piaster,
die zwey abgerechnet, welche ich ihm noch bey der Ab-
reife gab. Ich glaube überzeugt zu seyn, daß der Schurke
nicht die Hälfte dem Wirthe gab, sondern für sich be-
hielt; das konnte ich am Benehmen des Wirths merken,
auch lag die Prellerey unverhüllt da, als Abends dar-
üt
is
i
Wanderung durch die Wüste. 21)
z, , , auf nur eine gebratene Taube sich im Korbe fand, die
i, hier nur wenige Kreuzer kosten.
l, ---
< - 7.
-
Am Morgen zeitlich brachen wir auf. Das Dorf
lag hart an der Sandwüste. Es war ein hübscher, küh-
ler Morgen. Bei uns klänge dieser Ausdruck Ende De-
zembers ironisch; hier gilt er im Ernst. Ein Trupp von
ein paar hundert leeren Efeln, mit ihren Treibern, bil-
dete eine Karavane, an welche wir uns nun anschloffen,
Ein einziger Janitschar diente als Beschützer des Zuges.
. Ein immer neues Gelände eröffnete sich mir, ob
auch im Ganzen höchst einförmig, doch Strichweise ver-
schieden abwechselnd; bald sind es kleine Hügel von
Stein und Sand, enge aneinander gereiht, bald größere
“ in ungleicher Ferne zerstreut, bald Ketten bildend, bald
" unabsehbare Ebenen; zuletzt Felsen ähnliches Gebürg von
" zusammengepapptem Sande; mitunter sehr schöne, braune
Kieselsteine von lebhafter Farbe, bisweilen himmelblau
und innerhalb zierlichem Marmor. -
. Sieben bis acht Stunden durchwandert man diese
Oede ; wie auf dem Waffer nur Meer und Himmel, so
ist hier nur Sand und Himmel sichtbar; kein anderer Ge-
genstand, kein Strauch, kein Gräschen belebt die Ge-
gend; kein Geschöpf, kein Mensch begegnete uns, kein
Vogel in der Luft als Zeichen der lebenden Welt. Nur
hin und wieder gebleichte Knochen von Kameelen oder
Dromedaren, Pferden oder Eseln hoben sich weiß aus
dem gelblichten Sande. Vorbey war nun zehn Uhr Mor
z
220
Drittes Buch. Siebentes Kapitel,
gens die liebliche Kühle, der Schweiß trof wie bei uns
in fchwülen Julius - oder Augusttagen. -
Es mochte ungefähr zwey Uhr Mittags feyn, als i
am Horizont der Oede etwas bemerkte, das wie etwas
Lebendiges aussah *). Ich irrte nicht. Allmählig stieg
es herauf und bildete einen Reuter; ich theilte meine
Beobachtung mit, bald war. Alles in Alarm und die Eifel
in Galopp gejagt; ein zweiter Reuter ward bemerkbar,
doch mochte die Entfernung wohl eine halbe Stunde aus-
machen; nicht viel weiter rechneten wir, bis wir wieder
Land *) hatten; es schien, als wären's Beduinen,
Die Eile, mit welcher vorwärts gejagt wurde, ließ
zu keinen weitern. Beobachtungen Zeit, und meinen Trei-
bern war bänger als mir. Das Warum konnt' ich mir,
nicht erklären, da an ihnen nichts zu plündern war, ich
hätte keinen Kreuzer für den Anzug beyder gegeben, Der
)
-
v)
Es ist unmöglich, eine Beschreibung dieses sonderbaren
Anblicks zu machen; man folte glauben, weil in der
vermeinten Ebene nichts die Aussicht hemmt, man fähe
ins Unendliche, und doch ist der Gesichtskreis beengt
durch nicht in die Augen fallende Sandhöhen und Hü-
gel, die man nicht unterscheiden kann, es ziehen die
Gegenstände von ferne allmählig in die Höhe wie opti-
fche Erscheinungen, und durch die erhitzte flatternde Luft
wie magische Schatten, undeutlich und eher vergrößert,
fchwebend und ruhig beweglich, in dieser durch nichts
anders belebten und bewegten todten Stein- und Sand-
Welt. .
Das heißt: bis wir aus der Wüste wieder Vegetation
hofften.
ist
it!
d
#
E
Gränze von Fajin m, 221
Gedanke kam mir nicht zu Sinne, daß ich auf ihrem Hab
und Gut saß, auf dem Esel. – -
Der eine meiner Araber blieb lange zurück, und als
er mit den Janitscharen den Zug wieder erreicht hatte,
glaubt' ich, er wolle mir zu verstehen geben, daß mit den
Beduinen unterhandelt würde und es für meine Person
zwey Piaster koste, die er sogleich verlangte. Ich merkte
die Prellerey; wir waren indes dem urbaren Lande näher
gekommen; ich zog meinen Säbel und deutete, daß dieß
für die Beduinen wäre, sie sollten nur kommen. - -
Die Araber sind feiges Diebsgesindel; er glaubte,
daß der halbgezogene Säbel ihn gelte, und sprang weit
zurück. Nach Verfluß einer halben Stunde waren wir
der Hauptwüste entronnen und langten in Damieh an;
wie eine Erdzunge ins Wasser hinein, so erstreckte sich
hier ein schmaler langer Strich Grün in den gelben
Sand hinaus; an der äußersten Spitze ist dieser Ort.
Dem Auge thut es sehr wohl, wieder auf etwas Grünen
zu ruhen. Hier war die äußerste Gränze der Provinz
Fajum, ehmals Arsinoe, die schönste und fruchtbar-
fe in Aegypten. Noch fast zwei Stunden tritt man ab-
wechselnd durch Sand, der von Strecken. Landes, welche
angebaut sind, unterbrochen war und sich heraushob. Aber
gegen Abend war aller Sand durchzogen, und ich befand
mich in einer Gegend, die Italien im May kaum auf-
weisen kann. Blühende Bohnenfelder mit dem wohlrie-
chenden Duft; in Halmen schieffendes Korn; Aecker mit
Rosenstauden “ bepflanzt; Zuckerrohr reif zum Genuß;
Pflanzungen von Indigo, Einfänge von Orangen; Citro-
nen und Cedernfrucht; Felder von Flachs in voller Blü-
the; Palmen, welche ihre neuen Zweige zur künftigen
z
222 Drittes Buch. Sie beutes Kapitel, "
Dattel schon proßten; fette Wiesen und Kleematten,
in denen das Vieh bis an den Bauch watete. So war
jetzt die Landschaft dieses Bezirks beschaffen; die Felder
von tausend Gräben mit laufenden Waffer durchkreuzt,
welche vom Nil her durch Nebenkanäle gefüllt werden.
Medini heißt jetzt der Hauptort der Provinz. Die
Ruinen des ehemaligen Arfino e, sind eine halbe
Stunde von hier, aufgethürmt wie Berge, Stunden im
Umkreis haltend, erheben sich die ueberbleibsel auf dem
Schutte dieser einst fo bedeutenden Stadt. Noch jetzt
findet man Münzen, Urnen und kleine metallene Götzen
jeder Gattung *) unter diesen Trümmern herrlicher Wer-
ke. Ich kaufte mir einen, der seit wenigen Tagen ge-
funden ward. -
Plinius fagt: „daß diese Provinz das Crokodil ver-
ehre “; die Priester nährten dieses Thier mit gebratmen
Fleischkuchen und Wein, indem ihnen jene in den Schlund
geschoben wurden, den man ihnen öffnete. Laugam nä-
herten sie sich dann dem See, und ließen sie hinein, um
das Mahl zu verdauen. -
Ich ward bey einem Griechen, dem einzigen Fran-
ken in Fajum, aufgenommen und beherbergt; von einem
Griechen ward ich an diesen empfohlen, und von einem
englischen Haufe in Alexandrien - an einen dritten in
Kairo. Alle drey waren Griechen im eigentlichen Sinne
des Wortes, wie ich schon so viele Erfahrungen machte.
Oft durchwanderte ich die schöne Gegend dieses Be-
zirkes. Dem Kafchef gehören mehrere große Accker, die
nur von Rosenstauden bepflanzt sind. Die Zeit ihrer
*) Die Araber nennen sie Egytti.
Der Kafchef 223
Blüthe ist ein ganz unbeschreiblicher Genuß für Auge und
Geruch! - -
Das beste Rosenwasser und die vorzüglichste Rosen-
effenz wird hier verfertigt; es wird beym Waschen häu-
fig gebraucht, besonders von dem Frauenzimmer. Jeden
Morgen werden die reifen Rosen gepflückt und sogleich
gebrannt; in Kairo wird Zucker damit gefärbt und da-
durch auch dem Geschmacke beygebracht. Mit diesem Ar-
tikel wird sehr ins Große gehandelt. Ich sah bey einen
Dutzend Buden, wo dieser Rosenzucker Kistenweis verpackt
und ins Ausland versandt wurde. -
Den Kaschef wurde ich vorgestellt, er erheilte eben
Audienz; höflich von ihm empfangen, setzt' ich mich auf
einen Polster am Boden; ich wollte ihn in seinem Amte
nicht stören, das er eben verwaltete, Sehr stille und
ehrerbietig betrug sich das volle Zimmer der Anwesenden,
und wenn er sprach, vernahm man keinen andern Laut.
Immer sprach nur Einer allein; nie fiel ein Andrew
ins Wort. -
Rasch brach er auf. Alles folgte. Nach Verfluß ei-
ner Viertelstunde, während welcher einem Janitscharen
die Bastonade so ertheilt wurde, daß er von zweyen ge-
führt werden mußte, kam die Prozession zurück.
------- --------
Unweit meiner Wohnung befand sich ein Hühner-
Brut-Ofen, deren es in Aegypten so viele gibt. Ich
ließ mir das Gebäude öffnen, um die Anstalt deutlich
zu sehen. Das Gebäude, oder, was beynahe dasselbe ist,
der Ofen, war bey etwa fechszig Schritten lang; die
Mitte durchschnitt ein Koridor, damit man rechts und
224 Drittes Buch. Siebentes Kapitel
links zum Feuer sehen und den Eyern die nöthige Beweg-
ung und Wendung geben könne. Nie wird helles Feuer
gemacht; nur Rauch oder Dampf von Staub und Kuh-
mit gemengt, erzeugt die erforderliche Wärme. Der
Rauch wird durch zwei Kanäle auf beiden Seiten gelei
tet, und die Eyer schichtenweise darüber gelegt; ohne
Termometer kennen diese Leute den nöthigen Wärmegrad,
und auf den bestimmten Tag der dritten Woche fängts
an im Ofen zu wimmeln, zu leben und weben; fechs bis
achttausend Eyer durchbohren sich beinahe auf eine
Stunde und jedem entwindet sich ein Gefangener.
Oft sollen die Hühnchen beim Verkaufe beim Vier-
tel weggegeben und nicht gezählt werden. Das Maaß des
Viertels ist oben und unten offen; was es in einer
Rundung einfaßt, kostet so und so viel; diese Manier
geht schneller von Statten als das Zählen; auch in diese
Anstalten mischt sich die Regierung, und bezieht ein Ge-
wiffes von jedem Ofen.
Ich war nun entschloffen, meine Reise durch Ober-
ägypten noch weiter hinauf fortzusetzen. Dieser Entschluß
ward mir durch die Bekanntschaft mit einem französischen
Renegaten, den ich hier fand, sehr erleichtert. Zur Zeit
der Beys diente er als Mamelucke, und hatte das Glück,
bey der Ermordung seiner Waffenbrüder abwesend zu seyn,
Haffan nannte er sich nun; sein Gesicht und der rothe
Bart bis auf die Brust hinunter bildeten einen halben
Judaskopf. Gescheut und gewandt hing er scheinbare
Grundsätze von Billigkeit aus. Dieser Umstand milderte
das Nachtheilige, daß ich bey feinem ersten Anblicke em-
- - -
t
d
g
z?
z
Hassan, ein französischer Renegat. 225
pfand. Er hatte den ganzen französischen Feldzug mitge-
macht, war oft verwundet, und hatte ungemeine Kennt-
niffe von den Oertlichkeiten des Landes; überdieß hatte
er eine Unterhaltungsgabe, die mir oft fehr intereffant
war. In der Länge der Zeit von beynahe zwölf Jahren,
während denen er seine Sprache nicht üben konnte, ver-
gaß er freilich das eint und andere oder verwechselte die
Ausdrücke, was denn bisweilen lächerliche Mißverständ-
niffe absetzte,
Vom Kaschef erhält man einen Zettel, vermittelt
deffen, man bey den Fellahs Wohnung und Kost findet,
Auf zwey Eseln und mit einem Knechte ging's bey immer
gleich fchön anhaltendem Wetter vorwärts. Etwa eine
Meile weit von dem Orte meiner Abreise, kamen wir
durch ein Dorf, Fiddem i geheißen; es hat die schönste
Lage in dieser reizenden Gegend. Dieses Dorf ist in
zween Theile geheilt, von denen der eine von Türken,
der andere von Kopten bewohnt ist; fo find die Wohnun-
gen geheilt, wie die Meinungen: Mahomed und Christus,
heyde Partheyen leben abgesondert,
Hier herrscht ein immerwährender Frühling den
Winter durch. Von den Sommermonathen in dieser
Gegend kann ich nicht urtheilen, doch müssen diese auch
nicht unerträglich sein. Auf lieblichen Hügeln schatten
hinreichend niedre Palmen, Oliven, Reben, welche ei-
nen vorzüglichen Wein liefern, Cedernfrucht, Citronen,
saure und süße Pomeranzen: wohlriechendes Gesträuch,
- das ganze Jahr durch blühend, – All das – und unter
diesem Allem findet sich wohl Erleichterung und Zuflucht
gegen die stärkste Hitze; zu diesem Allem kommen noch
; P
-,
226 Drittes Buch. Siebentes Kapitel. SA
lieblich rauschende Bäche, die das Ganze beleben und
den Zauber dieses Paradieses vollenden,
Haffan fagte mir viel von dem „Chrétien des Ka-
fchefs und machte große Lobprüche von ihm; ich konnte
mir nicht recht vorstellen, was der Kaschef für einen
Christen in feinem Dienste haben könnte und mochte auch
nicht weiter fragen. Jetzt begegnete uns ein Trupp von
Landleuten “), und Haffan rief mir zu: „ce sont tous
des écrivains;“ Schreiber, dachte ich, und doch gleichen
fie Bauern der Gegend wie ein Ey dem andern. Auf
einmal löste sich der Mißverstand; Haffan verwechselte
Chretien mit Ecrivain und deswegen war mir die Sache
fo spanisch.
In wenigen Stunden darauf kamen wir nach Senn-
hour. Kraft meiner Zettels nahm ich Duartier beytt
Vorsteher des Orts. Er war eben beschäftigt, auf ei-
nem großen, freyen Platz Dura “) zuzurüsten und
zu besorgen. Mit zwei andern kam er, fowohl den An-
kömmling als den Zettel bey Nahem zu befehen. In ei-
ner Hausflur, welche sich in den meisten türkischen Woh-
hungen gleich beim Eingange befindet, wurde uns Her-
berge angewiesen. Nach Landessitte kam bald Kaffee,
der aber nach Haffan’s Aeufferung zur Hälfte mit Reis
verfälscht war, zum Vorschein. Späterhin ein Brey von
Dura, faure Milch und dünne Kuchen, halb gebacken,
und Honig. Den Thieren ward ein großer Kleehaufen
*) Koptischen Christen.
- *) Eine Gattung Maiß, wovon Brod und Mehl überhaupt
zubereitet wird, besonders aber zur Fütterung für Vieh
und Geflügel dient.
'
(MS
Der See Myeris, 227
vorgeworfen; einen kleinern Haufen von Klee ähnlichem
Futter schüttete man vor dem Herrn des Hauses und seinen
Begleitern auf. Die vier- und zweibeinigten bissen gleich
lustig an, und der Haufe der letztern war alle, ehe die
erfern mit dem ihrigen fertig waren,
Dieses Kraut, welches von dem Wirthe und feiner
Gesellschaft verzehrt wurde, ist dem Klee fehr ähnlich,
außer daß es spitzere Blätter und weißlichte Blüthe hat,
Unbeschreiblich häufig wird es von den Einwohnern ge-
effen; es ist nicht unangenehm; ich war späterhin, als
ich hungerte, im Falle, auf solchen Aeckern mich hin zu
lagern und nach Lust zu grasen.
Noch mehrere Stunden leitete der Weg über Sand,
Der See, ehmals Moeris – jetzt der Charon genannt,
war erreicht. Nie in meinem Leben sah ich eine ähnliche
Menge Vögel, wie hier auf dieser blauen Fluth und an
deren Ufern. Strecken von einer halben Stunde im
Umfange waren von ihnen, wie mit Schnee, bedeckt,
Nach und nach hob sich's und Strichweise war der Him-
mel verdunkelt von Schwärmen, die Millionen enthielten,
Dieser See von vierzig Stunden im Umkreis, ist
von Menschenhänden gegraben. Ein Pharao soll dieses
verdienstvolle Werk, für unser Zeitalter ein unbegreifli-
ches Unternehmen, begonnen und vollendet haben. Der
See ward vom Nilwaffer zur Zeit der Ueberschwemmung
dieses Stroms gefüllt, und bewäfferte das Jahr über die
ganze umliegende Provinz. Die Segnungen des Volks
folgten dem Namen des Pharao-Moeris; wer für feines
Volkes Wohl Wunder thut, der allein ist unsterblich !
- P 2
228 Drittes Buch. Siebentes Kapitel.
und jenseits am Ufer dieses Wundersees, ein paar
Stunden tiefer in der Wüste, ruhen die Ruinen eines
andern Wunders der alten Welt. Ein Berg von Ruinen
bedeckt in einer stundenlangen Strecke den Schutt des
Labyrinthes mit seinen zwölf Palästen unter Einem
Dache. Zwei Stockwerke, jedes anderthalbtausend Ge-
mächer enthaltend, machten nach Herodots Beschreibung
die Füllung dieses einzigen Werks seiner Art aus. Wer
sich ohne Führer hinein wagte, war verloren ohne den
Faden der Ariadne. An keinen Ausweg war in dieser
künstlich verworrenen Schöpfung von dreitausend Gen-
chern, deren jedes mehrere Thüren gehabt haben soll, zu
- denken. Noch jetzt sieht man eine Gattung Zellen, sehr
lang, aber nieder und schmal, hier mochten die Körper
der geheiligten Krokodile verwahrt worden sein. Gegen- #
wärtig noch, in ihrer Zerstörung, sind diese Werke ein
Wunder der Welt, jetzt in Schutt, Moder und Sand ver-
funken. Welch ein Abstand zwischen denselben in ver-
gangenen Jahrtausenden und dem gegenwärtigen Augen. "
blicke. Es engte und drängte sich in mir. uebers Sand-
meer hinblickend, stand ich an der Gränze der Sandöde
Lybiens, heißer Wind wehte daher, ich eilte zurück.
Gerne wäre ich weiter vorgedrungen nach dem Schutt-
haufen von Theben mit feinen hundert Thoren, und
nach so vielen andern Ueberbleibseln einst so merkwürdiger
Orte; gerne wäre ich noch hinauf zu den Katarakten des
Nils, weiter zu sehen das noch so viele Sehenswerthe der
alten Welt, denn auf keinem andern Fleck der Erde findet "
man in größerer Menge so beisammen vereint das, was
Menschen Kühnes, Großes und Erhabenes schufen, als
-
Salzlager. " 229
hier unter diesem Himmelstriche, hier, wo einst die Leh-
wer von Griechenland und Karthago und Rom athmeten.
Entbehrung von Bequemlichkeiten, so wenig, als
Furcht vor Gefahren und Mühfalen hielten mich ab, wei-
ter zu reisen, dieß alles scheute ich nicht; aber meine Fi-
znzen waren nicht die eines englischen Lords. Diese Be.
trachtung gebot Rückkehr, wenn ich auch fonst nicht an
die Heimreise gedacht hätte.
, - -
-
Z,
Schon in Kairo fand sich hin und wieder der Boden,
weißlicht, wie mit Reif bedeckt. Es war Salz. In der
Gegend des Sees Moeris aber lag Strichweise das baa-
te, feine, gereinigte Salz, oft zwei Finger hoch.
- In diesen Einöden mangelt es nicht an wilden Thie-
ten, verschiedener Art. Unweit von uns sprang ein
Wolf vorbey. Haffan bedauerte es sehr, statt einem
Esel nicht ein Pferd unter sich zu haben, um ihn zu
verfolgen. Dieser Wunsch war indeß übel angebracht,
denn kurze Zeit darauf legte er auf ein Dutzend wilde
Gänse an, die in einer Reihe ruhig auf dem Boden la-
gen und den Schuß abwarteten; er drückte vielleicht zehn-
male los, aber die Flinte versagte, und wir wären übel
daran gewesen, wenn der Wolf, statt zu fliehen, auf uns
losgestürzt wäre. - . . .“
- An der Gränze längs der Sandwüste war ein Trupp
wandernder Araber, die sich da gelagert hatten. Etwas
Neues für mich, das ich gerne in der Nähe zu sehen
'-
230 Drittes Buch. Achtes Kapitel.
-
wünschte. In Gruppen abgeheilt, lagen die Zelte dieser
untäten Völkerschaft beyfammen; je zwanzig bis dreißig
Zelten hoch, machten eine Verwandtschaft aus und bil-
deten ein kleines Dorf; so lag Bezirksweise ein Dorf von
Zelten am andern, und man fagte mir: daß das Ganze
viele taufende ausmache. Diese herumziehenden Horden
erkaufen das Recht, ihr Vieh zu weiden, von den Best-
tzern des Bodens, und bleiben mit ihren Heerden von
Schaafen, Ziegen, Rindvieh und Kameelen so lange, bis
der Boden abgeäzt ist. Dann verpacken sie ihr Haab und
Gut, Weiber und Kinder wieder auf die Kanzteele, und
beziehen einen neuen tauglichen Platz, bis auch dieser,
wie der vorige, abgeweidet ist. Haben sie im geringsten
etwas zu befahren, oder werden sie beleidigt, so ziehen
sie sich in die Wüste zurück und lauern da auf Gelegen-
heit, sich durch Räuber eyen und Streifzüge in die ihnen
bekannte Gegend zu rächen; auch ohne dazu gereizt zu
werden, follen sie zu Diebereyen geneigt feyn und die
Gegend unsicher machen; auf jeden Fall sind sie eine g-
fährliche, mißliche Nachbarschaft. Während dem Aufent-
halte der Franzosen, waren diese arabischen Horden au-
genblicklich verjagt, wo sie sich ansiedeln wollten.
Ihre Verfassung soll eine Gattung von Monarchie
und je der Aelteste einer Familie Vorsteher und Befehls-
haber derselben feyn. Die Wirthschaft in den Zelten *)
ist bunt genug; in dem engen Raume derselben ist eine
*) Alle sind einander gleich, zehn bis zwölf Schuhe lang,
fechs bis sieben hoch; von Tuch, das sie selbst verferti-
gen; Riemenweife, braun und weißlicht, dichter und
stärker als Zwilltch aneinander genäht. . . .
h
d
g"
-
Argwohn. - 23.
ganze Haushaltung mit Mobilien, den nöthigen Werkzeu-
gen und Geräthschaften, Animalien und Vegetabilien zu-
fammengepreßt.
Die Weiber sah ich alle sehr thätig, nicht nur ver-
richten sie alle möglichen Arbeiten, sondern sie weben
machen Netze, spinnen Kameelwolle u. a. dgl. Dinge.
Ihre Kleidung ist in diesem so milden Klima so leicht,
daß sie kaum Kleidung genannt werden kann; doch ward
auch hier Sitte, schnell das Gesicht zu verbergen, wenn
auch sonst nichts anders verborgen blieb. -
Indeß ward, als ich die Länge des Zeltes beschritt,
um den Raum abzumeffen, dieß für verdächtig gehalten;
es schien, als ob die Männer es nicht gerne sähen.
Deutlicher bewies es aber das Gelärm und Gekeif eines
alten, schwarzgelben Weibes, das mich mitten im Ab-
meffen unterbrach, sich mir in den Weg stellte, und
durchaus keine nähere Untersuchung des tüchenen Palla-
fes zugeben wollte. Ich beschied mich deffen um so viel
schneller, da die Hunde als ihre Bundesgenoffen ein In-
termezzo anstimmten, das mit dem ihrigen abwechselnd,
mich bald überzeugte: es fey rathsamer, mich mit heiler
Haut zurückzuziehen, als auf Gefahr und Unkosten fol-
cher meine Neugierde zu befriedigen. Wahrscheinlich
vührt dieß Mißtrauen von dem Aberglauben her: daß die
Franken in Zaubereyen und geheimen Künsten bewandert
feyen. -
Hier werden die Pferde, die zu nichts andern als
zum Rennen und Strapazieren gebraucht werden, abge-
richtet, um recht lange auszudauern. Die Menge wacht-
barer Hunde umgeben überall die Zelte. Ich ward übri-
gens von diesen Halbmohren freundlich aufgenommen;
232 Drittes Buch. Achtes Kapitel.
man anerbot, wie üblich, die Pfeife, indeß man sich in
Kreis herum an die Sonne setzte. Dieß forgenlose, „pa-
triarchalische Leben hat gewiß vielen Reiz; es liefert den
Beweis, daß dieß freyheitsliebende Volk lieber auf alles
andere Verzicht thut, als auf diese Lebensart.
Es traf sich im Rückwege in Fiddimi zu übernach-
ten. Haffan frug mich: „, ob ich lieber bey einem Tür,
–ken oder bey einen Christen Herberge nehmen wollte?“
All eins, war meine Antwort, wo man beffer, und der
Hauswirth ein ehrlicher Mann ist. Er machte nicht die
beßte Schilderung von den Türken, und man bezog also
das Quartier der Kopten; ich bemerkte, daß unsere
Erscheinung neu, und eine folche ungewohnt feyn müffe,
da alle Einwohner zusammenliefen. Ich bemerkte ferner
einen festen, hämischen Blick, den Haffan beym Absteigen
dem türkischen Treiber zuwarf; dieß genügte, um mich
Kabale muthmaßen zu laffen.
Der Hausherr war nicht zugegen, man mußte ihn
suchen; indessen fagte mir Haff an, daß vor einigen
Tagen ein Bruder desselben gestorben wäre. Ich äußerte
meine Unzufriedenheit, unter folchen Umständen die Leute
zu stören, und ihnen beschwerlich zu fallen.
„O,“ sagte er, „einmal einer verscharrt, denkt
niemand mehr an ihn – c'est comme les chiens!“ Diese
Aenfferung war nicht empfehlend. Der Mameluk fluchte,
daß man so lange warten müffe; ich entschuldigte den
Wirth , daß er van unferm Besuche nichts geträumt habe.
Endlich kam er, es war ein Blaufärber; man erkannte
im ersten Augenblick einen arbeitsamen Mann; fein An-
zug war anständig, so wie sein ganzes Benehmen; aber
Verlegenheit über den unerwarteten Besuch, Scheue und
d
k,
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Herberge bei einem koptischen Christen. 233
Furcht blickten aus ihm: „Salaman! Salaman!“ grüßte
er und bewillkommte auf arabische Art. Er schloß die
Thüre des benachbarten Hauses auf, als unser Quartier;
es war ein Arbeitsgemach; sechs kleine Blaukippen, wie
fie hier üblich sind, nebst den Geräthschaften und um ein-
ander liegendes Tuch, nahm den größten Theil des Platzes
ein; er redete mit Haffan. Es schien mir, als ob er sich ent-
schuldigte uns nicht bessere Wohnung anweisen zu können.
Haffan aber bemühte sich mir im Gegentheil das schlechte
Quartier anschaulich zu machen und auf ein solches Loch zu
schimpfen. Wie zufällig fragte er mich: „ob ich gerne Oliven
äße?“ Auf mein Bejahen ward fogleich Kontribution ge-
macht; ich wußte nichts davon, bis man sie nebst einer
Flasche Brandtwein herbeybrachte. Der Hauswirth schenkte
ein und trank zuerst: fo wie er auch von allen Speisen
zuerst genoß, dann mir und dann Haffan bot. Bald kam
ein Bruder von ihm zur Gesellschaft, und es ward die
Rede von dem Verstorbenen Dritten. Er ward von zwey
Beduinen auf dem Wege, als er aus der Stadt etwas
Geld holte, ermordet. Drei Wochen waren seither ver-
floffen, dennoch weinten beyde Brüder herzliche Thränen
beim Erzählen, und die frühere Aeufferung Haffans
ward dadurch widerlegt. . . . . . . . . . . .
Der Brandtwein erheiterte den Hausherrn; zwey
Gläschen, die er schnell, gewiß nach anhaltender Arbeit,
und wahrscheinlich in nüchternen Magen hinunter schüt-
tete, machten ihn gesprächig, Haffan ward es nicht we-
niger, und der Flasche ward immer mehr zugesprochen,
als ich gerne sah. Zwey Knaben von sechs bis acht Jah-
ren mußten auch trinken, und als ich es tadelte, über-
fehlte mir Haffan: „daß dieß Kinder des ermordeten Bru-
234 Drittes Buch. Achtes Kapitel.
ders wären, und daß er (der Hauswirth) sie lieber ha-
ben müffe als feine eigenen, indem er den letztern keinen
Brandtwein gebe.“
Es fammelten sich nach und nach eine Menge Nach-
baren; einige fetzten sich bey uns nieder; andere blieben
an der Thüre stehen. Der Brandtwein wirkte und Haf-
fan ward wild lustig. Schon früher äußerte er: „Die
Christen seien immer betrunken, “ und jetzt wiederholte
ers, den Gastwirth meynend, und forderte Wein zum
Nachteffen; ich fah die Folgen voraus.
Noch ein paar andre Kinder traten herein. Haffan
bot ihnen das Glas und nöthigte sie zu trinken; anfänglich
lachend, späterhin zudringlich; ich merkte feine Absicht
fie betrunken zu machen, und als das jüngste sich sehr
weigerte, noch mehr zu trinken, gab ich ihm durch Zei-
chen Beyfall, da ich schon früher merkte, daß der Ma-
neluk meine Worte anders verdolmetschte, als nach dem
Sinne. Das Kind mißverstand mich und glaubte, ich
wolle, daß es trinke. Als es im Begriff war anzuse-
zen, nahm ich das Glas, und um auch Haffan meine
Willensmeymung zu verdeutlichen, leerte ich es auf den
Boden. Ich ward wieder mißverstanden, wie schon so
oft; das Kind fing an zu weinen, und ging weg, in der
Meinung, ich wolle ihm übel. Mein etwas ernstes Ge-
ficht gegen den Renegaten bewirkte Stille. - -
In diesem Augenblicke trat ein alter Mann, schwach
auf den Füßen, herein; stillschweigend fetzt" er sich in
den Kreis; er schien gegen die achtzig; die Züge seines
Gesichts waren ausdrucksvoll, herbe und düster. Der
Hauswirth sagte: „daß der Alte am Gehör und an den
Augen litte.“ Gegen das erstere Uebel wußte ich nichts,
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Rührender Auftritt. 235
für letzteres hingegen, sagte ich, brauche man bey Uns
das Rosenwaffe. Der Mann wollte fcheints denjenigen
fchen, der ihm einen Rathgeben wollte zur Erleichterung
seiner Beschwerde. Man gab ihm ein Licht; er setzte sich
hart bei mir an den Boden, das Licht ganz nahe an mein
Gesicht haltend. Sein Auge, kaum eine Spanne breit
von dem meinen, heftete sich mit angestrengter Aufmerk-
famkeit, vielleicht ein paar Minuten auf mich, dann,
nach einem durchdringenden Blicke, ergriff er plötzlich
meine Hand und küßte sie; freundschaftlich drückt' ich
die feinige. Er wollte zu mir sprechen und konnte nicht;
ich fah ihn tief gerührt, und Thränen rannen in den
weißen Bart; er neigte sich, küßte mein Knie, mein
Kleid; der Schmerz schien ihn zu übermannen; er weinte
noch heftiger. Noch einmal küßte er meine Hand mit
Herzlichkeit; wiederholte seine Zeichen, nicht sprechen zu
können; stürzte ein Gläschen Brandtwein hinunter, deu-
tete auf seine Fußsohlen, und ging unter lautem Schluch-
zk weg.
Ich war ergriffen von dem unerwarteten Auftritte;
die wärmste Theilnahme an dem Mißgeschicke des Grei-
fen regte sich in mir. In dieser Stimmung äußerte
Haffan: „vous voyez ils sont tous soüls!“ ich erwie-
derte aber ernst: daß ich für einmal, ihn selbst ausgenom-
men, Niemand in diesem Zustande sähe. -
Jetzt erzählten die Anwesenden die Geschichte des al-
ken Mannes: „Er hatte, wie es scheint, durch Fleiß und
Arbeitsamkeit, und als ein rechtschaffener und geschickter
Mann sich ein ordentliches Vermögen erworben, als er
vor neun Jahren von einem Bey berufen ward. Ohn“
Wirges zu denken, ging er hin. Da ward er vierzig
236 Drittes Buch. Acht es Kapitel
Tage lang in ein Gefängniß geworfen und während die
fer langen Zeit täglich grausam auf die Fußsohlen ge-
fchlagen. Zwar kam er mit dem Leben davon; aber das
Vermögen ward ihm genommen. Er erblindete und verlor
das Gehör und noch jetzt, nach Verfluß von neun Jahren,
fchmerzen ihn die Füße.“
Ich erwachte, wie aus einem Traune, zu brennen-
dem Unwillen. Christen fah ich um mich – Mitbrüder –
Christen, wie ich sie in meinem Leben nie noch in diesem
Lichte fah, bedrückte, nnterdrückte Glaubensgenoffen. Die
Zeiten Diokletian"s und Szenen aus Chateau-
bria nd's Märtyrern drängten sich vor meine Seele.
Auch ich ward vom Schmerz übermannt, und kein Wort
des Trostes konnt' ich meinen Mitbrüdern sagen, die
mehr oder weniger noch immer darum, daß sie Christen
find, von einer barbarischen, rohen, unwissenden Nation
gedrückt und zertreten werden.
Es war begreiflich, daß dem hämischen, feinen ehe-
maligen Glaubensgenoffen gehäffigen, und nunmehr be-
foffenen Renegaten, Haffan, nichts von dieser Sache zu
fagen war. Was hätte ich nicht darum gegeben, um mit
diesen guten Leuten, meinen Glaubensbrüdern, nur ein
Viertelstündchen sprechen zu können.
Denn, wie bedeutungslos ist mitten in der Christen,
heit der Name Chrift; wie oft ist die fer Name sogar
Stoff zur Ironie, weil mancher fittlich Gute zehnmal
beffer ist, als Christen dem Taufend nach, wie wir sie
u nter uns finden, deren Leben diesen Namen ent
Jrrth um. 237
z, weiht! Wie ganz anders aber erscheint das Christen-
thum und der Christ da, wo man nur selten diese Na-
men findet, und wie interessiert man sich dafür, wenn
man seines Gleichen bedrückt sieht, eben weil sie seines
Gleichen sind -
- es ,
Zu meinem höchsten Verdruffe erfolgte, was ich frü-
her befürchtete. Haffan ward zänkisch und fuchte Händel;
- - - - - - w
- sie konnten nur durch alle Nachgiebigkeit der in Angst ge-
jagten Hausbewohner vermieden werden; um Uebel nicht
ärger zu machen, mußt' ich schweigen. Einmal, als ich
losbrannte, um ihn heraus zu schmeißen, warfen sich die
" erschrockenen Leute um mich und flehten: daß ich mich
doch möchte besänftigen lassen. Ich dachte im Zorne gar
nicht daran, daß der Mamelucke hier in der Nähe wohnte,
und vermittelt des Kalchefs oder durch Kabale, früher
" oder später sich an diesen wehrlosen Menschen auf eine
“ entsetzliche Weise rächen könnte, - -
Aus diesem Beweggrunde verabschiedete ich Haffan
" auch späterhin nicht: und als er mir Tages darauf Ab-
bitte that und beyfügte: „daß er sich in Zukunft wohl
hüten werde, zweierlei Getränke zu sich zu nehmen, wie
seien, erwiderte ich ganz trocken: daß er wohl dar,
" an ihun würde. - -
- m-wa
- - - 9. - - - - - - -
Morgens vor der Abreise kamen mehrere Kranke in ,
% der Meinung, ich fey Arzt, weil ich gestern Abend den
23s Drittes Buch. Neuntes Kapitel.
alten Manne das Hausmittel wegen feinen Augen gab.
Mein Wirth mußte sich alle Mühe geben, es einem Je-
den zu fagen: daß dieß nicht mein Beruf wäre; ohnehin,
wenn nur ein Europäer sich zeigt, meynen die Eingebor-
nen, er fey in der Arzneykunde erfahren. Es ist aber
auch unbeschreiblich, wie es in der Levante überall von
Aerzten wimmelt; meist die traurigsten Quacksalber, und
ich glaube keinem Unrecht zu thun, wenn ich unter fünf
zigen neun und vierzig zu dieser Klaffe zähle. Versteht
ein Arzt bei uns ein Fach nicht und geht er darüber in
Europa zu Grunde, so wird er dessen ungeachtet hier,
wenn er nur in Etwas ein gutes Mundstück hat, bald
zum reichen Manne. Versuche und Probestücke macht
man hier am Menschenleben, wie wir Fabrikanten hierzu
Lande an Musterblätzen; und ein gewandter Franzose ver-
sicherte mich, daß er die Pest mehr als einem Dutzend
Araber eingeimpft habe, um darüber Beobachtungen an-
zu stellen. Als ich ihm darüber mein Erstaunen äußerte,
glaubte er, weil er den Arabern Geld bot, und jeder
sich um zwey oder drey Piafter die Pest einpfropfen ließ,
er fey dadurch quitt, er hätte es ihnen vorhergesagt,
daß sie die Krankheit bekommen würden, aber sie hätten
es nie glauben wollen, daß ein so kleiner Faden dieses
Uebel bewirken könne; - sie hätten ohnehin schon auf ihre
Lehre von der Vorausbestimmung (Prädestination) ge-
baut.
Ehe ich abreiste, wollte ich doch etwas Geld für
das Genoffene hinterlaffen; ich wunderte mich, auch beh
den Kopten den Gebrauch der Türken zu finden. Mein
Wirth legte feine Hand auf den Bart *) und machte
*) Soviel als die höchste Beteuerung.
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M
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Türkische Musterungen. 239
Zeichen, daß er kein Geld nehmen würde. Die Sitte
will's, daß ein Gast bis vor den Ort hinaus begleitet
werde. Als ich dem wackern Manne mit Innigkeit beym
Lebewohl die Hand drückte, traten ihm die Thränen in
die Augen!
Die Türken felbst geben den Kopten das Lob, daß sie
fleißige und arbeitsame Leute feyen; "ihre Kinder lernen
Lesen und Schreiben; frühe helfen diese den Aeltern in
ihrem Berufe ihr Brod verdienen,
-
Wieder in Medini zurück, fah ich eines Morgens
den türkischen Musterungen zu. Die Manöuver der Ka-
vallerie sind, wie ich schon früher äußerte, für einen
Europäer sehr interessant, mitten im stärksten Galoppe
halten die Pferde beynahe auf den Schritt an, und un-
streitig haben die Muselmänner hierin eine Gewandtheit
in Schwenkungen und Uebungen, die bei uns nicht zu fin-
den ist, auch wegen dem Sattel und der Verschiedenheit
der Lage des Reuters nicht möglich wäre; die Knie des
türkischen Reuters reichen bey den kurzen Steigbügeln fast
bis an den Hals des Pferdes. Desto unbeholfener hinge-
gen ist die Infanterie; jeder steht und geht, wie's ihm
am tauglichsten scheint, ladet und feuert nach Bequem-
lichkeit. Ohne selbst militärische Kenntniffe zu besitzen,
fiel mir gleichwohl die Verwirrung dieser Taktik auf.
Der Kalchef selbst war Anführer der Kavallerie; er saß
fest und mit Zuversicht auf feinem herrlichen Roffe.
Indeß dieser auf dem Felde feine Mannschaft in den
Waffen übte, starb zu Hause feine Tochter, welche auch
240 Drittes Buch. Neuntes Kapitel,
des Nachmittags sogleich begraben ward. Der ganzen
Länge der Gaffe nach, waren auf beiden Seiten zerfetzte
Krüppel und Lahme, die den Leichenzug begleiteten, um
Almosen zu erhalten. Die Vornehmen haben den Lärm
und das Geheul der Trauerweiber, so viel es hier zu
Lande anging, abgeschaft, da hingegen die gemeinen Leute
den höchsten Werth darauf setzen. Der Zug dieser Armen
war beträchtlich; in denselben Kleidern, wie am Mor-
gen auf dem Exerzierplatze, erschien der Kaschef; den
Sarg des dreijährigen Mädchens überzogen bunte Tep-
piche. Die geliebte Todte selbst soll in einen Kaschemir-
Schawl, von mehr als tausend Piafter am Werthe, ge-
kleidet und in demselben in die Erde versenkt worden
sein. Auf dem Rückwege aus der Moschee theilte der
Kaschef rechts und links den deßwegen erschienenen Alt-
mein Geld aus,
In Oberägypten haben die Grabmäler eine andert
Beschaffenheit als im untern Theile dieses Landes. In
der Größe eines mittelmäßigen, gleichzeitig - viereckten
Zimmers *), werden bald von Koth, bald von ung-
brannten Backsteinen diese Grabmäler erbaut. Der Be-
gräbnißplatz nimmt oft einen größern Raum ein, als das
Dorf. In der Mitte des Thurms wird das Grab ges,
*) ueber welches dann eine runde Kuppel zur Bedeckung
kömmt. Auch die Backsteine sind aus leimartigem Koh
1. zusammengeknetet. - -
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Obelisken, Hieroglyphen. 24
hen, dieses aber, wie die Oeffnung im Grabmale, bleibt
vermauert bis auf einen gewissen Tag im Jahr, an wel-
chen dann, die Gebete der Verwandten auf dem Grabe
selbst verrichtet werden. . . . . . . . . - - -
. . . . . . . . . " ,
ungefähr eine Stunde auffer Medini, liegt mitten
in einem Bohnenacker ein sehr schöner Obelisk; er ist
kleiner als die von Alexandrien, aber wohl fanden sich
oft die nämlichen Hieroglyphen auf diesem wie auf je-
nen. *). Diese für uns größtentheils, wenigstens in ih-
rem Zusammenhange, unverständlichen Figuren lasen die
alten Aegypter, wie wir die Buchstaben-Inschriften.
Auch hier auf diesem Bohnenacker, dachte ich, war
also ebenfalls eine andere Welt, als man diesen Obelisken
fetzte! -
Auffer, über die Minarets und Moscheen, findet man
in ganz Aegypten kein Dach, und im ganzen Said keine
Glasfenster mehr. - - - - -
Ich traf auf ganze Dorfchaften, die blos aus Ein-
fängen von Schilfrohr befunden *), Jahr aus, Jahr
ein lagern die Einwohner in denselben unter freiem Him-
Intel, wie ihr Vieh. - - :
" -
) Von diesen Hieroglyphen hab' ich eine sehr getreue Zeiche
nung gerettet. -
*) Auf mehreren sind Querstangen mit Stroh bedeckt als
Dachung überlegt, fehr viele sind aber ohne Bedach-
ung.
r - - HIN
22 Drittes Buch. Neuntes Kapitel
Auf dem Wege nach Benifouef kömmt man nahe
an zwey, unweit von einander entlegenen, zugespitzten
Bergen, die aus dem Sande wie Zuckerstöcke hervorragen,
vorbey. Es waren einst auch Pyramiden, und jetzt sind
sie in besteigbare Berge verwandelt. -
-
Am letzten Tage im J, 1812 verreiste ich von M-
dini, um, wie ich eben bemerkte, nach Benifouef
zu reiten. Es war ein Prachttag und in jeder Rücksicht
Sommer. Statt einer Pfeife im Mund, nagte ich auf
einem fechs Schuhe langen Zuckerrohr, und eine andere
Portion hielt ich unterm Arme. Die reine Süße ist sehr
angenehm, und endet nicht widerlich im Geschmack, wie
heym Genuße des kristallisierten Zuckers. Daß die Zähne
durch diesen Genuß im Geringsten nicht leiden, beweist
das zierliche Elfenbein im Munde von beinahe allen Ein-
wohnern des Landes. Von diesem Zuckerrohre, das den
ganzen Tag über als angenehme Nahrung dient, kauft
man zur Zeit feiner Reife im Said, mehrere Stangen
um einen Parah.
Ich dachte nicht, daß der Weg so weit wäre, aber
die Thiere waren schlecht. Erst Nachts kam ich in Be-
nifouef an; stieg im Khan ab, mit Noth fand ich etwas
gesalzenen Zieger *) und Brod von Dura, grob, wie
von Türkenmehl, aber da ich den ganzen Tag nichts ge-
geffen hatte, schmeckte es trefflich. Eine Gattung Loch
- -
*) Das frisch Geschiedene von der Schotte, Bestandteile
des türkischen Käfers,
ist
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M
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Neujahrstag Morgen. 243
ward mir als Zimmer angewiesen; sanft schlief ich auf
kahlen Boden und träumte in Afrika, von Europa,
- - -
Es war der Neujahrstag Morgen 1813 welch ein
Erwachen! Zwölf Monathe früher, welcher Unterschied,
welch andere und fremde Welt, in Menschen und Thie-
ren, Pflanzen, und Klima, und Verhältniffen!
Allein stand ich in dieser neuen Welt, auffer ja und
nein, der Benennung von Zahlen, von Brod und Was
fer, wußte ich auch nicht ein Wort von der Landessprache,
Dennoch kam ich gut durch; ich weiß oft selbst nicht
wie! - -
Ich dachte an meine Freunde in der Schweiz, an
diesem Festtag; nur ein Stückgen Brod von ihrem Ueber-,
fluffe wünscht' ich mir. Ich war mitten in einer Stadt
und hatte nicht einen Brosamen; ein Trupp Militär,
der durchzog, nahm Alles rein weg. - -
Ich ging heraus an den Nil; gegenüber lag ein Dorf
unter Palmenbäumen auf grünen Wiesengrunde, das Ue-
brige war unübersehbare Wüste, dieser angebaute Fleck
in dieser Sandöde erhob sich wie eine Insel aus dem
Meere,
In der Bibel findet sich Manches, das uns, beson-
ders in den Kinderjahren, unverständlich ist, weil andre
Sitten und Gebräuche da herrschen, wo sie zum Theil
gefährieben ward, als bey Us, mitunter gibt es wohl
- Q 2
244 Drittes Buch. Neuntes Kapitel.
auch unwissende Lehrer, die ihren Schülern das nicht
sagen könneu, weil sie selbst in der Völker- und Län-
derkunde der alten, manchmal auch der neuen Welt
Fremdlinge sind. Hier fand ich die Klageweiber, die in
der Bibel mehrmal vorkommen, und von denen ich mir
keinen rechten Begriff machen konnte. Die alte Sitte ist
in diesen Gegenden bis auf unsere Zeiten beyhehalten;
oft fah ich die Ceremonie, hier in Medini aber am
deutlichsten, und in der Nähe. -
Vor dem Hause des Verstorbenen. versammeln sich
fünfzehn bis zwanzig Weiber, dunkel gekleidet, und mit
einem schwarzen oder dunkelblauen Tuch über den Kopf
Eine Handtrommel wird von einer aus ihnen geschlagen,
die übrigen bewegen sich im Kreise herum nach dem Takte
derselben, indem sie laut das Lob des Verstorbenen be-
fingen; in einer einzigen Minute schlagen sie vielleicht
zwanzig- bis dreißigmal die Hände vor dem Gesichte zu-
sammen, und laffen sie dann bis auf die Knie sinken,
Die anhaltende, heftige Bewegung wandelt die Ceremonie
zum Tanze, alle Augenblicke ertönt von einer oder mehr
rern ein heller, durchdringender Schrey, fast wie ein
Pfiff. Das Geberdenspiel, die Kleidung, Haltung erin-
nerte mich an die drey Hexen aus Shakespears Macbeth,
den ich in Wien aufführen fah. -
Die Trauer dauert sieben Tage, während welchen die
nächsten Verwandten weiblichen Geschlechts, in Begleit-
ung mehrerer Klageweiber, das Grab des Verstorbenen
besuchen, und während ihrem Zuge durch die Gaffen wech-
felsweise diesen hellen und durchdringenden Schrei von
sich geben; selbst am Grabe wiederholt sich dieß Ge-
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Benifouef 245
lärm, das jedoch, wie gesagt, nur unter den Gemeinen
des Volks häufigere Uebung ist. e
Seit Monathen wußte ich nicht, was Regen war;
zur Seltenheit war der Himmel etwas überzogen. Wie
doch der Mensch auch des Guten sobald überdrüßig wird
Was mich anfänglich entzückte, begann ich späterhin als
eine gewohnte Sache anzusehen; noch mehr, ich mißte
ungern das Gefühl, das einem bey uns in den stürmischen
November - und Dezember-Tagen fo heimlich macht; das
Eingeschloffenfeyn im stillen, ruhigen, häuslichen, war-
men Stübchen, wo das eingesperrte Leben, alldieweil
draußen der Wind tobt und das Schneegestöber an die
Fenster schlägt, ein behagliches Wohlfeyn gewährt, durch
das Bewußtseyn: man habe von all diesem Ungemach
nichts zu befahren. - -
Benifouef liegt hart am Nile; ich dachte mich
Tags darauf einzuschiffen, da immer eine Menge Fahr-
zeuge vom Said herunterkommen *); es lag aber am
Morgen ein dichter Nebel auf dem Strome. *), was in
dieser Jahrzeit sehr oft der Fall ist, und die beladenen
Schiffe dann hindert, weiter zu fahren. Späterhin er-
hob sich Sturmwind, der Nebel lüftete sich und bildete
nur leichtes Gewölke; von der Wüste hingegen erhob sich
der Sand und verdunkelte den Himmel; es war düster,
'). Die meisten sind mit Korn befrachtet, gehören dem Pa-
fcha, und werden nach Rosette gebracht, wo es von
ihm, der aus diesem Artikel einen Alleinhandel für sich
macht, verkauft wird. -
") Der sich aber kaum eine Viertelstunde Landeinwärts
erstreckt, - - " . . "
46 Drittes Buch. Neuntes Kapitel.
wie bey uns in den trübsten Tagen. Oft sah man durch
die Säulen des emporwirbelnden Sandes den blauen Him-
mel über sich und im nämlichen Augenblicke ward die
Helle wieder verdunkelt; auf der andern Seite fah man
keine dreißig Schritte vor sich, und wenige Stunden fo
find hinreichend, ganze Karawanen zu verlieren. Die
Lage muß schrecklich feyn! -
Bey drey Tagen dauerte heftiger Gegenwind; kein
Schiff fuhr ab; ich mußte mich während dieser Zeit be-
helfen so gut ich konnte. In meiner Wohnung, wo,
wie in allen Khans, nichts zu haben war, als Wohnung,
mangelte. Alles. Sprechen konnte ich nicht ein Wort: ich
nahm zu meinen fast vergeßnen Zeichen die Zuflucht, d.
h. ich mahlte Eyer, Fische , Citronen u. dgl. aufs Pa-
pier, oder zeichnete sie in den Sand auf den Boden,
dann schafften die Araber es lachend herbey. Nachts
sperrte ich mit einem Steine die Thüre zu und verstopfte
die Löcher vor den Hunden und Katzen, die aber dennoch
oft ihre Besuche abstatteten, streckte mich auf den Boden
und zog den Rock als Decke über mich.
Der Kafchef war auf der Contributions-Jagd. Eine
geraume Zeit im Jahr wird von den Befehlshabern dieses
Landes auf diese verwendet. Mit einem Trupp Sol-
daten, meist Halunken erster Klaffe, zieht er in feinem
Bezirke von Dorf zu Dorfe; vor jedem derselben wird
Lager geschlagen, die Zelte bezogen und fo lange kaltpirt,
bis unter Drohungen und Mißhandlungen von den Ein-
wohnern das Verlangte erpreßt ist; sodann wird weiter
gezogen vor das nächste Dorf und so fort, bis man die
Reihe im Lande herum ist. …
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Krokodilfang. 247
Die meisten Dörfer in Oberägypten gleichen einer
Sammlung von Taubenschlägen; der obere Theil ist rund,
in Form eines Thurms, und die ganze Rundung mit Lö-
aehern angefüllt. Bei uns findet man zuweilen in Bau-
ernhäusern dergleichen Kachelöfen; die Kuppel ist diesen
Taubenfällen ähnlich. Bey Tausenden umschwirren sie
ihre Wohnungen; sie sind kleiner als bei uns und schei-
nen eine halbwilde Art zu feyn. Den untern Theil des
Taubenstalles bewohnen die Menschen.
Die Schlüffel in Aegypten sind fehr ökonomisch und
nicht von Eifen, wie bey uns. In ein viereckigtes Hölz-
chen werden in ungleicher Zahl und in ungleicher Lage
Messing-Drähe geschlagen, diese paffen genau mit an-
dern ähnlichen und beweglichen im hölzernen Riegel
Durch einen Druck werden die auf einander paffenden
Dräthchen gehoben, und der Riegel kann geschoben und
gezogen werden.
Endlich legte sich der heftige Wind und ich begab
mich auf das nächste, beste Schiff; es war mit Zucker-
rohr beladen, und zwar fo stark, daß, wie bey den mei-
fen andern Schiffen, auf beiden Seiten desselben Bü-
fcheln von dürrem Schilf befestiget waren, um eher fort-
zuschwimmen und vor untergehen zu sichern. -,
Gerne hätte ich Krokodile gesehen ; ich Walt“ nun in
der Gegend, wo sie sich häufig finden follen, fah aber
keine; hingegen ward mir erzählt, wie sie noch weiter
oben in Aegypten im Nil gefangen würden. Mit einem
Brette von sehr weichem Holze, wagt sich ein gewandter
Schwimmer in den Fluß; das Krokodil, wie es ihn er-
blickt, schießt gegen ihn, und wie es den Rachen öffnet,
ihn zu verschlingen, wird ihm das Brett hineingestoffen.
-
248 Drittes Buch. Zehntes Kapitel.
-
Die scharfen Hauer beißen sich so stark ein, daß sie ein,
geklemmt bleiben. Die aufpaffenden Helfer am Ufer stür,
zen sich ins Wasser, das eingebiffene Ungeheuer wird ge-
meinschaftlich aufs Trockene gezogen und todt geschlagen.
Verfehlt aber der Wagehals den Stoß in den Rachen:
fo hat die Jagd gefehlt, und er büßt sein Leben, was
jedoch fehr felten der Fall seyn soll, -
10, - -
Die Fahrt ging fehr langsam von Statten und dau-
erte fechs Tage bis nach Kairo zurück. Morgens vor
neun oder zehn Uhr konnte man wegen dem Nebel nicht
abfahren und Abends gegen vier bis fünf Uhr mußte
man wegen dem Gegenwinde landen. -
Wie oft wünschte ich, daß meine Freunde einen
Blick, auch nur eine Minute lang, in meine Lage thun
könnten. Dieser Wunsch stieg auch eines Abends auf,
als, wie gewohnt, das Schiff am Ufer hielt; es war
kalt, und das Fahrzeug mit einer Gattung von Zelt be-
deckt; da lagerte ich zu hintert auf etwas Streue, die
man über die harten Zuckerrohre ausgespreitet hatte. Der
Ueberrock diente als Decke, und ein geflochtener Reise,
korb als Kiffen. Dicht vor mir verrichtete ein Derwisch
auf einem ausgebreiteten Mantel das lange Abendgebeth
mit lauter Stimme; alle Augenblicke stürzte er sich nie
der aufs Verdeck, um den Boden gesetzlich und regelmä-
ßig zu kiffen. Vielleicht tausendmal wiederholte er das
felbe Wort, so viel und so schnell, als er's in Einem
Althemzuge konnte, -
i
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V
Nachtfülck auf dem Nile. - 249
Gleich vor den Derwische hin rauchte der Kaufmann,
der Besitzer der Ladung, ruhig die lange Pfeife; ein
Lämpchen erhellte sparsam die Nacht in dem düstern
Zelte; im Vorgrunde am Ufer hohes, helles Feuer von
Schilfflackernd, um dasselbe hier eine Gruppe von Schiff-
leuten, Aegypter und Araber, in ihren weißen, gefarb-
ten und scheckigten Turbanen, plaudernd, singend, rau-
chend. – Ein herrliches Effektstück für einen Reim-
brand. Durch die Helle hoben sich die gelblicht - weis-
fen Sandhügel der Wüste längs dem Strome hin; die
Wogen des Nils plätscherteen gegen das Schiff, durch eine
Oeffnung der Zeltdecke glänzte von oben das erste Viertel
des Neumondes! - -
-
Ich hatte heute Fasttag. Etwas trocken Brodward
dem unbeschwerten Magen zu Theil; vor acht Tagen,
als ich den Vorrath machte und es frischgebacken war,
hatte ich allerhand daran auszusetzen; jetzt, acht Tage
später, und steinhart, fand ich es ganz vortrefflich, und
nichts daran zu tadeln, als daß es zu Ende war; die
Limonade aus dem Nil erhielt mich nüchtern.
Das Reisen in Aegypten wäre wahrlich sehr wohl-
feil, wenn nicht die diebischen Araber dem Fremdlinge
Alles wegnaschten und föhlen, was er sich für folgende
Tage zum Vorrathe anschafft. Oft reichte ich des Tages
mit sechs bis acht Kreuzer aus. Brod, Eyer und Rettige
erhielt ich genug für diesen Betrag; das Schiff kostet
nur ein Trinkgeld; ein fettes Huhn ein paar Batzen;
eine Taube wenige Kreuzer; für einen Esel sammt dem
-
-
250 Drittes Buch. Zehntes Kapitel,
Treiber zahlt man zehn bis zwölf Batzen auf den Tag.
Wegen der Sprache war ich fehr übel daran; Alles auf
dem Schiffe verstand keinen andern Laut als arabisch, und
ich keinen hievon; durch Gebehrden trachtete ich mich
zu erkundigen: ob wir bald in Kairo ankommen würden?
„Schallah *),“ hieß es etwas verdrüßlich; man darf
nie fragen, wie weit es fey, oder wenn man anzukom-
men hoffe; es ist auch hier wie auf dem Meere. Um
gekehrt frugen sie mich durch Zeichen: „ob ich mich
auch recht gewaschen habe, die Hände, das Gesicht, den
Mund ausgespült?“ jenes hatte ich gethan, letzteres
nicht. Das dicke Nilwaffer war nichts weniger als dazu
einladend; aber fest nahm ich mir vor, es in Zukunft
immer zu thun, um nicht durch unterlassung schlecht-Wet-
ter zu machen. Ein Seitenstück zum Pfeifen auf der Do-
nau, als ich von Wien abfuhr.
Späterhin konnt' ich mich doch nicht enthalten zu
fragen: ob wir wohl Morgens in Kairo ankommen wür-
den? Ich brauchte das Wort türkisch und frug: Saba?
ich ward nicht verstanden, in dieser Verlegenheit dachte
ich, daß vielleicht italienisch aushülfe und frug dimani?
wieder nicht verstanden. Ich hatte vergeffen, daß auf
arabisch faba sieben und demani acht heißt. Die Leute
wußten gar nicht, was sie mit diesen Zahlen anfangen
sollten. - - -
-
Eine große unbequemlichkeit in Aegypten, besonders
im obern, find die Menge von Flöhen, die zur Winters-
*) Wenn Gott gefällt, Gottes Wille ist.
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Ausflug nach den Pyramiden- 25
zeit überall den Reisenden martern; im Schiff, im Stall,
in der Hütte, im Palaste findet sich diese Plage als ein
Merkmal der Unreinlichkeit dieses Landes. Den Sommer
durch soll sich kein Floh finden, weil die Hitze die tödte,
dagegen gibt's dann dafür reichen Ersatz von Wanzen an
jedem Ort und auf jeder Stelle. - -
-
Wieder in Groß- Kairo zurück, vernahm ich, daß in
der Zwischenzeit Engländer angekommtn wären, welche
einen Abstecher nach den Pyramiden machen, und an
welche sich Alles angeschloffen hätte, was Lust hatte,
diesen Gang dahin zu machen. Die Gesellschaft war
sehr zahlreich; ich verfehlte, um eine Woche zu spät,
diese Gelegenheit, und mußte mich also entschließen,
wenn ich diese Merkwürdigkeit in der Nähe sehen wollte,
den Weg dahin allein zu machen, und ich war hiezu ent-
fehloffen. Im Begleite eines, im Wirthshaufe be-
kannten, Arabers, der mit geladener Doppelflinte bewaff-
net war, und eines Treibers, der die Thiere zu besorgen
hatte, begann ich den Weg dahin. Ein sehr schöner Tag
heglückte meinen Entschluß. -
In Alt-Kairo ward der Nil in seiner ganzen Breite,
die hier sehr beträchtlich ist, überschifft, und innerhalb
drei Stunden befand ich mich am Fuße dieser Denk-
mäler vergangener Jahrtausende. – Eine steile Anhöhe
bildete einen erhabenen Platz, und auf diesem thronten
die Sonnenpfiler, doch auch dieser Platz, der den Py-
tamiden zum Fußgestelle zu dienen scheint, hat das An-
sehen, als sei er von Ruinen zum Berge umgestaltet.
/
252 Drittes Buch. Zehntes Kapitel.
Denn bei der Erbauung dieser ungeheuern Werke
war höchst wahrscheinlich Alles Ebene; wenige hundert
Schritte von diesen uns unbegreiflichen Werken entfernt,
meinte ich, die Größe der Steine wäre derjenigen großer
Backsteine gleich, aber das ist Täuschung der ebenmäßigen
Formen dieser ungeheuern Maffen. Ganz in der Nähe
verwandelten sich diese vermeinten Backsteine in Felsen-
blöcke von vier bis fünf Schuhen Höhe und oft noch grö-
ßerer Breite.
Wie so groß erscheint der Vorwelt Kraft in diesen
Werken; wie so klein die der jetzigen, wenn man so halb
verblüfft diese Wunder an staunt! - - -
Bey dreyhundert Schritten zählte ich die Länge Ei-
ner Seite der Grundfläche, die mir ein gleichseitiges
Viereck schien. Sechshundert Schuhe foll die größte fenk-
rechte Höhe enthalten, und ehemals bis zu unterst acht-
hundert Fuß betragen haben. Zweihundert also wären
in der Tiefe unterm Schutt.
Die Gesammtheit aller Pyramiden, unter denen ich
mich hier befand, und die mein Auge fah, stellte mir
gleichsam eine Familie dar. Vater und Mutter die beh-
den Hauptpyramiden; ein halberwachsener Sohn oder
Tochter die dritte im Rang der Größe, und als Kinder
erschienen ein halbes Dutzend, ganz kleine, zerstörte, in
der Runde umher.
- Winzigeres, mit diesen großen Denkmälern in schreck
lichten Abstande, kannn man nichts sehen, als das um
ten liegende Dorf von Koth, dessen ganze Länge kaum die
von einer einzigen Seite der Pyramide beträgt.
Ich wollte in das Innere dieser geheimnisvollen
Felsenwohnungen.
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Ausflug nach den Pyramiden. 253
Man ersteigt einige Felsenblöcke der Pyramide, und
findet sich am Abhange des Eingangs; etwa fünfzig Schritte
geht man ziemlich gähe und gebückt durch die schöne,
gleichseitige Oeffnung in das Innere, und man gelangt
scheinbar an das Ende des Ganges, aber so wie man die
fes erreicht zu haben glaubt, kommt man an ein Loch im
Boden, und durch dieses muß man sich arbeiten, um in
das eigentliche Innere zu gelangen. Drei Araber mit
Fackeln begleiteten mich. . . . . . . . . . . .
Wenn man durch dieses Loch, so enge, daß man kaum
- -
den Leib durchzwängen kann, durch Staub und Erde auf
dem Bauche sich fortschleppend, die Füße höher als den
Kopf, wenn man sich so durchgearbeitet und durchge-
wunden hat, so könnt man ins Innere und man kann,
jedoch stark gebückt, wieder etwa siebenzig Schritte gegen
den Mittelpunkt. Jetzt kam ein Felsen, der für mich
sehr mühsam zu ersteigen war; ich gewann beträchtliche
Höhe; neben mir schien der Schlund eines Sodbrunnens
dauerte lange, bis ich ihn fallen hörte. - -
Von hier aus führen zwei schmale Erhöhungen von
sechs bis sieben Schuhe, gleich einer schrägen Leiter hin-
auf in die Kammer, wo die Urne ist. Wieder etwa
sechzig Schritte, durch einen andern Irrgang, gelangt
ich an eine Gattung von Grotten, die, wenn sie eröff-
net oder gehörig untersucht würden, vielleicht in andere
Gänge leiteten. Es war aber ein Chaos von Felsen,
Mauerwerk, Staub und Erde, was am weitern. Vordrin-
gen hinderte. -
Ich eilte zurück zu kommen, denn ich fühlte mich
einer Ohnmacht nahe, Die gefangene Luft, noch verdor-
zu gähnen. Ich warf einen Stein herunter und es
254 Drittes Buch. Zehntes Kapitel,
ben durch den ungesunden Fackeldampf, er steckt einen
beinahe. Die Flamme erleuchtet eben deswegen nur sehr
schwach. Der Gedanke, verloren zu sein, wenn ich ohn-
mächtig hinfänke, machte vielleicht, daß ich es nicht
ward; ein heftiger Schweiß befiel mich; gebückt und
halb erstickt arbeitete ich mich vorwärts gegen den Mit-
telpunkt hin; ich wollte in die obere Kammer, aber die
Schmäle des Felsens, ohne sich zur Seite irgendwo
halten zu können, und die für mich noch beträchtliche
Höhe, vereint mit den fast erschöpften Kräften, mach
ten, daß ich Verzicht hat und mich dafür wieder an
das Tageslicht durchmühte; die Mauern sind von den
vielen Lichter- und Fackeldampf ganz schwarz.
Wie froh war ich, wieder frische Luft zu athmen!
Es war mir indeß auf den beschwerlichen Gang und den
erleichternden Schweiß sehr wohl. “
Die Ansichten am Ausgange der Pyramide sind in der
That prächtig. In der Ferne Kairo, mit der Menge
einer glänzenden Kuppeln von Moscheen und spitzen Mi-
narets; näher Alt-Kairo, noch näher Gizeh und die
Menge der Dorfschaften, die längs den beiden Ufern des
ruhigen Nils sich hinbreiten, aus dessen Fluchen sich In-
feln erheben und die Landschaft von dieser Seite beleben
Seitwärts, rechts Bulak und seine fruchtbaren Umg-
bungen, gerade vor fich hin die unübersehbare Sand-
wüste, links das Heer der Pyramiden von Sakara und
Dach ur, die ihre spitzen Giebel kühn aus dem Sand-
meere emporheben.
Vergnügt lagerte ich mich auf einen Felsblock an der
Pyramide und hielt Mittagsmahl, umgeben von einem
halben Dutzend Arabern und Beduinen, die sich allmälig
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der Sphinx, 255
fühnelten; ihre Menge war mir nicht zuwider, sie ge-
währten Sicherheit, einer durch den andern, und ich
sah es gern, daß sie den Zug vergrößerten.
Fast Alles ersteigt den Gipfel der Pyramide. Dem
Schwindel unterworfen, blieb ich unten.
An der Spitze der andern haftet ein Stück von einer
Art glatten Ueberzug, und es scheint, daß in frühern
Zeiten alle auf diese Art, wegen längerer Dauer, über-
zogen waren, durch die Länge der Zeit aber losgewittert
und abgeschält wurden.
Ich konnte mich gar nicht satt sehen an diesen er-
habnen Werken vergangner Zeiten, und nichts störte mich
als die zudringlichen Halunken, die mit jedem Schritte
Trinkgelder bettelten.
Weiter unten ragt der Sphinx aus seinem Grabe von
Sand, jedoch nur ein Kopf mit beschädigtem Gesichte,
bis an die Schultern, hervor. Jenes ist von reiner und
edler Bildung, besonders der untere Theil; die Nase und
das eine Aug' sind ganz fort; das andere, so wie der
Mund, nur noch unbestimmt. Auf einer Leiter erklimmt
man gewöhnlich den Scheitel des Koloffen. Der ganze
untere Theil vom Halse an ist mit einer Sandebene über-
deckt und mehr denn hundert Menschen würden erfordert,
un binnen Jahresfrist ihn daraus zu befreien.
------
. - - 14. -
- - Geschrieben in Damiate.
In Kairo ist die Menge der Blinden verhältnißmä-
ßig so beträchtlich als in Alexandrien, und ich konnte
-
935 Drittes Buch. Eilft es Kapitel.
. . . - -
mich nicht genug darüber wundern, so viele dieser Un-
glücklichen in allen Gaffen anzutreffen; zu sehen, wie
sie sich allein durch das Gewühle von Menschen und Thie-
ren durchzufinden wissen, da, wo selbst ein Schender
Mühe hat durchzukommen! Das einzige Zeichen, sie zu
schonen, ist etwas starkes Schlagen mit dem Stock auf
die Erde. – - - - - - - - - - - - - - - -
Man erlaube mir hier eine kleine Abschweifung und
die Aeufferung meiner schlichten Meinung über die Au-
genkrankheiten *). - - -
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*) Als Gelehrter reiste und schrieb ich nicht, ich mochte
nie fcheinen, was ich nicht war - obgleich es nicht
… … schwer fern dürfte, das nachzuahmen, was so oft ge-
than wird. Nämlich: Auszüge aus verschiedenen Wert
- ken über denselben Gegenstand zu machen, zu verlei
chen, zu mutmaßen, zu zergliedern, und endlich
seinen eignen Senf darein zu kneten, um dann eine
- Abhandlung oder untersuchung ans Tageslicht zu fördern,
die sich gewaschen hat. Ist das Ding nur ein bischen
gelehrt oder verworren eingekleidet, so hat man bald in
den Augen sehr vieler Leser ein so hohes oder tiefes
Werk geschrieben, das man, gleich den chemischen Schrift
ten jetziger Zeit, bald selbst nicht mehr versteht, obwohl
es teutsch feyn foll; was ich hier also über die Augen-
übel fage, spreche ich nicht als Arzt aus, sondern gebe
es blos als eine Muthmaßung, die ich mir aus vielfältie
ger Beobachtung abgezogen habe, und die ich wenigstens
für fo lange nicht verwerfe, bis man mich durch eine
- - - - gründliche Widerlegung eines Beffern belehrt.
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Augenkrankheiten. - 257
Man hat nämlich behauptet: Der feine Sand in Alt-
gypten verursache das häufige, hier herrschende Uebel von
Augenkrankheiten und Blindheit. Nun fragt sich: war-
um herrscht das Uebel beträchtlich weniger in den kleinert
Dorfchaften, die doch den Sandwolken weit mehr ans-
gesetzt find, als die Bewohner der Städte? Warnun un-
ter den Beduinen beynahe gar nicht, die doch in der
Wüste und mitten im Sande wohnen? und warum ist
das uebel am meisten und auffallendsten in den größten
Städten, wie in Alexandrien, Groß-Kairo, Rosette u. a. ?
Darauf antworte ich: daß das Gewühl in den en-
gen Gaffen der türkischen Städte, welches durch das
häufige Durchziehen von allerley Vieharten, Kameelen,
Dromedaren, Pferden, Efeln, Büffeln, Maulthieren,
und besonders der Menge Hunde entsteht, den Staub der
Exkremente dieser Thiere, welche durch die große Hitze
sogleich pulverisiert werden, in einer beständigen Beweg-
ung erhalte, daß dieser Staub durch das Gedränge
der Menschen und deren schleppende weite Kleidung, be-
sonders der Weiber, einen fortdauernden Staubwirbel
verursacht. Berechnet man nun ferner, daß jene Erkre-
mente in so ungeheurer Menge aus alkalischen Theilen und
flüchtigen Salzen bestehend, als feine Atome in die Höhe
getrieben, die Luft erfüllen und so zu sagen verdicken,
daß dann späterhin, beim Fallen des Thaues *), dieser
sich mit den Atomen vereint, und, auflösend, fast in eine
Substanz verwandelt wird; so erachtet man auch leicht
daß dieser Staub von Exkrementen nachtheilig auf die
V - - - - - - ---
*) Der Thau näßt hier so stark, als bei uns eit
gelinder Regen,
258 Drittes Buch. Eilft es Kapitel,
Gesichtsorgane (um der Natur feiner Bestandtheile willen)
wirken muß.
Der Einwurf: „daß in türkischen Städten der nörd-
lichen Levante bey ähnlicher Bauart derselben, dieß Ue-
bel weniger sich finde, als in Aegypten,“ wird gehoben
und widerlegt, durch die schon abweichende Beschaffenheit
des Klima"s dafelbst, von der so fchnell und stark ab-
wechselnden Temperatur vom Tag zur Nacht in Aegypten,
die fo heftig wirkt, als es weder in Syrien, Palästina,
noch im nördlichen und östlichen Orient der Fall ist, Eben
fo fällt in diesen Gegenden nie ein so stark näffender Thau,
als in Aegyptet, - - - - -
-
Doch ich komme nun auf etwas anders, auf die
Hochzeitprozessionen dieses Volkes, wo ich nicht fertig
werden würde, wollt' ich das Ganze weitläufig beschrei-
ben. Der Zug dauert oft eine halbe Stunde, da erblickt
man Reuterey, Raritätenkästen, der Braut Mitgift; nach
der Musik, Tanzende, Fechtende, Poffenreißer aller Art
und Gattung. Die Braut sitzt oder liegt vielmehr in ei-
ner Gattung Kasten, von zwei Pferden getragen; sie
schimmert oft in ganz silbernem Gewande, meist wird sie
darein eingenäht. Perlen und Edelsteine erhöhen den
Glanz noch mehr *); ihre Gespielinnen folgen, oft zwan-
zig bis dreißig an der Zahl, alle verschleiert, auf hohen
Sätteln von Maulthieren und Eseln daherreitend. Voll
-
*) Diese Pracht wird aber meist um Geld entlehnt, -
#
Oesterreichischer General-Consul Rosetti. 259
der Braut sieht man nur das Gewand, in welches sie,
wie bemerkt, genäht ist, und den Schleyer, der das
" Haupt bedeckt. Alles ist ganz Vermummung.
Etwas seltsam kamen mir auch die Reuter zu Pferde
und zu Efel vor, welche mit langen Stöcken in der Hand
gemächlich darauf sich stützend, bei jedem Schritte des
Thiers, Takt haltend, vom Aufsteigen bis zum Absteigen,
fortarbeiten,
––
- - -
Seit meiner Abreise von Wien oder von den Gränzen
der östreichischen Staaten, ward mein Paß nicht mehr
unterschrieben. Da mir der Paß von dieser Regierung
ausgefertigt worden, und ich Willens war, wieder dahin
zurück zu reisen, so wandte ich mich an ihren Gesandten
schon in Konstantinopel, wollte ihn aber damals wegen
der Pest durch wiederholte Besuche nicht belästigen, und
- verreiste nach Aegypten, ohne den Paß von ihm unter-
schrieben zu haben. In Alexandrien war ich gleich freund-
g schaftlich vom Konsul desselben Hofes empfangen, und
in diesen erhielt ich eine Empfehlung an den General-
Konsul Rosetti. Dieser würdige, achtzigjährige Mann,
„ voll Weltklugheit, Staatskenntnis, Handelserfahrung und
gründlicher Einsicht in das Fach der Landwirthschaft,
behandelte mich wie ein Vater. Wegen Versuchen, die
wir über den ägyptischen Indigo anstellten, war ich sehr
oft bei ihm, und ich zähle diese Stunden unter die ver-
gnügtesten, welche ich in Kairo verlebte; er lud mich ein,
mich da selbst niederzulaffen.
R 2 " -
250 . . Drittes Buch. Eilft es Kapitel. - -
Rofetti befaß, weitläufige, eigenthümliche Lände-
reyen, die er mittelf feines unternehmenden Geistes sehr
einträglich zu machen wußte. Ueberhaupt fand ich bis an-
hin in dem Personale der östereichischen Gesandschaft in
der Levante sehr würdige Männer, - -
In Groß - Kairo war im Gasthause Table d'hôte
(Wirthstafel) der Franken. Lavater soll einst einem
Studenten ins Stammbuch geschrieben haben: „Herr,
erlaube mir, daß ich unter die Schweine fahre!“ Oft,
ehe ich zu Tische ging, konnt' ich mir diesen Spruch vor-
fagen; die Gesellschaft bestand aus Männern von zwei
verschiedenen Nationen, auch aus ein paar Juden, Die
Unterhaltung dieser Herren war witzig und schmutzig,
- - * -
- - -
- - - . . .
In Groß-Kairo hatte ich weiter nichts zu tun,
und trat die Rückreise den achtzehnten Jänner um so eher
an, da beunruhigende Gerüchte wegen der Pest, die in
Alexandrien ausgebrochen sein sollte, im Umlauf war
ren. Als ich aus Kairo abreiste, war der große Plaß
innert dem Thore, der bei meiner Ankunft einen kleinen
See bildete, jetzt in ein prächtiges Kleefeld umgewan-
delt, in welchem das Vieh bis an die Knie watete,
- - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- –
was der malen beinahe Eins und durchgehends Ton ist,
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* * * Abfichtlofe Beleidigung. " 261
Das Schiff, in welchem ich aus dieser Hauptstadt
Aegyptens abfuhr, war klein und von fünf Paffagieren
angefüllt, unter ihnen zwey Franken, welche italienisch
sprachen. Die Rede kam auf die Gesetze verschiedener
Länder; der Eine äußerte: „Auch Moses wäre zu einer
Zeit ein einsichtsvoller Gesetzgeber gewesen;“ ich stimmte
ihm aus inniger Ueberzeugung bey und setzte hinzu: daß
er dieß Talent um so größer bewiesen habe, weil er
ein Volk in Ordnung zu halten wußte, das, ungeach-
tet es das Volk Gottes vorstellte, doch das ungeschlachte-
fe *), undankbarste, feigte und verworfenste Gesindel
der Erde war. Der Fremde schwieg, das Gespräch war
beendigt. Sobald ich in Rosette den Namen meines
Reisegefährten nannte, hörte ich: er fey ein Hebräer!
Meine Aeufferungen gegen ihn thaten mir sehr leid, in-
dem der Mann sehr vernünftig, ordentlich und gefällig
Mal, - - -
Die Schiffleute waren Araber; ich merkte es an
ihren Gaunertalente, meine Nastücher, Pfeife waren
gestohlen, und mein Vorrath von Lebensmitteln genascht.
A
- 12. - - - '- - -
Regen und Koth fand ich beim Aussteigen in No-
fette; ich merkte, daß ich nicht mehr in Oberägypten
war, von beiden hatte ich seit Monaten keine Spur mehr
*) - Wie das - alte Testament es durchgehends felbst
beschreibt. - - -
262 Drittes Buch, Zwölftes Kapitel. ----
V-
gehabt. Der Kaufmann, an den ich nach Alexandrien
empfohlen war, befand sich hier, und die erste Nach-
richt welche er mir gab, war diese: „daß dafelbst im
Wirthshause,“ wo ich einen Theil meiner Effekten zu,
rückgelaffen hatte, „die Pest ausgebrochen fey, daß das
Haus beschloffen und bewacht, und bey zwanzig Perfo-
nen darinne eingeschlossen seien.“ -
Schlimme Neuigkeit! Ich tröstete mich damit, daß
es doch beffer fey, meine Kleider darin zü wiffen, als
mich selbst. Wär' ich um acht Tage früher nach Alexan-
drien verreist, so wäre dieß mein trauriges Loos gewe-
fen. Das Schicksal leitet am Ende immer so gut. die
war ich in Kairo verdrüßlich, so viele Zeit zu verlieren,
jetzt hatte ich Ursache, jeden Umstand zu fegnen, der
mich dort aufhielt.
Da ich hier des Schicksals oder der Leitung der
Vorsehung erwähne, so kann ich nicht umhin, auf einen
Augenblick zurück, und Rhodos zu erwähnen. Ich wollte,
wie ich früher bereits erzählte, von dort aus nach Cy-
pern; es waren zwei Schiffe, die dahin gingen; ich
besichtigte beyde, das eine forderte zuviel, das andere
war so groß, und es kam mir auf demselben fo still, so
öde, so leer vor, daß es mir darauf ganz unheimlich und
ängstlich ward. Da diese Stimmung aber, der gefunden
Vernunft zufolge, kein Beweggrund sein konnte, mich
nicht auf dasselbe zu begeben, so war ich es dennoch Wil-
Mens, und hatte dem Schiffs-Kapitain halb zugesagt, in
dem ich meine Ahnung als Vorurtheil beseitigte. Die
wenige Kenntniß in der türkischen Sprache beschränkte
mich fehr, und ich hatte Niemanden, den ich kannte,
oder mit dem ich mich hätte berathen könnten,
--
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Vorfehlung. - 263
Als ich nach dem Hafen zurückkehrte, fah ich einen
Franken in zerrissener Kleidung *); ich wandte mich
an ihn, um zu fragen: ob er kein Schiff nach Cypern
wife, auffer diesen beiden? Er antwortete in gebroche-
nem Italienisch: „Nein, und auf jenem größern, sagt
man, war unlängst die Pest.“ Es begriff sich, daß ich
nun nicht darauf wollte; statt nach Cypern, ging ich
nach Alexandrien. Sechs Wochen später brachte eben
dieß nämliche Schiff die Pest nach Alexandrien.
Was konnte und sollte ich bey fo bewandten Umstän-
den machen? Mir blieb nichts anders übrig, als in
Rosette abzuwarten: ob vielleicht die Auslieferung meiner
Effekten aus der verschlossenen Kammer durch das Fenster
statt haben könnte, wozu mir Hoffnung gemacht wurde.
Ich vertrieb mir indessen die Zeit mit Jagen, denn in
diesem Lande mangelt es nicht an Waffervögeln aller Art;
hiezu kam noch der Durchzug von Kratmetsvögeln der
größern und kleinern Gattung ( Fordi et Grives); in
einem Vormittag fchoß ich bey einem Dutzend weg. Täg-
lich war eine Schüffel davon auf dem Tisch; schreiben
und lesen füllte die übrige Zeit aus.
Die Gegend von Rosette ist sehr schön; längs dem
Nile hat man alle Ansichten näherer und entfernterer
Gruppen, ganze Wälder von Palmen, das fruchtbare
Delta liegt gleich gegenüber. Dörfer, der Länge nach,
*) Daß er ein Franke wäre, schloß ich daraus: weil er
einen Huth trug.
264 Drittes Buch, Zwölftes Kapitel,
heben sich bald aus dem Sande, bald aus Palmen her-
vor. Die Gärten sind hier in der Wirklichkeit, wie sie
uns oft in Dichtungen geschildert werden. Alle möglichen
Früchte aus Italiens Himmelstriche, nebst denen des
heiffen Klimas; Caffia, Tamarinden, Brodbaum, und
so viele andere, die ich nicht kannte. Ich fah größere
Haufen von Zitronen, fauern und süßen Pomeranzen,
als bei uns im Herbste Birnen und Aepfel,
Ein Franke lud mich ein, mit ihm in einem Garten
zu fpaziren; die Thüre war offen, Niemand darinne;
er füllte die Säcke mit den schönsten Früchten. Der
Rückzug glich dem einer Katze aus dem Taubenhause; zum
letztenmale mit einem Franken in einem Garten, war
mein fester Entschluß. - -
1Unweit den Wohnungen war ein sehr großes Feld
mit Klee, Korn und dergleichen angebaut; oft, wenn ich
bey Sonnenuntergang darüber spazierte, waren wohl bei
zwanzig Türken hin und wieder darauf zerstreut, auf ihr
ren. Schawls knieend, verrichteten sie das Abendgebeth.
Es war bei der stillen Dämmerung ein rührender An-
blick, und ich konnte mich auch bei diesem Anblicke der
Vergleichung nicht erwehren: welch ein Kontrast zwischen
diesem Gebethe und dem fo mancher Christen unter uns
walte, wo bisweilen das Wort Gebeth, wenigstens in
Gesellschaft von bon Ton, nicht ausgesprochen wird, ohne
auch ein bonmot darüber anzubringen, um feinen Witz
fchimmern zu laffen. - -
Ende Jänners schiffte ich mich ein, um in Alexan-
drien vielleicht meine Kleider zu erheben. Seit fünfzig
Tagen war keine Ausfahrt aus dem Nile ins Meer. Bey
hundert Dschermen fuhren ab, die leichten und kleinen
- , - Negersklaven. 265
kamen durch, die andern nicht; ich befand mich auf ei-
nem der letztern; innerhalb zwei Stunden war man an
der Mündung des Flußes; der Wind trieb die Wellen
des Meeres gegen den Strom, dessen Stärke im Zuge
feines Laufes gegen daffelbe heftiges und gefährliches
Gewell verursachte. Sehr oft scheitern Schiffe in demselben.
Das Schiff, in welches ich mich in der Eile gewor-
fen hatte, war mit Korn beladen, und enthielt noch ei-
nen Transport von ungefähr vierzig Negersklaven beider-
ley Geschlechts und verschiedenen Alters; sie sollten nach
Alexandrien, um dort verkauft zu werden. Mit der Peit-
fche in der Hand, hielt der Eigenthümer den Trupp in
Ordnung. Am Ufer wurden noch zwey Abtheilungen ge»
macht; bey der weiblichen war die Hüterin ein dickes,
kurzes, untersetztes Mensch. Ein gelber Teppich als
"Schawl deckte zur Hälfte ihr beynahe noch gelberes, ver-
runzeltes Gesicht. Die lange Pfeife, aus der sie
fchmauchte, beschäftigte die eine Hand, die andere die
Peitsche, womit sie ihr Ansehen über die armen Ge-
schöpfe handhabte; indeß schienen diese nicht viel mehr
Empfindung von ihrem Schicksale zu haben, als Thiere.
Einige waren krank, wahrscheinlich aus Mangel an gu-
ten Lebensmitteln, oder wegen der Kälte, die sie nicht
gewohnt sind, und bei so schlechter Kleidung nicht ver-
tragen mögen, diese erhielten Orangen, die andern ein-
zigfchwarzes Brod und etwas schlechten Käs.
Der Abend rückte heran. Es war an keine Abfahrt
zu denken, die See ging fehr hoch; die Nacht kam und
ich lagerte mich auf das Getreide. Ich hatte nichts,
mich einzuhüllen, und es war eigentlich kalt. Ueber mir
der helle Sternenhimmel; der endlose Raum, welch ein
\- -
- -
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266 Drittes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
Stoff zu Betrachtungen! – Die Millionen Welten wäl-
zen sich von Anbeginn ruhig nach ewigen Gesetzen in die-
fem endlosen Raume! Endlofer Raum! es ist dies
Wort, bey dem der menschliche Verstand stille steht:
endlofer Raum, Ewigkeit. Ich entschlummerte.
--
13.
Geschrieben in Jafa.
Am folgenden Morgen war's wieder nicht möglich
abzufahren, und ich kehrte um zehn Uhr drey Stunden
Weges zu Fuß zurück nach Rosette. Ich meinte wohlfeil
gelebt zu haben auf dem Nile, ich kam aber hier noch
wohlfeiler durch, 4
Sechs und dreißig Stunden waren vorbey gezogen,
ohne daß ich das Geringste weder aß noch trank. Der
Hunger war vorbey, und noch einmal so lang hätt' ich
ohne die mindeste Anstrengung ausgeharrt. Ich war ver-
drüßlich, nicht abfahren zu können und hätte es nicht
feyn sollen; denn zwei Tage darauf kam Befehl, Qua-
rantaine zu halten, und ich hätte mich, (würde die Reise
stattgefunden haben,) derselben die ganze Länge der Zeit
bey meiner Rückkunft von Alexandrien nach Rosette un-
terwerfen müffen.
Anfang Februars war es mehrere Tage sehr kalt.
Heftige Winde und Hagel waren ungewohnte Erscheinun-
gen in diesem Lande. Die Franken benutzten letztern,
um Sorbett zu bereiten; weniger lecker war die Sache
für die Eingebornen. Menschen und Vieh, besonders
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Quarantaine. 267
Büffel, gingen der Kälte halber in Menge zu Grunde,
und die Ufer eines benachbarten, untiefen Sees, etwa
eine Stunde im Umfange, waren mit Millionen von Fi-
fchen bedeckt, die den Frost nicht vertragen konnten. Ei-
nige Tage darauf, als die Wärme wiederkehrte, war ein
unausstehlicher Geruch davon in der Nähe. -
Indeß verschlimmerten sich die Nachrichten von der
Pest in Alexandrien; meine Effekten ließ man nicht
verabfolgen, und ich wußte vierzig Tage abwarten.
Strenge Maßregeln wurden auch in Rosette getroffen,
fowohl von Seiten des Pascha, als der Franken. Letztere
kündigten ihren Dienstboten an: daß sie nicht mehr aus-
gehen dürften; die Köche waren meist Türken, und auf
Einen Tag verliefen alle ihren Dienst; sie wollten sich
nicht einschränken laffen, und befürchteten nach ihren
Grundsätzen nichts von der Pest, -
Der Pascha von Aegypten ist als ein sehr gewandter
und gescheuter Kopf durchgehends anerkannt. Vernünftig
und vorurtheilsfrey genug, fucht er den Umgang der
Franken, benutzt die Kultur dieser, um fein Intereffe
zu fördern, und die fe, bald aus Ehrgeiz, bald aus per-
fönlichem Intereffe, fchuleten *) ihn so lange, bis es
auf ihre eignen Kosten geschah. Alles ist vermauthet und
alle Hauptzweige des Handels im Lande, Alleinhandel
des Pascha, der sich ungeheure Schätze fammelt.
Die eingerichtete Quarantaine in ganz Aegypten ist
fein strengster Befehl; man erzählt: daß die Ersten der
Ulemas *) dagegen, „als wider etwas Gesetzwidriges,
“) Klärten ihn auf, unterrichteten ihn.
*) Geistlichkeit
#
25s Drittes Buch. Dreizehntes Kapitel
Vorstellungen gemacht hätten, weil mit dergleichen Ein-
griffen der Muhamedanismus gestürzt würde.“
Der Pascha antwortete sehr höflich: „daß er geneigt
wäre, alle getroffenen Verfügungen wegen der Pest aufzu-
heben, wenn ihm die Gesandten der Ulemas ein Papier
unterzeichnen wollten, des Inhalts: „ „Daß die Reiche
Tunis, Tripoli, Algier und die ganze Länge der Küste
Ungläubige und Abtrünnige wären, weil sie seit Langem
die Quarantaine beobachteten und eingeführt hätten.““
Die Abgesandten stutzten, und konnten begreiflich dieß
nicht unterzeichnen. „Nun,“ erwiederte er, „ so machen
diese Verfügungen auch mich nicht zum Ungläubigen und
Abtrünnigen, fo wenig es die Völker jener Staaten
sind.“ - -
Die Gesandten fahen sich in der Falle, und zogen
unverrichteter Sache ab. -
Inzwischen bewirkten die Anstalten der Quarantaine
Gehäßigkeit der Eingebornen gegen alle Franken. „Von
den Franken kömmt diese neue Scherrerey, die dem Pa-
scha dergleichen Vorschläge machen, war die allgemeine
Aeufferung der Türken, und wo sich nur ein Hut zeigte,
ward nachgerufen und geschimpft. Einzig die Furcht
vor dem Pascha dämmte vielleicht einen Aufstand, der
für alle Europäer höchst tragisch hätte ablaufen können;
es schien mir auch hier nicht mehr gut wohnen, um so
eher, da die Okela *) beim mindesten Ausbruch einer
Krankheit beschloffen werden sollte. Vier Monathe in ei-
nem Zimmer verschloffen zu sein, wäre für mich weit
ärger gewesen, als die Gefahr, von der Pest ergriffen
--
*) Khan, Herberge,
Quarantaine. 269 -
zu werden. Ich kann nicht genug sagen, welchen widri-
gen Eindruck es auf mich gemacht hatte, als ich die ersten
Male beräuchert wurde. Alle Unfälle, alle Unannehm-
lichkeiten, alles Elend der Pest in Konstantinopel, er-
neuerten sich in meinem Andenken bey diesem Geschäfte."
Also fort! weg wollte ich von diesem Orte, wo
man von nichts. Anderm mehr reden hörte, als von der
Pest und den Anstalten, die dagegen getroffen wurden.
Die Franken alle waren in fo panischem Schrecken, daß
zu wetten war, sie würden eher vor Angst, als an der
Pest sterben, wenn diese Ungewißheit fortdauerte. Es
war mir an einem Orte, wo noch kein Einziges Merkmal
der Krankheit sich äußerte, diese Ekstase von Unruhe um
so auffallender, da ich in Konstantinopel, wo in der letz-
tern Zeit meines dortigen Aufenthalts täglich bei andert-
halb bis zweytausend Menschen daran starben, gleichwohl
ganz ruhig blieb, und oft die volkreichsten Straßen durchs
wanderte." - - - - - - - - - - -
Die vierzig Tage, während welchen das Wirthshaus
in Alexandrien geschloffen blieb, waren vorbey; alles er-
hielt sich darin gesund, und ich empfing die Nachricht:
daß meine Effekten ausgeliefert feyen; indeß ward die
Stadt wie vom Reiche ausgeschloffen, und es durfte, die
der Pest unempfänglichen Kaufmannswaaren ausgenom-
men, nichts heraus. Nach den letzten Berichten starben
täglich gegen die hundert Menschen, was für einen fo
Unbevölkerten Ort allerdings fehr viel war,
Von Rosette abzureisen, war nun mein einziger
Gedanke, aber wohin ? das fiel schwer zu entscheiden.
Auf allen griechischen Inseln herrschte die Pest; zudem
fürchtete ich das Meer während dem gefährlichen März;
d,
- -
27o Drittes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
die Jahrszeit war fo stürmisch, daß in Alexandrien sich
Schiffe vom Anker riffen und verloren gingen. Von
Smyrna kam mir die traurige Botschaft, daß mein schätz-
barer Freund, der junge Arzt Micheli, mit dem ich
in Scio so angenehme Tage verlebte, auf einem Schiff
mit noch dreyßig andern Personen zu Grunde ging. Der
Verlust dieses wackern, jungen Mannes ging mir sehr
nahe. - - - - - . . . . . .
Endlich entschloß ich mich nach Syrien, Palästina
so nahe, ich wollte es fehen; und dann von dort aus
trachten, nach Europa zurück zu kommen. Eine gewisse
Ahnung, die mich zu dieser Reife eben nicht ermunterte,
begleitete mich noch immer. Hätt' ich einen andern Aus-
weg gewußt, ich hätte ihn nicht auffer Acht gelaffen; fo
aber ging ich darüber weg, und bestimmte den Tag der
Abreise um so eher, da auch ein Kaufmann aus Sizilien,
ein aufgeweckter, munterer Kopf und der einzige Fremde
im Khan, im Begriff war nach Alexandrien abzugehen,
wo ich dann also allein gewesen wäre,
Die nöthigen Vorkehrungen wurden getroffen. In
zwey Tagen sollt' ich verreisen, aber den Abend vor mei-
ner Abreise kam die Nachricht: „daß in Syrien, die Pest
wüthe!“
-
ich
("
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siertes B. u ch.
R e i f e
in a ch
(NA -
Jerusalem, Aufenthalt daselbst und auf
dem Libanon.
Mit 4 Kupfer,
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K. a p i t e l
1.
Alab-Gherin. » rief ich aus, und blieb beim Ent-
fehluffe abzureisen. Man geht nach Damiate längs
dem Meere durch Oeden. Wilde Schweine in ganzen
Heerden; Schakals der gefährlichsten Art, und zuweilen
Hyänen begegnen dem Reisenden, und machen den Weg
unheimlich. Um sich zu sichern, reist man bey Nacht,
und der Führer trägt immer eine brennende Lunte, um
die Ungeheuer von wilden Bestien zu verscheuchen,
So ganz allein, ohne Sprachkenntniß, mit einem
einzigen Menschen den Weg durch die Wüste zu machen,
war mir nicht nach Wunsch, war mir widrig. Ich ließ
nach Gesellschaft fragen, da gab mir ein Grieche die er,
freuliche Auskunft, daß zwey wären, welche den nämli-
chen Weg vor hätten, und er kenne den einten als einen
ehrlichen Mann. Dieß Zeugniß war sehr nöthig, denn
es war auch ein Grieche! und ich, ohne weiters zu den-
ken, wählte diese Gesellschaft. Der Eine, ein Arnautc
(Camiscioto, Albaneser, nannte sich Antonio, ein Bur-
*-
*) Geduld, in Gottes Namen! – Ein Ausruf der
Türken,
S
274 Viertes Buch. Erstes Kapitel.
fche von beyläufig drey und zwanzig Jahren) war mit
rückstoffend zuwider: Schwätzer und Hehler ohne gleichen;
er äußerte: „den Dienst des Pascha zu verlaffen, weil
alle Christen unterm Militair verfolgt und gezwungen wür-
den, dem mahomedanischen Glauben zu huldigen.“ Der
Grieche hingegen war ein stiller, verschloffener, einsyl-
biger und mißtrauischer Mensch, unbedeutend und charak-
terlos, und ich . . . war Tropfs genug, mich an diese
unbekannte Gesellschaft anzuschlieffen. Es schien Beyden
an der Hauptsache zum Reisen, an Geld zu mangeln,
und deßwegen wählten sie den weitern, aber weniger kost-
spieligen Weg; ich überließ mich, blind genug, dieser
Leitung, und setzte mich in dieser faubern Gesellschaft
den zweiten März, am Fastnachts- Dienstag 1813, auf
dem Nil zu Schiffe,
In Europa mochte wohl die Mehrheit diese Fast-
macht - Dienstags - Nacht glänzender zugebracht haben, als
ich hier in einem ägyptischen Dorfe, ganz von Schilf
erbaut. Ich konnte kein Quartier bekommen.
Antonio, der sich aber nun als Haffan, ein Nil-
ttte, der mir noch von jenem von Fajum her zuwider
war, geltend machte, und sich bey den Türken für
einen solchen ausgab, fchaffte Rath; er war ohne Flinte
nahm die meinige, und gab sich für meinen Janitscharen
aus, mich selbst, Gott weiß für welchen vornehmen
Herrn, der auf Befehl des Pascha reise, und den er -
kortieren müffe. Trotzig erpreßte er eine Art von Stall
und machte Brandschatzung von einem Huhn, das als Pilº-
lau zubereitet, gut fchmeckte. Hohnlachend äußerte er:
„er wolle den türkischen Hunden schon Füße machen, in
Der See Burlos. 275
deß er bei den Türken fluchte, einen Jauer *) bedie--
men zu müffen. Die Sache wollte mir nicht einleuchten,
er trachtete mich zu beruhigen, und bedeutete mir: „ ihn
nur machen zu laffen, er fey Militair und wife schon,
wie man mit Fellahs umspringen müffe; Schläge feyen
das einzige Mittel, sonst richte man nichts aus!“ Ich un-
terzog mich, was wollte ich auch in meiner Lage ma-
chen?
Einen gewandtern Burschen und gescheutern Kopf
fah ich noch felten; neun lebende Sprachen rühmte er
sich zu sprechen, wie feine Muttersprache. Mit türkisch,
arabisch, griechisch, illyrisch, italienisch, war dies wirk
lich der Fall; wahrscheinlich mit den übrigen auch;
aber in feinen Zügen lag so viel versteckte Bosheit und
Spitzbüberey, daß er mir nach und nach eigentlich bange
machte. Er äußerte mir freymüthig: daß er weder Heller
noch Pfenning bey fich habe, und daß er also begreiflich
umsonst zu reisen Willens wäre, Dieß, meynte er,
müßte Beyden recht feyn. -
Am folgenden Morgen ward ein Kameel zur Fort-
fchaffung der Effekten und Pferde von ihm erpreßt. Man
bezahlte den Fellahs eine elende Kleinigkeit dafür, und
ritt einige Stunden durch den Sumpf des eintrocknenden
Sees Büros bis an das Waffer defelben.
Dieser See hält wohl zwölf bis fünfzehn Stunden
in seiner Länge und ist meist unübersehbar breit; die "
Ufer sind so niedrig, daß man kein Land jenseits entdeckt,
ob es gleich nicht sehr entfernt feyn kann ; man glaubt
*-
') Ein Schimpfname der Christen.
S II -
276 Biertes Buch. Er ist es Kapitel.
oft auf dem Meere zu feyn. – Man geräth billig in Er-
staunen, wenn man den obern Theil einer menschlichen
Figur auf dieser Wafferfläche sehr oft erblickt. Der An-
blick ist fo unerwartet, daß man Mühe hat sich zu über-
zeugen, daß die tiefste Tiefe dieses Sees, wenigstens
da, wo das Schiff durchpflügte, schwerlich über drei und
einen halben Fuß betrug, und wer Lust hatte, konnte
wohl die ganze Länge bis Burlos zu Fuße durchwaten,
ohne über die Lenden naß zu werden.
Nie sah ich ein fischreicheres Waffer, als diesen See;
unaufhörlich sprangen die Menge Fische auf allen Seiten
in die Höhe, zuweilen beynahe ins Fahrzeug, Wafer-
vögel aller Art bedecken die Fluth; hauptsächlich schwimmt
der prächtige Pelikan truppweife und einzeln häufig dar-
auf umher. Das Waffer ist halb gefalzen, wie im See
Moeris, -
Ich hatte eine Empfehlung in arabischer Sprache an
den Aga von Burlos. Jetzt machte sich Haffan gelten.
Frech, als ob er mir wirklich vom Pascha wäre beygege-
ben worden, brüstete er sich als mein Janitschar; trank
Caffee, und machte den Dragomann mit einer Gewandt-
heit und Verschmitztheit, die mich bald staunen, bald
lachen machte. Der Aga war ein dicker Klotz, und die "
innre Beschaffenheit fchien der äußern zu entsprechen,
nach genoffenem Caffee vergrößerte ich sein Gefolge auf
dem Spaziergange . . . denn es kitzelt die Türken, wenn
fie als Beschützer der Franken fähimmern können.
Ich kann nicht umhin, den kleinen, elenden Zug
dieses Schuftes vorbeizugehen. Haffan betheuerte, daß
ihm der Aga in der Stille gesagt habe: „Machet den
Franken theuern Preis bezahlen von Kameel und Esel,
Händel. 277
denn sie sind unser, und der Franke ist ja ohnehin nicht
von unseren Bekenntniß!“ *)
Bis jetzt enthielten diese Blätter größtentheils Schill-
derungen angenehmer Lagen, die mir zuweilen auf dieser
Reise zu Theil wurden: ich komme nun auch auf die nn-
angenehmen, und es ist billig, daß ich sie meinen theil-
‘ nehmenden Freunden erzähle; ihnen, dere ich mich so
oft auf dieser Wanderung mit Wärme erinnerte. Es
Sº war Monath März 1813, und derjenige Monath, an
dem sich mein Himmel mit Sorgen wölkte.
" - Kaum zwei Stunden von Burlos kömmt man in
ein Dorf. Hier wälzten sich ungefähr ein Dutzend Fel-
lahs müßig an der Sonne herum, sie sprachen den Trei-
“ ber an; es war ein Stillstand, der bald in Lärm und
* Zank ausartete; es betraf die Quarantaine, die kaum
einige Stunden von hier war und nichts durchließ.
Mehrere Stunden durch dauerte Rede und Widerrede,
Geschrei und Geheul, man konnte nicht einig werden;
sº bald wollte man zurück, bald einen andern Weg einschla-
gen; die Zeit verstrich, bis es Abend ward.
Welchen Namen soll ich diesen Fellahs geben ! Diebs-
gesindel und Schurken ist viel zu gelinde; um den ge-
ringsten Gewinn find sie im Stande, den Fremden zu
| plündern und zu morden, wenn es nur etwelcher Maffen
geschehen kann, ohne verrathen zu werden. Haffan spielte
*) Es ist aber auch möglich, daß Haffan log, um sich bei
mir geltend zu machen.
27s Viertes Buch. Erstes Kapitel.
sehr den Zweideutigen, und übersetzte mir, was er gut
fand. Endlich war er der Meynung, den Weg nach
Manfu ra einzuschlagen, weil man von dort aus ohne
Quarantaine nach Damiate kommen könnte; ich wollte
zurück nach Burlos, meine Empfehlung geltend zu ma-
chen; zudem hatte ich an den englischen und französi-
fchen Konsul in Damiate Zeugniffe, daß ich von Rosette
käme, und das Gesuch, mich der Quarantaine zu ent,
laffen. Haffan wußte mir aber so viel vorzuschwatzen,
daß ich mich endlich von ihm überreden ließ. „Bis
Morgen Abends,“ hieß es, eyen wir am Nil und könne
ten dann ungehindert nach Damiate.“ . Man schaffte in
einer Gattung Hütte, die ganz von einem Ofen eingenom-
men war, Herberge; auf denselben, der noch Wärme
enthielt, lagerten wir uns nun diese Nacht über. - -
Da erzählte Haffan, „wie er auf dem Wege von
Alexandrien nach Kairo gegen die achtzig Fellahs ver-
wundet und erschoffen habe, weil einem Janitscharen Al-
les erlaubt fey, und daß er die Bauern nicht mehr achte
als die Hunde.“ Von der Menge der nach seiner Aus-
fage Erschoffenen, konnte ich glauben, was ich wollte
auf jeden Fall aber blieb das Resultat einer Aeufferung:
daß das Morden für ihn nicht viel zu bedeuten habe.
Es war Morgens schon heller Tag, und noch keine
von den versprochenen Anstalten zur Abreise sichtbar
Haffan trieb die Bauern mit Prügeln herum, Kame
und Esel herzuschaffen ; endlich, nach Verlauf von meh-
rern Stunden, erschienen sie. Ein neues da Capo von
Gestern: Gelärm und Gezänk, es wollte nicht vorwärts,
und als endlich das Kameel geladen war, erhob sich
Streit um zwanzig Parahs willen. Das Kameel wieder
- - - - - - - - - -
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Die Wüste. 279
" abzuladen, stürmte ein Theil lärmend herbei. Jetzt war
meine Geduld zu Ende: Halunken und Schurken, tobte
ich, es den Hirschfänger, und schlug in der Bub den
nächsten mit der Fläche auf die Schulter.
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Als wie Spreu, wenn der Wind drein kömmt, flo-
gen die Kerls auf alle Seiten in die Ferne, ich blieb
allein beim Kameel; Haffan lächelte hinter den Ohren-
Jetzt fügte man sich ohne Anstand. Noch einmal begann .
der Versuch; Haffan beendigte ihn kaltblütiger als ich,
mit dem Flintenkolben stieß er einen auf die Brust , daß
es krachte, und zog den blanken Dolch, ihn zu durchboh-
ren, wenn er sich nicht augenblicklich füge. Jetzt war
Friede, ich, vor Zorn zitternd, setzte mich auf den Esel,
Hafen lachend auf das Kameel, der Grieche auf den an-
dern Esel, und der Zug begann unter der Leitung von
zwey Treibern. -
Zeit wich mein unwille den Befremden, nach Ver-
fuß einer Stunde in einer Wüsteney zu sein, wo
keine menschliche Spur mehr sichtbar war; ich meinte
eine brauchbare Straße zu finden, und fand eine Ge-
gend, wie der Welt Ende, eine gedehnte Sandfläche,
durch entfernte Hügel eingeschloffen. Ohne zu wissen,
warum wurde ich sehr unruhig; stillschweigend ging
wohl drei Stunden, in eine immer grauenvollere Ge-,
gend.
Tonlos rückte so der Zug vorwärts. Noch verdächti-
ger erschien mir die Gegend. Auf den Gipfeln der zer-
freuten Sandhügel hob sich hin und wieder niedriges,
dickes Gesträuch; noch ein paar Stunden vorwärts und
mein spähendes Auge entdeckte Bewegungen auf einer der
Höhen in gerader Richtung des Weges, den wir zu na-
-
280 Viertes Buch. Erstes Kapitel.
chen hatten. Näher rückte man. Vier bis fünf Turbane
ragten bald hinterm Gestrüppe hervor; bald verbargen fie
sich wieder dahinter; um weit davon wiederholte sich eine
ähnliche Erscheinung.
Beynahe nie hatte ich fo viel baares Geld bey mir,
als gerade jetzt; in die armen Länder, in welche ich hin-
reiste, konnte ich keine Kreditschreiben, was ich sonst im
mer auf Reifen zu thun gewohnt bin, bekommen, weil
Handel und Kaufleute fremde Sache darinnen sind, und
also mußte ich Geld mitschleppen. Gerne hätte ich nun
bey der Ansicht dessen, was mir bevor stand, das Geld
verloren gegeben, wenn ich mich dadurch gesichert ge-
wußt hätte. Aber, weder das Eine, noch das Andere
war zu bewerkstelligen.
In einer Viertelstunde war man am Fuße des Hü-
gels, wo die Araber lauerten. Immer noch lautlos be-
wegte sich der Zug. Bey zwanzig Schritten schwenkte
der Kamelier vom Wege ab, näher dem Hügel der Räu-
ber zu. Da rannte einer der letztern herwärts fast in
die Ebene herunter und machte mit feinem Stocke eine
Schwenkung. Gespannt harrten die auf dem Hügel,
noch gespannter ich, und ich glaube, auch meine Reise-
gefährten, auf das, was erfolgen würde. Hoch in die
Lnft empor hob der Kamelier die lange Stange, mit der
er das Thier leitete . . . . . einige Schritte vorwärts"
und, zum zweitenmale erfolgte das gleiche Signal.
" - - - - - -
Verdrüßlich kehrte der Nähergekommene zurück zu den
Andern, wir vorwärts ungestört. Kein Laut ward ver-
loren über das Vorgegangene, von Keimen im ganzen
Zuge. . .
#
k
* Rettung, 281
Die streifenden Araber sind immer einverstanden mit
den Kameliers, und, aus Allen zu schlieffen, gab der
Letztere das Zeichen, nicht anzugreifen. Wahrschein-
lich hatt' ich dieß Glück dem Brief an den Aga von Bur-
los zu verdanken, der das Dorf für mich verantwortlich
gemacht hatte. Die Vorsteher des Dorfes, die sehr oft
auch ihren Antheil am Raube bekommen, dieß befürchtend,
machten also die Treiber verantwortlich, und so entrann
ich glücklich dieser augenscheinlichen Gefahr, geplündert
und ermordet zu werden,
W
Der Sand in dieser Wüste war ziemlich tief und
mühsam für die Thiere. Alle Augenblicke legte sich das
Kameel; oft stürzten die magern, hungrigen Esel. Sol-
che Vorfälle in folcher Gegend waren um so beunru-
higender.
Jetzt galt es hier, dieselbe Probe geltend zu machen,
die ich zwei Jahre früher, im Sommer 1811, versuchte,
als ich schon einen Theil dieser Reise im Sinne trug. In
Gesellschaft von zwey jungen Leuten, die ich in ihrer
frühten Jugend in mein Haus auf- und annahm, machte
ich nämlich von Arbon aus einen Gang in die Appenzeller
Gebirge; von Morgens drey bis Nachts neun Uhr wurden
meist gähe Berge erstiegen, oder von diesen herab in das
Thal gerutscht. Nicht ganz übermäßig müde kam ich zu
Hause an, und mein vorgesetzter Plan ward durch die
kleine Ausdauer der Strapazen dieses Tages befestigt; zu
Fuß arbeiten, hieß es also auch jetzt, und die fes
Fußgehen war keine gewöhnliche Sache, bey jedem
Schritte sank man in tiefen Sand, und der Marsch war
282 Viertes Buch. Zweytes Kapitel,
fo angreiffend, als bei uns, wenn Schuh hoher Schnee
liegt. -
Haffan wanderte neben den beiden Treibern; der
Scheln hatte sie ganz am Schnürchen; er deklamierte
ihnen arabische Gedichte mit einer solchen Weichheit, daß
diese Sprache das ihr sonst eigenthümliche Harte verloren
zu haben schien, langsam, fanft, ausdrucksvoll war der
Aceent; den Inhalt verstund ich freilich nicht, aber die
Araber schienen davon ganz bezaubert.
2.
Die grauenvolle Sandöde dauerte fort; hinter jedem
Hügel meinte ich wieder Köpfe plündernder Araber vor
tragen zu fehen, fo arbeitete die ausgestandene Angst,
Frühzeitig an Ort und Stelle, an den Mil zu gelangen,“
Ward Hoffnung gemacht, das „frühzeitig“ war schon lange
vorüber, und noch fand sich nirgends eine andere Spur
lebender Wefen, als die unters Zuges Menschen und
Thiere schritten ermattet sehr langsam vorwärts; es
dämmerte, und noch zeigte sich keine tröstende Aussicht.
ueber zehn Stunden führte durch diese todte Welt der
Weg, den oft der Führer selbst Mühe hatte, durch den
verwehten Sand zu erforschen,
Schon wars fast ganz dunkel, als Hafen von seinen
Kamele herunter rief: „ecco la villa, welche Freude
durchströmte mich. Ich konnte sie noch nicht sehen in der
Tiefe; ein paar hundert Schritte weiter, und ich sah er
im
ät
#
Getäuschte Hoffnung. - 283
undeutlich durch die Dunkelheit; eine Viertelstunde spä-
ter war der Ort erreicht. -- - ,
Wer beschreibt aber mein Entsetzen, als diese Villa
wirklich erreicht war! Auf einem Hügel gelben Sandes,
wo kein Kraut, kein Strauch, kein Grün zu ersehen war,
lag sie, bestehend aus einem Dutzend von Einfängen, die
oben zugespitzt, wie Zelten, rabenschwarz aus dem schwach
erhellten Sande hervorragten. Ganze Truppen von Hun-
den rannten heulend auf mich los. Die Einwohner er-
kannten in mir den Franken und waren mitgestimmt;
in unbeschloffenen, oben offenem Schilfeinfang sollte
Nachtlager mitten unter diesen verdächtigen Gesindel ge-
halten werden: es wehte ein roher, kalter Ostwind.
Haffan aber fühlte seine Uebermacht und ließ ihr
freien Spielraum; innerhalb zehn Minuten war er Mei-
ster des Hauses. Jeden Namen wußte er, verstand jeden
zu behandeln, glatt und geschmeidig gegen die Einen,
schimpfte und drohte er den Andern. Wie der Blitz
ward ein sogenanntes Haus ausgeräumt, und wir zogen
ein *), und lagerten uns, wie schon früher, auch hier
auf den warmen Ofen.
Haffan befahl, daß zu effen herbeygeschafft würde,
es erfolgte Pillau mit Hühnern. :
Jetzt hatte ich Zeit nachzudenken, und Grund zu
argwöhnen. Ab der Bahn des Weges war ich, das un-
“). Das heißt: wir krochen auf allen Vieren durch das
- - Koch, welches Thüre hieß. - - - -
284. Viertes Buch. Zweytes Kapitel,
terlag keinen Zweifel; wer in der ganzen Welt konnte
mir fagen, wo ich mich befinde ich selbst wußte es nicht,
"wußte ich wohl: daß ich, statt am verheißenen Stil,
mitten in der Sandwüste war. Nicht Ein Wort konnte
ich hier vorbringen, und die Leute fahen mich als Jauner
gehäßig an,
"an brachte das Felleisen und meinen verschlossenen
Korb, es klipperte darinn. Alle Muskeln des Gesichts
von Haffan verzogen sich, als er den Griechen gierig
fragte: »Was ist dieß? Zum Glücke fagte ich dem Grie-
chen schon früher, daß der Teller in Stücken gegangen
fe, der es ihm nun wieder fagte. Ich konnte nicht
" "en, den Korb zu öffnen und die Scherben an
den Boden zu schmettern. Wäre das Geklipper von Geld
hergekommen, ich wäre ohne Rettung verloren gewesen.
Nach dem Effen gingen die Araber, uns schlafen zu
affen, fort; ich konnte keinen Schlaf finden, und Haft
fan, der ein Glas zuviel getrunken hatte war auch wach;
der Grieche schnarchte. Jetzt äußerte ich mich: wie ich
es bereue nicht den andern Weg ins dem Meere hin
gemacht zu haben, weil mehr Sicherheit dort am 1.
w- » Pah , Sicherheit!“ erwiederte Haffan, „überall ist
Gränze und Wüste! Die Leute hier haben in der ganzen
Gegend keine zehn Piaster von Werthe, und wenn sie ei-
nen über den Haufen schiefen oder stechen, die
über die Gränze, es kräht kein Hahn darnach! Wer sollte
aber auch im Stande seyn, einen in dieser Wüste ausfin-
dig zu machen? Da wird man unterm Sand verscharrt,
und wenn es ein Christ ist, nimmt man sich nicht einmal
diese Mühe!“ So tröstlich plauderte Haffan. Ich bezog
Beforgniffe. - 2ss
mich auf den den Franken günstigen Pascha: „Was Pa-
scha hier in dieser Oede? wenn es der Sultan selbst
wäre . . . . was hier? auf dieser verlorenen Schildwa-
che?
Das Treffende und Wahre feiner Rede sah ich nur
allzu wohl ein, ward aber durch diese Einsicht nicht ru-
higer. -
Was bey diesem Gespräche nun möglich war anzu-
bringen, das ließ ich auch einfließen. Ich nannte alle
Konsuls in Kairo, deren Namen ihm bekannt waren;
hatte Briefe an die von Damiate, ward alle Augenblicke
dafelbst erwartet . . . Nie führe ich Geld bey mir, im-
mer nur Briefe, wo ich Geld beziehen könnte u. f. w.
Endlich sprach ich mit der entschloffenen Kraftsprache ab:
daß ich meine Haut theuer verkaufen würde mit Flinte
und Säbel dem, der Anspruch darauf machte, was ich
denn eigentlich im vollen Ernste zu thun entschloffen war.
All das zusammen genommen wirkte vielleicht günstig
für mich. Späterhin berührte er: „ Wie er feinen Glau-
ben„, Gott weiß welchem ! „nie abtrünnig geworden fey,“
und der Schelm fchwatzte hierüber so ergreifend, wie ich
felten Befferes geschrieben las. Ganz als Antonio schlief
er ein, als Haffan erwachte er wieder, befahl dem Trupp
Halunken als ob er der Kafchef des Orts wäre; mitunter,
um sich als Gläubiger noch mehr Verdienst zu verschaffen,
schimpfte und lachte er, wie ich merkte, über unsere Hüte
und die Köpfe, welche darunter facken.
Ich nahm ihn auf die Seite, drückte ihm einen Tha-
ler") in die Hand, mit der Aeußerung, daß ich nicht zu-
*-
“) Ungefähr sechs Piaster.
286 Viertes Buch, Zweytes Kapitel,
geben könne, daß ein Christ in diesem Heidenlande ohne
einen Heller im Sack fey, in Damiate würde ich trachten,
ein. Mehreres für ihn zu thun. Wenigstens, dachte ich,
wird er sich bey einem Angriffe wegen dem Thaler wehren,
und die Hoffnung auf mehr Geld wird ihn vermögen,
mich bey Caffe zu erhalten und nach Damiate zu brin-
gin,
Ich konnte nicht begreifen, wie die Bewohner der
beyden Dörfer *), wenn anders Baracken dieser Gattung
so genannt werden können, ohne Grün, ohne Waffer,
ohne Schatten in dem brennenden Sande es aushalten“)
und eine solche Gegend als Wohnort wählen konnten,
Haffan fagte mir aber: „daß sie in solchen Einöden den
Vortheil genößen, dem Pascha nichts zahlen zu müffen,
da felten. Jemand hieher komme, und wer etwa komme,
nichts finde,“
* Indem wir unsere Reise weiter fortsetzten, steckte
Haffan zum zweitenmale. die Frage hinter die Araber:
„, ob der Griff meines Hirschfängers wohl Gold fey? er
müffe wohl viele hundert Dukaten werth feyn?“
Ich gab mir alle Mühe, ihn zu versichern, daß es
nur Tombak fey, und gab den Werth noch niedriger an,
als er wirklich war. -
*) Das andere Dorf war eine halbe Stunde von
die fem.
*) Die Augen thaten mir von den Blenden den ganzen
Tag über, noch am folgenden Morgen wehe,
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W
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Balaskur, 287
Anstatt an dem Nil, kamen wir nach Verfluß von
mehreren Stunden an das Meer. Diese Lüge beunruhigte
mich wieder, und ich blieb noch immer der Meinung, in
fehr unsichern Händen zu feytt. -
Dieselbe Wüsteney dauerte noch fechs bis sieben Stun-
den fort; ich meinte, bald noch tiefer in diese Umwelt
hinaus verleitet zu werden.
Fast traute ich daher vor Freuden meinen Augen nicht,
als ich gegen zwey Uhr ein Minaret in der Ferne ent-
deckte . . . . . . . es war wieder bewohnte Erde . . . ich
fah wieder Menschenspur! . . . . . und, eine Stunde
später blinkte mir durch den düstern Schleyer der Nacht
Damiate entgegen. Jetzt athmete ich wieder freyer. Gerne
watete ich weiters durch den tiefen Sand, rechts hinauf
zog sich der Weg mehrere Stunden . . . endlich, o des
erfreulichen Anblicks! – war der Nil erreicht. Noch ein
Stück Weges ging's aufwärts, und Abends vor Sonnen-
untergang waren wir in Bala skur, einer lieblichen,
türkischen Stadt am Nile, kaum ein paar Stunden von
Damiate, -
Jetzt ward ich zum Aga umgemodelt. In geräumi-
ßen Chan ward ein hübscher Platz gewählt , dann Binsen-
matten ausgebreitet und Polster darüber gelegt, und ich
Ward fo zu sagen gezwungen, mich darauf breit zu ma-
ichen, -
Man denke ich nun: Haffan auf der einen, der Grie-
che auf der andern Seite, ich auf dem Throne mit einer
langen Pfeife. Auch diese Aefferey sollte Haffan dazu
288 Viertes Buch. Zweytes Kapitel.
\
dienen, daß er eher für meinen Janitscharen angesehen
würde. -
Alles was ich noch besaß, fah ich für gewonnen an,
weil ich es . . . . noch hatte, vier und zwanzig Stunden
früher achtete ich Alles verloren und mich damit. Ich
ließ auftischen, was zu finden war. Reis, Eyer, Käfe;
der Rest des Weins in meiner hölzernen Flasche ging
darauf, und man ward lustig und guter Dinge. Ich
hatte wohl am meisten Ursache dazu.
Jetzt frug ich nach den kritischen Momente von ge-
fern, und Haffan platzte heraus: „daß er von feinem
Kameel aus weit mehr Araber gesehen, daß er aber
nichts hätte fagen wollen, um keine Furcht zu erwecken;
daß er das Zeichen des Kameliers wohl bemerkt, daß
er ihn aber im gleichen Moment beruhigt habe, denn,“
fetzte er hinzu: „fey es zum Angriff, fo senke dieser die
Stange, hebe er sie empor, fo fey die Gefahr vorbey.“
Er erzählte nun, „wie er sich gewehrt haben würde. U.
dgl. . . . .“ Kurz, ich fchlief fehr ruhig auf den Boden
im offenen Schopfe, in Betracht, wie ich die vergange-
nen Nächte zubrachte, ein, Am folgenden Morgen wur-
den zwey Esel gemiethet; Häffan ging zu Fuß. Von
Balaskur geht man auf einem schmalen Damme, meist
zwischen Waffer, das bald Seen, bald Teiche fernt,
bis nach Damiate. - ,
Auf dem ganzen Wege zwischen diesen Gewäffern,
rechts und links, traf ich auf eine Reihe von Wasservö-
geln aller Art, besonders Enten von prächtigem Farben-
Spiel und beynahe in der Größe von Gänsen. Ganz zahm
blieben sie Heerdenweise auf Steinwurfsnähe ruhig. Mit
einen Schuß könnte man zu halben Dutzenden erlegene
Quarantaine-Anstalten. - 289
Nach zwei Stunden waren wir in Damiate. Von nie-
manden befragt, wer wir wären, zogen wir ohne Hin-
" derniß ein, -
- -
l, ––
- -
3.
Die Anstalten der Quarantaine waren hier eben von
türkischer Beschaffenheit, denn mittelt diesem Umwege
h konnte man auch mitten aus Alexandrien ungestört nach
Damiate gelangen, wer hingegen von Rosette kam,
den gewohnten Weg, mußte Quarantaine machen, wenn
schon bis dahin keine Pest daselbst war. Ich berichtete
diesen Unfug nach Rosette, damit ihm gesteuert werden
„" könnte. - - -
Der türkische Haffan war gleich bey unserer Ankunft
in Damiate in einen ganz kleinlauten Antonio umge-
formt; hierüber wußt ich mir keine Auskunft zu ge-
ben, aber ich konnte muthmaßen, daß die Rolle, meinen
Janitscharen zu spielen, in Damiate für ihn vorbey wä-
Jeder derselben nämlich muß hier ein Papier oder
Attestat aufweisen, und dies mangelte ihn. Furchtsam
verkroch er sich in ein dunkles Zimmer eines griechischen
Khans, und gab sich für einen Christen aus, der, denn
Dienst des Pascha zu entfliehen, nach Europa flüchten
wolle, und bat, ihn zu verbergen. Mir aber sagte er
besonders und ganz wehmüthig: „daß, wenn er noch ei-
nen Thaler hätte, er ein Patent und seine ganze St-
cherheit damit kaufen könnte.“ Um mein Versprechen zu
lösen, hielt ich mich verpflichtet, ihm noch einen zu ge.
ben; er schien voller Freude, aber in gleichen Momente
- T - - -
296 Viertes Buch.“ Drittes Kapitel,
beinahe, sagte er dem Kaufmanne, der mich abzuholen
kam: „daß er nicht so viel Geld um ein Patent ausgeben
wolle.“ - - -
Ich dankte Gott, diese Gesellschaft verlaffen zu kön,
nen, und bezog das Quartier, welches mir der Kauf
mann anwies. Drei Tage darauf besuchte ich einmal
den Khan, und Haffan war noch im nämlichen Loche; er
äußerte: », daß ihm noch ein halber Thaler mangle zu
feiner Befreyung,“ ich aber: daß es ein Leichtes fey,
mich. Einmal zu prellen, schwieriger aber ein zweytes
Mal. Mit diesen Worten verließ ich ihn. Wahrschein-
lich hatte dieser Mensch ein wichtiges Verbrechen began-
gen, und ohne Geld, Kleider und Flinte, sein Heil in
der Flucht suchen müffen. Schade um das verdorbene
Talent. Ich fand selten ein Aehnliches. -
Meine Wohnung war in dem Hause eines italieni,
fchen Arztes, der ganz übertrieben die englische Parthie
nahm. Dieß war hinreichend, um die Gegenparthie ihre
Kabale gegen ihn spielen zu laffen, Allmählig befund
feine ganze Kundfame in vier Franken, aber, da diese
sich gesund und wohl befanden, so blieben seine Einkünfte
fehr schmal. Hätte ich das Unglück gehabt, hier krank
zu werden, so gestehe ich aufrichtig, daß ich nicht sein
fünfter Kunde geworden wäre. Er war unverheirather,
besaß zwey Zimmer, und hatte Liebhaberei an ausge-
fopften Vögeln; Geschäfte halber hatte er hieu Muße
genug, aber die Manier, wie er die armen Thiere sterben
machte, war herbe. In einem großen Käficht am Boden
fanden sich fowohl Enten als andere Vögel be bald vier
zehn Tage, ohne Nahrung und Trank, um sie verhun
gern zu laffen - und hernach auszustopfen. Dieser um
Kabalen auch anderswo. - 291
stand wirkte ungemein widrig auf mich; ich schlief im
gleichen Zimmer; das ängstliche Trippeln der halbtodten
Thiere, und das Schlagen ihrer Flügel bey Nacht raub-
ten mir allen Schlaf, den ich nach sechs Nächten, binnen
welchen ich mich nie auskleiden konnte, fo nöthig hatte;
oft wünscht' ich mich in dieser Bedrängniß wieder zurück
in die Wüste.
Ich hatte meine Empfehlung an den spanischen Eon-
ful abgegeben. „Ich sollte nicht sagen“, ward mir von
dessen Behörde hinterbracht, „daß ich von Rosette käme,
fondern von Kairo, weil sie sonst alle Gefahr liefen, mit
mir in Quarantaine versetzt zu werden.“ Ich mußte also
lügen, und war einige mal nicht wenig in Verlegenheit
deßwegen, Briefe und Empfehlungen, die ich an andere
Häuser bey mir hatte, durften aus eben diesem Grunde
vor meiner Abreise nicht abgegeben werden; es war aber
dieß nicht der einzige Grund, sondern der wichtigere be-
fund in den gegenseitigen Verhältniffen der Franken die-
fes Landes, und, ehe ich Aegypten verlaffe, muß ich
meinen Freunden noch ein Wort über eben diese Verhält-
niffe anvertrauen. -
Obgleich Konstantinopel, Kairo, Alexandrien, Ro-
fette, Damiate c. nichts weniger als kleine Städte sind,
fo bilden doch die Kolonien der daselbst angesiedelten Eu-
ropäer beynahe nur kleine Dörfer, und es ist ungläub-
lich, wie in diesen unbedeutenden europäischen Gemein-
den die Kabalen der sogenannten gesitteten Welt, dem
- - - -
, - - - - - -
T 2
292. Viertes Buch. Drittes Kapitel.
jetzigen Geiste des Zeitalter entsprechend, leben, weben
und find. Die Verschiedenheit politischer Ansichten und
Meinungen, Partheygängerey, die Durchkreutzung von
besondern Intereffen und Verhältniffen; das Streben
zum Emporkommen im Gebiete des Handels und der Po-
litik, wo jeder nach feiner Art und meist auf Unkosten
Anderer fein Wesen treibt, läßt tausend Intriguen entst-
hen; diese entwickeln dann den Geist der Zwietracht, der
Gehäßigkeit und Falschheit unter glatt scheinender, gebil-
deter Auffenseite unter diesem fremden Himmelstriche,
wo Einigkeit so Noththäte. Vielleicht daß Smyrna hie-
von eine erträgliche Ausnahme macht,
O wie gerne kehrt man nach solchem Ueberblick z-
rück in feine Stille, wo man statt der Maske sich felbst
wieder findet, - -
-----
Auch hier, wie durchgehends in Aegypten, ist bei
Hochzeiten von den beywohnenden Gästen weiblichen Ge-
fchlechts ein wunderliches, dem Europäer unbekanntes,
nie gehörtes Geschrey, bald von diesem, bald von jenem
der weiblichen Gäste, beynahe anhaltend in die Ohren
gellend. Es bedeutet Freude und Lustigkeit. Ein durch
dringender, lange ausdauernder Schall, oft vom feinsten,
höchsten Ton, setzt den Franken, der es noch nie gehört,
in Erstaunen. Einige bringen ihn mit der Zunge, Andere
mit der Hand hervor. In der Okila von Rosette was
eine Hochzeit: die ganze Nacht durch ertönte das sonder-
bare Geschrey. Befremdend war's mir, von Buben, die
f
Waffe tvögel. 293
sonst. Alles nachahmen, es nie zu hören, einzig von
d Weibern, - -
F
-
Damiate erstreckt sich lieblich längs den Nile. La-
1 ge, Bauart, Basar gleichen denen von Rosette; die
Konsuln der Europäer haben ihre Wohnungen vortheil-
haft am Stromte gelegen; alle sind neben einander.
Die unglaubliche Menge von Waffervögeln machen
" die Feder-Wildprett hier wohlfeiler, als das Fleisch,
ich konnte mich über die Verschiedenheit desselben nicht
genug wundern. Die Entengattungen sind hauptsächlich
es schön und ins Unendliche verschieden; weiß, wie gefalle-
ner Schnee, schön gefärbter Kopf; fchwarzblau und grüne
Flügel; spannenbreiter, brauner Ring um den Hals.
Zwey der letztern fah ich ausgestopft; fie werden zu ganz
zen Heerden tagtäglich in Garnen gefangen, und der
Fang geschieht durch Wegnahme der Schildwachen,
- wenn anders dieser Ausdruck angewandt werden kann,
- der Enten durch Taucher; unter dem Wafer fangen sie -
diese lebendig weg. Die ganze Heerde wird konfus, wenn
diese ausgestellten Wächter mangeln, und geht ins Garn.
Dieß Jahr war fo kalt, daß vier dieser Taucher er-
froren. -
Die Fische sind in solchem ueberfluß, daß man um
- wenige Krenzer sich satt effen kann.
94 Viertes Buch. Viertes Kapitel.
- Ein einziges Schiff fand sich am Ausfluße des Nils
für die Gegend, wohin ich zu flüchten wünschte, nach
Syrien. Seit Monathen war keine Ausfahrt; die
schlimme Jahrszeit, welche das Haupthinderniß davon
war, nahte dem Ende, und täglich hoffte man abreisen
zu können. Ich wollte nichts versäumen, und verreiste
den zwölften März von Damiate, um mich auf das
Schiff, welches nach Jaffa *) bestimmt war, zu
begeben, -
4. . | |
Der Sekretär des spanischen Konsuls begleitete mich |
zu Schiffe bis an den Bukao, zwei Stunden weit von
Damiate, um mich auf benanntes Schiff zu begeben. Ich
sagte ihm Lebewohl, und mit dem Schritte in das Fahr-
zeug war ich von Damiate und der Quarantaine getrennt.
Wohl sechzig bis achtzig Schiffe waren der Reihe nach
am Ufer aufgestellt, indem sie die Möglichkeit der Aus-
fahrt erwarteten. -
Ein langer, schmaler Strich glatten und gelben San-
des, reicht ins Meer hinein. Zu äußerst liegt ein fast
rundes, großes Castell; jenseits des Nils, weiter oben -
ein kleineres, ähnliches. -
Mehrere Tage verstrichen, wo man entweder wegen
Gegenwind, oder weil die See hoch ging nicht abfah-
ren konnte. In der Gesellschaft roher, türkischer See-
- - - - - - - - -
*) Das alte Joppe,
j M.
ält
n
Falsches Wasser, 295
leute fings mich an zu langweilen. Bücher hatte ich
jetzt keine bey der Hand; mehr um mir Bewegung zu
verschaffen, als um zu jagen, wandelte ich mit leichter
Flinte längs dem Meere hin.
-----
Was ich schon früher in Oberägypten und auch tie-
fer im Lande wahrnahm, war – – falsches Waf-
fer *). Hier war der nämliche Fall, und die Täuschung
erreichte den höchsten Grad der Wahrheit. Die Fläche
war blendend und gab sogar den Wiederschein der be-
nachbarten Gegenstände im wafferähnlichen Spiegel. Man
meinte oft ganz in der Nähe eines ruhigen Stromes oder
eines Sees zu seyn, und bald an das Waffer zu gelan-
gen; aber, fo wie man sich näherte, verschwand das
trügliche Bild, und kein Tropfen Waffers war zu finden;
brennender Sand fand sich statt desselben,
„Als die französische Armee,“ erzählte mir ein Re-
negat, „unter dem General Bonaparte den Weg durch
die Wüste von Alexandrien nach Rosette und von da aus
den nach Damiate machte, als Tausende vor Durst nicht
weiter zu kommen glaubten, sah man dieß vermeinte
Wafer. Der Soldat faßte Muth, nahm seine letzte Kraft
zusammen, und wenn er es erreicht glaubte, schwand's
und ward zur dürren Sandwüste. Tausende gingen auf
*) Ein optisches Blendwerk: Ein wasserähnlicher Schein
zeigt Streckweife, bald da, bald dort Flüffe, kleinere
- oder größere Seen. -
„ . . . -
-
295 Viertes Buch. - Viertes Kapitel.
diesem Marsche zu Grunde. Die Hitze des glühenden
Sandes tödtete sie, und sie verschmachteten vor Durst *).
Ich ging den dritten Tag, gleich den vorhergehen,
den, mit der Flinte auf dem Rücken, an das andere
Ende des fchmalen Strich Sandes längs dem Meere hin;
ich war noch fehr weit von Kastell entfernt, als vier
große, weißgelbe Hunde von dorther auf mich losrannten;
ich zog mich zurück und wollte wieder denselben Weg,
den ich gekommen war ; immer mehr näherten sich die
Bestien mit heulendem Geschrey; kein Mensch fand sich
in der weiten Runde, den ich um Hülfe hätte rufen kön-
nen, immer näher drangen die Thiere auf mich ein; sie
formten einen Halbkreis um mich; am Rücken hatt
ich das Meer; kein Ausweg war offen, mir Luft zu
fchaffen, und um mich zu retten, blieb mir nichts übrig,
als, zu fchieffen. , - -
Ich hatte gut gezielt. Der schwarze Fleck auf der
Mitte des Kopfs defen, der fiel, zeigte es.
Eine augenblickliche Stille trat ein, der Hund er
holte sich, (die Flinte war nur leicht für einen Vogel
geladen,) und rannte mit den andern dem Kastelle zu.
Ich war befreit, und fäumte nicht, schnell zurückzukeh-
ren. -
*) Hälfte Wegs war eine reichhaltige Cyfkerne. Man zählte
auf Erholung dafelbst, aber die Türken verschütteten
fie Rachts zuvor.
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- Todesgefahr. 297
Von Ferne sah ich zwei türkische Soldaten rennen;
fie schienen vom Kastell herzukommen und mir den Weg
abzuschneiden. Ich ahnte nichts Gutes, doch wußte ich
auch keinen Grund, warum ich springen oder fliehen
sollte, sie riefen mir von weitem zu - ich war erreicht:
zornig schrie mich der Eine auf arabisch an, und näherte
sich ganz an mich. Ich mühte mich, auf türkisch zu fagen:
daß ich, um mein Leben zu retten, auf den Hund hätte
schieffen müffen. - -
Indem ich sprach, faßte der Einte die Flinte, der
Andere rannte auf die Seite hinter mich; ich ward zu
Boden geworfen; mit dem Flintenkolben empfing ich
einen mächtigen Stoß unter die Schulter, ich raffte mich
auf, ein zweiter heftigerer erfolgte auf die Brust; fast
fiel ich; ein dritter über Stirne und Aug schien ihre
Wuth zu kühlen. Augenblicklich rann das Blut übers
Gesicht; mit Flüchen gingen sie weg und nahmen meine
Flinte mit. -
Es ward mir schwindlicht. Ich faßte allen Muth
zusammen, um nicht die Besonnenheit zu verlieren. Ich
wankte, so gut als möglich, dem Schiffe zu, unter be-
ständigen Blutspeyen. Ich meinte erst, dieß rühre von
Schlage auf die Brust her, später aber zeigte es sich,
daß es nur das von der Stirne war, welches in den
Mund herabfloß. -
Auf dem Schiffe angelangt, erzählte ich dem Reiß
*), so gut ich's konnte, das Vorgefallene. Er rieth:
in die gegenüber liegende Quarantaine zu fahren, und
es dem Konsul zu berichten,“ Ich schnitt Stücke aus
- „“
- - - - - -
*) Schiffskapitain. -
298 Viertes Buch, Viertes Kapitel.
dem Leintuch und meinen leinenen Nastüchern, wuch
mich und verband die Wunde, welche fast bis auf den
Knochen ging, so gut ich konnte. Hätte der Schlag ei-
nen Zoll seitwärts auf den Schlaf getroffen: so wär' ich
auch für immer entschlummert.
In der Quarantaine nahmen die Griechen Theil an
dieser Sache; es schien mir aber mehr aus Haß gegen
die Türken, als aus Mitleid für mich; ich schrieb, so
gut ich konnte, den Hergang der Sache dem spanischen
Konsul Sur ur, und der Brief ging gleich ab.
Jetzt kam ein Mensch, der den Arzt der Quaran-
taine vorstellte, um meine Wunde zu untersuchen und
mich zu verbinden.
Ist's möglich, sagte ich mir, dieß der Arzt dieses
wichtigen Postens! einen unwissendern Menschen, der
gar nicht schreiben, und nur mit Mühe lesen konnte, fin-
det man schwerlich in diesem Stande. Seine ganze Fi-
gur glich der eines Erz-Vagabunden. Ich war einfältig
genug, mir eine Gattung Balsam auf Scharpie, schwarz
wie Koth, und Weißzeug, womit man lange die Schuhe
gereinigt zu haben schien, aufschwatzen zu lassen.
Mitten im Schmerze konnt' ich die Bemerkung in
mir nicht unterdrücken: Seele und Leib machen das Da-
feyn aus, und welche Beschaffenheit hat es oft mit de-
nen, die jene wie diesen besorgen. Welche Erfah-
rungen hatt' ich Gelegenheit auf dieser Reise über die
Beschaffenheit Beyder zu machen! ,
Der Arzt wollte nun untersuchen, ob etwas auf der
Brust verletzt oder zerbrochen wäre, Pflaster auflegen
und mir abführende Mittel empfehlen. Ich verbat mir
aber von dem abgeschmackten, zudringlichen Schwätzer
-,
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Mein Zustand. - 299
Alles, und sagte ihm: ich wollte zusehen, - wie es die
Nacht über ginge. " - -
Dieser Mensch verstunddrey bis vier Sprachen, von
- -
der Medizin und Wundarzneykunde aber fo viel, als eine
Kuh von der Mechanik. Er kündigte sich selbst bei mir,
als ich abfuhr: „als den Signore Dottore Antonio“ an 5
die Ankündigung der beiden ersten war sehr nöthig,
denn man vermißte bey ihm den Signore wie den Dot-
tOS, - - :
Jetzt auf dem Schiffe zurück, war freilich das Beste
die Ruhe in einem guten Bette, entfernt von der kalten
Luft, und ein guter Wundarzt, denn das Athemholen
wollte mangeln und das Stechen auf der Brust nahm
überhand. Thee, Thisane, warme Getränke, Ueberschlä-
ge u. dgl., dieß Alles war wohl schön und gut, aber
überall eher auszuführen, als hier.
Drey vorhergehende Nächte hatt' ich unter freiem
Himmel geschlafen wegen dem Ungeziefer, das sich in
allen Schiffen so häufig findet; jetzt ward, aber mein
Strohsack unters Verdeck gebracht, und ich kampirte mit-
ten unter Mäusen, Käfern und Flöhen auf Körben mit
Reis angefüllt.
Ohne etwas Warmes zu bekommen, ohne sprechen,
zu können, ganz allein blieb ich unten im großen Schiffe,
fo allein, als wär' ich der Einzige Mensch in der Welt,
Die Lage war herbe, und noch herber der Gedanke: daß
etwas innerlich zerbrochen sein uöchte; auf diesen letztern
Fall, gestehe ich, hätt' ich's vorgezogen, in Konstantino-
pel an der Pest zu sterben, als hier so zu Grunde zu gehen."
Ich weiß selbst nicht, wie die Nacht verging, ich
glaube im Fieber, Mir war übrigens so wohl, und ich
300 Viertes Buch. Viertes Kapitel,
war so ruhig, daß ich auch in diesem Zustande mit vie-
len. Andern nicht getauscht hätte. Der Morgen erheiterte
mich; ich fühlte mich in etwas erleichtert.
Als mich Tages vorher die Schiffleute so allein lief
fen, bracht' ich es auf Rechnung ihrer Grundsätze. Ich
that ihnen Unrecht; es war die Unwissenheit, in welcher
fie über meinen Zustand waren, denn als ich mich be-
klagte, kamen später je zu drey oder vier Stunden Ei-
ner, zu fehen: ob ich noch lebe.
Zwey Tage später kam der „Signore Dottore Antonio
auf Besuch zu mir. Jede Bewegung schmerzte mich fehr,
besonders wenn ich mich auf die Seite legen wollte. Er
erneuerte seine Dienstanerbietungen, die ich ablehnt. A
Nur die Wunde im Gesicht, die mich brannte, lief ich
untersuchen. Die ganze Seite war geschwollen, das Auge
fchwarz und gelb; die Wunde eiterte. Ich fragte den
Herrn Doktor um seine Meinung. Der Esel gab mir die
tröstliche Antwort: „daß ich um das Auge kommen wir
de.“ Das Entsetzen, welches mich bei dieser Nachricht
ergriff, dauerte nur wenige Minuten. Ich faßte mich,
indem ich dachte, wen ich vor mir hätte. Kurz und
trocken waren meine Antworten, und das bewirkte denn
feinen baldigen Abzug .
Zuflucht, reinigte, den Spiegel in der Hand, die Wunde
beßtmöglicht, und das Hülfsmittel der Thiere ist es ge-
wiß auch bei einem gesunden Menschen, der Spei
chel. Ich hatte schon so oft dieß Mittel erprobt, und,
Gottlob, auch diesmal bewährt erfunden. Der Himmel
- -
- - - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - - -
Jetzt nahm ich zu meinem universal-Hilfsmittel die
%
ich
Abfahrt der Flotte. 301
weiß, wie es gegangen wäre, wenn ich die Quacksal-
bereyen dieses unwiffenden Menschen fortgebraucht hätte,
Gleich den folgenden Tag nach diesen Unfälle erhielt
ich durch einen Armenier, der italienisch sprach, vom
spanischen Konful ein Schreiben, worinn er mir fein
Beileid bezeugte, und; „daß er augenblicklich Gerech-
tigkeit zu schaffen besorgt sey.“ Am Abend dieses Tages
sagten mir die Schiffleute: daß beide Soldaten gebun-
den aus dem Kastell nach Damiate gebracht worden seien.
Wie sie bestraft wurden, weiß ich nicht, denn Tages
darauf war Windstille, - - -
In der Frühe vor Tag war Lärm und Leben auf al-
len Schiffen; ich ward aufs Verdeck gebracht, und die
ganze Flotte fuhr hinunter an die Mündung des Nils ...,
langsam und mühvoll lavierte man an den Untiefen vor-
hey, es gelang nicht, ohne oft auf den Grund zu stoßen.
Endlich war das offene Meer erreicht, und, Lebe-
wohl, Aegypten!
Y,
- 5.
Geschrieben in Jaffa,
in der Klosterzelle von Terra fanta,
Wenn ich schon Aegypten mein Lebewohl zugerufen
hatte, so blieb es mir gleichwohl nicht gar entfernt,
und ich wunderte mich nicht wenig, als die Anker ge-
- - - - - - - - - . . . . . . . ." - - - -
302 Viertes Buch. Fünftes Kapitel,
worfen wurden, sobald man eine Tiefe erreicht hatte, wo
das Schiff nicht mehr in sandigem Grunde aufzustoßen
Gefahr lief. Eine ganze Schiffsladung Reis ward herbey
gebracht und übergeladen; noch ein zweytes Schiff kam
zu ähnlichem Zwecke. Diese Arbeit erforderte fünf bis
fechs Stunden Zeit. Es war gänzliche Windstille; der
Gesichtskreis schien mit einem gelben Dampfe überzogen
und die Hitze gränzte an das Unerträgliche. Weder die-
fes noch jenes ließ mich Gutes ahnen.
Die Ladung war vollständig, und es blieb mir kein
Plätzchen mehr übrig, um unter Dach zu feyn, was mir
doch der Reiß versprochen hatte; noch ward nicht ab-
gefahren, warum? konnt' ich nicht begreifen, bis eine
Stunde später ein ganzer Transport türkisches Militäran-
langte; es war ein Aga aus Syrien mit feinem Ge-
folge, fünfzehn bis achtzehn Mann, nebst einer ver-
mummten Frau. Wild stürmte der ganze Troß aufs
Schiff und lagerte sich wo Platz war, und es blieb auf
dem Verdecke nicht mehr so viel Raum, daß man sich
bequem hätte niederlegen können. - - -
Hätte ich mehr Kraft gehabt, fo wäre ich mit dem
Schiffe, welches die Türken brachte, zurückgekehrt, aber
ich war zu matt und zu fchwach, als daß ich mich in
dem Lärm hätte verständlich machen können, und so
mußte ich wider Willen bleiben. Auch an diesem Trupp
Türken war es auffallend, wie sehr diese Nation das
Groteske und Grelle der Kleidung liebt; in der Uniform
Aller war nichts Gleiches, als die mehr denn Elenho
hen , runden, von schwarzem Schaaffel aufgethürmten
Mützen, das übrige Alles war nach der besondern Wahl
jedes Einzelnen; Goldborten auf Fetzen; Stickerey auf
Schiffsgesellschaft. Es
Lumpen; Garnierungen von Seide, deren Farbe man
vor Schmutz nicht mehr kannte, fleischfarbne Talare mit
grünen Einfaffungen; hochgelbe mit rother, hellblaue
mit goldgelben Quadres; fchwarzer Plusch mit Silber-
flitter u. f. w. Die Mehrheit aus ihnen hatte in beyden
Naslöchern kleine Muscheln, durch welche Golddrath
ging, der bis gegen den Mund hinunter ragte. Diese
Zierrath mag fehr unbequem seyn. Auf dem Schiffe ward
fie herunter genommen. Der Aga war ein heiterer, fri-
fcher, entschloffener Mann. Das Boot ward aufs Schiff
gebracht, und er selbst nebst seiner Frau in dasselbe ein-
logiert. Diese konnte sich der Neugierde nicht erwehren,
den Franken zu betrachten, und zweimal ward der Schleyer
deswegen gehoben; sie hatte weder ein schönes noch inte-
reffantes Gesicht. Diese Frau, einmal auf das Schiff
gebracht, und es ward während der ganzen Fahrt nichts
mehr von ihr weder zu fehlen noch zu hören. Ein Tep-
pich wurde über das Boot gezogen, mit einer Negerinn
zu ihrer Bedienung lag sie fortan unter demselben ver-
borgen. - ---
Wenn bei uns ein Vornehmer mit feiner Gemahlinn
teist, und gegen die zwanzig Personen als Geleit mitzu-
führen vermag, so macht vielleicht das Geschirr für Speise
und Trank, Weißzeug, nebst hundert andern kleinen Be-
dürfnissen und Luxusartikeln eine halbe Schiffsladung
aus; welcher Abstand hier! Pillau von Reis, Brod,
Zwiebeln, Käse und Kaffe machen alles aus, was der
Aga, wie der schlechteste aus feiner Dienerschaft genießt,
und auffer Oliven und etwas Süßem sah ich nichts, das
die Herrschaft besonders für sich gehabt hätte. Aus dem
Waferfaffe ward mit blechernem Gefäße, oder mit aus-
30 Viertes Buch. Fünftes Kapitel.
gehöhlten, kleinen Kürbissen nach dem Essen, das nie
länger als fünf Minuten dauerte, das Getränk für den
Herrn wie für den Knecht geschöpft; so wie dießgeschah,
ging dieser wie jener, zufolge dem Gesetze, sich die
Hände und das Gesicht zu waschen. Wie viel Ceremoniel
bey uns! Wie viele kleinlichte Kleinigkeiten wegen den
Range der höhern oder niedern Gäste, wegen zuerst oder
zuletzt, nichts hievon bemerkte ich hier; es achtete sich
keiner besser als der andere, obgleich Offiziere und ein
Sekretär in der Gesellschaft waren; sie langten mit dem
Koch in die Schüffel.
Was ich früher befürchtete, entwickelte sich nach
und nach; gegen Abend war der gelbe Dampf in Schwärzt
verwandelt und der Südwind fing an loszubrechen. Mei-
ne Freunde finden in jedem Roman die Beschreibung ei-
nes Sturmes beffer, als ich sie zu machen im Stande
wäre. Dort ist er in der Phantasie, ich hatte ihn hier
in der Wirklichkeit. Zwischen Asien und Afrika dachte
ich meine Bahn vollendet. Die ganze Nacht über war,
auffer den Brausen der Wogen, die an und über das
Schiff schlugen, und auffer dem Geheule des Binde
nichts hörbar, als das beständige: „Allah! Allah!“ der
Schiffleute. Der Kapitain war krank und meist in Dill
rium; die Uebrigen wußten in der Betäubung und Verwir
rung, welche allgemein im Schiffe herrschte, wenig oder
nichts. Es waren eben keine englische Nautiker, und die
baldige Beobachtung dieses Umstandes war nichts weniger
als beruhigend. Regen und Schloffen wurden vom Wind
hergejagt, und es blieb kein Fleck im Schiffe, wo man
sich davor etwas verwahren konnte. Die Ankertaue de
Schiffes, und das Schiff selbst, was man immer be-
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Der Sturm, 305
befahrte, zerrissen indessen nicht, und ein trüber, stürmi-
Tag fing an zu dämmern. - -
Man lavierte, nachdem gegen Mittag die Anker ge-
lichtet wurden, mühsam vorwärts; gegen Abend be-
gann der Sturm aufs Neue, und einige Stunden von
den Ufern des steinigten Arabiens mußten die Anker
neuerdings geworfen werden. Ich weiß nicht, warum
man sich nicht an das Land rettete: ob wegen den Un-
tiefen, oder aus Furcht, von den Küstenbewohnern ge-
plündert zu werden, wenn man sich dem Lande mehr nä-
herte. Mitten im kochend scheinenden Meere ward die
zweyte Nacht zugebracht,
Wenn in herber Krankheit der Schmerz keine Mi-
nute Schlaf die ganze Nacht über gestattet, wie lange
dauert nicht eine solche Nacht? Aber wahrlich, diese
heyden auf dem Meere Zugebrachten waren und fähienen
nicht kürzer, als eine von jenen,
Sechs Tage und eben so viele Nächte dauerte diese
Reife unter freyein Himmel, ohne etwelche erträgliche
Nahrung. Sie befund aus harten Eyern, gefalzenem Zi-
ger und altem Brode; Kälte und Regen, und das Ue-
belste von Allem, böse Laune, die alles in schwärzerer
Farbe darstellt und noch mehr mißstimmt, gesellten sich
dazu, um aus schlimm noch schlimmer zu machen. Die
Schmerzen auf der Brust hatten wenig nachgelassen, und
die Wunde am Kopfe heilte der kalten Luft wegen äuf-
fert langsam.
Es war die Zeit der Tag- und Nacht-Gleiche, und
es war mir nicht unbekannt, daß stürmische Witterung
diese Zeit beinahe immer begleitet; aber die unwiffen-
den Schiffleute hatten nicht einmal hievon Kenntnis, und
UI
-
306 Viertes Buch. Sechstes Kapitel.
schienen mithin auch nicht an die Gefahren auf der See
in diesem Zeitpunkte zu denken. Ich besorgte, wir wür-
den noch mehrere Tage mit ungefälligem Winde zu käm-
pfen haben, aber er wandte sich endlich, es war gerade
Sonntag, obgleich heftig, zu unseren Gunsten. Man flog
Gaza, auf rechter Seite laffend, vorbey. Eine sehr
kalte Nacht, kaum zum Ausdauern, erfolgte; aber als
es dämmerte, siehe da! auf einem Hügel nächst am
Meere eine Gruppe Häuser, es war Jaffa, das
Joppe der alten Welt.
6.
Geschrieben auf dem Berg Libanon im Kioser
Chariffa,
- Auf einem kleinen Boote ward ich nebst meinen Haab-
feligkeiten ans Land gebracht. Schwankend vor Schwä-
che und schwindelnd erreichte ich das Kloster von Terra
fanta, und konnte mit Noth mein Ansuchen um Her-
berge für einige Tage vorbringen; kaum erwehrte ich
mich einer Ohnmacht. Der Pater-Subperior, ein Spa-
nier, sah bald, wie sehr ich der Ruhe bedurfte, und
wies mir, nachdem ich meine Empfehlungsschreiben ab-
gegeben hatte, meine Zelle an. Reine Wäsche und ei-
nige Stunden Schlaf erquickten mich; ich packte mein
Felleisen aus, und fand von den diebischen Arabern, die
mit mir auf dem Schiffe waren, eine Summe von Baat
schaft entwendet; ich tröstete mich damit, daß der Ver-
lust noch größer hätte sein können, und faßte den Ent-
-
d,
f
i-
1,
i
Er
als
lief
ff
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1,
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Entdeckter Diebstahl, 30
fehluß, in Zukunft klüger zu sein. Gott weiß, wie lan-
ge ich ihn halte! -
Ich rechnete sicher auf eine ernsthafte Krankheit;
es schien mir anders nicht möglich. Ich war physisch
und moralisch angegriffen. Ersteres von dem häufigen
Blutverluste, Schmerzen, schlaflosen Nächten und Ent-
behrung aller erträglichen Lebensmittel. Letzteres von der
Angst, Unruhe und dem Verdruffe; es konnte, dieß al-
les zusammen genommen, fast nicht anders feyn, als daß
ich wenigstens eine Zeitlang diesen Leiden unterliegen
würde.
Und dennoch geschah es nicht! Wohl ein Beweis
von einer seltenen Ausdauer und gesunden Organisation.
Ein zehn bis zwölf Stunden anhaltender Schlaf während
mehrern Nächten, war das einfache Mittel, durch wel-
ches die Natur das Zerrüttete und Zerstörte selbst wieder
verbesserte und herstellte. • -
Der Monath März rückte zu Ende; alles in dem
selben Ueberstandene war eine Summe von Ungemach,
die für einen Monath wohl stark war !
Mit dem Eintritt in Palästina ward allfo das Land
erreicht, das in so ganz andrer Beziehung als Aegypten,
uns denkwürdig geworden ist. - -
In Jaffa, oder wie die heilige Schrift diesen Ort
nennt, in Joppe, soll's gewesen sein, wo Noah feine Ar-
che erbaute, um der Sündfluth zu entrinnen; in Joppe
soll sich der Prophet Jonas eingeschifft haben, als er
d
308 Viertes Buch. Sechstes Kapitel.
darauf, vom Loose getroffen, im stürmischen Meere fei-
nen Untergang finden folte. -
Ueberhaupt, wie viele Ereigniffe und Begebenheiten
der frühsten und spätern Zeit, stellten sich meiner Seele -
auf dem Flecke Bodens dar, den ich jetzt betrat. Erinn-
erungen und Begebenheiten, die noch jetzt mit Eifer
darauf gefeiert werden, und Ky welchen, wenn nicht
der Kern, doch die Schaale vergoldet bleibt. -
Meine Ankunft traf gerade in die Fasten, und sieben
und vierzig Tage ward in den hieländischen Klöstern
kein Fleisch gegessen; selbst Butter, Käse und Eyer waren
in dieser Zeit verboten. Fische und mit Oehl gekochte
Hülsenfrüchte und Kräuter blieben die einzige Nahrung,
Zum Glück gewöhnte ich mich auch an dieß ohne Mühe,
da die Fische fehr gut und frisch waren.
Die Griechen leben diese Zeit über noch strenger,
Kaviar dürfen sie effen, aber Fische nicht; Oliven kön-
nen genoffen werden, aber das Oehl davon, ist Sünde!
Ich selbst war übrigens fast wie im Gefängniß. Nirgends
sind die Türken wilder, gehäßiger und gegen die Fran-
ken erboster, als in Palästina. Noch vor wenigen Jahr
ren war Niemand vor Beleidigungen sicher, der nicht
Türke war und sich auf der Straße blicken ließ; es
blieb nichts übrig, als sich schnell nach Hause zu flüch-
ten. Ich durchwanderte mit dem Pater die Stadt, und
er hatte Mühe, den Troß fchreyender und lärmender
Buben, denen meine Tracht auffiel, abzuwehren, weil
fie sich einen Franken zu beleidigen oder zu mißhandeln
für berechtigt halten. -
Etwas, das mich für meine Gefangenschaft einiger
maßen entschädigte, war die Terraffe oder das Dach, auf
Klima. 309
welchen ich mich ergehen konnte. ueberall in der Levante
ist dieser Platz der angenehmste der Wohnung: fchöne
Quader, oder ein ebenes, glattes Pflaster bilden den
Boden, der sich über das ganze Haus ausbreitet, und
mit einer zwei bis drey Schuhe hohen Mauer eingefaßt
ist. Es ist an kühlen Morgen und Abenden überaus lieb-
lich, hier die Zeit zuzubringen; eine schöne, weite Aus-
ficht, gute Luft und einladende Stille machten mit dieses
Plätzchen so theuer.
Die Klöster benutzen auf eine geschickte Weise den
weiten Raum der Dachung zur Annehmlichkeit des Le-
bens; das von Jaffa liegt am Meere und beherrscht die
Aussicht auf dasselbe. - -
Hier sowohl, als an allen kleinen Orten längs den
Mittelmeere, Akre ausgenommen, waren zu Ende des
vorigen Jahrhunderts die Franzosen Meister; um sie zu
bezwingen, wurden die Bäume in der Runde herum ab-
- gehauen , und ich sah nur junge Feigen - Oliven- und
Maulbeerbäume; die Gegend könnte in christlichen Hän-
den so kultiviert feyn, als ein Garten; der Boden ist
unvergleichlich, aber feine Kultur entspricht der der Re-
gierung und deren Despotismus. Kömmt ein Schiff in
dem schlechten Hafen an, so nimmt die Regierung Besitz
von der Ladung, und bestimmt den Waarenpreis nach
Willkühr; jeder Paffagier, der aussteigt, bezahlt vier
und einen halben Piaster; eben so viel, wann er wieder
abreist; dieß, mag hinreichend feyn, um sich einen Be-
griff von den übrigen Drucke zu machen.
. Es war Ende März, und ich fror in Syrien mehr,
als im Dezember und Jänner in Oberägypten. Nach ei-
nigen Tagen Ruhe wollte ich meine Reise fortsetzen, be-
310 Viertes Buch. Sechstes Kapitel
folgte aber erst noch guten Rath, indem ich den hier
verhaßten Hut mit scharlachrother Mütze und blauem
Turban darüber verwechselte; beim Rasieren blieb der
Schnurbart stehen. Die gelben Stiefel, oder die rothen
Sandalen unter langen Gewande, gaben mir ein so
ziemlich levantisches Ansehen; was ich an Geld bei mir
führte, übergab ich dem Pater Subperior, denn das Klo-
fer vgbürgt den Reisenden Sicherheit, indem es mit
den plündernden Arabern, welchen es Tribut zahlt, un-
terhandelt, fo, daß alle Uebel, die den Reisenden, rück,
fichtlich der Unsicherheit in diesen Gegenden treffen könn-
ten, hiedurch abgewandt werden.
Ich hatte von Jaffa nur drey Stunden bis nach
Rama, einst Arimathea, einer Stadt in blühender;
aber fehr vernachläßigter Gegend. Hier soll, aufer Jo-
feph dem Rathsherrn, auch Nikodemus gewohnt haben,
Im Kloster von Rama findet der Neisende Nachtherberge,
es ist sehr groß und schön. Auf der weitläufigen Ter-
raffe defelben übersieht man die ausgedehnte, fruchtbare
Ebene, und einige Stunden weiter, beginnen die Gebir-
ge von Jerusalem. -
- Nach dem Abzuge der Franzofen von Rama ward
das Kloster von den Arabern, die wie ein Strom vom
Gebirge herunter kamen, geplündert, … und bis auf die
eisernen Gitter. Alles weggeräumt; ein Pater, der sich
noch darinn befand, ward auf der Terraffe gemordet;
ein anderer flüchtete sich in das Haus eines Türken,
der als Kameeltreiber das Kloster bediente. Die Ara-
ber vermutheten ihn da verborgen und untersuchten.
Späne und andere Dinge bedeckten ihn; sie fall-
den ihn nicht. Drohend forderten sie ihn nun von
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Rana oder Arimathea. - 311
Türken, der ihn aber standhaft verläugnete und fein Le-
ben für den Mönchen opferte, ohne ihn zu verrathen.
Ich war noch fehr schwach; es war kalt und reg-
nete; ich blieb noch drei Tage, um bessere Witterung
abzuwarten. Meine Zelle war dunkel und hatte, statt
Glasfenster, nur Läden; oft mußt' ich diese zu schlieffen,
bald wegen dem Regen, bald wegen dem kalten Winde.
Ausgehen konnt' ich nicht, die Türken witterten bald den
verkappten Franken an mir, und ich lief Gefahr, inful-
tiert zu werden; auch die Hunde schreckten mich. Mein
Aufenthalt war nicht angenehm ; der Pater, ein Spa-
nier mit ganzer Seele, sprach und erzählte Dinge, vor
welchen mir graute. Es erinnerte mich an die bey uns
und in unserer Gegend, Gottlob! vorübergegangenen
Zeiten des Terrorismus. In einer Wohnung des Frie-
dens, der Ruhe und Stille mißstimmte mich dieser feind-
selige Geist, aber ich entschuldigte ihn rücksichtlich sei
nes Vaterlandes.
- - - -
Den dritten Morgen hoffte ich gute Witterung, und
reiste mit einem Treiber, der Sorge für die beiden
Thiere trug, ab; aber kaum waren wir einige Stunden
gegen das Gebirge vorgerückt, als es aufs Neue zu reg-
nen begann. Ich ward naß bis auf die Haut und fror
tüchtig. Die Fastenspeisen in Rama, so sparsam mitge-
theilt, daß ich mich kaum halb fatt effen konnte, gaben
wenig Kraft; ich hatte nichts als Brod und harte Eyer
zu effen, nichts, als Waffer zu trinken. Unmuth ver-
schlimmerte meine Lage noch mehr. Nach Verfluß einiger
-
312 Viertes Buch. Sechstes Kapitel.
Stunden war der Regen vorüber, und meine Kleider
trockneten bis Abends. - - - - -
Von Rama weg hat man noch eine Strecke angebau-
tes Land, dann aber beginnt das Gebirge; rechter Hand
auf der Seite läßt man Emaus liegen, und kömmt in
eine Gegend, wo man wegen den Klüften bläulichter
Felsen und Klippen wenig vom Himmel sieht. Der be-
wanderte Weg ist auf dem harten Gesteine kaum bemerk
bar, und zwischen den beyden Felswänden oft so schmal,
daß man den Entgegenkommenden kaum ausweichen kann.
Ist je eine Gegend dem Straßenraube günstig, so scheint
es diese zu feyn. Für meine Person war ich ohne Furcht,
ich war ja affekuriert, zu wie viel Prozent, wußte ich
nicht! Ich blieb sehr ruhig, so verdächtiges Gesindel
auch des Weges zog. Der Treiber nannte nur einen
Namen, er ward oft angefragt, und ungestört konnte
man weiter ziehen. - - - -
Aber vor einem Dorfe, dem einzigen, durch welches
man kömmt, faßen auf der Straße im Kreise herum,
als wären sie auf der Lauer, über ein Dutzend Araber,
aus welchen einer allein hinreichte, Schrecken einzujagelt.
Sie schrieen uns entgegen, ich verstand nicht was, und
ritt weiter, aber zwei aus ihnen fielen dem Pferde in
den Zügel und drohten; in diesem Augenblick dachte ich
die Affekuranz annullirt. Diese Horde haufet scheints in
mer hier, um den Tribut zu erheben. Erst nach langem
Gezänke und geleisteter Bezahlung konnten wir die Reise
fortsetzen.
Von hier aus waren noch zwey starke Stunden über
steile und nackte Felsen herauf und herunter zu machen,..
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Betrachtungen über Jerusalem. 313
eh ich auf den Hügel gelangte, von welchem aus ich un-
fern Jerusalems hohe Mauern entdeckte,
- - - - -
. . . . . - * *
7.
- 1 -
- Geschrieben in verlassener Wohnung auf dem 3.
Libanon. - - - - -
Wenn man sonst den Ort erblickt, wo uns das Ziel
einer beschwerlichen Reise entgegenlacht, so fühlt man
sich froh, und eine innere Luft erfüllt das Gemüth; über-
all hatte ich wenigstens diese Empfindung, hier nicht!
Der schwere Gedanke bemächtigte sich meiner: wie auf
diesem Platze vor bald ein paar Jahrtausenden Schein-
verdienst, Scheinheiligkeit, eigendünklerische, prahlen-
de Tugendgrimaffe, nach Gesetz zur Kirche gehend, Al-
mofen und den Zehenten gebend, fastend und betend nach
Regel, im Herzen aber Gift und Hochmuth brütend –
so viel Seelenadel, stilles, hohes und wahres Verdienst,
bis ans Kreuz brachte!
Mein Innerstes war ergriffen vom Gedanken, wie
nach der Weissagung des Heilandes, bald nach der un-
hat der Gräuel der Verwüstung so einbrach, daß kein
Stein auf dem andern blieb. Es vergegenwärtigte sich
mir der Jammer von den Hunderttausenden, welche in
den verschiedenen Belagerungen und Zerstörungen dieser
Königsstadt gemordet wurden, und Frohsinn und Heiter-
keit wichen aus meiner Seele.
In dieser Stimmung, es war dämmernder Abend,
ritt ich durch das starke, festung ähnliche Thor des jetzigen-
314 Viertes Buch. Siebentes Kapitel.
Jerusalems; durch enge Gaffen führte der Weg zum
Kloster, beinahe starr vor Kälte und langem Reiten er-
stieg ich, fast entkräftet, nur mühsam die Treppe; in
einem Vorzimmer ward mir eine Schaale Kaffee gereicht.
Der Pater führte mich sogleich durch einen Gang nach der
Kirche. Alles kniete; ein klagender Wechselgesang er-
tönte; ich war so erschöpft, daß ich mich außer Stand
fühlte, weder auf die einte noch andere Weise an dem,
was da vorging, Theil zu nehmen. Ich merkte, daß ich
mich nicht benahm, wie man wünschte. Nach wenigen
Minuten verließ ich die Kirche; eine Zelle, hohl und
kalt, ward mir angewiesen; Brod, Waffer und Wein
nebst etwas Datteln mit der Bemerkung dargereicht:
„daß in der Fastenzeit dieß der gewöhnliche Tisch
wäre.“ -
-
Man konnte leicht sehen, wie sehr ich etwas Anders
bedurfte, ich wollte also nicht darum bitten; eine schlaf
lose Nacht folgte. Ich hatte Empfehlungen an den Pa-
ter Generalprokurator, einen Spanier. Er empfing mich
höflich, und gleich am folgenden Tage ward meine Lage
verbeffert. - -
Er sagte mir, wie die Italiener sich ausdrücken, ei-
uen Cicerone zu, der mir alles Sehenswerthe zeigen wir
de. Wahrscheinlich vergaß er sein Versprechen; ich harte
bis drei Uhr Nachmittags, und da noch Niemand kan
ing ich, dreist genug, wie gewohnt, ganz allein aus mit
nem Gefängniß ins Freye. Ich merkte mir wohl den
Weg, um die Rückkehr wieder zu finden; erreicht glück-
lich das Thor, und mein erster Ausgang war, einen Gang
außerhalb den Mauern Jerusalems um die Stadt zu ma-
chen. Bisher gelangen mir solche Wagetücke immer so
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Spaziergang tl Jerusalem. 35
gut, daß ich dies auch noch versuchen wollte, und es ge-
lang aufs Beßte.
Die Stadtmauer hat ungleiche Höhe, wohl nie un-
ter dreißig, oft aber über vierzig Schuhe; sie ist von
massivem, großem Quader unregelmäßig gebaut; an ihr
befinden sich, meist sehr nahe aneinander, herausragende,
vorstehende, bald viereckigte, bald runde Thürme, deren
vielleicht bey. Hunderten sich um die ganze Stadt befinden;
auf der Abendseite ist die Festung, welche auf ihrer er-
habnen Lage die Stadt beherrscht, die an sich, der ho-
hen Mauer wegen, schon völlig einer Festung gleicht. - -
Am folgenden Morgen erschien der Führer, und ich
besah, während meines Aufenthalts in Jerusalem alle die
heiligen Orte, welche inn- und aufferhalb der Stadt ge-
wiesen werden. Ich laffe die jetzige Bestimmung der denk-
würdigen Stellen, welche um Schritte oder Stunden von
den wahren abweichen mögen, auf ihrem Werthe oder
Unwerthe beruhen; genug, in der Nähe dieses Bezirks
hatten die Ereigniffe statt, welche wir in der Leidensge-
fchichte Jesu lesen. Ich nenne nur flüchtig das Gesehene,
und berühre dann später umständlich das Eine und An-
dere davon, - " - - - - -- - - -
Gleich vor der Stadt, auf der Morgenseite, erhebt
sich der Oelberg; tiefer unten Gethsemane; dann der
Platz, wo Jesus mit dem Kreuze fiel, la strada dolorosa
– Befaschi – Weg, den Jesus Christus am Palmtag
ritt; das Grabmal der Madonna; der Platz, wo St.
Stephan gesteinigt ward; die Stelle, wo der Heiland
dem Thomas seine Wundmale zeigte; die Grotte der Apo,
fel; Silhoe; der Brunnen Nehemiä; die Grotte, wo Pe-
trus Buße that; das Haus des Kajaphas; der Berg Sion;
"
316 Viertes Buch. Siebentes Kapitel,
der Platz, wo Jesus den Aposteln die Füße wusch; die
Grotte, in welcher Jeremias feine Klagelieder dichtete;
die Grabmäler der Könige von Israel; der Richter; der
Platz, wo St. Jakob den Märtyrertod litt; das Haus
der Hanna; das Gefängniß des Heilandes; das Ther
der Pharisäer; der Palast des Pilatus, wo Jesus ver-
- - s -
urheilt ward; die Stelle, wo man ihm die Dornenkrone
aufsetzte; die, wo ihm das Kreuz aufgelegt wurde; der
Bogen, wo er dem Volk gezeigt ward; der Platz, wo
feine Mutter ihm begegnete; wo Simon von Cyrene ihm
das Kreuz abnahm; wo die Töchter Jerusalems um ihn
weinten. - -
Dann das heilige Grab; die Stelle, wo er Maria
Magdalenen nach der Auferstehung erschien.
, In der Kirche der Lateiner zeigte man mir die Hälfte
von der Säule, an welcher der Heiland gegeifelt wurde,
( die andere Hälfte ist in Rom ); - die Stelle, wo man
feine Kleider verheilte; wo St. Helena, die Mutter
des Kaisers Constantin, das heil. Kreuz fand; die Ka-
pelle der heil. Helena; das Grabmal von Nikodemus;
das Gefängniß des Apostel Petrus; den Kalvarienberg
oder Golgatha; den Stein, der das Grab deckte; das
Thal Josaphat; den Platz der Ausgießung des heiligen
Geistes; den Bach Kidron; den Berg Moria, (mit Sion
beynahe eins) wo Abraham den Isaak opfern wollte; Da-
vids Grabmal; Abfaloms Grab, u. a. m. -
Auffer den Mauern Jerusalems findet sich auch nicht
ein einziges Gebäude als Landgut, wie dieß sonst aufer
jeder andern, größern oder kleinern Stadt in Europa der
Fall ist. Der Grund hievon mag vielleicht in der uns
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die
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Merkwürdigkeiten Jeruf alems, 317
cherheit zu suchen feyn, in welcher solche Campagnen
wegen den streifenden, raubenden Arabern wären; viel-
leicht auch, weil der Boden steinigt und unfruchtbar ist;
eher möchte aber das Erstere der Fall feyn. Der Pal-
last des Kaiphas, der ein paar hundert Schritte vor
der Sionspforte liegt, ist einzig außer der Stadt, und
hat einen Einfang von hohen Mauern; diese sind meist
aus Leichensteinen, mit Innschriften von Hebräern oder
Armeniern, errichtet, und ziemlich modern. -
Um die Hauptgegenstände zu sehen, follte ich, wie
ich aus der Geberdensprache des Guardians schliefen
konnte, die Stiefel ausziehen; ich war aber entschloffen,
mir diese Unbequemlichkeit ein für allemal zu verbitten,
und äußerte, daß ich lieber nichts sehen und zurückkeh-
ren, als dieser Scheererey mich aller Orten unterziehen -
wollte. In diesem Entschluffe bestärkte mich das Zeichen
des Portiers: „daß ich mit Stiefeln eintreten könne,
weil er besorgte, sein Trinkgeld (Bakis) möchte ihm
entrinnen. Ohne Schwierigkeit fand nun aller Orten
daffelbe statt, - -
* Jerusalem *), die Stadt, welche zu den Zeiten
Christi gegen drei Millionen (?) Einwohner enthalten
haben soll, befaßt jetzt etwa zwölf bis fünfzehn Tausend.
Begreiflich fank der Umfang der Stadt felbst verhältniß-
mäßig, denn innerhalb einer Stunde hatte ich den Gang
um dieselbe vollendet. Es war mir, wie ich schon be-
merkte, als ob ich um einen sehr großen Festungsplatz
ginge, und ich konnte mir nicht Auskunft geben, wie
David, Salomon und die Könige von Israel überhaupt
') Türkisch Conte Scherif,
Z18 Viertes Buch. Siebentes Kapitel.
hier ihren Wohnplatz wählten, die Gegend ist ohne Reiz,
zde, von kahlen, blauen Felsen und Klippen umgürtet,
ohne Waffer, ohne Ebene, ohne eigentliches, ländliches
Infehn. Grünend war jetzt (Anfang Aprils) freilich
die Gegend hin und wieder aber im Juny“ , so vers-
cherte man mich, „sey auch nicht das Mindeste dieser
Farbe mehr im Feld wahrzunehmen; wenn die Hitze
beginne, finde sich nicht einmal mehr ein Salat in den
Gärten. . . . - - - -
Die Gaffen sind meist enge und die Pflastersteine un-
ehen, hart wie Marmor und wenn es regnet, gleicht
es Seifenbrocken, ist auch so schlüpfrig, als wäre es
wirklich von dieser Materie Man muß im Gehen
vorsichtig seyn, als wandelte man auf Eis.
Jon Salomons Tempel ist wahrscheinlich das wahrt
gale Kybehalten; prachtvoll erhebt sich jetzt auf den
selben die zierliche Moschee, auf heller, luftiger Höhe
und freuen, geräumigen Plaket " Vorgrund von Je-
rusalem, vom Oelberge her macht dieß grandiöse Ge-
zude eine unvergleichliche Wirkung *), aber verbot
zu betreten ist es Zedem, der nicht Muselmann ist. Sid-
den Smith soll aber mit seinen Gefolge Eingang ge“
habt haben. Als er um den Firmen gefragt ward er
wiederte er: »daß er selbst der Sultan wäre und als
eines Firmans bedürfe.“
Es hieß, die Türken seien überhaupt seit diesen E-
eigniß etwas zahmer geworden, Ehedessen ward den hier
) Von dieser Seite hat der Verfasser nach der Natur eine
Stie von Jerusalem gezeichnet, die " diesem Band
heyfügen, K
Davids Palast. 319
wohnenden Christen und Fremden oft auf der Gaffe ins
Gesicht gespielen, andern ähnlichen Unfugs nicht zu ge-
denken. Jetzt unterbleibt dieß eher; hingegen wird dafür
vom Pascha von den Christen mehr Geld erpreßt als ehe-
mals. Als die Franzosen in der Nähe vorrückten, wur-
den alle Christen gefänglich eingezogen; wären jene ganz
vorgedrungen, fo würden diese ohne anders alle ermordet
worden seyn; ihre Gefangenschaft dauerte bey mehrern
Monaten, und die Regierung benutzte diesen Umstand,
um später für Geld ihnen wieder die Freyheit zu ge-
statten, - - -
S,
Auch Davids Pallast liegt auffer der jetzigen Stadt
auf der Höhe des Sions, er ist jetzt zur Festung umge-
faltet, und es bedarf eines Firmans, um hineinzugehen.
Merkwürdiges soll nichts darinn zu sehen sein. Ich
kam nicht hinein.
Das Kloster St. Jakob (St. Giacomo) den Arme-
niern gehörig, ist von ungeheuerm Umfange; es soll das
reichte in der Levante sein. Dieß Kloster sowohl, als
das der Griechen, enthaltet verschiedene religiöse Denk-
würdigkeiten. Es ist herrschender Gebrauch, daß die
Wände der Kirchen mit weißen und blauen Porzellain-
platten geziert werden; dieser Anblick erinnerte mich
unwillkührlich an die bei uns ehmals üblichen Kachelöfen,
yelcher Anblick der Phantasie die Flügel fehr lähmt.
Schöner und beffer nehmen sich die häufigen Einlagen vo-
320 Viertes Buch. Achtes Kapitel,
Perlmutter - Arbeit auf schwarzen Grunde aus; kostbar
aber geschmacklose Persienne aus Indien findet sich häufig
zu Vorhängen benutzt *). -
Der Oelberg, an der Morgenseite von Jerusalem
liegend, gewährt einen lieblichen Anblick; ganz auf dem
Gipfel des Oelbergs ist eine Moschee, und darinnen der.
Platz der Himmelfahrt. Alle Orte, die von den Christen
besucht werden, sind von Türken bewacht; überall zahlt
man ihnen den Caffaro (Tribut), wenn es auch nur we-
nige Parahs sind. Dieß ist eher zu ertragen, als die
Infolenz dieser wachehabenden Hallunken, -
Wahrscheinlich mochte der Oelberg einst eine andere
Beschaffenheit gehabt haben. Ich stellte mir ihn waldigt
und buschigt vor, aber ich fand ihn kahl, und wo Bebau-
ung statt findet, von gelblichter Erde; es mögen vielleicht
nicht über fünfzig Oliven-Bäume darauf zu finden sein. -
Mitunter traf ich auf einige Reben, Mandel, und Fel.
gen-Bäume, welche aber jetzt noch keine Blätter trieben.
In der Schweiz würde der Berg für einen geringen Hi-
gel gelten; in einer Viertelstunde, vom Fuße angerech-
net, hatt' ich einen Gipfel erstiegen.
Aber auf feiner Höhe ist gegen Morgen eine prächtige
Aussicht; in der Ferne glänzt das todte Meer und der
Streif des Jordans, der sich in dasselbe ergießt; die
Ruinen von Jericho sollen weiter links liegen. Zu seiner
*) Diese Perfienne ist nicht, wie bei uns, gedruckt, son-
"dern gemahlt, und stellet Engel in colofakischer Größe
vor, das Tuch ist gleichfalls aus einem Stücke gewoben,
die Breite hält mehrere Staab; eine Sache, die man
bei uns nicht zu bewerkstelligen wüßte.
„
jäft
Grotte der Apostel, 321
Füßen hat man Jerusalem. Die Moschee, an der Stelle
von Salomons Tempel, mit dem zweiten, geräumigen
Plattenboden und grünen Umgebungen, hebt sich zierlich
Zeit
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mit der schwarzen Kuppel und den blauen Porzellan-Ver-
zierungen aus den im Hintergrunde liegenden, und all-
mählig amphitheatralisch emporsteigenden Gruppen der
dachlosen Häuser Jerusalems hervor. Im schönen Style
ist die Bauart des türkischen Doms; es belebt der ge-
waltige Vorhof und die grellen und bunten Farben die-
fes Gebäudes das Eintönige der in einander gedrückten
gelben Steinmaßen von Häusern, und die gleichfarbige
hohe Mauer, welche das Ganze mit der Menge ihrer un-
regelmäßigen Thürme Umfaßt.
Eine Strecke tiefer unten vom Gipfel des Berges ist
die sogenannte Grotte der Apostel; sie ist, in antiken Ge-
schmacke unter die Erde gebaut. Dieß Gebäude, mit fei-
nen zwölf prächtig gesprengten Bogen, welche allmählig
im Morast verfinken, gehörte gewiß einst zu den schönsten
Werken der Baukunst. Mehrere ähnliche, theils halb
versunkene, theils mit Schutt ganz zugedeckte Reste von
Wohnungen in dieser Gegend beweisen, daß der Oelberg
vor Jahrhunderten oder Tausenden wohl eine andere Be-
schaffenheit gehabt haben mochte, als in unseren Tagen.
Ebenfalls am Fuße desselben ist die Grotte der Madonna
fast ganz unterm Boden; in ihren Ueberresten ist der
große und reiche Styl dieser Prachtanlage noch jetzt zu
erkennen. Wohl gegen die fünfzig Stufen einer dreißig
Schuhe breiten Treppe von weißem Marmor, führen in
diese Tiefe, wo die Griechen, als in ihren Besitz hum,
Andacht und Gottesdienst halten, was Alles schon die
Z
/ ,
322 Viertes Buch. Acht es Kapitel.
-
brennenden Lampen und Bilder in allen Umgebungen des
Aeuffern ankünden.
An einem Festtage stieg ich zum zweiten Male hin-
unter, um diese schöne Anlage zu besichtigen; ich fah
viel Glänzendes in dem Ceremoniel, der Kleidung und
gottesdienstlichen Geräthfchaft, aber als ich nach Hause
zurückging und die ganze Gaffe, beide Seiten entlang,
von Krüppeln, Lahmen, Blinden und Bettlern, die das
Elend felbst vorstellten, besetzt sah, da ergrimmte ich über
den heiligen Nimbus dieser äußerlichen Alfanzereyen und
den gänzlichen Mangel der Hauptsache: Hülfe für
Leidende. Es ging mir wie früher in Venedig, wo ich
auf Schaaren Verstümmelter stieß, die auf allen Brücken
dem Hundert nach lagen, und durch die Entblößung ihrer
Gebrechen mehr Eckel als Mitleid erregten. Ich zog den
weiten Umweg auf Gondeln vor, theils um nicht den un-
angenehmen Anblick zu haben, theils um nicht zu fluchen
über den Reichthum der Klöster und die silbernen Apo-
fiel in den Kirchen. Zorneifer übernahm mich, wenn ich
die Pracht der Paläste, den Schwall der Dienerschaft
von Millionairs, die Geldsummen zur Besoldung eines
Springers auf der Bühne, oder einer Sängerin für die
große Oper, oder die ungeheuern. Verschwendungen um
den Gewinn einer H ***, oder auf eine Karte an der
Pharaobank gesetzt, erwog, während rundum wahres
Elend in der Wirklichkeit statt fand, Verstümmelte und
Unglückliche verhungerten und im Elend darauf gingen
Wo großer Luxus ist, da ist auch großes Elend !
- Sey mir gefegnet, Schweiz! rief ich dann bey mir
felbst. In dir fand ich *) nicht die Pracht, nicht den
-
*) Vor der Revolution.
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M
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Das Grabu al Abfalons. 323
Glanz von überschwänglichem Reichthum, wohl aber das
Seltnere und Würdigere, den Wohlstand des Ganzen.
Wenn ich auswärts erzählte: daß ein Bruder, als obrig-
keitlicher Beamteter, seine Schwester darum mit einer
Buße bestrafte, weil sie einem Bettler Almosen reichte,
*) so glaubte man, ich erzähle ein Mährchen.
Nicht ohne Grund pries man das Ländchen glücklich,
wo keine Theater, Kasinos, Paläste und andere Attri-
bute von Fürstenstädten gefunden wurden; wo hingegen
Bedürftige, besonders in den protestantischen Kantonen,
Unterstützung und Hülfe nach Verdienst und Maßgab der
umstände fanden. - -
Unweit der erwähnten Grotte soll der Garten Geth-
femane gelegen haben; acht prächtige Olivenbäume aus
der ältesten Zeit, (deren Wurzeln mit Steinhaufen um-,
geben sind, und für deren Erhaltung durch gute Erde
gesorgt wird) erheben sich auf dieser denkwürdigen Stelle.
Das sogenannte Grabmal des Abfaloms liegt in
der Tiefe eben dieser Gegend. Es enthält einen Thurn
in gothischem Geschmack, der sich aus der Erde erhebt,
und an welchem man noch einen edeln Styl erkennt; das
Gebäude scheint indes viel älter, als die Baukunst der
Gothen; neben demselben befinden sich mehrere unterir-
dische Gemächer von sehr großem Umfange. Nach der
Sage sollen dieß die Grotten feyn, in welche sich die
Jünger nach der Gefangennehmung ihres Herrn flüchte-
*) Dieser Fall ereignete sich in Rheineck.
v. ZE 2
324 Viertes Buch. Achtes Kapitel.
ten. Anstoßend an diese Höhlungen, zeigt man die Grä-
ber der Könige und Richter in Israel; sie bieten eben-
falls nur Bruchstücke von Gewölben und Mauern unter
Schutt und Erde dar. Es ist beynahe ungläublich, daß
die Juden nicht so viel Gemeingeist haben sollten, diese
theuern Ueberbleibsel auch nur einigermaffen zu ehren! *)
Der Eingang zu diesen Grabmälern läßt eher einen
Ort vermuthen, der zu einem Abtritte führt, statt zu
Katakomben von Fürsten. In eben diesem Bezirke liegt
der Begräbnißplatz der Juden des heutigen Jerusalems;
er enthält einen Umfang, den man kaum in einer halben
Stunde umgehen würde. Dieser Gottesacker ist mit sehr
schön gehauenen, länglicht-viereckigten Quadersteinen,
einer an den andern gelegt, bedeckt, und jeder mit In-
fchriften versehen; ohne einen prophetischen Geist zu be-
sitzen, ist vorauszusehen, daß diese Menge schöner Steine
einst zur Erbauung maffiver Gebäude fehr brauchbar feyn
werden. -
Zwischen dem Oelberge und dem Hügel, auf wel-
chem die Stadt Jerusalem ruht, fließt der Bach Kidron.
Auch hier war meine Erwartung getäuscht! Ich dachte
mir denselben weit größer, und fand einen zwei Schuhe
breiten Graben, der jetzt fast, und zur Sommerszeit ganz
ausgetrocknet ist; im Winter wird er zum Waldstrome,
der in dem einen Augenblick reißend anschwellt, im All-
dern aber versiegt. " . . - - -
Tiefer unten liegt die Quelle von Silo eh; weit
unter die Erde führt eine lange, steinerne Treppe, un-
a-m- /
*) Ein Volk, dem Kraft und Muth genommen wird, ist
aber deffen nicht fähig." - -
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Das heilige Grab. 325"
ten quillt ein erytallreines, helles Wasser. Leicht, wie
Pfefferfer - Waffer, aber etwas gesalzen; es ist unge-
nein angenehm, mir fchien es wie Milch. Diese Quelle
soll Ebbe und Fluth mit dem Ozean gemein haben; fechs
Stunden sich reichhaltig vorfinden und sechs versiegen.
Linker Hand auf der Höhe liegt das Dorf Silhoe;
man sieht nur wenig von den Wohnungen, welche größ-
tentheils aus Grotten bestehen, die in Felsen eingehalten
sind. Dieser Ort, dessen wilde Bewohner alles Türken
sind, ist ein elendes Net; so weit man werfen konnte,
wurden uns von zehn – zwölfjährigen Buben von der
Höhe herab Steine nachgeworfen.
9.
„ " - - - - - - - - - - - - -
Ich komme nun auf einen der Hauptgegenstände, das
heilige Grab, zu reden. Um in die Gaffe zu kommen,
welche zu demselben führt, muß man durch eine sehr
enge Thüre schlüpfen. An Festtagen, oder wenn sonst
viele Menschen den Platz besuchen, fetzt es hier allemal
ein entsetzliches Gedränge ab. Beide Male, als ich hin-
ging, wurde ich nach viertelstündigem Durchdrängen in
diesem Paffe fast erdrückt. Ist man dann die Gaffe her -
unter, so gelangt man zur Kirche, fast aber möcht' ich
sagen, auf den Jahrmarkt. Wenn Christus wieder käme,
er würde aufs Neue die Tempelreinigung an all dem Troß
von Krämern und Mäklern vornehmen, die den Eingang
zum Heiligthum beynahe versperren. – Und als ich end-
362. Viertes Buch. Neuntes Kapitel,
w-
lich in demselben angelangt war, da wurden meine Sinne
fast irre. Wie wäre es aber auch anders möglich? hier,
an diesem heiligen Orte, wo Alles den Christen zum Er-
habenen, Feyerlichen stimmen follte, wie wäre es mög-
lich, diese Stimmung zu erhalten in dem Gewühle der
sich durch - und ineinander drängenden Menschenhaufen,
in dem Geschrey und Gelärm von vier- bis zehnjährigen
Kindern, die sich umhertreiben und rund um die Haupt-
kapelle im Fangspiel erlustigen, in dem Gebrülle der Ord-
nung haltenden Türken! Und Wehmuth erfüllte mich
vollends bey dem Anblicke des Widerspruchs: Ein Herr,
Ein Glaube, und Liebe als die Summe seiner Religion,
hier aber die Abtheilungen der verschiedenen Sekten der
- Christen, die rundum ak Grabe des Erlösers, von ein-
ander getrennt leben, zu erblicken. Hier war die Abtheil-
ung der Griechen, dort die der Lateiner; hier die der
Armenier, jenseits die der Kopten, u. f. w. Mit wahrhaft
unchristlichem Sinne haffen sie sich gegenseitig herzlich,
und jede Parthey wacht mit unbegreiflicher Eifersucht
über dem von der andern Parthey abweichenden Ceremo-
niel; was soll ich vollends sagen von dem (für den un-
interessierten Zuschauer) unfeherlichen Betragen derer, die
diesen Ort aus so geheiffener Andacht besuchen; was von
den in diesem so engen Raume statt habenden kleinlichen
Prozessionen, von dem bisweilen fast ins Lächerliche fl-
lenden Rituale, von den Umgebungen und Verzierungen,
welche nicht selten an geschmacklose Theater-Dekorationen
erinnern; was soll ich überhaupt sagen, von so Man
chem, das ich hier bemerkte! Das: daß, wenn ich ein
Muselmann wäre, ich hier durch nichts bewogen würde,
Christ zu werden. . . . "
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Das heilige Grab. 327
Man denke ich mein starres Entsetzen, als ich an
diesem Orte, wo stille Feyer die Grundlage von allem
äußerlichen Ceremoniell seyn sollte, zwei Türken fah, de-
ren Gang, Miene und Geber den Stolz, Verachtung und
Hohn ausdrückten, in der Hand eine Peitsche mit sechs
breiten, ledernen Riemen haltend; über die andacht-
übenden Köpfe und Gesichter der Christen schlug, und
schwang sich diese Ruhe- und Ordnung - Erhalterinn, wo
fie hintraf; kein Schweinhirt drecht unbarmherziger auf
feine ungehorsamen Thiere los, als hier diese Türken auf
die Christen; das Schlimmste hiebey war die Bemerkung
eines Paters: „wer wollte wohl können Ordnung halten
„unter diesen Leuten, wenn es die Türken nicht thäten!“
Die Pforte der Kirche zum Eintritte in das heilige Grab
ist fest und massiv; so wie die Feyerlichkeit vorüber ist,
wird geschlossen, und mit zwei Siegeln, unter Beisein
der Dragomanns jeder abgesonderten Abtheilung, von
Türken versiegelt. Darin eingeschlossen und eingesperrt
blieben dreißig Geistliche der griechischen, fünfzehn der
armenischen, zwölf der lateinischen und zwei der kopti-
fchen Kirche; ich ward von den Patres eingeladen, mich
mit einsperren zu laffen, aber als ein freiheitsliebender
Republikaner dankte ich für diese Höflichkeit, zudem war
schönes Wetter, und ich hatte, außer dem heiligen Grabe,
noch Vieles zu sehen.
Der Eintritt in dasselbe war nicht umsonst. Jeder
Franke bezahlt drey und dreißig Piaster, etwas weniger
die Griechen und Armenier. Zur Zeit, als so viele tau-
send Pilger hieher kamen, warf dieser Tribut eine schöne
Summe ab. Demselben zu entgehen ist keine Rede. Das
Kloster versteht seinen Vortheil zu gut; überdieß sitzen
328 Viertes Buch. Neuntes Kapitel,
hart am Eingange, auf erhöhtem Platze, fünf bis sechs
schön gekleidete Türken, nach ihrer Sitte mit übereinan-
der geschlagenen Beinen, die lange Pfeife schmauchend;
starke, wohlgenährte Leute, die ihren verachtenden, halb-
hämischen, halb höhnenden Blick auf jeden gezählten und
beobachteten Fremden hinwerfen; der Anblick dieser Wa-
che ähnelte nicht übel derjenigen, die an den Eingängen
eines Theaters, wenn ein Akt beendigt ist, auf die Ein-
und Ausgehenden paßt, damit nicht etwa Jemand sich
mit List durchschleiche, ohne sein bezahltes Billet vorge-
wiefen zu haben. -
Von dem Innern habe ich noch Folgendes zu sagen:
Gleich innerhalb dem Portale liegt der Stein, auf wel,
chem die Salbung vorgenommen worden sein und statt
gehabt haben soll; er ist glatt (polirt) und sieht ganz
neu aus; weiter vor die Kapelle über das Grab selbst,
fo enge, daß zwey fich entgegenkommende Menschen Mühe
haben, neben einander durchzukommen. Man denke ich
den drückenden Qualm der sich Hineindrängenden oder der
Zurückwollenden. Vor der engen Thüre dieses Allerhei-
ligten hält wieder ein Türke Wache, der, ohne Umstän-
de, abwechselnd die Einen der Andachtübenden beim Kra-
gen herausreißt, und Andere mit beiden Fäusten hin
einstößt. Es ist mir nicht möglich, die Empfindung
auszudrücken, die diese barsche, hier aber ganz gewohnte
Behandlung zu meinem höchsten Aergerniß erweckte.
In dieser engen, sechs bis sieben Schuhe langen,
eigentlichen Grabkapelle, ist die Hälfte eine Ausfüllung
von zwei weißen Marmorplatten, die, ein paar Schuhe
vom Boden erhöht, eine Bank bilden; der übrige schmale
Raum ist kaum drey Schuhe breit. Oben schweben bei
-
. . . Das heilige Grab. 329
fünfzig schwere silberne Lampen, die immer brennender-
halten werden; wenn die Wallfahrt der Christen den
Türken nicht erheblich eintrüge, so möchten diese wohl
als Magnet die nach Silber so lüsternen Muselmänner
anziehen. -
In der äußern Kirche rund herum sind die Abtheil-
ungen der verschiedenen Sektionen der im Glauben der
Christen abweichenden Partheyen, nebst deren besondern
Kapellen, eine dieser Abtheilungen umfaßt den Platz von
Golgatha, Die Oeffnung, in welcher das Kreuz ge-
standen haben soll, ist mit einem silbernen Futteral, et
wa anderthalb Schuhe tief in die Erde gehend, umfaßt,
Die Entfernung des heiligen Grabes von dieser Stelle, wo
gleichfalls viele Lampen brennend unterhalten werden,
mag etwas über vierzig Schritte betragen *), so daß
die Kirche des heiligen Grabes, dieses, und Golgatha in
ihren umfange und unter dem gleichen Dache hat.
Die Kuppel ist von Bley. Vor zwey Jahren brannte
das Ganze ab. Das schmelzende Bley der Kuppel hin-
derte am Löschen. Ich fand hier, wie überall bey den
Griechen und Armeniern, die Bilder fast an Karrikatur
grenzend, indessen die der Katholiken, meist in besterm
Geschmacke, das Land der Kunst, Italien, andeuten.
Der Gedanke an die Pest in diesem Gedränge, macht zit- . .
tern; das Uebel müßte an einem solchen Orte und bey
*) Von Distanzen, Größen, Verhältniffen, Kostbarkeiten ze
wird man sich aus andern Quellen sicherer belehren kön-
nen, als ich es bey kurzem Aufenthalt und flüchtigem
ueberblick thun konnte, da es mir ohnehin Nebensache
blieb, - -
- - -
-
330 Viertes Buch. Neuntes Kapitel.
solchen Zusammenfluß von Menschen furchtbar schrecklich
um sich greifen. -
- - -
Ich wollte also gerne wieder auffer die Mauern, um
frische Luft zin fchöpfen; ich nahm den Weg nach Beth-
lehem, welches kaum zwey Stunden entlegen ist; hal-
ben Weges kömmt man zu dem Kloster St. Elia, wo
dieser Prophet seine Weiffagungen soll gemacht haben;
auf einem nicht fernen Hügel sieht man das Dorf und
Kloster der Geburtsstätte Jesu. -
. . . Auf dem Gipfel einer nicht unbeträchtlichen Anhöhe
liegt das Dorf einige hundert Schritte gegenüber, auf
einer andern das Kloster; ersteres ist ein armes, elendes
Nest, von eben so armen, elenden Bewohnern angefüllt;
letzteres ohne die reizende Lage in Anschlag zu bringen,
fchön gebaut. Auch hier finden die bereits erwähnten
Abtheilungen der verschiedenen Bekenntniffe statt. Die
Kirche, eine wahre Prachtanlage, enthält vierzig schöne
Säulen, deren jede aus Einem Stück Marmor gehauen
ist und den Griechen angehört, liegt vernachläßigt in
Ruin. Die Terraffen sind, wie hier zu Lande überall,
ungemein lieblich. Ich ward an den Pater Superior,
einen Spanier, empfohlen und höflich aufgenommen, um
geachtet seiner glatten Auffenseite aber, war ein gewisses
Etwas an ihm, das bei Allen dieser Nation, die ich ken
nen lernte, sich fand, und es nicht ganz verhehlte: daß
das Innere mit dem Aeuffern nicht übereinstimme. Hätte
ich eines Gefährten auf meiner Wanderschaft gebraucht,
wahrlich, ich hätte nicht ihn gewählt! Diesen aber, so
is
Monte France fe. - Z31
wie die andern, entschuldigten die Verhältniffe ihres Va-
terlandes,
Die Merkwürdigkeiten, welche in Bethlehem gewie-
fen werden, find folgende: Die Krippe des Kindleins
Jefu; die Stelle der Anbetung der Weisen aus Morgen-
land - der Begräbnißplatz der durch Herodes ermordeten
unschuldigen Kinder; die Kapelle des heiligen Josephs, die
der heiligen Maria; die Grotte der Hirten; das Grab des
heiligen Eufebius, der Paula Eustochia, des heiligen Hiero-
nymus, dann die Stelle der Schule des letztern. Ziemlich
entlegen: der eingeschloßne Ort der Geburt des Heilan-
des; der Garten des Königs David; Kaide, oder der
Platz, wo David dem König Saul ein Stück vom Kleide
fchnitt. Der Monte Francese erhebt sich ein paar Stun-
den weit über alle umliegende Hügel hoch und steil em-
por. Dieser Berg hat feinen Namen aus den Zeiten der
Kreuzzüge, als die Franzosen unter der Anführung des
Gottfrieds von Bouillon Palästina eroberten;
auf seinen Höhen foll ein großer Theil der umgekomme-
nen Kreuzfahrer den Todesschlaf schlummern. Dieser
Berg macht die Hälfte des Wegs von Bethlehem nach
dem todten Meere, und o! wie gerne hätt' ich mich auch
noch zu diesem letztern begeben! Aber die unsitäten Ara-
ber trieben dort ihr räuberisches Nomadenwesen; es wim-
melt in dieser Gegend von den Zelten dieser Halbhirten
und Halbdieben, fo zwar, daß ohne eine starke Bedeckung
der Weg dahin gar nicht gewagt werden kann. Ich be-
herzigte immer von Neuem, daß meine wenigen Piaster
nicht die Guineen eines Engländers seien, und so that
ich also nur noch einen Blick auf das fchimmernde Ge-
wäffer und die Mündung des Jordans, dessen gelber Fa-
332 Viertes Buch. Neu tt es Kapitel.
den sich vor mir hinzog, und kehrte nach Jerusalem zu
rück. Noch erhielt ich aus der Gegend, wo sich die Men-
ge versteinerter Bäume finden, versteinerte Früchte (Oli-
ven); die Araber bringen häufig dergleichen und ver-
kaufen fiel um ein Trinkgeld.
- -, - - -
- -
- - - -
Anderthalb Stunden von Jerusalem ist das schöne,
große Kloster Sankt Johannis des Täufers; es ist
von Mönchen stark bevölkert. Die Wüste, in welcher sich
der Bußprediger aufhielt, und das Haus der heiligen Eli-
fabeth, machen hier das Bemerkungswürdigste aus.
Ueber den interessanten Oelberg gelangt man innert
einer Stunde nach Bethanien. Gegen die vierzig
Stufen steigt man gebückt hinunter in die dunkle Höhle
von dem Grabe des Lazarus, das in steile Felsen
gehauen ist; nicht weit von hier soll die Wohnung sei
ner Geschwister gewesen sein. Bethanien besteht aus
Ruinen und Schutt; in einigen Löchern, die man bey
uns zu schlecht für das Vieh halten würde, wohnen et-
welche türkische Haushaltungen. Der Vornehmste aus
ihnen ist Hüter und Wächter an der berühmten Höhle
von dem Grabe des Lazarus, um den Caffaro (das Ein-
trittsgeld) zu beziehen. Die Einnahme ist gering, aber
die wichtigste des Ortes; ich fand den Hüter hart schla-
fend auf dem Boden, und hätte ich meinen Vortheilver-
fanden, ich wäre gratis durchgekommen. -
1:
5;
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Jeremias Grotte, 333
Unweit dem Thore gegen Mitternacht von Jerusalem
ist die Grotte, in welcher Jeremias seine Klagelieder
dichtete. Der Ort ist einladend zu ernsten Betrachtun-
gen. Eine schaurige Stille waltet unter dem hohen, ge-
wölbten Felsen, einzig unterbrochen durch das Girren der
Turteltauben, welche in Menge in der Höhe der Grotte
nisten. Statt der Klagelieder ertönen jetzt die Gesänge
der Munterkeit in dieser feierlichen Gegend; denn im
Sommer kommen jeden Abend zur Belustigung und dem
Genuß der Kühle die Christen, besonders die Griechen,
hieher zu Spiel und Wein; bis spät bleibt der Platz
belebt. -
Im Kloster ward ich vom Pater Superior freund-
fchaftlich und zuvorkommend behandelt. Er führt den Ti-
tel eines Reverendiffimo und ist von Lukka; ein feiner,
hellsehender und aufgeklärter Mann. Als er mich auf
meinem Zimmer befuchte, breitete sich zu meinem Erstaun-
tten das Gespräch, welches er anknüpfte, ziemlich um-
ständlich auch über das Politische aus.
Ich war der einzige Franke, der sich zum bevorste-
henden Fest in Jerusalem fand, und es hat mir eines
theils selbst leid, daß ich als der Besuchende nicht aus
dem hier erwarteten Beweggrund zugegen war. "
Ich wohnte einer Predigt bey, welche in italienischer
Sprache vorgetragen wurde. Luther und Kalvin
(diese Losungsworte zu kleinen Fehden bey Gebildeten
und zu Grobheiten bey Ungebildeten) würden, nebst vie-
lem Latein, oft wiederholt. Abends befand ich mich in
Gesellschaft von mehrern Obern des Klosters, und als
über diesen Punkt die Rede war, und man etwas mehr,
als mir nöthig schien, jene Namen anführte, bemerkte ich:
334 Viertes Buch. Zehn tes Kapitel. W
daß ich das Latein in der Predigt nicht verstanden hätte,
was wahrscheinlich der Fall bei den meisten Zuhörern
gewesen seyn dürfte; in Beziehung auf Luther und
Kalvin aber, so äußerte ich bescheiden aber kraftvoll,
wäre wohl nie in der Welt so viel die Rede gewesen,
wenn die ächt katholische Religion sich immer in ihrer
Reinheit erhalten hätte. -
Das Kostüme der hiesigen Türkinnen ist ganz weiß
von Wolle; das Gesicht mit einem schwarzen Flor Schleyer
verhüllt, ehmals trugen die Christinnen dieselbe Haupt-
bedeckung, nun aber ist sie ihnen verboten; aus welchem
Grunde, weiß ich nicht, obgleich wohl einer feyn wird."
Die gemeinere Klaffe der Frauen trägt blos ein hellblaues
Hemde und einen gedruckten Schleyer über den Kopf;
letzterer darf selbst bey den kleinsten Kindern nicht fehlen.
Die Kleidung der Männer ist lebhaft und nimmt sich
fehr gut aus; sie tragen durchgängig gestreifte Röcke *).
Von weitem thut dieß nicht üble Wirkung. In ganz
Palästina und Syrien ist sie allgemein.
E-
10.
Geschrieben in Daraoun unter freiem Himmel.
Es war an siebenten April, als ich von Jerusalem
verreiste. Tags vorher kam die Nachricht von dem Aus
*) Diese Streifen haben die Breite eines Messerrückens,
bis hinauf zu der Länge eines Schuhes.
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Abreise von Jerusalent. 335
bruche der Pest in Jaffa; ich eilte hin, um nicht die
andere Hälfte meiner dort zurückgelaffenen Kleider auch
noch zu verlieren“).
Jch genoß den Vortheil von schönem Wetter, was
mir auf dieser Rückreise, die ich zu Pferde machte, sehr
wichtig war. Die schönen, feuerfarbenen Ranunkeln, welche
zu Hunderten unter des Thieres Huf zerstampft wurden,
retten mich sehr. Ich beobachtete überhaupt mehr seltene
Blumen und Pflanzen in dieser Gegend, als in Aegypten;
besonders eine Gattung Iris, von dunkler, purpurbrauner
Farbe, mit hervorstehenden, fammetschwarzem, halbfinger-
dickem Kiel; eine ächte Prachtblume, die meist aus kah-
lem Felsen proßte. Sonst seltenes Geflügel ist hier häu-
fig; oft traf ich auf eine Gattung Perlhühner, die so
zahm waren, daß man sie mit Steinen hätte todt wer-
fen können. " . -
In Rama quartierte ich mich, aus Vorsicht wegen der
Pest, in einen Garten ein, und schlief auf dem Boden.
Auf dem Wege an diesen Ort begegnete ich mehrern Be-
wohnern des steinigten Arabiens; auf dauerhaften Pfer-
den reitend schienen sie auf dieselben gewurzelt zu seyn;
fie wiegten eine zwölf bis fünfzehn Schuhe lange Lanze,
die mit einer scharfen, eisernen Spitze versehen waren,
in der Hand; diese Waffe führen sie mit solcher Sicher-
heit, daß sie dieselbe auf eine beträchtliche Ferne schleu-
dern und ihr Ziel durchbohren. Die Türken fürchten
diese Streifer,
*) Der Leser erinnere sich, daß ich die eine Hälfte meiner
Kleider noch in Alexandrien hatte,
- - - -
336 Viertes Buch. Zehntes Kapitel,
Vor Jaffa lagerte der Aga, mit dem ich die Reise
zu Schiffe gemacht hatte, in einem Zelte; rund herum,
in sechs bis acht andern, sein Gefolge, das sich seither
vergrößert hatte. Es war sehr kalte und ungestüme Wit
terung. Wenn bei uns ein Vornehmer nur Eine Macht
zu solcher Zeit auf dem Boden sein Lager aufschlagen
müßte, welch ein Jammer wäre das! Die Frau des Äg
hatte es nicht beffer.
In Jaffa selbst bekam ich schlimmes Logis, um für
ein paar Tage eine Gattung Quarantaine zu machen. Von
St. Jean d'Akre, wo die Pest schon stark grafierte, ka-
men täglich Schiffe mit Pilgern angefüllt an, so daß
die Verbreitung des Uebels gewiß schien. Ich war in
einer schlimmen Lage; zu Lande führte ein Weg nach dem
Gebirge Libanon, wohin, wie man mir sagte, die Pest
nie hinkomme; dahin dachte ich nun zu flüchten. Ueber
Nazareth hatte ich zwei Tagereisen, aber der Weg
war wegen den Arabern fehr unsicher, und Schiffe gingen
keine ab, bis nach dem Feste; bis dahin konnte aber die
Krankheit allgemein werden. Indeß war an der Sache
nichts zu ändern! - -
Eines Morgens langte ein Franke, von ungefähr
fechszig Jahren, an. Er trug einen zerfetzten Rockle-
vantischen Kostüms, halb Seide, weiß und roth gestreift,
die eine Hand war verstümmelt, an der er nur drei Fin-
ger hatte, und auch diese waren übel beschaffen, der eine
seiner Füße, von einer Schußwunde nicht gut geheilt,
machte ihm ebenfalls zu schaffen, in der einen Hand trug
er einen Stock, in der andern das Testament; seiner
schwarzen Krauskopf deckte ein kleines, rundes Käppchen,
weiß, mit blauer Verzierung. Ich konnte aus seinen re
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Quarántaine in Jaffa. - 337
gelmäßigen, doch nicht Zutrauen erweckenden Gesichtszü-
gen, nichts Bestimmtes an ihm entziffern. Sein Blick
schien mißtrauisch und hämisch, :
Diefer- Mann wollte nach Jerusalem, und durch»
streifte schon seit einiger Zeit Syrien. Mit vieler Mühe
machte er den Weg hieher zu Fuß; feine Füße waren
wund. Nur noch zwölf Stunden vom Ziel feiner Reife,
konnt' er nicht weiter und war feine bisherige Anstren-
gung vergebens. Man muß wenigstens hundert Piaster
an baar in Jaffa erlegen, wenn man nach der heiligen Stadt
will, und er hatte nicht so viele Parahs. Eine wahrhaft ,
verdrießliche Lage *). . . . - - - -
Er gab sich für einen Franzosen aus; er sprach ein
gebrochenes italienisch, und etwas spanisch; zuweilen
schien der Inhalt seiner Rede etwas verworren und ex-
centrisch: „Er habe Millionen verloren; hundert tausend
Mann in Indien kommandiert, und dergleichen.“ Um nicht mit
ihm zu sprechen, that ich, als verstünde ich kein Franzö-
fisch, und gab mich für einen Italiener aus. Den gau-
zen Tag über lag er auf der Terraffe und las im Testa-
ment. Nachts ward ihm unter Dach ein elendes Lager
angewiesen. Während dem fünftägigen Aufenthalt in
feiner Nähe, redete ich keine zwanzig Worte mit ihm
weil ich hier keine Bekanntschaft zu machen Lust hatte.
Die ausgebrochene Pest bewog den Pater Präsident,
feinen Gefährten, den Pater Curato ( den Pfarrer) in
') Ich bemerkte bei diesem imstande, dem Pater Präsident:
daß es mir ein großer Fehler zu fevn schiene, daß nah
die Pilger nicht an den Gränzen und zur Zeit hievotik
benachrichtige, - - - -
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33s Viertes Buch. Zehntes Kapitel.
Quarantaine zu versetzen. Abends jedoch durfte er zum
Besuch ins Zimmer kommen, unter der natürlichen Be-
dingung, nichts zu berühren; er mußte seinen eigenen
Stuhl mitbringen. Dann ward gewöhnlich bis Nachts
zehn Uhr geplaudert, mitunter wohl auch die Sagen und
Neuigkeiten des Tages dieser Gegend verhandelt; sie ver-
riethen meist orientalischen Geschmack: fliegende Reit-
ter z. B. erschienen dem Pascha, als er halb wach,
te und halb träumte; unterhielten sich mit ihm im
prophetischen Gesprächen, wie sie sein Land mit der Pest
ziemlich schonen, hingegen Aegypten stark mitnehmen wir
den; … dann sollten auch Drachen erlegt worden seyn, wo-
zu bald hörbare Stimmen, bald Erscheinungen ohne Laut
behülflich waren, u. dgl. Die Herren Patres schienen
mir selbst im Zweifel zu stehen, ob sie diesen Vorgängen
Glauben beymeffen wollen oder nicht. Kurz, ich merkte,
daß ich nicht in Europa war. -
Von den Arabern ward von den Ufer des Jordans
viel Indigo-Saamen (der nach Kairo und andern Ge-
genden Aegyptens gehen sollte ) nach Jaffa gebracht.
Diese in Europa kostbare Pflanze soll dort in ungeheurer
Menge wild wachsen. Wilde Spargeln kamen täglich auf
den Tisch, freylich nicht auf unsere Art zubereitet, aber
der gute Appetit ersetzt das Nöthige.
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- - - -
unvermuthet fand sich eine Gelegenheit, nach sei
rut *), wo noch keine Pest war, zu gehen. Ein kleines
) Baruti (Barut).
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Gute Polizey des Pascha von Akrie. 339
Schiff fuhr dahin ab, und ich fäunte nicht, mich dem-
felben anzuvertrauen. Die Patres, auf ihr Intereffe be-
dacht, ermangelten nicht, sich ihres lästigen Gastes, des
verarmten Franken, bey dieser Gelegenheit zu entledigen,
und versetzten ihn, zu meinem nicht geringen Verdruß,
auch auf das Schiff. Nachdem ich, wie gewohnt, Et-
was für die Kirche, als Erkenntlichkeit für die verursachte
Mühe, dem Pater übermacht und meinen Caffaro, wegen
der Abreise, an die Türken bezahlt hatte, stieg ich Nachts
eilf Uhr zu Schiffe. Die ß war so klein, daß man immer
die Nähe der Küste beybehalten mußte.
Wegen entstandenem Gegenwinde war man bald ge-
nöthigt, an das Land zu fahren; es war in einer Einöde,
konnte aber jetzt ohne Gefahr geschehen, da der gegen-
wärtige Pascha von Akire eine musterhafte Ordnung hal-
tet, und den ganzen Bezirk, wo Plünderung oder Mord
verübt wurde, dafür verantwortlich macht und hart her-
nimmt. Noch vor wenigen Jahren konnte man, ohne Ge-
fahr von den Beduinen, die sich überall fanden, überfallen
und ermordet zu werden, nirgends an dieser Küste lan-
den; meist waren die Bewohner der Gegend mit einver-
fanden. -
- Der Gegenwind hielt den ganzen Tag an. Das Ge-
fade war felsigt und beim Anfahren tief unter Waffer
in wenigen Stunden war Ebbe, und man belustigte sich,
Austern und andere Schaalthiere, die zwischen den Klip-
pen und Felsen zurückblieben, zu fangen. Es war eben
Vollmond, wo sie vorzüglich geschätzt find; sie wurden
in hohes Feuer geworfen und schmeckten nicht übel.
Mein Gefährte fchien von Natur etwas gesprächig zu
fehn; oft versuchte er es, eine Unterhaltung anzuknü-
340 Viertes Buch. Zehntes Kapitel.
pfen, aber ich ward desto einfilbiger, und somit blieben
wir uns entfernt. -
Nicht viele Stunden konnte man in der Nacht weiter
fahren. Es mußte wieder gelandet werden; ein kleines
Inselchen, kaum eine halbe Viertelstunde im Umkreise,
diente zur Zuflucht, es war beinahe kahler Felsen, doch
fah man etwelche Spuren von altem Gemäuer. Die
Schiffleute bedeuteten mir, daß einst hier ein Christ von
den Türken wäre umgebracht worden. So viel glaubte
ich wohl aus der Erzählung zu verstehen, mehr aber konnte
ich nicht inne werden, da ich beinahe nichts verstand.
Gleiches Schicksal zu heilen und dabei nicht einmal
ein erwünschtes, bringt uns mit Andern näher. Allmählig
begann die Unterhaltung mit meinem europäischen Ge-
fährten. Ich fand Kenntniffe bei ihm, die ich nicht erwar-
tete, und zu meiner Verwunderung entdeckte ich in ihm
einen sehr gebildeten Geist. Indes war die Offenbar
rung Johannis sein Lieblingsthema; er sah, wie Stil-
ling, das nahe Ende der Welt klar aus derselben; weil
sagte die Rückkehr der Franzosen in das gelobte Land,
u. dgl. Ueberhaupt, wenn hievon und von seinen früher
Schicksalen die Rede ward, schien es in seinem Kopf zu
fpucken. Dann unterbrach ich schnell das Gespräch. Die
Nächte über machte es äußerst kalt, doch lag er ganz un-
bedeckt, mit bloßen Füßen aufm Boden, auf welchen
fein Lager war. Nie hört' ich ihn weder hierüber, noch
über den Mangel an Lebensmitteln klagen;' ich sah ihn
nichts effen, als Brod und Zwiebeln, gab ihm auch
nichts von dem meinigen, da ich ihm im Kloster einige
Piaster zusandte, um sich feinen Speisevorrath damit an
zu schaffen, -
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Cäsarea di Philippi, 341
Späterhin ging die Schiffahrt beffer von statten, und
am dritten Tage hatten wir den Berg Karmel ganz nahe
gegen uns über. Bei uns würde er für einen mäßigen
Hügel gelten. Seine Abdachung ist nicht gähe, und,
wie bemerkt, eine Höhe unbeträchtlich, jedoch mag eine
fchöne Aussicht auf derselben feyn; das oben erbaute Kar-
melitenkloster ist nur zur Sommerszeit von einem oder
zween dieses Ordens bewohnt; unweit von demselben be-
findet sich ein anderes zerstörtes Kloster. Als die Diener
des Baals hier ihr Wesen oder Unwesen trieben, mag
dieser Berg wohl lustiger ausgesehen haben; ich stellte
mir denselben angebaut und mit schönen Gebäuden und
Tempeln geziert, vor; ich fand ihn öde und kahl, nur
hin und wieder von etwas Buschwerk belebt. An seinem
Fuße ruhen die Trümmer von dem einst so berühmten
Cäsarea di Philippi. Die Ueberbleibsel sind noch
ziemlich gut erhalten. Wenige Stunden vorwärts liegt
als ein schlechtes Dorf Surr *), und hier war's, wo
einst Tyrus glänzte. Etwa acht bis zehn Stunden nörd-
licher läßt man Saida liegen, hingebaut auf den Ort,
wo einst Sidon prangte. - *
Hier also Sidon und Tyrus, einst in ihrer Herrlich-
keit! Das Meer war still und der Morgen bestrahlte ru-
hig die öde Gegend. Meine geschäftige Einbildungskraft
versetzte sich in vergangene Jahrtausende. Ich sah im
Geiste die unzähligen Schiffe der belebten Hafen ; fah
das Gedränge der Kaufleute, der Künstler und Handar-
beiter; fah über all das Gewimmel reger Geschäftigkeit;
fah Reichthum und Pracht durch Erwerbsamkeit, wohin
*) Surr ist arabisch, und bedeutet so viel als Ruinen.
32. Viertes Buch. Zehntes Kapitel,
ich meinen Blick warf; fah die prunkenden Magazine
von kostbaren Gold-, Silber- und Seidenstoffen; von
herrlichem Purpur; fah Flotten, mit Cedernholz vom
Libanon beladen, zum Baue des falomonischen Tempels
in der Ferne vor meinem Auge hingleiten.
Aber ich erwache aus meinen Träumen und fehe die
Wirklichkeit. In dem zu Grunde gerichteten, unsichern
Hafen“ schwanken, im Wellenspiel der Brandung, ein
halbes Dutzend elende Fischermachen, und die verarmten
Einwohner, kaum mit Lumpen und Fetzen zur Noth be-
deckt, wandeln traurig umher. Wir landeten in Sidon,
um wohlfeile Fische zu kaufen. Eine seltsame Mischung
von altgriechischer und gothischer Bauart findet man hier
in den noch vorhandenen Wohnungen; in den an sich
schon alten Mauern finden sich Säulenbruchstücke aus noch
viel älterer Zeit. Kolonnen-Blöcke von vierzig Schuh
Länge aus einem Stücke liegen unter den Steinhaufen
und Ruinen ehmaliger Kunst, um als Damm die Hütten
(Baracken) des jetzigen Saida zu fchützen.
Noch heut zu Tage sollen sich in den Monaten April
und May die Purpurschnecken häufig hier finden; durch
diese Thiere soll das Alterthum die für uns verloren ge-
gangene Kunst – Purpur zu färben – auf einen so h-
hen Grad der Vollkommenheit gebracht haben,
- -
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. . . > Achmet - Cesar. - 343
11.
Geschrieben in öder und verlaffener Wohnung auf dem
Libanon.
Schon früher bemerkte ich die hohen, über den Kar-
mel und die benachbarten Gebirge, in blauer Ferne her-
vorragenden, beschneyten Gipfel des Libanons. Wie mich
dieser Anblick ergötzte und an meine Landesgenoffen, die
Schneeberge, erinnerte, darf ich wohl nicht erst sagen.
Der Anblick von Schnee- und Eisfeldern ist und bleibt
immer ungemein fchön und anziehend, und, wenn man
ihn seit einiger Zeit vermißte, so wirkt das Unerwartete
feines Genuffes, doppelt lieblich.
In vertiefter Bucht fah man Akre liegen. Hier hatte
die Pest schon stark gefußet, die eigentliche, physische Pest;
denn die moralische findet sich im Orient so oft im Kreise
der Despoten, die das Land beherrschen und zu Grunde
richten, daß ihre Erscheinung nichts Außerordentliches
ist, - - -
- Der Vorfahr des jetzigen Pascha war Achmet Ee-
far, ein eigentlicher Bluthund. Man konnte mir, wo
ich hinkam, nicht genug die Grausamkeiten dieses Man-
nes schildern. In Akre allein rechnet man einen Dritt-
theil der Einwohner, welche er verstümmeln ließ. Da
fieht man Unglückliche, die entweder gar keines, oder nur
noch ein Auge haben; Andere mit abgeschnittenen Oh-
ren oder Nasen, Händen oder Füßen. Die Gelderpreß-
ung führte diese Gräuel in ihrem Gefolge, dennoch ka-
men im Karakter dieses gefürchteten Menschen auch wie-
der Züge von der strengsten Gerechtigkeit in Menge zum
344 Viertes Buch. Eiliftes Kapitel.
Vorschein, so daß Mensch und Unmensch, in derselben
Seele, neben einander sich zeigten,
In dem Hause, welches ich zu Damiate bewohnt
hatte, befand sich ein Grieche als Bedienter, seine Fa-
milie gehörte einst in Akre zu den reichsten. Sein Vater
wurde von dem erwähnten Pascha umgebracht, um sich
feines Reichthums zu bemächtigen, und feiner Mutter
wurden, um gemuthmaßte, verborgene Gelder zu entde
cken, Schlangen in Busen und Katzen in die Beinkleider
gesetzt; diese Thiere wurden dann geplagt, bis sie bifen
und sich ein krallten. Das ist aus vielen ein Beispiel,
wie die Leute von ihm gequält wurden; alle befinden sich
in der äußersten Armuth. Der Tyrann besaß eigne Ma-
schinen, mit denen er im Nu ein Auge heraus zu zwi-
cken wußte ; man brachte ihm deren oft ganze Teller voll.
Einem Dutzend seiner Frauen ließ er, auf bloßen Ver-
dacht von Untreue hin, die Brüste abschneiden. Doch,
wozu diese Anführung empörender Grausamkeiten; ich
würde ohnehin nicht fertig, wenn ich die Menge von
dergleichen Unthalten, die während seiner Regierung an
der Tagesordnung waren, hier namhaft machen wollte.
Auch anderwärts in diesen Gegenden findet man
Maßregeln, die weniger grausam, aber eben so ausge-
fücht tyrannisch sind, um sich Geld zu machen, und die
man in Enropa nicht kennt. Z. B. in Jaffa erhielt die
Regierung eine starke Schiffsladung Eisen, die sie zu
übertriebenen Preise absetzen wollte; da sich Niemand
fand, welcher davon kaufen wollte, so ward das Eisen
auf die Einwohner, den Schneider soviel, den Schulter
foviel, dem Kaufmann soviel u. . w. verheilt; ohne Wi-
derrede mußte der jedem zugetheilte Antheil angenommen
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- Bey rut. 345-
-
und fogleich bezahlt werden. Jetzt natürlich wußten die
Leute nicht, was sie mit dieser Waare anfangen sollten,
auffer fiel wieder zu verkaufen; aber kein Käufer fand
sich; auch nicht um den halben Preis. Als dieser nun
beynahe zum Nichts heruntergesetzt ward, kaufte die Re-
gierung das Eisen wieder an sich,
- - -
Den neunzehnten April, es war der Ostermontag
Morgen des Jahrs 1813, landete man endlich in Bey-
rut, einer nicht unbeträchtlich großen Stadt. Auch hier
finden sich Spuren der rollenden, Alles umwälzenden
Zeit. Ueberreste aus der ältesten Zeit scheinen es anzu-
deuten, daß dieser Platz einst wichtig gewesen feyn müffe.
Die Stadt ist beynahe ganz von Christen bewohnt, und
ein anderes Menschengeschlecht macht hier mit den wilden
Bewohnern von Palästina einen auffallenden Abstand, der
sich bis auf die Hunde herab, die den Fremden unange-
fochten laffen, erstreckt. Von hier, und schon weiter vor,
beginnt das Gebirge des Anti-Libanons, und tiefer hin
des Libanons selbst. Der Drufen. Fürst regiert diesen -
Bezirk. Christen machen die eine, Drusen *) die andere
Hälfte der Bewohner dieser Gebirgskette aus. Es sind
arbeitsame Völker, weit mehr als die Türken, vertragsam
und friedlich leben hende Theile neben und unter ein-
ander, "
In Beyreut haben die Kapuziner ein … Kloster, in
welchem die reifenden Franken, wie gewohnt, Quartier
*) Götzendiener.
346 Viertes Buch. Eilft es Kapitel.
finden; es waren nur zwey Patres darinn, ein Korse
und ein Franzose. Letzterer war ein abgesoffener, nei-
discher, gehäßiger und halbkindischer, alter Mann; der
Empfang entsprach keineswegs dem Karakter ihrer Miss
fion: %) La peste vous nous portez au couvent, la peste
vous nous portez, vous autres!“ schrie anhaltend der
gallsüchtige, zänkische Alte. Der Korse hingegen machte
Zeichen, nicht zu antworten, und öffnete verstohlen eine
Zelle, die ich sogleich bezog; der Alte tobte vor der Thür
re, und trachtete mich herauszupoltern. Meine Geduld
ging zu Ende, und ich antwortete im gleichen Tone,
stimmte ihn noch um eine Note höher, so daß er rath-
fam fand, sich zurückzuziehen. - - -
Mein Reisegefährte war sehr befremdet, mich in
feiner Sprache haseliren *) zu hören, da er vorher nicht
ein Wort französisch von mir vernommen hatte. Das un-
würdige Betragen der Paters ging ihm näher als mir,
er ging weg, und ich fah ihn den ganzen Tag nicht wie
der; dieß that mir leid, denn ich genoß auf die Letzte
in einem unterhaltenden Umgange manche Annehmlich
keit, - - -
Abends bei der Dämmerung erhielt ich von ihm ein
kurzes, gut stylifirtes Billet; die Handschrift war schön
und folgenden Innhalts: „Daß er lieber unter freiem
Himmel übernachten wollte, als bey solchen Menschen um
ter einem Dache, dankte für meine Freundschaft, und
bat mich um die Zahl 666. *) - " . .
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*) Toben und fchelten mit Worten.
*) Die bekanute Stelle in der Apokalypse Cap. XIII. v.
48, wo diese Zahl vorkömmt, wußte er nämlich auf
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Capuziner-Kloster. 347
Als ich noch las, trat er selbst in das Zimmer, und
bestätigte das Geschriebene; ich drückte ihm noch ein
Reisegeld in die Hand, das er, obgleich desselben froh,
dennoch halb beschämt annahm. Noch in der gleichen
Viertelstunde ging er fort; ich wäre ihm nachgefolgt oder
vielmehr ich hätte dieß noch früher gethan, wenn ich
Pferde zur Fortschaffung meiner Effekten würde, bekom
men haben. Er selbst hatte nichts, als was er in einem
zerriffenen Nastuch Zerriffenes mit sich trug. s
Wenn Klöster Wohnungen des Friedens feyn sollen,
fo entsprach dieses keineswegs feiner Bestimmung: denn
nicht einmal Waffenstillstand fand zwischen den beiden
erbitterten Bewohnern dieser Einsamkeit statt, und der
Korf versicherte mich, daß dieß vom ersten Jänner bis
zum letzten Dezember der Fall fey. -
Am dritten Morgen war das erste Wort des Paters: -
„daß die Pest ausgebrochen und eine Mohrin daran ge-
storben fey.“ Er rieth mir: fchnell zu fliehen, „denn,
fetzte er hinzu, „fobald der Fürst des Gebirges die Nach-
richt davon erhielte, so besetze er die Gränze und Niemand
könne unter keinem Vorwande mehr durch.“ Ich folgte
gutem Rathe und reiste den gleichen Abend noch ab; das
Dorf, wo ich beim Pfarrer übernachten sollte, war
nicht weit entfernt, und der Weg längs dem Meere hin,
durch eine schöne angebaute Gegend, sehr angenehm; ich
machte ihn zu Fuß, und hatte, zum Theil als Wegweiser,
zum Theil als Gesellschafter, einen Franken bei mir,
eine ausgezeichnete Person zu deuten; ich hatte ihm
während der Reife eine 2te Bedeutung bekannt gemacht,
und diese wünschte er jetzt, - - - - - -
34s Viertes Buch. Eilft es Kapitel.
der als Uhrmacher in Beyrut fein Wesen trieb. „Seine
Frau und Töchtern blieben in Alexandrien, wo sie auf ei-
nem (wie er sich ausdrückte.) glänzenden Fuße lebten.“
Er war aber das ächte Gegenstück von einem folchen; zer-
lumpt, hungrig, elend, fchien er kümmerlich sein eignes
Dafeyn zu fristen. Seine prahlerischen Bemerkungen ha-
ten mir deswegen um so mehr leid. Der Mann wurdt
redselig, und erzählte feine und anderer mit ihm Ent-
wichener Geschichte; ohne daß er's wollte, erhellte aus
feiner Erzählung so viel: daß er sich mit einer Gesel-
fchaft von Spitzbuben in Triest aus dem Staube macht,
und von Uhren mit sich nahm, was sich in feiner Werft
stätte von Freund und Feind vorfand; feine Kameraden,
wenn nicht diebischer, doch verschmitzter als er, prellten
ihn, wie er geprellt hatte, und der Tropf blieb endlich
ohne Heler. - - -
Ueberhaupt giebt es Geschichten von europäischen
Abentheurern und Glücksrittern in der Levante die Men-
ge? und welche Geschichten, . . . solche, wie man sie
in den buntesten Romanen kaum findet. Hier ist das
wahre Tummelfeld dieser Menschenklaffe, und ich hatte
den ganzen Weg durch reichen Stoff zum Lachen,
. Die Nacht rückte heran, als wir das Dorf erreich
ten. Zu äußerst auf dem Felsen liegt das Haus des Geis-
lichen; unten plätschert das Meer; rund um ist eine
schöne Aussicht. Der Pfarrer, ein nicht mehr junger
aber jovialischer Mann, bewillkommnte mich freundlich,
desto unfreundlicher aber fein ältester Sohn, ein Mensch
von heyläufig achtzehn Jahren. Ich fand diesen ein Stück
Weges vor dem Hause, und er ging mit mir bis hinein,
Sein Vater langte eine Hundspeitsche von der Wand und
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Katholische Geistliche, verheyrathet. 349 U
hieb ihn über Kopf und Gesicht, wo es hintraf, warum?
wußte ich nicht. Mit Noth konnt' ich wehren, indem ich
zu verstehen gab, das Haus sogleich zu verlaffen, wenn
er mehr fchlüge. Der Friede ward endlich hergestellt, ,
Dieser katholische Maronitenpriester hatte acht oder
zehn Kinder. Hier in der Levante sind, die katholischen
Pfarrer meist verheyrathet, indem ihnen dieß von Rom
aus bewilligt ist,
Seine Frau bereitete vor dem Hause das Effen zn,
so wie es hier üblich ist; man weiß wenig, was Küche
heißt; drey Steine nebeneinander, den Topf darauf,
und die Küche ist sogleich fertig und überall hin brauch-
bar. Man war munter, ohne sich viel verständlich ma-
chen zu können, da er das Italienische nicht besser als
ich das Arabische sprach. Man schlief auf dem Boden.
Am folgenden Morgen vor Tag, hatte die Abreise
statt. Der Weg führte längs dem Meere hin. Gleich
außer Beyrat finden sich wieder christliche Gebräuche.
Von einer halben Stunde zur andern findet der Reisende
Tafernen, wo er gegen Bezahlung Wein und Brod, oft
auch Käse und Fische haben kann. Schöne Bequemlich.
keit, statt darum zu bitten, mit Zwang zu genießen und
doppelt zu bezahlen. - - -
In wenigen Stunden hatten wir die Gränzen des
Gebietes des Pascha von Akre erreicht. Ein Strom theilt
es von den des Fürsten der Drufen. Die schöne Brücke
führt bis an den Fuß des Gebirges. Der Herr dieses
beträchtlichen Bezirkes von Syrien residiert in Dèrka -
Im er *). Das Ganze ist in eine Menge kleinere Abthei-
*) Dér, Kloster, El Kamer, der Mond,
350 Viertes Buch. Eiliftes Kapitel,
lungen zertheilt, die dann wieder von untergeordneten
Fürsten regiert werden und dem obersten derselben Re-
chenschaft abzulegen haben. Er selbst, der Emir, Ulb-
fchir ist fein Name, ist feit nicht langer Zeit ein Christ,
obgleich heimlich. Das bevölkerte, überall bebaute Land
fcheint fein Lob, d. h. feine gute Regierung zu ver-
künden,
Es rückte gegen Mittag, ich hatte warm, und la-
gerte mich bey der letzten Taverne am Meere, ehe das
Steigen begann. - - -
Auf einem Pfade, der nur für Ziegen gangbar schien,
kam ein Reuter auf einem zierlichen Rappen die Höhe
herunter, hinter ihm ein Bedienter, ebenfalls zu Pferd,
Er stutzte, als er mich fah, und erkundigte sich bei mei-
nem Mukro *), so viel ich wahrnehmen konnte, über
meine Person. - -
Nach Rede und Widerrede schien er zufrieden. Ich
bot ihm ein Glas Wein; verbindlich that er einen Schluck
daraus und gab es mir zurück. Der Mann war sehr
reich gekleidet, und hatte schöne, liebliche Gesichtszüge;
er verabschiedete sich freundlich und ritt weiter.
Es war der Fürst des Bezirks. Vier und zwanzig
Stunden später, und ich hätte nicht weiter können. So
wachsam und gut unterrichtet waren die Behörden von
Allem, was in der Nähe vorfiel; auch scheint es, das
die Fürsten hier zu Lande das Selbstrekognostiren als eine
Pflicht ansehen, die zu ihrem Berufe gehört,
*) Treiber; Beforger der Pferde, Esel,
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Kloster Chariffa, auf den Libanott. 351
Jetzt ging es sehr steil Bergan nach dem Kloster
Chariffa, welches man mir als einen fchönen, ruhi-
gen und geräumigen Aufenthalt schilderte. Hier war ich
Willens auszuharren, bis die Pest vorüber wäre, um
dann ohne Gefahr nach Europa zurückzukehren.
- 12,
Ich bestieg den Berg zu Fuß und langte fast eine
Viertelstunde vor meinen Pferden im Kloster an. Alles
war offen, und im Hauptzimmer lag der Tisch überdeckt
von leeren Schüffeln und Trinkgeschirren; ein Pater
lag halb auf dem Boden, halb auf einem Kanapee und
schlief sehr gut. Auf den Tische und unter dem Tische
lagen Kräuter, Bohnen und anderes halb verwelktes Zeug;
die Reinlichkeit schien nicht eigentlich hier zu Hause zu
fyn, aber die Lage kam mir unvergleichlich schön vor,
Ich zog mich stille zurück und genoß von der Teraffe
aus, die mit Quadern köstlich bedeckt ist, und auf wel-
cher man bei dreißig Schritten in die Länge spazieren
konnte, der himmlischen Aussicht. Diese Lage hat etwas
Vergleichbares mit derjenigen vom steinernen Tisch auf
dem Buchberge *), nur daß hier, statt wie dort blü-
hende Ortschaften sich aneinander reihen, blos wenige
Ueberbleibsel ehemaligen Wohlstandes sichtbar sind. Das
einzige Beyrut mit feinen belebten und reizenden Umge-
*) Dieser Ort liegt zwischen Stad und Rheineck, im Kan,
ton St. Gallen. - - -
352 - Viertes Buch. Zwölftes Kapitel.
bungen macht eine Ausnahme, und hebt sich schön in der
Morgensonne, entlang dem Meere, heraus. In der
zweyten Bucht bedeckt ein vorragender Hügel den Kar-
mel und die unten liegenden Ruinen von Tyrus und
Sidon. Bey hellem Wetter entdeckt man mit unbewaff-
netem Auge das gegenüber liegende Cypern, und links
sieht man die Lage von Tripoli; - einige Gipfel des b-
fchneyten Libanons glänzen auf der Mittagsseite, und
in tieferm Grunde, rund umher, hebt sich auf jedem Hü-
gel ein Kloster, romantisch gelegen, empor. Ich entdeckte
mehrere Dutzend von meinem Standpunkte aus, um und
um in der Nähe derselben die Häuschen von Christen, die
sich da angesiedelt haben.
e-messey------
Ich war im Garten, jetzt kam der Pater, und siehe
da! mit ihm mein Reisegesellschafter von Jaffa aus. Ich
bat den Erstern um Aufnahme und Wohnung in einem
Kloster; er anerbot mir beides auf ein halbes Jahr,
wenn ich wolle, es feye Platz und Gelegenheit dazu da,
u. f. w.; ich dankte ihm und bezog meine Zelle; voll
Letzterm und dessen sonderbaren, wahrlich harten, Schick
falen, will ich hier, da ich wieder auf ihn zu sprechen
komme, einige nähere Umstände angeben.
In seinem Billete unterschrieb er sich Louston an.
Pierre war ein Taufname. Als Jüngling ging er
nach Indien, und arbeitete sich im Militairdienste bis zum
General empor. Die Staaten des Großmoguls waren im
Bezirk einer Wirksamkeit, und er befreite den jetzt
Nähere Notizen von Loustyna u. 353
kegierenden, nebst ein und zwanzig seiner Brüder aus der
Gefangenschaft. -
- Es gränzt an das Delirium eines Verrückten, wenn
in der jetzige Bettler in seinen Lumpen sagt: „wie er über
, Millionen Piaster zu verfügen gehabt habe; oder wenn
er von seinem Gefolge, seinen Armeen, gelieferten Schlach-
ten, von seinen gewonnenen und verlornen Ländereyen
spricht. Er hatte, einzig um seine Pfeifen zu stopfen
und in Ordnung zu halten, zwei Bediente, und jetzt nicht
mehr so viel Geld, um sich Taback zur Füllung einer zu
in verschaffen! Das heißt wahrlich den Wechsel des Glückes
im höchsten Grade erfahren. -
Vor ungefähr zwanzig Jahren zog er sich aus In-
dien mit feiner Gemahlin und zehn Kindern, ungeheuer
reich, zurück. An der Gränze von Spanien erkaufte er
sich Güter, und verwendete einen großen Theil seines
Reichthums auf die Erbauung einer kostbaren Eisen-
schmelze und mehrerer Prachtgebäude. Von der französi-
- schen Regierung gelangte, nebst andern vortheilhaften
Anerbietungen, auch die an ihn: als Konsul nach In-
dien zu gehen; er lehnte Alles ab, indem er in seinen
Besitzungen leben konnte, bie ein Fürst. Dem General
Lannes verkaufte er ein schönes Landgut; er hatte
“ mehrere Unterredungen mit Napoleon. – Der Krieg
mit Spanien brach aus; ein Truppencorps dringt vor,
sengt und brennt eine Besitzungen vom Boden weg; er
selbst wird als Gefangener in das Innere des Landes
geschleppt; von einer Festung auf die andere gebracht;
rein ausgeplündert, den Hunger und Mangel Preis ge-
geben, und so ins höchste Elend gestürzt. Nicht Einett
Z
354 Viertes Buch. Zwölftes Kapitel.
Buchstaben konnte er während vier Jahren den Seinigen
Nachricht von sich geben, und er keine Sylbe von ihnen
erfahren. Seine Familie war etliche zwanzig Stunden
vom Kriegsschauplatze entfernt; seine Frau starb früher,
und all der Trupp Kinder blieb ohne Beistand. Aus sei
ner Gefangenschaft vor Majorka gelang es ihm zu entwi-
fchen und nach Aegypten zu flüchten; später zog er nach
Syrien, wo er nun feit einem Jahre sich kümmerlich
durchhalf.
Die ß war das Schicksal Louston au's!
-- -m-
Die Lage des Klosters Chariffa war, wie ich schon
bemerkte, sehr angenehm. Die Ruhe und Stille der er-
habnen Natur auf Libanons Höhen paarte sich so schön
mit der Einsamkeit eines Klosters, und war mir erwünscht.
Indeß war der Pater ein Mann von heftigem, choleri-
fchem Temperament, der die freundliche Stille oft vor
dem grauenden Morgen unterbrach, ja es begegnett zu
weilen, daß sie vor Anbruch der Nacht nicht mehr herg-
stellt werden konnte. Solchen Lärm machte sein Unter-
richt, den er seinen Beichtkindern gab, und welchen er
so kräftig zusprach, daß ich froh war, nicht unter die
selben zu gehören,
Im Klostergarten gab es auffer Bohnen und Salat
nichts Genießbares, und der Pater machte, seiner Aus-
fage zufolge, oft Wochenlang kein Feuer an. Er lebte
einzig von rohen Vegetabilien; ich veränderte diese L-
bensart in Etwas, und Loustonan zürnte es nicht, Ehe-
Ilt,
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Proselytismus. - 355
deffen ließ er sich von einer Heerde von Köchen bedienen,
jetzt war er froh, den Koch machen zu können, denn er
war in Lebenslagen gekommen, wo ihm selbst der Stoff
zum Kochen mangelte; ich räumte ihm gerne den Rang
ein, ging aber späterhin, um mit mehr Appetit zu ge-
nießen, weniger in die Küche. -
Schon früher erfolgten etwelche Diskussionen religi-
ösen Innhalts, und ich kann nicht umhin, den guten
Willen anzuerkennen, den man sich gab, mich auf andere
Ueberzeugungen zu bringen; fchon auf den Inseln des
Archipels, in Alexandrien, Jaffa, Jerusalem hatte man
Versuche gemacht, mir einen richtigern Weg zum Heile
anzuweisen. Bescheiden und meiner Lage angemessen,
ausweichend, jedoch erkenntlich für den guten Willen,
waren immer meine Antworten. Auch hier beobachtete
ich diesen Grundsatz; desto weniger beachtete denselben
mein Gefährte Loustonau, der einst eine Gesellschaft
Patres, die aus dem benachbarten Armenier-Kloster
Krem zum Besuche kamen und mit ihm über Bibelstel-
len stritten, im Zorn die Worte hinwarf: „siete ignoranti
tutti!“ ich winkte ihm auf die Seite und bedeutete ihm
die Wahrheit des kurzen Sprichworts: „Hitzig ist nicht
witzig.“
Aber es ging mir wahrlich wie Gellerts Bube, als
er wegen der Schneegrube moralisierte und am Ende selbst
hineinsprang; denn nach acht oder zehn Tagen fing mir
das unaufhörliche Vorrupfen: „, daß ich verdammt fey und
bleibe, so wie Alle, die meines Glaubens eyen,“ an zu
langweilen, und ich rückte allmählig, da sich der Pater
so wenig Zwang anhat, auch mit der Vertheidigung mei-
mes Bekenntniffes gegen das feine und ein paar
- 355. Viertes Buch. Zwölftes Kapitel.
Male, ich gestehe es, blieb ich auch nicht in den Schran-
ken der gehörigen Kaltblütigkeit; doch ward am Ende
der Streit immer noch Scherzweise abgethan, und ich
ahnte nicht, welche wichtige Folgen doch noch daraus
entstünden. - - - –
Loustonau hatte in Rücksicht der Fasten und der öf
tern religiösen Funktionen oft schlimme Zeit. Er war
ganz Militair, wußte ehedeffen vom Fasten gar nichts,
und von den letztern nur wenig. Jetzt sollte er sich in
beyden strenge üben. Bey mir konnte er sich dann in
Etwas entschädigen, indem er seinem Witz über die Toll-
heit der Patres und die Dummheit der Zuhörer freien
Spielraum gestattete. Er besaß wirklichen Witz und fran,
zösische Laune, in guten Sinne des Worts, und ich
konnte es ihm nicht verargen, wenn er bald schimpfend,
bald spottend weitläufig auskramte, wie der Pater eine
Predigt von drei Stunden gehalten und sich heiser ge-
schrieen habe, während Niemand in der Kirche gewesen
fey als er (Loustonau), der kein Wort arabisch ver-
fund, und noch drei oder vier Esel, wenigstens hätten
sich diese von den vierbeinigten durch wenig anderes merk
lich unterschieden, als daß sie kein Heu fräßen; dann
rühmte er die List, mit welcher der Pater die Leute zwin,
ge, seinen ganzen Salm anzuhören, indem er die Messe
in zwey Theile abtheile, und den letzten bis nach
Predigt verspark, u. dgl. Wirklich waren die Beicht-
kinder, welche hieher kamen, die ungezogensten Schlin-
gel, von der Welt; dumm und unverschämt im gleichen
Grad, und ihr Seelsorger wirkte mit feinem Schreyen
und Kratölen wenig auf ihr Alenferes und Inneres,
t Lebensart im Kloster, 357
16, denn ich sah sie oft lachen und die leichtfertigten Poffen
an hinter seinem Rücken treiben, wenn sie zur Kirche
l, t gingen,
--
d - - s «-
- - Ich fandte alle drey oder vier Tage einen Expreffen
nach Souk, einem Dorf, das anderthalb Stunden vom
Kloster Charif entfernt ist, um Lebensmittel daselbst zu
holen, weil in der Nähe wenig zu haben war, und der
Fürst des Gebirges der Drufen, alle Päffe durch eine
- A“. - A.
Menge Wachen unterbrochen hatte, da die Pest in Bey-
rut überhand nahm.
",
: Pillau, Fleisch, Eier und Hühner ward abwechselnd
- aufgetischt; eine vor allen beliebte Speise war Reis und
Milch; diese letztere fand sich aber selten, indem keilt
" Wienachs auf den Antilibanon, noch weniger auf den
Libanon selbst ist, sondern die Ziegen nur kärglich ihr -
- - Futter finden. Der einzige Hirt, welcher in der Nähe
war, verheilte eine Milch nach Gunst; das halbe Dorf
- - lief ihn zu;, die übrigen, entferntern Hirten steigerten
- den Preis der Milch; den ersten Tag, als dieser es
" auch hat, verunglückte seine beste Ziege, und am näm-
lichen Tag fetzte er den Preis der Milch wieder herab . .
und steigerte um keinen Heller seitdem wieder. Daher
5 nun eine starke Kundsame und die guten Worte, welche
ihn gegeben wurden, d
ihm auszurichten war.
- - -
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a mit mehrerm Geld nichts bey,
358 Viertes Buch, Dreyzehntes Kapitel,
13.
Vor fünf und zwanzig Jahren, als ich zum ersten
Male in Sizilien war, und während einem Aufenthalte
von drei Monathen kein Wort französisch sprechen durf-
te, obgleich meine Hauptempfehlungen an ein französ-
fches Haus gerichtet waren, besuchte ich aus gleichem
Beweggrunde und demselben Grundsatze die Messe der
römisch -katholischen Kirche, und unterzog mich dem dort
herrschenden Religions-Ceremoniel, indem ich das Kreuz-
fchlagen nachahmte. Jetzt finde ich, daß mit dem Alter
das Moralische gleich dem Physischen unbiegbarer wird,
Leicht bequemte ich mich damals als Jüngling von etlich
und zwanzig Jahren zu dieser mir angerühmten Klugheit,
Nun näher den Fünfzigen, ward mir die Befolgung dieser
Klugheitsregel auf dem Libanon theils beschwerlicher,
theils darum widriger, weil ich sie nicht mehr aus Grund-
fatz befolgen konnte; zudem kannte ich Rom und Jerusa-
lem, war an beyden Orten so behandelt, daß ich an Neº-
benorten nichts glaubte befürchten zu müffen, wenn ich
daffelbe Benehmen und Betragen beobachten würde, wie
in jenen beiden berühmten Städten; ich berechnete nicht,
daß beyin Militair ein isolierter Hallunke oft mehr Uebel
stiftet, als die ganze vorüberziehende Armee unter den
Befehle biederer und lobenswerther Obern.
Kurz, vierzehn Tage auf den Tag nach meiner Ad-
kunft kam Mittags der Pater Vinzenzo *) nicht zum
*) So fein Taufname. Er mochte 34 bis 36 Jahr alt sein,
und war aus der Gegend von Ankara gebürtig.
Veränderte Gesinnungen. 359
Effen. Ich muthmaßte wegen Geschäften, wie es denn
schon oft früher der Fall war, daß eine Stunde und
noch länger auf ihn gewartet wurde, endlich aber rückte
in Loustonau mit eigentlich aufrichtigem Leidwesen heraus:
daß der Pater mich als einen Exkommunizierten *) an-
sähe, er fände hiezu eine Gründe im Evangelisten Jo-
hannis u. dgl.; er habe den Auftrag, mir mein Quar-
tier aufzukünden.“ ---
Es bedurfte nicht so viel, um mir begreiflich zu ma-
chen, daß ich für fernern Aufenthalt lästig feyn könnte.
Aus vielleicht übertriebener Delikateffe faßte ich sogleich
den Entschluß, mich für immer zu entfernen, obgleich es
hier schwerer als anderswo hielt, mir weiter fortzuhel-
- fen. Die Schwierigkeiten lagen in den gänzlichen Man-
gel an Bekanntschaft, an Sprachkenntnis, und dann
darin, daß ich gerade im Zeitpunkte der Pest fort sollte,
wo Niemand unterkommen konnte, weil man in nicht un-
begründeter Besorgniß lebte, man komme von Beyrut,
oder einem andern verdächtigen Orte.
Demungeachtet gab ich Loustonau die Antwort: daß
ich binnen zween oder drei Tagen das Kloster verlaffen
würde, auch wenn ich alsdann unter freyem Himmel,
mein Lager aufschlagen müßte. Indeß legte mich dieser
Vorfall schlaflos; nicht darum, weil ich auf bloßer Erde
liegen sollte, denn unter freiem Himmel fchlief ich ja
schon oft, und so ruhig, wie auf Polstern, sondern weil
mich das Verfahren: „ unter dem Vorwande von Religio-
fität mich fortzujagen,“ empörte. Ich hatte Niemanden
*) Also geächtet von einem Manne, der mich nicht rich-
ten konnte, da ich nicht zu feinem Orden gehörte,
360 Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel.
beleidigt, weder mit Worten, noch mit Werken; Mit-
man den Unrecht gethan, auch nicht einmal in Gedan-
ken; und dennoch ward ich wegen Irreligiosität ver-
dammt, -
---
Jetzt galt es, mich nach etwas Anderm umzusehen
und herum zu laufen. Auf Libanons höchsten Spitzen,
wie in den tiefsten Klüften dortiger Gegend fanden sich
Klöster; unermüdet rannte ich hergauf und bergab. Andre
Hoffnung, als in einem Kloster unterzukommen, hatte ich
keine, aber wie schwankend selbst diese Hoffnung! Mir- '
gends verstand man meine Sprachen, und ich nichts von
der Landessprache,
Im Armenierkloster Krem ward ich freundlich auf
genommen und bewirthet; zwey Patres sprachen italie-
nich, und es ward mir von ihnen, da sie selbst keine
leere Wohnung im Kloster hatten, angerathen, mich an
den Erzbischoff des Maronitenklosters Bak lusch zu
wenden. -
So gerne ich noch hingegangen wäre, so war den
noch nicht möglich; theils lag das Kloster zu entfernt,
theils war ich zu ermüdet. Von meinen Stiefeln, o,
davon mag ich gar nicht reden! Seit acht Monaten,
ohne sie zu wechseln *), trug ich sie; sie waren ganz
*) Die gelben Stiefeln und roten Sandalen taugen nicht
auf den Libanon, wo die Pfade über zackigte Felsen
und Steine führen.
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Nähere Erklärt ngen. 36.
durchlöchert, und ich war in dieser Rücksicht so schlimm,
daran, daß ich kaum mehr ausgehen durfte.
" Es versteht sich von selbst, daß ich den Pater Vin,
zenzo vom Kloster Charija fo auswich, wie er mich, doch
wünschte ich ihm noch zu sagen, daß ich, sobald ich
Quartier hätte, sein Kloster nicht mehr entheiligen wolle.
Es geschah diese Erklärung vor der Kirchenthüre, da
„ warf er mir vor: -
+ Ich glaube nicht an die heiligen Sakramente. «
''
“ Ich versicherte ihn vom Gegentheil. - -
“ . Ich mache nicht das Zeichen des heiligen Kreu-
1, d ,
Ich erwiderte: daß dieß nirgends in der Bibel \.
„ von Christus befohlen wäre, und ich sähe dies als eine
Nebenfache an. - -
„Ich gehe nicht in die heilige Meffe. «
tät Es sei dies bei uns so wenig als bei meinen Glau,
bensgenoffen, den Engländern *), üblich,
„Deß wegen geht ihr mit ihnen allen zum Teufel t.
schrie er wie rasend, und fchmetterte die Kirchenthüre vor
mir zu, " - - - - -
An folgenden Morgen fitchte ich den Weg nach Baf-
lusch. Dies war immer eine mißliche Aufgabe, da ich
- - von dem harten Arabischen fo wenig verstund, und nur
“ wenige Worte dieser Sprache kannte. Endlich erreichte
* ich doch dieß Kloster, welches ganz in der Tiefe, und,
“ nur eine kleine Stunde vom Meere lag. - - - - - -
Schon von Ferne, nahm ich Betriebsamkeit und Ar.
beitsamkeit in dieser Gegend wahr. Die Mönche pflanz-
- - - - - -
- -
9 3 fest dies alschlich mit Astra in
-
362 - Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel
ten ihre Gärten, beschnitten die Maulbeerbäume, und
verebneten einen höckerichten Platz; die ganze Umgebung
war für das Landwirthschaftliche in dieser Gegend treff,
lich benutzt, während Chariffa in glücklicherer Lage einer
Wüsteney glich. Freundlich bewillkommten mich die thi-
tigen Mönche; aber ach! der Erzbischoff war abwesend,
und keiner von Allen hatte eine andere Sprachkenntniß,
als die des Arabischen. Man denke ich meine Lage!
Die Ordensmänner wiesen mich in ein anderes Kloster,
zu oberst auf dem Berge, wo man mir sagen könne,
wo der Erzbischoff fey. Soviel glaubte ich wohl aus
der unbekannten Sprache enträtseln zu können.
Seit bald zwey Mal vier und zwanzig Stunden hatte,
ich nichts genoffen, als trockenes Brod, das ich auf mei-
ner Zelle hatte, da ich nicht mehr in die Küche des Klo-
fers gehen wollte; der Verdkuß und Unmuth machte mir
den Genuß der Speisen entbehrlich; zudem war ein fünf
zig- bis fechzigstündiges Fasten eine kleine Entbehrung
für mich. In unserer Gegend (nicht in Arabien) möchte
man wohl schwerlich Jemand finden, der in dieser Rück
ficht weniger Bedürfniffe hätte, oder unabhängiger von .
Magen wäre. -
Die mir hier bewiesene Freundlichkeit wirkte sowohl
thätig auf mein Gemüth, daß ich gerne die dargebotenen
Speisen und den erheiternden Wein annahm. Man wird
selten ein besseres Gewächs in Europa findet, als der
treffliche Wein des Libanons ist.
Bergauf arbeitete ich mich also wieder, um zu den
angewiesenen Kloster zu gelangen; von diesem ward ich
wieder weiter in ein anderes gewiesen; bis Abends das
it
"-
Der Erzbischoff auf dem Libanon. 353
erte mein vergeblicher Marsch; die Bewohner des letztern
gaben mir aber einen Führer, und ich gelangte endlich
zu der Wohnung des Vaters des Erzbischoffs. In zahl-
reicher Menge faß die Familie auf einem Felsen. Der
Erzbischoff beschäftigte sich eben mit Schreiben *).
Welche Freude durchzückte mich, als er mich italie-
mich anredete! Ich begann zu erzählen, äußerte: ich
sey ein Christ; „ma“, und ich hielt scheu inne, „ manon
catolico!“ fiel er ein. Ich bejahte; aber mit offener,
heller Stirn bezeugte er mir: „die Erste Pflicht des Chri-
fen wäre die, den Menschen zu sehen und nicht seine
Meymung. Ich athmete wieder freyer , und erzählte
ihm die Behandlung des Paters; dann schloß ich mit der
Versicherung: daß ich die katholische Religion aufs Beßte
zu kennen glaube, daß ich aber versichert fey, Pater
Vinzenzo habe dieselbe in Beziehung auf mich, nicht nach
ihrer Würde geübt. „Nein, wahrlich nein!“ erwiederte
er, „aber,“ fetzte er hinzu, „beruhigt euch, nnd für Al-
les laßt nur mich forgen. “
Mit welcher aufrichtigen Empfindung ich ihm dankte,
läßt sich leicht denken. Er entschuldigte sich nun, daß er
in seinen Geschäften fortführe. Bis zur Abenddämme-
rung beantwortete er Briefe, die ihm, nachdem sie durch
*) Er schrieb nach asiatischer Manier, ohne Tisch, anfm
Boden, mit übereinander geschlagenen Beinen, das -
Papier in der einen, die hölzerne Feder in der andern
Hand, von der Rechten gegen die Linke, wie die Tür-
ken und Perfer, die Schriftzüge führend.
364 Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
den Effig gezogen waren *), nach und nach gereicht
wurden ; er arbeitete mit Leichtigkeit, und als man
aufbrach, wollte er mich sogleich mit sich nehmen, um in
feines Vaters Hause zu übernachten. Ich verdankte ihm
die Güte, bat aber zurückgehen zu dürfen, um mich
Uebermorgen einzufinden, da es Morgen Sonntag und
mithin nicht schicklich fey, mit Felleisen u. dgl. aus
ziehen. - * - - - - -
Chariffa wieder ankam. Schon früher hatt' ich den Pl
ter um ein Zeugniß ersucht, daß ich über zwei Woche
in seinem Kloster gewesen “), und daß er mir wegen
Verschiedenheit unserer religiösen Meynungen den Aufent-
halt darinn aufgekündet habe. Ersteres schlug er trosig
ab, und wegen Letzterem, das er mit einem Schimpf
men belehrte und wobey er Luther und Kalvin aus der
Hölle zitierte, äußerte er: „daß es dergleichen nicht
brauche.“ Daß er mir dieses verweigerte, konnte ichei
nem Fanatiker leicht verzeihen, daß er mir aber das et“
fere Begehren abschlug, verrieth eigentliche Bosheit,
Es war Sonntags Nachmittag, den neunten Mal,
als ich in das Hauptzimmer ging, um beide erwähnte
Gesuche bey ihm zu wiederholen. Ich nahm mir vor
auf jeden Fall gefaßt zu bleiben; einige dreißig Bl“
fche, meistens Buben von acht bis zehn Jahren umgeht."
*) Eine Verrichtung, die unsere Tinte wohl kaum a
- hielte! - - -
*) Dies war nöthig, um wegen der Pest eher unter"
- - - " - - - - - - -
kommen, - -
Es war schon Nacht, als ich mit frohem Muthe in
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dür
Mit
z:
:
…"
#
Gänzlicher Bruch mit Pater Vinzenz. 365
ihn *); die Unterredung dauerte nicht lange; kurz und
trocken von meiner Seite, lärmend und polternd von
feiner, ward die Sache bald abgethan; wie ich vorher
muthmaßen konnte, geschah's; mein Ansuchen wurde
wieder abgeschlagen. Ich war eben im Begriffe von ihm
wegzugehen, als er mich beschuldigte: ich hätte ihm eine
Gattung Kornblumen, die er Rosen nannte “), in fei-
nem Garten ausgeriffen und zerstört." - - - - - - - -
Während meinem Aufenthalte in Chariffa gab ich
den Pater nie einen Anlaß, mich einer Niederträchtig-
keit zu beschuldigen: nun bei dieser tückischen und hä-
mischen Anklage wurde mir das Blut warm, ich antwor-
tete nicht glimpflich; grollend und stillschweigend steckte
er ein, was ich ihm keck sagte. * *
Das Wort: „per Bio von dem in Italien gewohn-
ten per Dio Bacco, das ich brauchte, nicht per Dio, gab
ihm erwünschten Anlaß, feiner Rache oder Wuth unge-
zügelten Lauf zu laffen. Halb rasend fuhr er auf : „ Ich
hätte den Namen Gottes mißbraucht, fuori, fuor dal
- - -
Convento! “ wüthete er : „ ancora güeSto momento la
*) Mit diesen war er oft im Stande Stundenweise zu pe-
roriren und deklamieren; Loustonau äußerte sich: Er
wolle sich hängen laffen, wenn aus Allen nur ein Ein-
ziger etwas von dem Galimnathias verstehe, den er ihnen
herfchreye. - - - -
“) Diese Blumen stellte er in Büscheln vor die Bilder des
St. Antonius und St. . . . . . (Ich vergaß den Namen
des andern Heiligen.) - - -
- -
355 Viertes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
chiave, o sforzo la porta *)!“ Dann fuhr er fort auf
arabisch zu toben. Wahrscheinlich fah ich in dem Ge-
mälde, das er von mir machte, nicht viel beffer als der
Satan selbst aus. Der Troß hinter ihm stehender, gro
ßer und kleiner Buben wurde aufgeweckter, ich sah sie
streitlustig genug, und man mag es wohl immer fehn,
wenn man eines Sieges so gewiß fehn kann, als dies
Rotte gegen mich Einzelnen es fehn konnte.
Es war kein Wort mehr zu verlieren an diesen ra-
fenden Menschen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollt,
ein Opfer ihres Fanatismus zu werden. In diesen M-
nente gedachte ich Spaniens und feiner Inquisition. "
dachte der Greuelszenen unter Pizarro in Amerika, hel-
üht unter dem heiligen Namen der Religion Jesu Christi
wie diese Tochter des Himmels von Unmenschen entweiht,
geschändet, dort unter der Herrschaft ihrer schwarz"
Seelen Giftpflanzen trieb und Fluch brachte. " Lilie
gebahr und Segen spendete. Das Kreuz in "
die Mordfackel in der andern Hand ward das Licht des
Evangeliums zur Finsterniß des Verbrechens gewandelt
Schnaubend und kochend folgte die Menge dem Pater
zis vor die Thüre meiner Zelle nach. Nur mit Mühe
nur ich das einzige Gute noch von ihm erh' daß
"Schwarm nicht durch dieselbe eindrang. " ich
„einpackte. . . "
- - - -
„------ -
») Heraus, zum Kloster heraus noch diesen gilt
her mit dem Schlüssel, oder ich sprenge die Thürt
-
Trost im Unglück. - 367
-
- -
14.
- -
Zwei Männer gelangten in meine Zelle, der eine,
sowie noch einige andere, brachten mir früher schon ver-
fishlenerweise Brod, Bohnen und Zwiebeln, weil sie mich
„ soviel als verbannt und sehr hungrig glaubten. Diese
- Gutmütigkeit rührte mich, aber mit meinem Talente
zum Fasten entbehrte ich leicht und nahm nichts an. Von
„ wesentlicheren Nutzen war der Dienst, den sie mir durch
ihre bloße Gegenwart in diesem Augenblicke leisteten;
- denn außen tobte die kampflustige Rotte, und ich weiß
„ nicht, welchen Ausgang dieser Auftritt genommen hätte,
- wären diese meine Beschützer nicht auch meine Werthei-
diger gewesen, st - - -
Nachdem ich nun alle meine Habseligkeiten über-
durch - und ineinandergeworfen; Felleisen, Nachtsäcke,
Bette *) mit einem Stricke umwunden hatte, schloß ich
die Thüre ab, und gab den Schlüffel einem der beydent
" Männer. Noch wollte ich mich vom Pater Vinzenzo ver-
abschieden, und ihm für die Armen eines Bezirks etwas
zurücklaffen **), aber die Thüre war mit einem Seile
verbunden, und der Troß verdeutete mir, daß ich Zeit
hätte den Fleck zu räumen. Herzlich gern that ich es
- Alle meine Effekten blieben also in der Zelle, und
ich dachte, sie am folgenden Tage fortschaffen zu laffen,
um nicht. Heute, weil es Sonntag war, eine unschick. .
lichkeit zu begehen. " - - -
/ *) Dieß bestand in einem Kauderfack und einem Kiffen,
- *) Wie billig und gewohnt, für das Logis im Kloster,
- -
3ss siertes Buch. Sie seine Kapitel
Kaum war ich etliche hundert Schritte von Kiefer
so erscholl das Gebrüll des Vaters Meine beiden B-
gleiter rannten zurück, mit Toben forderte er den Schli
fel, und meine Effekten wurden hinaus auf die Stift
geworfen. -
“enn man den höchsten Grad der Unbilligkeit über
standen hat, dann schwindet beim Manne von Gefühl
auch die Leidenschaft des Zorns; man fühlt sich übei
liegen durch die Würde seines Selbst, und ist damit
über jede niederträchtige Behandlung die man es
fährt, erhaben, statt; daß es also in meinem Innern auf
brauste bei diesem empörenden Anblick, blieb es gut
ruhig. Ich hob einen Theil meiner Sachen auf meine
etter nahmen den Rest und trugen mit mir in das
nächste Bauernhaus. Es waren freundliche Leute darin
sie nahmen all meine Haabe gern in Empfang: aber mit
den beiden guten Begleitern ward noch denselben Tag
der Zutritt in das Kloster für immer untersagt. "
- - -
- - -
- ger Erzbischoff hatte mir alles Benötbigte verheißen:
ohne diese Beruhigung, ich gestehe und wiederholt"
mich ein hartes Loos. Ohne einen Menschen in
dieser Gegend, ohne die Sprache zu kennen: in fernem
fremdem Lande, zur Zeit der Pest; ohne Attentat meiner
Verweilung im Kloster Chariffa, mich so verstoßen unter
frenen Himmel versetzt zu sehen, während seit mehr den
fünf und zwanzig Jahren in meinen väterlichen "
Katholiken bei mir ihr Unterkommen und Brod fanden
Trennung. 369 -
gleiche Rechte mit denen genoffen, die einem andern und
meinem Bekenntnisse zugethan waren, und die ich alle
als Brüder und Glieder. Einer Familie, ohne einigen
Unterschied, gleich behandelte! f
Ich erzählte dem Erzbischoffe das Vorgefallen. Der
Mann hatte einen sehr ruhigen Geist“); er lächelte bei
meiner Erzählung und anerbot mir die Wahl des Auf-
enthalts in einem, oder in einem andern benachbarten
Kloster, oder, wenn ich es vorzöge, in einem einsamen
Hause, nicht fern von der Wohnung seines Vaters.
Zch aber scheute nun den Aufenthalt in Klöstern:
Denn bei aller Toleranz blieb ich doch immer auf eine
Art abgesondert; zudem sind diese Stiftungen nicht, wie
bei uns, reich oder doch wohlhabend und bequem, fon-
dern das Gegentheil. Hiezu kamen noch andere Gründe,
die mich bestimmten, das einsame Haus zu wählen, un-
ter andern auch der, daß es einige Aehnlichkeit mit
meiner Trotte *) auf der Bleiche bei Arbon hatte, nur
- - 4
) Auch sein Aleußeres kündete diese Ruhe an; er war wohl
gekleidet; etliche und vierzig Jahre alt, von einnehmen
den Gesichtszügen und, was hier zu Lande selten ist,
von einer Proprietät und Reinlichkeit, die gleich für ihn
; einnahm. Er heißt Anton El-Chäfén, Kfeine Fa-
- milie schreibt sich auf italienisch: Caséno ), sie gründete
vor 4 bis 500 Jahren das Christenthum auf dem Liba-
nons indem sie das Gebirg unabhangig von den Türken
machte, gilt sie auch noch jetzt für die Erste auf den
selben. - - - - - - - - -
») seinkelter, Schere, Schopf
- - - - - - Nl a
370 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel.
daß dieß ganz von Stein war, und drey Thüren hatte,
die so beschaffen waren, daß mir die Katzen und andere
Thiere bei Tag und Nacht unverwehrt ihre Besuche al-
statten konnten. Auf den holperichten Leimboden dieser
Hütte nun warf ich meinen Kaudersack in eine Ecke, und
bezog jeden Abend dieß Bette, wie ich es am Morgen
verlaffen hatte, und, Gottlob! schlief ich auf diesen hat,
ten Lager, wie schon so oft auf meiner Reise, trefflich
Was kann man sich nicht Alles-bald angewöhnen! Auf
bloßer Erde zu schlafen ist mir gleichgültig, auch wenn
ich keine andere Decke, als die Wölbung des Himmels
habe. - -
Eben so wars mit dem Frühstück; in Charisa macht
ich selbst das Feuer zum Kaffee an; es genirte mich diese
ungewohnte Arbeit, nun unterblieb sie, und den vierten,
fünften Tag kam mir kein Gedanke mehr an das Kaft
trinken. Ueberhaupt, wer in diese Länder reist, muß
zum Voraus auf regelmäßige und bequeme Lebensweise
Verzicht thun, besonders wenn man den Unfall hat, die
Zeit der Pest zu treffen, und an Orte verschlagen wird,
an die man gar nicht dachte.
Mein Schicksal erregte indessen Aufmerksamkeit und
Theilnahme rund umher; ich hatte wahrlich den Schutz
und die Gunst eines Erzbischoffs nöthig; schwerlich
wäre ich ohne ihn unter eine Dachung aufgenommen
worden; die Leute find allerdings gut, und, ohne ander,
heffer als bey uns, aber in religiöser Rücksicht sehr
beschränkt in liberalen Grundsätzen.
Die Vornehmen des Landes nahmen Interesse an
meinem Schicksal und erklärten sich für mich; kaum war
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Mal
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Mir
Mit
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z
Besuche und Bewirth ung, 371
ich in das verödete Haus eingezogen, so war es der Sam-
melplatz des Bezirks. Von Morgen bis Abend hatt' ich
Besuche, bald von Einzelnen, bald von ganzen Gesell-
schaften. Die Unterhaltung war dann äußerst kompendiös,
mir aber nicht zuwider, da ich so viel guten Willen zu
meinen Gunsten entdeckte. Schon am zweiten Tage ward
ich vom Erzbischoffe in das Haus seines Vaters eingela-
den; es war eine reinliche Mahlzeit, nach Landessitte und
auf türkische Manier; man lagerte sich auf Kreuzweise
übereinander geschlagenen Beinen um das runde Brett,
das der Diener brachte; acht bis zehn Gerichte wurden
aufgetragen, und jeder langte mit den Fingern zu; da
warf man faure Milch ins Pillau und aß Salat zum
Konfekte; gleich den Ziegen kaute man wohlriechende
Kräuter und Zwiebeln und trank Kaffee zwischen ein;
aber etwas, das man nur hier, und wohl nirgends in
Europa findet, ist der vino d'oro des Libanons! Als ich
ihn trinken fah, meinte ich nach Farbe und Gattung, es
fey Liqueur, und als ich davon genoß, konnte ich nicht
entscheiden, ob mit diesem Weine nur ein Malaga oder
Alikante die Vergleichung aushalte. Es wird nämlich
meist aller etwas gekocht, und erhält dadurch die Süßig-
keit und hochgelbe Farbe. *) - - -
*) Die Art des Wassertrinkens verdient angeführt zu werden.
- Fn einem irdenen, kleinen Krag, mit vorspringender
- Möhre befindet sich das Waffer. Eine Spange hoch über
den geöffneten Mund wird das Waffer in denselben herab
gestürzt. Ohne daß man Schlucken, oder eine Bewe-
gung der Gurgel oder des Mundes wahrnimmt, scheint -
g
A a 2
372 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel
Die Frauen waren, wie es in der ganzen Levante
gebräuchlich ist, abgesondert; doch fah ich nebenbey
das Waffer bis in die Tiefe des Schlundes zu fallen.
Es wäre unhöflich oder unanständig, das Gefäß an die
Lippen zu fetzen. - " -
Das Brod wird in jeder Haushaltung selbst gebacken,
und zwar wird dabei auffolgende Weise verfahren: Wenn
der Taig fertig ist, so wird ein Klumpen, eines Apfels
groß, davon gekneipt und auf einem platten Steine mit
der flachen Hand breit und dünne geschlagen. Dann wird
der Kuchen zwischen beiden Händen gekläpft und unter
fortdauerndem Werfen und Drehen allmählig so dünne
geschlagen, daß er die Form einer unserer großen Blatten
erhält. Gewöhnlich um den Feyerabend wird dieß Ge-
fchäft vorgenommen. Aus meiner Hütte hörte ich, oft
von zehn, zwölf Orten her, die taktartigen Schläge der
Brodbackenden. , , - -
Hat der Taig die gehörige Form, so gehts ans Backen.
Dte Oefen find rund und ungefähr Brusthöhe, ihr
Durchmesser mag sich auf 3 Schuh belaufen; sie sind von
Innen mit sehr ungleich vorstehenden Steinen aufgeführt,
Diese werden durch das in dem runden, oben offenen,
Ofen lodernde Feuer sehr erhitzt. Ist die Mauer ganz
durchglüht, so wird das Feuer schnell heraus genommen
und der Boden von der Asche gereinigt, dann hurtig
die runden Kuchen an die innern Wände herum gewor“
fen, wo sie wegen den vorstehenden Steinen hängen blei-
· ben. "Was herabfällt, ist genug gebacken; an die ledig
gewordene Stelle wird dann sogleich wieder anderer Taig
angeworfen. - - - - - - -
Dieß Brod ist den ersten Tag weich, später wird es
hart, und beim Genuffe spröde und krachend.
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(z.
j
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ital,
äußh
Für
1, Not
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pick
in
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Einladungen von den Vornehmen, 373
Köpfe hervorragen, welche gern den Franken gesehen
hätten, - -
Auf diese Einladung folgten gleich andere. Tages
darauf ward ich zu den Scheiks Onach hin und Be-
fir, dann zum Scheik German es, dem älteren Bru-
der des Erzbischoffs, dann zum Scheik Haffan, dem
jüngern Bruder, ferner zum Scheik Hake m u. a. m.
eingeladen; überall traf ich dieselben Sitten, dieselben
Speifen, dieselbe Behandlungsart an, und, wenn ich
ausging, ... oder auf meinem geräumigen Dache spazierte,
ertönte es von allen Seiten halbstunden weit, Berg auf und -
Berg ab: „bon giorno! buona sero! come state *).
Weiter waren aber auch keine italienischen Worte bekannt,
und die Leute meinten noch Wunder mit diesen.
Niemand hatte mehr Ursache, sich meine Vertreibung
aus Chariffa zu Herzen gehen zu laffen, als Loustonau.
Ich hatte wahrlich in jeder Rücksicht dabey gewonnen.
Es wäre schon genug gewesen, Stille, Ruhe und Frie-
den in meiner Eremitage, was ich dort entbehrte, zu ge-
nießen, ohne die freundliche Behandlung der ganzen Ge-
gend in Anschlag zu bringen. – Der Pater verbot ihm
meinen Umgang, er aber protestierte. Bei mir genoß er
freundschaftliche Behandlung und genießbare Speisen.
Dort hatte er nur Zorn und Gras zu verschlucken. Ich
fah ihn mehrere Tage nicht; meine Wohnung war ihm
- *-
Oser war immer gerufen, obgleich es sein heißen sollte,
es war also Sprachfehler.
34 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel
unbekannt, und er wußte von der Landessprache ebenso
wenig als ich. Endlich trafen wir uns zufälliger Weise;
feine Freude war ungemein, so wie auch die meine, daß
ich wieder jemand hatte, mit dem ich ein Wort sprechen
konnte. Alle zwei, drei Tage kam er verstohlen auf ei
nen Besuch zu mir, und ich war stets besorgt, immer etwas
vorräthig zu haben, das seinen Magen erfreuen könnte, was
ein Leichtes war. Unsere Unterhaltung drehte sich um das
Politische und Religiöse. Der Geist seiner Gespräche bewies
fen einen hellsehenden und forschenden Kopf; aber wenn
von der Religion die Rede war, erklang immer die glei-
che Leyer. Er glaubte vor Millionen aus berufen zu sein,
- die Geheimniffe der Schrift, zu entziffern, und meinte,
seine Beweise mit mathematischer Gewißheit darzulegen,
Ich war nicht immer gestimmt, ihm beizupflichten, oder
nachzugeben. Der Mann hatte einen fehr heftigen Kl
rakter, und brauste oft jählings auf, besonders wenn er
etwas Wein getrunken hatte, abschon er sonst in dieser
Rücksicht äußerst mäßig war; ich gab meistens nach, und
wir vereinigten uns bald wieder. Es war leicht zu erken
nen, daß sein Unterhaltungsgeist glänzender Zirkel ge-
wohnt war; er war unerschöpflich an Anekdoten, und
besaß das Talent, interessant zu erzählen. … -
Viel unterhaltendes erzählte er aus Indien; er
fchilderte mir die Einwohner: „als ganz andere Welt,
als die Esel des hiesigen Landes“ (wie er sich ausdrückt)
wären in jeder Rücksicht beffer und ungleich gescheuter.“
Er spottete über den Pater, der nach Rom das Anst chen
-
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Louston aus Erzählungen über Indien. 375
machte, nach China zu gehen, um dort die Heiden zu
bekehren, und es auch bewilligt erhielt; er träume ich
die Chineser als ungeheuer und scheine gar nicht zu wif-
fen, daß es eine sehr civilisierte Nation fey, wenn sie
schon die Sonne, eigentlich aber die unsichtbare Gott-
heit anbete, und sie ihn mit seiner Methode, Religion
zu lehren, statt sich zu seiner Lehre zu bekehren, ausla-
chen würde.“ So sprach der alte, schalkhafte Lous-
tonan, - - * - -
. - . . - - -
- - ".
Von dem weiblichen Geschlechte in Indien erzählte
er: „daß die Frauen, wie hier, beim Effen die Männer
bedienen, und nur das uebriggebliebene genießen. Nicht
Einzelne blos, sondern die Menge habe er gesehen, die
sich nach dem Tode ihrer Männer mit ihren Leichnamen
lebendig verbrannten, oft die schönsten Weiber in der
Blüthe ihres Lebens. Eine Gattung von Pyramide werde
von dürrem, meist wohlriechendem Holze errichtet, mit
Pech und Harz an mehrern Orten überzogen, die Leiche
in der Mitte, zu oberst fchwebe eine Gattung Thron.
Unzählbare Zuschauer versammeln sich um das Gerüste.
Die Wittwe, in ihren schönsten Kleidern und im köstlich-
sten Schmucke, die Fackel in der Hand, zünde selbst an;
mit einem Schwung sei sie oben auf dem Sitze, und
beinahe im gleichen Augenblicke fey die Pyramide eine
Flamme und die Frau nicht mehr zu sehen. Die nächsten
Verwandten sammelten dann ihre Asche.“
„Es fey,“ erzählte er ferner, „dieser Gebrauch we-
der Gesetz noch Zwang; der Beweggrund hiezu entstehe
376 Viertes Buch. Vierzehntes Kapitel
aus der Meinung: daß durch das schnelle Mitabstellen
die Vereinigung mit dem verstorbenen Gatten auf ewig
fatt fände. Man habe mehrere Beyspiele, daß, wenn
der Mann in weiter Ferne umgekommen sey, und die Frau
die Nachricht davon erhalten habe, fie sich gleichwohl
verbrannt hätte, weil die nämliche Belohnung stattfände,
wenn es sogleich geschehe, sobald sie die Bothschaft von
dessen Tod erhielte. Man sähe jedoch dieses Schauspiel
jetzt feltner, als in früheren Zeiten. - - - - - -
Die Lebensmittel in Indien seien fast um Nichts
zu haben; die Gastfreundschaft werde als Haupttugend
geübt. Zucker und Kaffee feyen unglaublich wohlfeil;
Wein hingegen wachse keiner im Land, wohl aber werde
er in solcher Menge zu Schiffe eingeführt, daß guter
Bordeaux zu einem billigen Preise zu haben wäre. Das
Klima fey vortrefflich, die Sommermonathe, April und
May, fast unerträglich heiß. Mitte Junius aber bei
nen die Regen, und die schöne Jahreszeit. «
Soweit Loustonau über Indien.
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Mit
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zieß
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Fünftes Buch
–
Ausflüge vom Libanon nach Ballbeck
und
dem Cedernwalde,
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zur Abreise von Scio nach Salonicht.
Mit 3 Kupfern.
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K ap i t e
1.
Geschrieben in der verlaßner Wohnung auf den
Libanon *).
Ich muß recht lachen, wenn ich mich in meinem jetzi-
gen Palaste so umsehe. Es hat keine Noth, daß ich
darin Fensterscheiben zerbreche; doch bin ich froh über
das Loch, das mir Helle gewährt *), und ich habe mir
vor demselben einen zierlichen Tisch, in Gestalt eines
vier Schuhe langen Brettes, statt auf Beine zu stellen,
in Stricke gehängt; statt des Stuhls dienen zwey Haufen
(Beigen) Steine und ein Brettchen darüber, auf welchem
ich mich als Equilibrist egeerzirren kann. Wohl oft den
Tag über muß ich meinen Thron wieder reparieren, wenn
ich nicht mit demselben von oberst zu unterft kommen
will, und hier linker Hand hängt am Pfahle in der
Wand mein Korb, in demselben ein Pillau mit einem
noch übrig gebliebenen halben Huhn, das ich heute Mittag
zierlich zubereitete; schmackhafte, nährende Speise, wenn
schon das Huhn von einem Fuchse gestohlen und ihm mit
Mühe abgejagt ward.
*) Aus meinem Tagebuch vom dritten July.
*) sahen doch die Wohnungen der Scheiks oft nicht einmal
die fein Vortheil! - - - - - - - - ,
380 Fünftes Buch. Er ist es Kapitel.
Und über mir an der Decke, da schwebt eine Gat,
tung Waage, die ich finnreich mit einem Bindfaden he-
festigte; auf der einen Seite zieht Käse, auf der an,
dern Brod, und so schwebend wird weder Katze noch
Maus mein unwillkommner Gast. Auf dem Boden liegt
ein Vorrath von Zwiebeln und Eyern, beides sicher vor
den Raubthieren. Meinen Reis zum Pillau holten ganze
Prozessionen von Ameisen weg, aber tief in die Asche stellt
ich die Schachtel, und die Diebe können hier nicht Sturm
laufen. Dort am kühlen Orte hängt die hölzerne Flasche
*) am ledernen Riemen, angefüllt mit einem Safe,
den Bachus selbst loben müßte; und hier, am Vorschuß
einer Säule ruht mein Caffee-Aparat, mit den dazu
gehörigen Weingeist, um Gloria zu machen, sobald der
Geluft mich anwandeln könnte *). Statt des Dual-
fens steht da in der Höhe, auf zweyen in die Wand -
festigten Stäbchen, ein Blättchen, angefüllt mit dem
überflüssigen Fette der Hühner, das ich nach den alt,
schaumen aufbewahrte. *), um etwa gelegentlich einen
fchmackhaften Eierkuchen daraus zu verfertigen, weich,
gesottene Ever versteh' ich zu sieden, ohne auf die E-
- - » Die treue Gefährtin auf meiner ganzen Reife.
… ) Das hier Caffee, Zucker e, footwohlfeilen, darf
- - ich kaum in erinnern, was man in dieser Zeit in Eil-
" oder auf dem Continente mit guten zahlte, hatte
ich hier um wenige Parahs, -
er) Exercitatio facit Magistrum ! - Vor fechs Wochen wus
: " das Fleisch, Hühner, in ein
abgeschäumt werden müßten.
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Anekdote vom Großmogo. - 381
kunde zu zählen, und sie gerathen mir besser als jenem,
der sie einen halben Tag kochte und doch nicht weich
machte.
Die Einrichtung ist für einen Eremiten so übel nicht,
aber eine Hauptsache fehlt, der Bücherschrank.
- . - . .
- Mangel aber durch seinen
unerschöpflichen Reichthnm von Erzählungen; ich habe
. .
Loustonau ersetzte diesen Mangel ab
dieses Umstandes bereits erwähnt, auch daß er mich, auf
die Letzte besonders, öfter besuchte. – Eines Tages,
als er in meine Einsamkeit trat, erzählte er mir wieder
mit jugendlichem Feuer aus Indien und Persien. – Ich
will, da ich Loustonau nie als einen Aufschneider kennen
fortfahren, etwas aus seinen Unterhaltungen
lernte, hier
einzuheben. :
- „Einst als der Mogol“ erzählte er, „mit feinen Ge-
folge ausging, fand sich eine alte Frau auf demselben
Wege und begegnete ihm, die lärmte und schrie: sie
wolle den Regenten sprechen, und ließ sich davon gar
nicht abwendig machen. Der Mogol befahl: sie machen
zu lassen. Die Frau hob nun ein verrostetes Beil in die
Höhe und sprach: „O du, der du Gottes Stelle auf
Erden vertrittst, berühre dieß Eisen, und es wird zu
Gold werden, denn Gott wird dir diese Kraft verleihen.“
„Gott hat mir diese Kraft nicht verliehen, sprach der
Mogol, und um dich davon zu überzeugen, so gieb
dein Eifen her: fieh, es bleibt Eifen. Aber weil du
in Gott ein solches Vertrauen fetzest, so gebe man,
382 Fünftes Buch. Erstes Kapitel,
-
„indem er sich an. Einen feines Volkes wandter
dieser Frau so viel Gold, als die Art wiegt,“):
Einst belagerte Loustonau, wie er von sich selbst er
zählte, einen ziemlich festen Platz, und erzwang ihnend
lich durch Kapitulation. – Der Befehlshaber der Bela
gerten war abwesend, und feine Frau führte das Kons
mando: „Wie!“ rief fie, „ich, die Festung übergehen?
–ich – in Feindes Hände fallen? was würde mein Ge-
mahl von mir denken!“ Sie forderte eine Stunde. Wer
denkzeit, traf noch einige Anstalten, und flog, nach Wer
fluß jener Frist, auf einer Pulvertonne in die Luft. „Das
Weib soll sehr schön und noch keine zwanzig Jahre alt ge-
wesen seyn,“ äußerte Loustonau, „und,“ fuhr er fort,
„ich verlor verhältnismäßig nie so viel Leute, als vor
diesem schon erobert geglaubten Platze, indem, nach die
fem Aufflug, sich eine Art Raserey der ganzen Besatzung
bemächtigte, und wir mit Verzweifelten kämpfen.“
Von den Bewohnern Indiens, die ihn genau be-
kannt waren, erzählte er mir sehr viel, namentlich von
den Staaten des Großmogols, von dem Lande der Mit
ratten, von Tibet; wie sie geheilt seien bis nach China
hin, in Götzendiener und Muhamedaner, und letztere sich
wieder in die Sekten von Ali und Omar heilen; die
sich gegenseitig necken und plagen; doch, setzte er hinz
nicht in dem Grade, wie die verschiedenen Sekten der
Christen! Ein Theil der erstern bethe die Sonne an, die
Mehrheit aber einen unsichtbaren Gott; sie sehen nichts
weniger als ungebildete oder dumme Geschöpfe, und ohne
*) Weib, dein Glaube hat dir geholfen. - - - - - - - - -
Helden hat einer Fren, ses
anders besser als die Europäer, wenigstens als der größere
Theil derer, die sich Christen nennen,“ *) -
Meine jetzige Wohnung ist nur eine halbe Stunde
von Chariffa. Die Landschaft und das Dorf des Bezirks
in welchem ich lebe, heißt Darao un; es hat nicht
die Lage wie Chariffa, die Aussicht auf das Meer ist bei
grenzter, desto mehr aber die auf das Land offen; ich
wüßte nicht, welcher ich den Vorzug geben sollte. Diese
Landschaft meines Bezirks mit allen feinen Umgebungen
ist einzig in ihrer Art; unbeschreiblich schöne, malerische
Parthien; ich wäre zufrieden, wenn ich meinen Freunden
nur eine Idee davon geben könnte. *) Die Natur des
Gebirgs, und besonders dieses Theiles des Antilibanons,
ist fehr steil und felsigt. Beynahe mangelt die Erdrinde
ganz. Wer das nicht wüßte, könnte glauben, der Boden
würde nicht benutzt; sparsam proßt nur hin und wieder
eine Gattung Riedgras, wo sich die Wurzeln zwischen den
Klippen und dem Gesteine kaum anschmiegen können.
Bald sind die Pflanzen, kaum aufgeblüht, wieder welk
von der sengenden Sonnengluth. : ,
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» So unterhielt mich Loustonau öfter. Das erzähle nicht
weiter von den Aufschlüffen, die er mir über diese Völ-
ker gab, da viele Leser durch Reisebeschreibungen davon
… fchon unterrichtet sein mögen. - - - - - - - -
") Der Hr. Verf, hat eine Skizze entworfen von diesem fei-
- nem Aufenthalte, aber als etwas fehr unvollkommnes
wollte er sich nicht zum Radirenlaffen dieses Blatts ver-
fliehen.
. . . . " >
- - - - - - - - - - - - - - -
384 Fünftes Buch. Erstes Kapitel,
- Gähe thürmt sich Berg auf Berg; Felsen abhänge,
wie senkrechte Mauern, liegen dazwischen. Tausend Jahre
früher mag diese unwirthbare Oede, vom Fluche beladen
geschienen, und wohl jedes menschliche Wesen abgeschreckt
haben, sich hier anzusiedeln. Aber nun, durch die Hände
thätiger, arbeitsamer Christen, scheint beinahe das Un-
mögliche möglich gemacht. Mitten im Lande der Muha-
medaner, das als fruchtbare Erde, durch Despotie als
eine Wüste da liegt, ist dieser Fleck der Erde hier aus
einer Wüste in ein urbares und ergiebiges Ländchen um
geschaffen; von der tiefsten Kluft bis oben an den mit
schmelzenden, ewigen Schnee, jeder Schuh Bodens mög-
lichst benutzt; gesprengt werden die Felsen, wo man
zwischen den Spalten nur etwas Erde vermuthet, um
sie heraus zu holen: Die Abdachungen der Berger
viel zu gähe, als daß sie angebaut werden konnten, sind
mit Mauern, eine über die andere hingebaut, vier bis fünf
Schuhe hoch, versehen, und die Bodenräume dazwischen,
kaum so breit als die Mauer hoch ist, mit unsäglichen
Fleiße angepflanzt. Von einem Kloster auf der Spitze
eines der Berge bis hinunter in die Tiefe, sah ich in der
Entfernung von etwa einer Stunde diese Teraffenarbeiten
für ein Riesenwerk des Alterthums an; ich glaubte, eine
Treppe bot unzähligen Stufen führe hinauf, aber näher
und immer näher sah ich, daß Menschenfleiß der Schi-
pfer dieses Wunders war. Was bei den Wundern der
alten Welt der Luxus bewirkte, das bewirkte hier die Roth;
das Bedürfnis der unentbehrlichsten Mittel der Erhaltung
Broderwerb. Ein Maulbeerbaum an dem andern; in f-
ben bis acht Schuhen Entfernung einer vom andern, gar
niren die Reihenweise die schmaleu Riemen von Erdreich;
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Seidenbau auf den Libanon. , 385
und mit Maulbeerbäumen, um Seide und wieder Seide
zu gewinnen, sieht man alle Berge bedeckt,
" Wirklich findet, fich auch kein anderer Nahrungszweig
in dieser Gegend, als Seide. Man würde es kaum be-
greifen, wie die Bäume auf diesem steinigten, sandigten
Boden proffen und gedeihen können, wenn nicht der Vor-
theil des Wäferns stattfände. Ueberall finden sich näm-
lich Behältniße, wo die sparsamen Waffer der Ouellenge-
fammelt, und in alle die Riemchen von Land künstlich
durch kleine Graben verheilt werden, um die Maulbeer-
bäume auch zur Zeit der Dürre und Hitze zu befeuchten.
- -
- - - -
in Syrien und Palästina entlang, sah ich wenig oder
gar keine Blinde mehr, Ueberhaupt, sobald man Aegyp-
ren verläßt, scheint man aus der Sphäre dieses Uebels
heraus zu sein. Eine Unannehmlichkeit weniger, die ich
sonst auf meiner Reise in Aegypten hatte, war auch die,
daß mich die Fledermäuse nicht plagten. Ich fand keine
auf dem Antilibanon, und es ist dieß wirklich für je-
mand, der sie scheut, erwünscht, um so mehr, wo keine
Fenster sind und sie durch alle Thüren und Löcher freyen
Paß hätten, wie hier, in meiner Wohnung. In Rosette
genirten sie mich, ungeachtet der beffer beschloffenen Zim-
ner, alle Nacht so fehr, daß ich beinahe keine Ruhe und
keinen Schlaf finden konnte. Dieselbe Unannehmlichkeit
erfuhr ich auch von den sogenannten Schnacken (cousins).
Von nichts dergleichen ward ich hier in dieser gefunden,
erhöhten Athmosphäre geplagt. -
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386 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel,
- - 2. ", - " -
in Gesellschaft eines Scheiks ins Kloster Backhusch, den
Erzbischof meinen Besuch zu machen. Kaum war ich eine
halbe Stunde da, so trat Pater Vinzenzo mit seinen Go
folge von etlichen Tölpeln ins Zimmer. Er kniete vor den
Erzbischof nieder, um seinen Segen zu empfangen, und
kam darauf neben mich zu sitzen. Ich glaubte nicht, daß
die Ehre seines Besuchs eigentlich mir gälte. Es war
nicht mehr Fanatismus allein, sondern auch Bosheit,
Haß, Gift, was ihn hieher trieb, um den Versuch zu
machen, mich auch von hier zu verjagen. Er begann seine
Anrede in arabischer Sprache, der Erzbischof aber an,
wortete in italienischer, und er war also gezwungen, in
dieser Sprache den Diskours fortzusetzen; und nun er,
zählte er, wie er alles mögliche gethan habe, um mich
zu bekehren, »e forse troppo!“ fiel der Erzbischof ein.
Ohne sich an diesen Wink zu kehren, stieg der Eifer
des umfanftmüthigen Dieners einer Kirche, die Sanft-
muth empfiehlt, immer höher. Er schrie, wie in Cha,
riffa, gleich einem Bootsknechte. Ich bemerkte, daß hier
nicht die Stärke der Lunge die Sache ausmache, sonst
wäre das Recht ohne anders auf seiner Seite. Er fuhr
aber, anklagend gegen mich, an den Erzbischof fort: „Er
glaubt nicht an die heiligen Sakramente. Ich ant,
wortete, auch an diesen mich wendend, daß ich mich
verwundere, in der Kleidung eines Geistlichen einen Lig-
ner zu sehen! „non fa la croce!“ schrie er halb heiser
gegen den Erzbischof. „Siete matto *) entgegnete die
*) Ihr seid ein Narr. - -
Acht Tage nach der Vertreibung von Eharif ging ich
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Abfertigung des Paters Vinzenzo. 387
fer trocken. „Matto?“ frug der Pater betroffen. „Si
matto!“ wiederholte der Erzbischof zornig, und in glei-
chem Tone hinzufetzend: „ aus euerm Kloster habt ihr ihn
vertrieben, von hier werdet ihr ihn nicht vertreiben!“
Vinzenzo wollte sprechen, „andate via!“ rief der Erzbi-
schof im höchsten Unwillen. Er hatte ein Stäbchen unter
feinem Kiffen; heftig schlug er wiederholt auf den Boden:
„andate via!“ rief er ihm zum zweyten Male zu. *)
Der Pater ging sogleich; er hob feine zerfetzten Pan-
toffeln in die Höhe, fehlug die Sohlen drey bis vier Male
zusammen, um den Staub dieses Ortes davon zu schüt-
. teln, und zur Thür hinaus war er ! Der Erzbischof hatte
fich bälder wieder gefaßt als ich, ich zitterte; er aber
sprach mir zu: „, es solle mir kein Leid wiederfahren,“
fügte er, mich zu beruhigen.
Ich fah den Mann fehr oft und in verschiedenen La-
gen, immer aber ruhig, nie im Zorne als dießnal. Nach
kaum zehn Minuten kam ein Billet von Vinzenzo, worin
dieser dem Bischoffe schrieb: „daß er wegen seiner nach
Rom schreiben werde.“ Der Erzbischof zuckte die Achseln
und äußerte lächelnd, daß all sein Geschreibfel ihm weder
kält noch warm machte, er möchte es adressieren, an wen
und wohin er wolle. Ich aber schrieb das Vorgefallene
nach Jaffa, und an den Pater Superior nach Jerusalem,
und schloß damit: daß ich es für Pflicht halte, ihn von
dem Verfahren eines Individuums zu benachrichtigen,
das wohl nicht im Geiste feines Ordens handle !
=-
*) Ein ernstliches Zeichen des Unwillens.
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388 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel,
Ich komme nach dieser Abschweifung wieder auf die
Beschreibung meines Aufenthalts in dieser Gegend zurück.
Ueberall, fowohl in Dara oun, als in den benachbar-
ten Orten, fand sich kein Haus, das nicht von Seiden-
würmern angefüllt war; zu diesem Ende hin waren die
Wände mit Gestellen rund um versehen, und zu diesem
Behufe alles eingerichtet. Hier weiß man nichts von
Zimmerabtheilungen ! Da gibts keine Speisesäle, keine
Visiten-, keine Kinderstuben, keine Küche und dergleichen,
Alles beschränkt sich auf Ein Gemach, das von vier Mal
ern eingeschloffen ist, und in defen Ecken des Nachts
Matten hingeworfen werden, die als Nachtlager dienen,
Den Tag über lagert sich jeder zur Sieste *), wo er
einen Fleck findet, im Schatten auf Gottes Erdboden,
und jeder Stein ist gut genug, als Kiffen gebraucht zu
werden. Oft fand ich eine ganze Versammlung Schla-
fender auf einem Flecke, und der Scheick lagerte sich so
gut dahin, als der Fellah.
Zur Sommerszeit übernachten. Viele auf dem Dach,
Obgleich das Klima dieser Gegend wenig oder nichts von
dem unfrigen fich unterscheidet, so weicht doch die Nacht-
zeit darin von der unsrigen ab, daß kein so starker Thau
fällt, wie bei uns, und der Unterschied der Temperatur
von Tag zu Nacht nicht fo beträchtlich ist. Zudem hat
man unter freiem Himmel den Vortheil, weniger von den
Flöhen belästigt zu werden; denn es ist hier nicht wie
in Aegypten, daß sie zur Sommerszeit verschwinden. Vom
May an gerechnet, hat man vier Monate hindurch keinen
*) Ausdruck in Spanien, wo gewöhnlich, wie in Italien
Nachmittagsschlaf gehalten wird.
Das Zurufen auf weite Entfernung. 389
Regen, sondern immer hellen Himmel. Es wäre für ei-
nen Maler fehr vortheilhaft, alle Tage zur nämlichen
Stunde auf die nämliche Beleuchtung, was bey uns fel-
ten der Fall ist, zählen zu dürfen. Hat man im Winter
die Annehmlichkeit, bey drey Stunden weniger Nacht zu
haben, als in unserer Gegend, fo ist hingegen auch im
Sommer der Tag um fo viel kürzer; Morgens um vier
Uhr ist kaum etwelche Dämmerung, und Abends wird
es zur Zeit des längsten Tages vor acht Uhr wieder Nacht,
Die natürliche Oertlichkeit diefes Bezirks macht es mög-
lich, fich auf halbstündige Entfernungen zu unterhalten;
aus den Tiefen herauf und von den Höhen herab hallt
und schallt es, besonders zur Abendzeit, unaufhörlich.
Erst wird der Name defen gerufen, mit dem man gerne
sprechen möchte, die Antwort erfolgt durch einen feinen
Jauchz, *) dann beginnt das Gespräch, wobey es nichts
Seltenes ist, daß die Sprechenden einander gar nicht fe-
hen. Oft begegnet es beym Spazierengehen, daß, indem
man sich durch ein Gestrüppe von Seidenbäumen durchge-
wunden hat, und sich auf einem kleinen, ablangen oder
quadraten Fleck Boden zu befinden glaubt, man, sechs
bis acht Schuhe weiter vortretend, etwas ganz Anders
wahrnimmt. Dann fiehe! man befindet sich auf dem Dache
eines Hauses. Auf jedem dieser Dächer ist eine steinerne
Walze, um, wenn der Regen irgendwo durchdringt, fo-
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is *) ungewöhnlich für einen jauchzenden Laut von sich
geben, von juchfen, juzen, daher der Fuz.
Man „fehe das schweizerische Idiotikon von Stal-
der , Theil 2. Seite 77.
390 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel,
F
gleich mit derselben die Erde dichter zusammen zu drücken,
daß nichts weiter durchfickere.
Welche Bewandtniß es nun in Beziehung auf die Ge-
bräuche und Sitten in dieser Gegend hat, das läßt sich
in die wenigen Worte zusammenfaffen: daß es hier mit
dem, was man bey uns gute Lebensart heißt, ein Ende
hat. Was mehr Ehre gewähre , ob das Gehen zur Rech-
ten oder Linken? „das wußte keine Seele auf dem ganzen
Gebirge; man begegnet z. B. dem Hausherrn, den man
besuchen will, fünfzig Schritte vor seinem Hause; ohne
sich umzuwenden, macht er ein Zeichen: „gleichwohl zu
gehen;“ hat er feine Geschäfte abgethan, so könnt er,
< tritt zuerst ins Haus, setzt sich auch zuerst nieder und
A
dergleichen. Man würde hier gar nicht wissen, was
das sogenannte „Uebel nehmen.“ *) bedeuten wollte.
Kömmt man, wenn der Hauswirth am Effen ist, so wirft
er an den Platz, wo man sitzen soll, ein Stück Brod;
man setzt sich ohne weiters hin, und ißt was sich vorfin-
det. Wäre es noch fo wenig, so wüßte der Wirth nichts:
„von Abbitten, daß man es nicht beffer träfe,“ und
*9 „Nehmen sie doch nicht übel, wenn ich mich bedeckt!
Nehmen sie doch nicht übel, wenn ich mich niederlasse“
und dergleichen, eine bei uns übliche Entschuldigungs-
Formel, wenn wir in Gegenwart von Gästen und B-
fuchenden in unferm Hause gerne bei neuen, wie
wenn wir allein und daheim wären, " . . :
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- 11 eher Höflichkeitsformeln, 391
wäre es noch fo viel, so hörte man von Seite des
Gastes nichts: „von Abbitten der Freyheit, die man ge-
nommen habe,“ und dergleichen. Was sagt man fich
bey uns nicht für schöne Sachen, wenn man kömmt oder
"geht. Hier ist ein leichter Gruß Alles. Dafür aber hat
man mehr baare Herzlichkeit, eine Tugend, die man bei
uns, trotz allen Höflichkeitsgrimaffen, wohl nicht immer
findet. Ein eigener, bey uns gänzlich fremder Zug cha-
rakterisiert noch die Einwohner dieser Gegend. Man weiß
nämlich hier nichts von dem eingebildeten Vorzuge, der
zwischen den verschiedenen Range in der menschlichen
Gesellschaft statt hat; fey es wegen Glücks- oder Vermö-
gens- Umständen; wegen Verstand % Einsicht, Gelehrsam-
keit, Geburt, All” das ist hier ganz unbekannt. Der
Bettler wie der Reiche, der Erwachsene wie das Kind,
fetzen fich neben den Scheick, fprechen und geben ihren
Senf zu Allem, und erhalten die Antwort von diesem,
als wären sie alle Seinesgleichen, -
Das Kostüme der Frauen dieser Bergländer ist so be-
schaffen, daß, wenn schon ehedeffen Venus in der Nach-
barschaft *) ihren Sitz hatte, und die Grazien in der
Nähe mit ihrer Anmuth und Schönheit bezauberten, we-
der jene noch diese Liebhaberinnen vom Bergsteigen mö-
gen gewesen feyn, und fich wohl kaum auf diese Höhen
verirrt haben. Wenigstens ist keine Spur zu jetziger Zeit
*) In Cypern,
392 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel,
vorhanden, daß diese Göttinnen einst mit ihrer Gegen-
wart den Libanon beglückten. -
Ein silbernes Horn auf der rechten Seite des Kopf,
größer als ein gewöhnliches Posthorn, steht bey allen
Frauen als die größte Zierde, fchuhweit in parallele der
Höhe des Kopfs, gerade heraus; der Durchschnitt der
äußern Ründung dieses Horns hält wohl über anderthalb
Spangen, und das Gewicht mag ein Pfund betragen;
das schlechteste kostet hundert Piaster. Diese lästige, um
zierliche Zierrath wird mit einer Binde stark um den Kopf
angezogen, und über das ganze Horn ein gedrucktes, blaues
Tuch als Schleyer gewunden; rothe Kleckse sind als
Blumen auf dem dunkelblauen Grunde angebracht; vom
Silber wird nur sehr wenig gesehen. -
Der Pater in Chariffa eiferte stark wider diese Höt-
nermode, und er hielt einst eine lange, zweistündige Rede
über diesen Unfug; und, um ihm recht kräftig zu fen-
ern, schlug er mit geballter Faust auf die Kanzel und
versicherte, daß in jedem Piaster-Werths ein Teufel steckt,
„Die Frauen aber lachten nur dazu und fast überlaut: auch
ward nicht eine dadurch gebessert: das Horn blieb bei al-
len am gewohnten Orte. -
Die Vornehmen tragen es vorn an der Stirne, und
hey diesen unterscheidet sich die Form defelben von der
jenigen, welche die gemeinen oder ärmern Frauen tra-
gen, dadurch, daß es in eine kleinere Ründung von der
Größe eines Neuthalers zuläuft. Gleich den Schmucke
des Einhorns steht denn diefe Zierde fchuhweit über die
Stirne hervor. . . "
Ueber diese herunter fallen bey vierzig bis fünfzig
Viertels-Dukaten, welche durch ein kleines Loch an einer
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Co stüme der Frauen. 393-
Schnur befestigt sind. Durch die Ohren bis weit herunter
hängen ganze Dukaten, oft noch größere Goldstücke ; der
Busen bleibt wenig bedeckt, meist ganz bloß, und, in
den Haaren befestigt, fallen drei bis vier schwarzseidene
Seile, welche wieder in drey silbernen, spannelangen
Röhren laufen, über den Nücken bis auf die Füße her-
unter *). Das Ganze dieses Kopfschmuckes, wenn es
recht brillant ist, wiegt mehrere Pfunde. Einige tra-
gen, statt der feidenen Seile, nur Schnüre an einer Reihe,
vielleicht bey dreyßig; an jeder hängt unweit dem Fuße
ein Goldstück in der Größe eines halben Neuthalers. Es
klingelt und klippert beyin Gehen fast wie Schlittengeläute.
Die weißen Pantalons sind vom Fuß an, etwa spangen-
hoch bis an den Waden mit blauen oder rothen, gestick-
ten oder gewobenen, versetzten Blümchen geziert.
Die Tracht der Männer besteht durchgehends in ei-
nem gestreiften Rocke, der bis an die Knie reicht, den
Rücken und die beyden Schultern bedeckt eine künstliche,
bunte, und nach einem allgemeinen Muster verfertigte We-
berey. Ein solches Gewand für Standespersonen könnt
oft auf tausend Piaster, dient aber auch bisweilen zeitle-
bens als Zierde, da die Mode immer dieselbe war, ist
und bleibt. Auf dem Kopfe tragen sie eine schwere,
rothe Kappe, die als Sack auf einer Seite mit einem
beinahe Faustdicken Zottel herunter fällt. Zum Befesti-
gen werden zwei gedruckte Tücher hart um den Kopf,
und nun über diese erst die sechs Ellen lange Scherpe,
*) Aus diesen Röhren treten die Ellen langen Zotteln von
fchwarzer Seide bis auf die Füße herab, vor,
,
-
394 Fünftes Buch. Zweytes Kapitel.
als Turban, aufgewunden. Das Ganze wiegt wohl bey
vier Pfunden.
Während meinen Aufenthalt in dieser Gegend hat
ich eine Art von Bedienten. Morgens kam er für eine
halbe Stunde, mir das Feuer anzumachen, und das
was ich den Tag über mochte nöthig haben, zu besorgen,
Die Kocherey *) versah ich selbst; und müssig, wie ich
war, beschäftigte mich diese Kunst nicht ganz unangenehm
durch einige Stunden des Tages. Aus der Sprache aber
welche der Bediente und ich redeten, hätte schwerlich ein
dritter klug werden können, da wir beide uns unter uns
selbst zuweilen nicht verstanden. Er sprach ungefähr so
viel türkisch als ich; verstand einige Worte italienisch,
die Hauptunterhaltung war arabisch; und zur gänzlichen
Verständigung in allen diesen Sprachen brauchten wir
noch oft die Pantomime! Ein solch Kauderwelsch mochte
wohl noch wenig statt gefunden haben! Aber welche Wun-
der thut nicht die Noth; wir erzielten die Möglichkeit uns
zu verständigen. -
- - -
*) Die Zubereitung der Speisen.
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Abreise nach Ballbek, 395
3.
Geschrieben auf der Insel Cypern.
Ich hörte von Ballbek, dem alten Heliopolis *)
sprechen. Nur wenige Tagereisen von hier entfernt, mußte
es liegen, und beim Namen Ballbek verdeutete jeder,
der dort war, durch Geberden und Ausrufungen: daß er
es schön, sehr schön fände! Ich war bald entschlossen
mich selbst davon zu überzeugen, kümmerte mich nicht
um den schlechten Weg, nicht um meine wenige Sprach-
kenntniß, nicht um alles andere, das vielleicht. Manchen
abgeschreckt hätte. Es war am Morgen des vierten Juny,
als ich dahin abreiste.
Ein Maulthier und defen Treiber waren die beyden
Wefen, die mich begleiteten, und wenn das eine sprach,
verstand ich oft nicht mehr vom Inhalte, als wenn das
andere seine Stimme erhob. Ueber den höchsten Rücken
des Libanons führte der Weg. Gleich vor Daraoun
beginnt der steile, unwegsame, felsigte Pfad; man kömmt
an den, auf einer Prachtanhöhe gelegenen, Armenier-
kloster Somar vorbey, und gelangt von da aus allmä-
lig in einen Bezirk von rohem Gestein. Kein Fleckgen
Erde ist auf demselben fichtbar, und doch proffen mitten
aus diesem Steingrunde die Reben, welche den herrli-
chen Wino d'Oro erzeugen. Man würde bey nns denjeni-
gen für einen Thoren erklären, der es sich beyfallen lieffe,
etwas auf solchen Boden zu pflanzen. Höher und höher
führte der Pfad; wie wenn in chemischen Laboratorien
*) Der Sonnenfadt. - - - -
396 Fünftes Buch. Drittes Kapitel,
die Metall-Salze in Chrystallen anschieffen, so heben sich
hier schroff, eckigt und zugespitzt, in ungleicher Lage,
kahle Felszacken aus bläulichten Klippengrunde empor.
Vier bis fünf Stunden weit durchreist man dies
wilderhabene Landschaft. Das Auge leidet von dem blet-
denden Blau der Felsen, aber eben so ruht es sich gerne
auf Parthien, größern oder kleinern Umfangs, aus, wo
Blumengruppen proffen; ihre Blätter, frisch und grün,
bey nahe dem Oleander ähnlich, und ihre Dolden, wie
Glocken, lilafarbigt, laffen von ferne den Wandrer un-
gewiß, welche der beiden schönen Farben mehr bezaubert,
Diese Blumeninseln in den Steinwüsten machen einen
eben so angenehmen, als überraschenden Eindruck. Die
Höhe dieses schönen Gewächses beträgt wohl über fünf
Schuhe. Es blühte diese Pflanze noch weiter hinauf,
bis hart an den Schnee.
Oft begegneten uns rückkehrende, beladene und ult-
beladene Lastthiere; auf einem derselben fand sich ein
todter Hammel. Mein Moukra *) zog ein Messer, und
schnitt lustig ein Stück Fett nach dem andern herunter,
und genoß mit beßtem Appetite eine nicht geringe Por-
tion. - . . ."
Es rückte gegen Abend, und wir waren in der Nähe
des Schnees; der Säumer änßerte: „es wäre besser hier
Nachtquartier zu halten, als weiter vorwärts, wo der
Schnee häufiger und die Kälte empfindlicher wäre.“ Auch
gut, sagte ich, stieg ab, preitete meinen Teppich über
den Felsen, und das Nachtlager war fertig. Prächtig
Waffer sprudelte in der Nähe; Stellenweise, reichlich und
*) Führer. -
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Zweytes Nachtlage , 397
sparsam etwas Gras zwischen Schnee und Klippen; aber
Holz fand sich keines; fein Mangel in dieser Kälte war
uns sehr fühlbar. Kaum waren etwas dürre Wurzeln vom
Gesträuch zusammen zu bringen, um einen Kaffee zu ma-
chen, der aber, als Gloria zubereitet, fehr gut that. Es
begann zu dämmern; ich lagerte mich auf meinen Teppich
und ein Leintuch und den Ueberrock über mich hin. Ru-
hig entschlief ich; hätt' ich auch einen Haufen Goldes
um mich gehabt, so hätt ich wegen Raub oder Unsicher-
heit nichts zu besorgen gehabt. Man weiß in diesem Lande
gar nicht, was Diebstahl ist ! Häufig finden sich zwar
Stachelschweine und Wölfe, mithin auch Tiger, aber
zu dieser Jahrszeit hatte kein Reifender etwas von ihnen
zu befahren.
Mehrere Stunden vor Tag ward ich wach; der Kälte
halber konnt' ich keinen Schlaf mehr finden. Mit der
ersten Dämmerung ward aufgesessen und unter keckem
Zähnklappern weiters geritten. Die Brandtweinflasche
leistete gute Dienste, den besten endlich die aufgehende
Sonne. Den Tag über stieg man immer noch höher, im-
ner zwischen Felsklüften und häufigen Schneeschluchten.
Sehr oft führte der Weg darüber hin. So kalt es die
Nacht durch war, so warm war es Mittags, und der
Moukra hatte beständig ein Stück Schnee zum Lullen,
Ich that daffelbe, hatte es aber fpäterhin zu büßen.
Abends gelangte man zu einem Thälchen, das mit
Felsen und Schnee umgeben war. Mitten darin lagerten
Hirten, hier ward die Nacht zugebracht. Waffer hatte
es keines; wollte man trinken, so wurde mit einem Hiebe
ein Stück Schnee von einer benachbarten Lage wegge-
hauen und in den Kessel geworfen zum Schmelzen. So
39s Fünftes Buch. Drittes Kapitel,
wie es dämmerte, wurde es auf dem verödeten Platze it-
mer lebhafter; eine Armee Geiffen (Ziegen) in vier Di-
visionen, rückte von verschiedenen Seiten heran; die
Heerde betrug über tausend Stücke; die Hirten in Menge
ordneten die Schaaren und begannen zu melken; zwei
ungeheure Keffel waren mitten auf dem Platze, und als
es Nacht war, waren beide voll Milch. Während diesen
Geschäfte hatte ich mein Nachteffen, einen Reißbrey,
wie Rahm zubereitet; süßer Käs und andere Milchspel-
fen folgten diesem. Die jungen Ziegen wurden abgefön-
dert gehalten, um die Milch der alten zu bekommen,
als man mit den letztern fertig war, rückten auch jene
in vier Abtheilungen in vollem Galoppe, und unter einen
Geschrey, daß man fein eigen Wort nicht verstand,
herzu. -
Jetzt ward Ordnung geschafft im weiten Kreise, und
herum lagerten die Ziegen; um sie ein Dutzend Hunde
als Wächter; in der Mitte des Kreises brannten vier
Feuer hoch empor, die Mannschaft darum herum;
war windstill, und bildete ein lustiges Nachtstück,
Nun erfolgte ein Aufruf, es war der zur Arbeit,
die Milch in den Keffeln ward zur Schotte geschieden
und jetzt begann das Käfen. Im Halbkreis von einem
gefel zum andern lagerten sich die Anwesenden fünfzehn
bis achtzehn Personen. Mit der Schaumkelle ward eine
Portion Zieger herausgenommen; der Nächste empfing
- fie, drückte sie rund, gab sie dem zweiten, dieser defi
dritten, und so gings fort. Gleich dem Ziegelbieten durch
wanderte die Käsballe die Hände. Aller; jeder drückt
und und die Schotte daraus; der letzte beim Saise"
schob eine starke Prise daraus hinein, und in Zeit ein
l
#
)
Käfe zu bereitung, 399
Stunde entstand ein Haufen von Käse-Aepfeln, daß man
Mühe gehabt hätte darüber wegzuspringen. Unter Lachen
und Schäkern ward diese Arbeit, während welcher ich
immer von Allen zum Mithelfen eingeladen wurde, besei-
tigt. Schon früher ward Brod gebacken, beynahe ganz
übereinstimmend mit der Manier, wie ich bereits er-
zählte, *)
Es war die Nacht über wieder fehr kalt, aber ich
litt nichts davon. Ein starkes Feuer wurde für mich al-
lein unterhalten, und ich wandte mich, so wie ich fror,
nach dem Feuer. Am Morgen ward ich mit einer Menge
Käfen beschenkt. Milch, Jaurt, Rahm, stunden mir zu
Diensten, und ich hatte Mühe, diesen gutmüthigen Leu-
ten etwas Geld dafür aufzudringen: „daß ich ja wieder-
kommen sollte,“ empfahlen sie mir ernstlich.
Gegen Mittag war der höchste Bergrücken des Liba-
nons erstiegen! Welcher Anblick! Gähe Tiefe zu den
Füßen, und eine kahle Ebene, über deren Länge sich das
Auge verlor, vor uns: „Ballbek !“ rief der Führer,
und wies über die Breite der Fläche auf einen Fleck,
der einzig mit Bäumen erster Größe sich auszeichnete;
-–
*) War der Feuerhaufe ausgebrannt, und das Loch von der
:, Asche gereinigt, so wurde der Teigkuchen von weitem
hineingeworfen, und platzte ganz dünn auf dem heißen
Boden. Dann kam die glühende Asche wieder darauf und
in einer halben Stunde war das Brod fertig.
. - - - - - - - - - - - - -
400 Fünftes Buch. Viertes Kapitel.
es waren Nußbäume. ueber zwei Stunden ging es halt
brechend steil herunter; viere hatten wir über die Fläche
Vor Sonnenuntergang war Balbek erreicht,
- - . . .
- -
“----------- - -
- -
4.
O, und wieder O, entfuhr mir unwillkührlich, so
wie ich näher dem Orte kam, wo vielleicht die schönsten
Ruinen der Welt sind. Balbek, einst Heliopolis, mit
feinem Sonnentempel, prangte hier in seiner erhabenen
Pracht und majestätischen Größe, als ein kühnes Werk
damaliger Kunst, und man erkennt noch in den Wehe
bleibseln dieß Wunder der alten Welt.
Auf schöner Anhöhe lag das herrliche Gebäude des
Tempels; am verwaschenen, harten Marmor sieht man,
daß Jahrtausende der Zeit über ihn hingerollt sind. In
edeln, einfachen Styl führte eine Art Vorhof der Ein-
gang zum Tempel selbst; über Grasboden und Schnitt
gelangte ich hin.
Bier Hauptgewölbe, jedes einhundert sechs und
zig Schritte lang, acht breit, und etliche zwanzig Schuh
hoch, bildeten den untern Theil; im Quadrat her"
ruhte das Werk aufgesprengten Bogen; auf jeder in
vierzehn Säulen; neun der letztern in die Breite, als
sieben und dreißig ohne die Facade, welche aus einer
doppelten Reihe kannelirter und unendlich tun."
bearbeiteter Säulen schien bestanden zu haben. "
%.
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z
Befchreibung von Ballbek, 401
vier Mahlen umklaftert man kaum eine der fel-
ben, *)
Von schwindlichter Höhe decken Felsenmaffen, als
Wölbung, den Gang der Auffenseite des Tempels; ru-
- hend auf der Mauer des Gebäudes, find sie hinüberge-
sprengt auf die freistehenden Säulen. Brustbilder von
koloffgler Größe, vielleicht von Göttern oder Heroen der
Vorwelt, wechseln mit allegorischen Figuren, deren Deu-
tung, die Mythologie der Alten übernehmen muß, und
schweben von einer gewissen Entfernung zur andern her-
aus. Man traut seinem Auge nicht. Denn aus den de-
litat gearbeiteten Bildern und Arabesken, gestemmt und
gemeißelt aus harten Marmor, durchbrochene Arbeit von
geschwungenen Blättern, in tiefen, herrlich leichten Bieg-
ungen, meint man diese Dinge, die das Werk einer
halben Ewigkeit sind, aus weichem Thon gebildet.
Man starrt hinauf, wenn man Felfenblöcke über dem
Scheitel schwebend erblickt, die zum Theil nur auf einer
Seite noch auf den Kapitälern des unglaublich rein und
zierlich gebauten Säulengangs korinthischer Ordnung ru-
heiz; man starrt hinauf, und der Ausruf des Erstau-
nens und der Bewunderung erstickt im offnen Munde!
Durch eine umkreisende Wand von gelben Marmor-
quadern müht man sich durch einen schmalen Bruch hin-
durch, und gelangt über Schutthaufen in das Innere des
Tempels. Neues Staunen ergreift mich beim Anblick
der Hauptpforte! Wenig mag die Welt von dieser Art
aufzuweisen haben; *) nie fah ich etwas Aehnliches.
-
-
-
*) Nach dieser Messung sollte der Durchmesser beinahe acht
Schuh halten.
*) Ich fah die Ruinen von Theben, Palmyra, ze, nicht,
C e
v
A02 Fünftes Buch. Viertes Kapitel,
Ungeheure Marmormaffen, fo zart und fein bearbeitet,
als wären sie von Zuckerteig! Die Einfassungen, Ara-
besken, Laubwerke sind von einer Schöne, als hätte sie
ein Raphael in seiner glänzendsten Kunstepoche hingezau-
bert; durchbrochene Arbeit meint man aus der Ferne zu
sehen. Der obere Theil des Portals besteht aus drei ein-
zigen Stücken; ein fliegender, kolossaler Adler in der
“Mitte über denselben schwebend, hält eine Gattung
Schlüffel oder Pfeile in feinen Klauen; aus feinem
Schnabel fällt eine Guirlande von Blumen und Laub-
werk, welche sich zu beyden Seiten herunter fchlingt,
und von zwey fliegenden Genien gehalten wird. Eine
brennende Fackel wird von einem der letztern geschwungen.
Der mittlere Felsbrocken, mit dem Leib des Adlers, viel
leicht von einem Erdbeben aus seiner Lage gestoßen, hängt
bey sechs Schuhen tiefer herab, als die Stelle wäre, an
die er hingehört, eingeklemmt zwischen den beiden obern,
ungeheuern. Seitenstücken, die ihn nur noch schwebend
erhalten. -
Im Innern des Tempels reihen sich zwanzig kannk-
irte Säulen auf beiden Seiten der Länge nach, an glat-
ter Marmorwand hervorrageud, hin; oben hält sie der
zierliche Architrav in Verbindung; zwischen den Säulen
find Nischen, alle mit gleich bewunderungswürdiger Kunst
mühsam verziert, und man erblickt hier die gewandt,
vollendetste Kunst im Wetteifer mit dem feinsten, gebil-
detsten Geschmacke. In diesen Nischen, deren Vertiefun-
gen bald als Halbzirkel, bald als Vierecke erscheinen,
mochten wohl die Idole und Bildsäulen gestanden
haben, « , - - -
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Beschreibung von Ballbek. 403
Im Vorgrunde erheben sich noch einzelne Pracht-
fänlen; man steht vielleicht dreißig Schuhe hoch auf den
Nuinen andrer. - In den Marmorsäulen des Eingangs
leiten verborgene Treppen in die obern Theile des innern
Tempels. - -
Ganz in der Nähe, noch erhöhter, als das Pracht-
gebäude dieses Tempels, erheben sich noch sechs Säulen
auf luftiger Höhe; himmelschön, als strebten und schweb-
ten sie nach den Wolken, ruhen sie noch auf ihren unge-
heuern Fußgestellen. - * - -
Sechszig Säulen stützten diesen Tempel, einzig in
feiner Art. Alle diese Säulen hatten denselben Umfang
und die Größe, deren ich oben erwähnte. So weit das
Auge reicht, glänzen die Meilen weit umher in ihrer
Schöne und stillen Hoheit, und erfreuen und bezaubern
den Blick des staunenden Wandrers, . . . . . "
Was sind doch Roms und Siziliens Armseligkeiten
gegen diesen Aufwand von Reichthum! Nicht, daß die
Architektur eines Pantheons, Coliäums u. a. Werke da.-
selbst im ganzen Sinn des Worts nicht erhaben und
edel fey: aber die Ausarbeitung des Ganzen wie der
einzelnen Theile, der Reichthum und die Mannigfaltig-
keit, welche hier sichtbar sind; die vollendete Ausführ-
ung und unglaubliche Weichheit der Gebilde findet sich
wohl nirgends in einem so hohen Grade, wie hier. Das
tuajestätisch - Große des Styls, vereint mit der Eleganz
der Ausführung, gleicht einem großen Oelgemälde, das
mit dem Pinsel der Mignatur ausgearbeitet wurde. Zu
Salomons Zeiten, meinen Einige, seien diese Wunder
der Baukunst entstanden, Weniger mögen sie durch die
C g I
404 Fünftes Buch. Viertes Kapitel.
Alles zerstörende Zeit gelitten haben, als durch die Erd-
erschütterungen, welche Alles aus den Angeln rißen, und
viele der Hauptanlagen niederstürzten und verschütteten.
Eben so viel litten sie durch die Niederträchtigkeiten des
kleinlichen Eigennutzes fchlechter Kerls dieser Gegend,
jetzt sowohl als früher. Die Säulen nämlich bestehen
aus drey Stücken, die auf einander gepfropft sind mit
„Centnerschweren, eisernen Zapfen, welche durch Bley,
das durch kleine Kanäle hineingegoffen ward, befestigt
wurden. Um nun dieses Eisens habhaft zu werden, häm-
mert und meifelt dieses verworfene Pack den Marmor
der Säule bis auf die Mitte durch, bis es so weit
kömmt, daß sie das Eisen herauszuheben im Stande sind.
Es ist sich nur zu verwundern, wie mehrere solcher mit
nirter, durchhauener Säulen sich noch auf halbem Fuße
erhalten. Felsenmaffen von acht und zwanzig Schritten
Länge, also etliche achtzig Schuhe, und wohl über zwei
Mannshöhen, befanden sich in diesem Gemäuer. Das
ist nicht Fabel, nicht Uebertreibung, ich sah diese Mas
fen mit eigenen Augen und beschritt die Länge. *)
- Wie es möglich war, diese Maffen hieher zu schaf
fen, kann ich so wenig errathen, als vielleicht Millionen
Andere. Wenn die jetzt Mode werdende Meinung statt
fände: daß die Säulen des Alterthums und diese Mafen
aus einer gewissen Materie an Ort und Stelle selbst
wären geschaffen, also nicht gegraben, nicht transportie
- - *) Die Felsenblöcke von Egyptens Pyramiden verlieren
ihre Größe bei der Vergleichung derer mit Ball
bek ganz. -
z
g
Beschreibung von Ballbek. - 405
worden, so möchte diese Meynung wohl hier am ehesten
einige Wahrscheinlichkeit gewinnen. *) - -
Die noch vorhandenen Bruchstücke dieser Wunder-
werke schreiben sich indeß aus zwey verschiedenen Epo-
chen her. Der eigentliche Tempel mit den dazu gehöri-
gen Anlagen gehört der ältern; dieser ist von gelblichen
Marmor fein und zart gearbeitet, ohne einiges Verbind-
ungsmittel von Kalk oder Kitt, sind die Fügungen doch
fo paffend, daß man sie oft kaum wahrnimmt. -
Von anderer Bestimmung scheint das aus der spä-
tern Epoche noch Vorhandene gewesen zu feyn. Es
fchienen eher Vertheidigungsanstalten, Festungswerke,
Bastionen von Thürmen und dergl., als prachtvolle, und
zu einem religiösen oder angenehmen Gebrauche aufgeführte
Gebäude, gewesen zu sein; sie sind zum Theil auf die
weit ältern hingebaut, unterscheiden sich aber von diesen
durch die schwarzgrauen Steine, die rohen, unverarbei-
teten Quader, und ein Pflaster, das fo hart ist, wie der
Stein selbst. Es ist ein sich durchkreuzendes, ungeheu-
res Gemäuer, das sich mit der Einfachheit des erstern
gar nicht vereinen läßt. -
Im Ueberfluße strömte einst hier frisches Quellwaffer
durch die breiten, steinernen Kanäle in der Tiefe des
Tempels; an mehreren Stellen sind auch noch deutliche
Spuren von Aquadukten, nach denen zu urtheilen, das
Wafer auch in die Höhe gepumpt wurde. Eine unterir-
- - - -
*) Diese Meinung ist indes unfatthaft, und unser schwa-
ches Geschlecht versteht die Wunder der alten Welt
nicht, - -
406 Fünftes Buch. Viertes Kapitel
dische Treppe von hundert Stufen führte in die Tiefe:
„ganz zu unterst soll sich eine verschloffene, eiserne Thüre
finden; man soll wiederholt vergebene Versuche gemacht
haben sie zu öffnen; beym geringsten Geräusch entstand
ein Donnern, daß man glaubte, Alles würde zusammen-
stürzen.“ *) Vor noch nicht gar langer Zeit ließ ein
Pascha, damit allenfalls nicht ein anderer den vermeint
begrabenen Schatz hübe, den untersten Theil der Treppe
mit Steinen verrammeln. -
Die alten Stadtmauern sind von schönen Steinen;
fie zählen kaum achthundert Jahre, sind also in Vergleich-
ung mit dem Tempel noch sehr neu. Von diesem sind
nur Muthmaffungen da. Wenn aber Salomons Herrlich-
keiten aufgesucht wurden, so mußten es wohl diese fehn,
weil Jerusalem kaum etwas Aehnliches mit einem be-
rühmten Tempel aufweisen konnte, und ich nicht wüßte,
wo anders, man die Ueberreste derselben suchen sollte.
Im Buche der Könige von Israel glaubt man des Ortes
und des Baues von Balbeck erwähnt. *)
*) Dieß hat wahrscheinlich feinen natürlichen Grund in der
gewölbten Bauart dieses Werkes.
*) Flavius Josephus sagt im ersten Theil stes Buch 6ten
Kapitel feiner jüdischen Geschichten Folgendes:
„Nachdem aber Salomon gesehen, daß die Mauern zu
„Jerusalem, Thürme und andere Festungswerke zu mehr
„rerer Sicherheit nöthig haben, (denn er hielt dafür
„daß zur Kostbarkeit einer Stadt auch gehöre, daß sie
„vest fey) erneuerte er die Stadtmauer, und führte
w, große, feste Thürme auf; ferner baute er die festen
11
Bef chreibung von Ballbek. 407"
Aber wohl war das ein Sonnentempel! Von
ersten Strahl des Aufgangs bis zum letzten des Unter-
gangs ward er beleuchtet. Auf luftig-erhöhtem Vor-
sprunge beherrschte dieser Tempel die ganze Fläche, ähn-
, a - -
„und namhaften Städte Alfor, Magedo und Ga-
„zara in der Philisterland gelegen, welche Pharao,
„der König von Egypten, mit einem Heere überfallen,
gestürmt, alle Einwohner darinn erwürget, ganz und
„gar verwüstet, sie hernach aber feiner Tochter, der Ge-
„mahlinn Salomons geschenkt hatte. Aus diesem Grunde
„baute sie der König wieder auf, zumal sie auch noch von
- „Natur fest und also in Kriegszeiten und bey andern
„Vorfällen sehr bequem waren. Nicht weit davon baute
„er zwey andre Städte und nannte die eine Bethchora,
- „die andere aber Baleth. Ueber diese baute er noch an-
„dere, weil es eine lustige Gegend war , welche gute
„Luft, schöne Sommerfrüchte und viel Waffer hatte.
„Darnach kam Salomon in eine Wüste, in Ober- Sy-
„rien, bemächtigte sich derselben und baute darinn eine
»große Stadt, welche zwei Tagereisen von Ober-Sy-
„rien, von dem Fluße Euphrat aber nur eine, hingegen
„von der großen Stadt Babylon fechs Tage reifen ent-
„fernt war. Daß er aber bemeldte Stadt so ferne von
„den bewohnten Orten des Syrer - Landes baute,
„kommt daher, daß im untern Lande großer Mangel
„an Waffer, und allein an demselben Orte fließende
„und Schöpf-Brunnen gefunden worden. Als er nun
„folche Stadt gebautet und sie mit großen Mauern befe-
„stigt hatte, nannte er die Thadamoram, wie sie dann
„auch die Syrer bis auf den heutigen Tag also nennen.
„Von den Griechen aber wird die Palmyra genannt.“
408 Fünftes Buch. Viertes Kapitel.
lich derjenigen von Sophia, wo der gegen Osten und
Westen sich verlierende Blick durch nichts beschränkt wird.
In eben rechter Ferne seitwärts erblickt man den höchsten
Rücken des Libanons mit feinen weißlich-gelben Felsen,
und feinen, bis an die Hälfte seines Fußes sich hin nei-
genden, blendenden Schneestreifen; dem blauen Hori-
-
Soweit Josephus. Nach dieser Angabe fcheint fehr bei
stimmt hervorzugehen, daß das oben benannte „Baleth“
das jetzige Ballbek feye; die Lage, die Umgebungen,
die Weite und Entfernung von Babylon (dem heutigen
Bagdad) gibt der Muthmaffung: daß Salomon der
Erbauer von Ballbek fey, den höchsten Grad der Wahre
fcheinlichkeit. - - -
Man erzählte mir fowohl in Ballbek als aufm Gebirge
des Libanons viel völn den Ruinen von Thadmor. Ich
wußte nicht was Thadmor war, und erst als ich wieder
an den Ufern des Mittelmeers zurück war, erfuhr ich:
daß es der arabische Name von Palmyra wäre. Hätte
ich dieß früher gewußt, so würde mich nichts von der
9Reife dahin abgehalten haben, obgleich ein angesehener
französischer Offizier, ungeachtet er in muselmännischer
Kleidung den Weg dahin unternahm, von den streifenden
Arabern oder Beduinen erschoffen wurde, da er ein paar
sehr schöner mit Silber reich beschlagene Pistolen bei sich
trug, nach deren Besitz sie lüstern waren. Ich lernte
diefen Offizier im Gasthofe von Groß-Kairo, wo ich täg-
lich mit ihm zu Tische geseffen war, kennen. Er durch
" - kreuzte die nähern und entferntern Gegenden alle, ohne
, daß mir seine eigentliche Absicht dabey bekannt war. Ich
hätte dem guten Manne vertraut, der mich bisher be-
gleitete. - - - - - -
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Befchreibung von Ballbet. - 400 -
zonte näher, in fünften Wellungen, beinahe in gleicher
Flucht, sind die obersten umriffe der Gebirgskette. Fän-
den sich Seen oder Flüffe, so könnte man diese Gegend
mit einer nicht wenig interessanten unfrer Schweiz ver-
gleichen. Doch nein !!! nein! es mangeln die hundert Dorf-
schaften, die Städte und Landhäuser, das rege, betrieb-
fame Leben, die herrlichen Gefilde und Matten, hier
fieht man nichts, als eine öde, menschenleere Wüste.
Vor Jahrtausenden mag dieß wohl nicht der Fall gewe-
fen feyn, und es ist mehr als bloße Wahrscheinlichkeit
vorhanden, daß damals diese ganze Ebene eher einem
Paradiese glich; wie wäre es auch anders möglich gewe-
fen, als daß fich in der Nähe eines solchen Wunders“
tausendmal Tausende sollten angesiedelt haben! Noch in
einer meilenweiten Entfernung vom Tempel sieht man
aus dürrem Riedboden eine prächtige Säule hervorragen,
und auf dem Rückwege traf ich einen noch ziemlich er-
haltenen Tempel,- von acht zierlichen Porphyrsäulen aus.
einem Stücke gehauen an. Dieses Gebäude, ebenfalls
mit edlem Geschmacke ausgeführt, bildete ein Achteck,
hatte aber dennoch, wegen feiner Größe, die Kreisform.
An verschiedenen Orten fah ich Kapitäler von Säulen,
und andere Bruchstücke, über das dürre Gras hervorra-
gen. Welch ein Stoff zu Betrachtungen über vergangene
Zeiten, verblichene Herrlichkeiten in dieser Oede und in
diesem Schutte, -
410 Fünftes Buch. Viertes Kapitel.
-
Es ist, wenn anders dieser Ausdruck nicht zu stark
ist, als gefalle fich die Vorsehung darinn: alle Gegenden
des Weltalls abwechselnd zu beleben, und da, wo das
Leben fein volles Maaß erreicht hat, wieder Ruhe und
Schlummer, und allmählige Oede walten zu lassen. So
viele herrliche Orte der alten Welt sind nicht mehr, kann
noch Spuren von ihnen. Was ist jetzt Aegypten und
Griechenland? wo ist der Glanz und die Macht des Welt-
beherrschenden Roms? Damals wußte man nichts von
Paris und London, die jetzt Epocht machen, und in kom-
menden Jahrtausenden frägt man wohl: „ wo standen
diese?“ Was am höchsten steht, hat wieder am tiefsten
zu fallen, und unaufhörlich wälzt des Schicksals Rad die
Oede ins Leben, und das Leben in Oede; es treibt mit
Welttheilen und Nationen, wie mit einzelnen Familien
und Personen sein Wechselspiel. -
Eine halbe Stunde rückwärts sprudelt aus reinen
Sande eine Quelle von eiskaltem Waffer, hell wie Chry-
fall; gleich bildet es einen Bach von zwölf bis fünf
zehn Schuh Breite; ein Theil davon bewäfferte den Ten-
pel. Was aber bey diesem Wandeln unter und über Rui-
nen für den Kunstliebhaber eine unangenehme Sache ist,
ist das: daß er nicht. Einen Augenblick allein sein darf,
da er vor Plünderung nicht sicher ist. -
Wein und Brandtwein waren ausgegangen. Mein
vieles Schneeschloffen - und baar Waffertrinken verur-
fachte mir einen Ausschlag an Händen und Füßen, der
mir einige Tage lästig war; sobald ich jene Getränke wie-
der genoß, war auch das Uebel gehoben.
Gerne wär' ich nach Damaskus, *) nur zwei
---
Ty Türkisch Scham,
-
i Abreise von Ball hef. 411.
kleine Tagereisen hatte ich von hier, aber die Pest war
an dort, und somit that ich auch gerne Verzicht auf diesen
Abstecher.
zu
ist 5. ---
Geschrieben in der Kajütte zwischen Cypern und
der Kälte Karamanien.
„ . Am dritten Tage reiste ich von diesem denkwürdigen
„ Platze des Alterthums ab. Bei acht Stunden führt der
„ Weg durch die verödete Ebene; sobald man die andere
Seite derselben erreicht hat, ist man wieder auf dem Ge-
ta Y
biete der Christen, "und erkennt ihre Gränze an der bef-
fern Kultur des Landes. - -
s“ – Hier ficht man auf einem kleinen Raume, wie der
Geist einer Regierung niederzureiffen und aufzubauen ver-
- mag, je nachdem Grundsätze im beherrschten Lande ge-
, handhabet werden. Die schöne Ebene Balberg also eine
förmliche Wüste! An der Stelle des einst so bevölkerten
Ortes halten sich jetzt, in den elenden Leimhütten, kaum
anderthalb hundert Einwohner *) auf, und felbst von
diesen wenigen wandern immer noch aus, um dem Drucke
Und den unmäßigen Abgaben, die der Pascha des Gebiets
erzwingt, zu entgehen. Die Sache und Beschaffenheit
der Regierungen dieser Bezirke verhält sich nämlich so:
In Konstantinopel werden die verschiedenen, minder
bedeutenden Paschaliks *) auf eine Art wie vergantet-
– - - - - -
“) unter diesen mochten etwa dreißig Christen sein.
") Statthaltereyen, Landvogteyen. Wie Baronien von Ba-
ron, fo Pafchaliks von Pascha. -
- -
-
412 Fünftes Buch. Fünftes Kapitel,
und an den Meistbietenden überlaffen. Begreiflich will
sich also der Pascha wieder entschädigen, und über seine
Auslagen hinaus auch einen Vorschuß haben. Da drängt
und erpreßt er also auf alle Art und Weise Abgaben,
Diese Blutsaugerey bewirkt Verzweiflung, und entvölkert
durch Auswanderungen die Ortschaften, daher dann die
verödeten Bezirke ! Un nun in Konstantinopel Nachlaß zu
erhalten, werden von Seite des Pascha Vorstellungen ge-
macht: „daß die Gegend unbewohnt fey, und von einer
Wildniß nicht so viel erhoben werden könne.“ *) Es ist
also scheinbare Convenienz, um den Hofe weniger zu he-
zahlen, wenn man verödete Landschaften aufweisen kann,
und diese Absicht zu erreichen, ist ein Leichtes. Davon
gibt die ganze Gegend den traurigsten Beweis.
Im Lande des Fürsten des Gebirgs werden gleich,
falls sehr starke Abgaben erhoben, aber sie sind durch
das Gesetz bestimmt, und die Sicherheit der Person und
des Eigenthums sind Vorrechte, welche die naheliegenden
Gränzorte nicht haben; deswegen kommen die fleißigen
Christen, sich in diesen wilden Gebirgen des Libanons
anzusiedeln, wo sie dann vom höchsten Gipfel bis in die
tiefe Kluft keinen Fleck unbenutzt lassen, der zu den
.
–
) Die Sache würde oft nicht fo befunden werden, wenn
man davon Augenschein nehmen wollte, und sich über
. . .“
„ -
das vorhergegangene Verfahren des Gouverneurs et
kundigte. . . . . . . . .
- - - - - - - - - - - -
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litt,
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J.
zit:
ill "
-
- -
-
Aufenthalt in Zach ly. 413
… Als ich die Länge von Ballbeks Ebene durchritt, und
gegenüber in weiter Ferne, dem Auge kaum erreichbar,
den Libanon erblickte, sah ich, näher der Gränze Per-
siens, noch andere Schneeberge, oder vielmehr ein, dem
Libanon ähnliches, hohes Gebirge, das auch mit Schnee-
streifen hin und wieder durchschnitten war.
Zachly liegt in einem engen Schacht zwischen
zweyen, nahe sich drängenden Bergen, aber die Umge-
bungen find zierlich, ein Garten am andern; mit hohen
Silberpappeln *) alle geschmückt, thun sie eine reizende
Wirkung; reines Waffer rauscht als beträchtlicher Bach
zwischen durch. Der Ort ist ziemlich groß; alle Dächer
haben eine und dieselbe Flucht, alle beinahe aneinander
soffend und flach; auch hier auf jedem eine steinerne
Walze zu demselben Gebrauche, wie auf den Dächern des
Libanons, wenn Regen durchdringen wollte; vom ersten
bis zum letzten Hause spaziert man entlang den Gaffen
auf den Dächern, welches denn einen wunderlichen An-
blick gewährt. - - - - - - - - - -
Die Bewohner sind, einige wenige Drusen-Familien
ausgenommen, alle Christen. Das Wirthshaus, wo aber,
auffer einem leeren Zimmer, nichts zu haben ist, war
zugleich Kloster und Kirche; auf der Treppe, wo ich
ein Kämmerchen hatte, hielt ein Pater Schule. Meine
Erscheinung war den Schülern wie den Lehrer ganz er-
wünscht; diese Zerstreuung schien ihnen willkommen, und
letzterer bekümmerte sich den ganzen Abend um seine Ju-
gend nicht mehr. Nur, wenn es draußen auf der Stiege
\- - -
*) Sie übertreffen unfre gewöhnlichen, hieländischen an -
schlankem Wuchs und an Höhe. . . . . . . .
S.
-
414 Fünftes Buch. Fünftes Kapitel,
etwas zu laut wurde, sprang er plötzlich heraus und
wamste mit einem langen Stäbchen, ohne Unterschied
der Person, alle, vom ersten bis zum letzten, rechts und
links, wo es hintraf, durch. Dies Stück Arbeit war,
scheints, nicht neu oder ungewohnt, denn ich beobach
tete, daß die ganze Menge sich sogleich in Verfassung
setzte, den Kopf tief zwischen die Achseln einzuducken, so
daß der dichte Kittel oben überragte und die Hände,
unter demselben versteckt, in sichern Port blieben. Er
stäubte, daß es einem Nebel glich; so wie sich der Pater
diese Motion gemacht und dieselbe beendigt hatte, kann |
sogleich wieder zu mir. Die Seltenheit, einen Fremden |
zu sehen, mußte ihn dazu bewegen, die unterhaltung |
konnte es nicht sein; mein wenig Arabisch reicht nicht. |
weit, und von einer andern Sprache hatte er keine Idet. |
Nachdem ich sechs Tage des Weines entbehren mit |
und solchen hier wieder fand, ermangelte ich nicht frei
lich zuzusprechen. Ich lud beyde Patres dazu ein, und |
ließ noch etwas zum Nachteffen herbeischaffen. Man la |
gerte sich aufs Dach und blieb am hellen Mondschein bis |
zehn uhr. Die zwei Tage, welche ich hier gut durch. |
lebte, und obendrein die Patres gastierte, kosteten mich l
nicht so viel, als ein einziges Eisen in einen in
haus bei uns für Eine Person. |'),
es war hier eine so seltne Sache, einen Frauen. In
ehen, daß, als ich außer den Ort hinaus ging, beim
derten mir nachliefen, mich anzugaffen; und, wie in
hier nur einen Europäer erblickt, ist es *) angenommen -
Sache, daß er Arzt seyn müffe. -
- ») Wie ich bereits auch schon früher von Oberägypten d)
andern Gegenden, erzählte,
E
ueber den Kultus der Drufen. 45 -
Maisch Hakim Maßsch Hatim, ich bin nicht
Arzt!) mußt' ich einmal über das andere den Leuten
zurufen, wenn ich nicht halb erdrückt werden wollte.
Den folgenden Morgen reiste ich wieder ab, und nach
wenigen Stunden war ich im Bezirk des Gebirgs, den
die Drufen bewohnen. Gerne wäre ich in das Innere ih-
res Gebietes gereist, um mich etwas näher von den Sit-
ten und Gebräuchen dieses Volkes, das den Götzen die-
net, zu unterrichten; aber der Mangel an Sprachkennt-
niß würde diesen- Zweck unnütz gemacht haben. Indes
versicherte man mich, daß ich, auch ohne diesen wesentli-
dhen Mangel, im Allgemeinen wenig Unterscheidendes
von den Christen hier erfahren würde. Ich begegnete
vielen, sie zeichneten sich blos durch einen verschiedenen
Turban aus. Hier sind etwelche nähere Umstände, die
mir über diesen Gegenstand der Erzbischoff bekannt
machte:
„Ihr religiöser Kultus wird fehr geheim gehalten.
Niemand, der nicht ihres Bekenntniffes war, konnte bis-
her jemals Zutritt dazu finden. Man behauptet: daß sie
ein metallenes Kalb anbeten; sie haben nichts von unserer
Zeitrechnung und unfern Gebräuchen, hiemit weder Sonn-
noch Feyertage, und die Zeit ihrer gottesdienstlichen Ue-
bungen ist unbestimmt; sie nennen den Platz hiezu Chalui.
“) Das Ganze wird, wie schon bemerkt, sehr im Verbor-
denen gehalten. Die Priester tragen sich weiß, dürfen
mit niemand effen, und leben ganz geschieden von andern,
machen übrigens die Braven, scheinen sehr billig, vor-
rtheilsfrey, sogar enthaltsam; verdeckt aber treiben sie
was sie wollen. « -
*-
“) Ort der Zurückgezogenheit,
,
416 Fünftes Buch. Fünftes Kapitel,
„ Die Drusen theilen sich in zwei Klassen, in ge-
wöhnliche Weltmenschen und in Inspirierte. *) Diese
zeichnen sich sowohl durch ihre Kleidung als Lebensart
aus; enthalten sich des Weins, Schnupfens, Rauchen,
Fleischeffens, und leben beinahe ganz von Vegetabilien,
Uebrigens sind sie betriebsame, rühige Leute; in Krieg,
zeiten ziehen sie gemeinsam mit den Christen vom Gebirge
gegen den Feind, und stehen, wie diese, unter dem Schutz
und im Dienste des Emir Ubschir, *) Ihre Zahl soll
sich auf die hunderttausende belaufen.“ -
So weit die Auskunft, die mir der Erzbischof über
die Drufen gab.
-
Aber, o Gall! wie kämest du hier mit deiner Schi
delehre zurecht ! In welche babylonische Verwirrung ge-
riethest du hier mit deinem System? Zugespitzte Schi
del haben alle und jede Bewohner dieses Bezirk. Infi
her Kindheit werden die Köpfe nach oben spitz gedrückt,
und erhalten dadurch eine Form, die wohl eines neuen
Systems bedürfte, das dann freilich nicht geeignet sie
die Richtigkeit des alten stark zu bestätigen. "
Die Frauen tragen sämmtlich das schon erwähnt
Horn auf der Stirne.
-
*) Durch einen höhern Geist Geleitete und in diesen Geist
- Redende und Handelnde. - -
*) Name des jetzigen Beherrschers. ( Emit: Fürf)
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Besondere Schreibmethode, 417
- - Unter der Menge von Schülern in Zachly war ein
einziger Drusenknabe, und befand sich unter ihnen, wie
die Eule unter den Vögeln; die übrigen alle geriethen
über ihn her, und sprachen Schlimmes von den Seini-
gen. Der Kleine aber wehrte sich tapfer, und sicherte
mir einmal über das andere zu: „taibi Drusi, taib! *)
Noch sollte ich ein Wort von der Tinte-Ersparniß
in dieser Schule sagen. Statt Papier hat man ein
schwarzes Brett, und statt Tinte dickes Leimwaffer. Mit
der hölzernen Feder gezeichnet, erscheint das Geschriebene
auf dem schwarzen Grunde gelblich. Ist das Brett über-
schrieben, so wird der Leim wieder abgewaschen, um da
Capo sich darauf zu excerziren. - - - - - -
Mein Weg führte wieder gähe empor über viele
Schneeschachten; dann von dort wieder abwärts über
Steinfelsen, wahrlich, kaum zum Gehen, und scheinbar
unmöglich zum Reiten ; die meiste Gefahr, welche ich
befürchtete, war, daß das Thier fallen, und ich dadurch
beschädigt werden möchte. Ein solcher Unfall in einem
Lande, wo schlechterdings keine Chirurgie, nicht einmal
dem Namen nach, bekannt ist, also auch keine Hülfe,
weder durch Rath noch That möglich wäre, würde ein
schlimmes Ereigniß gewesen seyn. Gottlob! ich erfuhr
nichts davon.
) Brav sind die Drusen, brav
D. d
Als Fünftes Buch. Fünftes Kapitel.
Ich war verwundert, sowohl auf diesem als auf an,
deren Wegen nach dem Libanon nicht so viele seltene
Schmetterlinge *) zu finden, als ich dachte. In D-
raoun und dem Bezirk meiner Wohnung, sah ich keine
mir unbekannte. Einzig in einer Waldung, beim Herat,
steigen nach Balbeck, fand sich eine so große Menge, die
ich den bei uns so seltenen Changeant aufm Pferd in
Flug haschte. Einige Male stieg ich ab, um seltener
nachzujagen; den blauen Schiller, den violetten, den
großen Perlmutter, auch den Apollo, sah ich in Menge,
und es gab mir nicht wenig Stoff zum Lachen, als der
Moukra mit vieler Angelegenheit bemüht war ich bei
ständlich zu machen, zu was diese Dinge dienten“),
und ich verstund deutlich feine Meyuung: er mutmaßt,
daß sie in der Medizin angewandt, und den Kranken
eingegeben würden.
- - - - - - -
- - -
- - - - - - - " -
) Meine ehemalige Liebhaberei.
**) - In Aegypten, als ich zum ersten Male im Delta auf
die Jagd ging, und die großen Prachtschmetterlinge, die
wir bei uns nicht haben, in Menge herumstürmen sah,
warf ich Flinte und Jagdtasche weg, fette über Haken
und Gräben ihnen nach, UN sie zu erhaschen, Damals
lachten meine Reisegesellschafter über mein Reißaus neh
men, wie ich jetzt über die Meinung des Moufa,
. .
i Besuch beim Prinzen Stadt, 419
lik 6 .
- - - - - -
# Geschrieben in der Kajüte auf dem Archipel. - - - - -
- Bald am Abend erreichten wir in der Tiefe ein Dorf
und hier rieth der Treiber zu übernachten. Mein Ge-
wäcke wurde abgeladen und auf einen freien Platz hin.
geworfen; ich lagerte mich dazu, und ward bald von
einer Menge Gaffern umringt, die mich jetzt, da ich
übel gestimmt war, "isten. Ich hatte den Führer
“ nach Wein und etwas er fürs Nachteffen ausgesandt,
“ und spreitete eben meinen Teppich über die Steine zum
“ Nachtlager aus, als " unter den Zuschauern einen
“ schon früher mit Befremden beobachteten, schön gekleide-
“ ten Mohren sah, der aber bald verschwand, und nun
“ in Gesellschaft eines reich gekleideten Scheicks wieder.
kam. - - - - - -
- Dieser redete mich türkisch an, und fing nach einer
Weile: ob ich nicht den Prinzen Saladin besuchen
wollte?“ Der Ton war eher er uchend als fragend.
Ich wußte nicht, wer Prinz Saladin war; zudem war
mein Anzug, so wie meine Stimmung überhaupt, nicht
geeignet, vor einem Prinzen zu erscheinen. Ich äufferte
etwelche Bedenklichkeiten; der Scheich nöthigte aber
„g höflich, doch zu kommen. Ich stund also auf und ging
mit ihm. All meine Sache ließ ich auf dem offenen Platze
- liegen. Der Führer war noch nicht zurück. Ich konnte
aber ohne Sorgen gehen, in diesem Lande stiehlt man
- nicht. - - -
“ Nach einer Strecke Wegs gelangten wir zu einem
* für hiesiges Land schönen Wohnsitz es begann schon
D d 2 -
420 Fünftes Buch. Sechstes Kapitel,
etwas zu dämmern, als ich in den Vorhof geführt wird,
hier fand ich den Prinzen, geleitet an einem Arm durch
einen Gesellschafter, und in der andern Hand mit einem
Stocke vorsichtig den Weg untersuchend. -
Ach, ich hätte nicht nöthig gehabt über meinen Al-
zug zu kümmern, blind war der Prinz. Von den jetzt et
gierenden Fürsten, einem nächsten Verwandten, wach
er, nebst zwey feiner Brüder, geblendet, Weitauf
sperrte er die mit einer weißlicht gelben Haut überlegt,
nen Augen; mitten im Auge sah man die Verletzung,
welche das glühende Eisen gemacht hatte: ""
Ich hatte schon früher etwas von dieser Geschichte
erzählen hören, aber sie war mir gänzlich wieder entfal-
len; um so mehr wirkte jetzt dieser Anblick unglaublich
stark auf mich.
Man sagte dem Prinzen: daß ich da sei. Ein
kommte mich freundlich. Er sprach etwas türkisch, und
es hat mir unaussprechlich leid, nicht besser in dieser
Sprache bewandert zu sein, denn der Stoff zu interei,
fanter Unterhaltung mangelte nicht, wohl aber die
Worte. Er ließ mir ein in der Türkei übliches Gerät,
von Zucker, Citronen und Rosenwasser vermischt, in
chen. Seine Physiognomie war empfehlend; sanfte, ließ
liche Züge herrschten darin vor, die Augen schienen hat
gewesen zu sein. Er mochte kaum fünfundzwanzig Jahre
zählen. Er war gesprächig, und feine unterhaltung in
rieth Kenntniffe und Bildung. - -
Ich wollte mich späterhin verabschieden, aber i |
ward von ihm genöthigt, zum Nachteffen zl hleiben. Es
- geschah unter einen Baume, . . -
- - S
in
Mut
mit
i
:
Aufenthalt be ym Prinzen Saladin. 42t
Die Mahlzeit war nicht luxuriös; sie befund aus
sechs bis acht Gerichten, nach Landesart bereitet und ge.
noffen, ohne die bei uns üblichen Hilfsmittel von Mes
fern, Gabeln, Löffeln und dergl. Er brach von der er-
sten Blatte, Reis in Reblaub gewickelt und gebraten, ein
Stück in zwei Theile, bot mir eines und genoß selbst dae
andre; ich könnte aber nicht sagen, daß ich nur einen
Biffen ruhig gegessen hätte, immer sah ich in die weit
offenen, todten Augen, und das Bedauern mit diesem
armen, blinden Manne raubte mir Ruhe und Appetie,
- Des Gesichtes beraubt, sucht er Zerstreuung in der
Musik; er selbst blies eine Gattung Klarinet; dann
ließ er die Violine kommen. Die beliebte Ballade:
„Marlborough zieht fort zum Kriege ic.“ *) war ein
Hauptstück. Ich habe schlechterdings keine Kenntniß von
der Tonkunst, sollte also auch nicht urtheilen, aber ich
glaubte, nie etwas auf diesem Instrumente gehört zu ha-
ben, wo ich mehr berechtigt gewesen wäre, die Ohren
zu verhalten, als hier! Leid that es mir, zu beobachten:
daß die Anwesenden sich Gewalt anthun mußten, das Lä-
cheln zu verhalten. - - - - -
Einer seiner Gesellschafter wünschte meinen Uhren-
fchlüssel zu haben; ich äußerte, daß ich solchen nicht
weggeben könnte, in Rücksicht aber, daß er zum Ge-
folge des Prinzen gehöre, soll es geschehn; ich sagte also
den Preis. Der Prinz nahm seine goldene Kette von der
*) „ Marlborough sen vat etc.“ Die Worte sind sogar in
das Arabische übersetzt, und oft hört man in dieser
-
Gegend dieß Lied,
422 Fünftes Buch. Sechstes Kapitel,
uhr und bot mir fiel als Tausch; sie war altmödig, aber
doch vom doppelten Werthe des Schlüffels; ich wußte
nicht, daß dieser Kauf dem Prinzen galt, und war in
Verlegenheit die Kette anzunehmen; man verdeutete mit
aber, daß es der Prinz übel nähme, und somit nahm ich
sie unter Dankbezeugung an. Diese Kette Saladins hin,
terließ ich nachwärts bei meiner Abreise den Erzbischof
zum Andenken. - -
Die Geschichte dieser drei unglücklichen Brüder, Sa,
ladin, Selim und Haffe im verhält sich, wie mit
gesagt ward, fo: „Ihre Geburt schien sie zu Ansprüchen
auf die Regierung zu berechtigen; sie wurden durch ihre
Minister geleitet, und verhielten sich, ihrer Jugend wil-
- gen, ganz ruhig. Als aber der jetzt regierende Fürst
die Sache entdeckte, bemächtigte er sich der Minister und
Prinzen, brachte jene sogleich ums Leben, diese uns
Gesicht! Sie sind so viel als gefangen, und dürfen sich
nie verehlichen. Vor etwa fünf Jahren wurden die
zwanzig bis fünf und zwanzig jährigen Jünglinge g-
blendet. - - -
Den jetzigen Emir Ubfchir rühmt man als einer
guten Christen; *) er soll täglich zwei Messen halten
lassen. Ich sagte aber dem Erzbischoffe, daß, wenn er
auch zwanzig halten lieffe, ich für solch ein Christentum
- - dankte! Er zuckte die Achseln und äußerte: „wir wäre
in der Levante, wo dergleichen Auftritte nicht ganz feind
sehen.“ Des Erzbischoffs Familie selbst litt indeseile
) Er ist es jedoch heimlich, da es die Pforte nicht ist -
darf.
. Ankunft in Daraoun. 423
„ diesen Vorfälle sehr, da die Partie für die drei Brüder
i genommen hatte: sie ward beinahe um ihr ganzes Ver-
“ mögen gebüßt, -
- -
Z
::
Als ich in Daraoun wieder ankam, rief mir alles
freudig entgegen; es war des Grüßens kein Ende! Aber
"o, mein Haus! es war ganz mit Seidenwürmern ange-
füllt, kein Platz mehr für mich darinne. Scheick Nou.
: fel,“ so hieß der Vater des Erzbischoffs, und seine bey-
z, den Söhne boten mir freundschaftlich ihre Wohnungen
a“ zum Aufenthalte an. Ich mußte nothgedrungen wohl
eine annehmen, und wählte die von dem ältern Sohne,
Germanos. Das Haus war eigentlich elend und nicht
es viel besser, als das meinige, aber die Lage entzückend:
k: " Es lag beynahe auf dem Gipfel des Berges, an einige
n - - Felsblöcke hingeklebt. Selten wird man eine reizendere,
n“ ausgedehntere Aussicht finden; es war die schönste von
Daraoun! Zwanglos lebte ich bei meinem Wirthe, die-
fem Originale von Wildheit und Unordnung, der aber
damit die höchste Gutmüthigkeit verband.
g -- Er war unverheurathet und wirthschaftete ganz al-
lein und vollkommen nach seiner Laune innert diesen vier
Mauern. Nur des Morgens kam eine Magd zur Besorg-
„ , ung der Kocherey, *) und ging des Abends wieder heim.
-
- - *) Nicht der Küche, denn bier, wie schon bemerkt, weiß
man nicht, was dieses ist; beym fchönen Wetter kocht
man unter freiem Himmel, bei schlechtem in dem soge“
nannten Wohnzimmer,
424 Fünftes Buch. Sechstes Kapitel
- Ob ich effen wolle?“ hieß es oft Morgens um neun
Uhr; ich äußerte dann, daß es ja noch nicht Zeit sei,
und noch lange dauere bis Mittag. „Ey, was Mittag
man ißt hier, wenns einem gelüstet!“ So ward oft drei,
mal in einem Tage aufgetischt, oft auch nur einmal,
wer da war, setzte sich auf den Boden und leistete G.
fellschaft. - - -
Germanos fchlief unter einer Gattung Lauberhütte -
am Vorsprung des Hauses; ich im Hause, in Gesel,
schaft von hunderttausend Seidenwürmern; doch störte
mich das Krabbeln derselben nicht, wie ich Anfangs be-
fürchtete. Ich hätte also auch können in meiner öden
Wohnung verbleiben, aber der Besitzer derselben hätte
es nicht eingegangen; man hatte dem Manne damit
warm gemacht, daß man ihm sagte: feine Seide würde
nicht gerathen, weil er einen Unchristen in einem Hause
beherberge. Pater Vinzenzo machte ihm bittere Vorwürfe,
daß er einen Engländer in seinem Hause dulde, und
prophezeite ihm nichts Gutes. Der Mann sagte mir dieß
selbst. -
- Meine Stiefel waren so übel beschaffen, daß ich auf
her Rückreise genöthigt war immer zu reiten, weil ich
zu Fuße nicht mehr darauf gehen konnte; ich gab
einem Schuster in der Gegend zum Ausbessern; aber,
sieh da einen Handgroß schwarzen Fleck auf den ei-
ten, und aufn andern einen rohen hingepflastert, erhielt
i
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ich sie zurück. Der Mann mußte es geahnt haben, def |
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ill
1
Louston an verläßt das Kloster Chariffa. 425
ich ein Fabrikant, und somit ein Liebhaber von Farben-
spiel war. Um diesem für dermalen abzuhelfen, traf ich
die nöthigen Maaßregeln, und, zufolge Hülf und Rath
der Chemie, nahm ich das Tintenfaß, und übertalgte
den rothen Fleck mit dieser Ingredienz; am folgenden
Morgen zeigte sich eine harmonierende Nüance zwischen
den beiden vorher fehr unharmonischen Flecken.
Schon den ersten Tag nach meiner Rückkehr vön -
Balbeck, kam Loustonan zum Besuche; er kam von ganz
andrer Seite her, als gewohnt, und erzählte mir nun:
wie auch er von Chariffa feit acht Tagen weg fey; „die
religiösen Funktionen, womit Pater Vinzenzo ihn fort-
dauernd gepeinigt, noch mehr aber das tägliche Hadern -
und Zanken, hätten ihn endlich ermüdet und fortgetrie-
ben, er habe ihm zum Abschied gesagt: „Vous ne restez
Plus qu'à deux au couvent. Vous – et le Cocq, – l'un
oriera Pendant le jour et l'autre de nuit! . .
- 7. - - - -
Geschrieben in Salonichi.
Vor meiner Abreise war die ganze Gegend von den
überall angepflanzten Maulbeerbäumen ziemlich grün.“ Mör-
gens und Abends wimmelte es darunter von Menschen
welche Blätter pflückten. Jetzt nahte die Zeit der Ver-
wandlung der Raupen, und nach drei bis vier Tagen
erkannte man die Gegend beynahe nicht mehr. Alles Grüne
- -
„-
426 Fünftes Buch. Siebentes Kapitel.
ward weggeschnitten, und nur der Stamm und wenige
Hauptäste kahl gelaffen, damit neue Blätter treiben, zur
- -
. .
Fütterung der Kühe im Herbst. Dieser nützliche Baum
erhaltet dieses Land, und ohne ihn bleibt die Gegend um
bewohnt und wüste. Es gibt kein Haus in dieser Gr
gend, das nicht für diesen Erwerbszweig aufs bequemst
eingerichtet wäre, um ja denselben mit der möglichen
Vollkommenheit zu betreiben und zu bearbeiten.
-
Eines Morgens frühe ging ich mit Germanos zu
Erzbischoff nach Bakusch; der Weg führte unweit den
Sorianer-Kloster vorbei. Hier lag eine große, todt
Schlange, ein junger Vogel, den sie im Leib hatte
… noch ganz und unversehrt neben ihr. Am folgenden Tag
als ich Loustonau, der in diesem Kloster einquartiert war,
sah, war ein Erstes: „Wissen Sie etwas Neues? Ich
ward Heute von den Mönchen zu einem delikaten Frikot,
bestehend in einer großen Schlange, eingeladen.“ Loui
tonau bedankte sich höflich für das ungewohnte Mal,
und versicherte: daß es sich die Compagnie auf beste
schmecken ließ. Es war die nämliche Schlange, die gº
stern todt auf dem Wege lag. Das Gift dieser Thiert
s
- - -
-
- zum Vorschein, - - - -
- -
liegt in einer Blase unter der Zunge, einmal den Kopf
- *) Die Schlange hatte ihn wahrscheinlich (wie bei diesen
- - Thieren gewohnt) ganz verschluckt, jetzt zerschmettert
- -
lag das Eingeweide daneben, und der Vogel kam der
t:
Eine Abtiffin raucht Tabak, 427
weg, ist keine Gefahr mehr im Genuß; sie sollen äußerst
viel Fett haben.
- - -
Unweit Baklufch ist ein Frauenkloster. Die Frau
Aebtiffin saß auf einer Mauer, und geruhte aus einem
fünf Schuh langen Pfeifchen zu rauchen. Ich weiß nicht
warum, aber dieß war mir zuwider, und ich kann den
Anblick eines Weibes nicht leiden, das raucht; in dieser
Gegend ist es sehr üblich und in Indien allgemein.
– – –
Man befand sich hier auf diesen Höhen, wie außer
der Welt, und von dem, was in Europa sich ereignete,
wußte man hier kein Jota. Um nun etwas davon inne
zu werden, wollte ich mit Loustonau nach Gazir, drey
Stunden weit, wo der Sohn des Fürsten wohnt, er
hatte einen Franken zum Arzte, und dieser konnte ein
Mehreres wiffen,
Morgens sehr frühe machten wir uns auf den Weg;
zufälligerweise trafen wir auf einen Scheick, der uns
versicherte: daß wir den mühsamen Weg vergebens ma-
chen würden, weil überall ausgestellte Wachen des Für-
ften alles Weiterreifen unnütz machen. - -
, Loustonau war Abends zuvor spät bey mir geblieben,
und verlor im Rückweg zum Kloster feinen Tabakbeutel;
er äußerte, denselben suchen zu wollen, da wir uns un-
weit vom Wege befänden; ich versicherte ihn aber, daß
er sich unnöthig Mühe gebe, da wohl schon gegen die fünf
42s Fünftes Buch. Siebentes Kapitel,
zig Personen. Heute den Tag über vorübergegangen sein
möchten. Er ging aber gleichwohl; wenige hundert
Schritte, mochte er gemacht haben, als er den Beutel im
Wege fand. Ich verwunderte mich hierüber. Der Scheick
äußerte aber; „daß die Vorbeigehenden die Sachen
nicht aufhöben, weil sie nicht ihnen feyen, und sie muth,
maffen, daß der, der sie verlor, sie zu suchen wieder
umkehren werde; wenn es aber von einem aufgehoben
würde, so brächte er es zur Kirche, wo es an die Thüre
gehängt, und auf diese Weise sicher feinem Eigenthümler
wieder zukommen würde.“ Sehr oft haben sich schon Geld-
beutel mit beträchtlichem Inhalt an der Kirchenthüre g-
funden. Das „C'est par tout comme chez nous, traf
hier nicht ein. - -
Eines Tages ging ich als Gast nach Aosta, zu einem
Verkbandten der Familie Casano. Die Behandlungsweise
war in jeder Rücksicht, wie überall; aber statt eines sil-
bernen, trug die Frau vom Hause ein goldenes Horn,
das bey 1500 Piaster kosten mochte,
-
Scheick Germanos wandte alles mögliche an, mir den
Aufenthalt bey ihm angenehm zu machen; dem ungeachtet
mißte ich fehr meine stille, verödete Wohnung, wo nichts
mich störte und ich allein sein konnte (ein Hauptbedürf
niß für mich!) beinahe stündlich kamen Bekannte zum
Besuche. Bei diesem müßigen Leben, beim gänzlichen
Mangel an Unterhaltung und Hülfsmitteln, allein sich in
". . -
Mit
::
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ärt
z-
i
Sehnsucht zur früheren Wohnung, 429
teressant zu beschäftigen, ist dies gegenseitige Besuchen
der einzige Zeitvertreib dieser Gebirgsbewohner.
Eine zweyte Hauptsache, die mir mangelte, war mein
bequemer, in Seilen hängender Schreibtisch in der ver-
laßnen Wohnung; wenn ich schreiben wollte, so mußte
ich es hier auf den Knien thun; dann kam die ganze
Sippschaft, und wollte wissen, was ich schrieb und war-
um ich schrieb? Man belästigte mich mit hundert Fragen,
die, bei dem Mangel an Sprachkenntniß, mir nicht mög-
lich waren zu beantworten. Zu diesen Allen kam, noch
der wesentliche Mangel meiner Küche; denn, obgleich
ich in dieser Kunst und Wissenschaft noch ein eigentli-
cher Neuling war, so hatte ich doch so viele Fortschritte
gemacht, daß ein großer Unterschied zwischen der meinen
und der ihrigen statt fand. In diesem Lande ißt man,
gleich den Vierfüßigen, roh, Ackerbohnen, Erbsen,
Knoblauch und Zwiebeln, Kohl und Kohlrüben; ganz
grüne Trauben; das Junre von Tannzapfen; das von
Disteln. Man verehrt sich kleine Kukumern, die häufig
den ganzen Tag über genossen werden. Am Tische wer-
den als Zugaben zum Fleisch verschiedene Grasarten, und
als Deffert eine Menge wohlriechender, die Zunge beiß-
fender (scharfer) Kräuter gespeist. Das Ganze aber ist
für einen Europäer wenig behaglich, und oft geht man
mit hungrigem Bauch vom Tische; sodann wird so
schnell gegessen, wie bei den Türken; auch hier ist, wie
bei diesen, die Uebung, daß nach dem Tische die Hände,
das Gesicht und der Mund gewaschen werden. Für Un-
fereinen verursacht auch diese unappetitliche Sitte, Eckel,
fo wie die Art des Effens selbst. Es kam einst ein
Schaafkopf in der Haut auf den Tisch; jeder kneipte
430 Fünftes Buch. Siebentes Kapitel
mit den Fingern so lange daran herum, bis der Knochen
kahl war. Ich fand eine erwünschte Ursache noch vor
Beendigung der Mahlzeit aufzubrechen.
Kurz, stündlich lehnte ich mich zurück nach meiner
Eremitage, und täglich ging ich hin, um zu sehen, ob
die Raupen noch nicht alle eingesponnen wären. Nach
Verfluß von acht Tagen waren es alle, und die Ereig,
niß machte mir wahrlich nicht geringe Freude! Das
Gespinnst war so fest und hart, und gewährte eine solche
Güte der Seide, als beinahe fast nirgends in der Runde
herum! Der Hauseigenthümer machte mir ein freundlich
Gesicht, und lud mich ein, wieder zu ihm zu können ;
feine Kinder waren darüber vor Freude außer sich, und
die ganze Nachbarschaft sah meine Rückkehr gerne; mehr
oder weniger hatte jeder etwelchen Genuß durch meine
Gegenwart, und man hat hier, wenn man gibt, die
tröstliche Sicherheit, daß man keinem unwürdigen, son-
dern wirklich einem Bedürftigen gibt. Eine Kleinigkeit
in diesem armen Lande scheint eine beträchtliche Wohl
- - - -
Aber auf den guten Scheick Germanos wirkte das
Beziehen meiner vorigen Wohnung gerade das Gegenheit,
er konnte nicht begreifen, warum ich fort in das öde
Haus wolle; er meinte, daß er etwas versehen hätte,
und wollte mich nicht weglaffen; ich aber, um nach
meinem Wohlgefallen zu wohnen und zu leben, mußte
es darauf ankommen lassen, ihn in etwas zu erzürnen.
- - - “ - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - . . . . . . . . . . . . . .
- - - : -
- - - - - - - - -
- - ,
- -
- Neue Wirtschaft. 43
" Ich war nun wieder allein, konnte ungestört lesen
- und schreiben, kochen und effen, wie und wann ich wollte.
Eine Hauptsache war der Caffee *) am Morgen! Vor
„ dem Hause, etwa um sieben Uhr, setzte ich mich in die
Kühle, wo sich dann mein Gemüth im Anschauen der
Gegend verlor, die sich so still und ruhig vor mir über
„ - - s - - - - - - - - - -
Land und Meer hindehnte, nie ward sie mir gewohnt;
immer erschien sie mir neu und schön; über eine Stunde
dauerte mein vergnügtes Morgentrinken auf diesem Platze.
II - - - - -
So wars auch beim Nachteffen, auf eine Stelle so be-
schattet von Reben und einer Gattung Bäume, die schö- - -
„, ne, rohe Blumen trugen, gleich vor meiner Thüre,
trug ich gegen die Dämmerung mein Eisen und meinen
Wein, der im Munde angenehmer war als der beste Hin-
" beeressig; wie dieser aber eine Gattung Säure zurück-
- läßt, so hinterließ jener eine Süße nnd ein lieblich er-
wärmendes Feuer, nicht berauschend, sondern ungläublich
- - angenehm. Tiefere Dämmerung begann, und die Sonne
's tauchte sich schon lange ins Meer. Nicht wie in Aegypten
“ und unter Neapels Himmelsstrich, blendet hier das bren-
nende Abendroth; meist schwefelgelb und matt war der
Horizont, auch beim hellsten Wetter; länger blieb ich
fizen in der lieblichen Kühle **), die hier nicht schadet;
Mücken, Fledermäuse und dergleichen störten mich nicht.
Unter mir, über mir, in der Runde herum tönten Ge-
fänge und die Stimmen der sich einander aus der Ferne -
*-
'
-
*) Was ich, wie ich oben bemerkte, im Kloster Charissa
unter andern Umgebungen entbehren „konnte, war mir
hier wieder lieb geworden.
*) Ohne Thau.
42. Fünftes Buch. Achtes Kapitel -
/
zurufenden Bekannten. Bis gegen Bernt liegen,
Meere und auf den Gebirgen, begann ein Feuer a # s
andern aufzulodern; der Anblick glich einer fünf
Illumination. In liebliche Träume der Phantasie ät,
gewiegt, war ich Stundenweis wie in eine andere Welt
versetzt. Oft beim Erwachen aus diesen Träumen belegt
tete der helle Mond die Gegend, ich sah nach der urs
war Mitternacht, ruhig hatte ich geschlummert; das
begab ich mich in die in "meinen
Kauder sack, und träumte in jenen vorübergezogenen Sie
dern der Phantasie fort, bis an den Morgen, wo Mit
Sonne durch die Riffe und Spalten der Thüre und den
F: mir zu verkünden: daß es Zeit zum Eift
- -
Ich war nicht mehr neu, mithin von Seiten
weniger belästigt, die mich anfänglich belustigten, auf
die Letzte aber langweilten. . . . . . . . ."
- “ - -
:
- - , - - - - - - - - - - - . . .“
- … - K.
- - - - - - - - - - - - - - - - . . . . . . . "
. . . - -- -
- . . - - - -
. . . , . . .
8, - - - - - - -
- Die Seidenräder wurden Tag und Recht, Sout-
and Werktag im Gang erhalten und gehört. Auch in
Backusch arbeiteten die Mönche am Sonntag. In dieser
regen Zeit war ich eines Montag Morgens bei einige
Scheicks unter einem Baum gelagert.
Loustonau sah mich von ferne und kam auch; ich
fagte ihm von der Sonntagsbeschäftigung. Er erwidert
hitzig: „daß dieß unrecht wäre, weil man den Tag des
Herrn feyern müffe, Moses habe es klar befohlen. Ich
n
:
ist
g
Z
.
i
Bruch mit Loustonau. - 433
entgegnete ihm: Wenn er die umstände der Seidenmani-
pulation kennte, würde er anders urtheilen; *) er erwie-
derte aber noch barscher: „daß es keine Verhältniße oder
Umstände gäbe, die des Herrn Befehl aufhöben.“ Ich
berief mich auf die Stelle der Schrift, wo Christus diese
Sache deutlich erläutert habe: „Wenn am Sonntag der
Esel in die Grube falle, solle man ihn herausziehen, folg-
lich in Nothfällen Hand anlegen.“
Es erfolgte lebhaftere Rede und Widerrede, das Ge-
spräch war mir unangenehm. Die Scheicks konnten den-
ken: daß es immer zwischen uns so töne, auch wenn wir
allein wären. Ich sagte ihm: wenn er mehr nach Moses
ginge als Christus, so gehöre er zu den Juden. Er war
noch aufgebrachter, und hatte die Güte mir hinzuwerfen :
„ich schwarze wie ein Diodor!“ Ich dankte für die Höf-
lichkeit und sagte, daß er mich wenigstens in eine zahl-
reiche Klaffe versetze, weil vom Papste bis zum untersten
Kapuziner seines Bekenntniffes, vom ersten besten Geist-
lichen bis zum schlechtesten der meinigen, alle dieser Mey-
nung wären; hiemit wandte ich ihm den Rücken und ging
rechts, da er links einschlug, -
- *) Die eingesponnenen Manpen werden niemlich der Son-
nenhitze auf dem Dach ausgesetzt, um die Puppe darin
zu tödten. Nun aber war zeither die Hitze nicht in
dem hiezu nöthigen Grade, sondern eher dazu geeignet
. . das Ausschliefen des Sommervogels zu fördern, in
welchem Falle aber dann das ganze Gefpunst der Raupe
verloren und zum Gebrauche untauglich ist. Es war
also schnelle Beseitigung dieser Arbeit höchst dringend
und unaufschiebbar,
F e
r,
434 Fünftes Buch. Achtes Kapitel,
Ich könnte nicht sagen, daß mir der Bruch mit Louis-
tonau ganz unangenehm war. Seit ich mich allein be-
fand, stellte er sich immer und jeden Tag zur Essenszeit
ein. Anfänglich war es mir nicht zuwider, aber auf die
Letzte langweilte es mich sehr; nicht wegen den Kosten,
denn diese waren fehr unbeträchtlich, sondern wegen der
etwas zurückstoßenden Art und Weise sich einer verstüm-
melten Hand zu bedienen; zudem blieb er mit täglich
vier, fünf Stunden aufm Hals; genirte mich in meinen
Beschäftigungen und fiel mir durch die immer wiederholt
ten Tollheiten feiner Prophezeyungen und Auslegungen
der Offenbarung Johannis sehr beschwerlich; was mich
anfänglich belustigte, ärgerte mich auf die Letzte; er war
sehr hitzig und konnte keinen Widerspruch ertragen, und
ich, ich hingegen konnte nicht einsehen: aus welchen
Grunde ich verbunden sein sollte, permanente Narrheiten
geduldig anzuhören, oder mich in einer Gesellschaft mit
stimmen zu lassen, während ich allein sehr vergnügt ge-
wesen wäre. Er versuchte es späterhin zum zweiten Mal
Friede zu machen, ich wich aber aus, da er mir immer
mehr zuwider erschien. Hiezu kam noch, daß er sich in
der ganzen Gegend wegen feinen Prophezeiungen verhaßt
gemacht hatte. Bey meiner Abreise ließ ich ihn durch ei-
nen Bekannten ein versiegeltes Paquet zustellen, da seine
aus Frankreich gehofften und fchon lange erwarteten Beh-
feuern noch geraume Zeit ausbleiben konnten,
Mein Commiffionair oder Bediente war wegen Sci-
denverarbeitung, indeiß ich mich in Ballbeck aufhielt, weg
und kam bey fechs Wochen nicht wieder; nun war ich ge-
nöthigt bald zu diesem, bald zu jenem meine Zuflucht zu
nehmen. Kein ander Wort als arabischward verstanden,
Reife nach dem Cedernwalde. 435
“ und nothgedrungen mußt' ich mich befleißen, mich in die-
ser Sprache verständlich zu machen, auf die Letzte ging
es geläufiger als das Türkische. -
::
Auf meiner Reise nach Heliopolis durchzog ich einen
großen Theil des Libanons. Ich dachte mir diesen Berg
- - s - - -
voller Cedern und war begierig diesen Baum kennen zu
lernen, aber während sechs Tagen in denen ich den Berg
durchkreuzte, fand ich keinen Wald, wenigstens keinen
Platz der bey uns für einen Wald gelten würde. Eine
Menge Grün-Eichen und noch mehr der arbor vitae (eine
Gattung Sevi) die freilich zu sehr großen Bäumen an-
wachsen, fanden sich abwechselnd bald tiefer bald höher,
nicht aber als schattigte Waldung, fondern als einzeln
des andern erreichte, in dieser Gegend.
Aber gleichwohl fand sich ein Cedernwald aus uralten
Zeiten auf dem Gebirge. Das erfuhr ich vom Erzbischoff;
in Armenierkloster hört' ich die Bestätigung davon, und
in Ballbeck fand ich Leute von Bfcharrai, einem Ort,
- ganz in der Nähe des berühmten Waldes, die mir Wunder
" erzählten, theils wegen der Größe der Bäume, theils
von der abentheuerlichen Heiligkeit des Orts. So z. B.
wollten die Hirten von Holz dieser Cedern Gebrauch ma-
chen, um die Milch zu scheiden, aber die Milch verwan-
delte sich in Blut. Alle Jahre werden im August Meffen
“ von den verschiedenen christlichen Confessionen unter den
größten Bäumen gehalten. Am Morgen dieses Tages seien
- E e 2
stehende Stämme, wo selten der Schatten des einen den
435 Fünftes Buch. Achtes Kapitel,
die Steine an dem Cedern stamme ganz, und Abends alle
durchlöchert, und dergleichen. - “
Die Hälfte dieser Berichte genügte zum Entschluß
diesen Wald zu besuchen; aber ich war auf der eng,
gengesetzten Seite und es ging ein Gerücht, als sey die
Pest in Bscharrai. In Daraoun wollte man mir diesen
Ausflug verleiden: „ich sähe nur Bäume wie an andern
Orten; ich setze mich der Pest aus, . . w... Aber mein
Entschluß war gefaßt; ich wollte gehen, koste es was es
wolle. Endlich beseitigte ich alle Hindernisse und reiste
den dreyzehnten July dahin ab. - - -
---
s
Das Reisen ist hier zu Land nicht so kostspielig wie
bey uns! Ich beritt ein zierliches Maulthier, der Führer
einen Esel. Für alles bezahlte ich täglich drey Piaster
(ungefähr 18 bis 19 Batzen hiesigen Geldes), das Fut.
ter kam auf Kosten des Führers. Den ersten Tag ging
es den nämlichen Weg wie nach Balbef, dann aber ward
abgelenkt und eine andere Bergkette bewandert. Es fand
sich weniger Schnee als auf der frühern Reise durch diese
Gegend, und die Plätze, wo die schönen, rothen Blumen
fchimmerten, waren nun lebhaft grün. Wir begegneten
mehrern Hirten mit Doppelflöten, die aber mit Geßners
nichts anders als dieß gemein hatten. Der Ton klang
nicht übel und war erfreulich in dieser verlaßnen Schöpf,
ung! Der Pfad leitete meist über den höchsten Rücken
des Gebirgs, und in der tiefsten Tiefe fah man oft hie
und da ein Kloster, wie auf verlorner Schildwache, hin-
-
Reife nach dem Cedernwalde, 437
“ gebaut. Häuschen lagen in der Runde herum mit ihren
- Umgebungen von Seidenpflanzungen. Es muß, wenn
fchon tiefer Schnee in diesen Thälern, oder vielmehr Lö-
en chern, liegt, nicht so kalt machen, wie bey uns, da der
Maulbeerbaum nichts von der Kälte leidet. Ich schlief
Unter einem solchen, als wir auffer dem Dorfe A chorg
übernachteten. Die Einwohner waren vorsichtig wegen
der Pest; wir durften kein Haus berühren, hingegen
" brachte man unentgeldlich Brod herbey und legte es ferne
: von uns auf den Boden. - - - -
Morgens bey. Tagesanbruch gings weiter, immer
über steile Pfade aufwärts, oder gähe hinunter. Um den
Mittag erreichten wir einige kleine Thäler, umzingelt von
höhern Gebirgen. Sparsam proßte hin und wieder Gras,
“ und siehe da, unvermutet ein kleines Lager wandernder
" Araber in verschiedenen Abteilungen. Das Ganze mochte
etlich und dreyßig Zelte betragen. Es war überraschend
hier mitten in einem christlichen Lande ein Trüppchen
Heiden *), wie mitten in Türkischen oft einen Trupp
-
*) Wenn zwey Araber sich begegnen, fo nähern sie sich ein-
ander, die rechte Hand auf die linke Seite der Brust be-
. wegend, und von da des Begegnenden flache Hand be-
rührend: „Salaman“ ist der Gruß des einen, „Taib“
„ der Dank oder die Antwort des andern , auch wenn sie
früher einander nie fahen. Kennen fiel sich aber, fo ist
die Freude des Wiedersehens anhaltend wirksam, und
- äußert sich, wenn nicht in vielhaltigen Worten oder Kom-
f plimenten wie bei uns, doch in vielfachen Wiederholun-
gen. Oft war ich Zeuge, wie es gegenseitig über eine
438
Fünftes Buch. Achtes Kapitel,
Christen zu begegnen; fie hatten beträchtliche Heerden
von den verschiedenfarbigsten Kameelen, nebst ihren Jun-
gen, von Hornvieh alt und jung bey sich. Prachtpferde
*) mit Füllen; Schaafe und Ziegen belebten die Thüler
des kleinen Bezirks. Die Ziegen waren besonders schön,
Silberfarb und weiß mit langen Haaren, beinahe bis auf
den Boden; sie gleichen den angorischen, nur daß dieser
ihre Haare feiner sind. Die Zelte dieses Trupps war
nicht so elegant, wie die in Aegypten, alles aber arbei-
tete darinn, was Weiber und Kinder waren, wie bey jr-
MEN,
Die Truppe schien übrigens ärmlich" und ist
«)
Minute fortdauernd schallte: „Salaman - Salaman -
taib – Salaman – taib – taib – taib taik-'
Aber eben auch dieser herzliche Gebrauch der geg"
feitigen Händeberührung verbreitet die Pest unsäglich
schnell durchs ganze Land.
Wie in gewissen Ländern das daselbst geheiligte Perga-
ment die Namen der Ahnen und dem zufolge das Abiprol
fen von edelm Geschlecht beweiset, so in den Morgen"
dern, hauptsächlich in Arabien, wird der Adelsfamm"
Pferdes dargethan. «- -
Aufgewiesen wird, daß das Füllen von dem der "
fem Hengst erzeugt, der oder dieser Stute und keiner
andern geboren worden fey. Die Unterschriften der Zeu
gen dienen als Urkunden und Beglaubigungsscheine für
defen edle Abstammung. Der Preiß wird nach Maß"
und Beschaffenheit des Geschlechtsregisters gesteigert. ?
Pferde gelten schwere Summen, wenn sie es werth find,
sogar auf dem Libanon sah ich Stuten, für welche über
2000 Piaster bezahlt wurden.
::
:
Der Cedernwald. 439
keineswegs von Wohlstand, wie die an der ägyptischen
Gränze. Der Fürst des Gebirgs gestattet ihnen gegen
Bezahlung die Nutznießung der Weiden und den Aufent-
halt auf diesen Höhen. - -
Weiter gings vorwärts, endlich in der Abendsonne,
uns gegenüber, etwa sechs Stunden entfernt, sieh da,
der Cedernwald!
Ich möchte wohl meine Freunde fragen: welche Vor-
stellung sie sich machten von Libanons Cedernwald? Wenn
ich nicht irre, so wird sie ungefähr derjenigen gleichen,
die ich hatte, eh’ ich denselben an Ort und Stelle fah,
so daß ich mir die Höhen und Berge nach allen ihren
Ausdehnungen, sich gleichsam dem Auge verlierend, mit
Cedern überdeckt, als Wildniß dachte, die, beschattet
von diesem Baune, fast undurchdringlich wäre. So un-
gefähr war meine Vorstellung!
Reisen berichtigt die Ideen; statt den gedachten,
fand ich den wirklichen Cedernwald –– so groß, daß
man ihn in einer Viertelstunde umgehen könnte.
Ich scherze nicht, es verhält sich wirklich so! Ganz,
wie verplüft war ich, als man mir das Trüppchen Bäume
wies Freylich hob es sich lebhaft aus dem kahlen Felsen,
einen Halbkreis bildend, hervor. Nichts war indes Grü-
nes zu erspähen, als eben dieß Wäldchen. - -
40 Fünftes Buch. Achtes Kapitel.
Das Dorf Bscharrai lag einige Stunden näher. Ich
vermag es nicht, seine prächtige Lage zu schildern, sie ist
einzig in ihrer Art, so wie es überhaupt die ganze Ge-
gend seit einigen Stunden Weges bis dorthin war. Die
romantischen Felsen - Landschaften unserer kleinen Kantone
mögen mit ihr verglichen werden, und in eint und andere
Rücksicht sie wohl noch übertreffen.
Man sieht oft in Abgründe hinab, wo der Blick den
Boden unerreicht läßt; am Felsenabhange klebt einen
Schwalbennest ähnlich das Kloster Marlis cia; nie
sah ich eine grauenvollere Lage wie diese. Wohlen-
sagte der Stifter desselben der Welt, als er sich in diese
Umwelt begrub! -
Ueberhaupt scheint kein Abgrund zu tief gewesen zu
feyn, an welchen man nicht ein Kloster zu bauen ge-
wagt, und, welch ein Kontrast des Geschmacks! keine
Höhe zu steil, auf welche man nicht ein Kloster hing-
zaubert hätte. t - -
Bey der Dämmerung erreichten wir Bscharrai. Die
Einwohner scheinen muntere, aufgeweckte und sehr betrieb-
fame Leute. In einem Kloster ward ich aufgenommen;
es hauste nur ein einziger Pater darinn; er wies mir
eine dunkle Zelle an; aber des heitern Himmels gewöhnt,
wählte ich mein Nachtlager im Hofe auf Quaderfeiner,
über mir eine Reblaube. - -
F.
9,
Es graute der Morgen. Ich betrieb die Weiterreise,
und so wie die Helle mehr begann, bezauberte die herr-
liche Lage von Bfcharrai meinen Blick. Es ist als wären
über die öde Felsengegend, Fruchtfelder hingegoffen. Mit-
ten unter denselben erhebt sich der liebliche Ort; Sil-
berpappeln wehen bald einzeln, bald als Wäldchen in ih-
rem schlanken, hohen Wuchse, und der Faden eines Waf-
ferfalls stürzt in einem herrlichen Bogen über das Gebirg,
rauschend und schimmernd, bis vor den Ort, und bewäf-
fert die ganze innenliegende, fruchtbare Gegend.
Der fchmale Pfad leitete neben fchroffen Abgründen
vorbey; dem Schwindel unterworfen, ging ich oft zu
Fuße; kamen uns Menschen oder Vieh entgegen, fo war
kaum auszuweichen. Die Morgensonne beglänzte lieblich
die nicht weit entfernten Schneeschichten von Libanons
Gipfel. Je näher man kam, je gespannter war meine
Erwartung, die Cedern zu sehen, von denen da steht:
„daß Gott der Herr sie selbst gepflanzt habe.“ Nahelie-
gende Hügel verdeckten mir die Ansicht des Waldes; nur
zweimal sah ich etwas weniges davon. Die dritte Stunde
führte der Weg durch eine Ebene, die dem Walde wage-
recht lief, er blieb uns aber noch immer durch die vorste-
henden Hügel verborgen, so daß man nichts davon sah,
bis man sich plötzlich unter der ersten Ceder befand.
Ich kann nicht sagen, wie mir ward: War es der
Prachtmorgen, war es die Stille, der ich so hold bin,
war es die reine Luft , oder der Anblick eines schattigten
Waldes, den ich so lange entbehrte, und der immer wohl-
Q
ueber die Eedern. 44
–
442 Fünftes Buch. Neuntes Kapitel,
tätig auf mich wirkt; oder war es endlich das Neue und
Groffe des Anblickes selbst! Kurz es war ein Morgen,
den ich unter die vergnügtesten und interessantesten mei-
nes Lebens zähle. -
Was soll ich nun aber erzählen von diesen Plan,
zen, auf die ich jetzt meinen Blick richtete, unter deren
Schatten ich mich befand, und deren Daseyn vielleicht
Jahrhunderte weiter hinaus reicht, als das von Aegyp-
tens Pyramiden! Was ich sah und empfand, das kann
auch nur einzig hier empfunden werden, da es in der
ganzen Welt einzig hier zu finden ist! -
Der Umfang des Waldes ist, wie fchon bemerkt vor-
den, fehr unbeträchtlich, anders verhält es sich mit sei
neit Bestandtheilen, welche die Hauptsache ausmachen,
inn vergißt der Nebenfachen, indem man jene anfällt,
Neun Hauptcedern, ausgezeichnet vor den andern
allett durch Umfang und Alterthum, nicht durch Höhe")
*) Weit jüngere übertreffen sie in dieser Hinsicht; die, wel-
che ich zeichnete, ist die Größte unter den Neunen; das
Bufchwerk an der felben ist vom Künffler, der die Zeich-
nung kopierte, zu dicht dargestellt, und verleitete zu der
ZIdee, daß die Cedern alle denselben Wuchs und die näm-
liche Beschaffenheit hätten, wie diese. Dieß ist nun aber
keineswegs der Fall; es sind, wie bereits bemerkt wor
den, nur die Neum, welche die Form der von mir abge
zeichneten haben. – Die übrigen nögen ihrer Afung
nach eher den Eichen verglichen werden; indeß haben sie
in der Nähe das Ansehen hoher, schlanker Tannen, an
er daß die Aefte weit mächtiger und kräftiger sich aus
fpreiten als bei jenen. Nur jene wenigen uralten Ceder
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Ueber die Ce der 1. 443
zählte ich; ich maß den Umfang des Stammes der größ-
ten mit einem Seile, etwa vier Schuhe vom Boden,
und fand ihn zehen und eine halbe französische Aunes.
Ein einziger Ast hielt bis zum gebrochenen Ende dreißig
Schritte Länge. Der Stamm, von fünf der größten,
besteht in drei bis vier Abtheilungen, von welchen jeder
Einzelne an Umfang dem Stamme unserer stärksten Ei-
chen gleichkömmt. -
Das Gewächs der Ceder selbst gehört wohl zum Ge-
schlecht des Nadelholzes, ist aber weder Tanne, noch
Forre, auch nicht Lerche, obgleich die jungen Cedern
Aehnlichkeit mit diesen haben; die zerstümmelten Büschel
gleichen beinahe den Reckholder und der Geruch erinnert
an den des Arbor vitä. Das ausgezeichnete Schöne der
Pflanze sind die straffen, kräftigen, sich weit ausdehnen-
den Aeste, und was keine Baumgattung mit dieser gemeint
hat, die Sprödigkeit des Holzes, sogar der zartesten und
kleinsten Zweige, die sich brechen wie Glas, besonders
bey den Alten. Diese mahnen von Ferne an Roms Pig-
nen, eben aus dem Grunde der Brüchigkeit, da der tiefe
Schnee die obersten Aeste immer abknickt, die jungen Cº-
dern aber, sich biegend bis zu einem gewissen Alter,
widerstehen, und also die Alten für den Augenblick über-
wachsen. Die Aeste find sehr dicht von Nadeln und sich
büschelnd; aber überaus zart und von prächtig, lebhaf-
tein (Grün,
also, deren Wipfel oder Kronen durch die Schneelasten
abgedrückt wurden und bei welchen dann die Nahrung
um so stärker nach den Seitenästen treibt, gleichen der
Gezeichneten.
444 Fünftes Buch. Neuntes Kapitel
Ich glaube nicht, daß dief er Baum anderswo im
der Welt wachse, oder anzutreffen sein, ,
Der ganze Wald mag wohl nicht über acht bis neun,
hundert Stämme halten, kleine und große innbegriffen,
Eine Menge Namen von Engländern finden sich auf den
größten eingeschnitzt. Da die Buchstaben schuh, hoch sein
folten, fo finden sich Stellen, an denen die Rinde mich
“Schuhe in die Höhe und Breite weggeschnitten,
de. „Auf den jungen, und denen von mittlern Alter, he,
fanden sich Früchte *) in der Größe eines Eyes; hell
grün mit braunen Ringen und Flecken, standen sie alle
ganz aufrecht auf dem Grath der Nebenäste. Auch diese
Eigenthümlichkeit der Cederfrucht unterscheidet sie von
andern Nadelholz; übrigens hat sie durch das ganze
des Innern sowohl, als in Rücksicht des Form, Wer
wandfchaft und Aehnlichkeit mit demselben,
Der schattigte Wald ruht auf sechs bis sieben hin,
lichten Erhöhungen. Zwischen inne sind beträchtliche
Fefenbrocken; mehrere Hauptstämme sind von Strahl
des Himmels halb abgebrannt; einer der schönsten zu
darnieder gestürzt. Von den Verwandlungen der gefecht
ten Dinge, wenn man dieß heilige Holz zum zentral
machen mißbrauche, fand ich, entgegen den Aufrungen
in Ballbeck , keine erwahret. Bestens gerieth mein Gle
ria-Cafe, eben so blieb der Reiseren, den ich in
falls auf den Feuer des Cedernholzes kochte, weiß wie
) Aehnlich den Arven des Bernerschen Oberlandes, als
, denen die Nüßli gegen auszehrende Krankheiten gebrauch
werden,
h
- -
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- . Ueber die Cedern. - 445
„ Milch und schmeckte gut wie Rahm, als ich hier mein
Mittagmahl zubereitete. Stücke von Schnee kühlten den
„ guten Wein. -
Bis an den Abend verweilte ich im Schatten dieser
„ wahrscheinlich ältesten Pflanzen der Welt. Wie sehr
wünschte ich hier, in Ballbeck und an andern Orten we-
nigstens Tusche und Pinsel zu haben, um mein seit lan-
- gen Jahren nicht mehr geübtes Zeichnen, wieder in Et-
was zu versuchen. Einzig mit Bleyfift war sogar wenig
-
---
anders zu leisten, als kahle Umriffe *).
von
- Seit vielen Jahrhunderten ist es von der Landesbe-
it hörde verboten, eine Pflanze des Waldes zu beschädigen,
Für die Neugierigen findet sich dürres Holz hinlänglich
vorhanden, um während dem Aufenthalte das Nöthige
“ zu kochen.
- Noch in Schein der Abendsonne wurden ein paar
Stunden vom Rückwege gemacht und vor einem Dorfe,
sº unter einem schönen Nußbaume übernachtet. Der Voll-
tmond verwandelte die Nächte in halbhelle Tage, warm
„f und thaulos waren alle auf diesem Ausfluge. Am folgen-
den Morgen kamen wir wieder durch interessante Gegen-
den. In der untersten. Tiefe am Wasser zeigten sich Grot-
- -
- --
*) Da aber auch diese umrise nicht ohne hohes Interesse
sind, so hat sich der Herr Verfasser endlich verstanden,
einige derselben diesem Werke beizufügen. -
-
446 Fünftes Buch. Neuntes Kapitel,
ten in den Felsen, welche so hoch waren, daß der Straße
burger Münster füglich hätte hineingestellt werden kön,
nen. – “ , -
Ich verwunderte mich auch auf dieser Reise wieder
über das Ausdauern der Thiere, welche des Tages zwölf
bis fünfzehn Stunden anhaltend ohne Fütterung und
Rasten zu machen im Stande waren. Von einer Höhe
herab warf ich den letzten Blick auf die schöne Gegend
und die merkwürdigen Cedern. --- -
" Eine Gebirgskette, von der Länge einer Tagereise,
dehnt sich über die oberste Höhe des Libanons gegen den
Wald hin. In der Tiefe des Halbzirkels, den sie am
Ende um denselben bildet, hebt sich derselbe wie ein
schwarzer Fleck aus dem falben, blendenden Felsenland
hervor. Nichts anders. Grünes in jener Nähe als das
der Cedern.
- Der Libanon hat nicht die Beschaffenheit, wie unser
hohen Berge. Man sieht auf seinen Höhen keine Zacken
und Stöcke von Schnee, die als Gletscher sich über die
Hauptlinie erheben. Beynahe in wagerechter Flucht vor
gen die obersten Linien an einander hin, nur wo die
gleichern. Abhänge sich in starken Abfällen oder Winkel
berühren, bleibt in der Mitte die Schneeschlucht auch den
Sommer über. Weißgelb, wie schmutzige Kreide, er
scheint die steile Felsenwand; ohne Spur von einiger
Vegetation auf der ganzen Fläche, wirkt die falbe Farbe
des Gebirgs und das Hellblau des Himmels, beides an
-
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Vor the ille des Turbans, 44 /
und für sich sanfte Farben, doch blendend auf das
Auge. *)
Ich kann mich nicht enthalten, noch mit ein paar
Worten den Turban zu loben. Ich verstand es auf die
Letzte, ihn künstlich zu winden. Besser als der Hut
fchützt er vor dem Blenden und der Hitze der Sonne;
weht ein heftiger Wind, daß man sich bey nahe in einem
beständigen Kampf mit feinem Hut verwickelt sieht, weil
da der Sturm uns unsere Hauptzierde streitig zu machen
fucht, und einem bald der Krampf anwandelt: so sitzt
der Turbanisierte ruhig auf feinem Pferde und läßt pfef-
fen den Wind durch Hecke und Dorn, weil eher der
Reuter vom Pferde genommen, als feine Haupt-Bedeck-
Ung ihm entführt wird: nicht zu gedenken der Hauptfa-
iche beim Begegnen mit Andern, wo man, um seine
Höflichkeit an den Tag zu legen, oder feine Ehrerbietung
zu bezeugen, wohl Viertelstunden chapeau bas zu paradi-
ren hat, oder wenigstens nicht der Erste feyn will, der
feine Haare zuerst unter Dach zu bringen bemüht ist.
Wie bequem, gegen diese Schererey des Hutabziehens,
ist die leichte Bewegung der Hand gegen die Brust, die
w-
- *) Die Schneestreifen reichen am Libanon von oben bis an
die Mitte des Gebirges herab in erhöhtem Lichte gegen
das lebhafte Azurblau des Horizonts vom Strahl der
Sonne befeuret. -
“
-
448 Fünftes Buch. Nennt es Kapitel.
- ,
man im türkischen Costüme als Höflichkeitsbezeugung
ausübt.
Nach meiner Rückkehr vernahm ich die frohe Nach-
richt: daß in der Tiefe die Pest gemildert habe, und ich
bald ohne Gefahr nach Beirut abreisen könne. Noch
machte ich einen Abstecher nach Sugk, zwei Stunden
von Daraoun. Die Hälfte des Dorfs besteht in Welt,
reyen der hier üblichen Räcke für Männer; ich konnte
die künstliche Arbeit, als ich sie früher sah, nicht bei
greifen, hier aber ward sie mir sogleich deutlich. Mit
unglaublicher Adresse, durch vielfältige uebung erworben,
wird mit den Fingern eine gewisse Anzahl Fäden gehebelt
und das Schiffchen geschossen. Die Gewißheit des Grifs
der Zahl der Fäden, die in möglichster Schnelligkeit ge-
hoben werden, ohne Mehr oder Weniger, geht so richtig
wie ein Spiel der Mechanik. – Diese Fertigkeit ist so
bewunderungswerth, wie die Arbeit selbst, -
Einer mir sehr auffallenden Erscheinung muß ich
noch erwähnen. Seidenwürmer und Maulbeerbäume um
ter demselben Himmelstriche, sollte man meinen, mit
den auch gleiche Erzeugnisse hervorbringen. Woher mag
es also wohl kommen: daß alle Puppen ( cocous) in
Sougk weiß, nnd nur eine Stunde weit davon goldgelb
sind? Die Seide der erstern ist weit schlechter, als die
der letztern. -
St. Johann breche immer die Pest, hieß es, weil
dann die stärkere Hitze beginne. Aber St. Johann war
schon lange vorbei, und noch war die Krankheit her
fchend; jetzt sagte man: daß dieß in Aegypten gelte, hier
aber vier Wochen später erfolge.
- - -
Vergebne Prellerey. 449
- . " -
10, r
-
. . .
… Geschrieben in der Quarantaine von Alt - Orlowa. - -
" , - - - - - - -
Endlich, den sechs und zwanzigsten July, verließ ich
den schönen Gebirgs-Fleck. Es war mir, als schied ich
von einer zweiten Heimath. Morgens, vor Tag schon,
waren die Scheits vor der Hütte, mir das Lebewohl zu
sagen. Wie ein ruhiger Morgentraum, schwanden mir
die drey hier verlebten Monate vorbei. Wären es nur
fo viele Stunden als Tagreisen, ich hätte wahrlich den
dringenden Anforderungen: „doch wieder zu kommen.“
entsprochen! Ich verließ das Land, wo die Ziegen Myr-
then fressen, und der Lorbeer als Buschwerk aller Orten
fproßt.
Um drei Uhr Nachmittags war ich an der Gränze
des Gebirgs vom Fürst der Drusen. Eine zahlreiche Wa-
che lagerte an der Brücke. Die Verbindung war noch
nicht wieder hergestellt. Eine halbe Stunde früher mußte
ich ein Maulthier nehmen bis Beyrut. Der Mann ver-
langte drey Piaster; ein unverschämter Preis für hier
zu Land; was wollte ich machen! Ich mußte das
Verlangte eingehen. Die Wache rief mich zu sich; ich
mußte absteigen, zu ihnen sitzen und trinken. Jetzt frug
nach einer Weile der Hauptmann: was ich bezahle? ich
sagte das Verlangte.
„Schein und Spitzbube und alle arabischen Eh-
rentitel dieser Art, erschollen aus dem tobenden Munde
des Hauptmanns an den Eigenthümer des Maulthiers.
„Einen Piaster bezahlt ihr diesem Diebe da! Einen
und nicht drey, versteht ihr!“ Ich äußerte, daß ich ihm
", F f
450 Fünftes Buch. Zehntes Kapitel,
einen zweyten Backfis geben werde. „Nicht einen Patch
Backfis « fiel er mir heftig ins Wort, Einen Piaffier und
damit genug! Aehnliche Züge, einen Fremdling vor
Prellereyen schaamloser Leute zu schützen, findet man wohl
in Europa felten oder nicht,
abends kam ich wieder in Beirut an. Ich befin
mich förmlich wieder in der Türkei. Wenn es auch das
Kostüme nicht zeigte, so sagte, es schon von weitere
stolze, barsche Zuversicht und die Verschiedenheit der
Physiognomie, die so ganz von der der Christen auf den
Libanon abwich. -
. In der Nacht ertönte feierlich und schön der Ge-
ang von der Höhe der Minarets: „Gott ist Gott, einzi
ger Gott, und Mahomed fein Prophet! Kommt zum
Gebethe, kommt in den Tempel des Heils!“ Weit herum
war der Zuruf hörbar, da kein Geraffel von Kutschen
und Wagen in den Städten der Levante ihn hemmt
- - -
Vermummte Weiber durchhutschten schleppend die Gafen,
und Nachts ertönte das Hundegehen. -
Ich ging wieder in das Kapuzinerkloster, zu den
bei den unfriedlichen Friedensverkündigern; ich fand sie
um nichts gebessert, und in der gleichen Stimmung, wie
ich sie drei Monate früher verlaffen hatte.
Die Pest hatte in Beyrut wenig geschadet, und war
bei weitem nicht so stark, als man sie auf dem Gebig
ausgab, desto heftiger wüthete sie in Jaffa. Der gut
Pater Curato starb daselbst daran. Der Pascha soll der
dortigen Christen verboten haben, sich einzuschliefen, und
deswegen fielen die Opfer daselbst auch zahlreicher.
d
l
Kochen mit Citronenholz, 451 “
Der Sohn des ersten Commiffionairs in Beyrut be-
gleitete mich zum Kloster und hinauf nach der Teraffe,
wo ich gerne eine Stunde verweilte. Vorher kleidete ich
mich in andere Wäsche um; der junge Mensch hatte ei-
nen kurzen Frak a la mode, und war ganz dieser gemäß
gekleidet. Als der Sohn des ersten Commissionairs einer
nicht unbeträchtlichen Stadt, läßt sich dieß begreifen;
er "empfahl sich nach einer halben Stunde und ging.
Nach Verfluß einer andern halben ging auch ich; ich
suchte das abgelegte Hemde auf dem Bette, unter dem
Bette, in jedem Winkel. Fort war es! gestohlen von dem
galanten Musjö! Ich glaubte, an heiliger Stätte, in
Kloster die Thüre unabgeschloffen laffen zu dürfen; be-
fchloffen war sie, und erfuhr nun, daß dieß nicht räth-
lich fey. -
Die beiden Mönche lebten auf Kapuzinerfuß; sie
kochten selten oder nie, weil nichts zum Kochen vorhan-
den war. Einige behaupteten, sie hätten es des Geizes
wegen, Beyde Beweggründe mochten bey beyden fo ver-
schiedenen Charaktern statt finden. Ich kochte also selbst,
und machte mein Feuer von Citronenholz, das prächtig
flammte und gut roch; es lag ein Haufe vorräthig da,
wie bei uns anderes Holz. Die auf dem Gebirge selt-
nern Früchte genoß ich hier, nach langer Entbehrung,
in Ueberfluß. Inländische und indianische Feigen, Me-
lonen, Maulbeere, unvergleichliche Trauben und anders
mehr, -
Es läßt sich begreifen, wie sehr ich verlangte, bald -
eine Gelegenheit zu finden, von hier ab: reisen. Schon
so lange ward ich durch die Pest aufgehalten. Endlich
W-
Ff 2
452 Fünftes Buch, Eilft es Kapitel.
fand sich ein kleines Schiff nach Cypern, und ich verließ
in der Nacht des neun und zwanzigsten July das fest
Land von Afien,
11.
Man entdeckt Cypern bey recht hellen Abenden von
den Höhen des Antilibanon. Jedermann pries mit die
baldige Ankunft auf dieser Insel. Indeß fegelten wir
fchon zwei Tage, und man fah noch nichts von Cypern,
Das Schiffchen war sehr klein, und der Schiffmeister ein
ungeschliffner Kerl. Wie erstaunte ich, als er nicht ein
mal einen Compaß hatte. Diese Nautiker verlassen sich
ganz auf ihre Routine (Uebung), ohne die mindest
Kenntniß der Schifffahrt. Endlich, den dritten Tag,
hatten wir den Hafen Larnaca im Angesicht; wir war
ren ihm auch ganz nahe, als sich ein heftiger Wind er
hob, und das Schiffchen mehrere Stunden abwärts trieb.
Der Schiffmeister warf ganz nahe am Land Anker, aber
fo ungeschickt, daß er ausschlüpfte, und das Schiff al-
mählig vom Wind auf den nahen Felsen getrieben wurde,
Der Tropf wußte sich gar nicht mehr zu helfen, fing an
zu weinen, und sprang in das Waffer, um das Schiff
mit dem Rücken vom Felsen abzutreiben. Eine halbe
-, Viertelstunde von uns entfernt, lag ein anderes Schiff
vor Anker, und unser Schiffmeister rief nun dieses um
Hülfe an. Zwey Matrosen kamen herüber geschwommen;
es genügte nicht, es kamen vier andere daher schwimmend;
1.
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zit
s“
Larnaca. - 453
indeffer blockte *) aber das Schiff immer auf dem Felsen
auf, und Türken und Griechen sprangen, um sich zu ret-
ten, nach einander bis über die Hüften ins Meer, und
wadeten dem Trocknen zu. Mein Felleisen war in der
Kajütte; ich wollte es nicht im Stich laffen; wenns
noch so schlimm ging, so konnte ich mich immer auf meine
Schwimmkunst verlaffen; nur noch zwey blieben bey mir.
Das Schiff ward gelöst, und wir waren froh, nicht
durchnäßt worden zu feyn. Mittags darauf landete man
in Larnaca. Ich hatte alle Mühe, im Wirthshaufe auf-
genommen zu werden, weil man noch Furcht vor der Pest
hatte. Mein Anzug vermehrte noch die Schwierigkeiten.“
Endlich aber ward mir doch ein Zimmer angewiefen.
Ich könnte nicht sagen, daß der Anblick von Cypern
großes Intereffe gewährte; es ist meist kahle Gegend und
wenig bebautes Land. Das Innere des Landes kenne ich
nicht. Ich befand mich nun auf den Boden, wo der welt-
berühmte Wein wächst, und gleichwohl hätt' ich gerne
einen Nenthaler bezahlt, um eine Maß unsers fauern
Seeweins; der gewohnte Tischwein hat gar nicht mehr
den Geschmack des Weins; es war mir als trinke ich
eine Gattung gebranntes Waffer; zudem hat alles einen
unausstehlichen Geruch nach Theer. Die zwei Drittheile
Waffer, welche man, um ihn trinkbar zu machen, dar-
unter mischt, machen ihn fade; if weniger darin : „fo
steigt er in den Kopf.“ Der süße Cyperwein, Com-
man da ria genannt, ist äußerst vehement (hitzig), und
wird erst durch die Länge der Jahre gut. Gegen Liba-
nons Gewächs hielten diese Weine keine Vergleichung
*) Anschlagen, anklopfen, schweiz. Idiotism. -
454 Fünftes Buch. Eiliftes Kapitel,
aus. Hier war's, wie in Aegypten; nie genug durfte
ich effen, wenn ich nicht besorgen wollte krank zu wer,
den; Früchte gar keine. ", "
Welch ein Unterschied gegen Libanons gefunden. Hi.
hen. Uebrigens wunderte man sich dort über mein we-
niges Effen, und konnte nicht begreifen, wie ich auf die
fem Fuß leben könne. Wirklich war mein Effen daselbst
nicht der Mühe werth; es war, als hätte ich mein Mal,
gen verengert oder zusammengezogen durch das viele und
öftere Hungerleiden auf dem Meere, und in Ober, Alte
gypten , zur Fastenzeit in den Klöstern, und während
den Reifen durch die Wüste. Das Bedürfniß des Essens
ward unglaublich beschränkt und ich konnte, so zu sagen,
mit Nichts leben.
Famagusta , eine alte, zerstörte Stadt, von den
Venetianern erbaut, blieb auf sechs bis acht Stunden
von uns entfernt; an dem einen Ende der Insel Cypern
lag das einst so glänzende Paphos; noch jetzt sieht
man Ruinen von Cytherens Tempel. Was sieht man aber
in Griechenland wohl anders, als Ruinen in der Bau-
kunst, wie in der Staatsverfassung?
Die Umgebungen von Larnaca sind sandigt und öde,
wenige Palmen erheben sich hin und wieder, und, wo
sich etwas Grünes auf dem Boden zeigt, so ists der
Kapernstrauch. Die Blume ist ungemein schön, aber so
heikel, daß sie keine halbe Stunde nach dem Pflücken
ausdauert. … Die Frucht wird hier täglich und häufig ge-
1. Schädlicher Wind. 455
n noffen; mit dem Fleisch kömmt stets eine Schüffel mit
tz. Kapern zugleich auf den Tisch; dieß Zugemüse ist fo an-
genehm als gesund. - -
zit: Die Bauart ist hier wieder von ganz andern Schla-
um ge. Kleine, niedrige Häuschen, geschmirgelt und niedlich,
gilt mit gleichförmig glattem und ins grau fallendem Anwurf,
zu scheinen sie von Packpapier überzogen; Dächer fanden
in sich, aber so niedrig, daß sie kaum zu bemerken waren,
Selbst die Fenster waren etwas Neues für mich, der
„ zweirädrigen Capriolets der Consuln nicht zu gedenken.
Eines Abends erfolgte ein heftiger Windstoß, siedend
ist heiß, kaum zum Aushalten, doch nur einige Minuten
- dauernd. *) Dieser Wind verursacht Krankheiten bey-
Menschen und Vieh, und wird in der Wüste tödtlich,
wenn man sich nicht fchnell auf den Boden wirft. Ein
Glück ist es, daß er nie lange dauert.
Ich follte mit einem Schiffe, mit Baumwolle be-
frachtet, abreisen; der Kapitain, ein Grieche, versprach
- - - - -
mir drey Tage nach einander, mich an Bord zu führen,
und mir den Platz zu zeigen, den ich haben könnte: „ ich
würde aber fehr übel feyn. “ Ich war des Uebelfeyns
*) Bey der Abreise aus Aegypten fah matt allen Sand bei
diesem Winde emporwirbeln; das Land war in grauen
Nebel eingehüllt, die Hitze unerträglich, fiel blos augen-
blicklich beschwerlich. Der Kapitain verdeutete: wie es
j jetzt auf dem Lande so schlimm aussähe. Es war der
Crans (arabisch) türkisch Samiel, der dort tobte, fs
- unerträglich als gefährlich. Seine Zeit ist im Frühling,
nur noch felten im May.
456 Fünftes Buch. Eilft es Kapitel,
fchon gewohnt, und machte mir nichts daraus. Aber es
blieb bey dem Versprechen; der Mann hielt sein Wort
nicht. Graeca fides! - -
Ich hatte nichts verloren durch dies schlechte Bt-
tragen, wohl aber gewonnen. Der Capitain eines andern
Schiffes, auch ein Grieche, entschloß sich, abzureisen,
ohne volle Ladung zu haben. Es war die erste Fahrt des
Schiffes; ganz neu lief es unlängst in Scio vom Sta,
pel; ich konnte die kleine, aber niedliche Kajütte ganz
allein für mich haben, und bezahlte nicht beträchtlich
viel mehr, als der andre für einen schlechten Platz fo-
derte. O wie oft war ich während den dreißig Tagen,
welche diese Schifffahrt dauerte, so zufrieden, dieß be-
queme Zimmerchen in den neuen Schiffe zu haben, in
welchem weder Mäufe noch Käfer, noch anderes Ungezit-
fer sich eingenistet hatten, und in welchem ich vor Kälte,
Wind und Regen geschützt war. Es ist um diese Zeit,
und noch ein paar Monate früher, auf dieser See immer
derselbe Wind ; abwechselnd mehr oder minder stark,
treibt der Ostwind den Archipel herunter. Von Ko-
stantinopel, Smyrna und Salonichi aus kann man in
dieser Jahreszeit in die mittäglichen Länder auf sehr
schnelle Reife zählen; umgekehrt, wars eben so sicher
eine langwierige Schifffahrt, ein Kampf mit immer an
haltendem Gegenwinde, der auch jetzt nicht ausblieb,
Ich hatte bei meiner Abfahrt einen Vorrath von L-
bensmitteln mitgenommen. Reis, Hühner, Eyer, Käse,
und einen Sack voll Bisquitt (Zwiebak, der hier sehr
weiß und gut ist). Am sechsten August bezog ich meine
Kajütte; die Gefellschaft bestand aus etwa einem Dutzend
1.
:
r:
3:
j:
Mit
g
a:
1 :
n
g“
g
g
---
-
Feuer auf den ufern von Cypern. 457
Griechen, und drei oder vier Türken. Ich hatte wenig
Genuß davon, fuchte auch keinen, da ich in meinem Zim-
nerchen zu lesen hatte und schreiben konnte. Alle Uebri-
gen blieben auf Baumpollen-Ballen hingelagert, Tag
und Nacht, während der ganzen Schifffahrt auf dem
Verdecke. - -
Der Wind ward etwas ruhiger; mit Laviren hatte
man die Nacht über schon ein Stück Weges gemacht, und
Larnaca aus dem Gesichte verloren; nicht fo Cypern, das
während fünf Tagen, wie ein Magnet, unser Schiff wie-
der an seine Ufer zog. Um eine halbe Stunde Weges
zurückzulegen, steuerten wir oft drey bis vier Stunden
lang mühsam in die offene See. Die ganze Strecke der
Küste mußte durch ein anhaltendes Laviren erkämpft wer-
den. Oft, wenn der Wind gar zu heftig war, floh man
ans Gestade, und brachte an demselben Stunden und
halbe Tage zu; man vertrieb sich die Zeit mit Fischen,
Baden, Austern- und Seefrüchte-Suchen, und beinahe
immer, wenn man bald abreiste, mit der Anlegung einer
verheerenden Feuersbrunst in der wildbuschigten Gegend.
Das Gras war durch die sengende Hitze und die regen-
lose Zeit durchgehends welk, hingegen gedieh desto besser
der Dornstrauch, das Nadelholz, die wilde Olive, die
Gebüsche des wilden Lorbeers. Wie man nur einen Feu-
erbrand ins dürre Graswarf, so ward allmälig das Busch-
weit ergriffen, und praschelnd loderte das Feuer hoch em-
por. Eine Gattung Dornen , die eine Höhe von zwanzig
Schuhen erreicht, verursachte ein Getöfe, daß man in
der Nähe sein Wort nicht verstand; eine prächtige Flam-
me verbreitete sich knisternd über die übrigen harzigten
4ss Fünftes Buch. Eiftes Kapitel
Stauden; überall nahm die Brunst überhand; die Erde
fähien Feuer zu speyen. Oft hatten wir bey diesem Spielt
kaum so viel Zeit, einem Flecke, den die Flamme ergriff
lachend zu entfliehen, und uns außer die Hölle zu retten,
Manchmal, fchon bey Stunden auf dem Schiffe zu,
rück, leuchtete zur Nachtzeit plötzlich die erloschen gt,
glaubte Flamme wieder hell empor, und gewährte durch
die Beleuchtung des ganzen benachbarten Gestades, einen
schönen Anblick. Am Morgen war dann ein Bezirk von
oft mehr als einer Stunde kohlenschwarz.
Zwischen den Felsklippen fahen wir blendend weißes
Salz in Menge. O daß wir es statt dem theuern, sechs
Kreuzer Salz in der Schweiz hätten!
Den fünften Abend waren wir ganz nahe an Paphos.
Welch Unterschied des Ehmals und Jetzt! Wahrlich diese
Lage verdiente einer Huldgöttin geweiht zu feyn! Nicht
Kühnes, Großes, Ueberwältigendes macht die Schönheit
dieses Bezirks aus, sondern es ist eine über alle Beschreib-
ung gehende Anmuth, Ruhe und Heimlichkeit *), da,
wo sich ein geringer Vorsprung der Insel tiefer aus den
Gewäffer hebt; zum lieblichen Abhange werden die Wölf-
ungen der Gegend und fchattigt buschigten Anhöhen; ein
paar höher liegende Hügelchen gewähren einen überaus
reizenden Anblick, der aber durch ein entfernteres, hö
heres Gebirge beschränkt wird. Ich konnte begreifen,
daß wohl schwerlich in Griechenlands Gewässern eine
*) Häusliche, heymathliche Anmuth.
„In stiller Heimlichkeit, umzielt mit engen Schal
- ken.“ Bey unferm Haller.
\,
s
g
Paphos. - 459
schicklichere Gegend für die Göttin der Liebe zu finden
war, als die fe, - -
Wie gerne wäre ich nicht an das Land gestiegen,
um diese bezaubernde Gegend ganz in der Nähe zu '
und die Ueberbleibsel des einst so berühmten Venustem-
pels zu besuchen; aber es erhob sich günstiger Wind,
man steuerte in die offene See hinaus; bey starker Däm-
merung sah man nur noch mit Mühe die Insel. So froh
man ist, nach langer Fahrt wieder Land zu sehen, so
gerne verliert man das Land aus dem Gesichte, wenn es
darum zu thun ist, es verlaffen zu müffen. Ich legte
mich auf meinen Kaudersack in der Kajütte, und fchlief
bald ruhig ein. Bey augenblicklichen Erwachen vernghm
ich wohl heftigen Wind, ließ mich aber dadurch nicht
stören. Als am Morgen die Sonne wohl schon eine Stunde
fähien, und ich eigentlich erwachte, streckte ich den Kopf
zum Fensterchen hinaus, meynte aber noch zu träumen ,
als ich das Schiff unweit vom Lande fah, auf demselben
Flecke, wo wir Vorgestern waren, - -
Und doch wars fo, der Wind, der so stürmte, war
entgegen, und machte uns den Krebsgang wandeln. Der
Capitain zuckte die Achseln, wollte so viel fagen, als:
„Geduld ! ( - - :
- :
12.
- Endlich kam unser Befreyer doch, und entriß unser
Fahrzeug mit Macht den magischen Ketten, womit es an
-
460 Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel.
Cypern gefeffelt fchien. Der gefällig geänderte Wind
brachte uns in zwey Tagen an das Gestade der karam
nischen Küste. -
Selbst auf dem Schiffe zu kochen, war nicht wohl
thunäch, ich mußte es also dem Koch *) übertragen;
statt dem fchmackhaften, kräftigen Pillau, das ich mir
auf dem Libanon mit einem Huhn zubereitete, war es
hier so elend und fade, als hätte beim Kochen das bar
Waffer die einzige Flüffigkeit ausgemacht; ich konnte
das Effen fast gar nicht genießen. Ich würde mich höch-
lich über die Saft- und Kraftlosigkeit der Hühner von
Cypern verwundert haben, wenn mir nicht auf der Fahrt
dahin von Beyrut aus ein Licht hierüber aufgegangen
wäre. Eines Tages nämlich schlief die ganze Mannschaft,
ausgenommen der Koch, ein Matrose und ich. Ersterer
verrichtete seine Funktion, und hatte eben ein verdämpft
tes Stück Hammelfleisch, das sehr gut roch, über den
Feuer. Rund umher warf Meister Koch einen forsche ,
den Blick; zu feiner innigen Freude glaubte er. Alle in
sanften Schlummer gewiegt. Eine bereitstehende Schiff
voll gerösteten Brods ward aus ihrer Verborgenheit her
vorgezogen, und schnell mit der saftigen Brühe angefüllt
dem wachenden Matrosen und mir winkte er einladend
zu. Ersterer ersparte ihm die Mühe, es zum zweite
male geschehen zu laffen; ich aber dankte (mit Zeiche
für die Theilnahme) par Pantomime. Nun gings hinter
das Ragout her. Mit leisem, so unterdrückten Geld
*) Von allen Passagieren auf dem Schiffe der als
schmutzigste,
Kraftlofe Suppen. 461
ter, daß ich meinte, die Pursche müßten zerplatzen,
ward dem Fleischhafen dreymal das Blut abgezapft; auch
nicht ein Tropfen der Kraftflüssigkeit blieb darin. Als
Alles aufgezehrt war, wurde aus dem Wafferfaß die
Brühe so großmüthig aufgegoffen, daß das Fleisch zu
schwimmen an. -
Es dauerte übrigens nicht lange, so hatte ich wieder
Fasttag! In der vierten und fünften Nacht ging die See
so hoch, daß der vordere Theil des Schiffes von den Wel-
len immer überschwemmt ward. Am folgenden Morgen
befanden sich meine beiden noch vorräthigen Hühner er-
fäuft. Ich bewirthete damit die Schiffleute, und nahm
meine Zuflucht zu Zwieback und Käse. Mit Freuden
und vollem Appetite tunkte ich das harte Brod ins Was-
fer, um mich eine halbe Stunde darauf damit zu erlaben
und mit Käfe zu würzen. Alle andere Tage erfolgte ein
Pillau mit Oel; die Seeluft machte mir Hunger un
es schmeckte mir trefflich.
Sehr selten dankte ich Gott an Tafeln, wo ich fünf
zehn bis zwanzig Gerichte Speisen zu finden versichert
war; sehr oft aber und herzlich, wenn ich mein Stück
altbacknes und hartes Brod mit etwas schlechtem Käse
zur Hand nahm; nie für fremden oder delikaten Wein,
oft aber für einen Trunk schlechtes Waffer! Es scheint
überhaupt im innersten Grund des Menschen, der das
Gute nur schwer verträgt, etwas Widerspenstiges, Wider-
haariges zu liegen, das erst durch die Empfindung unserer
Ohnmacht, unters Nichts, gedämmt wird. Mag nicht
- der Urstoff hievon Stolz und Hochmuth feyn? Unsere
vermeynten Verdienste, unfer Verfand, Glück, unsere
- L/ -
462 Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel.
Geschicklichkeit, Klugheit, Welt, kitzelt uns, uns breit
zu machen, uns damit zu brüsten im Wohlstand und
heitern Tagen; schreiben vermeffen, hochtrabend, unsern
Einsichten, unserer Gescheutheit zu, was blos durch die
glückliche Vereinigung günstiger Umstände und Verhält
niffe bewirkt wurde der verborgene Eigendünkel findet
sich geschmeichelt und gereizt, über “ Leitung
sich gleichsam wegzusetzen befugt zu feyn und selbstsüchtig
( egoistisch) zu prahlen: „das ist mein Werk!“ Man
lacht im Glück und wird übermüthig; ich gestatte sehr,
sehr seltne Ausnahmen *). Anhaltend glückliche Schiff
fahrt hat die Folge, daß man auf die Letzte trotzt, und
meynt, es müffe so feyn; man vergißt Dank und Erkennt,
lichkeit für das genoffene Glück. Kömmt Sturm und Ge-
fahr, dann verwandelt der Matrose feinen Jubel in G-
bethe und Kreuzschlagen; fein Zottenreiffen in Gelübde,
die er nicht zu halten willens ist, sobald er sich gebor-
gen weiß. So ist's bey steter Gesundheit. Man erkennt
deren Werth nicht mehr, es ist eine Krankheit nöthig,
um dafür danken zu lernen. Eine dauernd gefällige Lage
bringt den Menschen dahin, daß sich der Uebermuth sei
ner beneistert. Uns selbst bleiben wir dafür verbunden;
nur des Glückes Wechselspiel und ein trübes Verhängnis
mag uns vom Gegentheil überführen. Hingeworfen auf
das Krankenlager, wir felbst, oder geliebte Verwandte,
- / ) Dies ist selbst bei befern Menschen der Fall ist
von Jenen zu reden, die in demüthigem Stolz
oder in der stolzen Demuth sich selbst behaglich
gefallen.
:
3
- - - Sattelica. 463
Freunde, oder wenn uns Theure durch den Tod entriffen
werden, erkennen wir die Obermacht an, die wir im
Glück anzuerkennen zu folz waren, - -
Die Küste von Karamanien ist gebirgigt und wild.
unbewohnt sind die Ufer, aber der Anblick hoher Berge
und Felsen erfreute mich wieder. Es ist doch der Anblick
einer kühnen Gebirgsgegend ganz etwas anderes, als der
des einförmigen, Platten Landes, besonders für einen
Schweizer! Wir hatten Ursache uns zu freuen, die Ue-
berfahrt glücklich gemacht zu haben, denn der Wind än-
derte; kaum angelangt, ward er so heftig, daß wir un-
fehlbar wieder weit in die offene See wären verschlagen
worden, wenn wir nicht ganz nahe am Land hätten An-
ker werfen können. Nicht gar ferne, rechter Hand, ließ
man Sattelia, die Hauptstadt von Karamanien, lie-
gen, und unweit schwaderte die Flotte, die ich vor an-
derthalb Jahren im Kanal, vor Bojukdereh, fah; die
Menge prächtiger Kriegsschiffe sollte einen Pascha in der
Nähe bezähmen, der sich rebellisch zeigte; seit Langem
war aber der Zweck noch nicht erreicht und der Pascha
bot die Spitze. Ein neuer Beweis der Ohnmacht der
ottomanischen Verfaffung! -
Am Ufer fischte man, machte Feuer, und durchstreifte
die Wildniß, um etwas Genießbares zu finden. Zuwei-
lien fand man gute Schwämme (Funghi), oft Beeren,
am meisten Bäume mit einer Gattung Bohnen; sie waren
schwarzbraun, schmeckten nicht übel, füß, - ähnlich dent
464 Fünftes Buch. “Zwölftes Kapitel.
Süßholz, doch beffer. In ganzen Büscheln hingen sie
an niedern Bäumen, und waren ein köstlicher Fund in
unfrer hungrigen Lage. Nester vom wilden Tauben wur-
den von den Schiffsleuten zu Dutzenden aus den Felsen
gehoben. Was mir am leideten hat, war, daß Weil
und Branntwein ausgegangen waren; das Waffer hatte
üblen Geschmack aus den unreinen Fäffern, so daß ich
es beynahe nicht trinken konnte; ich nahm nun desto mehr
meine Zuflucht zum Caffee. Es dauerte indeß nicht lange,
so fanden sich gute Quellen am Gestade, aus welchen
man Vorrath machte. Die Fische, welche man angelt,
waren oft über alle Beschreibung schön; ihre Zeichnung
"fowohl, als die Pracht der Farben, ist wohl einzig;
die lebhaftesten Farben, wie Aurora, goldgelb, falle,
schwarz, nüancierten sich bald, bald tieffen sie gel an
und in einander. Zweimale, als die See äußerst hoch
ging, sah ich fliegende Fische; aus dem Gipfel der Welt
schoffen sie heraus, und schwirrten bei vierzig, fünfzig
Schritte einige Schuhe hoch über die Oberfläche des Wii
fers weg. - - - - - -
:
- -
- -
- -
Wir liefen wegen dem Gegenwinde im Port Kag
howa ein. Eine Festung beherrscht auf steiler Höhe
die ganze Gegend; sie ist jetzt zerstört, also unbedeutend
einst war sie das Gegentheil; ein Werk der Genueser,
als die Zeit ihrer Epoche blühte, und sie die Herrschaft
dieser Küsten mit den Venetianern theilten. In der Fert
einem kleinen Dorfe ähnlich, liegt längs dem Ufer
-
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Rhody's, - - - 465
Begräbnißplatz aus jener Zeit. Ich ließ mich im Boote
hinüberstoßen, um ihn in der Nähe zu befehen. In
fchönem, edlem Style, kostbar, und von mafiven Mar-
morplatten find diese Todten-Häuschen hingebaut; über
ihnen ruht eine gewölbte Kuppel als Decke, aus einem
Steine gearbeitet; die Bauart scheint auf Jahrtausende
berechnet, indefen waren alle diese Ruhestätten gewalt-
fam erbrochen und zerstört,
Nach sechszehn Tagen sah man bey Sonnenuntergang
Rhodos wie eine Hutspitze aus dem Meere hervorragen.
Erfreulicher Anblick! Bey dem guten Winde hoffte man
Morgens im Hafen einzulaufen; der Steuermann nahm
feine Seekarte zur Hand und fing an zu messen. Statt
sich eines Zirkels zu bedienen, rutschte er mit einem dün-
nen Wachskerzchen auf der Karte hin und her. Es war
mir leicht zu bemerken: daß er und ich ungefähr gleich
viel von dieser Geometrie verstünden. Zum Ueberfluß zog
er mich zu Rathe, und somit ward ich von meinem Ur-
theile nur zu sehr überzeugt. Wenn er den Vortheil der
Praktik hatte, fo hatte ich ohne anders den der Theorie,
Nicht einmal lesen konnten die Tröpfe! Die größten In-
feln auf der Karte kannten sie, die andern mußte ich ih-
Men benennen, und der Name wurde auf griechisch neben
fie hin gekratzt. Auf diese Weise brachten sie nach und
nach ihre Karte durch die meinige auf einen für sie ver-
ständlichern Fuß. Die Nacht kam, und mit ihr ein noch
heftigerer Wind. Das Licht beim Compaß (auf jedent
(G F
466 Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel.
Schiffe das Wichtigste) ward davon ausgeblasen; es schien
aber den Capitain nicht foviel daran gelegen, vermuth
lich, weil er von der Bouffole so viel verstand, als von
der Karte, und man segelte in der Dunkelheit lustig drauf
los; doch schien ihm die Nacht lang; ich kam drei, vier
mal auf das Verdeck, in der angenehmen Hoffnung, bald
in den Hafen von Rhodos einlaufen zu sehen; er erkur-
digte sich immer nach der Uhr, und seufzte: „endlich wird
es doch einmal Tag werden !„ Es ward auch wirklich,
aber wir befanden uns bald weiter von Rhodos als g-
fern Nachts! Solchen Leuten, dachte ich oft, anver-
traut man also Haab und Gut und Leben! Wir waren
fo ab Weg gekommen, daß wir erst zwei Tage später
die berühmte Insel erreichten. Ich dachte mich schon
in dem Kloster, gut verpflegt bei meinen zwei Patres,
und stellte mir vor, wie ich mich erholen wollte; aber
mitten in diesen angenehmen Erwartungen, fegelte man
am Hafen vorbei, ohne einzulaufen,
Jetzt verging mir die Geduld, und ich fuhr den C-
pitain an: ob er meine, daß ich ihm bey der Miethe der
Kajütte, auch meine Haut verkauft habe? Er entschul-
digte sich, daß man wegen Gegenwind nicht in den Hafen
von Rhodos einlenken könne, und versicherte dafür die
schneller in einen günstiger gelegenen zu steuern. Man
fuhr auch in der That Tag und Nacht durch, und all
dete wirklich im Hafen von Stanchioe. Die Gegend
mit ihren Landhäusern ist fehr gefallend, die Stadt nicht
uneben; aber was wirkt dieß auf einen Menschen, der
das höchste Bedürfniß fühlt nach erlabender Nahrung
Ich sah mich gleich nach Wein, Branntwein, Brod,
d
n
"
Stauchioe, - 467
Trauben und Feigen um. Wo dieß Bedürfniß so mächtig
sich einstellt, da schwindet eben fo mächtig die Empfind-
ung für das Schöne, das uns die Einbildung vorgaukelt.
Der Anblick der seltensten Antiquität unter Hunger und
Durst wird unwirksam, wenn sich dabei nichts zu effen
und zu trinken findet *). Alles Gewünschte fand sich im
» Ich muß mich hierüber näher erklären. Ich rede von
- ,
eigentlichen Hunger und Durst. Uebel, die wohl
den meisten Einwohnern meiner heimatblichen Gegend
unbekannt, und der wohlhabenden Klaffe ganz fremd feyn
mögen. Hunger und Mangel ist nicht, wenn man etwa
eine Stunde länger als gewohnt auf's Mittageffen war.
ten muss oder wenn man etwas spät von der Jagd
beim kömmt und Appetit fühlt, oder ein Paar Stunden
Wegs gehen muß, ohne, nach unterm Schweizer ausdruck
zu reden, ein Schöppli zu trinken; auch das ist noch
nicht Hunger, wenn man einen 9anzen Tag fastet, be-
fonders wenn man vorher den Magen anfüllte; das Be-
dürfniß nach Speise oder Trank kann in solchen Fällen
höchstens Eß- oder Trinkluß heißen. Eigentlichen Hun-
ger bekommt man erst nach viele Tage dauerndem, Man-
gel, wo der Mensch kaum das dringendste Bedürfnis
zur Fristung des Lebens durch ein karges Mahl zu be-
friedigen im Stande ist. Da fühlt man es herbe, was
es heißt: das Nöthigste zu entbehren, und erst dann,
wenn sich wieder etwas zu effen findet, erfährt und em-
pfindet man das Glück, nicht länger vor Hunger beynahe
verschmachten zu müffen. Das Nämliche gilt vom Schla-
fe, und vor dieser Reise habe ich nie erfahren, welche
Herrlichkeit und unbeschreibliche Erquickung es ist, wenn
an, fo zu fasen, vor Schwäche des ausgenüchterten
- G g 2
46s Fünftes Buch. 3 völftes Kapitel
wohlfeilten Preise, und ich ermangelte nicht, mich weid-
lich zu erlaben! Die Gegend schien mir eine der inte-
reffantesten des Archipels. Die Bucht, umfangen mit
lieblichen, niedern Hügeln, bildete einen leicht zu über-
blickenden See, und gewährte ganz die Annehmlichkeit
eines solchen.
Es war nahe am Sonnenuntergang, und siehe! an
benachbarten Ufer, was ich so lange nicht mehr fah, eint
Anlage, welche Gefühl für ländliche Annehmlichkeit an,
kündigte; ein einfaches, aber nettes Landhaus in einst
mer Gegend, umfangen von einem geräumigen Garten,
in welchem sich bedeckte Gänge und einige Lauberhütte
fanden; auf dem Dache war ein Altan, Reben rankten
sich hinauf, und überwölbten denselben mit Grün.
Auf der einen Seite dieses Landhauses befand sich
ein großer Hof, ein reichhaltiger Brunnen in feiner Mitte: .
Federvieh kampirte in Menge rund herum. Eine schöne
Katze lagerte friedlich unter den Küchlein, der Haushund
ganz nahe nebenbey. Dieser Anblick wirkte unglaublich
lebhaft auf mich! Auf mich, der auf weitem Meere um
hertrieb, dem Sturm und allem Ungemache in fernen
fremden Lande sich aussetzte, während ich in meiner
Heymath weit mehr besaß, als was mich hier entzückt
Die Sehnsucht nach Hause schuf mir eine schlaflose Nacht
---
Magens entschlummert. Die Leichtigkeit, das Behag
liche eines solchen Schlafs ist gar nicht zu schildern, es
kann nur empfunden werden!
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S c | 0, 469
13.
- Geschrieben in Mehadia.
-
In dreien Tagen darauf kamen wir nach Scio.
Der schöne wolkenlose Himmel, dessen ich mich bis über
Rhodos hinaus zu erfreuen hatte, hörte hier auf; heftige
Winde, an Sturm gränzend, bis zur Windstille, erfolg-
ten. – Die Lage war fchon tiefer gegen Mittag; bey
ganz hellem Horizont war kein Wölkchen sichtbar. Schon
einige Tage früher, ehe man Scio erreichte, fand sich
wieder Gewölfe und überzogene Atmosphäre. -
Als man ausstieg, bemerkte ich mit Verwunderung
eine vermummte Figur auf dem Verdecke; ich meinte
im ersten Augenblicke, es wäre die Griechinn, eine Frau,
die bereits auf Jahren war, und die sich so plötzlich,
ganz ihrem bisherigen Kostüme, (das indes nichts weni-
ger als streng erschien,) zuwider, so ein ballirt habe;
doch kam mir die Figur kleiner vor. Im gleichen Mo-
ment aber bemerkt' ich die Griechin neben ihr. Es war
die Frau eines Türken! Seit zwanzig Tagen keine acht
Schritte von ihr entfernt, lag sie unter einer Gattung
Kasten wie begraben; keinen Ton hörte man, keine Spur
eines lebenden Wesens schien da vorhanden zu feyn! In
den zwanzig Tagen, in diesem engen Raume! Dieß
scheint bey uns unmöglich, und in der That ist so etwas
nur im Lande der eifersüchtigen Türken möglich!
470 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel
Ich eilte in das Kloster zu dem vernünftigen und
aufgeklärten Pater; er empfing mich auf das freund,
fchaftlichste, aber an Tische blieb der dritte Platz leer;
der gute Doktor Micheli büßte sein Leben im Hafen
von Smyrna ein, während ich nach so vielen über
denen Gefahren, es behielt. Durch die Frechheit des
Kapitains bei heftigen Winde mit vollen Segeln zu
fahren, überwarf sich das Schiff, und etlichen
Personen - verloren dabey ihr Leben, -
Tages darauf besuchte ich den Platz, genannt -
Schule Homers; der Weg führt längs der Küste hin,
fast zwei Stunden weit. Als ich die merkwürdige
erreicht hatte, fügte ich zu mir selbst: „Die ganz
nichts.“ Jeder andre Felsenbrocken konnte auch sº z.
nannt werden, denn anders ist es nichts, als ein Stück
Felfen mit platter Oberfläche, rund um Erhöhungen, wo
man mit Noth sitzen kann; in der Mitte ein glatt in
nämlichen Stein, auf welchem, der Sage zufolge, der
Dichter feinen Schülern Unterricht ertheilte. Das ganze
hat den Umfang eines mäßigen Zimmers. Aber der Weg
längs der Küste ist herrlich, die Insel fcheint hier P-
radiesähnlich, kein Fleck ist unbebaut; Gärten und Land,
häuser reihen sich an einander; sonderbar fiel es mir
freylich auf, daß ich in jenen nirgends etwas für An-
nehmlichkeit angeordnet fand; kein Schatten von ein
englischen Gartenanlage, oder etwas, das die Phantasie
mehr beschäftigen könnte." Alles zielte auf Oekonomie
ab und von all der Menge Landhäuser in dieser ist,
nen Lage, fah ich auch nicht ein einziges von regelmäßiger
Bauart oder symmetrischer Eintheilung. Alle hinkten,
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Wohlstand der Scioten. 47
und machten das Gegenstück von Italiens Willen, wo
man das Nützliche oft dem Anmuthigen und Harmonischen
aufopfert. Hier verfällt man in diesen Fehler nicht, und
wenn die alten Griechen wieder auflebten, sie würden ihre
Enkel wegen luxuriöser Bauart nicht zu schmälen *)
haben. -
Auf dem Heimwege von Homers Schule traf ich das
Schiffsvolk, alles Scioten, auf einem freyen Platze an;
ich hatte Mühe, die schmutzigen Matrosen in ihren ele-
ganten Kleidungen wieder zu erkennen; sie hatten sich
mit ihren Liebchen versammelt, und einige hundert Per-
fonen ihres Schlages belustigten sich mit Tanz und Scherz.
Das Kostüme der Weiber und Mädchen war überaus ge-
fchmacklos und kostbar. Nie sah ich so viel Silber, Ver-
goldungen und Seide bey folcher Menschen klaffe, es ist -
ein Beweis von ungemeinem Wohlstand; auf Scio ist es
nicht nur Schein, sondern es ist Wirklichkeit. Ich glau-
be, diese Inselbewohner feyen die reichsten des Archipels.
Bei meiner Durchreise vor einem Jahre kaufte ich ein
halbes Dutzend Citronen und Orangen um einen Parah,
jetzt umgekehrt, mußt' ich so viele Parahs um ein Stück
dieser Früchte bezahlen. Alle Bäume waren im letzten,
kalten Winter zu Grunde gegangen. - -
Nach Verfluß von drehen Tagen erfolgte die Abreise,
und nun noch ein Wort über die Schiffleute:
Sie waren fromm nach griechischer Art und Sitte,
das heißt, Abends ward ein Licht gemacht, und die Hei-
*) Schmälen, fchweizerische Idiotisme, für schmollen,
zanken,
472 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
ligenbilder in der Kajütte beräuchert *), ebenfo das In-
nere jeder Mütze, unter hundertfältigen Kreuzschlagen und
Herunterschnätzeln von Gebethen, als liefen sie von einer
englischen Maschine ab; inzwischen aber, und kaum voll
lender, begannen Poffen und Muthwilen fonder Maß und
Ziel. Wie sehr kontrastierte diese religiöse Ceremonte gegen
die der Türken. Diese beobachteten ein feierliches, ab
gemessenes Benehmen; wie es bei uns auf den Exerzit-
plätzen der Fall ist, so geht es beym Gebethe der Musel-
männer; ernst, und von Allem, was vorgeht, abgewandt,
widmen sie sich nur der Wichtigkeit des Gegenstandes;
nichts unterbricht sie, nichts vermag sie in der heilige
Handlung zu stören. -
Bey der baldigen Abreise sollte, wie es schien, das
Schiff vor allem Uebel ganz gesichert werden. Es erschien
ein Geistlicher mit langem Barte und wild umherfliegen,
den Haaren; ein Helfer folgte mit einem verschloßnen
Kästchen unter dem Arm; es ward geöffnet und mit vi-
len Ceremonien ausgepackt. Ein Todtenknochen in Gala
unten und oben mit Silber beschlagen, und mit golde-
nen Verzierungen reichlich ausstaffiert, kam zum Vorschein,
Gott weiß, wem das griechische Bein einmal angehört ha-
ben mochte ! Dennoch aber sollte es eine Wunder be-
wirken. Ich sah dem Zeugs eine Zeitlang zu. Unter
anhaltendem Räuchern mit Majoran, und Besprengung
-
*) Als ich die Kajütte bezog, war sie ganz leer bis auf
diese Bilder, und ich wurde befragt: ob ich dieselben
heraushaben wolle ? was ich aus begreiflichen Gründen
aber nicht wollte, -
in
i
.
Es
Als
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p"
al
„e“
Mytilene. H73.
mit Waffer wurden fowohl das Bein als die Anwesenden
eingeweiht. Unwille übernahm mich; ich zog mich in
meine Kajütte zurück *), und schob den Riegel hinter
mir zu.
Man fegelte längs der Küste bey einer Stunde, bis
nahe an ein Dorf, wo der Kapitain und die Matrosen
wohnten. Jener verweilte daselbst, und kam in einem
Boote zum Schiffe; alle Bekannte der Schiffsgesellschaft
waren am Ufer, uns ihr Lebewohl zuzurufen. Zwey
kleine Kanonen auf dem Schiffe wurden zum Gegengruße
losgebrannt. - -
Die Witterung war sehr unbeständig; abwechselnd
stürmisch und windstill. Nach ein paar Tagen landeten
wir auf der Insel Mytilene, um uns mit Waffer zu
versehen. Herrliche Trauben und Melonen bekam man
fast um Nichts. Bald hatten wir Lemnos im Angesich-
Y
te, und linker Hand die Menge kleinerer oder größrer .
Inseln. Die Ansicht des Archipels kam mir einer Wiese
ähnlich vor, die mit Heuschobern, unregelmäßig, in
ungleichen Entfernungen und verschiedenen Größen über-
deckt ist. So vortheilhaft das Innere dieser Inseln be-
schaffen sein mag, so wenig Anziehendes bietet ihre Aus-
jenseite dar. Ich fand nicht. Eine Ansicht von den Reiz
unserer bebauten und verschönerten Gegenden des Zür-
cher - Genfer - und Boden- Sees und so weiter. Es
fehlen die dunkeln Waldungen, die hohen Felsen, die
Gletscher, die lieblichen Thäler mit den ruhigen Dorf-
') Wer will es einem vernünftigen Menschen verdenken,
wenn ihm bey dergleichen Geschichten und Vorgängen
der unwille ergreift -
474 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel.
schaften, in deren Mitte die Kirchthürme, und so viele
Heimliche uns anzieht, wo so manches Freundliche init
den Erhabenen und Schauerlichen abwechselt. ,
Ben mißlicher Witterung trieb man sich einige Tag
ohne weiter zu kommen, umher. Es war am ein und
dreyßigsten August, als von den uns umzingelnden U-
gewittern, uns wirklich eines zu erreichen droht. Wir
befanden uns unweit der Insel La Jura, und das Ge-
wölke sammelte sich allmälig in deren Nähe, und bildet
zusehends eine schwarzgraue Wand, die sich von dort
aus auf einige, aus dem Meere hervorragende, nackte
Felsenbrocken auf Meilenweite Entfernung hindehnt. In
mer dichter schien die schwarze Decke zu werden; es
“ herrschte gänzliche Windstille. Dennoch schwankte das
Schiff stark und auf eine widrige Art. Die Schiffe
wurden unruhig, und legten sich, nachdem sie alle S-
gel eingebunden hatten, schlafen.
Es war Mittag, und in dieser Lage nichts weniger
als Zeit zum Schlafen; ich bemerkte aber in ähnlichen
Fällen schon mehrere Male diese Maxime; mit geschloss
nen Augen wurden oft die Dinge oder Undinge erwartet
die da kommen sollen. -
Gegen die Mitte des fcharf abgeschnittenen, schwer
zen Bogens, entstand eine kleine Zacke, und erhielt sich
späterhin, eine Zeitlang ganz in der Form eines Sichel
eifens, aber nach Verfluß einer halben Stunde geradelt
es sich, und bildete eine ungeheure Säule, die auf die
ihr
1.
Die Waffe rhofe. 475
Meeresfläche zu fußen begann. Es war das fchreckliche
Schauspiel einer Wafferhofe ( Trombä). Jetzt war bey-
nahe die Wafferfläche erreicht, und rundum war's, als
kochte das Meer ungeduldig der Berührung mit der Säule
entgegen; hoch empor schäumte es, und durch einen
Wirbelwind, der die ganze benachbarte Rundung empor-
riß, vereinigte es sich mit der Kolonne. Wie von einem
Schlauch wurden die ungeheuern Waffermaßen eingesogen
und hinauf, bis ins schwarze Gewölke geschlürft, dann
mit entsetzlichem Getöfe, auf Stunden weit das Gepraf-
fel vernehmbar, wieder heruntergestürzt ins Milchweiß
schäumende Meer. Schwefelgelb war der Horizont; un-
ter dem schwarzen Gewölke hob sich grausend die Säule
aus der schielenden Helle. Wehe den Schiffe, das durch
einen unglücklichen Zufall zu nahe kömmt, es ist ohne
Rettung verloren! Mit Sturmwind endet immer diese
schreckliche Erscheinung. Unser Schiff ward nur für
kurze Zeit davon ergriffen, und glücklich waren wir bald
in der Ferne!
Die Nacht war nichts weniger als ruhig; je länger
je mehr sehnte ich mich nach baldiger Ankunft auf den
festen Lande. Am folgenden Morgen hatte ich das neue
Schauspiel einer Jagdparthie. Ein Trupp Delphine ver-
folgten einen Schwarm von Tonn - Fischen ; ganz nahe am
Schiffe schnaubten die Delphine empor; die Meeres-Ober-
fläche schien belebt, wo das Gedräng der Tonn-Fische am
dichtesten war; in fie hinein fchoffen die Delphine, und
mit einem Sprung von zehn bis zwölf Schritten über den
Waffer, fuchte sich der fünfzehn bis zwanzig Pfund hal-
tende Tonn zu retten. Noch eine halbe Stunde weit fah
476 Fünftes Buch. Dreizehntes Kapitel
man, wie Silberfaden am Sonnenstrahl, das Glänzen
des Fisches in der Luft,
Am Vorgebirge Cassandra sah ich wieder einen
Wald, und dieser Anblick ergötzte mich ungemein. Seit
meiner Abreise vom Libanon sah ich nichts Waldähnli
ches mehr. Der Anblick einer solchen Parthie von Land,
fchaft bleibt immer schön, und gibt der Phantasie Spiel
raun. Die Bäume bestanden aus einer Gattung Fichte
und Grüneichen; das Grün dieser Gegenden hat aber
überhaupt oft einen andern Ton als bei uns; die G,
wächse, welche sich hey uns nicht finden, modifiziert
diese Farbe in mancherley Nüancen; das Helle der Öl-
ven, das Frische der Citronen und Orangen, das Dunkle
der Feigen, Cypreffen, und noch so mancher andern
Pflanzengattung, bringen ein anderes Farbenspiel hervor,
Ich komme noch Einmal, aber zum letzten Male auf
die Schiffleute zurück. Sie hatten ächt griechischen Eis
rakter, waren immer heiter und lustig; zwölf bis fünf
zehn an der Zahl, machten sie eine Gattung republikani
fche Verfaffung unter sich; keiner schien Vorrechte vor
dem andern zu haben, und diese, nicht ueberall taugliche
Verfaffung, brachte zuweilen, und namentlich zur Zeit
der Noth, Verwirrung unter sie. Uebrigens, wenn auch
Roth an den Mann kam, konnten sie es doch nicht lassen,
einander zu necken, zu klauben, zu stoßen. Es beste
dete mich also um so mehr, eines Morgens, wir ware
noch nicht weit über Kassandra hinaus, bei gänzliche
Meeresruhe, das Waffer glatt, wie ein Spiegel, und
das Schiff unbeweglich, die Schiffleute plötzlich erfilet
zu sehen. Ich sah sie ernst, traurig, einige stritt
In
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Mit
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Erfcheinung auf dem Waffer, A7
Die äußerste Niedergeschlagenheit herrschte unter der gan-
zen Mannschaft, (den Türken ausgenommen).
Jetzt wies einer feinem Nachbar betrübt mit dem Fin-
ger aufs Waffer; ich begab mich an Bord, um das War-
um? zu erfahren. Da erblickte ich eine Gattung Sub-
stanz, es war nicht Schaum und nicht Körper; es schien
wie durchsichtig Oel, felbst Farbenlos, doch alle Farben
wie im Regenbogen spielend; in ziemlicher Menge um-
schwankte diese Erscheinung, bald in Kreisform, bald
als Oval, bald auf der einen Seite ganz abgeschliffen
und auf der andern zackigt, das Schiff. Ich konnte hier
keinen Stoff zu der auffallenden Niedergeschlagenheit der
Matrosen finden, und bewunderte die für mich neue Er-
fcheinung. Es lagen kleine Holzsplitter neben mir, und
ich warf deren nach dem Dinge, - - - -
Da fuhr mich ein reifender Grieche ergrimmt an, und
äußerte in gebrochenem Türkisch: „dieß zu unterlaffen.“
Ich fah keinen Grund weswegen, und machte dieß durch
eine helle Lache verständlich, und gab ihm oben ein zu
verstehen: daß ich das Ding schön fände, und es mir ge-
fiele. Schon die verschiedene Stimmung der Schiffleute
gegen die meine, ließ verschiedene Ansicht dieser Erschein-
ung mit Gewißheit annehmen. Ich verbesserte aber durch
meine freymüthige Aeufferung die Meine keineswegs. Die
Leute sahen einander betroffen an, und berathschlagten,
wie es schien, über mich. Ohne weiter ein Wort zu ver-
lieren, ging ein Matrose sogleich in die Kajütte, nahm
die drey heiligen Bildchen herauf, und legte sie stil-
schweigend in eine Kiste auf dem Verdeck. *)
*) Auch ward hinfort nicht mehr darunter geräuchert.
478 Fünftes Buch. Dreyzehntes Kapitel
Diese Lapperey wollte mich anfänglich verdrießen,
doch erholte ich mich: ich verlor wahrscheinlich nicht viel
an der Gesellschaft, es waren ja griechische Heilige
Allmälig verdeutlichte ich mir aber die unbegreiflicht
Sache. Die Schiffleute, ohnehin voll Aberglauben und
Vorurtheil, nahmen diese fchwimmende Materie, wie ich
aus einigen Aeußerungen mit Wahrscheinlichkeit schließt
konnte, für die Seelen, oder die letzten Seufzer von
Menschen, die in Stürmen verunglückten und ertranken,
Bey folchen Begriffen, die fie hegten, mußte ich ihnen
freylich höchst ruchlos erscheinen.
- s –
-
Schon früher sah man das Gebirge von Mitte
Santo; auf diesem befinden sich fünf und zwanzig
griechische Männerklöster. Jedem Frauenzimmer bleibt
der Zutritt in diese (sogenannte) heilige Stätte untersagt,
Einmal von Cypern weg, hörte ich nichts mehr von
der arabischen Sprache. Während dem sechsmonatlichen
Aufenthalte im Lande, wo man nichts anders spricht,
lernte ich nothgedrungen so viel davon, als ich früher
nicht glaubte, daß möglich wäre. Hatte ich vielleicht ei-
nen größern Wörtervorrath in der türkischen, so wußte
ich dafür beffer die Verbindungswörter in der arabische,
Durch Noth lernt man unglaublich schnell das Nöthigt;
ist diese vorbei, so vergißt man gleich schnell wieder das
Erlernte. Ich hatte Mühe, mich aufs Türkische wieder
zu besinnen.
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S. e ch st es B. u ch.
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/ von -
Salonichi zurück nach Wien.
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K. a p | t e l
1.
Geschrieben in Karansebes im Bannat.
Endlich, am Abend des zweiten Septembers, erblickten
wir Salonichi"). O des erfreulichen Anblicks. Nachts
glimmerten die wegen Rhamazan beleuchteten Minaretts f
und am Morgen des dritten betrat ich, Gottlob, wieder
das feste Land, um es nie mehr zu verlassen." Froh
verabschiedete ich ein treuloses Element, das mich fo oft
ängstigte mit dem festen Vorsatz, mich ihm nie mehr an-
zuvertrauen. Ich entrann ihm glücklich; und wie ich
den Fuß auf das Land setzte, rief ich nochmals aus vollen
Herzen: Gottlob und Dank!
Auch in Salonichi, in dieser von fremden Kaufen-
tenfo besuchten Stadt, findet man nicht die Bequemlich-
keit eines Gasthofes. Der östereichische Consul, Graf
von Koch, der mich immer äußerst zuvorkommend be-
handelte, hatte die Güte, mir eine Wohnung ausfindig
zu machen. Es war ein helles Zimmer bey einer Portu-
giesischen Wittwe, die sich mit ihrer Tochter durch Hand-
arbeit ernährte; fleißige, stille Leute, die oft mehrere
Stunden vor Tag, vom frühen Morgen bis in die späte
Nacht, nähten. Die Tochter war sehr schön, und an
*) Das Theffalonich der alten Welt.
" - H h
482 - Sechstes Buch. Erstes Kapitel, /
einen Schiffskapitain versprochen; wäre sie aber noch
so schön, so wird doch dem künftigen Herrn Ehrgenohl
die 3Lantippe im Haufe nicht mangeln.
Ich kochte mir selbst. Nun einmal eigne Wirthschaft
von langem her gewohnt, hatte ich dabey die Annehml-
lichkeit, daß ich effen konnte, was, wie und wann ich
wollte, abgerechnet den wesentlichen ökonomischen Welt
theil, den ich dabei hatte. Ein alter Jude machte den
Commissionair, und kaufte für mich alles Benöthigte ein;
er war indes den Frauenzimmern nicht anständig, und
in wenig Tagen hatten sie ihn wegzutreiben gewußt"),
indem sie mir anschaulich machten, daß er mich betrog,
(worauf ich aber schon früher gefaßt war). Der Platz
ward nun durch einen dreizehn bis vierzehnjährigen B-
ºben, der einer Näherin angehörte, die im Haus at-
beitete, ersetzt. Er hatte einen so wunderlichen, jüdi
fchen Namen, daß ich denselben gar nicht aussprechen,
geschweige im Kopf behalten konnte, und darum tauft
ich ihn in Salomon um. Die Dienerschaft dauerte aber
nicht lange; die Näherinn wurde verabschiedet, und die
Frauenzimmer fanden augenblicklich, daß der junge Jude
noch mehr stehle, als der alte. Die Stelle erhielt nun
das Dienstmädchen im Hause, Ricarda mit Namen,
ein kleines Kind, das kaum die Treppe ersteigen konnte,
es mochte zehn bis eilf Jahre haben; aber wie erstaunt
ich, zu vernehmen, daß das kleine Ding schon Brautsch
und in zwei Jahren sich verheirathen werde. Bei den
*) Durch die Juden gehen hier, und beinahe durchgehend
in der Levante, alle Geschäfte, vom wichtigsten bis zum
unbedeutendsten. -
Salonichi, 483
Juden ist so frühzeitige Verehelichung beinahe durchge-
hends üblich. Indeß bekam die Jungfer Braut tagtäglich
ein paar Male Wix, bald von der Frau, bald von der
Tochter des Hauses; es schien fast, als ob dieses Ma-
noeuvre mit Antrettung des Dienstes anbedungen worden
wäre. Jungfer Ricarda ergab sich, durch Gewohnheit
gestählt, willig der Bastonade, und Jenen schien es eine
wohlthätige Motion zu gewähren.
- - -
Was ich so sehnlich in Salonicht anzutreffen wünsch-
te, fand ich nicht: Briefe von Hause, und Nachrichten
von meinen in Alexandrien, wegen der Pest, zurückgelaf-
fenen Kleidern. Mein Aufenthalt ward nun deswegen
um einen ganzen Monath verlängert; erstere lagen alle
in Smyrna, von woher ich auch Kreditbriefe auf jeden
Fall abwarten mußte; denn ich wollte nach Deutschland
zurück, und dort reist man ohne Geld nicht; eher in den
Gegenden, die ich verließ, wenigstens hier weit weniger,
als im Innern von Europa, freilich aber auch: al" uso
del paese!
Salonichi, fo viele Vortheile es jetzt dem spekuliren-
den Kaufmann gewährt *), leistet in Rücksicht des An-
genehmen sehr wenig. Es hat eine höchst ungesunde Luft,
und ist wegen den bösartigen Fiebern, die hier mehr als
an keinem andern Orte herrschen, besonders im Sommer,
*) Als Wirkung der Zeitumstände und politischen
Ereigniffe, - - - - -
- H h 2
484 Sechstes Buch. Erstes Kapitel,
für Fremde ein gefährlicher Aufenthalt. Beinahe ohne
alle Ausnahme lag letzten und vorletzten Sommer. Alles
krank darnieder, Viele starben, unter andern auch,
während meines Aufenthalts, der französische Konsul; er
ward, wie es hier üblich zu feyn scheint, am Tage seines
Todes auch begraben.
- Alle Vorsichtsmaßregeln: wenig effen, am wenigsten
Fett, gar keine Früchte und dergleichen, sind oft gegen
dieß Fieber vergeblich. Auch die Eingebornen bleiben
nicht frey davon, und sterben häufig an demselben. Ich
hatte das Glück, ohne mich besonders zu schonen, ganz
wohl zu bleiben; vielleicht verdankte ich es der Vorsicht,
nie bloßes Waffer zu trinken, dagegen öfters, jedoch
nur wieder als Arzney: Branntwein, besonders alle Mot
gen im Caffee zu mir zu nehmen.
Die Auffenseiten der Stadt, deren eine sich an einen
Berg anlehnt, haben mit ihren unregelmäßigen Ring
mauern nichts Anziehendes für das Auge; ebenso wie
nig die entferntern oder nähern Umgebungen derselben,
von kahlen Mittelbergen umkreiset, ohne Grün, ohnt
Wald, ohne Waffer, ohne Wohnungen. Das Innere der
Stadt ist im Einklang mit ihrem Aeuffern: enge, schmu-
zige Straßen, Moräfte, und halbverfaulte Kadaver von
Vieh oft mitten darin; der Basar ist belebt, aber erst
und dunkel, wie anderwärts, und, wie überall in der
Levante, mit englischen Fabrikaten überladen. Außer ei
nem der Thore, entlang dem Meere, ist der Hauptspa-
ziergang der Franken, wie der Griechen und Türkei,
Sechszig bis achtzig unregelmäßig gepflanzte und schlecht
besorgte Bäume, meist Platanen, gewähren etwas Schatz
-
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Einzug eines neu erwählten Pafcha. ss4
ten. Auf der einen Seite der Promenade finden sich mehr
rere Grabmäler von Türken, während auf der andern Ale-
fer von Pferden und Maulthieren, bald als gährendes
Luder, bald als halb verwesenes, faules Aas, bald als
Gerippe herumliegt, und den eckelhaftesten Anblick und
Geruch verursacht, - - -
-----
T-
Die sonst zum Ausgehen angenehmste Zeit, am Abend
bey der Kühle gegen die Dämmerung, muß hier in ver-
fchloßner Wohnung zugebracht werden. Auf die Minute
des Sonnenuntergangs steht der Türke mit der uhr un-
ter dem Thore, und verschließt es; zudem ist die Nacht-
luft, fchädlich, und endlich soll es bey Nacht auf den
Gaffen unsicher feyn. Welch ein Unterschied gegen Liba-
nons gefunden und sichern Höhen!" - -
Am neunten September hielt der neue Pascha aus
Morea feinen Einzug; er war glänzend. Der größte
Aufwand, Hauptluxus, befund in den Prachtpferden;
die Decken strotzten von Silber- und Gold - Stickereyen.
Der Zug ging, nach türkischer Art und Sitte, schön,
fill und feyerlich vor sich; statt Geschrey und Getümmel,
wie bei solchen Anläffen im übrigen Europa, herrscht
hier Anstand und Ruhe in den Reihen des Volks, zwi-
fchen welchen der Pascha und der Zug sich fortbewegte.
Höflich, aber mit Würde, fast abgemeffener Beweg-
ung der Hand, grüßte der Pascha nach jeder Seite;
beide Volksreihen erwiderten den Gruß, indem sie, sich
beugend, die Hand auf die Brust legten, stillschweigend
4ss Sechstes Buch. Erstes Kapitel.
und ehrerbietig. Hier sah man keinen Troß lärmender
Gaffenjungen und erwachsner Neugieriger, die, wie bei
uns, vor- oder nacheilen; keine Unordnung, kein Ge-
räusch störte den feierlichen Zug. Der Pascha schien mir
ein Mann von beyläufig fechszig Jahren; er hat schöne
Gesichtszüge, ist aber blaß und sehr ernst. Von seiner
reichen Kleidung, im orientalischen Glanz, nur so viel:
daß Juwelen an Händen, Dolch und Turban blendend
schimmerten. Der Posten soll eine Begünstigung des El
tans gegen den Pascha gewesen seyn, der sich nicht bei
sonders darum bewarb *), obwohl die Stelle läuft
einträglich ist. - -
Eines Tages ging ich wohl eine halbe Stunde der Fl
dengaffe entlang; da wimmelte. Alles, durch und in ein-
ander gedrängt, gleich einem Ameisenhaufen, in Schmutz
und Unreinlichkeit, daß es vor Eckel kaum auszuhalten
war. Die Kinder der Reichen hatten für mehrere hundert
Gulden Zierathen um Kopf und Hals, dafür aber so
zerrissenes Gewand und unreine Wäsche, wie die ärmsten
Bettler; und unter den Erwachsenen, welche verzogene
und verschrobene Judas gesichter!
- ,
Ich komme noch einmal von Rhodes zu reden.
nämlich während meines Aufenthalts in Alexandrien in
*) Er foll nämlich ohnehin fchon ungeheure Reisine
besitzen.
_–=––
ueber den Koloss von Rhodos. 4er
Gesellschaft von Franken von dem Koloffen von Rhodos
sprach, machten diese Herrn allgemein unter sich aus,
und erkannten: „daß die ganze Geschichte dieses ehema-
“ ligen Wunders der Welt ein Mährchen sei, weil man kei-,
“ nen Platz wife, und überhaupt nichts Bestimmtes davon
angeben könne.“ In Salonichi nun fand ich zufälliger
" Weise in einem Winkel ein von Motten halb zerfreffettes
Buch, es war eine Kirchengeschichte aus der ältesten
“ Zeit, in italienischer Sprache, und da und „das in
" den Jahren 650 bis 660 unserer Zeitrechnung die Insel
Rhodos von den Sarazenen erobert, und die Bruchstücke
“ des Koloffen auf neunhundert Kaneelen von ihnen feyen
weggeführt worden *).“ Also schon damals Bruchstücke,
Ueberbleibsel! Jedoch geschieht bestimmte Erwähnung
davon, welche, ohne so viele andere Zeugniffe der Ge-
fchichte, Sagen und Ueberlieferungen in Anschlag zu brin-
n“ gen, hinreichend wäre, zu beweisen, daß es mit dem
Koloffen keine Erdichtung fey.
, Ich kann das Kleinliche überhaupt nicht leidet, wo-
z“ mit man Alles wegwitzeln, und als null und nichtig de-
monstrieren will, was nicht mit Fug in die Alltags-Ideen
feichter Köpfe paßt, die Alles nach dem Maaßstabe der
jetzigen Zeit auszuzirkeln und zu berechnen sich unter-
fangen. Wenn diese Herren nicht die Obelisken, Pyrami-
deit und Sphynxe so nahe auf der Nase hätten, so wür-
*) Die Meinung: daß dies Werk durch ein Erdbeben ein-
„ gekürzte, ist die allgemeine - - -
1 .
u
- - - -
488 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel
den sie auch das Dasein dieser als Mährchen wegrain
ren wollen.
:
- -
In den lebhaftesten Gaffen der türkischen Hauptstädte
kommt man oft in den sonderbaren Fall, zu fragen:
Warum weniger Leben. Vorgestern, als die andern Tage?
„Es war (Freytag) Sonntag der Türken. Wann
Gestern so viele Krambuden geschloffen? „Es war (San
stag). Sonntag der Juden.“ Warum Heute die Hälfte
des Bafars leer? „Es ist Sonntag der Christen.„ Hier
find also Lessings drei Ringe und Ein Zweck... Doch
nein, der Mönch brachte vom Libanon den ächten. So
tenheit jedoch bleibt die Erkennung desselben; oft sogar
dem Auge des Forschers verborgen. ---
2.
An vierzehnten September, gegen Mittag, schickte
ich das Dienstmädchen aus, mir Käse zu kaufen, es kam
aber bald mit der Nachricht wieder zurück: „es gäbe es
nem Niemand weder Rede noch Antwort. Der neue Pascht
gehe verkleidet umher, und untersuche Waaren und G-
wichte.“ Gleich nebenbey, wo es den Käse holen wollt,
kaufte der Pascha von einem Juden Trauben; das Gt
wicht war, ich habe vergeffen, um wie viele Drachmen,
zu leicht; augenblicklich erhielt er fünfhundert Stock
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Mität
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Zie
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Erst
Zeit
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Polizei des neuen Pascha. 489
schläge auf die Fußsohlen für den Betrug. Am nämlichen
Tag ward einem Metzger, aus eben dieser Ursache, die-
felbe Strafe zu Theil. 1, - - -
Dieß ist türkische Polizey! Wo findet man solche in
der Christenheit? Vier Tage erst vorbey, seit der Pascha,
ein hordreicher Mann, eingezogen, also noch der Bequem-
lichkeit mit Muße und Ruhe nach Willkühr pflegen konn-
te, und schon ist er auf den Beinen, und geht verkappt
durch die schmutzigen Straßen der Stadt, um zu prüfen,
ob das gemeine Wesen nicht durch Betrug und Wucher
von Partikularen Noth leide. Das thut er, anstatt sich
nach feinem Vermögen und Stand gütlich zu thun , oder
fich von den Vornehmsten, Ersten und Reichsten der Pro-
vinz den Hof und die Aufwartung machen zu laffen! Ich
frage wiederholt, wo findet man in der Christenheit fol-
che Züge von Wachsamkeit, solche Besorgniß für das all-
gemeine Wohl? Wer thut dieß, vom Kaiser bis auf den
geringsten Beamteten herunter, so rücksichtslos in jeder
Abficht; einzig nur um den Betrüger zu strafen, und
den Bürger vor Wucher, List und Betrug zu sichern.
Wenige Tage später ward das Brod, das nach und nach
auf einen übertriebenen Preis gesteigert worden, fast auf
die Hälfte herabgesetzt; eben so die Preise von Butter,
Eyern, Früchten und dergleichen, fehr billig, und auf
eine bestimmte Summe taxiert. Jedermann fegnete den
Pascha seiner guten Verfügungen wegen; diejenigen frey-
lich nicht, welche sich kecken Vorrath von Korn aufge-
speichert hatten, in der Hoffnung, es ums Doppelte wie-
der loszuschlagen,
4
- -
490 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel,
- Gegen das Ende des Monats empfing ich mich
das so sehnlich erwünschte Paket Briefe von Smyrna,
Seit einem Jahre mißte ich alle Nachrichten von Haust,
weil ich um diese Zeit schon wieder in der Schweiz zu
rück zu feyn dachte, und es auch gewesen wäre, wenn
mich nicht der Ausbruch der Pest am Einschiffen verhin
dert hätte. - -
Wie durchkreuzten sich nun aber Freude und Leid
hey der Durchlesung dieser Briefe ! Wichtige Verände
ungen waren im häuslichen Kreise vorgefallen; their
Verwandte, Freunde und Freundinnen hinübergeschlum-
mert ins Land der Vollendeten, auch solche, von denen
ich dachte, daß sie erst lange nach mir den ernsten Weg
machen würden! So wechselt alles unter dem Mond,
oft so schnell, so augenblicklich, so folgenreich!
Zch rüstete mich unverzüglich zur Abreise. Es fall-
den sich unweit meinem Logis Kaufleute aus der Milch
barschaft meines Vaterlandes, die sich hier etablirt hat,
ten, und mir viele Freundschaft erzeigten, und mehr -
zeigt hätten, wenn ich im Falle gewesen wäre, davon
Gebrauch zu machen. Daffelbe gilt von dem öfreichische
Konsul, und den Chefs des Etablissements, an welches
ich empfohlen war, und das einen deutschen Namen führte
Kein Individuum des Hauses aber verstand ein Wort
deutsch; es waren Italiener, und die deutsche Firma
figurirte blos aus Convenienz, da der Deutsche noch Wº
berall mehr Credit findet, als keine andere Nation. Dies
sind noch die späten Früchte der alten Treu und Redlich
keit, die einst so gut auf deutschem Grund und Welt
gedieh'n! -
-
_–=–
-
Der Pacha bestraft einen Becker. 491
Ich berührte schon früher, daß die verschiedenen Par-
teyen der Europäer in der Levante sich gegenseitig necken
und reiben. *) Ein Beispiel aus Salonichi mag genü-
gen. In der französischen Kirche wurde beim Gebeth
von den Anwesenden gedämmt: „vive Napoleon!“ gern-
fen; unlängst wohnten zwey englische Matrosen dem Got-
tesdienste auch bey, im Moment des gedämmten Ausrufs
der versammelten Gemeinde übertönten sie das vive mit
einem kräftigen: „crepa!“
„ - - -
- -
Ein paar Tage vor meiner Abreise kam um Mittag
ein Bekannter mit der Nachricht ins Haus: „Der Pa-
fcha habe wieder Revüe gehalten, und hin und wieder
fehe man die Ergebnisse davon; unter andern gleich eins
in der benachbarten Gaffe.“ Ich rannte schnell nach dem
bestimmten Orte; da war ein Bäckerladen ganz leer, aber
an einem großen Pfosten stand der Eigenthümer desselben,
ein Grieche, mit auf den Rücken gebundenen Händen,
angenagelt durchs Ohr mit Fingerdicken Nagel, und in
den Pfosten hineingeschlagen, so hoch, daß er auf den
Zehen stehen mußte, um nicht das Ohr im Stich zu
laffen. Späterhin ward ihm ein Block unter die Füße
gegeben, daß er etwas weniger unbequem zu stehen kam;
- -
*) Vielleicht nicht mehr als anderwärts, nur mag es in
der Levante mehr auffallen, weil der Spielraum bei
fchränkter iß. - -
A92 * Sechstes Buch. Zweytes Kapitel,
-
die entblößte Brust und das ganze Gesicht waren mit H-
nigwaffer überstrichen, so daß Fliegen und Insekten sich
dem Tausend nach darauf fetzten; das Gesicht war gegen
die heißen Sonnenstrahlen gerichtet, und schon dieß als
lein, ohne sich um ein Haar regen zu können, gilt
statt einer Tortur; das Blut träufelte herunter. Ich
hörte von den Umstehenden äußern: „der Mann habe
von Glück zu reden.“ Ich dachte mir alles Möglich sei,
ner Lage, und konnte, angenagelt an die Wand, halb
gebraten von der Sonnenhitze, und von Fliegen und Welt
pen halb zerrißen, blutwenig Glück finden! „Ja,“ gab
man mir Aufschluß, „wenn der Pascha nicht so gütig
wäre, so läge schon lange der Kopf vor seinen Füßen.“
Das Gewicht des Brodes war wieder nicht in Ordnung,
Zwey andere Bäcker hatten denselben Tag aus den nän-
lichen Gründen, die gleiche Strafe auszustehen; seit
dritter, weil das Brod nicht genug gebacken war, und
also mehr an Gewicht hielt, als es, gehörig ausgeht,
cken, gehabt haben würde. Die Leute blieben so ang-
nagelt bis zum Sonnenuntergang. Ob der Laden der
Plünderung Preis gegeben, oder aber die Leute des Wir
ckers. Alles ausgeräumt hatten, weiß ich nicht,
Welch ein auffallender Kontrast dieses schnellen und
einfachen Gerechtigkeitsganges gegen den unsrigen! So
wie hier der Betrug entdeckt wird, büßt der Verbrecher
nach Verdienst augenblicklich dafür, und damit: „Lid
am Ende.“ Bei uns berathschlagt man bey schon erwil
fener Sache; wird endlich der Schuldige eingezogen,
beginnt der Prozeß und mit demselben Intrigen, Ritt
Kniffe und Pfiffe ohne End, verbunden mit Kosten ein
l
$.
Valet - eines Türken, 493
Zahl. Doch ich will lieber von einer Vergleichung dieser
Sache abbrechen, die, meines Erachtens, bey den Un-
gläubigen ohne anders redlicher behandelt wird, als bei
uns unter den Gläubigen ! “
Ich muß noch bemerken, daß der Zuschauer sehr we-
nige waren, und unter diesen beobachtete ich keinen Tür-
ken. Die Vorübergehenden hielten sich kaum einen Au-
genblick auf, und gingen ihres Weges weiter. Sey es
nun Gewohnheit dieser Sache, oder weniger Neugierde,
oder, weil sie es nicht für anständig halten, lange zu
gaffen, kurz, es ist auch hierin eine große Verschieden-
heit gegen dem Gedränge, das bei Prangerausstellungen
und andern ähnlichen Anläffen bei uns. Statt findet.
In der Nacht um acht Uhr vernahm man vom Ka-
stell einen Kanonenschuß; er war das Valet, das man
einem fo eben hingerichteten Türken gab ; diese Ehre wie-
der fährt jedem Muselmann beym gewaltsamen Abschied
aus dieser Welt. Durch sieben Juden geschieht das Er-
droffeln mit einem Strick; ist's ein Vornehmer, mit
einer feidenen Schnur. Auf die Letzte gäbe wahrschein-
lich der, den es trift, um die Ehre dieses Unterschieds
keinen Heller. Die Juden werden hiezu gezwungen; es
ist ein Schimpf, womit die Türken diese Nation belegen.
Den Tag vor meiner Abreise hatte ich noch das Ver-
gnügen, einen Derwischtanz anzusehen. Außerhalb der
Stadt, auf einer Anhöhe, in schöner Lage, war die
494 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel
Moschee, und den Franken der Zutritt erlaubt. Die
Moschee hatte, wie alle andern, eine runde Form. Ich
fah in den verschiedenen Gegenden der Türkei die Menge
dieser Tempel von Innen, aber in keinem etwas bess-
ders Sehenswerthes; die meisten waren ärmlich und
nachläffig unterhalten. Eine Menge" Lampen hingen an
Stricken, hin und wieder auch Straußeneier, von der
Bühne herunter, rund um befindet sich eine Galerie für
die Zuschauer. .
Es schallte mir eine wunderliche Musik entgegen; ft
bestand aus einer Handtrommel und einem Tambourin,
begleitet mit Gesang von vier bis fünf Türken; der G
fang war in Strophen abgeheilt, und hatte ungemein
viel Eigenes. Das Neue und Fremde dieser Musik mit
fiel mir nicht, sie harmonirte gefallend, mit den übrigen
Sonderbaren dieser Sache. -
Der Zweck dieser religiösen Funktion soll sein: z
büßen für die Sünden ihrer Glaubensgenossen. Jetzt
trat ich auf die Galerie, und fah hinunter auf der
Tanzplatz. Der Boden, ganz abgeschliffen, glänzte mit
ein Spiegel, und auf dem geräumigen Platze sah man in
einer Gruppe fünfzehn bis fechszehn Figuren schrillen
*) Man konnte sie für Maschinen, die, gleich einen Uhr
werke, aufgezogen werden, halten: so gleichförmig um
taktmäßig war die Bewegung und Haltung Aller, ein
wie des andern! Das Ganze gleicht einem Marionette
spiel, das durch des Künstlers Hand, mittels Dritte
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) Schweizerischer Idiotism für: eine wirbelnde Beweg,
mit dem Körper machen. . .
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- Derwischtanz. - 495
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zum einförmigen, unaufhörlichen Drehen gebracht wird.
Ich ließ mir sagen, daß der Anblick dieser Tanzenden
manchen Personen Schwindel verursache, und ich ver-
wunderte mich nicht darüber. Etwas gesenkt auf eine
Seite den Kopf, die Arme Schultern hoch ausgespreitet,
fliegend, wie abgemeffen, einer gleich dem andern, wir.
belt die Figur auf derselben Stelle im Kreise herum. Die
bunte Kleidung vollendet das sonderbare Schauspiel; sie -
ist einfärbig, aber keine der andern an Farbe gleich, je-
doch von den lebhaftesten, grellsten Farben: Carmoisin,
Grün, Aurore, Schwefel- und Gold-Gelb, Violet,
Weiß, Incarnat, Hellblau. Von einem Stücke fcheint
das lange Gewand, das sich von oben herab bis an die
Hüften allmälig zusammenzieht, und an diesen enge wie
eine knappe Schnürbrust, anliegt; von den Hüften aber
sich in Gestalt eines umgekehrten Trichters, weit nach
unten ausdehnt. Stehend wird das Gewand über Schuh-
länge dem Boden nach geschleppt; tanzend aber fliegt es
eben so hoch über denselben, und zwar so, daß man im
Umkreis des lufterfüllten Rockes nie einen Zoll Abweich-
ung wahrnimmt. Alle hatten hohe, weiß-gelbe Filzmü-
ben, fast wie unfre Grenadierkappen. In der Mitte
anzte ein Knabe von zwölf bis dreizehn Jahren.
Der Oberste, oder erste aus diesen Derwischen, war
fark hinkend; beim Tanzen aber trüllte er so rasch und
hebend, daß man nicht das Geringste davon merkte. Oft
hielt der Gesang inne, und fiel dann Strophenweise wie-
"ein, zuweilen erstillte die Musik ganz, ohne daß die
Tanzenden dadurch im Takt, Bewegung, Haltung, in
geringsten gestört wurden, - *
496 Sechstes Buch. Zweytes Kapitel,
Ich kam zu spät, und war kaum noch eine halbe
Stunde Zuschauer. Der wunderliche Ball endigte für
mich zu schnell. In Einem Moment waren. Allein einen
Halbkreis, tief, bis gegen den Boden gebückt, mit Kreml-
weis auf die Brust überschlagenen Händen; ohne zu
wanken von dem Stundenlangen Drehen, bleiben alle fest,
ohne Bewegung, in dieser schwierigen Situation. Es ist
dieses für unser Einen eine unbegreifliche Sache, und
wahrscheinlich eine Fertigkeit, die nur durch lange Uel,
ung erworben wird.
Mit Anstand und abgemessenen Schritten begeiste
einer nach dem andern den Oberpriester, sich tief neigend,
und ward von ihm, je nach dem Grade eines Ranges,
entweder auf die Mütze oder die Stirne gelift; dann
wurden drei bis vier Schritte rückwärts mit einer Ver-
beugung gemacht, und fo wie jeder zur Seite feines Nach
barn anlangte, ward auch jedem die emporgehobene und
dargereichte Hand gegenseitig zur gleichen Zeit geküft.
Mit einem Anstande, wie vom geschicktesten Tanzmeister
erlernt, geschahen die etlichen Schnitte rückwärts, um
sich unter Verbeugung vom Obersten zu entfernen. Die
Aufgabe warum so viel schwieriger, da das Gewand sich
am Boden schleppte; mit nicht weniger Anstand geschah
im gleichen Augenblick der gegenseitige Handkuß, ohne
daß man, wenn man auch zu spotten Lust gehabt hätte,
es über die Art und Weise, mit der es geschah, thun
konnte. Noch einmal erfolgte Musik, und jeder schwebt
kreisend auf seinen Platz; es dauerte aber nicht lange,
so war die ganze Zeremonie beendigt; im Nu lagen. Alle
in gleichen Distanzen auf den Knieen, das Gesicht gegen
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Der wifchtanz. - 497
die Erde gebückt, ihr Gebeth zu verrichten; zuletzt ward
von einem Aufwärter über jeden in dieser Stellnng ein
Pelz gespreitet, wahrscheinlich der Gesundheit wegen.
Noch trat einer der Ulemas gegen die Mitte des Saals,
das Gebeth zu beschließen; in einen langen, schwarzen
Talar war er eingehüllt; nie fah ich eine so schwebende,
und doch fo Statuen - ähnliche Figur, wie diese; der
eine Arm erhoben, der überwallende Aermel verbarg die
Hand, der andre tief gesenkt; in schöne Falten fiel
das flatternde Gewand; die Stimme war gedämmt, Ton
und Aussprache feyerlich; es schien beinahe eine Gei-
stererscheinung, Bewegungslos von Anfang bis zu Ende.
Wohl mag man vergebens auf diesem Erdenrund eine
andere Nation suchen, welche die Ceremonie ihres Got-
tesdienstes mit so viel Pünktlichkeit und äußerm Austande
beobachtet, wie diese ! Ich verstehe, begreiflich, den Ri-
tus, abgesehen vom Geiste; denn was mag fürs Ganze
geleistet werden, ohne die Sinne in Conflikt zu bringen!
Ohne erhebende Musik, ohne Gemälde, ohne Wohlgerü-
che! In Betracht des Sinnenzaubers möchte aber wohl
kein Cultus dem des römisch-katholischen gleich kommen!
Wie viel Imposantes hat eine Meffe! Welch' feierliche
Erhabenheit eine religiöse Funktion in Rom, Jerusalem,
Wien, eine Kirchenmusik in München oder Dresden:
Welche Wirkung, wenn nicht überzeugend fürs Innere,
doch hinreißend für die Sinne
498 Sechstes Buch. Drittes Kapitel,
3,
Geschrieben in Lugos.
Aus den Zeiten des mazedonischen Alexanders befinden
fich noch einige, obgleich unbedeutende Antiken in Salt
nichi; auch ward ich eingeladen, mit einer Gesellschaft
die Reise nach Athen hinab zu machen, aber was hätte
ich gefunden in den traurigen Ueberbleibseln dieses einst
fo berühmten Orts, nachdem ich die Pyramiden von Wal-
beck gesehen hatte; zu dem hatte ich dieser Denkmäler
der Vergänglichkeit übersatt! Sehnsucht nach der Hel
math, und keine andre Empfindung, hatte ich mehr. Es
war hohe Zeit, den Entschluß hiezu ins Werk zu sehen;
denn meine Verfolgerin, die Pest, näherte sich, und man
fprach bereits davon: daß sie in einigen Dorfschaften,
kaum eine halbe Stunde vor der Stadt, eingekehrt sei,
Der östereichische Konsul hatte die Güte, mit Empfehl,
ungsschreiben zu geben; zugleich verschaffte er mir auch
einen Firman vom Pascha, und ich reiste den erfand,
tober, ohne weitern Bericht von meinen Effekten aus
Aegypten erhalten zu haben, von Salonichi Abends um
vier Uhr ab.
Im Augenblicke der Abreise machte ich noch die Alb
fchiedsbesuche bei dem Grafen von Koch und einen in
zöfischen Haufe. Bey jenem vernahm ich: „Alles geht
aufs Beste, die Franzosen seien überwältigt, geschlagen,
hundert und dreißig tausend Mann Franzosen in Moskau
desertiert ") (ein Bagatell!), General Wrede vor der
*) Hätte er gesagt: e rfroren, so wäre es noch hing
gangen. -
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Zigeuner und ihre Wohnungen. 496
Fronte durch einen Tyroler erschoffen ganz Deutschland
und Italien in vollem Aufstande und dergleichen.“ In
die fem hatte man: „Telegraph-Nachrichten von Nichts
als Triumphen und Viktorien des Kaisers, allgemeinen
Niederlagen der Verbündeten; überall die französische
Armee glorreich, Wien neuerdings bedroht, von den
Franzosen erobert zu werden, und anders mehr.“
Jetzt konnte ich wählen, nach Belieben! - - - -
- -
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Nun beginnt die langwierige, unangenehme Zeit der
mühsamen Rückreise durch die Türkey, bis auf den Tag
meiner Erlösung aus dem Lazarethe von Orsowa. Es
war statt Sommer nun Herbst; lange Nächte, Kälte,
Näffe und Feuchte begannen; der Reiz der Neuheit gab
den Unannehmlichkeiten nicht mehr eine freundlichere Ge-
stalt; und von den zweyerley Ansichten, die ich auf der
Herreise schilderte, herrschte ohne anders die Nachtheilige
P0. - - - - - -
Ich übergehe die nähern Umstände der Rückreise,
Um meinen Freunden weniger lange Weile zu machen;
sie haben ohnehin viel Aehnliches mit denen der Herreise,
auffer daß ich vor Durst und Hunger geborgen war; er-
steres wegen nassem Wetter, und letzterrs, weil ich das,
jenige erwarb, was auch dem Weisesten nicht anerhoren
ist; es heißt: Erfahrung. Durch diese belehrt, hatte
ich immer hinlänglichen und genugsamen Mundvorrath.
In Mazedonien, Romelien und Bulgarien halten
fch viele Horden Zigeuner auf; halb unter der Erde in
- J ! 2
500 Sechstes Buch. Drittes Kapitel
Löchern, haufet dieß schwarzgelbe Gefindel. Von ferne
gleichen ihre Wohnungen einem Lager von Misthaufen;
bey nahem aber findet man diese Paläste ausgehöhlt,
und das Pack, das so viel Aehnlichkeit mit den schnt,
zigten Aegyptiern hat, darin wirthschaften. Sie erhal
ten sich größtentheils vom Raube, kapern den Bauern ihr
Federvieh, und tragen es in die benachbarten Ortschaft
ten zum Verkauf. Die Kinder laufen bis ins zehnte,
zwölfte Jahr nackend, und gewöhnen sich früh an die
strapazenvollste Lebensart, um dann die Gemächlichkeiten
des Müßiggangs dafür in reifern Jahren genießen zu
können. Die schlechte Polizei des Landes ist wahrschein
lich die Ursache, daß ganze Kolonien dieses gefährlichen
Volks sich hier mehr, als anderswo, ansiedeln.
- Unweit Salonichi begegnete ich einem Trupp türki-
fcher Reuter. Der Anblick ist immer fürs Auge reichhal
tig. Wenn man bei uns zehn gesehen hat, so hat man
alle gesehen; nicht so bei den Türken: hat man tausend
gesehen, so kommen wieder zehn andere, von denen kei
ner einem aus den Tausenden gleicht, weder in Coint
noch in der Manier, fein Roß zu bereiten.
In Seres fand ich alle meine Bekannte wieder, die
eine große Freude über mein Wiedersehn hatten. Ich
hatte von Constantinopel aus hingeschrieben, und der
frankirten Brief mit Geld dem Juden gegeben, der in
dortigen Gasthof bedient; jener aber fand es wahrsche
lich für gut, den Brief zu zerreißen, und das Geld in
die Tasche zu schieben; wenigstens kam der Brief nicht an
„Aber in Widdin sei die Pest, hieß es, „undaß
nicht rathsam, diesen Weg zu machen.“ Der gute Mae
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Reise - Karavane nach der W a la chk y. soll
- l es ko, der den ganzen Sommer über, wegen der äußerst
ungesunden Luft, krank darnieder lag, gab sich Mühe,
mir, wie er glaubte, sicherern Weg zu verschaffen; er
rieth mir den nach der Walachey einzuschlagen. Es
ging eben eine Karavane Griechen dahin ab; zu diesen
verfügte ich mich, nachdem meine Bekannten die Freund-
fchaft hatten, mich in dieß mir fremde Land mit Em-
pfehlungen zu versehen.
Und nun scholls den Zug auf und ab: „Dimitri!
Athanasio! Anastasio Petrarchi! Dyonisio und so wei-
ter.“ Die Gesellschaft interessierte mich übrigens nicht
besonders, und wir blieben uns die ersten acht Tage ziem-
lich fremd, um so mehr, da ich gar Nichts von der grie-
chischen Sprache verstand, und sie von andern nicht viel.
Man durchschnitt einen nicht weiten Strich von Ma-
zedonien, um sich nach der Gegend von Philippopolis zu
wenden. Zwischen jener Provinz und an der Gränze von
Romelien hatten wir einen Wald, der drei Tagemärsche
erforderte, um ihn zu durchkreuzen. Die Witterung war
fehr unbeständig; die Gebirge mit Nebel und niederm
Gewölfe überdeckt; öftere Regenschauer wechselten mit
Helle und Windstille. Die mißliche Gegend erheischt
Verbindung der Karavanen, und die Kiraggis sind be-
forgt, sich in Gesellschaft zu sammeln, und nie anders
als zahlreich hier durchzuziehen. Um gute Weide für die
Pferde zu finden, ist man genöthigt, oft halbe Stunden
Waldeinwegs zu stechen. Es hat aber keine Noth, daß
nicht. Alles sich nahe zusammenhalte, ich zählte fünf,
fechs rund um sich lagernde Karavanen, die jede wieder
sich in so viele verschiedene, kleinere Gesellschaften theilte,
502 Sechstes Buch. Drittes Kapitel
welches an der Menge von Feuern abzunehmen war. Der
ganze Bezirk war schön erleuchtet, und an Holz mangelte
es nicht. Abgestorbene Tannen wurden gehauen, und
Stückweise durch ein halb Dutzend von der Gesellschaft
herbey geschleppt; dann der ganze Holzstoß angezündet,
und darneben die kleinern Feuer zum Kochen angeordnet,
Es waren mehrere hundert Pferde, und eben so viele
Personen; alle bewaffnet und in der besten Verfassung,
um sich zu vertheidigen; die Menge macht Muth; man
ward mausig, und trotzte den Räubern fammt und soll
Der 6.
Man hatte auch wirklich von diesen weniger zu be-
fürchten, als von andern unangenehmen Ereigniffen. Ge-
gen Mitternacht fing es nämlich an etwas zu regnen;
Donner und Blitz erfolgten bei gänzlicher Windstille;
der Horizont ward um uns her Kohlenschwarz; mehr und
mehr begann es reichlich zu schütten; durch den Platz
regen erloschen auch die größten Feuer; man kann so
ins Dunkle, daß man kaum ein Pferd zu finden in
Stande war. Die Kiraggis scheinen zur Nachtzeit, gleich
den Katzen, zu sehen, denn es kam doch nach und nach
dazu, daß die Karavane in marschfertige Bewegung ge-
rieth. Fünf Stunden zogen wir bey stockdunkler Macht
weiters, so gebückt auf dem Pferde, daß mein Kopf
nicht höher, als der meines Pferdes, kam, um durch
die herabhängenden Tannenzweige und andre Baumäft
nicht herabgeworfen zn werden, oder die Augen zu verlieren,
oder sonst auf andre Weise Schaden zu nehmen. So trich
man sich vorwärts, bis endlich der lang erwünschte Tag
heranbrach. Der Regen dauerte jedoch fort; mein tür-
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Philippopolis. 503
kischer Mantel von halb Fingerdickem Tuch fchlug durch;
der Ueberrock darunter war naß, der dritte Rock schützte
nicht mehr; Hemd und Untergilet klebten auf der Haut.
So wie das Wetter hellte, wurde die Kälte sehr em-
pfindlich, und das Wiedertrocknen der Kleidungsstücke auf
dem Leib, ging nur langsam vor sich.
Gegen neun Uhr kam man einen Strich weit durch
einen Wald von Buchen, wie ich sie noch nie so schön sah;
er zog sich einen beträchtlichen Hügel hinan, und hier war,
wie es schien, der gefährlichste Paß. Die Karavanen folg-
ten einander, eng geschloffen, in Einem Zuge, und ,
wohl eine Stunde dauernd, ertönte Schuß auf Schuß,
fo, daß es ein ununterbrochenes Pelotonfeuer schien; es
follte den lauernden Räubern zu verstehen geben, daß
man zum Empfang bereit wäre. Gegen Mittag ließ man
die Pferde weiden, und zugleich wurden Feuer angelegt,
als wär' es darum zu thun, den Schnee des Nordens zu
schmelzen. Bald wurden die Kleider, Stück für Stück,
trocken, - - - - -
Der zehnte Theil des abgestandenen, verfaulten, ver-
dorrten und verbrannten Holzes, das diese Waldung ent-
hält, genügte, um alle Fabriken in der Schweiz auf
viele Jahre mit hinlänglichem Brennmaterial zu versehen.
So wie die Waldgegend endete, verloren sich und ver-
fchwanden, ich weiß selbst nicht wie , die Schaaren von
Leuten und Pferden; wir blieben allmälig wieder allein,
Philippopolis war in der Nähe! Wir fahen auf etwa zwey
Stunden Entfernung diese beträchtlichen Stadt; die
weißen Minarets hoben sich lebhaft aus dem Qualm der
niedern Häuser, in die Höhe; aber die Pest herrschte
504 Sechstes Buch. Viertes Kapitel,
dort, und glücklich der, der Meilenweit davon gesichert
War !
In Barzargick, einer nicht unbeträchtlichen Stadt,
hielt man Rastag. - -
4.
An vielen Orten im ottomanischen Reiche, wo sich
beträchtliche Ebenen finden, werden die Gränzen eines
Paschaliks durch aufgeworfene Erdhügel bezeichnet; diese
erstrecken sich oft in gerader Linie, oder, je nachdem die
Gränze sich sondert, auch in krummen, unübersehbarkeit
hin; von Halbstunde zu Halbstunde hebt sich aus den
ganz flachen Gelände, wieder ein solcher Hügel, von
ferne großen Heuhaufen ähnlich. Auch hier finden sich
noch Reste von aufgeworfenen Festungswerken aus den
Zeiten Alexanders.
Einige Tage später erreichten wir Gahr ging, ein
Dorf von mehr als tausend Häusern, alle von Griechen
bewohnt. Hieher hatte ich Empfehlungsschreiben; ich
wurde freundlich aufgenommen, und mit-Eaffee bewir.
thet. Man fäumte sich aber nur eine Stunde, und der
Kaufmann machte mir beim Abschied ein Geschenk von
neun Eyern. Man würde bei uns lachen, wenn man
erzählte: »daß man mit einem Präsent von neun Ehen
von einem anempfohlenen Haufe wäre regalirt worden“,
aber bis zu Lande lacht man nicht, sondern steckt die
schönen, frischen Eyer dankbar in Sack, und läßt sich
.
Unerwartete Ehrenbezeugungen. 505
dieß Andenken beim nächsten Feuer trefflich schmecken;
denn oft bietet man vergeblich Geld an, um diese nahr-
haften Dinger zu bekommen. Der Kiraggi war mein
Wegweiser zu der Wohnung des Kaufmanns oder Krä-
mers (anderes als das Letztere läßt sich hier nicht er-
warten). Die Unterhaltung geschah in türkischer Spra-
che; als sie zufälliger Weise auf die Gegenden von Sy-
rien und Palästina fiel, und ich nun sagte: Ich käme
wirklich von Jerusalem, rief der Kaufmann: „Also sind
Sie Hadschy *)!“. - -
„Hadschy! Hadschy!“ rief verwundert der Anführer
der Karavane, indem er mich erstaunt und erfreut be-
trachtete. Ich wußte selbst nicht recht, was das Ding
auf sich hatte, und erfuhr nun, daß alle diejenigen,
die in Jerusalem waren, den Namen Hadschy bekommen
und führen, ja sogar denselben in ihrer Handlungsfirma
unterzeichnen. Die Reise nach Jerusalem wird als ver-
dienstvoll angesehen, und erwirbt Ansehen und Beyfall.
Kaum zurück bey der Gesellschaft, verkündete der
Kiraggi derselben: „daß ich in Jerusalem gewesen sey.«
Nun kam Jeder, um mir, dem Hadschy, Glück zu wün-
fchen. Ich kann nicht sagen, welche ausserordentliche
Sensation diese Nachricht augenblicklich unter der ganzen
Karavane bewirkte, und mit welch günstigen Blicke ich
nunmehr von Jedem betrachtet ward! Es schienen gar
nicht mehr die ehemaligen Verhältniffe, nicht mehr die
selbe griechische Gesellschaft zu sein! Vorher hatte ich
keinen Namen, und jetzt scholls unaufhörlich: „Hadschy“
,
*) Geheiligter, Geweihter. -
sos Sechstes Buch. Viertes Kapitel
Jeder wollte mir eine Verbindlichkeit erweisen; Jeder
bezeugen, daß er mir hold wäre.
Was ich schon früher über die Ergiebigkeit des Wo
dens in den verschiedenen Provinzen der Türkei bemerkt,
das gilt auch bei den jetzt durchwanderten. Mit zwei
Ochsen wird hier gepflügt; leicht schreiten sie vor und zit-
hen das einfache Werkzeug rasch durch den lockern Boden,
An den meisten Orten ist die Erde schwarz und mutig")
mitunter etwas sandigt. Ueberall gibt es wilde Oil
me mit zierlicher Waldung, aber auch nicht. Einen, der
geimpft oder in Ordnung gehalten wäre. Die vernachli
sigte Natur ist überall auffallend -
Nie sah ich hingegen schöneres, malerisches Bild
als in diesem Bezirk *) bis gegen die walachische Geise
hin. Von hier aus wird das türkische Reich mit guten
wohlschmeckendem Rindfleisch versehen. - *
In einem Dorfe, in dessen Nähe wir übernachteten
klagte man über Theurung; dennoch kaufte man fünf
Eyer um einen Kreuzer (zwey Parahs). Bevor die
Ruffen da waren, galt eine Gans zehn bis zwölf Parahs
also fünf, sechs Kreuzer), und nach Verhältnis als
Uebrige zu solchem Preis! - -
Nach Verfluß von ungefähr zwanzig Tagen lange
wir in Sistow, an der türkischen Gränze an. Die
*) Fett sowohl, als fett machend; fchweiz. Idiotism
“) Es ist grau und weiß gefleckt (geschegger)
z)
Siftow. - 50
Morgens früh erblickt' ich die Donau, und es war mir,
wie wenn man einen guten alten Bekannten nach langer
Zeit wieder sieht! Die meiste Beschwerlichkeit war bis-
her zur Nachtzeit die Kälte. Dicker Reif deckte am Mor-
gen das Land und den Mantel, oder die Decke, worum-
ter man sich barg; doch milderte, wenn man Holz
fand, das Nachtfeuer diese Unbequemlichkeit, und um sich
dieß zu verschaffen, sparte man keine Mühe, und suchte
es oft Viertel- und Halbstunden weit umher zusammen.
Schon in Gabrovo vernahm ich die schlimme Nach-
richt: daß auf unseren Wege von dort an, mehr oder
weniger, die Pest durchgehends graffire, und bereits
schon dafelbst sich festgesetzt hätte. -
In Sistow fand sich ein Khan, von Griechen ein-
gerichtet, und schon in Zimmer abgeheilt. Das Erste,
was wir vernahmen, war, daß die Pest in Sistow
herrsche, ganz besonders im untern Theile des Ortes.
Ich nahm ein Zimmer für mich, und erklärte meiner
Reisegesellschaft augenblicklich, daß hier Vorsichtsmaaßre-
geln nöthig wären, und wir also in Zukunft einander
vier Schritte vom Leibe bleiben würden. Ich besorgte
meine Einkäufe von Lebensmitteln selbst, ließ Niemanden
etwas berühren, und kochte auch selbst. Auf diese Weise
wußte ich mich, mitten im verpesteten Dorfe, gesichert!
Sistow erstreckt sich längs der Donau, als ein Rie-
men, wohl eine Stunde lang hin. Von den Ruffen in
letzten Kriege abgebrannt, blieben nichts, als Schutthau-
fen. Die Donau hat hier eine ungeheure Breite; das
Perspektiv des gegenüber liegenden Ufers gleicht dem des
Bodensees bey uns. Inseln, Stunden breit und mehrere
sos Sechstes Buch. Viertes Kapitel
lang, füllen die Mitte. Hier braucht es einen kräftiger
Sprung, darüber zu fetzen, als derjenige war, den ich
vor langen Jahren im Schloßhof zu Donaueschingen über
die Ouelle dieses größten Stromes von Europa macht
-
Ehe ich die Türkey verlaffe, noch eine Bemerkung
über Türken- und Griechen-Gesichter. Wenn Herder
in feinen „Ideen zur Philosophie c.“ den Satz behaup-
tet: der Einfluß des Klima, des Himmelsstrich, der
Weltgegend c. organisire und influire so und so auf die
unter demselben lebenden Geschöpfe, woraus die verschie-
denen, physischen und moralischen, bemerkenswerten und
auffallenden Eigenschaften der Bewohner herzuleiten wir
ren: fo möchte es doch schwierig feyn, diesen Satz mit
den so fehr abstechenden und verschiedenen, sowohl kör-
perlichen als geistigen, Eigenschaften der Bewohner der
Levante, Türken und Griechen, zu reimen; denn fay,
pantere Ungleichheit findet man selten bei Bewohner
der von einander entlegendsten Gegenden, als hier,
gleichsam auf einem Punkte konzentriert!
Woher also unter einem und demselben Grad seit
schon so langer Zeit das Total-Entgegengesetzte des Chº
rakters, des Temperaments, der Sitten, und der äuft
physischen Gestaltung? Warum hat sich in einem so lall-
gen Zeitraume der heitre Humor der Griechen in seiner
ganzen Originalität erhalten? Diesem Volke scheint Froh
finn, Munterkeit, geselliges Wesen angeboren; alle schi
ckernd, scherzend, immer sich neckend: während – um
_–=-
% | * Physiognomische Bemerkningen. 509 -
in gekehrt – die Türken ernst und feyerlich, meistens still,
„ selten in froher Stimmung, und nie lustig oder an Leicht-
„n sinn gränzend, sich zeigen? -
„ Nehme man den Unterschied in der physischen Ge-
faltung ! Auch dieser ist auffallend, obschon nach Herders
System sich hierin Modifikation erwarten lief. Ohne
Mühe erkennt man mit mäßiger Beobachtung, ohne auf
das Kostüme Rücksicht zu nehmen, den Türken vor dem
* Griechen und umgekehrt. Von Scheitel bis zum Kinn
Zu so verschiedene Physiognomien, wie zwei ganz verschie-
dene Nationen!
In jedem Gesichtszuge der Griechen, dieses feinen,
gescheuten, durchtriebenen Volkes, liegt ein gewifes Et-
was, wie soll ich's nennen! ein Zug von Verschlagenheit,
Arglist, Verschmitztheit, der Ausdruck ist zu gelinde, und
einen gröbern will ich nicht brauchen. Kurz, ein gewis
fes. Etwas im Blicke, ja, ich möchte fagen, in jeder Mus-
kel des Gesichts, welches euch anzeigt: daß es Besonnen-
heit braucht, sich einem folchen Gesichte anzuvertrauen!
Man muß Euch laut zurufen: Seyd auf Eurer Huth, der
freundlichen Grimaffe und dem Schwall von Höflichkeits- -
“ bezeugungen, womit Ihr überschwemmt werdet, zum
Trotz ! . " . "
Leicht erkennt Ihr dagegen des Türken barsche, un-
bezähmte Physiognomie; fchönere, ausdruckvollere Züge
bezeichnen es in diesem! Deutlich scheint man darin lesen
4 zu können, daß da nichts Verstelltes, Heimtückisches,
Hinterhältisches, wenigstens nicht auf eine feine, ver-
* schmitzte, falsche Weise, haftet. Wenn nicht offen, doch
ehrlich, gerade, aber auch stolz, öfters grob und verach-
zuk
in
g
I
/
540 - Sechstes Buch. Fünftes Kapitel
tend sieht das wilde Gesicht aus“); und, wenn in die
chischen Schädel das Organ des persönlichen Mutes in
, der Tapferkeit, bald ohne Ausnahme, totale Fläche
bliebe: so sagt euch dafür, schon von Ferne, des Türkei
entschloßner Blick und seine Contenance: daß er jeden
Augenblick bereit sey, Euch eine Kugel durch den Kopf
zu jagen, oder mit dem Dolch Euch zu durchbohren, so
bald ihr Lust habt, feindselig mit ihm zu handeln!
/
- 5. - -
Geschrieben in Temeswar.
Nach drei Tagen fand ich einen Griechen, der mit
einigen Ballen Waare nach Crajowa reiste, und mit
zu billigem Preis in einigen Tagen hinzubringen versprach,
Wir hatten Mühe, uns verständlich zu machen, die
nicht mehr türkisch sprach, als ich. Nach einer ei
Stunde dauernden Fahrt, landeten wir an allen
der Donau, in Semniza in der Wallachen. In
fer Ort, Sistow gegenüber ist. ganz abgebrannt, übri
gens schön gelegen. -
Hier hatte der Grieche die Ausflucht: keine Fuhr zu
finden; ich ward dadurch genötigt, zwei in a
) wenn die Türken also keine andre Christen kennen al
die Griechen, dieß falsche, verschmitzte Volk, so it'
nen ihr Stolz und ihre Verachtung zu entschuldigen,
- /
f
_–=–
Semniza, 511
„ Ufer der Donau zuzubringen; es war kalte, ungestüme
„ Witterung. Die Machenschaft des Mannes gefiel mir
„ „ nicht; es war ein ewiges Springen und Rennen um
- Nichts; er hatte immer so sehr Eile, daß er kaum Zeit
- hatte, mir zu antworten. Jetzt fagte er mir endlich:
„ „daß er eine Fuhr gefunden hätte, aber daß statt drey,
„ fechs Tage akkordiert wären.“ -
-- Dieß war nicht seinem Versprechen gemäß. Ich
konnte mich vor Unwillen kaum faffen, einen so kurzen
Weg erst in so langer Zeit zu erschnecken *), und sechs
kalte Nächte wieder auf naffem Boden, und vielleicht bey
anhaltendem Regen zuzubringen. Ich war äußerst übel
gestimmt, und haderte mit dem Schuft; er nahm es ge-
duldig an, und ich ergab mich endlich voller Mißmuth
in die morgende Abreise.
Morgens, statt vor Tag, erschien die Fuhr erst um
neun Uhr. Elend beschaffen, und so vollgepfropft von
es den Waaren des Griechen, war der Karren, daß ich
kaum mehr Platz darauf hatte. Die Decke darüber voller
„ Löcher, schützte weder vor Wind noch Regen. Diese
griechische Industrie, nur zu ökonomisch! erboste mich
„ aufs Höchste. Jetzt war's am Abfahren. Der walachi-
- fche Fuhrmann, voller Schmutz, und den Schaafpelz
voll Ungeziefer, was hier zu Lande nie mangelt, setzte
“ sich hart neben mich hin. Das war zu viel! Runter das
schrie ich, warf Felleisen, Sack und Pack vom Wagen,
", sprang herunter, und ein: Fahr zu, Hallunke ! wohin
“ du willst donnerte dem Griechen nach.
-
s *) Mit der Schneckenpost zu machen,
l
s2 Sechstes Buch. Fünftes Kapitel
Vergebens Vorstellungen, vergebens Versprechungen
vergebens gute Worte, vergebens Drohungen! – Einmal
das Maß voll, so überläufts. Ich war nicht mehr
bewegen mitzufahren, auch wenn meine Lage noch schlim
mer gewesen wäre, und sie war doch schlimm genug! In
Ort war die Pest ziemlich stark; ich blieb ohne Obdach;
verstand nicht ein Wort von der Landessprache; hallt
keine Aussicht: wann und wie ich weiter reisen könne;
keine bekannte Seele in der ganzen Ballade welch
Lage! -
Der Wagen fuhr ab, und ich blieb allein. Ich weiß
nicht wie närrisch dieser Moment war. Aber ich pa-
zierte um mein Gepäcke herum, und lachte ziemlich laut
Ich sah den Karren vor einem Haufe vorbereitet,
vor welchem ein zweiter von einem andern Griechen bis
frachtet wurde; ich ging zu sehen, ob ich nicht das erst
digte Nest beziehen könnte; eine steinalte Frau empfing
ich, und sah mich verwundert an, doch lief sie mich
ins Haus; ich fand ein leeres Gemach, das der Grieche
bewohnt hatte, nicht uneben beschaffen, mit Papierferien
zum begann unser Dialog. Er wirkte soviel, als bei
dem Gehörlosen die Musik. Auch nicht ein einziges Wort
ward gegenseitig verstanden. -
- „Geld regiert die Welt - dachte ich, und richt
„ er Parahs heraus, deutete auf Zimmer. " zud
Gepäcke: da ward die Vereinigung der kontrahlt"
geile erweckt. Die Alte schob die Parab in Sack, und
ich schleppte mein Gepäcke ins Gemach; fpreitete den Tät
pich zum Bette auf den Boden, und dankte Gen "
einmal nur ein Obdach zu haben. -
Bauart in Sinniza. sts
1:1 - -
… Jetzt richtete ich meine Küche ein, die ich immer
mitführte, und ging hinaus, zu rekognoszieren, was es
in Sinniza zu fchnabeliren gäbe: Da fand sich Reis,
-
Eyer, Käse, Fleisch, Hühner, guter Wein zu wohl-
--- feilem Preife, frisches Brod alle Tage; von letzterm
“ spießte ich noch ganz warmes, gerade aus dem Ofen,
ans Meffer, und trug es so durch den Ort nach meiner
“ Wohnung. Warmes Brod ist der Welt empfänglich, kal-
--- fes nicht. Alles Erkaufte ward durchs Wasser gezogen,
* oder durch starken Rauch. Niemand ließ ich mir auf
st vier Schritte nahen. Auf diese Weise war ich vor der
Krankheit gesichert, auch wenn halb Simniza daran
starb. -
z: Die kleinen, feit der Verheerung des Brandes wie-
der aufgebauten Häuschen, harten eine nette und gefal-
lende Bauart ins Quadrat; gegen die Mittagsseite hatte
die Dachung einen Vorsprung, der auf sechs bis acht
„3 Pfeilern ruhte, und worunter sich eine artige Galerie
befand, es war mir angenehm, auf dem reinlichen,
glatten Leimboden, in der Länge des bedeckten Ganges,
„z auf und nieder zu gehen. Durch die Mitte des Hauses
führte der Gang in dasselbe, und symmetrisch zu beiden
„ Seiten, waren die Thüren und Fenster angebracht. ue-
brigens die ganze Hofhaltung, gleich dem chinesischen
Reich, mit einer Mauer umfaßt; das heint, mit einem,
sechs Schuhe hohen, geflochtenen Zaun, innerhalb wel-
t chem, unter besondern Firsten, das Reich des Besitzers
s sich findet:
Num. 1. Seine Wohnung, meist zur Hälfte unter
g“ der Erde, . .
„K k
- -
514 Sechstes Buch. Fünftes Kapitel,
Num. 2. Nahe gelegen der Keller.
Num. 3. Dachung, worunter gekocht wird
Num, 4. Stallung -
Num. 5. Stallung für die Hühner, auf Pfeilern ru,
hend, -
Num. 6. Extra, Abtritt.
Num. 7, 8, 9, Behälter für Geschirr, Früchte aller
Art, Obst, Gartenprodukte, e. -
. Das Ganze war Korb- ähnlich geflochten, und statt
mit Ziegeln, mit Binsen, Streu und Erde Schuhhoch
bedeckt, %- -
Galt ich früher auf dieser Reise zuweilen für ein
halbes Wunder von, Gott weiß, welcher Gelehrsamkeit
so konnte man jetzt hingegen in diesem Lande nicht be
greifen, wie es einen so dummen Menschen geben könne,
der weder walachisch, noch bulgarisch, weder rabisch noch
illyrisch, weder servisch noch moskovich (rußisch) ver-
zünde; der vom Griechischen gar nichts, und das Ei
fische nur gebrochen und zur Noth spräche. Alle Ein-
wohner dieser Gegend sprechen meist drei bis vier der er
wähnten Sprachen . . daß ich von keiner Etwas verfall
hat mir selbst am leidesten
Schon am ersten Tage meines Aufenthalts ging ich
auf die Post, um meine Weiterreise durch dieselbe
betreiben: aber die Fuhrwerke dieses Landes sind so be
schaffen, daß man kaum in dem schmalen und kurzen s
zen hucken kann, geschweige noch Gepäck mitnehmen."
I
st
l
ht
is
le
Die Posten in der Wallachey, 515
hatte von letzterm nicht über einen halben Centner, aber
der Posthalter verdeutete mir, mühsam auf türkisch, wo
- von er nicht viel mehr als ich verstand: daß ich einen
“ zweiten Karren, gleichfalls mit vier Pferden bespannt,
wie für mich selbst, nehmen müßte. Ich dankte für die
Ehre, mich mit acht Pferden durch die Wallachey spazi-
ren fahren zu laffen, und äußerte: eine wohlfeilere Ge-
legenheit für die Weiterreise abzupaffen.
“ Die Posten in diesem Lande sind außerhalb der Ort-
“ fchaften, und bestehen in gevierten Gebäuden, wovon
eine Seite fechszig bis siebenzig Schritte hält. Gegett
den Winter werden doppelt geflochtene Weidenwände um
dieselben herum gezogen, und mit Streue ausgefüllt. Die
Pferde stehen dann in diesem warm haltenden Gang.
g: Innerhalb des Vierecks bleibt der Platz zur Stellung der
- Postkarren frei. Auf diesem Platz sind auch die Heu-
haufen dem Dutzend nach aufgeschichtet, und Raum zum -
„ Kommen und Abfahren der Posten. Der Posthalter
„r wohnt an beffern Orten, in einer Hütte unter der Erde;
- sechs bis acht Stufen führen hinunter; im Sommer ists
in diesen Löchern lieblich, kühl; im Winter warm. An
den meisten Orten ist jedoch nur ein Dach aus schlechtem
Weidengeflechte, und da lagert bey rauher Witterung auf
- freier Erde der Tros von Postillonen; ins Wetter schön,
unter freiem Himmel, bey einem Feuer.
- Es ist unglaublich, wie viel Würste und Fleisch,
: welches letztere in fchmalen, dünnen Riemen, gedörrt,
zu ganzen Haufen in Magazinen vorräthig aufgethürmt
ist, in dieser Gegend verbraucht wird. Ich sah vor ei-
nem Haus fünf geladene Wagen voller Würfe wegfahren:
( K. f 2
516 Sechstes Buch. Fünftes Kapitel,
es ist kaum anders möglich, als daß die meisten aus
Pferde- und Efels - Fleisch bestehen. Diese Nahrung ist
aber hier so an der Tagesordnung, daß man nirgends
Brod ohne Würste oder gedörrt Fleisch effen sieht.
--mm-
Ich begann nach und nach fehr unruhig zu werden,
da sich seit acht Tagen nirgends eine Gelegenheit zum
Abreisen zeigen wollte; ich hatte um so eher begründete
Ursache dazu, da seit einigen Tagen bereits heftig bei
matische Schmerzen sich bei mir einstellten; ein Uebel,
das ich in frühern Jahren durch viele und harte Arbeit
im Sommer und Winter, in der Nässe, Kälte und Hitze,
vom frühsten Morgen bis in die späteste Nacht, erholt
hatte, und das mich erst in spätern Jahren, bei etwa
mehr Ruhe, wieder verließ, und sich beinahe gänzlich
- -
verlor. Dieses Uebel stellte sich durch Verkältung, durch
das Schlafen auf nassem Boden unter freiem Himmel
in langen, rohen Witterungs-Nächten, wieder ein,
Auch in meiner Kammer in Simniza konnte ich nie
recht erwarmen; es mangelten mir genugsame Decken
Der Nordwind klapperte in die Papierfenster, und die
Regenschauer schlugen so gegen sie, daß sie rißen. „Mit
Winter rückt heran,“ fagte ich mir unaufhörlich, er
rückt mit jedem Augenblick näher, und wie dann
reifen in die fem Land?“
Ich beschloß demnach die Abreise auf den erst
schönen Tag, und eher noch Alles zu versuchen, als hier
, , , , - - - - " - , - - - - - - -
mit
in
ist.
gilt
ält.
u!
zit
-
J:
Bequemlichkeit wegen der Postbezahlung. 517
durch Verspätung zu Grunde zu gehen, Ich ging neu
erdings zum Posthalter, der mit mir, unter dem Vor-
wande, mein Gepäcke zu besichtigen, nach Hause kam,
dem es aber eigentlich um Branntwein zu trinken zu thun
war. Nachdem er alles gesehen, fagte er mir einen
Wagen zu, wo ich und meine Effekten Platz hätten: „Man
müffe einen größern Wagen nehmen, und so weiter.“ Ich
dankte freundlich, und bestimmte auf den folgenden Mor-
gen die Abreise. - - - -
- Am folgenden Morgen war der Posthalter wieder
bei mir. Ich bezahlte ihn bis Crajowa, einem Haupt-
orte der Wallachey, wo ein deutscher Consul ist; dort
hatte ich den halben Weg bis Orlowa. In der Wallachei,
bezahlt man auf der ersten Post eine ganze Reise; eine
schöne Bequemlichkeit für den Fremden, der die Landes-
sprache nicht versteht, und also der fauern Arbeit über
hoben ist, mit dem Gesindel auf jeder Post wegen der
Zahlung, den Geldfuß u. a. m. zu unterhandeln. Dem
Raki ( Branntwein) ward wieder tüchtig zugesprochen:
„Hier der Wagen, glückliche Reife ! “ und fort war der
Posthalter.
. . .
i
g
- - - - -
6.
Geschrieben in Pest.
Es hatte seinen Grund, daß er die Ankunft des
Wagens nicht abwarten wollte. Dieser hatte nämlich eine
518 : Sechstes Buch. Sechstes Kapitel,
folche Beschaffenheit, daß ich verzweifelte, nur mein Ge-
päck ( das nicht schwer, aber doch voluminös war,) dar-
auf zu bringen; mich dazu, schien eine pure Unmöglich,
keit. Kaum etwas über zwei Schuhe lang und eine
Schuh breit, ist es keine Möglichkeit seine Füße zu stre
cken, Der walachische Postillon schien aber dergleichen
- schon gewohnt, und er sagte mir, ich glaube zum Trost,
tausend Sachen, von denen ich nicht eine verstund; aber
desto hantlicher *) war er mit Aufschichten des Gepäck,
unter mir, neben mir, über mir; kurz, meine Person
war auf die Letzte eine wahre Nebensache in dieser Bän-
ne. **) Ich war fo eingepreßt, daß ich mich fürder wer
der regen noch bewegen konnte. - - -
Meine Alte empfing zu ihrem Verdruße die letzten acht
Parahs Miethe, aber zu ihrer Freude noch ein Basis,
wofür sie mir tausend Glück wünschte, das aber nicht in
Erfüllung ging. - - -
- - - -
- - - - - -
Alles war fertig, und jetzt gings Klitsch-Klatsch auf
die magern vier Mähren anhaltend los. Als ob sie Reiß
*) Handlig, Handtlig, hantili, handlich; fchweiz. Rdio,
thätig, arbeitsam, geschäftig, gewandt, geschickt,
anstellig,
v) Bänne, Benne, Binne, der von Brettern zusammen
geschlagene offene Kasten, der auf den Wagen gebracht
wird, Mist oder Steine und dergleichen fortzuschof
daher z. B. Mittäune. - - - -
- Hübsches Postfuhrwerk. - 59
aus nähmen und durchgingen, ward der ebene Wieswachs
zu durchschnitten, und Erdbrocken, Pfund schwer, flogen zu
in allen Seiten in die Höhe; ich ward davon überdeckt, und
“ konnte kaum den Althem erhalten. Wo ein Gräbchen war
anmutheten, *) mich meine Rückenbeschwerden zu ei-
- nen lauten Schrey, den aber der Postillon so wenig hörte,
zi als mein Rufen: gemacher zu fahren. Binnen anderthalb
zei Stunden waren vier Stunden Weges zurückgelegt! -
Wohl in keinem Staate möchte das Postwesen fo gut
er organisiert feyn, als in der Wallachey. Etwa eine halb-
als viertel Stunde vor der Post fängt der Postillon ein gleich-
ni - töniges, lautes, ausdauerndes Hooooo… oo.ooo an, und
fchon sieht man von ferne alles auf der Post durcheinander
„ rennen; wie man ankömmt, ist schon der andere Karren
„ mit seinen vier Pferden bespannt und es bleibt nichts
„ übrig, als überzusteigen, sich einpacken zu lassen, und
wieder in halsbrechenden Galoppe weiters zu jagen. Der
Postillon erhält von einem Franken, vier bis sechs Parahs
Trinkgeld, von den Griechen nichts, und von den Türken
oft Schläge. Wenn alle Posten so bestellt sind, dachte
ich, so bin ich bald an Ort und Stelle. Aber es än-
derte! in
Die zweyte Post ging wie geflogen, gleich der ersten;
aber es hatte hier mehr geregnet, und statt Erdschollen,
“ bedeckte mich Koch. Ich hatte sonst einen gefälligen Tag,
" - immer glaubte ich: jetzt, jetzt fängts an zu regnen, und
doch ward ich verschont; ein wichtiger Umstand sowohl
*) - Schweizerischer Idiotism. merken laffen: daß man etwas
gern habe, ohne es jedoch zu fegen.
K2d Sechstes Buch. Sechstes Kapitel,
für mich selbst, als mein Gepäcke, das sogleich durch ist
worden wäre. -
" Schon auf der dritten Post war ich auf den Rücken
wund gerieben; beschwerlicher aber als dieß, war mit
die gepreßte, folterähnliche Lage. Immer morastiger und
tiefer wurde die Straffe, und der Galopp verwandelte sich
allmälig in Schritt. Es fing an zu dunkeln, und ich
nahm mir vor, auf der nächsten Post zu übernachten. |
Das Quartier war nicht brillant; ein halb Dutzend Kers
wie Straßenräuber, lagerten um ein Feuer, und als ich
zu verstehen gab nicht weiters reisen zu wollen, gaben
sie mir durch Zeichen zu erkennen: daß hier, unter ihr
nen also, mein Nachtlager wäre. Ich breitete meine
Decke in die Nähe des Feuers, und mich darauf. Aber
als ich nach Verfluß von ein paar Stunden eher etwas
zu schlummern begann, begann auch der Regen mich z
durchnäffen. Etwa dreyßig Schritte entfernt lag die
Wohnung, die aus vier geschloßnen Kothmauern befand,
mitten darin ein Qualm von Feuer, Rauch und Dampf
Ein anderes halb Dutzend ähnlicher Gesellen lagen sie
hier und schnarchten; die andern durchnäßten kalten
auch herein geflüchtet. In diesem Gedränge von unreinigt
- keit, Dunst und Ungeziefer, wollte ich nicht bleiben. Es
war außer der Thüre ein überragendes Strohdach; das
unter flüchtete ich mich nun mit meinem Gepäck,
Ich versuchte zu schlafen, aber da schnoberten Hut
an mein Gepäck hinauf; es war noch etwas Fleisch der
in. Ich verjagte die Hunde, und mit ihnen drei, vier
Katzen, die sich in der Stille schon heraufgearbeitet
hatten; bald darauf kamen Schweine, Pferde, Schaaf
v
la
ük
Noah in feiner Arche aufgespeichert hatte, mir Tour a
„ Tour ihre Visite abzustatten! Der Regen wurde stärker,
„, und durch die Menge Löcher des Strohdachs trofes auf
= allen Seiten herunter. Ich hatte zum Glück einige Reste
= Wachskerzen, die mir Helle verschafften, um das Aergste
„ auszuweichen. Dies war wieder eine lange Nacht, und
„.. meine rheumatischen Schmerzen gewannen dadurch keine
:: Befferung! -
1:1 Endlich graute der Morgen, der Regen milderte, und
1 : 1 ich reiste ab. Das Wetter war mir indeß Heute weniger -
ke hold als Gestern, es regnete zuweilen. Auf einem guten
Fleck. Straffe ward im Galopp davon gejagt. Das Reit-
J pferd stürzte, der Postillon kam darunter; das Pferd
: trat ihn auf Kopf, Hals und Brust; er blieb fast eine
“ Minute ohne Lebenszeichen liegen. Bis ich mich mühsam
meiner gefangenen Lage entwand, hatte er sich wieder
“ erholt; ich bot ihm die Flasche Branntwein, um den
- Kopf und die beschädigten Theile zu waschen; er aber
fand es beffer, innerhalb zu waschen, und zog, daß ich
“ mich verwunderte. Diese Menschen sind beinahe wie die
* Tiere
z - Auf einer andern Post begegnete uns ein Wagen
" Guggeluz (Welsch Korn), der mitten in der Strafe
* hielt; der Postillon hielt auch und verlangte wahrschein-
- lich ein paar Stengel. *) Der Bauer, ein großer, star-
- ker Bengel, verweigerte es; der Postillon verlangte noch
einmal; abermals abschlägige Antwort, und jetzt fuhr
- -
*) Man bratet sie an Feuer und ist sie warm, was ist
Balgere y des Postillons. * 521
Gaiffen, Esel, kurz, ich glaube alle zahmen Thiere, die
übel schmeckt,
22 Sechstes Buch. Sechstes Kapitel
die Fingersdicke Potpeitsche dem Bauer dreifachunden
Kopf; ich glaubte die Weigerung des Bauern genug
gerächt, aber ich irrte; es war erst das Vorspiel. Der
Postillon stieg ab, und dreschte mit dem umgekehrten Gei
felstock auf den Bauer los, daß dieser fchrie, wie am
Spieß, und jener nicht aufhörte, bis der Arm ermattet
niedersank. Wenn der Postillon nicht Recht hatte, so
hatte der große Esel es noch weit weniger, wenn er wus.
te, wie feine Häuslichkeit bezahlt würde, wenn er sich
nicht feiner Haut wehren durfte oder konnte
- - - -
- -
- - -
-
erschöpft vom Fahren den Tag hindurch, wollte ich doch
noch eine erzwingen; es rückte gegen vier Uhr. Mit fei
nem Wort konnte ich mich in diesem Land verständigen;
sehr selten wurde noch hin und wieder etwas Titlich
verstanden. Hätte ich gewußt, daß es mit dieser Poli
solche Beschaffenheit haben würde, es wäre mir kein
Sinn an das Abreisen gekommen. Vier ganzer Stunden
dauerte die Fahrt! Das rheumatische Uebel wurde durch
den anhaltenden kalten Regen, bei dunkler Nacht und
schlechter Strafe, wo man nur Schritt für Schritt weit
ter kam, vermehrt. Es schien mir eine halbe Ewigkeit
Ich war so ruiniert, daß ich auffer Stand war, bei der
Post abzusteigen, man half mir herunter; ich arbeitet
mich durch den Morast, der auf allen und jeden Pfeil
im Hof, wenigstens schuhtief, war, durch. Man sf
nete eine Thüre; ein helles Feuer brannte in einer Ecke,
Die letzte Post schien mir unerhört lang. Sie
d
in
rät rund herum lagerten die Wallachen. Nie betrat ich so
in froh das schönste Zimmer, als jetzt diesen Stall!
O wie schwindet Delikateffe in wahrer und großer
mit Noth ! Wie glücklich fühlte ich mich, ein Obdach zit
haben. Es war ziemlich warm; die Leute hatten Mitleid
ht mit meinem Zustande, und räumten mir, mich zu trock-
I men und in etwas zu erholen, den besten Platz ein. Ich
m hatte schon lange nichts mehr gegessen; es wurde eben
M., ein gewaltiger Kuchen von Guggeluz unter der Asche ge-
braten, und dazu lud man mich freundlich ein, was ich
gerne annahm. O, wer immer das hätte zur Zeit der
Noth, was er verwarf in Ueberfluß, wie reich wäre er
damit! Auch zum Schlafen waren reinliche Bretter
(nicht Betten!) und etwas Stroh darauf, was eine ei-
- gentliche Wohlthat für mich war, vorhanden.
Es war mir so lieblich diese Nacht über; obgleich
ich wenig schlief, that mir doch die Wärme so gut und
das Helldunkel des glimmenden Feuers machte fo heim-
a lich! Ich wußte nicht, daß es auf so lange Zeit hinaus
- die beste Nacht für mich feyn sollte. - -
- - - -
- - -
---
7. - ".
Der Strich der Wallachey, den ich während etwa
dreißig Stunden durchreiste, war Eine Fläche; kein
Hügel noch Buck, *) weder nah noch fern; und, fel“
Stallquartier. 523
*) Schweiz. Hdiotism." Eine kleine Anhöhe, die noch nich
den Namen eines Hügels verdient. : "
524 Sechstes Buch. Siebentes Kapitel,
fam! böte man auch Crösus Schätze um einen Stein, klein
oder groß, man fände nicht. Einen! - -
Nur Erde und Koth, aber nichts Steinähnliches ent
hält diese Landschaft; ich glaube auch zum Theil, das
deß wegen hier zu Lande das Eifen so selten ist, wie das
Gold; denn die Pferde sind unbeschlagen, und an alle
und jeden Bauern- und Postkarren hat es auch nicht,
nen einzigen eisernen Nagel. Jeder Postknecht ist in
Stande, einen solchen Karren zusammen zu schultern,
ºhne dabei eines Wagners oder Schmieds zu beliefert,
Letzteres scheint ein hier unbekanntes Handwerk zu sein.
Das Land hingegen, wenn es angepflanzt wird,
könnte, dem Anscheine nach, ein ergiebiges Schwaben
sein; schöne wilde Obstbäume traf ich hin und nicht
aber nicht einen gepflanzten und gebauten. -
-
– . . ]
–=
-
-
Der folgende Morgen ging düster auf; die stellt
gerten tief; es machte kalt. Ungern kroch ich in meine
noch naffen Kleider, aber, was war zu machen! Hier
konnt' ich nicht bleiben, und in der Hoffnung, daß es
nicht regnen würde, ließ ich einspannen. Aber kaum war
ich eine halbe Stunde gefahren, so schüttete es wieder fit
anhaltend herunter, daß meine Lage wirklich bald zum
Verzweifeln wurde, und es ging eigentlich auf Leben
und Tod. Es war kein Gedanke, irgendwo bis Crajow
– auf das ich mich immer vertröstete – unterzukommt,
um mich in etwas zu erholen; und doch konnte ich bald
in diesem Zustande nicht weiters. Die Bursche auf der
11
takt
Fall
in?
tui
ua
all
arraz
z
n
u:
z
1:1
a:
h:
z-
f
z
Sehnfucht nach Hause. " " 525
nächsten Post waren verdächtiges Gesindel; die Post lag,
wie gewohnt, ganz einfam; immer redeten fie heimlich,
und flüsterten zusammen. Der Regen war vorbey, aber
jetzt war's fehr kalt. - - - - - -
Weiters rief ich, und schleppte mich auf den
Karren.
Es waren die Tage von Aller Heiligen und aller
Seelen, die Feyertage, wo unsere katholischen Glaubens-
brüder zu den Gräbern wallfahrten, das Andenken ge-
liebter Hingeschiedener zu feiern; eine Uebung, die
wahrlich zu ehren ist, und die ich weit entfernt bin zu
tadeln. Um diese Zeit, beynahe ohne Ausnahme, fängt
der Winter an; es stürmt und flocket, und ist Unwetter.
Ich hätte mich nun daheim, beim warmen Ofen, so
wohl gefühlt; es wäre mir so heimlich gewesen, mich
geborgen zu wissen vor dem Ungestümm, das draußen
fauste und brauste, und mich dort nicht erreichen konnte.
Das Andenken an diese Sicherheit wirkte jetzt in meinem
offenen Karren doppelt empfindlich auf mich, da ich jetzt
allen möglichen Uebeln einer rauhen Jahreszeit blos ge-
geben war! . .
--
Es mochte ungefähr zwei uhr Mittags sein, als ich
einen großen Fluß zu Schiffe paffirte; ich glaube es
war ein Arm der Donau. Es fing an zu schloffen, und
ich wickelte mich, so gut wie möglich, in meinen naffen,
mit Koth über und über überzogenen Mantel; es war
schon Gestern nicht mehr möglich, die Farbe daran zu
erkennen. Das jenseitige Ufer hatte die gewohnte Be-
schaffenheit solcher Gegenden, fandigt, und hin und wie
der etwas Gestrüppe und Gebüsch, …
526 Sechstes Buch. Siebentes Kapitel,
- „Halt!“ rief ein da wachhabender Türke in zeit-
tem Gewand, und stark bewaffnet, groß von Statur und
schreckendem Ansehen; es ward mir fast ohnmächtig, als
ich das Wort: „Lazareth“ hörte! Er deutete zugleich
auf eine Gattung Lauberhütte hin, die so beschaffen war,
daß sie auch den schwächsten Mond schimmer nicht hindert,
ihre Reize durch und durch zu erhellen, noch weniger
dem Regen den freien Zutritt versperrte! Die Worte
mangelten mir zum Sprechen! Zudem hörte ich nicht
als Wallachisch, wovon ich keine Silbe verstand,
Nein, nein! rief ich immer wie rasend, wenn der
Postillon nach der Lauberhütte zufahren wollte. Ich sah
mich verloren, wenn ich hier ausgesetzt ward. Nicht L-
zareth! nichts da! schrie ich, und ein glücklicher Eifel
rettete mich: Firman vom Pascha ! rief ich drohend, und
heraus riß ich das glänzende Papier, meinen Paß mit
des Pascha Insiegel. Der Mann schien zweifelhaft zu
werden; vom Lesen war kein Gedanke, aber ich sch,
daß er den Firman als solchen erkannte. Ich gewann
Muth, schrie und perorirte mit Jast, und seltsam genug
erst eine Stunde hernach, als der Schrecken vorüber war,
erinnerte ich mich deutlich, daß es in arabischer Sprit
che geschah, so war ich aus der Faffung. Ein halbdutzend
Wallachen, in ihren fchmutzigen Schaafpelzen, waren um
ihn; mit diesen berathschlagte der Türke. Ich bemerkt
deutlich, daß sie meine Parthie nahmen und riechen,
mich reisen zu laffen; den Beweggrund, den sie hitz
hatten, weiß ich nicht. Jetzt gab der zerlumpte Tilt
mir durch Geber den zu verstehen: „daß er Geld wollt.“
O, jetzt ist schon gewonnen, dachte ich erfreut, in
11.
in
inü
an
gilt
mität
r
ni
:: mit
al
z:
z:
als
f
z"
- -
Seltne Ehrlichkeit. 52
warf ihm ein kleines Goldstück von zwey Piafter hin. Er
las es vom Boden auf, trug es etwa acht Schritte weiter
zum Feuer, und hielt es in der Hand übern, Rauch;
ich konnte in allem Elend mich doch des Lachens über
solche Vorsichtsmaßregeln nicht enthalten! *) Ich deu-
tete dem Postknechte, zuzufahren. Der Türke hingegen
rief: zu halten! Noch nicht genug! dachte ich; was
wollt' ich machen, und wenn er mir einen Louis d'or und
noch mehr verlangte, ich gabs mit Willen. -
Aber sieh da! da brachte er mir für die zwey Pia-
ster kleine Münze, zog zehn Parahs als Zoll ab, und
gab mir den Rest. Ich fagte Backfis! und wollte es
nicht zurücknehmen, aber ich vermochte ihm keinen Heller
mehr aufzudringen! ich wollte es dem Wallachen geben,
aber er verweigerte es, und jetzt forderte er den Postknecht
selbst auf: zuzufahren.
Ich war über diesen unerwarteten Zug von Ehrlich-
keit bey einem Manne, der Geldfo nöthig zu haben schien,
ganz erstaunt! und o, wie freute ich mich, so glücklich
davon gekommen zu sein. Für den Augenblick fühlte ich
weder Kälte, noch Hunger noch Schmerzen!
… Auf der Post angelangt, sah es zum Uebernachten so
elend aus, daß ich mich lieber entschloß, noch eine zu
erzwingen. -
-
» War das Goldstück nämlich schon verpestet, so schützte
die Operation des Räucherns den Türken darum nicht,
weil er es vorher schon in die Hand nahm. . . -
2s Sechstes Buch. Achtes Kapitel
- - - - - - - - - - - - - - … * … -
- - - - - - - - - 8 . .“ - -
- -
--- - - -
- Schon jagte der Karren in wilden Galoppe ka
halben Stunde durch sumpfigten Riedboden, als es aus
schon anfing zu dämmern und zugleich zu regnen. Auf
bereute ich es nicht auf der Post geblieben zu sein;
mehr aber, als von einem entfernten Hause, welches der
Postillon ausweichen zu wollen schien, angerufen war,
und er seine Pferde dahin lenkte. Ich ward Walachisch
angeredet; ich äußerte auf Türkisch: nichts davon in
verstehen. Jetzt wurde ich in eben dieser Sprache ge-
fragt: „woher ich komme ?“ von Simniza, meine Art
wort. „Zurück ins Lazareth !“ fcholls gegen den Fest
Inecht. - - - :
- Ein Blitzstrahl bei dieser Kälte wäre mir nicht an
erwartet gewesen, als ein Da Capo dieser mit schrift
lichen Sache. Ich hatte keinen Gedanken mehr drei
weil ich nun bereits mitten im Lande war, und weiß
tigerweise die Quarantaine nicht hier, sondern an der
Gränze feyn soll. All mein Reden und Einwender he
zu nichts. Die Wache, ein hinkender Grieche, der als
der Krücke ging, und, wie ich später erfuhr, ein Ei
schurke, beharrte darauf; auch die erste Hilfe, der Fit
man, blieb ohne Wirkung der Postillon wandte diese
de, und trieb Feldeinwärts bei mehr als einer Viertel
funde; da glimmerten im Regen vier bis fünf Feuer
kaum daß das grüne Holz düster noch mottete; darunhit
standen in Gruppen, die hier in Contumaz Verletzte,
überhüllt mit Matten und Teppichen, einige unter elf
Strauchwerk, andere unter bedeckten Wagen, und, sich
-
-
::
::
„
:
:
k
„g
fenfläche.
",
/
Neue schreckliche Lage. - 529
da! auch mein Grieche, den ich so barsch verließ und
allein reisen machte. Hämisch und Schadenfroh bewill-
kommte er mich: „Schon seit mehreren Tagen fey er hier.
Zehn Tage dauere die Contumaz und fo weiter.“ Ich war
vom Schreckgelähmt. Hier auszusteigen, und schon halb
zu Grunde gerichtet, diese Nacht in Kälte, Nässe und an-
haltendem Regen, ganz Dachlos zuzubringen, war soviel
als mir den Tod geben! Man machte Anstalten, mein
Gepäcke herauszuwerfen, etwa zwölf Schritt von der übri-
gen Gesellschaft entfernt, denn näher durfte man nicht
zufammen. - -
Ist dieß das Lazareth? rief ich in Wuth und Ver-
zweiflung, nein! dieß ist um Menschen zu morden. Nicht
hier feig' ich aus, nicht hier! Ich bin weder Grieche
noch Wallache! Ein Franke bin ich, und Franken be-
handelt man nicht fo! Kehr um, schäumte ich, wie
wüthend, kehr um, daß ich jenem Hunde dort den Kopf
spalte, eh’ er mich hier umbringt. Der Säbel war aus
der Scheide, und meine ganze Verfaffung ließ nichts
Sanftes muthmaffen. Von der zahlreichen Gesellschaft
vernahm man keinen Laut. -
Der Postillon schwenkte nnd jagte davon, mir Eins
wohin ! aber nicht zurück gings, fondern feitwärts tiefer
ins Ried. Es war schon starke Dämmerung; man fah
nicht mehr dreyßig Schritte weit vor fich. Plötzlich hielt
er; es schien wie ein Aufwurf von Erde auf einer Wiese
-
Es war die Dachung von einem unterirdischen Haus
oder Loch, das als ein länglichtes Viereck eingegraben
war. Er gab mir zu verstehen: „daß dieß mein Quartier
L
530 Sechstes Buch. Achtes Kapitel.
wäre,“ klopfte mir dabei auf die Schulter, und nach
tete mich zu besänftigen; er schien das Quartier zule
ben, machte Zeichen, daß ich nicht naß werden würde,
„ Was wollte ich machen! ich war so elend, und durch
den Zorn so angegriffen, daß ich kaum mehr mich zu ti
gen im Stande war. Die Rückenschmerzen machten es
mir bald vollends unmöglich. Ich stieg also mit seit
Beyhülfe ab, und ging zu dem Loche, das hinunterführ-
te; etwa ein halb Dutzend Stufen leiteten hinab, und
wirklich fand ich den Trost, mich vor Regen geschitz
fehen. Das Dach war von starkem Holz, und hoch mit
Erde überdeckt. - -
In Gottes Namen, dachte ich, es ist die kf
hier, als unter freiem Himmel! Zudem war es, mit
der Tiefe, merklich weniger kalt, als oben. Aber zwei
Oeffnungen waren so groß, daß sogar Pferde füglich in
ein kommen konnten; eine davon war durch die Dachnig
sodann zwei Löcher in den Giebeln. Ich gab den Weiß
lon zu verstehen, daß er mir helfe, sie zuzustopfen. Mit
Stroh und Koth ward es bewerkstelligt, so gut es sich in
der Dunkelheit thun ließ. Noch schleppte ich das oft
Stroh vom Karren in die Höhle, gab dem Burschen ist
liche Parahs, weg sprengte er, und nun war ich hie
eigentlich allein in der Welt!
Meine Lage war wirklich schrecklich." In einem
unter dem Boden, in einer Finsterniß, wo ich kaum nach
meinen Effekten tappen konnte, Alles durchnäßt; II
hewußt, in welchen Winkel des kalten Bodens ich mich
die Nacht über werfen sollte, offen auf allen Seiten
bei einer Viertelstunde kein menschliches Wesen, an
- -
-
Wir . . Unterirdische Wohnung, - s3t
wenn sich auch eines fand, außer Stande, mit ihm zu
verkehren; hungrig und durstig, und doch: Nichts zur
in Erquickung als Labsal, und endlich das Schlimmste:
ält fchmerzhaft krank. Hier konnt' ich geplündert und gemor-
z, det werden, es krähte in dieser Wüsteney kein Hahn
zu darnach. Etwa fünf Minuten lehnt' ich mich an die feuch-
ig ü te, kalte Wand: es war ein schwerer, schwerer Augen-
in blick,
-
3:1 - - -
: -
gil Muth! rief ich, wenn mich noch. Etwas retten kann,
so ifs Muth! Ich weiß nicht, wie mich so plötzlich die
4: fer Gedanke belebte und durchbebte, aber ich fand mich
F1 voll guten Willens, Alles zu versuchen! Mein größtes
n: Bedürfniß war, den heftigen Durst zu löschen, und das
Nöthigste, Licht zu fchaffen. Ich fand das Glas, indem
ich meine Bagage durchtappte, und ging damit hinauf;
i- es war ganz dunkel, aber auf einige Entfernung blendete
der Widerschein von einer Lage Waffer, das vom Regen
als Pfütze liegen blieb. Rückwärts, wie ein Krebs,
" Schritt ich dem Wafer zu, indem ich immer die Augen
*" auf die Erhöhung des Daches gerichtet hielt, um es nicht
aus dem Gesichte zu verlieren, und auf diese Art mich
z damit! - -
Ich erreichte das Waffer, und trank nach Herzenslust
zwei Gläser. Wohl fühlt' ich, daß es ziemlich dick war;
dieß hat aber nichts zur Sache. Glücklich erreichte ich
wieder meine neue Heimath, und war froh mich aus
Nun
L 1 2
sä2 Sechstes Buch. Achtes Kapitel.
dem starken, anhaltenden Regen doch unter Dich fit
ten zu. können. :
* Jetzt suchte ich nach der Schachtel des Feuerzeugt,
und fand, welch ein Glück in meiner Lage noch ein
Stückgen von einer Wachskerze; Stahl, Feuerstein und
Zunder trug ich immer bei mir. Schwefel mangelt,
aber diesen hatt' ich schon auf dem Libanon lange er
behren gelernt. Von dem nassen Stroh leg' ich etwas
auf den Leib; bei einer Viertelstunde war es trocken;
etwas Kuder *) riß ich aus dem Kopfkiffen; in diesen
wickelte ich den brennenden Zunder, das Stroh darum,
und nun in der hohlen Hand stark und lange geschwungen,
hat ich auf einmal lichterlohe Flamme; das Wachslicht
chen brannte ! -
Schon die Helle ist etwas Tröstliches, und wirkt an
glaublich auf unfre Sinne; es war mir um fünf
Prozent leichter, als ich nur einmal mich etwas unscht
konnte, wo ich eigentlich wäre. Die Grube war fünf
bis sechs Schuhe tief; in der Mitte war ein dicker Erd-
stock gelaffen, der jedoch einen Durchbruch zum Eingang
hätte; dieser bildete zwei Gemächer. Ich bezog, der
Sicherheit und Wärme wegen, das Innre. Das Weite
- war, daß nirgends Regen durchdrang. Ich hatte ihr
Vorgänger; denn ein Haufe angebrannter Scheitel wie
ren zurückgelassen; freilich ganz grün Holz, aber ich
und Bedürfniß lehrten mich, es so zart wie Spitz
. . ) Dieß Wort, das schon früher öfter verfen, ist
Adiotism.
- - net den Abgang vom Flachse beim Hecheln, Sarah
-
ist, Gedanken an meine Freunde. 533
es zerschneiden. So loderte bald ein ordentliches Feuer, das
zugleich erhellte und erwärmte. Das naffe Stroh freute
ich in eine Ecke, meine Teppiche darauf. Den obern
„ Eingang verrammelte ich mit einem Haufen Dornen, an
denen ich in der Dunkelheit hängen blieb *). Den klei-
zu nern Eingang vermachte ich mit kreuzweis geschlagenen
- Scheiten; den gezogenen Säbel auf die eine, den bloßen
Dolch auf die andere Seite des Bettes legend. Eben
er wollte ich gebückt noch etwas daran zurechte legen, als
„Fit in einem Hui meine rheumatischen Schmerzen sich auf
einen Punkt vereinigten, fo, daß ich mit einem Schrey
in einer ganz bewegungslosen Lage blieb. Wer diese
" Schmerzen kennt und erfahren hat, begreift leicht das
“ Warum -
„ Auf den Knien rutschte ich nach einer guten Weile
dem einen Ueberrocke näher, um denselben auf dem Bo-
-, den nach meinem Lager hinzuziehen. Ich hatte Mühe,
mich zu legen, und noch größere, mich zu decken. Die
Gluth meines Feuers glimmte noch ein paar Stunden;
ich hatte alle Zeit zum Beobachten, denn zu meinem
z Schrecken fand ich keinen Schlaf, den ich doch so nöthig
hatte ! - - - - - -
. “ Jetzt gedacht ich meiner Freunde in der Schweiz und
g in Deutschland, und war froh, daß sie von meinem ge-
genwärtigen Zustande nichts wußten. Zehn Tage hier so
auszuhalten, wahrlich, ich wußte nicht wie es enden
- - - - -
*) Sie waren am Eingang, wahrscheinlich wurden sie von
- meinen Vorgängern zu eben diesem Behufe hieher ge-
bracht. -
sz Sechstes Buch, nennt es seitel,
würde. Es herrschte die Nacht über Todesstille, in
Laut zwar vernehmbar; meine Phantasie war geschäftig;
ich glaube ihr Spiel gränzte an Fieberzustand. Gegen
Morgen entschlummerte ich. - - -
- - ––
- - - "g
- - - - - - - - - - l
- - - - - 9. .
es nach aktur des angetreten ist,
wachte ich, und erhob mich mühsam; doch konnte ich
mich eher bewegen, als gestern Nachts. Ich machte Fel
er, holte in der Pfütze ein Glas Wasser, und wahrlich
statt aller Medizin diente mir mein Gloria-Cafe!
Ich nahm mir vor mit den Wache habenden Griecht
sehr ernst zu sprechen; meinen Firman vorzuweisen, und
einen Expreffen an den Konsul nach Crajowa zu senden;
vorher ging ich noch zu der Gesellschaft in der Quarak-
taine. Eine Viertelstunde durchwadete ich Sumpfden,
ehe ich hinkam.
Hier fand ich gegen Gestern Alles verändert, und –
wie ich später merkte – durch mich. Mein Betragen
hatte Aufsehen gemacht, und am Morgen vor Tag gilt
gen die Griechen zum Wache habenden Offizier; je nach
ten ihm bange damit: daß ich ihn verantwortlich macht
würde, wegen den Aufhalten meiner Reise (ich pocht bis
sonders auf meinen Firman). Die Griechen steckten sich
hinter mich, daß sie gemeinschaftliche Sache machen wir
den, und so weiter. Kurz, es war so weit gediehen,
daß aus zehn Tagen drey wurden. Daher die gute Stin-
Glückliche Aenderung meiner Lage, ss-
- mung im Lazareth. Ich verfügte mich augenblicklich nach
in der Wohnung der Wache. Eine zweite Viertelstunde durch
a majen Riedboden. Ich ward scheu und verlegen empfan-
gen. Ernst und trocken brachte ich meine Willensmeinung
vor, und äußerte: einen Expreffen nach Crajowa an mei-
nen Consul abzusenden. Der Offizier kannte ihn, sagte
aber, daß derselbe auf feiner Campagne , vier Stunden
von Crajowa, fich befinde; eine Nachricht, die mir gar
nicht angenehm war zu vernehmen. Indeß bewirkte mein
Paß und der Firman so viel, daß mir auf Morgen die
“ Abreise gestattet ward. Mehr konnte ich auch nicht
" verlangen -
: Ich hatte alle Mühe, meine unmäßige Freude zu
mit verbergen, und Heute blieb ich noch gerne da. Es fand
“ sich in Hause hier: frisch Fleisch, Brod, Käse und
sie Wein; ich machte Vorrath, und ging wohl bepackt und
- voller Frohsinn wieder nach meiner unterirdischen Woh-
“ nung. Da ward augenblicklich der Topf aufs Feuer ge-
" setzt und das Fleisch darein; indeß es kochte, ging ich
13 noch geschwind in die Quarantaine, um dort anzukün-
den, daß ich Morgen schon abreisen werde, was den
fämmtlich Uebrigen späterhin auch gestattet ward. Bey
“ meiner Rückkehr hatte ein Hund mein ganzes Brod weg-
geschnappt; eben so gut hätte man mein Felleisen weg-
tragen können! Der Tag verging erträglich unter Ko-
* chen, Elfen und Tröffnen; in der Nacht schlief ich or-
g dentlich, und Morgens, kaum fertig uit den Kaffee, fand
auch der Postwagen vor meiner Höhle. - -
Bald war aufgepackt, und in raschen Galopp das
Ried durchfahren. „In Crajowa hätte ich Zeit und Muße
535 Sechstes Buch. Neuntes Kapitel
mich zu erholen; es gebe dort wieder Wirtshäuser auf
europäischem Fuß,“ ließ ich mir sagen.
- Schnell war die Post erreicht; die nächste war
jowa. Schon auf eine Stunde weit sah man die bis
trächtliche Stadt mit ihren Thürmen vom Berge her,
ter. Jetzt fuhr man durch eine Reihe Häuser, und hat
am Eingange der Stadt. Ein Dutzend Walachen arbei
teten an einer Gattung Schanze. Man rief zu halten,
und fragte mich, was weiß ich nicht der Weite
antwortete. Statt der Rückantwort ward der Schlag
baum niedergelaffen. Die stärkste Bedeutung nicht ein
gelaffen zu werden.
Ich bat, ich rief, ich schrie und lärmte in die
Sprachen, die ich konnte, und verlangte den Drogenen
Es war Alles vergebens! Kein Ton Rückantwort und
die umstehenden lachten mir ins Gesicht, da doch seit
nig etwas Lächerliches da war, besonders für mich 34
hatte neuerdings schrecklich Angst vor einem nett
„Was nun machen?“ frug der Knecht. Wie #
konnte ich denn ein Wort verstehen oder mich fit
ich machen? „Lazareth?“ frug der Postillon; es lief
mir eiskalt über den Rücken: nichts Lazareth sei,
Poß rief ich, und ich es führte ein Weg und
Stadt nach der Post, der aber weit um und sehr schlecht
befahren war. Aber der Schlagbaum blieb fest zu,
somit mußte dieser andre Weg eingeschlagen werden. Mit
einer halben Stunde war ich im Hofe der Post und
meine Effekten ausgeladen: kein Mensch in der Runde
aber sah sich nach mir um!
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g:
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- Pest in Crajowa. - - SSF
Meine Reiseroute war hier vollendet; ich mußte
neuerdings zahlen bis Orlowa; der Posthalter war nicht
hier, und keine Pferde vorhanden. Durch die Seuche
waren fast alle gefallen. Eine Stunde faß ich auf mei-
nem Gepäcke, und aß mit besten Appetite Brod und
Käse. Aber ich glaube, ich würde jetzt noch dort sitzen,
wenn ichs hätte abwarten wollen, daß sich jemand nach
mir erkundigt hätte. Einen Piaster nahm ich in die Hand
Capitain der Post? frug ich einen nach dem andern, bis
endlich mich einer hingeleitete. Das Gebäude war Schloß-
ähnlich, und der Anblick glich einer halben Revolution,
Zwanzig, dreißig Bauern standen unten im Hofe, die
Mützen in den Händen; bald bittend, bald zähneknir-
fchend, und seitwärts tobend; oben, auf der Galerie
eingeschlossen, fünf bis sechs reich gekleidete Griechen. Es
war eine Contribution von Pferden, um die gefallenen
Postpferde zu ersetzen. Der Sekretair, ein äußerst ge-
wandter Mann, spedirte mich; er sprach gut französisch
und italienisch; er bediente Griechen, ich kannte die
allgemeine Stimmung dieser, und, um bedient zu wer-
den, verleugnete ich's französisch zu sprechen. Bald war
mein Billet ausgefertigt, und er hatte die Höflichkeit,
mich zu versichern: „daß sie so ohne Pferde wären, daß
wenn es nicht mich beträfe, sie keine geben würden.
Er verirrte nur im Ausdrucke und wollte wahrscheinlich
fagen: „meine Dukaten.“ Hier vernahm ich auch noch,
daß seit zwei Tagen die Pest in Crajowa ausgebrochen
sey. - -
538 Sechstes Buch, neuntes Kapitel
Schnell aufgeseffen, Orlowa zu, rief ich. Acht
einmal Orlowa erreicht, bin ich ja bald wie zu Hause,
Im Lazareth dachte ich mich so vielmal in einem kleinen
Kämmerchen, gutem Bette, guter Pflege, wieder in der
Christenheit! *) - Es rückt ja alle Posten näher! Aber
ich will ihn abkürzen den langwierigen Detail und bis
rühre nur: daß meine Unfälle mir gleich der Hyder ve-
kamen, die immer wieder einen andern Kopf an der
Stelle dessen erscheinen läßt, den man abgeschlagen hat
So, wenn ich wieder eine Post durchgemartert hatte,
zeigte sich wieder Verlängerung auf einer ander. Der
kurze Weg schien mir endlos; in meinem Zustände war
dies begreiflich. Der einzige wesentliche Vorteil der
ich von Crajowa aus genoß, war, daß ich vom Rest
verschont blieb. Die Gegend änderte wieder, es zeigt
sich Hügel und Steine, und besonders auf die Letzte Wal-
dungen, die aber Grauen erregten; dicht verwachsen,
viele Stunden weit sich erstreckend, waren diese dürfen
Holzungen; nichts als der Morastweg sichtbar, und wo
hin man das Auge wandte, Kreuze. An den defen,
verlaffensten Orten war eines am andern. Ich bin bei
sichert, daß sich die Zahl auf dem kurzen Weg bis D-
fowa über die Tausende beläuft! Es sind die Denkmäler
der Erschlagenen und Gemordeten! Es war mir schon
tröstlich, wenn ich, nur auf eine halbe Stunde Eutin
- - - - . . . - - -
. . . . . . . . . . .
*) In den meisten, um nicht zu sagen allen duarantina,
findet man dieß , so zum Exempel in Livorno, Genua,
- Triest, et. also dachte ich das Mämliche in den
finden.
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" Die Hofpodaren. 539
ung, ein Häuschen fah. Nie las ich eine Beschreibung
von einem Jauner so treffend dargestellt; nie fah ich ein
Gemälde so schreckend, wie, da mir eines Morgens, den
einzigen, da es regnete, seit ich von Crajowa verreiste, -
ein Kerl aufstieß, der keinen ganzen Fetzen an sich trug,
baarfuß, im Gürtel zwei Pistolen und einen Dolch, am
verlaffenften, ödesten Platz, mitten im Regen, unschlüßig
am Fahrwege da stand und dem Karren, der nur Schritt
für Schritt vorrückte, nachah! Ich hatte ein paar lange
türkische Pfeifenrohre in Tuch eingewickelt unterm Arme.
Das eine Ende bedeckte der große Kragen des Ueberrocks;
die Haltung und die Form des Ganzen fingierte eine Dop-
pelflinte im Futteral; vielleicht leistete mir dieser Schein,
hier sowohl als anderwärts, gute Dienste. . . . .
-
- –
- - - - - - - - -
Die Wallachen wird durch Hospodars regiert, ist
aber mehr oder weniger von der ottomanischen Pforte
abhängig. Ein solcher Hospodar vermittelte den Frieden
zwischen Rußland und der Pforte; als letztere aber spä-
terhin einsah, daß die Ausgleichung nicht zu ihrem Vor-
theil ausfiel, ließ sie dem Vermittler zum Lohn den Kopf
vor die Füße legen. Das Postwesen ist von dem Gouver-
nement der Wallachey fehr begünstigt, und der Schrecken
und die Plage der Bauern. Wenn der Postillon schlechte
Pferde angespannt hat, und er sieht gute auf der Weide,
so geht er unbefangen und tauscht aus. Der Eigenthü-
mer darf mit keinem Worte widerreden, ". .
so Sechstes Buch. Zehntes Kapitel.
- Endlich und endlich erreichte ich die letzte Postler
fie wäre noch stark,“ sagte man mir auf deutsch. Welch
ein Wohlklang für mein Ohr! thut nichts, ich will
fie erzwingen; ich wollte Orlowa Heute noch erreichen,
um auszuruhen von allem überstandenen Ungemach: „.
-
- - - :
- - - - - –
- - -
- - * - - - - -
…“ - - - -
- 10.
Kaum auf östereichischem Boden, glich der ganze W.
Einer Wagenburg, es schien mir, als wär ich wieder
in die Lager wandernder Araber versetzt. Es war
Servier, die sich mit ihren Familien und Heerden aus
ihren verunglückten, von den Türken ganz wieder er
berten Vaterland hieher geflüchtet hatten, um der Richt
jener zu entgehen. Man rechnete bei sechszig tausend
dieser Ausgewanderten, von denen fpäter viele vor Hunt
ger und Kälte umkamen. Ihre Lage war schrecklich. Sie
durften sich keinem Orte nahen, wegen der Zeit, und
hatten doch keine Lebensmittel, um ihr Daseyn zu sie
Später wurden Weiber, Kinder und sehr alte Männer
in dem wieder eroberten Servien von den Türken ang,
nommen, was sich aber von Waffenfähigen ertappen sei
ward ohne anders sogleich umgebracht. ,
Die Nacht über war ein Feuer am andern; oft in
teressante Illumination. Die Reflexe in der Donau g
ben so manche Rembrandsche Nachtstücke
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Gewaltthätigkeit des Postillons. 54
Ich hatte vier elende Pferde; hart an der Straße
weidete ein schöner Braun; der Postknecht machte mir
Zeichen : „ ob er austauschen solle?“ Ich bejahte in der
Meinung, daß er der Post angehöre; es schien mir aber
doch zweifelhaft, als einige Männer bittend und kummer-
voll das Roß anspannen sahen. Er zog exzellent und mehr
als die übrigen drey. Der Mond fchien nur wenig und
beleuchtete eine Gruppe unweit Lagernder am Feuer;
zwey schöne Schimmel nahe dabei. Der Postillon frug
mich wieder auf die nämliche Art: ob ich umtauschen
wollte? Ich bejahte wieder, und er ging nach den
Pferden,
" Es war zu dunkel, als daß ich unterscheiden konnte,
was vorging; wohl hörte ich fünf bis sechs bittende
Männer- und Weiberstimmen, und vernehmbar dazwi-
fchen des Postillons harte, gebieterische. Jetzt erhoben
mehrere kleine Kinder ein jämmerliches Geschrey; der
Postillon kam mit den beiden Schimmeln zum Wagen;
ihm folgten ein paar Männer bittend; ein Weib laut
weinend; die Kinder in der Ferne machten das Echo
und nun begann ich das Eigentliche dieser wider-
rechtlichen Sache einzusehen. Die flüchtigen Servier muß
ten sich in diesem fremden Lande aller und jeder unbill
unterziehen, nur um geduldet zu werden. Es scheint,
es war Grundsatz auf der Post: aus der Lage dieser un-
glücklichen Nutzen zu ziehen; daher die willkührliche
Pferdeerpressung. Um diesen Preis wollte ich aber
nicht schneller nach Orlowa kommen, und gab durch
ernste Reden und Geberden zu verstehen, daß man die
Pferde ihren Eigenthümern überlaffe. Erst nach wieder
542 Sechstes Buch. Zehntes Kapitel,
holten Drohungen gab der Postknecht unwillig nach. Die
Frau fiel auf die Knie, und hob ihre dürren Hände
voll Danks zu mir empor; die Männer thaten auch mehr
als nöthig war, um mir ihre Erkenntlichkeit zu bezeugen,
und wir waren fämmtlich, der Postillon ausgenommen,
mit einander zufrieden. Bis Nachts neun Uhr dauern
die Fahrt; also drei Stunden in der Dunkelheit. Der
Weg führte längs der ausgetretenen Donau; man fuhr
im Fluß selbsten, und oft so tief, daß das Wiflis
Karren spülte. Es war kein Spaß! doch dankte ich Gott,
daß es fo war und nicht um einen Schuh tief ging,
wo alsdann die Durchfahrt unmöglich gewesen wäre,
dankte Gott, daß in diesen letzten Tagen meiner Mit
fo gute Witterung war, weil ich bey schlechter hätte sie
gen bleiben müssen; dankte, daß ich nie umgeworfen
ward, was von einer Post zur andern oft mehrere Mal
der Fall sei, denn in meiner gezwängten Lage konnte ich
Hals und Bein brechen, wenn ich umgeleert wird
dankte, daß ich in dieser schrecklich unsichern Landschaft
nie angegriffen und ausgeplündert ward; dankte, daß
meine Schmerzen nicht so heftig wurden, daß ich legen
bleiben mußte; dankte, daß ich, durch die ganze ver-
pestete Wallachey, der Pest entrann; dankte, daß ich
wieder in der Christenheit war; kurz, ich fand so viel
zu danken, daß ich nicht fertig wurde . . ."
- - - - -
- - - - . . - - |
- – -
- -
- -
- Statt nun aber vor dem Lazarethe von Orlowa al-
zukommen, war's die Post von Orlowa, und diese in
Ankunft vor Art-drowa. 543
in eine Stunde aufferhalb des Ortes. Zum letzten Male also
in hielt sich Nachtquartier im Stall, auf dem Boden, neben
zu dem Feuer. Geduld! es war ja zum letzten Male,
und dieß Wort enthielt allen Trost!
in , . Am Morgen gab es wegen dem Durchpaß viele Fot-
und malitäten, doch, da meine Papiere in Ordnung waren,
Zeit wurden sie alles beseitigt. Ich ward nach der Festung
Neu-Orlowa übergeschifft, und erhielt die Erlaubniß für
weiters. - -
„ . Zum letzten Male befand ich mich auf türkischem Bo-
3:1 den; zum letzten Male durchwanderte ich die engen,
„, schmutzigen Straßen, verfolgt von wilden Hunden; zum
„ letzten Male sah ich die Minarets und Moscheen; rau-
er chende Türken und vermummte Weiber. Vor achtzehn
. . .
Monathen, wie war mir dieß. Alles so neu, und jetzt so
- gewohnt! - - -
" " Ich mietete einen Rachen, der durch einen Bur-
fchen auf der Servierseite der Donau herauf gezogen
Ward, bis wir Alt-Orlowa gegenüber hatten, und jetzt
gings hinüber zur Scala. - -
“ - Es war Morgens zehn Uhr, am vierten November
4843, als ich dafelbst an das Land sprang. Bald hätte
M. ich vor Freude den Boden geküßt
Herr Demelids stand am Ufer, er kannte mich
in meinem türkischen Costüme fast nicht mehr; über meine
glückliche Rückkehr äußerte er Freude; unfre unterhalt-
ung war auf acht Schritte Entfernung, und nun ver.
schaffte er mir einen Wagen, um nach dem, eine halbe
Stunde entfernten, Lazarethe zu fahren,
g s. - - -
- - - – - * ''. ''
-
- - - :
544 Sechstes Buch. Zehntes Kapitel,
Was hatte ich nicht Alles gelitten seit meiner Abreise
von Salonichi, was alles ausgestanden, von Mühleiz
keiten, Unbequemlichkeiten, Entbehrungen an allen Wo
fentlichen! Kaum anders möglich, als daß ich die G8
fundheit darüber einbüßen würde! Und dennoch war es
der Fall nicht; - sie war eifern, und unterlag nicht. "
Ich fühlte es sehr sicher, ich konnte daraufhin
daß, wenn ich einige Nächte transpiriert haben wird
auch meine Rheumatismen gehoben wären; es bedurft
nur einiger Tage Pflegung, und ich befand mich gewiß
wieder, "ganz wohl und gefund.
Ich ward vom Arzt der Quarantaine zuerst ein
gen. Ich äußerte gegen ihn, daß ich freilich aus erst
steten Ländern komme, gleichwohl aber glücklich ein
nen zu feyn hoffe, mich übrigens dem jetzt gewohnten
min der Quarantaine unterziehe. Er versprach, mir auf
den folgenden Morgen ein Zimmer zu verschaffen, die
dann leer würde, und ließ mich einstweilen die Eintritt
Contumaz beziehen. Es war dieß ein viereckte, einsam
stehendes Häuschen, mit dicken Mauern, feucht und sei
ferlos. Als die Wache öffnete, sprangen ein halb Dutzend
große Ratten nach ihren Löchern. Das Ganze war von
diesen Gästen unterminiert, und ich versprach mit eher
deßwegen keine ruhige Nacht. . .
Bald darauf erschien ein Mauthbeamter, um mit
Sachen zu untersuchen, Wehr und Waffen und Geld
verzeichnen, und dergleichen.
Ich hatte bei diesem Durchsuchen die Freude, in
Kleider und Wäsche durchnäßt zu finden; die Schrift
waren gerettet; und ich gestehe, daß, da mir diese
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Beschaffenheit der Quarant gine. 545
Hamptsächlichste waren, ich sie nicht gerne verdorben
gesehen hätte. - - -
- Bald brachte man mir ein Mittagsmahl auf europät-
fche Art; ich ließ es mir am Sonnenschein auf der Wiese
trefflich schmecken! Das Waffer war in einem Topf, und
ich weiß nicht, durch welchen glücklichen Zufall er umfiel,
und ich also nur noch fehr wenig davon zu trinken be-
kam *). Ich sah keinen Menschen mehr bis Nachts, wo
des Wirthes Intereffe mir Speisen anbieten ließ. Bei
dieser Gelegenheit verlangte ich zugleich Feuer, das in
der Kälte und Feuchte so nöthig war. Man brachte mir
eine Portion fauler Schindeln. -
… Ich bereitete mein Nachtlager. Draußen waren ei-
nige Haufen Heu mit Dornen vermischt; ich riß nach
Möglichkeit daraus, streute es in einen Winkel, und warf
dann meine Teppiche darüber. Die Ratten störten mich
wenig; ich hatte eine ruhigere Nacht als ich hoffte;
so viele vorhergegangene schlaflose, verschafften mir diesen
Genuß! -
- - - - 11,
Ich erwachte des Morgens innig froh durch das Be-
wußtseyn, in Orlowa zu sein, und alles Ungemach der
beschwerlichen Reise beendigt zu wissen. Immer hofft
ich jemand zu fehlen, der sich nach mir erkundigen wür-
de. *) Ich hoffte vergebens. Ich war so verlaffen, wie
*) Erst fväter erfuhr ich, daß dieser Zufall glücklich genannt
werden konnte. -
*) Nicht von Seite meiner Bekannten von Orlowa, sondern
jemand von der Quarantaine oder Sanität felbst, was
erste Pflicht derselben feyn folte. -
M mit
546 Sechstes Buch. Eilft es Kapitel,
- in dem Loch unterm Boden in der Wallachey! Ein Glück,
daß ich mir Feuer machen konnte; der kalte Winter-
morgen machte es so nöthig! Es ward neun, zehn, elf
Uhr, kein Mensch erschien; dieß fränkte mich unglaub,
lich! -
- Wenn ich daheim einen Hund habe, und ich lasse
ihn irgendwo in ein Loch sperren, so sage ich doch des
Abends und Morgens zu einem meiner Knechte: sich
einmal nach dem eingesperrten Hund! Hier war Niemand
so großmüthig, nur nach dem Menschen sehen zu lassen;
ich wäre zu Grunde gegangen, wenn nicht abermals des
Wirths Eigennutz mir ein besseres Schicksal verschaft
hätte. Mit der Nachfrage wegen dem Effen ließ er mir
zugleich wissen: „es fey ein Quartier für mich erledigt.“
Ich schleppte mein Gepäcke, Stück für Stück, auf den
Rücken, in das angewiesene Quartier, es war ein gro-
ßes Zimmer, dick gemauert, hohl, leer und naßkalt:
ich achtete defen nicht, und war nur froh, es beziehen
zu können. Im ersten Taumel der Freude schrieb ich
an meine Verwandte und Freunde. Mein guter Appetit
machte mich's übersehen, daß die Speisen sehr fett und
der Wein verfälscht war; das Waffer, zwar hell, und
in Munde nicht übel fchmeckend, lag schwer wie Bley
im Magen, und paßirte nicht; die eingefangene Luft war
so feucht, daß die Papiere naß wurden, und der Schim
melgeruch fchlug einen beynahe zurück, Mäuse, dem D-
zend nach, raubten Ruhe und Schlummer. Den vierten
Tag hatt' ich das Fieber am Hals!
Meine Lage war fchlimm, und das Uebel des U-
muths und der Ungeduld verschlimmerte sie noch mehr
Wenn ohne unser Verschulden uns eine Krankheit trifft,
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Er vektoration gegen den Arzt. 57
fo tröstet man sich: „Allah Gherim!“ sagen die Türken,
Geduld! es ist Gottes Wille! Aber, wenn man sich durch
heillose Anstalten, durch eigennützige Prellereyen eines
Schurken, auf das Krankenlager hingeworfen sieht: so
möchte ich den gerne fehen, der sich geduldig darein er-
gibt! Ich wenigstens konnte es nicht. Ich lamentierte und
fluchte über eine Anstalt, die, statt die Kranken gefund,
die Gesunden krank machte; im höchsten Mißmuth fuhr
ich diesen Text zu ciiren fort, es mochte da sein, wer
wollte, denn ich fühlte : daß ich das größte Recht dazu
hatte.
Da kam der Arzt, ein guter aber schwacher Mann,
Und, wie mir schien mit, wahrscheinlich ! wenigen Ein-
fichten in feiner Kunst, und anerbot mir seine Dienste
und Medizinen. Herr! antwortete ich, entrüstet und vol-
ler Galle, feit anderthalb Jahren durchreiste ich drey
Welttheile; habe Ungemach, Mangel und Noth aller Art
ertragen und bin dabey gesund geblieben! In die f er
ungesunden Mörderhöhle bin ich krank geworden ! Was
follen mir ihre Medizinen? Schaffen sie mir einen Au-
fenthalt dort oben auf dem Berge, statt in der stinkenden,
verschimmelten Luft hier; geben Sie mir gutes Waffer,
statt diesem Bley da; laffen Sie mir gefunden Wein
zukommen, statt diesen vergifteten hier, und geben Sie
mir Käse und Brod genug, statt diesen schwer zu ver-
dauenden, schmutzigen Speisen, so stehe ich Ihnen gut,
das Fieber ist binnen vier Tagen weg und ich bin wie-
der gesund!
Es ließ sich wider die Wahrheit dieser Demonstration
nichts einwenden, und er entfernte sich betroffen, Fünf
Mm 2,
548 Sechstes Buch. Eilft es Kapitel. -
N
bis fechs Griechen fielen krank; andere fiechten, und ein
Jude war fehr mißlich. -
Je den andern Tag fchüttelte mich das Fieber; an
den beffern war ich mit starkem Kopfweh behaftet. Keine
Brühe, kein Thee war zu bekommen; das Wirthshaus
war entfernt, und zudem das Lazareth nur wenige Stut
den des Tages offen. Ein Wallache, so dumm als ein
ungrischer Ochse, stellte den Abwärter vor; alle Tage
einmal kam er, zu sehen, ob ich essen wollte, sonst zeigt
sich kein Mensch, der mir etwas reichte *), um sich nicht
zu vermischen. War der Tag zu Ende, so begann die
noch längere Nacht; kam etwas Schlummer, mich zu
erquicken, fo krabbelten die Mäufe unterm Kopfkissen und
störten mich darin; ich hatte, wenn nicht Furcht, doch
Widerwillen vor diesen Thieren, und oft belästigten ist
mich fehr. -
Im Fieberschlaf war ich oft nach Hause versetzt, und
befand mich in einer Anlage von Buschwerk, die ich da
selbst machte, es war mir so wohl in deren Schatten;
dann brüllten die Schildwachen; ich fuhr schreckhaft auf
und, statt in meiner Gartenanlage zu Hause, befand ich
mich krank in Orlowa’s Fieberloch
Ein Glück war's, daß ich nie zum Schwitalan,
ich hätte nicht die Wäsche wechseln können, und bei
nur noch zwei Hemden; waschen durfte man mir nicht,
und es felbst zu thun, war mir in diesem Zustande nicht
möglich. Ich kannte nun die Wirkung des Waferi,
Im Höllendurst des Fiebers starrte ich es an und trat
*) Ich verstehe als Abwart, die sich sonst alle da
in Lazarethen finden,
::
:
::
„
Menschenfreundlichkeit des Arztes. 549
nicht! Ich fing an nichts mehr zu effen, und sechs
Tage lang trank ich beinahe gar nichts; bas. Wenige war
Effig und Waffer. - -
Oft in der Verzweiflung, wünschte ich mich wieder
in die Wallachey unter den Boden; ich hatte doch dort
gesunde Luft und Lebensmittel! - -
Späterhin bekam ich zwei Griechen und einen Wal-
lachen in mein Zimmer. Es erwuchs mir der Vortheil,
daß ich, wegen dem Schnarchen dieser neuen Gäste, das
Krabbeln der Mäufe weniger hörte, und wirklich deswe-
gen mehr Ruhe hatte. Indeß bewirkte meine strenge
Diät die Befreyung vom Fieber. O wie freute ich mich
darüber! - -
Der Arzt war so freundschaftlich, mich gleichwohl
alle Tage auf einen Augenblick zu befuchen. Eines Ta-
ges winkte er mich von der Gesellschaft weg: „ er habe
Etwas für mich.“ Ich bat entschuldigend: nein! „Doch,
doch! kommen Sie nur.“ Ich ging, und nun öffnete
er ein Paket Caffee und ein anders mit Zitcker. Diefe
Medizin ließ ich mir gerne gefallen. Ein andermal brachte
er mir in der Tasche *) eine Flasche Wein, und er be-
nahm sich in feiner Gutmüthigkeit so, daß wir zuletzt
auf einen fehr freundschaftlichen Fuß zusammen stunden.
Ich kann nicht umhin, noch der vernünftigen Er-
ziehung zu erwähnen, welche die Griechen ihren Kindern
geben. Ein sehr angesehener Kaufmann aus Thessalien be-
fand sich auch in Contumaz; er hatte seine beiden Söhne
bey sich, um mit ihnen nach Wien zu gehen, und sie dort
- *) In der Tasche, damit es der Wirth nicht inne werde,
und sich deswegen mit ihm befinde.
550 Sechstes Buch. Eiliftes Kapitel
schulen zu lassen. Sie mußten selbst waschen, Geschirr
spülen, Feuer machen, kurz alle rauhen Kehre verrichten,
indeß der Knecht daneben stand und zusah: „fie sollen
sich frühzeitig an. Alles gewöhnen!“ sagte der Vater,
Auch in Karawanen bemerkte ich Bübchen von acht bis
neun Jahren, die selbst auf die hochbepackten Pferde,
ohne alle Beyhülfe, hinauf kletterten: ich wußte nicht,
wie es möglich war, daß sie selbst ihr Gepäck, so wie
die Pferde, u. a. m. besorgten.
Ich war nun, wenn nicht gesund, doch ordentlich
wieder hergestellt; aber wehmüthig fah ich aus meiner
Gefangenschaft die benachbarten Berggipfel des Banals
und die entferntern Serviens, über die hohe Gefängnis
unauer emporragen. Hinauf, aus dieser melancholischen
Tiefe weg, wünschte ich mich. Wie oft dacht' ich an
Schubart: „Gefangener Mann, ein armer Mann!“ er
empfand es so wahr, und ich mit ihm.
… O Gesundheit, Freyheit, Unabhängigkeit, schöne
Gaben des Himmels! was ist das Leben, wenn die Eile
aus Euch mangelt? -
Indeffen, fey's die allmälige Erhohlung, oder es
die Gewohnheit, diese zweite Natur des Menschen, die
letztern Tage verstrichen erträglicher als die ersten. Ich
konnte wieder lesen und schreiben *); ich war wie
- *) Zu diesem letzterm Behuf hatte ich den ersten Tag mit
Einzugs, als Niemand gegenwärtig war, den Brunnen
deckel gestohlen, ein Brett von zwei Schuh Länge und
einem Breite; ich fähichtete Steine drunter auf, bis
es erhöht genug, als Schreibtisch diente.
::
“:
Aufforderung zu einer Klagfchrift. 551
der einzige Bewohner des Zimmers. Der Mäuse entledigte
ich mich durch eine Kriegslist. Vor Schlafengehen streute
ich nämlich genug am Brod, Knochen und dergleichen
in den entgegengesetzten Winkel von meiner Lagerstätte,
damit. Alle dort ihr Futter fänden, und mich dafür unge-
fchoren lieffen. Eines Tages einst, als ich ruhig, das
Buch in der Hand, da faß, merkte ich, bey völligent
Stillsitzen, eine Bewegung auf meinem Knie, da fiel mein
Blick auf eine ziemlich große Maus, die sich allmälig zu
mir hinaufgearbeitet hatte. Mein Sprung vom Sitze war
fehr behend. Ein Glück für Beyde war's, daß die Maus
nicht in einen meiner weiten, türkischen, rothen Saffan-
Stiefel fiel; denn obgleich die Gefahr ohne anders in
diesen Fall auf ihrer Seite war: so konnte doch vielleicht
der Schreck meiner Seits größer feyn.
---
-
Es war gegen die letzten Tage meines Aufenthalts,
als fällt mtliche Contumazierte mich ersuchen lieffen : „ daß
ich ein Memorial, von der Lage der hier in Quarantaine
Verletzten, abfaffen, und über das unbillige Verfahren
des Wirths, die Nachläßigkeit der Obern und so weiter
Bericht abstatten folle; “ die Schrift sollte dann von allen
Individuen unterzeichnet, und an höhere Behörde über-
fandt werden. Acht oder zehn Tage früher hätt' ich mich
vielleicht dazu verstanden, aber jetzt war meine Zeit bald
beendigt; zudem war ich fremde und kein östereichischer
Unterthan. Das Projekt unterblieb nun ganz , obgleich
mit Fug und Recht die Klage gemacht werden konnte,
hauptsächlich gegen den Schurken von Wirth, der alle
und jede Verbindung mit Orlowa aufzuheben besorgt war.
-,
552 Sechstes Buch. Zwölftes Kapitel.
Niemand hineinsenden ließ, und die Lebensmittel, die in
dorther kamen, wegnahm, um seine schlecht für einen
unverschämt hohen Preis den Eingekerkerten aufzuzwingen.
Alles jedoch im Lazareth angestellte Personale spielte mit
ihm unter Einer Decke; die Entlarvung wäre also um
so schwieriger gewesen; zudem, wie gesagt, war ich
am Ende meines Zieles. Ich hatte für keinen andern
Gedanken mehr Empfänglichkeit, als für den meiner
Erlösung. - --- -
Der ein und zwanzigste Tag brachte sie. Ich schill-
teilte den Staub von den Füßen und eilte mit der Fok
nach Mehadia, - - -
- -
12.
Ich war Willens das Herkulesbad zu gebrauchen;
ich hatte aber, da es zu stark angriff, genug an. Einen
Bade. Ein Grieche, der auch in der Contumaz fant
fiel, kam, gleichfalls sich wieder herzustellen, sicher,
feine Umstände schienen fehr mißlich, Die wilde Gebirgs-
gegend dieses Orts hatte nicht den Reiz, den sie in
Sommer gewährte; es war kalt, und Schnee bedeckte
die Landschaft. Nach einem achtzehn Monathe lang dau
ernden Sommer, fand ich jetzt wieder Winter. Die
Räuberhöhle gewährt einen interessanten Anblick. Er
sind noch keine fünfzig Jahre, daß eine Bande der
kampirte, die das ganze Land unsicher machte, und ich
sogar mit den Militair fehlug.
Ich hatte mich nun des Turbans entledigt, und trg
wieder den Hut. Ich kann nicht genug sagen, wie sehr
mich dieß Anfangs genirte, und wie läppisches mit nur
1,
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- ueber das Hut abziehen. - 553
-
vorkam, jeden Augenblick den Hut herunter zu reisen,
und dem Andern meinen bloßen Kopf fehlen zu laffen, da-
mit er mich für höflich halte. Komme ich in eine Stube,
gleich muß ich mich umsehen, in welcher Ecke ich am
füglichsten meine Kopfzierde niederlegen könne; und geht,
nun gar der Wind, o weh! erst in allen Lüften, dann
im Koth der nutzlose Filz. -
In Linz, beym Eintritt ins Oestreichische, hatte ich
mir vor anderthalb Jahren eine kleine Brieftasche ge-
kauft; sie war bequem fürs Papiergeld; über die Gränze
diente sie mir als Futteral zum türkischen und arabischen
Wörterbuch; jetzt wieder zurück, wurde sie neuerdings,
zum Geldbehältniß umgewandelt. Mit dem Papiergeld
ists eine schöne und bequeme Sache, aber das leidige
Steigen und Fallen, und der oft damit verbundene Ver-
lust, ist nichts weniger als bequem.
Die ganze Breite des Banats durchflog ich im Her-
unterreifen auf Leiterwagen, mit zwei Pferden bespannt,
in Einem Sommertag! Jetzt erfolgte das Gegenstück: mit
vier Pferden hatte man Mühe durch die Morast straffen,
oft zwei Schuh tief von Schlamm sich durchzuarbeiten.
Die Reise ging also begreiflich fehr langsam vor sich,
und meine Gesundheitsumstände verlängerten sie noch
mehr. Unbedeckte Wagen, Kälte, Näffe, ungesunde Luft
aus den Moräften, schweres, unverdauliches Waffer, und
endlich – außer türkischem Gebiet – christliche Indu-
strie der Weinverfälschung, begünstigten sie eben so
wenig. - - - -
Die nachtheiligen Folgen des Aufenthalts in Orsowas
Quarantaine wurden bei dieser Jahrszeit und unter die-
fen Umständen nicht so schnell gehoben, als ich Anfangs
554 Sechstes Buch. Zwölftes Kapitel,
hoffte. In einem Tage konnten kaum zwey Posten zu,
rückgelegt werden; dann erforderten meine Umstände. Er,
hohlung und Ruhe: ich war genöthigt einen und zween,
oft drey Tage liegen zu bleiben. Beschwerden auf der
Brust, Husten und schreckliches Kopfweh waren, weil
Mattigkeit und Schwäche, die Hauptübel, die mich
drückten. - -
Wenn die fchwarzgelben Grazien in Aegypten halb
nackt erscheinen, so ist das wegen dem Klima erklärbar:
aber im Banat, Mitte Dezembers, bey fo großer Kälte,
findet dieser Grund nicht statt, und doch ist das Kostüme
der eleganten Damen dieses Landes noch freyer; ein
Hemd, das kaum die Hälfte der Schenkel bedeckt, und
gefärbte Franzen drüber, welche bis auf die nackten Kit
fallen, machen den ganzen Ornat des untern Leibes aus,
durch den in den Dörfern so tiefen Morast wird ihr
Schuh und Strümpfe gelustwandelt. Der schwarze Schlamm
bis über die Waden, geht statt der Stiefeln. Der obere
Theil des Körpers ist gleichfalls nur leicht mit einem
Hemde, und zwar nur theilweise, bedeckt. Zudes diese
Sommernymphen im Hause, auf der Straße und in Fel
de, sogar bey gefrorenem Boden, so a la Geßners Hit,
tenvolk erscheinen, bepanzern sich die Männer vom Kopf
bis zu Fuß mit Schaafpelzen, auch sogar im Sommer,
Auch ohne den willkührlichen Aufenthalt, ward,
weilen durch die Industrie des Wirths Verlängerung -
zwungen. So geschah es auf einer Post, als ich eine
Morgens fort wollte, daß Bericht kam: „es wäre mit
ein Wagen vorhanden, und es fey ein Rad daran geht
chen, könne auch erst bis Morgen gemacht werden.“ Für
bezahlte am folgenden Morgen die übermäßige Zeche in
",
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Das Spießruthen kaufen. 555
als ich den Wagen bestieg, waren alle vier Räder von
altem, trocknen Koth über und über überzogen; auch
nicht das Geringste fand sich daran repariert, und ich bin
versichert, daß Wirth und Posthalter brüderlich meine
Zeche theilten. Ueberhaupt war an meiner Kaffe fehr
bemerkbar; daß ich nicht mehr, weder in Aegypten, noch
in der Türkey war: die Kreuzer von dort erwuchsen
hier zu Gulden !
-
In Karansebes, einem nicht unbeträchtlichen Orte ,
hielt ich mich fechs Tage auf, theils wegen der schlechten
Witterung, theils weil ich der Ruhe bedurfte! Hier
sah ich wieder europäischen Luxus. Was mir am meisten
auffiel, waren die Sporren an Fußgängern : man denke
sich Sporren zum Spazierengehen; Sporren in den Schreib-
fuben und aller Orten. Sporren! fagte ich mir immer,
ist es nicht zum toll werden ! Sporren tragen die Leute,
die das ganze Jahr auf kein Pferd kommen!
Ich beobachtete raschen Gang, schöne Gesichter, und
, sehr geschmackvolle Kleidung der Frauenzimmer, hier so-
wohl, als später in Temeswar.
„ Alle Samstage ist Exekution von Spießrutenlaufen:
„ eine für mich neue Erscheinung, die mir aber bald zur
Genüge vorkam; schon beim zweiten Male floh ich von
einer so schauerig-eckelhaften Szene weg. Wenn die Leute
die Strafe verdienten, so waren mir doch das Gelächter,
die Späße und Bemerkungen der Zuschauer höchst zu-
- wider. Ich gebe zu, daß die Gewohnheit solcher Spek,
takel unempfindlicher und endlich gleichgültig macht; dem-
z- ungeachtet konnt' ich dieß Betragen nicht verdauen, und
z: ging, voll Aerger und voll widriger Empfindungen über
556 Sechstes Buch. Zwölftes Kapitel
dieß sowohl, als die Sache selbst, zurück auf mein Ziel
mer; es war nur wenige hundert Schritte von dem Ert,
kutionsplatze entfernt. Des Zusehens war ich nun über
hoben, aber nicht des Zuhörens. Das laute Geschrei der
Spießruthen laufenden übertönte hart der Trommeln dum
pfen Ton. Es schien mir so enge in den Zimmer; hef
tiger Regen hinderte mich, anderwärts hinzugehn, Dreh
Stunden dauerte dieß klägliche Geschäft. Ich zwang
mich, zu fingen, zu pfeifen, laut auf und nieder zu ge-
hen, Alles war aber fruchtlos; das Geschrey übertäubt
Alles, und raubte mir Ruhe und Frieden, Oft soll es
dauern bis in die Nacht! . .
Selig das Landleben! da hört man kein Gescht
Spießruthenlaufender; da stört kein Gelärm von Troß
buben und andern Vorüberziehenden, kein Geraffel von
Kutschen und Wagen; kein Fluchen der Kärrner, keit
Hundegebell und Nachbarsgeheul macht einem Kopftuch,
Man langeweilt nicht, sich matt zu sehen an der gegen
überstehenden kahlen Mauer! – Nein! Welch ein Himmel
umgibt einen dort, wenn man im Sommer hinaustritt
vor die Thürschwelle, in feinen Garten, oder auch nur
einen Blick hinaus wirft zum Fenster! Nichts stört den
höhern Schwung der Phantasie! Und im Winter, weil
che liebliche, ruhige Stille umfängt uns da, wenn wir
den Büchern, der Kunst, der Arbeit und dem Nachden-
ken leben ! da ists fo ruhig im warmen Stübchen, als
lebte man allein in der Welt.
Ich rückte allmälig durch Schlamm- und Mens
straffen, von denen man sich bei uns keinen Begriff
(
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mit
auch
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Wer
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ueberschwemmungen im Banat. 557
chen kann, Temeswar näher. Jetzt noch war die Land-
schaft des Banats und des untern Theils von Ungarn
halber Sumpf von der Ueberschwemmung, welche Ende
Augusts und Septembers diesen Landestheil verheerte,
Dorfchaften die Menge wegspülte, und Menschen dem
Tausend nach ersäufte. Hafer war um kein Geld zu be-
kommen; dieser und andre Feldfrüchte wurden ganz weg-
geschwemmt,
13. - ,
Gefchrieben in Wien.
Es müßte einen fonderbaren Anblick gewähren, wenn
man über unserer Atmosphäre einen Standpunkt finden
könnte, von welchem aus man die verschiedenen Einwir-
kungen derselben in den verschiedenen Regionen auf die .
verschiedenen Flecke unters Erdballs übersehen könnte! Die
Mannigfaltigkeit der Wirkungen, in einem und demselben
Moment, müßte ein wundersames Staunen erregen. Der
immer helle blaue Horizont, der über Aegypten sich ewig
hindehnt, und ununterbrochen mit sengender Hitze die
Sandwüsten Lybiens und Aethiopiens anglüht, während
unfre Schweizergletscher ihre Firne und Eismaffen in nie
erwärmte Luftreviere emporheben, und in einem und
demselben Augenblick heftige Winde und regenlose Unge-
witter den Archipel und nördlichen Theil Griechenlands
durchtoben, und ein Theil von Ungarn und dem Banate
in einer halben Süudfluth fast zu Grunde geht,
Vor Temeswar begegnete mir der Postwagen von Sie-
benbürgen; mit achtzehn Ochsen bespannt, machte er vom
Morgen bis in die Nacht nicht. Eine Post! Ich reiste ein
558 Sechstes Buch, Dreyzehntes Kapitel,
Stück Weges mit einem Einwohner von Königsga,
den, wo sich eine Kolonie emigrierter Tyroler ansiedelt,
denen der Kaiser diesen Ort einrichten ließ. Hier die
Aeufferung dieses Kolonisten: „Das Dorf vor ungefähr
drei Jahren erbaut, enthalte gegen achtzig Familien;
während diesem Zeitraum fey ungefähr die Hälfte gesor,
ben; er selbst fey mit sechszehn Personen hieher gekom
men, wovon neun begraben seien. Die Mauern der Hit
fer feyen maffiv, aber von ungebrannten Backsteinen; der
Kalk falle gern herunter, und dann schmelze der Regen
diese Steine zu Koth. Jeder empfange in Scheinen 600f.
zu Anschaffung von Ackergeräthe, Vieh und dergleichen.
Zehn Jahre bleiben die Abgabenfrey.“ Er gab zu ve,
stehen, „daß, wenn es in Deutschland und der Schweiz
nur halbwegs wieder erträglich fey, so laffe. Jeder Hans
und Hof im Stich, und kehre wieder heim, ins Watt,
land.“ - - -
Auch in Karansebes, außerhalb der Stadt, sind bei
läufig dreyßig Häufer, eins wie das andere, ganz neu
erbaut, um ausgewanderte Schwaben aufzunehmen und
zu begünstigen. Ich fand dafelbst einen Schweizer, vor
Altstädten, aus dem Kanton Zürich; vor mehreren Jahren
wollte er nach der Krimm, fand sich aber, wegen den
Krieg zwischen den Ruffen und Türken, in Orlow auf
gehalten, und ward von östereichischer Behörde einz
den, fich hier anzusiedeln. Die nämliche Klage, wie
bey den Tyroler-Emigrierten, war auch hier. Ficket
herrschten wegen ungesunder Luft und ungesundem Wil
fer. Als ich in feine Wohnung trat, schlug mich die
feuchte, fchimmlichte Luft und der Dunst in der Stil
1. Transport gefangener Franzofen, 559
fast zurück; das dicke Gemäuer erzeugt Dampf und er-
stickte Luft, und ich glaube, dieß, verbunden mit der
Wirkung von schlechtem Wasser, und Entbehrung von
n Wein und Branntwein *), fey die Grundlage der mei-
sten Krankheiten. Der Mann schien etliche und dreyßig
Jahre alt und baumstark; die ersten zwei Jahre hatte
er Fieber, und seit es ihn verließ, starke Geschwüre an
den Füßen.
In der Gegend von Temeswar und weiter hinauf,
traf ich beträchtliche Truppen gefangner Franzosen an.
Diese Menschen, in einem höchst elenden Zustand, hatten
fammt und sonders das Fieber; von zehn möchte kaum
einer mehr zurückkehren !
Mit einem Mailänder und einem Griechen reiste ich
von Temeswar ab. Wir hatten fünf starke Pferde, blie-
ben aber eine halbe Stunde vor der Stadt fchon stecken;
und später hatten ihrer sieben noch Mühe, uns durch den
Morast nach Pest zu schleppen ; mehr oder weniger war
sich die Straße überall gleich. Der Mailänder war in
übler Lage; ein Paß lautete aus Mayland, das indeß
“ durch die Zeitumstände gegen Oestreich in Krieg zu stehen
“ kam. An der Gränze sollte er wieder zurück.
: 3 „ Schweige man mir doch mit den Prahlereien von
* Civilisation, von Menschenrechten, und wie die hochtö-
nenden Worte alle heißen mögen! Man schweige mir von
sº der Barbarey unkultivierter Nationen, und brüste sich nicht
- mit unsern heillosen Zeitalter. Was vermag sich beim
Zank und Bruch der Fürsten der reifende Kaufmann?
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ist
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" … *) Des hohen Preises halber für den gemeinen Mann zu
theuer. -
560 Sechstes Buch. Dreyzehntes Kapitel,
e-
was der Künstler, was der Handwerker, was der, der
für fein Vergnügen oder feine Gesundheit reist? Und will
berechtigt die obern Behörden, die in Handen haben
Gewalt zu mißbrauchen, und den Fremdling und Schuld
losen, vorausgesetzt, daß seine Papiere gesetzlich und in
der Ordnung find, beym Kopf zu nehmen und einzusper,
ren, weil einige Minister die Lust anwandelte, gegenseitig
zu brechen! - - - -
Gegenfechs Dukaten, in einem Papierchen dem Brief
beygefügt, war der Commandant so gefällig, den Map-
länder einen ähnlichen Paß, gleich dem vorigen, zu er-
theilen; einzig war darin sur plus ausgesetzt: „K, K.
östreichischer Unterthan“; und jetzt konnte er damit reisen,
In Orlowa waren zwey Handwerker, von Konstantinopel
gebürtig; - sie reisten von dort mit einem dänischen Pf
- ab; bis sie in Orlowa waren, ereignete sich die Verhin
dung Dänemarks mit Frankreich; sie wurden nun als
feindlich behandelt, und ihnen der Durchpaß durchs Land
abgeschlagen. Was war zu thun für solche Leute in soll
cher Lage? ohne Brod, ohne Geld! sie waren genötigt,
türkische Kriegsdienste zu nehmen.
Wenn ein Stück vom Monde heruntergefallen wir
diese Leute hätten sich deffen so wenig vermocht, als des
Bruchs zwischen Dännemark und den Verbündeten. Wir
überglücklich war ich durch den Zufall, daß ich mich in
mer und überall, statt, wie ich eigentlich sollte, an die
französischen Behörden, an die östereichischen wandte. Mit
Rückkehr wäre mir versagt worden, und ich wäre g
zwungen gewesen, in das Land der Pest zurückzukehren,
wenn mein Paß die Handschrift eines Franzosen auf
wiesen hätte! -
- Aufenthalt in Peit, . . . . . 561
- Meine Gesundheitsumstände waren bei meiner An-
kunft in Pesch fehr mißlich; Näffe, Kälte, ungesunde,
in mit Salpetertheilen ganz angefüllte Waffer, zuweilen auch
es schädliche, verfälschte Weine, verursachten mir äußerst
ist heftigen Husten, anhaltendes Kopfweh *) Fieber und
zu Schlaflosigkeit. Mein Zustand war einige Zeit sehr auf
der Wage! Meine Reisegesellschafter gingen nach Wien
ab, in der Muthmaffung, mich nie mehr zu sehen; ich
„n selbst aber zweifelte nie an meiner Wiedergenesung. War
, mir ein anderes Loos beschieden, so wäre es früher über
„n mich geworfen worden; und ich dachte: daß ich wohl
„ nicht den tausend augenscheinlichen Gefahren, die theils
„ die Reise selbst mit sich brachte, theils aber, und noch
„ mehr meine unvorsichtigkeit, und so oft, muß ich sagen,
„, meine Tollkühnheit herbeizogen, entgangen sei, um in
„ Ungarn zu sterben. -
„“. - -
, . Den letzten Tag im Jahr 1812 hatte ich in Ober-
ägypten, bey dem besten Appetite nichts zu effen; und
“ den letzten Tag im Jahr 1813 Alles mögliche Genießbare,
nur keinen Appetit dazu. Zwey sehr entgegengesetzte Fälle
„ Mein vierzehntägiger Aufenthalt in Pesch schlug gut
- an; durch Wärme, Pflege und Donauwasser ward ich
- wieder hergestellt. Die Abreise aber wegen den Eislauf
* *) Das schreckliche Kopfweh entstand, wie ich späterhin
fand, auch durch die plötzliche Abänderung des Costüms
… vom warm haltenden Turban zum entblößten Haupt des
z Huthträgers, - -
- - - - -
z - N. n
- z“
- - - - - - -
S62 Sechstes Buch. : Vierzehntes Kapitel,
noch fechs Tage verzögert, man konnte nicht hinüber,
nach Ofen! - - - -
Ich kann nicht umhin, noch zu erwähnen der Wuth
- -
sich hier zu Land gegenseitig zu beadeln; es ist in dieser
Gegend einer ein pauvre Syr, wenn er nicht ein Herr
von ist. In Wien hörte ich bei meiner Durchreise der
Titel: „Herr von Oberrichter;“ und in Orlowa in Li
zareth: „Herr von Doktor!“ . . ."
Es ist unglaublich, welch einseitige, dumme Alelf-
rungen und Behauptungen man oft gezwungen ist anzuhö-
ren, wenn politische Ereigniffe aufgetischt, und mit wel-
chem Eifer, welcher Galle sie vorgetragen werden. Es
genügt nicht, zu schweigen; denn, wenn man nicht
den Parorismus dieser Schöpfe mit einstimmt, nicht mit
schimpft und fchreyt: fo kömmt man in Verdacht, andere
Meinung zu sein, und wird sogleich als französische
finnt gehalten. Es begegnete mir dieß mehrere Mal
und jeder Unpartheyifche würde bey Enthusiasten der
einten oder andern Parthie, gleiches Loos mit mit g
theilt haben. Eine solche Unterhaltung ist für einig
Stunden wohl zu ertragen: aber wenn man sechs und
acht Tage in einen Kasten zusammengesperrt ist, und die
Plattheiten und das ungereimte Zeug immer auf Wett
anhören muß, o wie bedauert man da, daß die Ohren
nicht den gleichen Vortheil haben wie die Augen, und
daß man nicht vermittelt eines Gehörzapfens das toll
Gewäsch der Eiferer ungehört laffen kann. Wahrlich, ich
habe es oft erprobt, es ist kein Leichtes, sich mit Schel
lenkappen zu vertragen! … : "
1
" samm-
z
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z
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Liss
Reife von Ofen nach Wien, 563
14, * . " /
Gleich nach meiner Ankunft in Ofen benutzte ich die
erste Gelegenheit zur Abreise nach Wien. Es fand sich
noch ein freier Platz in einer Kutsche zu vier Plätzen,
und ich bezog ihn. Zwey Griechen und ein Flachshänd-
ler von Wien, ein ordentlicher Mann, machten die Rei-
fegesellschaft aus. Beim ersten Anblick des einen der er
stern sagte ich mir: das ist ein ächtes Stück von Contre-
bandgesicht, und mein Blick betrog mich auch dießmal in
meinem Urtheil nicht. : " :
,
- -
-
Lügenhaft, großsprechend, prahlte er mit der Spe-
dition von einem Quantum Baumwolle in der Wallachey;
ich merkte bald, daß es Wind fey, und immer mehr
erhellte es, daß das merkantilische nicht sein Fach war,
indem er stumm blieb, wenn man darauf zu reden kam.
Zoten und pöbelhaftes Zeug war alles was er vorbrachte;
immer trachtete er das Gespräch auf das Politische zu
bringen; sieben bis acht Sprachen geläufig zu sprechen,
fchien ein einziges Verdienst. Kurz, das Betragen des
Burschen machte Vorsicht in dem meinigen nöthig, so daß
ich auf meiner Hut blieb, welches denn wirklich nicht
überflüffig war, da es sich an der Gränze zeigte, daß er
ein Spion der Polizey und der Mauth war. Ich hatte
zwey versiegelte Briefe vom Consul in Salonichi, das
hörte er früher von mir, nachdem er die Veranlassung
dazu gegeben, und selbst einige vorgewiesen hatte, die
als Falle dienten. Der Schurke steckte die Sache sogleich
den Beamteten; ich ward es aber noch zeitlich genug ge-
- N n 2
564 Sechstes Buch. Vierzehntes Kapitel,
wahr, um mich zu sichern. Ich öffnete das Felleisen,
übergab eine Handvoll türkischen Tabak, einen Kalender
aus Perth, und die Briefe als verbotene Waare. Die
Oberbeamteten handelten sehr anständig, erbrachen die
Briefe, ohne sie zu öffnen, und gaben sie mir zurück. Mit
berhaupt bemerkte ich durchgehends eine günstige Stimmt,
ung und freundliche Behandlung, sobald ich mich als
Schweizer angab, -
, Der andre Grieche war aus gutem Hause, aber wie -
alle, nicht von der besten Lebensart. Eines Abends beim
Nachteffen fetzte er sich hart bey mir, und fing an mit
einem Federmeffer die Nägel abzuschneiden, etwas das mit
unausstehlich zuwider ist; ich gab es ihn zu versehen,
aber er deutete es mir höchlich übel. Ich sah oft reicht
Leute dieser Nation, die den Gebrauch eines Nastics
nicht zu kennen schienen.
… Zum letzten Mal, fo Gott will! mit Griechen gereist
: " Auf einer Station, wenige Stunden vor Wien, ent
ledigte ich mich meines Schnurrbarts, der bereits bis auf
die Kinnladen reichte; im Banat und Ungarn sind fit
noch üblich, darum ließ ich denselben bis jetzt stehen, es
nationalisierte mehr. Uebrigens schafft diese Mode kein
Bequemlichkeit, und ich mißte sie nicht, wie den Turban
im Gegentheil, man ist im Bette, wie an der Tafel, die
mit geplagt. Zuweilen glaubt man ein Haar mit den
Speisen in Mund gebracht zu haben, will es schnell her
ausnehmen, und reißt sich in Haft einen Theil des Bil
tes aus; anderer größerer und kleinerer unbequemlich
ten nicht zu gedenken,
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als
fchloffen,
nicht konnte befriedigt werden!
Betrachtungen über meine Neife. . 565
Endlich, den fünf und zwanzigsten Jänner, Abends,
blinkte in der Ferne der Sankt Stephansthurn, und
Nachts langte ich glücklich in Wien an; ich war defen
innigst froh, denn in Wien feyn, oder zu Hause, war
tmir so viel als Eins ! - - -
. . "
und da bin ich nun wieder. Meine Reisegeschichte
ist von hier aus angefangen, mit hier soll sie auch been-
digt feyn. Einige Bemerkungen noch, und dann abge-
Im künftigen Monathe wird es nun zwei Jahre,
daß ich aus meinem Vaterlande abreiste; abreiste mit dem
unwiderstehlichen Hang zum Reisen, der, während fünf
und zwanzig Jahren durch die öftern Ausflüge in ver-
schiedene Theile unsers Europas, bald näher bald ferner,
Weiter, immer weiter blieb mein höchster Wunsch:
Jetzt, zurück von meiner zweijährigen Reise, wie so
ganz umgeändert ist dieser Hang. Er ist befriedigt, ver-
fchwunden ! dieser Hang fowohl, als mein ehemaliger,
unbegränzter Geschäfts- und Thätigkeitseifer. Ein ande,
ter Wunsch hat deren Stelle eingenommen, es ist der
auszuruhen vom Reisen, bis einst die große Reise anzu,
treten ist, von der man nimmer zurückkömmt! - - - -
. . -
unendlich Vieles habe ich auf dieser Reise gesehen
und erfahren, die Natur der Sache und die Gelegenheit
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V 66 Sechstes Buch. Vierzehntes Kapitel.
“ brachte es fo mit sich. Ich war in Gesellschaft mit Vor-
nehmen und Großen, geistlichen und weltlichen Standes
bis hinunter mit Bettlern, Abentheurern und Hallunket!
Bey tieferm Beobachten und Forschen fand sich bei
nahe durchgehends das gleiche Resultat: unter Glanz und
Schimmer, wie unter Lumpen und Fetzen, besinnten
die Leidenschaften, nur so oder so modifiziert, das Thun
und Laffen. Aller; wie Wenige handeln aus Grundsätzen,
und wie noch Wenigere aus edeln - und, im Ganzeige
nommen, wie wenig, wenig wahre Edle habe ich aus der
großen Menschenmenge, die ich kennen lernte, gefunden,
gegen die Legion des Gegentheils!
und wenn ich so nachdenke und nachsehe, wie ich
früher mit romantischem Sinne vom fernen Arabien, den
feinen Bewohnern, Sitten und Gebräuchen dachte und
schrieb; und jetzt mir sage: dort war ich sah und sind
Menschen, wie Ueberall; fand, abgeschält das Ziel,
die Wirklichkeit: Alles so ganz anders, als die Imagi
nation ohne Erfahrung es uns schafft und darstellt. Ich
war dort, nnd sah das Gewerbe und Treiben der Met
schen, wie bei uns nur unter anderm Anstrich, Elina,
und Herkommen, andrer Cultur und Religion; ich find
sie weder besser, noch glücklicher als wir, es müßte den
der Fall sein, daß sie es aus Mangel an Begriffen für
Bessere oder Schlimmere wären, dann wäre es aber nicht
Verdienst; ich fand sie, sage ich, weder besser noch gilt
licher, als wir in unserm nach Neuheit dürstenden Welt-
heile es sein können. * * * *
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: Betrachtungen über meine Reife. 56
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Wir sind gewohnt, uns von andern und fernen Or-
den her Annehmlichkeiten zu träumen, die doch nur in der
Ideen- und Romanenwelt vorhanden sind, die an Ort
nnd Stelle selbst, wenn der Reiz der Neuheit einmal
vorbei ist, wo nicht ganz schwinden, doch von der höch-
sten Poesie zur tiefsten Prosa herabsinken! - -
Ungeachtet alles überstandenen Ungemachs und aller
Mühseligkeiten *), wollte ich doch um Alles nicht, diese
Reise nicht gemacht zu haben; sie verschaffte mir Gele-
genheit, die wichtige Entdeckung zu machen, daß am Gra-
besrande der Mächtigste aller Sterblichen nicht vermag,
uns nur eine einzige Minute Zeit zu vergüten, die wir ,
bald aus hinfälliger Convenienz. Andrer willen, bald we-
gen zeittödtendem Ceremoniel, oder weil, wie man zu fa-
gen pflegt, es so der Brauch ist, verloren.
Ist nun aber das ganze Menschengeschlecht so ohn-
mächtig, uns nicht. Einen wegen ihm verlormen oder auf
geopferten Augenblick wieder zu ersetzen, wenn wir am
Ende unserer Laufbahn sind, wer wird es dann übel deu,
ten, wenn man mit der Verwendung dieser Augenblicke
fparsam zu Werke geht! Daher mein Vorsatz, mein Ent-
fchluß: diese Aufopferung feltner zu machen, und nach
Gefallen und Wunsch zu leben. / - -
*) und sie waren oft von der Beschaffenheit, auch dem
Stärksten in seinen besten Jahren zu genügen, geschweige
einem scheinbar Schwächlichen, der in kurzer Zeit ein
halbes Jahrhundert aufm Rücken hat.
568 Sechstes Buch. Vierzehntes Kapitel,
Ich gebe es gerne zu, daß es in frühern Jahren
bisweilen Pflicht, oft Lage und Umstände erfordern kön,
nen, diese Aufopferungen zu machen; man verfolgt eine
Zweck. Ich bin hinaus über diese Zeit und Verhältnis
Ich habe schlechterdings keinen andern Zweck mehr zu
verfolgen, als den: der Ruhe, mir felbst, und der Zu-
kunft zu leben.
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Schlußstelle
m e i nº e F r e u n d e.
Beendigt wäre nun, was ich von dieser meiner letzten
Reife zur Rückerinnerung aufgezeichnet habe. Aber an
meine Freunde ist es billig und nöthig noch einige Be-
merkungen zu machen. -
Eine fchlechte Handschrift war von jeher mein Fehr
ler; dazu gesellte sich oft schlechte Dinte, schlechtes Pa-
Pier, fchlechtes Lokal zum schreiben ; oft geschah es auf
den Knieen, oft auf schwankendem Brette, viel in dun-
keln Zellen, oder bey elender Lampe, kaum das Geschrie-
bene zu sehen; oft bey Kälte und Durchzug vom Wind
im Fensterlosen Gemach,
Ich komme auf das Wichtigere, die Beschreibung
meiner Schicksale, und der Gegenden selbst. Diese letz,
tern, denkwürdiger, als wohl keine andern, aber zur ge-
hörigen Darstellung erfordert" es eine andre Feder, als
die des Schreibers, dem eine bessere Anleitung, nnd meh-
rere Uebung in felbstverfaßten Anfätzen abging. Der ein-
zige Vorzug, den diese Beschreibung vielleicht vor mancher
andern hat, ist der: der Wahrheit, was auch die Haupt-
fache feyn sollte, - -
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570 Schlußstelle an meine Freunde,
T-
Oft wünschte ich mehrere Erkundigungen einzuziehen,
gründlichere Untersuchungen anzustellen; aber Mangel an
Sprachkenntniß, zuweilen auch Mangel an Sachkenntnis
von Seite der Befragten, vereitelte oder beschränkte doch
meine Wünsche fehr ! - - -
Ausarbeitung mangelt ganz, und wäre doch eine wich
tige Sache! Aber wie hätte ich hiezu Gelegenheit gefu,
den? Diese Blätter sind meist eilig geschrieben; oft war
ich, während dem Schreiben, mißstimmt, gestört, bei
jeder Zeile unterbrochen; keine Rücksicht auf Rechtschreib-
ung und Styl nahm ich. Zuweilen, wie ich nun beim
Durchlesen finde, zeigen sich Wiederholungen. Netto-
tale Mangel der mündlichen Erzählungsgabe ist selbst in
meinen schriftlichen Aufsätzen spürbar. Dennoch all die
fer Fehler ungeachtet, gebe ich diese Reise, wie ich je
niederschrieb. Nicht nur die Beschreibung sollten mit
Freunde haben, sondern auch meine Manier zu
fchreiben. Sie sollten mich auch in diesen Blättern
wieder erkennen; ich selbst aber mich darin wiederfidet,
da ich nicht anders scheinen will als ich wirklich bin, und
es mir Freude macht, nichts darin zu wissen, das mich
mir selbst fremd machen könnte. Die Ursache dieses Mal
gels an mündlicher und schriftlicher Erzählungsgabe, lg
in der linkischen Behandlung, die ich in den Schule,
fuhr, wo man mir das Gedächtniß durch Prügel ein
pfen wollte. Ein Umstand der mir schon in der Kindheit
das Leben verbitterte, wo mir diese Zeit, von welcher
der andere bei deren Rückerinnerung, als von einer
Himmel spricht, zur Hölle gemacht wurde.
und als später, in meinen Jünglingsjahren, das mit
nirende, pedantische Schulsystem durch eine liebevolles
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Schlußstelle an meine Freunde. 57
handlung verdrängt wurde, und ich, statt zum Papagay,
zum denkenden Wesen gebildet ward, und ein helleres Da-
feyn mir Entschädigung zu gewähren schien, deutete plötz-
lich der Finger des Schicksals: daß mein Gang hienieden
herbe sein solle. Eine schreckliche Krankheit, Polyp in
der Nase, lastete in einer Reihe von fast dreißig Jah-
ren, fchwer auf meinem Dafeyn ! Schwül und düster,
halb des Verstandes beraubt, floßen der Tage und Stun-
den fo viele dahin! Zerstreuung durch übermäßige Ge-
schäfte, bewahrte mich Anfangs der Krankheit vor Ver-
zweiflung, was – späterhin eine Folge von Grundsätzen
war. *) –
*) Ich erachte es für eine Pflicht gegen die leidende Mensch-
heit hier das Mittel öffentlich bekannt zu machen, durch
welches ich, Gottlob! vor bald zehn Jahren von dieser
fchrecklichen Krankheit erlöst wurde. Viele Anfragen,
aus verschiedenen Gegenden, gelangten deswegen feit der
- Erscheinung der ersten Ausgabe meines Werkgens an
mich, und, dem Himmel fey es gedankt, die Erläuter-
- ungen welche ich gab, verhalfen manchem meiner Lei-
, densgenoffen zur Rettung und Hebung des Uebels. Möge
die Mittheilung, die ich hier in der zweiten Ausgabe, so
" " froh und freudig einrückte, gleich glückliche Wirkung für
Jeden noch daran Leidenden hervorbringen. Unter den
innigsten Segenswünschen eröffne ich hier das Heilmittel:
- „Es ist das Kraut: Marum verum, ( nach Linné),
„das in allen guten Apotheken zu haben ist; es wird
„palverisiert und geschnuvft (wohlgemerkt nach der Ope-
: „ration ). Ich nahm des Tags vier bis fünf Prifen;
, „es wirkt astringirend und macht zuweilen sogar bluten,
" " , was bey mir der Fall war, worauf ich dann etwas mit
„Schnupfen abbrach.“ - -
… Ich glaube nicht, daß der Gebrauch des Krautes i
irgend einer Hinsicht schädlich feyn könnte, indem i
- noch jetzt zuweilen, da dieser Taback nichts Widriges für
- nich hat, eine Prise davon nehme. Der Sinn des Ge-
- ruchs, den ich beynahe ganz verloren hatte, ist allmälig
- nach der Genesung gänzlich wieder hergestellt worden.
Die Leiden dieses Uebels befielen mich in dem Alter
3
M.
- zwischen dreyzehn bis vierzehn Jahren und peinigten
572 Schlußstelle an meine Freunde,
Aber, wenn auch das Undenkliche zu tragen unsch,
liegt, so verhalten sich, sagt Lavater, die Leiden diese
Zeit zur Helle der Zukunft, wie der Schmerz des Lanz,
tenstichs zur Hebung einer tödlichen Krankheit,
Am ernsten Ende die Entwicklung . . . . .,
doch, nicht von die fein Ende wollt' ich meinen Freu,
den reden, sondern vom Ende meiner Reise; und
weil ich just sage : „ meinen Freunden, so enthal
ten diese paar Worte so Vieles, und fassen alles in sich,
was ich noch zu sagen hätte, ohne diese paar Worte
- - s -
mich ungefähr, bald mehr bald weniger, eine geholt
fo lange Zeit. Ungeachtet aller angewandten Mittel und
Befreyungsversuche, durch Abbinden, Abäzen und Aus
reiffen des Gewächses (deren zuweilen in zwei Tage
drey von bedeutender Größe ausgeriffen wurden) lig-
achtet eines vieljährigen Gebrauchs des Seidelbasis und
einer Menge innerlicher Mittel, schien alle Hoffnung,
je gerettet zu werden, verschwunden, und ich ergeh mich
. . bereits in mein herbes Schicksal, als ich der Bekannt
- fchaft und Güte eines würdigen ' jets
- Mittel: „Marum verum zu fchnupfen“, verdankt,
Innerhalb der langen Zeit, in der ich an diesentlichel
litt, ward ich wiederholt in der Schweiz, in Italien,
- in Frankreich und Deutschland operiert; aber immer et“
folgte nach kurzer Frist das Wiederwachsen des Polypen,
- Die Kur, welche mir der berühmte Kanonikus Mahr
felig, von Zürich verordnete, fruchtete noch am
Er rieth zu einer Luftänderung in warmes Klima
bereiste Sizilien, erklimmte den Gipfel des Aetna; zur
jengenden Mittagszeit rannte ich während den drei heit
ßesten Sommermonathen auf der fast glühenden Land vor
Messina und Catanea umher; ich kam zurück nach Real
fchwarz, wie ein Mohr, aber geheilt auf . . zwei Jahre
Nach einem feuchtnaffen, ungesunden Winter, den ich
meist in der Stube durchkränkelte, erwachte ich eines
Morgens und fühlte den Polyp wieder vorhanden. Hie
liger Gott, welch eine schwarze Viertelstunde folgte die
fer Entdeckung. Da verschwand der letzte Strahlen
Hoffnung, und ohne das Marum verum wäre ich wohl
kaum mehr vorhanden -
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Schlußstelle an meine Freunde. 575
Aber ich wähne mich im langsamen Zuge der Ka-
ravane; es steigt und drückt die schwüle Mittagshitze;
kein Schatten auf der unübersehbaren Steppe und kein
Quell in der Nähe; nur laues oder fchlammigtes Waf-
fer, oder warmer Wein, soll mich laben im brennenden
Durst, und hartes Brod und schlechter Käs meinen Hun-
ger stillen ! In ermattender Hitze fummet die Bremse
und sticht blutig, und raubt den so nöthigen Schlum-
1(", -
Und ich meyne heranrücken zu fehen den dämmern-
den Abend, naß und kalt; kein Haus weit und breit,
kein Holz, das erwärme die lange Nacht über; auf ein-
ander werden die Ballen geschichtet zur Schanze in un-
fichrer Gegend, um die Spitze zu bieten dem lauernden
" Räubertrupp; der Mantel, als Bette, wird auf holpe-
rigte Erdschollen ausgespreitet, oder auf naffes Riedgras;
Säbel und Flinte unters Haupt, und hart neben an
gedrückt, und nieder will ich mich werfen auf den Erdbo-
den, die unfreundliche Nacht zu überstehen. *
Aber ich erwache aus meinem Wahne zur Wirklich-
keit, und ich weiche aus der heißen Mittagshitze ins
fchattigte Gemach, und es ist bestellt der Tisch mit gu-
ter, felbstgewählter Hausmannskost; Wein aus eignen
Reben – (und es ist Eilfer!) – verannehmlicht das
Mahl, und kühles Waffer aus meinem Brunnen verdünnt
ihn nach Wohlgefallen; ich effe Butter und Milch von
meinem Vieh, und Kohl aus meinem Garten. Statt
der Leckerey von Melonen, Bananen, Orangen,
Granaten und dergleichen, genieße ich das nützli-
chere Obst meiner Bäume, und die gesegneten Erdäpfel,
574 Schlußstelle an meine Freunde,
unbekannt, oder umgebaut in jenen Ländern, schmücken
als Lieblingstracht meinen Tisch; auch das saftige Rind-
fleisch schmeckt besser, als Ziegen und Hammel."
Oder ich denke mich in eine Stadt, oder ein Dorf
des Orients unter die Menge Menschen; rechts und ließ
muß ich ausweichen; von Ferne schon muß ich mich,
rückziehen, um nicht berührt zu werden, zur Zeit, in
die Peft Verderben bringt; auf kein Tuch darf ich mich
niederlaffen, und die Feder, im Gras liegend, kann mit
den Tod geben. Und komm ich heim vom Spaziergang,
so muß ich eine Viertelstunde im Rauche stehen und fit
ersticken, eh' ich mich sicher weiß; beräuchert muß wer
den Alles und jedes von Andern berührte; in Eig
worfen werden, die kleinste Kleinigkeit, und konnte
treue Haushund, oder die reinliche Katze, so muß ich
weit wegscheuchen die freundlichen Thiere; ansteckend ist
ihre Nähe; von Freunden und Bekannten bleibe ich viel
Schritte weg, um frey zu bleiben von der Pest, der ist
ihnen nicht zuzubringen, - - -
Aber zur sichern Wirklichkeit erwache ich, und nicht
ist zu fürchten von Krankheit oder Pest in des Watt
lands reiner Luft! Ruhig und sicher für Gesundheit,
ist Wohnung und Aufenthalt für Menschen und Weil
------
-
und ferne von Verwandten und Freunden, inst
den Lande, wo ich nicht ein Wort verstehe von der Ex-
che des Volks, und keines von der meinigen verstand
wird, bin ich in Verlegenheit, die einfachste Sache er
klärbar zu machen, und, ob ich lebe oder sterbe, kümmert
sich theilnahmlos kein athmendes Wesen um mich! "
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Schlußstelle an meine Freunde. E75
Aber ich befinde mich in trauter Heimath! verstehe
und werde verstanden; finde fo Manchen, der sich auf-
richtig meines Wohls und Wiederkehrens freut; fein
Händedruck der Freundschaft sagt mir's, daß er um
mich kümmerte; wieder in feiner Nähe, heißt er mich
innig: „willkomm!“ und herzlich und dankend fühlt es
mein Innerstes! -
Und in Orsowas fchimmlichte Quarantaine mich ver-
fetzend, beginnt das Fieber mich zu fchütteln. Auf die
harten Bretter, mit kahlem Teppiche überdeckt, lagere
ich mich; Abwart- und Pflegelos, nahe am Dilirium,
wälz' ich mich, im Schlummer durch ein Heer von Mäu-
fen gestört, auf dem hölzernen Eiderdaun umher; Unge-
ziefer aller Art, die Ausgeburt der ekelhaftesten Unrein-
lichkeit dieser Mördergrube, macht das Elend noch elen-
der; und das Bewußtsein der Gefangenschaft raubt den
letzten Trost, und führt an den Abgrund der Verzweiflung,
„ Aber ich ermanne mich zur Wirklichkeit und fühle
mich gesund, und frei und frank kann ich mich bewegen,
und es fehn mir Hügel und Thal offen zu durchwandern
in freyster Freyheit; und bin ich des Wanderns fatt und
müde, fo winkt im stillen Gemach das reinliche Bette zur
Ruhe, und ungestört von allem, was stören könnte,
pfleg' ich derselben nach Wohlgefallen,
Doch horch und sieht es fauft der Wind, und die
Wolken fahren ungestüm durch den Himmelsbogen; Schlo-
ßen und Platzregen fallen; es krachet das Schiff, ich höre
576 Schlußstelle an meine Freunde.
die Konfusion der Matrosen, verworrnes Geschrey durch,
dröhnt das Schiff; stärker heult der Sturm und durch
pfeift die Spalten des lecken Fahrzeugs; das Wellenspiel
treibts hinauf auf den höchsten Gipfel, und in den grau-
envollen Abgrund zu stürzen, öffnet sich jähe die schäl-
mende Fluth, Ich sehe das Kreuz schlagen des zahngewor,
denen Gesindels; höre feine Gebethe und Gelübde, er-
zwungen durch Noth: fchrecklicher tobts; Blitze und Don,
ner folgen Schlag auf Schlag; mit blaßer Stirn und
Wange starrt der Trupp auf dem verlornen Ball der
Wogen; höher bäumt sich die Welle, noch eine, es
überschwankt das Schiff –– wehe, das Wasser hinein
zu allen Oeffnungen. -
Aber zum frohen Taumel erwacht die Besinnung
Zwar tobt der Wind, und es schlägt der Regen gegen die
Wand, es tofet und flocket, und des Unwetters Schrecken
ist groß; aber geborgen auf festem Grund, und gesichert
vor allem Uebel der Elemente, das den Wanderer trifft,
bin ich in warmer Stube, am heimathlichen Herd, und
- schreibe diese Zeilen für meine Freunde, zwischen den
vier Wänden meiner ruhigen, ländlichen Wohnung, auf
der Bleiche bey Arbon. - -
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