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Nicht ausheben Umsignieren auf - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - (Eine Fraserfahrt nun die Reife von Wien - nach Brasilien, Chili, Otahaiti, China, Ost-Indien, Perfien und Kleinasten VDM1 Ida Pfeiffer, geb. Meyer, Verfafferin der „Reise einer Wienerin ins heilige Land“ und der „Reise nach Island und Scandinavien.“ –LOO3– Erster Band VAA/VVVU. - (EZ VVVVVV/\/\/\/\/ Wien, 1850. Verlag von Carl Gerold. Buchdruckerei von Carl Gerold und Sohn Meiner lieben Cousine Art Die PPR Reyer, gebornen Edlmann und dem H. e r r n J. G, Schatz, Consul der vereinigten Staaten von Amerika sc. sc. achtungsvoll gewidmet von der Verfasserin. - - - - - V or rede, Schon in mehreren Zeitungen ward ich Touri- stin genannt; dieser Name gebührt mir indessen, feiner gewöhnlichen Bedeutung nach, leider nicht. Einerseits besitze ich zu wenig Witz und Laune, um unter- haltend schreiben, und andrerseits zu wenig Kennt- niffe, um über das Erlebte gediegene Urtheile fällen zu können. Ich vermag nur schmucklos das zu erzählen, was mir begegnet, was ich gesehen, und will ich et- was beurtheilen, so kann ich es blos von dem Stand- puncte einfacher Anschauung aus. Manche glauben vielleicht, Eitelkeit sei die Veran- laffung zu dieser großen Reise gewesen. Ich kann darauf nichts erwiedern, als: wer dies denkt, möge selbst eine ähnliche Reise unternehmen, um zu sehen, daß solche Beschwerden, solche Entbehrungen und Gefahren nur durch angeborne Reiselust, durch unbegränzte Wißbegierde überwunden werden können. Wie es den Maler drängt, ein Bild zu malen, den Dichter, seine Gedanken auszusprechen, so drängt es mich die Welt zu sehen. –Reifen war der Traum meiner Jugend, Erinnerung des Gesehenen ist nun das Labsal meines Alters. - Freundlich und gütig hat das geehrte Publicum meine ungeschmückten Reiseberichte „nach dem heili- gen Lande, nach Island und Scandinavien“ aufgenommen, und dies ermuthigt mich, abermals mit dem Tagebuch dieser meiner letzten und größten Reise in die Oeffentlichkeit zu treten. Möchte die Erzählung meiner Erlebnisse den geehrten Lesern und Leserinnen nur einen Theil jenes Vergnügens bieten, das die Reise selbst mir in großem Maße gewährte! Wien, den 16. März 1850. Die Verfafferin. Reise nach Prasilien. Abreise von Wien. Aufenthalt in Hamburg. Dampfschiffe und Segel- schiffe. Abfahrt. Kurhaven. Der Kanal la Manche. Die fliegen- den Fische. Die Philolide. Sternbilder. Das Ueberschreiten der Linie. Die Vampero's. Die starke Briefe und der Sturm. Kap Frio. Einfahrt in den Hafen von Rio de Janeiro. Am 1. Mai 1846 verließ ich Wien und ging, einige kleine Unterbrechungen zu Prag, Dresden, Leipzig abge- rechnet, gerade nach Hamburg, um mich von da nach Brasilien einzuschiffen. In Prag hatte ich das Vergnü- gen, den Grafen Berchthold, einen Gefährten auf einem Theile meiner orientalischen Reise, zu sehen und von ihm zu hören, daß er Luft habe, die Reise nach Bra- filien mitzumachen. Ich versprach, in Hamburg auf ihn zu warten. Ein zweites interessantes Zusammentreffen hatte ich auf dem Dampfboote zwischen Prag und Dresden, und zwar mit der Witwe des Professors Mikan, die im Jahre 1817, bei Gelegenheit der Vermälung der öster- reichischen Prinzessin Leopoldine mit Don Pedro I, ihrem Gemale nach Brasilien gefolgt war und später mit ihm auch das Innere des Landes wissenschaftlich bereiste. Pfeiffers Reise, I. Th. 1 2 Oft schon hatte ich von dieser Frau sprechen gehört, und groß war meine Freude, die nun persönlich kennen zu lernen. Die liebenswürdige Greisin theilte mir freund- lich viele ihrer Erfahrungen mit, und gab mir manche Rathschläge und Verhaltungsregeln, die mir in der Folge sehr nützlich waren. Am 12. Mai kam ich in Hamburg an, und schon am 13. hätte ich Gelegenheit gehabt, mich einzuschiffen und zwar auf einer herrlichen, schnellsegelnden Brigg, die noch dazu meinen Namen „Idau trug. Mit schwerem Herzen fah ich das schöne Schiff absegeln – ich mußte zurückbleiben, da ich meinem Reisegefährten versprochen hatte, ihn hier zu erwarten. Woche um Woche verging, und nur das Zusammensein mit meinen Verwandten verkürzte mir die lange Zeit des Erwartens. Endlich, Mitte Juni, kam er an, und bald darauf war auch ein Schiff gefunden, eine dänische Brigg „Caroline, Kapitän Bock, die nach Rio de Janeiro unter Segel ging Mir fand nun eine lange Seereise bevor, eine See- reise, die unter zwei Monaten nicht zu machen war, die aber auch drei und vier Monate dauern konnte. Zum Glück hatte ich schon auf meinen frühern Reisen ziemlich bedeutende Fahrten auf Segelschiffen gemacht, und war dadurch mit deren Einrichtung bekannt geworden, die von jener auf Dampfschiffen gänzlich verschieden ist. Auf einem Dampfschiffe ist alles luxuriös und be- quem, die Fahrt selbst geht bei jedem Winde rasch vor- wärts, und der Reisende findet frische und gute Nahrung, geräumige Kajüten und gute Gesellschaft. Anders ist es auf Segelschiffen; diese sind, mit Z Ausnahme der großen Ostindienfahrer, für Reisende fel- ten eingerichtet. Als Hauptsache werden die Waaren betrachtet, und die Reisenden find eine dem Schiffsperso- nale fehr unangenehme Zugabe, auf die gewöhnlich nur wenig Rücksicht genommen wird. Der Kapitän ist der . einzige, der sich für die intereffert, da ihm von dem Paffa- giergelde ein Drittheil, ja auch die Hälfte zufällt. Die Räume sind meist so beschränkt, daß man sich in der Schlafabine kaum umwenden, in der Coje (Schlaf- stelle) nicht einmal aufrichten kann. Außerdem ist auch auf einem Segelschiffe die Bewegung weit stärker als auf einem Dampfschiffe, – dagegen behaupten aber wieder Viele, daß auf letzterem das ewig gleichmäßige Erzittern, sowie der üble Geruch des Oeles und der Steinkohlen unerträglich sei. Ich fand dies nicht; es ist wohl unan- genehm, doch viel leichter zu ertragen als die vielen Unannehmlichkeiten, die man auf einem Segelschiffe trifft. Da ist man der Laune des Kapitäns ganz und gar anheim gegeben. Er ist unumschränkter Gebieter und herrscht über Alles. Auch die Kost hängt von seiner Großmuth ab; sie ist zwar für gewöhnlich nicht ganz schlecht, doch im besten Falle nicht so gut, als auf einem Dampfer. Die gewöhnlichen Gerichte find: Thee und Kaffee ohne Milch, Speck und Salzfleisch, Erbsen- oder Kohl- fuppen, Kraut, Kartoffeln, harte Klöfe, Stockfische und Schiffszwieback. Ausnahmsweise findet man auch Schinken, Eier, Fische, Pfannkuchen, oder wohl gar magere Hühner. Brot wird auf kleineren Schiffen nur höchst selten gebacken. 1 * 4 Um sich die Kost zu verbeffern, besonders bei einer längeren Reise, thut man sehr wohl, sich mit einigen Aushilfsmitteln zu versehen. Die zweckmäßigsten sind: Suppenglace und feiner Zwieback; beide verwahre man in Blechkästchen, um Feuchtigkeit und Ameisen davon ab- zuhalten – ferner eine tüchtige Portion Eier, die man aber, wenn die Reise in südliche Gegenden geht, zuvor in starkes Kalkwaffer tauchen oder in Steinkohlenstaub ver- packen muß; dann Reis, Kartoffeln, Zucker, Butter, und alle Ingredienzien zur Bereitung von Weinsuppe und Kartoffelsalat. Erstere ist sehr färkend, letzterer sehr kühlend. Dem, welcher mit Kindern reist, würde ich ganz besonders eine Ziege mitzunehmen empfehlen. In Betreff des Weines muß man ja nicht vergeffen, den Kapitän zu fragen, ob dieß Getränk in der Zahlung mit begriffen ist, da man es sonst um theures Geld von ihm kaufen muß. Aber auch noch andere Sachen als Lebensmittel sind da mitzunehmen, und zwar vor Allem eine Matratze fammt Polster und Decke, da man gewöhnlich nur eine leere Coje vorfindet. Man bekömmt diese Gegenstände in jeder Hafenstadt billig zu kaufen. Außerdem thut man auch gut, sich mit farbiger Wäsche zu versehen. Die Stelle des Wäschers vertritt ein Matrose, und daß man da die Wäsche nicht im besten Zustande zurückbekömmt, ist leicht begreiflich. Sind die Matrosen gerade mit der Stellung der Segel beschäftiget, so muß man außerordentlich Acht haben, von einem herabfallenden Taue nicht beschädiget zu werden. 5 Doch all' diese Unannehmlichkeiten sind noch sehr gering – die wahre Qual beginnt gegen das Ende der Reise. Des Kapitän's Geliebte ist ein Schiff. Auf dem Meere gestattet er ihr das bequeme Negligée; aber im Hafen muß sie geputzt und geschmückt erscheinen. Keine Spur der weiten Reise, der Stürme, der glühenden Sonnenhitze darf man an ihr gewahren. Da beginnt denn ein unaufhörliches Hämmern, Hobeln und Sägen; jeder Sprung, jede Fuge und Beschädigung wird ausge- beffert und am Ende das ganze Schiff mit Oelfarbe über- malt. Am ärgsten ist das Gehämmer, wenn die Fugen des Deckes ausgebeffert und mit Theer eingelaffen wer- den. Dies ist beinahe unerträglich. Aber genug von den Unannehmlichkeiten. Ihre Beschreibung soll nur dazu dienen, jene, die noch nie zur See gereist sind, einigermaßen vorzubereiten. Leute, die in Seehäfen wohnen, bedürfen dieser Andeutungen freilich nicht, denn die hören ja täglich davon sprechen; – nicht fo wir armen Binnenfädter. Wir wissen oft kaum, wie ein Segel- oder Dampfschiff aussieht, viel weniger, wie man darauf lebt. Ich spreche aus Erfahrung, und weiß nur zu gut, was ich bei meiner ersten Seereise litt, weil ich, von nichts unterrichtet, außer einiger Wäsche und Kleidung, nichts mit mir nahm. Nun zu dem weiteren Verlaufe meiner Reise. Am 28. Juni Abends fähifften wir uns ein, und am 29. vor Sonnenaufgang wurden die Anker gelichtet. Die Reise begann eben nicht sehr ermuthigend; wir hatten höchst flauen, beinahe gar keinen Wind, jeder Fußgänger ward, im Vergleiche zu uns, ein Schnellläufer – wir legten 6 die 8 Meilen *) bis Blankenese in sieben Stunden zurück. Zum Glücke ward uns diese Langsamkeit nicht so lästig, da wir Anfangs noch lange die herrliche Hafen- stadt im Gesichte behielten, und später an der holsteini- schen Küste an den schönen Landhäusern der reichen Ham- burger, die auf reizenden Hügeln gelegen, und von zier- lichen Gärten umgeben sind, fortwährend unser Auge ergötzten. So schön dieses Ufer ist, so einfach und lang- weilig ist das linke, das Hannoveranische. Die Elbe hat an manchen Stellen schon eine Breite von 3 bis 4 Meilen. Unterhalb Blankenese versehen sich die Schiffer mit Waffer aus der Elbe, das zwar schmutzig und trübe aus- sieht, doch die gute Eigenschaft haben soll, jahrelang der Fäulniß zu widerstehen. Glückstadt (32 Meilen von Hamburg) erreichten wir erst am 30. Morgens. Der Wind hörte hier ganz auf, die Fluth gewann die Oberhand, und wir trieben zurück. Der Kapitän ließ daher die Anker fallen, und benützte diese aufgedrungene Ruhe, die Kisten und Koffer auf und unter dem Decke befestigen zu laffen. Uns Müßiggängern wurde erlaubt an's Land zu gehen und das Städtchen zu besehen, an dem wir jedoch wenig zu bewundern fanden. Die Reisegesellschaft bestand aus 8 Personen. Die vier Cajütenplätze waren, außer dem Grafen B. und mir, *) Auf der See wie auf Flüffen rechne ich immer nach Seemeilen, von welchen vier auf eine geographische Meile kommen. 7 noch von zwei jungen Leuten besetzt, die in Brasilien schneller Glück zu machen hofften als in Europa. – Der Preis eines Cajütenplatzes betrug 100, jener des Zwischendeckes 50 Dollars. Im Zwischendecke befand sich, außer zwei achtbaren Bürgersmännern, noch ein altes Mütterchen, die dem Rufe ihres einzigen, in Brasilien angesiedelten Sohnes folgte, und eine Frau, deren Mann bereits 6 Jahre in Rio de Janeiro das Schneiderhandwerk betrieb. Man" lernt sich auf Schiffen schnell kennen und hält so viel als möglich zusammen, um dadurch die Einförmigkeit einer langen Seereise erträglich zu machen. Am 1. Juli gingen wir bei ziemlich fürmischem Wetter wieder unter Segel. Wir gewannen einige Mei- len; mußten uns aber alsbald wieder vor Anker legen. Die Elbe ist nun schon so breit, daß man ihrer Ufer kaum mehr ansichtig wird. Durch die Heftigkeit des Wellen- schlags zeigte sich bereits bei einigen aus unserer Gesell- schaft die Seekrankheit. Auch am 2. Juli versuchten wir die Anker zu lichten, es war jedoch so erfolglos wie Tags zuvor. Gegen Abend fahen wir einige Delphine, auch Tummler genannt, nebst mehreren Möven – Ver- künder der nahen See. Viele Schiffe zogen gar eilig an uns vorüber, – ach, sie konnten Sturm und Wind benützen, ihnen schwellte er die Segel, und trieb sie eilend der nahen Stadt zu. Wir mißgönnten ihnen dies Glück, und viel- leicht hatten wir es dieser christlichen Liebe zu danken, daß wir auch am 3. Juli nicht weiter als bis Kurhaven (64 Seemeilen von Hamburg) kamen. 8 Der 4. Juli war ein schöner, herrlicher Tag – für Jene, die ruhig am Lande bleiben konnten; aber für Seefahrer war er sehr schlecht, denn es ging auch nicht das kleinste Lüftchen. Um unsern Klagen zu entgehen rühmte uns der Kapitän das niedliche Städtchen, und ließ uns an's Land setzen. Wir besahen sowohl das Städtchen als auch das Badehaus und den Leuchtthurm, und gingen dann fogar nach dem fogenannten „Busch, wo wir, wie man uns sagte, eine große Menge von Erd- beeren finden würden. – Nachdem wir bei glühender Hitze eine gute Stunde über Felder und Wiesen gestrichen waren, fanden wir wohl den Busch, aber statt der Erd- beeren nur Frösche und Nattern. Wir drangen nun in den magern Hain, und sahen bei 20 Zelte aufgeschlagen; ein geschäftiger Wirth trat hervor, und während er uns einige Gläser schlechter Milch kredenzte, erzählte er, daß hier im Buche alljährlich durch 3 Wochen, oder eigentlich beffer gesagt, an drei Sonntagen (denn unter der Woche blieben die Zelte ge- schloffen) Markt gehalten werde. Auch die Frau Wirthin trippelte herbei, und lud uns gar freundlich ein, ja nur den nächsten Sonntag hier zuzubringen. Wir würden uns, wie sie sagte, gewiß „köstlich amüsieren u; wir älte- ren hätten Unterhaltung an den erstaunlichen Künsten der Seiltänzer und Taschenspieler, und die jungen Herren würden schmucke Dirnen zum Tanze finden. Wir haten sehr erfreut über diese Einladung, ver- sprachen ganz sicher zu kommen, und gingen dann noch nach Ritzebüttel, wo wir ein Schlößchen und einen Mi- niaturpark bewunderten. 9 5. Juli. Nichts ist so veränderlich als das Wet- ter; gestern schwelgten wir im Sonnenscheine, heute umgab uns dichter, finsterer Nebel, – und doch war uns das heutige schlechte Wetter lieber als das gestrige schöne, denn es erhob sich etwas Wind, und um 9 Uhr Morgens hörten wir die Ankerwinde knarren. Unsere jungen Leute mußten sich nun die Parthie nach dem Bufche aus dem Kopfe schlagen, und das Tanzen mit hübschen Mädchen bis zur Ankunft in dem neuen Welttheile verschieben, – in Europa sollte kein Fuß mehr ans Land gesetzt werden. Der Uebergang von der Elbe in die Nordsee ist kaum bemerkbar, da sich die Elbe nicht in Arme theilt, und bei ihrem Ausfluffe eine Breite von 8 – 10 Meilen hat. Sie bildet selbst ein kleines Meer, und hat auch schon die grüne Farbe desselben angenommen. Wir wa- ren daher sehr überrascht, als uns der Kapitän freudig zurief: „Nun haben wir den Strom übersegelt! – wir meinten, schon lange auf dem Meere zu schiffen! Nachmittags fahen wir die Insel Helgoland (den Engländern gehörig), die wirklich zauberhaft aus dem Meere emporsteigt. Sie ist ein nackter, koloffaller Fels, und hätte ich nicht aus einer der neuesten Geogra- phien gewußt, daß sich bei 2500 Menschen darauf auf- halten, ich hätte die ganze Insel für unbewohnt be- trachtet. Auf drei Seiten steigen die Felsenwände fo schroff aus dem Meere, daß man gar nicht anlanden kann. Wir fähifften in ziemlicher Ferne vorüber, und fahen nur den Kirch- und Leuchtthurm, und den sogenannten „Mönch, einen freistehenden, senkrecht abfallenden T(l) Fels, der von dem eigentlichen Stammfels getrennt ist und einen Streifen des Meeres durchschimmern läßt. Die Einwohner sind sehr arm. Die einzigen Quel- len ihres Erwerbes sind der Fischfang und die Badegäste, deren jährlich. Viele kommen, da die hiesigen Seebäder, ihres außerordentlichen Wellenschlages wegen, von großer Wirkung sein sollen. Leider besorgt man, daß dieser Badeort nicht sehr lange mehr existieren dürfte, – all- jährlich soll die Insel kleiner werden, bedeutende Fels- trümmer lösen sich beständig ab, und das ganze Eiland kann einstens in die Tiefe des Meeres versinken. Vom 5. bis 10. Juli hatten wir beständig fürmi- sche und kalte Witterung, hohe See und starkes Rollen des Schiffes. Unter uns armen „Landkrabben (so nennen die Seeleute die Landbewohner) herrschte all- gemein die Seekrankheit. Den Kanal von England, auch Kanal la Manche genannt (360 Meilen von Kurhaven), erreichten wir erst in der Nacht vom 10. auf den 11. Wir erwarteten mit Sehnsucht die aufgehende Sonne, – sie sollte uns zwei der mächtigsten Reiche Europas zeigen. Zum Glücke bekamen wir einen schö- nen heitern Tag, und die beiden Reiche lagen vor unsern Blicken so nahe und herrlich, daß man zu glauben geneigt war, ein Schwestervolk bewohne die beiden Länder. An Englands Küste fahen wir North-Foreland, das große Castell Sandowe, und die sich am Fuße der mehrere Meilen langen, etwa 150 Fuß hohen Kreide- wände ausbreitende Stadt Deal; ferner South-Fore- land, und endlich das antike Castell Dover, das ächt ritterlich auf einer Anhöhe thront und die Umgegend 11 weit und breit überwacht. Die Stadt gleichen Namens liegt an dem Meeresufer. Dover gegenüber, wo der Kanal am schmälften ist, sahen wir an Frankreichs Küste Cap Grisnez, wo Napoleon ein kleines Gebäude errichten ließ, um, wie man fagt, nach England wenigstens sehen zu können – weiterhin den Obelisk, welchen Napoleon zur Erinne- rung eines Lagers bei Boulogne setzen ließ, der aber erst unter Louis Philipp beendet wurde. In der Nacht mußten wir in der Gegend von Dover kreuzen, da der Wind nicht zu unserm Vortheil war. Bei der tiefen Finsterniß, die Land und Meer bedeckte, war dieß sehr gefährlich, einerseits wegen der nahen Küste, andererseits wegen der Menge von Schiffen, die den Kanal befahren. Um das Zusammenstoßen zu ver- meiden, wurde auf dem Fokmaste eine Laterne aufgehan- gen, zeitweise eine Fakel angezündet und über Bord ge- halten, und manchmal mit der Schiffsglocke geläutet – lauter sehr beängstigende Zeichen für einen der Seefahrt noch Ungewohnten. Vierzehn Tage hielt uns der 360 Meilen lange Kanal gefangen; oft blieben wir 2 – 3 Tage an einer und derselben Stelle wie festgebannt, oft mußten wir Tagelang kreuzen, um nur einige Meilen zu gewinnen. In der Nähe von Start überfiel uns sogar ein tüchtiger Sturm. In der Nacht wurde ich plötzlich auf das Deck gerufen. Schon wähnte ich, es sei irgend ein Unglück ge- fchehen. Ich warf nur einige Kleider um, und eilte hinauf, – da hatte ich den überraschenden Anblick eines Feuermeeres; das Kielwaffer bildete einen so starken 12 Feuerstreif, daß man dabei hätte lesen können, die Wogen an der Seeseite glichen glühenden Lavaströmen, und jede aufspringende Welle warf Feuerfunken aus. Die Züge der Fische umgab ein unnachahmliches Licht, – weit und breit erschimmerte Alles. Dieses außerordentliche Leuchten des Meeres gehört zu den seltenen Erscheinungen, und es ereignet sich höchstens nach anhaltenden, heftigen Stürmen. Der Kapitän er- zählte mir, daß er selbst noch nie das Meer in solcher Art habe leuchten gesehen. Mir wird dieser Anblick ewig unvergeßlich bleiben. Eine andere, kaum minder schöne Erscheinung bot uns einf, nach einem Gewitter, das Wiederspiegeln der fonnebeglänzten Wolken auf der Meeresfläche. Sie schimmerten und prangten in einem Farbenspiele, das noch jenes des Regenbogens übertraf Eddystower, den berühmtesten Leuchtthurm Euro- pa's, konnten wir mit voller Muße betrachten, da wir zwei Tage in einem Angesichte kreuzten. Die Höhe, Kühn- heit und Stärke seines Baues ist wirklich wunderbar, noch wunderbarer aber feine Lage auf einem gefährlichen Riffe; vier Meilen von der Küste, entfernt erscheint er wie in das Meer hinein gemauert. Wir schifften häufig so nahe an der Küste von Cornwallis, daß wir nicht nur jedes Dörfchen genau betrachten konnten, sondern selbst die Menschen auf den Straßen und Feldern sahen; das Land ist hügelig und üppig, und scheint sehr forgfältig kultiviert. Die Temperatur war während der ganzen Fahrt im 13 Kanal ziemlich kalt und rauh; nur selten stieg der Ther- mometer über 15 Grad *). Endlich, am 24. Juli, erreichten wir das Ende des Kanales, und kamen in die hohe See; wir hatten ziem- lich guten Wind, und befanden uns am 2. August schon auf der Höhe von Gibraltar, wo uns eine Windstille überfiel, die 24 Stunden anhielt. Der Kapitän warf einige Stücke weißen Geschirres, so wie einige große Knochen in das Meer, um uns zu zeigen, wie wunderschön grün derlei Gegenstände erscheinen, wenn sie langsam in die Tiefe finken; natürlich kann man dies nur bei gänz- licher Windstille bemerken. Des Abends erfreuten uns viele Mollusken durch ihr schönes Leuchten im Meere; sie sahen aus wie hand- große, schwimmende Sterne; auch bei Tage sahen wir sie häufig unter dem Waffer. Bräunlichroth gefärbt glichen sie an Form einem Fliegenschwamme ; manche hatten einen dicken Stengel, der unten etwas ausgefranzt war; bei andern hingen statt des Stengels viele Fäden hinab. 4. August. Heute war der erste Tag, der sich durch Hitze als südlich kund gab, doch fehlte ihm, wie auch den folgenden, jener reine, dunkelblaue Himmel, der sich so unnachahmlich schön über das Mittelmeer wölbt. Eine kleine Entschädigung gewährten die Auf- und Unter- gänge der Sonne, die oft von den seltsamsten Wolken- bildungen und Farbenmischungen begleitet waren. Wir befanden uns auf der Höhe von Marokko, und waren an diesem Tage so glücklich, eine große Menge *) Ich rechne stets nach Reaumur, und zwar im Schatten. 14 Boniten zu fehen. Das ganze Schiffspersonale kam in Bewegung, und von allen Seiten wurden Angeln aus- geworfen, – leider ließ nur ein einziger sich von unsern freundlichen Lockungen verführen, er biß an, – und fein gutmüthiges Vertrauen verschaffte uns ein langentbehrtes frisches Gericht. Am 5. August sahen wir nach 12 Tagen wieder einmal Land, und zwar schon bei Sonnenaufgang das Inselchen Porto Santo, das aus spitzen Bergen besteht, die in ihren Formen vulkanischen Ursprung verrathen. Einige Meilen vor dieser kleinen Insel steht gleich einem Vorposten der schöne Fels Falcon. Noch am selben Tage kamen wir an Madeira vorüber, (20 Meilen von Porto Santo), aber leider in solcher Ferne, daß wir nichts als den langen Bergrücken sahen, der diese Insel durchschneidet. Unweit Madeira liegen die gebirgigen Inseln Defertas, die bereits zu Afrika gehören. Wir begegneten nahe diesen Inseln einem Schiffe, welches mit kurzen Segeln unter dem Winde ging, woraus unser Kapitän schloß, daß es ein Kreutzer fei, der Seeräuber auf der Fährte habe. Am 6. August sahen wir die ersten fliegenden Fische, doch in solcher Entfernung, daß wir sie kaum aus- nehmen konnten. Der 7. August brachte uns in die Nähe der cana- rischen Inseln, die aber leider, des starken Nebels wegen, für uns unsichtbar blieben. – Nun empfing uns der Paffatwind, der von Osten bläst und allen Schiffern erwünscht ist. 15 In der Nacht vom 9. auf den 10. August tra- ten wir in den Wendekreis der Tropen*). Wir erwarte- ten nun von Tag zu Tag glühendere Hitze und heiteren Himmel, – und fanden keines von beiden. Die Atmo- sphäre war düster und neblich und der Himmel so um- wölkt, wie dies in unserm rauhen Vaterlande höchstens an einem Novembertage statt hat. Alle Abende thürmten sich die Wolken der Art auf, daß wir stets einem Wolkenbruche entgegen sahen; erst nach Mitternacht heiterte sich der Himmel gewöhnlich wieder auf, und ließ uns die schönen hellglänzenden Sternbilder des Südens bewundern. Der Kapitän erzählte uns, daß er nun schon zum 14. Mal die Reise nach Brasilien mache, stets die Hitze fehr erträglich gefunden; und den Himmel nie anders als im düstersten Gewande gesehen habe. Dies rühre von der feuchten, ungesunden Küste von Guinea her, deren böse Wirkung sich noch weit über uns hinaus erstrecke; – wir waren 300 Meilen von ihr entfernt. In den Tropen macht sich der schnelle Uebergang vom Tage zur Nacht schon sehr bemerkbar; 35 – 40 Minuten nach Untergang der Sonne herrscht schon tiefe Finsterniß. Der Unterschied zwischen Tag- und Nacht- gleiche vermindert sich noch mehr, je näher man der Linie kömmt. Unter der Linie selbst ist der Tag und die Nacht gleich lang. Den 14. und 15. August segelten wir parallel mit den Cap-Verdischen Inseln. Wir waren kaum 20 Mei- *) Die Tropen erstrecken fich auf 23 Breitengrade südlich und nördlich von der Linie, T16 len von ihnen entfernt; konnten sie aber des düstern Dunstkreises wegen nicht erblicken. Nun erfreuten uns schon häufig kleine Schwärme fliegender Fische, die sich oft so nahe der Schiffswand er- hoben, daß wir sie vollkommen genau betrachten konnten. Sie haben beiläufig die Größe und Farbe der Häringe, nur daß ihre Seitenfloffen länger und breiter sind, und sie dieselben öffnen und schließen können, wie kleine Flü- gel. Sie erheben sich bei 12 – 15 Fuß in die Höhe und fliegen oft über 100 F. weit, worauf sie auf Augen- blicke untertauchen, um sich dann neuerdings zu erheben; letzteres geschieht besonders häufig, wenn sie von Boniten oder andern Feinden verfolgt werden. Wenn man sie etwas entfernt vom Schiffe auffliegen sieht, gleichen sie wirklich zierlichen Luftbewohnern. Gar oft fahen wir auch Boniten hinter den Armen herjagen, die dann eben- falls versuchten, sich über das Waffer zu erheben; selten kam aber mehr als der Kopf zum Vorschein. Sehr schwer hält es, einen dieser Luftsegler zu er- haschen, da sie sich weder mit Netzen noch Angeln fangen laffen; nur zufällig treibt der Wind manchmal in den Nächten einige aufs Deck oder in den Rost *), wo man sie dann des Morgens todt findet, da sie auf trocknen Stellen nicht die Kraft haben, sich zu erheben. Auf diese Art erhielt ich einige Exemplare. Heute den 15. August ward uns ein höchst intereffantes Schauspiel zu Theil: wir befanden uns gerade *) Roft nennt man den Vorsprung an der äußern. Schiffs- wand, in welchem die Mast-Taue befestigt sind. 17 um die Mittagsstunde im Zenithe der Sonne, deren Strahlen so senkrecht herabfielen, daß kein Gegenstand den geringsten Schatten warf. Wir stellten Bücher, Stühle, uns felbst in die Sonne, und ergötzten uns unge- mein an diesem feltsame Spiele – Dank dem Zufalle, der uns zur rechten Zeit an den rechten Ort führte; – wären wir zur selben Stunde nur Einen Grad näher oder entfernter gewesen, so würde die ganze Erscheinung für uns verloren gegangen sein. – Unsere Lage war: 14 Grad 6 Minuten der Breite; – ein Grad hat 60 Minuten; eine Minute ist gleich einer Seemeile. Das Meffen mit dem Sertanten *) mußte unter- bleiben, bis wir uns wieder einige Grade von dem Zenithe der Sonne entfernt hatten. 17. Auguft. Ganze Schaaren von Springern (4 – 5 Fuß lange Fische, zum Geschlechte der Delphine gehörig) tummelten um unser Schiff umher. Schnell wurde eine Harpune zurecht gemacht und eine Matrose damit auf das Bugsprit geschickt, um einen zu harpunieren. Entweder hatte der Bursche kein Glück oder er war in *) Der Sertant ist ein mathematisches Instrument, mittelst welchem berechnet wird, unter welchen Breiten- und Län- gengraden man sich befindet, und wie man in der Zeit feht. Nach ihm werden auch die Uhren gerichtet. Um die Breitengrade zu bestimmen, mißt man Mittags, aber nur wenn die Sonne scheint, denn sie ist unbedingt nöthig hiezu, weil nach dem Schatten, den sie auf die unten be- merkten Zahlen wirft, die Berechnung gemacht wird. Die Längengrade kann man Vor- oder Nachmittags messen, hiezu ist die Sonne nicht nöthig. Pfeiffers Reise 1. Th. 2 18 der Kunst des Harpunirens zu unerfahren, der Wurf ging fehl, und das Wunderbare dabei war, daß die Thiere wie mit einem Zauberschlage verschwanden, und auf mehrere Tage nicht mehr zum Vorscheine kamen; es war, als ob fie sich einander zugeflüstert und vor der drohenden Ge- fahr gewarnt hätten. Desto häufiger kam ein anderes Geschöpf des Meeres zum Vorscheine, die herrliche Molluske Phyfolide, in der Schiffersprache „portugiesisches Segel- fchiffu genannt. Auf der Oberfläche des Meeres schwimmend gleicht sie mit ihrem länglichen Kamme, den fie auf- und niederlegen kann, wirklich einem kleinen, zier- lichen Segler. Ich hätte mir gerne eines dieser Thier- chen verschafft; aber es zu erhaschen war nur mittelst eines Netzes möglich, und ich hatte keines, auch nicht einmal Nadel und Bindfaden, um mir schnell eines zu verfertigen. Die Noth aber macht erfinderisch, ich schnitzte eine Nadel aus Holz, drehte einen groben Bindfade auf, und nach einigen Stunden hatte ich ein Netz. Bald war auch eine Molluske gefangen und in ein mit Seewaffer gefülltes Gefäß gesetzt. Der Körper des Thierchens ist bei 6 Zoll lang und 2 Zoll hoch; über den ganzen Rücken zieht sich der Kamm, der in der Mitte, wo er am höchsten ist, bei 1%, Zoll mißt. Kamm und Körper sind durchsichtig und wie angehaucht von blaffer Rofa- farbe; an dem Unterkörper, der violett gefärbt ist, hän- gen viele Fäden oder Arme von derselben Farbe. Ich hing das Thierchen außerhalb des Schiffes am Stern auf, um es zu trocknen; einige der Fäden reich- ten bis in die See (eine Tiefe von wenigstens 12 Fuß), T19 fielen aber meist ab. Der Kamm blieb nach dem Tode aufgerichtet und der Körper vollkommen ausgedehnt; die schöne Rosafarbe aber ging in weiß über. 18. Auguft. Heute wurde uns ein heftiges Don- nerwetter zu Theil. Es war uns sehr erwünscht, da es die Luft bedeutend kühlte. Zwischen dem 11. und dem 2. bis 3. Breitengrade nördlich der Linie (Aequator) finden überhaupt häufige Veränderungen in Luft und Wetter statt. So überfiel uns auch am Morgen des 20. ein be- deutender Wind, der die Wogen des Meeres fockhoch aufhürmte, und bis Abend anhielt, wo ihn ein tropi- scher Regen, den man bei uns einen Wolkenbruch nennen würde, ablöste. Unter Deck war augenblicklich in einen See verwandelt, dabei trat solche Windstille ein, daß selbst das Steuerruder vollkommen Ferien hatte. Mich kostete dieser Regen eine Nacht, denn als ich Besitz von meiner Koje nehmen wollte, fand ich das Bett- zeug ganz durchnäßt, und mußte mein Lager auf einer hölzernen Bank suchen. Am 27. August kamen wir aus dem Bereiche die- er uns so feindlichen Grade, und wurden nun von dem sehnlich erwünschten Süd-Ost-Paffat empfangen, der uns rasch vorwärts brachte. Wir waren nun schon der Linie sehr nahe, und hätten gerne, gleich andern Reisenden, die gepriesenen Sternbilder des Südens gesehen. Am begeistertsten hörte ich immer von dem südlichen Kreuze sprechen. Da ich selbes aus den Sternen nicht heraus fand, so bat ich unsern Kapitän, es mir zu zeigen. Er meinte, nichts davon gehört zu haben, ebenso der Obersteuermann, nur 2* 20 dem Untersteuermanne schien es nicht ganz unbekannt. Mit feiner Hülfe fanden wir auch wirklich am fernbesäeten Firmamente vier Sterne, die ungefähr die Form eines etwas schiefen Kreuzes bildeten, aber durchaus nichts be- sonderes an sich hatten und uns gar keine Begeisterung einflößten. – Herrlich dagegen waren: der Orion, der Jupiter und die Venus; letztere ergänzte der Art, daß ihr Licht eine schöne Silberfurche über das Meer zog. Das Fallen vieler und großer Sternschnuppen kann ich ebenfalls nicht bestätigen. Es fielen wohl mehr als in kalten Ländern; aber gar zu häufig kommen sie auch nicht vor, und was ihre Größe betrifft, so sah ich nur eine, welche die unsern übertraf; sie erschien ungefähr dreimal so groß als ein gewöhnlicher Stern. Seit einigen Tagen bemerkten wir auch schon die „magellanifchen oder Cap-Wölkchen, und die sogenannte „schwarze Wolken, – erstere sind licht und werden, gleich der Milchstraße, durch zahllose kleine Sterne gebildet, die dem entwaffneten Auge nicht sichtbar sind; letztere erscheint schwarz, da an dieser Stelle des Firmamentes gar keine Sterne sein sollen. Alle diese Zeichen machten uns auf den intereffan- testen Moment dieser Fahrt aufmerksam, – auf das Ueberschreiten der Linie. - Am 29. August. Nachts 10 Uhr begrüßten wir, die südliche Hemisphäre! Ein beinah stolzes Gefühl bemächtigte sich Aller, aber besonders jener, die zum ersten Mal die Linie überschritten. Wir schüttelten einander freudig die Hände, und beglückwünschten uns, als hätten wir eben eine Heldenthat vollbracht. Einer der Reisenden 21 hatte für diese Feierlichkeit ein Paar Flaschen Cham- pagner mitgenommen. Lustig flogen die Stöpsel in die Luft, und ein fröhliches Lebehoch wurde der neuen Hemisphäre zugetrunken. Unter dem Schiffsvolke fand keine Feierlichkeit statt; es ist dieß auf den wenigsten Schiffen mehr gebräuchlich, da dergleichen Feste selten ohne Unordnung und Trunken- heit ablaufen. – Unterm Schiffsjungen, der die Linie zum erstenmale paffirte, konnten es aber die Matrosen doch nicht ganz schenken, und er wurde mit einigen Eimern Seewaffer tüchtig getauft. Schon lange vor Erreichung der Linie hatten wir Reisende von all' den Leiden und Qualen gesprochen, die wir unter dem Aequator würden auszustehen haben. Jeder hatte irgend etwas Fürchterliches gelesen oder gehört, und theilte es den Andern mit. Der Eine erwartete Kopfschmerzen oder Magendrücken, der Zweite sah die Matrosen vor Mattigkeit dahin sinken, der Dritte fürchtete eine glühende Hitze, die nicht nur den Theer schmelzen *), sondern das ganze Schiff derart austrocknen werde, daß nur beständiges Begießen mit Waffer das Entzünden desselben werde verhüten können, – der Vierte fah wieder alle Lebensmittel verderben und uns dem Hungertode nahe. Was mich nun selbst betraf, so freute ich mich schon außerordentlich auf die tragischen Erzählungen, die ich *) Zur Schmelzung des Theers in den Fugen des Schiffes, braucht die Hitze eben nicht sehr bedeutend zu sein; ich fah ihn schon bei 22 Graden in der Sonne weich werden und Blasen aufwerfen. 22 meinen theuren Lesern würde auftischen können; ich fah fie Thränen vergießen über unsere ausgestandenen Leiden, – ich kam mir schon vor wie eine halbe Märtyrerin! Ach! ich hatte mich bitter getäuscht. Wir blieben Alle gefund, – von den Matrosen sank keiner hin, – das Schiff verbrannte nicht, und die Lebensmittel ver- darben nicht, – sie blieben so schlecht wie zuvor. 3. September. Vom 2. bis zum 8. Breiten- grade, südlich der Linie, sind die Winde unregelmäßig, und oft sehr ungestüm. Wir hatten eben heute den 8. Grad zurückgelegt, und zwar ohne Land zu gewahren, was den Kapitän in die heiterste Laune versetzte. Er erklärte uns, daß wir, wenn Land sichtbar geworden wäre, bis beinah" an die Linie zurückgemußt hätten, weil die Strömung dem Lande zu ungeheuer heftig sei, und man die Fahrt nur in der gehörigen Entfernung vom Lande ungehindert fortsetzen könne. 7. September. Zwischen dem 10. und 20. Grade herrschen wieder ganz eigenthümliche Winde. Sie heißen Vamperos und zwingen den Seefahrer zu im- merwährender Aufmerksamkeit, da sie plötzlich kommen und oft sehr heftig sind. Diese Nacht überfiel uns ein solcher, aber glücklicherweise keiner der heftigsten. Nach einigen Stunden war alles vorüber, – nur die See wollte sich lange nicht beruhigen. Auch am 9. und 11. September hatten wir kurze Anfälle des Vampero zu überstehen; die stärksten kamen aber zum Schluffe am: 12. und 13. September. Den einen bezeichnete der Kapitän zwar nur als „eine starke Briefe, 23 den 2. trug er aber schon als „Sturm in's Logbuch*). Die starke Briese kostete uns ein Segel, der Sturm zwei. Die See ging fortwährend so hoch, daß uns das Effen die größte Mühe kostete. Mit einer Hand mußte man den Teller und zugleich sich selbst am Tische festhalten, wäh- rend man mit der andern die Speisen dem Munde höchst mühsam zuführte. Des Nachts mußte ich mich in der Coje mit Mantel und Kleidern fest stauen (packen), um meinen Körper vor blauen Flecken zu schützen. Am Morgen des 13. war ich schon mit Tagesanbruch auf dem Decke. Der Steuermann führte mich an die Schiffswand und hieß mir, den Kopf darüber hinaus zu halten und die Luft einzuathmen; – ich sog den herrlich- fen Blüthenduft ein. Ueberrascht blickte ich umher und meinte das Land sehen zu müffen. Es lag jedoch noch weit entfernt, und nur der Sturm wehte den zarten Duft vom Lande her. Sonderbar war es, daß er innerhalb des Schiffes ganz verloren ging. Das Meer selbst war bedeckt mit unzähligen Leichen armer Schmetterlinge und Nachtfalter, die ebenfalls der Sturm ins Meer getragen. Auf einer der Schiffsraaen ruhten zwei niedliche Vögelchen, noch ganz matt und er- schöpft von dem ungewohnten weiten Fluge. Für uns, die wir 2%, Monate lang nichts als Him- mel und Waffer gesehen hatten, waren all' diese Erschei- *) Das Logbuch ist das Tagebuch des Schiffers. Alle 4 Stunden wird darin genau verzeichnet, welche Winde man hatte, wie viele Meilen man gesegelt u. f. w., kurz alle Begebenheiten. Mit diesem Buche muß sich der Kapitän beim Schiffseigenthümer ausweisen. 24 nungen höchst ergötzlich, und wir spähten nun sehnsüchtig nach dem Cap Frio, welchem wir schon sehr nahe wa- ren. Der Horizont war aber wolkig und neblig, und die Sonne hatte keine Kraft den trüben Schleier zu zerreißen. Wir hoffen auf den nächsten Morgen, – da brach in der Nacht ein neuer Sturm aus, der bis 2 Uhr anhielt. Das Schiff wurde so weit als möglich in die offene See gesteuert, und wir waren am Ende noch glücklich, am Tage dieselbe Höhe und Breite wieder zu erreichen, die wir Abends zuvor gehabt hatten. Auch heute, den 14. September, gelang es der Sonne nur selten, das düstere Gewölke zu durchbrechen; dabei war es sehr kalt, der Thermometer stieg nur auf 14 Grade. Nachmittags waren wir endlich so glücklich, die Umriffe des Cap Frio (60 Meilen von Rio de Janeiro entfernt) zu erblicken, doch nur auf einige Stunden, denn ein abermaliger Sturm zwang uns wieder die hohe See zu suchen. - Am 15. September war und blieb alles Land unsern Augen entrückt, und nur einige Möven, Waffer- tauben von Cap Frio, verriethen uns die Nähe desselben, und gewährten uns einige Zerstreuung. Sie schwammen dicht an der Seite des Schiffes und verschlangen begierig jedes Stückchen Fleisch oder Brot, das wir ihnen zuwarfen. Die Matrosen fischten mit Angeln nach ihnen, und waren wirklich so glücklich, welche zu fangen. Sie setzten sie auf das Deck, und da sah ich zu meinem Erstaunen, daß sie sich vom Boden gar nicht erheben konnten. Wenn wir sie berührten, schleppten sie sich nur höchst mühsam einige Schritte weiter, während sie ich von der Waffer- 25 fläche mit bedeutender Schnelligkeit erhoben, und sehr hoch fliegen konnten. Gerne hätte einer der Herren einen getödtet, um ihn auszustopfen; allein der Aberglauben der Schiffer prote- firte dagegen. Sie sagten: Wenn man auf dem Schiffe Vögel tödtet, fallen dauernde Windstillen ein. Wir folg- ten ihrem Wunsche und übergaben sie wieder ihrem Luft- und Waffer-Elemente. Es war uns dieß ein neuer Beweis, daß der Aber- glaube unter den Seeleuten noch sehr heimisch ist. In der Folge kamen mir noch viele Beispiele vor. So sah es auf einem Schiffe der Kapitän sehr ungern, daß sich die Reisenden mit Karten - oder andern Spielen erlustig- ten, – auf einem andern Schiffe sollte Niemand des Sonntags schreiben, u. f. w. Bei Windstillen wurden häufig leere Tonnen oder Stücke Holz in das Meer ge- worfen – vermuthlich, um dadurch den Göttern der Winde Opfer zu bringen. Am 16. September. Morgens waren wir end- lich so glücklich, die vor Rio de Janeiro gelegenen Ge- birge zu erblicken, unter welchen wir auch sogleich den Zuckerhut herausfanden. Schon um 2 Uhr Mittags fuhren wir in die Bucht und in den Hafen von Rio de Janeiro ein. Gleich am Eingange dieser Bucht liegen mehrere Bergkegel, die sich theils, gleich dem Zuckerhute, einzeln aus der See erheben, theils am Fuße mit andern zusam- menhängen und beinah" unbesteigbar sind. *). Durch die- *) Vor mehreren Jahren hat ein Matrose den Versuch ge- 26 fes „Meer gebirge, wie ich es nennen möchte, bilden fich die überraschendsten Ansichten, indem man bald wun- derbare Schluchten, bald einen reizend gelegenen Theil der Stadt, bald wieder das hohe Meer, bald wieder eine herrliche Bucht erblickt. Aus der Bucht selbst, an deren Ende die Hauptstadt liegt, entsteigen Felsmaffen, die Fe- fungswerken als Grundlagen dienen. Auf einigen der Bergkuppen oder Hügel liegen Kapellen und auch Fe- fungswerke. An eines der größten der letzteren, an St. Cruz, muß man so nahe als möglich heranfahren, um die nöthigen Auskünfte zu ertheilen. Von dieser Festung rechts zieht sich der schöne Ge- birgsrücken. Sera dos-Orgôas hin, der, nebst andern Bergen und Hügeln, eine herrliche Bucht umsäumt, an deren Ufer das Städtchen Praya-grande, einige Dorfchaften und einzelne Gehöfte liegen. Am Ende der Hauptbucht breitet sich Rio de Janeiro aus, von einer mittelhohen Gebirgskette umgeben (wor- unter der Corcovado, von 2100 Fuß), hinter welcher sich auf der Landseite das Orgelgebirge erhebt, das feinen Namen den vielen riesigen, gleich Orgelpfeifen in Reih und Glied aufgestellten Zacken verdankt. (Die höchste Spitze darunter von 5000 Fuß) - Ein Theil der Stadt ist, wie bereits bemerkt, durch den Telegraphenberg und mehrere Hügel verborgen, auf welchen nebst dem Telegraphen, ein Kapuzinerkloster und macht, den Zuckerhut zu erklimmen; es gelang ihn zwar deffen Höhe zu erreichen, aber nicht, wieder herabzukommen. Wahrscheinlich glitt er aus und stürzte in die See. 27 andere kleine Gebäude liegen. Von der Stadt sieht man mehrere Häuserreihen und Plätze, das große Spital, die Klöster St. Luzia und Moro do Castella, das Convent St. Bento, die schöne Kirche St. Candle- laria und einige Theile der wahrhaft großartigen Waf- ferleitung. Knapp an der See liegt der öffentliche Stadt- garten (Passeo publico), der durch eine hübschen Pal- men, wie durch eine elegante, gemauerte Galerie mit zwei Pavillons sehr in die Augen fällt. – Links stehen auf Anhöhen einzelne Kirchen und Klöster, als St. Gloria, St. Theresia u. f. w. An diese reihen fich die Praya Flamingo und Botafogo, aus- gedehnte Dörfer mit schönen Villen , niedlichen Ge- bäuden und Gärten, die sich bis in die Nähe des Zucker- hutes verlieren, und so das wundervollste Rundgemälde schließen. – Zu all diesem geben nun noch die vielen Schiffe, die theils im Hafen vor der Stadt, theils in den verschiedenen Buchten vor Anker liegen, – die reiche, üppige Vegetation, das viele fremdartige und überseeische ein Bild, dessen Reize umfaffend zu schildern meiner Feder leider nicht möglich ist. Selten ist man so glücklich, sich gleich bei der Ein- fahrt eines so schönen ausgedehnten Anblickes zu erfreuen, wie er mir zu Theil wurde, – Nebel, Wolken, oder ein feuchter Dunstkreis verdecken häufig einzelne Partien und stören dadurch den wunderbaren Eindruck des Ganzen. In solch’ einem Falle rathe ich jedem, der einige Zeit in Rio de Janeiro bleibt, an einem vollkommen hei- teren Tage mit einem Kahne bis St. Cruz zu fahren, um sich diesen einzig schönen Anblick zu verschaffen. 28 Es wurde beinahe dunkel bis wir den Ankerplatz er- reichten. Erst mußten wir bei St. Cruz anhalten und Auskunft geben, dann auf einen Offizier warten, der die Päffe und versiegelten Briefe in Empfang nahm, dann auf den Arzt, der uns betrachtete, ob wir vielleicht nicht die Pest oder das gelbe Fieber mitbrächten, und endlich wieder auf einen Offizier, der verschiedene Pakete und Kist- chen in Empfang nahm, und uns den Ankerplatz anwies. So war es für uns zu spät geworden, und es ging nur der Kapitän allein an's Land. Wir aber blieben auf dem Decke, und betrachteten noch lange das wunderherr- liche Bild, bis die hereinbrechende Nacht Land und Meer tief überschattete. Wir Alle gingen heute fröhlich zur Ruhe, wir hat- ten das schöne Ziel der langen Reise ohne große Unfälle glücklich erreicht, – nur die arme Schneidersfrau erwar- tete eine herbe Nachricht, die ihr der gute Kapitän heute noch verschwieg, um sie der Nachtruhe ungestört genießen zu laffen. – Als nämlich der Schneider Kunde erhielt, daß sich seine Frau wirklich auf der Reise befände, ging er mit einer Negerin durch, und hinterließ nichts als – Schulden. Die arme Frau hatte ihr sicheres Brod im Vater- lande aufgegeben (sie ernährte sich durch Spitzen- und Kleiderputzen), ihr Erspartes der Reife geopfert, und nun faß sie verlaffen und hilflos in einem fremden Welttheile*). Von Hamburg bis Rio de Janeiro gegen 7500 See- meilen. *) Einige Tage nach ihrer Ankunft nahm sie die würdige Familie Lallemand bei fich auf Ankunft und Aufenthalt in Rio de Janeiro. Einleitung. Ankunft. Beschreibung der Stadt. Die Schwarzen und ihre Verhältniffe zu den Weißen. Künfte und Wiffenschaften. Ki- chenfeste. Taufe der kaiserlichen Prinzeffin. Feste in den Kasernen. Klima und Vegetation. Sitten und Gebräuche. Einige Worte an die Auswanderer. Statistische Notizen über Brasilien. 3h hielt mich, die kürzeren und längeren Ausflüge in das Innere des Landes abgerechnet, über zwei Monate in Rio de Janeiro auf; will aber meine Leser durchaus nicht mit einem vollständigen Verzeichnisse aller gering- fügigen, alltäglichen Ereigniffe ermüden, sondern ihnen nur im Allgemeinen das Hervorragende der Stadt, und der Sitten und Gebräuche ihrer Einwohner erzählen, wie ich Gelegenheit hatte es während meines Aufenthaltes kennen zu lernen; die Beschreibung meiner Ausflüge werde ich in der Form eines Anhanges folgen laffen, und erst dann wieder den Faden meines Tagebuches ergreifen. - - Es war am 17. September Morgens, als ich nach beinahe 2%, Monaten zum erstenmale wieder festen Bo- den betrat. Der Kapitän geleitete uns Reisende selbst an's Land, nachdem er noch Jedem angelegentlich empfoh- len hatte, ja nichts einzuschmuggeln und ganz besonders keine versiegelten Briefe. „Nirgends,“ versicherte 30 er, „seien die Zollbeamten so strenge und die Strafen so groß.“ Als wir das Wachtschiff erblickten, waren wir daher beinahe ängstlich, und meinten vom Kopfe bis zu den Füßen untersucht zu werden. Der Kapitän bat um die Erlaubniß, mit uns ans Land gehen zu dürfen. Dies wurde sogleich bewilligt, – und damit war die ganze Sache abgethan. So lange wir auf dem Schiffe wohn- ten, und nach der Stadt hin- und herfuhren, wurden wir nie einer Untersuchung ausgesetzt; nur als wir Kisten und Koffer mitnahmen, mußten wir nach dem Zollhause fah- ren, wo die Untersuchung strenge, und der Zoll für Waa- ren, Bücher u. ff. sehr groß ist. Wir landeten an der Pray a dos Mineiros, einem schmutzigen, ekelhaften Platze, bevölkert mit einigen Dutzenden eben so schmutziger, ekelhafter Schwarzen, die auf dem Boden kauerten, und Früchte und Näschereien zum Verkaufe laut schreiend und preisend anboten. – Von da kamen wir gleich in die Hauptstraße (Rua direita), deren einzige Schönheit ihre Breite ist. Sie enthält meh- rere öffentliche Gebäude, wie das Zollhaus, die Post, die Börse, Wache u. f.w, die aber Alle so unansehnlich sind, daß man sie gar nicht bemerken würde, fänden nicht im- mer viele Leute davor. Am Ende dieser Straße liegt das kaiserliche Schloß, ein ganz gewöhnliches großes Privatgebäude, ohne An- sprüche auf Geschmack und schöne Architektur. Der Platz davor (Largo do Paco), mit einem einfachen Brunnen ge- ziert, ist sehr unrein, und dient des Nachts vielen armen, freien Negern zur Schlafstelle, die dann des Morgens 31 ihre Toilette ganz ungeniert vor aller Leute Augen machen. " Ein Theil des Platzes ist von einer Mauer umfaßt, und wird als Fisch-, Obst-, Gemüse- und Geflügel-Markt verwendet. Von den übrigen Straßen sind noch die Rua Miseri- corda und Ouvidor die interessantesten, letztere enthält die reichsten und größten Waarenlager, doch darf man weder die schönen Auslagen europäischer Städte erwarten, noch findet man besonders viel Schönes oder Kostbares. Das einzige, was mich besonders anzog, waren die Blumen- Magazine, in welchen die herrlichsten Blumen, künstlich aus Vogelfedern, Fischschuppen und Käferflügeln verfer- tiget, zur Schau gestellt waren. Unter den Plätzen ist der Largo do Rocio der schönste, der Largo St. Anna der größte. Auf ersterem, der auch stets ziemlich reinlich gehalten wird, stehen das Opern- haus, das Regierungsgebäude, die Polizei u. ff. Von hier gehen auch die meisten Omnibus aus, welche die Stadt in allen Richtungen durchkreuzen. Der letztere ist unter allen Plätzen der schmutzigste; als ich ihn das erstemal betrat, sah ich halbverweste Hunde und Katzen, – ja selbst ein derartiges Maulthier darauf liegen. – Ein Brunnen ist die einzige Zierde dieses Platzes, und beinah möcht' ich es vorziehen, diesen Brun- nen hier auch nicht zu sehen, denn, da das Süßwaffer in Rio de Janeiro eben nicht in Ueberfluß vorhanden ist, so schlägt die edle Wäscherzunft ihre Stätte auf, wo sich eben Waffer findet, und ganz besonders gerne, wo dabei auch gleich ein Platz zum Trocknen ist. Da wird also 32 gewaschen und getrocknet, geschrien und gelärmt, daß man froh ist, den Platz hinter sich zu bekommen. Die Kirchen bieten nichts Sehenswerthes, weder von Außen noch von Innen. Am meisten täuschen noch die Kirche und das Kloster St. Bento, und die Kirche Can- delaria, die sich von der Ferne besonders gut machen Der einzig wahrhaft schöne und großartige Bau ist die Wafferleitung, die an manchen Stellen wirklich einem ächt römischen Werke gleicht. Die Häuser sind nach europäischer Art gebaut, aber klein und unansehnlich; die meisten haben nur ein Erdga- schoß, oder ein Stockwerk, – zwei Stockwerke sind eine etwas seltene Sache. Auch findet man hier nicht, wie in andern heißen Ländern, Terraffen und Veranden mit schö- nen Geländern und Blumen geziert. Geschmacklose und kleine Balkone hängen an den Wänden, und plumpe höl- zerne Läden schließen die Fenster, um der Sonne jeden Blick in die Zimmer zu verwehren. Man sitzt beinahe in vollkommener Dunkelheit, was übrigens den brasilianischen Damen, die sich im Arbeiten oder Lesen gewiß nie über- nehmen, höchst gleichgültig ist. Die Stadt bietet also an Plätzen, Straßen und Ge- bäuden dem Fremden durchaus nichts Anziehendes; wahr- haft abschreckend sind aber die Menschen, welchen man be- gegnet – beinahe durchgehends nur Neger und Nege- rinnen mit den plattgedrückten, häßlichen Nasen, den wul- figen Lippen und kurz gekrausten Haaren. Dazu sind sie meist noch halb nackt, mit elenden Lumpen bedeckt, oder sie stecken in europäisch geformten, abgetragenen Klei- dungsstücken ihrer Herren. Auf 4 – 5 solcher Schwar- 33 zen kommt dann ein Mulatte, und nur hie und da leuchtet ein Weißer hervor. - Noch widerlicher wird das Bild durch die häufigen Gebrechen, die man überall gewahrt, und worunter ganz besonders die Elephantiasis in schreckliche Klumpfüße aus- artet; an Blindheit und andern Uebeln ist auch kein Man- gel vorhanden. Ja sogar auf Hunde und Katzen, die in großer Anzahl in den Gaffen umher laufen, erstreckt sich die allgemeine Häßlichkeit – auch diese sind meist schäbig, oder voll Wunden und Räuden. Hierher möchte ich jeden Reisenden zaubern, der vor dem Betreten der Gaffen. Konstantinopels zurückschreckt, der von dieser Stadt behauptet, der Anblick des Innern zer- störe den Eindruck des Aeußern. Es ist wahr, daß das Innere Konstantinopels auch höchst unrein ist, daß die vielen kleinen Häuser, die engen Gaffen und holprigen Wege, die garstigen Hunde u. j.w. dem Beschauer nicht sehr malerisch erscheinen; – doch bald stößt er wieder auf herrliche Bauten maurischer und römischer Zeiten, auf wundervolle Moscheen und majestä- tische Paläste, und setzt seine Wanderungen fort durch unermeßliche Friedhöfe und träumerische Cypreffen-Wäl- der. Er tritt ausweichend zur Seite vor einem Pascha oder hohen Priester, der auf stolzem Roffe reitet und von glänzender Dienerschaft umgeben ist, – er begegnet Tur- ken, in edle Tracht gehüllt, Türkinnen, deren Feueraugen durch den Schleier glänzen, – er sieht Perser mit hohen Mützen, Araber mit edlen Gesichtsbildungen, da- zwischen Derwische mit Narrenmützen und gefalteten Wei- berröcken, und von Zeit zu Zeit herrlich bei alte, vergol- Pfeiffers Reise, 1. Ty. 3 3. dete Wagen, von prächtig geschirrten Ochsen gezogen. – Dies Alles find Erscheinungen, die reichlich entschädigen für das Häßliche, das man hie und da er schaut. Dage- gen findet man im Innern Rio de Janeiros nichts, das erfreuen und entschädigen kann, sondern überall tritt hier nur Ekelhaftes und Widerliches vor die Augen. Erst, nachdem ich manche Woche hier verbracht hatte, war ich in etwas an den Anblick der Schwarzen und Mu- latten gewöhnt, und ich fand dann auch unter den jungen Negerinnen artige Gestalten, und unter den etwas dunkel- gefärbten Brasilianerinnen und Portugiesinnen hübsche, ausdrucksvolle Gesichter; minder scheint die Gabe der Schönheit dem männlichen Geschlechte verliehen zu sein. Die Lebhaftigkeit auf den Straßen ist bei weitem nicht so groß, als man nach so vielen Beschreibungen ver- muthen würde, und durchaus nicht mit jener in Neapel oder Meffina zu vergleichen. Den meisten Lärm machen die lasttragenden Neger, und darunter besonders Jene, welche die Kaffeesäcke an Bord der Schiffe schleppen; sie stimmen dabei einen eintönigen Gesang an, der ihnen zum Takte dient, um gleichen Schritt zu halten, übrigens sehr widrig klingt; doch hat er das Gute, daß der Fußgän- ger dadurch aufmerksam gemacht wird, und bei Zeiten aus dem Wege gehen kann. In Brasilien werden alle schweren und unreinen Arbeiten in und außer dem Hause durch Schwarze ver- richtet, die hier überhaupt die Stelle des niederen Volkes vertreten. Doch lernen auch viele Handwerke, und man- che derselben sind dabei den geschicktesten Europäern gleich- zustellen. Ich sah in den elegantesten Werkstätten Schwarze 35 mit Verfertigung von Kleidern, Schuhen, Tapezier-, Gold-, Silber - Arbeiten u. f. w. beschäftiget, und traf manch zierlich gekleidetes Negermädchen, am feinsten Da- menputze, an den zartesten Stickereien arbeitend. Ich glaubte fürwahr oft zu träumen, wenn ich diese armen Geschöpfe, die ich mir als freie Wilde in ihren heimath- lichen Wäldern vorstellte, in den Läden und Zimmern solch' feine Geschäfte vollbringen sah! Und dennoch scheint es ihnen nicht so schwer zu fallen, als man glauben sollte. Sie verrichteten stets scherzend und munter ihre Ar- beiten. - Unter der hiesigen sogenannten gebildeten Klaffe find manche, die, nach all' den Beweisen mechanischer Geschick- lichkeit und auch geistiger Auffassung, welche die Schwarzen häufig entwickeln, noch immer behaupten, dieselben ständen an Geisteskraft so tief unter den Weißen, daß man sie nur als einen Uebergang vom Affen - zum Menschen- geschlechte betrachten könnte. Ich gebe zu, daß sie einiger- maßen entfernt von der geistigen Bildung der Weißen find; finde aber die Ursache nicht in dem Mangel an Ver- stand, sondern in dem gänzlichen Mangel an Erziehung. Für sie ist keine Schule errichtet, sie bekommen keinen Unterricht, – kurz es geschieht nicht das Geringste, ihre geistigen Fähigkeiten zu entwickeln. Man hält ihren Geist wie in alten despotischen Staaten vorsätzlich in Feffeln, denn das Erwachen dieses Volkes dürfte den Weißen fürchterlich sein. An Zahl ist es ihnen um das Vier- fache*) überlegen, und käme es zu dem Bewußtsein dieser Man rechnet durchgehends auf 4 Schwarze einen Weißen. 3 * 36 Ueberlegenheit, dann könnten leicht die Weißen in jenen Zustand versetzt werden, in welchem sich bisher die un- glücklichen Schwarzen befanden. Aber ich versteige mich in Vermuthungen und Ab- handlungen, die wohl gelehrten Männern zukommen, nicht aber mir, die ich die dazu nöthige Bildung durchaus nicht befize; mein Zweck ist: nur einfach meine Anschauungen darzulegen. Obwohl in Brasilien die Zahl der Selaven sehr groß ist, so findet man doch nirgends einen Sclavenmarkt. Ihre Einfuhr ist öffentlich verboten, – doch werden all- jährlich viele Tausende eingeschmuggelt und verkauft auf ganz geheimen Wegen, die Jedermann kennt und Jeder- mann benützt. Englands Schiffe kreuzen wohl beständig an der afrikanischen und brasilianischen Küste; kommt ihnen aber auch ein Sclavenschiff in die Hände, so sind die armen Schwarzen, wie man mir sagte, eben so wenig frei, als wären sie nach Brasilien gekommen. Sie werden alsdann nach den englischen Kolonien gebracht, wo sie nach zehn Jahren frei sein sollten. Die Besitzer laffen aber wäh- rend dieser Zeit die Meisten sterben, – natürlich nur auf dem Papiere in ihren Ausweisen, und die armen Sclaven – bleiben Sclaven. – Doch wiederhole ich, daß mir dieß nur durch Erzählungen bekannt wurde. Uebrigens ist das Loos der Sclaven nicht gar so schlecht, als viele Europäer glauben; sie werden in Bra- silien im Durchschnitte ziemlich gut behandelt, man über- häuft sie nicht mit Arbeit, sie haben eine gute, kräftige Kost, und die Strafen sind weder gar so häufig noch 37 frenge; nur das Entlaufen wird hart geahndet. Außer einer tüchtigen Tracht Schläge bekommen sie noch Hals- oder Fußeisen, die sie ziemlich lange tragen müffen. Eine andere Art Strafe ist das Tragen von Blechlarven, die rückwärts durch ein Schloß gesperrt sind. Es werden damit die Säufer und die Erd- oder Kalkfreffer bestraft. Während meines langen Aufenthaltes in Brasilien kam mir ein einziger Neger vor, der mit einer solchen Larve umher ging. Ich möchte beinah zu behaupten wa- gen, daß das Loos der Sclaven im Ganzen minder schlecht ist, als jenes der russischen, polnischen oder ägyptischen Bauern, die man nicht Sclaven nennt. Intereffant war es mir, daß ich einst von einem Neger zur Pathin gebeten wurde, dabei aber weder einer Taufe noch einer Firmung beiwohnte. Es herrscht hier nämlich die Sitte, daß ein Sclave, der irgend etwas gethan hat, wofür er einer Züchtigung gewärtig ist, zu einem Freunde seines Besitzers zu fliehen sucht, und selben um ein Briefchen bittet, worin um Nachlaß der Strafe angesucht wird. Der Aussteller eines solchen Briefes er- hält den Titel eines Pathen, und es würde für die größte Unart angesehen werden, die Bitte des Pathen nicht zu erfüllen. Ich war so glücklich, auf diese Art einen Scla- ven von einer Strafe zu retten. Die Stadt ist ziemlich gut beleuchtet, und zwar bis zu einem bedeutenden Umkreise, eine Maßregel, die der vielen Schwarzen wegen eingeführt wurde. Auch darf nach 9 Uhr Nachts kein Sclave auf der Straße getroffen 38 werden, ohne von einem Herrn einen Schein zu haben, daß er in dessen Auftrage gehe. Ertappt man ihn ohne Schein, so kommt er augenblicklich in das Strafhaus, wo ihm der Kopf geschoren wird, und er so lange bleiben muß, bis ihn ein Herr gegen Erlegung von 4 – 5 Milreis*) auslöst. In Folge dieser Einrichtung kann man mit ziem- licher Sicherheit zu jeder Stunde der Nacht auf der Straße gehen. - Eine der größten Unannehmlichkeiten Rio de Janei- ro's ist der gänzliche Mangel an Abzugsgräben. Bei star- ken Regengüssen ist jede Straße ein förmlicher Strom, über welchen man zu Fuß nicht setzen kann; man muß sich von Negern hinüber tragen lassen. Gewöhnlich hört da aller Verkehr auf, die Straßen sind verödet, keiner Einladung wird Folge geleistet, ja selbst die Wechsel wer- den an solchen Tagen nicht eingelöst. Einen Wagen zu miethen entschließt man sich sehr schwer, da hier der alberne Gebrauch herrscht, für eine kurze Fahrt eben so viel zu bezahlen, als benützte man den Wagen für den ganzen Tag; eines wie das andere kostet 6 Milreis. Die Wagen sind halbgedeckt, mit einem Sitze für zwei Personen, mit zwei Maulthieren bespannt, auf deren einem der Kutscher reitet. Nach englischer Art und mit Pferden findet man Wagen und Bespannung nur sehr selten. Was die Künste und Wissenschaften betrifft, so will ich nur mit wenigen Worten der Akademie der bilden- den Künste, des Museums, des Theaters u. s.w. erwähnen. In der Akademie der bildenden Künste sieht * - Ein Milreis ist nach österreichischem Gelde 1 fl. 8 kr. -- 39 man von Allem etwas, und doch eigentlich nichts, – einige Figuren und Büsten, größtentheils von Gips, einige Baupläne, Handzeichnungen und eine Sammlung sehr alter Oelgemälde. Bei diesen kam es mir wahrhaftig vor, als sei irgend eine Privatgalerie gemustert, und der Ausschuß hieher bei Seite gestellt worden. Die meisten der Oelgemälde sind so arg beschädiget, daß man kaum mehr erkennt, was sie vorstellen sollen, was übrigens nicht sehr schade ist. Das einzige Interessante besteht in ihrem ehrwürdigen Alter. Einen grellen Gegensatz bilden die von den Schülern verfertigten Copien. Waren in den alten Bildern die Farben schon verblichen, so glänzten sie hier dafür im Ueberfluffe. Da erscheinen alle Farben, roth, gelb, grün, u. f. w. in ihrer vollsten Reinheit, nir- gends war an ein Mischen, Dämpfen oder Verschmelzen derselben zu denken. Ich weiß noch heut zu Tage nicht, hatten die guten Schüler im Sinne, eine neue Schule für das Colorit zu gründen, oder wollten sie nur an ihren Copien das gut machen, was die Zeit an den Originalien verdorben hatte! Unter den Schülern gab es so viel Schwarze und Mulatten, als Weiße; doch war im Ganzen die Anzahl ziemlich klein. Auf einer beinahe noch niedrigeren Stufe steht die Musik, besonders was Klavierspiel und Gesang anbelangt. In jeder Familie hört man die Töchter spielen und auch singen; aber die guten Leute haben von Takt, Vortrag, Eintheilung, Tempo u. f. w. gar keinen Begriff, so daß selbst die leichtesten, gesangvollsten Stücke oft gar nicht zu erkennen sind. Die Kirchenmusik ist etwas weniges besser; 40 indeffen läßt die Hofkapelle noch Manches zu wünschen übrig. Am besten ist noch die Militärmusik, die meist von Negern und Mulatten aufgeführt wird. Das Opernhaus verspricht von Außen nicht viel des Schönen und Ueberraschenden, und man ist daher sehr erstaunt, im Innern herrliche, große Räume, eine breite und tiefe Bühne zu erblicken. Es mag wohl über 2000 Personen faffen. Vier Reihen geräumiger Logen erheben sich über einander, deren Balustraden, aus zierlich ge- arbeiteten, eisernen Gittern bestehend, dem Theater ein ge- schmackvolles Aussehen verleihen. Das Parterre wird nur von Männern besucht. Ich sah die Oper Lucrezia B orgia von einer italienischen Gesellschaft ziemlich gut aufführen; auch die Dekorationen und das Kostüm waren nicht übel. So wie ich beim Besuche des Theaters angenehm enttäuscht wurde, so erfolgte beim Besuche des Mu- fe ums gerade das Gegentheil. Ich erwartete in einem, von der Natur so reich und üppig ausgestatteten Lande, auch ein großes, reiches Museum, und fand – war viele große Säle, die einst vielleicht einmal angefüllt werden mögen, jetzt aber noch sehr leer waren. Am vollständig- ften und wirklich schön fand ich nur die Sammlung der Vögel; mangelhaft ist die der Mineralien, und armselig jene der vierfüßigen Thiere und der Insekten. Am meisten beschäftigten meine Neugierde vier recht wohl erhaltene Köpfe von Wilden, wovon zwei dem Stamme der Malaien, und zwei jenem der Neuseeländer angehörten; besonders die Letzteren konnte ich mir nicht genug besehen, da sie ganz tätowirt, mit den schönsten, kunstvollsten Zeichnungen 41 überdeckt und fo gut erhalten waren, als hätten sie erst aufgehört zu leben. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Rio de Janeiro wurden die Säle des Museums gerade ausgebeffert, und man sprach auch von einer neuen Eintheilung. Es war daher dem Besuche nicht geöffnet, und ich verdankte nur der Güte des Herr Direktor Riedl, daß ich es be- fehen konnte. Er machte selbst meinen Führer und be- dauerte gleich mir, daß in diesem Lande, wo es so leicht wäre, ein reichhaltiges Museum zusammenzustellen, so we- nig dafür geschehe. Noch besuchte ich das Atelier des Bildhauers Petrich, eines gebornen Dresdners, der eigens aus Rom nach dem hiesigen Hof berufen wurde, um eine Statue des Kaisers in Carrara-Marmor auszuführen. Der Kaiser ist in Lebensgröße, in stehender Haltung, im vollen Ornate, den Hermelin-Mantel über die Schultern geworfen, dargestellt. Der Kopf ist treffend ähnlich und das ganze Bild mit künstlerischer Geschicklichkeit dem Steine abgerungen. – Ich glaube dies Monument war für ein öffentliches Gebäude bestimmt Ich war so glücklich, während meiner Anwesenheit zu Rio de Janeiro Zeuge mehrerer Feste zu sein. Das erste war am 21. September in der Kirche St. Cruz, wo ich der Feier des Landespatrons beiwohnte. Schon des Morgens waren vor der Kirche einige hundert Mann Militär aufgestellt, und eine recht gut eingeübte Musikbande erekutierte muntere Stücke. Zwischen 10 und 11 42 Uhr kamen nach und nach Offiziere und Beamte, und zwar, wie man mir sagte, zuerst die vom niederen Range; beim Eintritte in die Kirche wurde Jedem ein braunrothes, seidenes Mäntelchen umgehangen, das die Uniform ganz verdeckte. So oft nun einer von höherm Range erschien, fanden alle schon in der Kirche Befindlichen auf, gingen dem Neueintretenden bis an die Kirchenthüre entgegen, und geleiteten ihn ehrfurchtsvoll zu einem Platze. Zuletzt kam der Kaiser mit seiner Gemalin. Der Kaiser ist sehr jung (er hatte noch nicht volle 21 Jahre), dabei aber 6 Fuß hoch und äußerst korpulent; er sieht in die Habsburg- Lothringische Familie. Die Kaiserin (eine neapolitanische Prinzeffin) ist klein und schmächtig, und nimmt sich fon- derbar neben der athletischen Gestalt ihres Gemals aus. Gleich nach dem Eintritte des Hofes begann das Hochamt, welchem Alles sehr andächtig zuhörte, und nach deffen Beendigung das Herrscherpaar, auf dem Wege durch die Kirche bis zum Wagen die harrende Menge zum Handkuffe ließ. Es wurden mit dieser Auszeichnung nicht blos die hohen Offiziere und Beamten beehrt, sondern Jedermann, der sich hinzu drängte. Das zweite und glänzendere Fest fand am 19. Oktober statt: es war das Namensfest des Kaisers, und wurde in der Hofkapelle durch ein Hochamt gefeiert. Diese Kapelle befindet sich nahe am kaiserlichen Palaste, mit welchem sie mittelt einer gedeckten Galerie verbunden ist. Bei dem Hochamte waren, außer der kaiserlichen Familie, auch die Generalität und die hohen Staatsbeamten gegenwärtig, aber in voller Prachtuniform, ohne die häßlichen seidenen Mäntelchen. Ringsum machten die Lanzenträger (Garde) 43 Spalier. Von dem Reichthume und der Ueberfülle an Goldstickereien, an Epauletten, schön gefaßten Orden u. fw. kann man sich wirklich keinen Begriff machen, und ich glaube kaum, daß man an irgend einem Hofe Europas Aehnliches sehen dürfte. - Während des Hochamtes versammelten sich die Ge- fandten der auswärtigen Mächte, so wie die hoffähigen Kavaliere und Damen im Palaste, wo selbst nach der Rück- kehr des Kaisers allgemeiner Handkuß stattfand. Die Ge- fandten nahmen jedoch keinen Theil daran, sie machten nur einfache Verbeugungen. Man konnte diese erheben die Feierlichkeit ganz be- quem von dem Platze aus sehen, da die Fenster sehr niedrig sind und überdies geöffnet waren. Auf den kaiserlichen Schiffen, mitunter auch auf andern, werden bei dergleichen Festen fortwährend Kano- nen abgefeuert. - Am 2. November, am Armen-Seelen-Tage, fah ich wieder Feste anderer Art, – Kirchenfeste; – in diesen Tagen wandert Jung und Alt von einer Kirche zur andern, um für die Verstorbenen zu beten. Es herrscht hier der sonderbare Gebrauch, daß nicht alle Verstorbene auf dem Friedhof, sondern manche auch gegen besondere Bezahlung in der Kirche selbst begraben werden, zu welchem Zwecke in jeder Kirche besondere Hallen erbaut sind, deren Seitenwände gemauerte Katakomben enthalten. Der Leichnam des Verstorbenen wird mit Kalk betreut, in eine solche Katakombe gelegt, und nach 8 oder 10 Mona- ten ist das Fleisch verwest. Man nimmt nun die Gebeine heraus, reiniget sie durch Kochen und verwahrt sie in 44 einer Urne, auf welcher der Name des Verstorbenen, fein Geburtstag u. f. w. verzeichnet ist. Diese Urnen wer- den in den Gängen aufgestellt oder wohl auch von den Verwandten mit nach Hause genommen. Am Aller-Seelentage nun werden die Seitenwände der Hallen mit schwarzen Stoffen, Goldtreffen und andern Zierathen ausgeschmückt, die Urnen auf erhöhte Ge- stelle gesetzt, mit Blumen und Bändern reich behangen und durch viele Wachslichter in silbernen Armleuchtern und Lustern erleuchtet. Da geht es denn vom frühen Morgen bis Mittag äußerst lebhaft zu; die Frauen und Mädchen beten für die Manen ihrer verstorbenen Ver- wandten, und die jungen Herren sind so neugierig wie bei uns in Europa, sie wollen die Mädchen beten sehen. Frauen und Mädchen gehen an diesem Tage schwarz gekleidet, und tragen häufig zum großen Aerger der neu- gierigen, jungen Herren, über Kopf und Gesicht einen schwarzen Schleier, – mit einem Hute darf man über- haupt bei keinem Kirchenfeste erscheinen. Jedoch das glänzendste aller Feste, die ich hier fah, war die Taufe der kaiserlichen Prinzeffin. Diese Feierlichkeit fand am 15. November in der Hofka- pelle statt, die durch eine, zu diesem Zwecke eigens ge- baute, offene Galerie mit dem Palaste verbunden war. Gegen 3 Uhr Nachmittag stellte sich eine Menge Militär auf dem Schloßplatze auf, die Garden vertheilten sich auf den Galerien und in der Kirche, und das Musik- - chor spielte schöne Melodien, darunter häufig die Volks- hymne, die angeblich der letzt verstorbene Kaiser, Peter I., tomponiert hat. Eine Equipage nach der andern kam an 45 den Palast gefahren, und setzte glänzend geputzte Herren und Frauen ab. - Um 4 Uhr begann der Zug sich aus dem Palaste zu bewegen. An der Spitze war das in rothen Sammt gekleidete Hof-Musikchor, welchem 3 Herolde in altspani- fcher Tracht, mit prächtig geschmückten Federhüten und schwarztammtnen Anzügen folgten. Weiter kamen Ge- richtspersonen und Beamte jeder Behörde, Kammer- herren, Hofärzte, Senatoren und Deputierte, Generäle und Geistliche, Staatsräthe und Sekretäre, – erst am Ende dieses langen Zuges erschien der Haushofmeister der kleinen Prinzessin, die er auf einem prachtvollen, weiß- jammtnen Kiffen, mit breiten Goldtreffen besetzt, auf den Armen trug. Unmittelbar hinter ihm folgte der Kaiser und die Amme der kleinen Prinzessin, umgeben von den vornehmsten Kavalieren und Hoffrauen. Als der Kaiser unter die Triumphpforte der Galerie vor das Pallium der Kirche kam, nahm er selbst sein Töchterchen auf die Arme und wies es dem Volke, – eine Sitte, die mir unge- mein gefiel und die ich sehr paffend fand. Die Kaiserin *) mit ihren Hofdamen war indessen durch die innern Gänge auch schon in die Kirche gelangt, wo nun ungesäumt die Feierlichkeit begann. Der Moment der Taufe wurde durch Kanonenschüffe, Pelotonfeuer und Raketen *) der ganzen Stadt verkündet. Nach Beendi- gung der Feierlichkeit, die über eine Stunde währte, ging *) Die Prinzessin war schon vor 3 Monaten geboren. **) Raketen und kleine Feuerwerke werden bei jedem Kirchen- feste, theils vor der Kirche, theils unweit davon abgebrannt, und zwar, was sehr komisch ist, – stets bei hellem Tage. 46 der Zug wieder in derselben Ordnung zurück, und nun wurde die Kapelle dem Volke zum Bestehen eröffnet. Auch mich zog die Neugierde hinein, und ich muß sagen, ich war überrascht von der Pracht und dem Geschmacke, mit welchem sie ausgestattet war. Kostbare Seiden- und Sammtstoffe, verziert mit Goldfransen, überkleideten die Wände, und reiche Teppiche bedeckten den Boden. In der Mitte des Schiffes, auf großen Tafeln, waren sämmt- liche Prachtstücke des Kirchenschatzes zur Schau gestellt; – da standen goldene und silberne Kannen, ungeheure Schüffeln, Teller und Becher, mit künstlichen Gravirun- gen oder getriebener oder durchbrochener Arbeit, – wunderherrliche Krystallgefäße enthielten die schönsten Blumen, und schwere Armleuchter mit zahllosen Lichtern flimmerten dazwischen. Auf einer abgesonderten Tafel in der Nähe des Hauptaltares sah man all' die kostbaren Gefäße und Geräthschaften, welche bei der Taufe gebraucht worden waren, und in einer Seitenkapelle stand die Wiege der Prinzessin, die mit weißem Atlas überzogen und mit Goldtreffen garniert war. Des Abends wurde die Stadt beleuchtet, oder beffer gesagt „die öffentlichen Gebäude, denn von den Privat-Hausbesitzern wird es nicht bestimmt verlangt, und aus eigenem Antriebe thun sie es entweder gar nicht, oder stecken höchstens einige Laternen aus den Fenstern hinaus, – eine Sache, die man sehr natürlich findet, wenn man weiß, daß solche Beleuchtungen 6 bis 8 Abende währen. Dagegen sind die öffentlichen Gebäude von oben bis unten mit unzähligen Lampen behangen, die ein ordent- liches Feuermeer verbreiten. 47 Einzig in ihrer Art und wirklich anziehend fand ich die Feste, die an mehreren darauf folgenden Abenden zur Feier der Taufe in verschiedenen Kasernen gegeben wurden, und bei welchen sogar der Kaiser auf Augenblicke erschien. Es waren dieß zugleich von allen Festen, die ich hier sah, die einzigen, die nicht mit religiösen Feier- lichkeiten in Verbindung fanden. Sie wurden von den Soldaten selbst ausgeführt, unter welchen man die hüb- schesten und gewandtesten ausgewählt und in Tänzen und Evolutionen eingeübt hatte. Das schönste dieser Feste fand in der Kaserne Rua Barbone statt. In dem großen Hofe war eine halbrunde, sehr geschmackvolle Galerie er- richtet, in deren Mitte ein kleiner Tempel mit den Büsten des Kaiserpaares stand. Diese Gallerie war für die ge- ladene Damenwelt bestimmt, die geschmückt, wie zu dem glänzendsten Balle erschien; an dem Eingange des Hofes wurden sie von den Offizieren empfangen und zu ihren Plätzen geleitet. Vor der Gallerie erhob sich die Bühne, an deren beiden Seiten noch viele Reihen Bänke für min- der elegante Frauen aufgestellt waren; außerhalb der Bänke standen die Männer. Um 8 Uhr fing das Musikchor zu spielen an, und kurz darauf begann die Vorstellung. Die Soldaten er- schienen in verschiedenartigen Kostümen, – als Schotten, Polen, Spanier u. f. w.; auch fehlte es nicht an Tänze- rinnen, die natürlich ebenfalls von gemeinen Soldaten vorgestellt wurden. Am meisten bewunderte ich, daß, Kleidung und Venehmen dieser männlichen Soldatenmäd- chen im höchsten Grade decent war. Ich hatte mich we- nigstens auf einige Uebertreibungen gefaßt gemacht, und 48 - im besten Falle kein sehr anmuthiges Bild erwartet; – ich war daher wahrhaft überrascht sowohl von der Korrekt- heit der Tänze und Evolutionen, als auch von dem voll- kommenen Anstande, mit welchem die ganze Vorstellung durchgeführt wurde. - Das letzte Fest, welches ich sah, fand am 2. Dezember zur Feier des Geburtstages des Kaisers statt. Nach dem Hochamte war wieder Aufwartung der Chargen, allge- meiner Handkuß u. s.w. Zum Schluffe postierte sich das Kaiserpaar an ein Fenster des Palastes, und ließ das Mi- litär unter klingendem Spiele vorbei defilieren. Schwer- lich wird man irgendwo glänzender gekleidete Truppen sehen als hier, – jeder gemeine Mann könnte füglich für einen Lieutenant oder doch wenigstens für einen Unter- offizier gelten; nur Schade, daß Haltung, Größe und Farbe mit der Pracht der Kleidung nicht sehr im Einklange stehen, – hier sieht man ein 14jähriges Knäblein neben einem großen, tüchtigen Manne, dort einen Schwarzen neben einem Weißen u. . w. Die Ergänzung des Militärs geschieht durch Preffen, und die Zeit des Dienstes währt 4 bis 6 Jahre. Viel hatt' ich in Europa gehört und gelesen von der Großartigkeit und Ueppigkeit der Natur in Brasilien, von dem ewig heitern, lachenden Himmel, von den wun- derbaren Reizen des immerwährenden Frühlings. Es ist wahr, daß die Vegetation hier so reich, der Wachsthum so kräftig und üppig ist, wie vielleicht in kei- nem Lande der Welt, und daß Jeder, der das Wirken der Natur in vollster Kraft, in unaufhörlicher Thätigkeit sehen wiu, nach Brasilien kommen muß; – doch möge ja 49 Keiner glauben, daß hier auch Alles schön, Alles gut sei, und daß es nichts gebe, was vielleicht den Zauber des ersten Eindruckes schwächen könne. Jubelt doch Jeder über das immerwährende Grün, über die unaufhörliche Frühlingspracht, und gibt am Ende gerne zu, daß auch das mit der Zeit seinen Reiz verliert. Man zöge es vor, lieber etwas Winter zu haben, indem das Erwachen der Natur, das Wiederaufleben der abge- forbenen Pflanzen, das Wiederkehren der balsamischen Frühlingsdüfte gerade deshalb am meisten Vergnügen ge- währt, weil man es einige Zeit entbehrt hat. Das Klima und die Luft fand ich höchst drückend und unangenehm, die Hitze, obwohl in der damaligen Jahreszeit im Schatten kaum 24 Grad übersteigend, sehr ermattend, – in den heißen Monaten, die von Ende Dezember bis in den Mai währen, steigt die Hitze im Schatten bis auf 30, in der Sonne bis über 40 Grad. Ich ertrug in Egypten eine größere Hitze weit leichter, als hier die min- dere, was vielleicht daher rühren mag, daß es dort mehr trocken ist, während hier die größte Feuchtigkeit herrscht – Nebel und Gewölke sind an der Tagesordnung – Berge, Höhen, ja ganze Landstriche sind häufig in undurchdring- liche Finsterniß gehüllt und die ganze Atmosphäre ist mit feuchten Dünsten geschwängert. Im Monat November befiel mich ein anhaltendes Unwohlsein: ich fühlte mich, besonders in der Stadt, bald beklommen, matt und hinfällig, und nur der Güte und Freundschaft Herrn Geigers (Sekretär bei dem österreichi- schen Konsulate) und seiner Frau, die mich zu sich aufs Land nahmen und mir die möglichste Sorgfalt bewiesen, Pfeiffers Reise 1. Th. 4 50 hatte ich meine Genesung zu verdanken. – Ich schrieb meine Krankheit allein der ungewohnten feuchten Luft zu. Die angenehmste Jahreszeit soll der Winter (von Juni bis Oktober) ein, der bei einer Wärme von 14 bis 18 Grad meist trocken und heiter ist. Diese Zeit be- nützt man auch vorzüglich zum Reisen. Während des Sommers soll es an heftigen Gewittern nicht fehlen; ich erlebte während meines Aufenthaltes in Brasilien nur drei wahrhaft bedeutende, von welchen jedes nach 1%, Stun- den ausgewüthet hatte. Die Blitze waren fast unausgesetzt und verbreiteten sich gleich einem Feuermeere über den größten Theil des Horizontes; dagegen war der Donner nicht fehr bedeutend. Reine, wolkenlose Tage (vom 16. Sept. bis 9. Dez.) waren so selten, daß ich sie wirklich hätte zählen können, und ich begreife es nicht, wie so mancher Reisende von dem ewig schönen, lachenden, blauen Himmel Brasiliens er- zählen kann, – es müßte dieß während einer anderen Jahreszeit der Fall sein. Auch der Genuß schöner Abende und einer langen Dämmerung geht hier ziemlich verloren; mit dem Unter- gang der Sonne eilt. Alles nach Hause, da Finsterniß und Feuchtigkeit schnell darauf eintreten. Die Sonne geht im hohen Sommer gegen 6% Uhr, während der übrigen Zeiten um 6 Uhr unter; die Finster- niß stellt sich 20 – 30 Minuten darnach ein. Eine weitere Unannehmlichkeit find die Muskitos, Ameisen, Baraten, Sandflöhe ufw. Viele Nächte verbrachte ich sitzend, gepeinigt und gequält von den Stichen der Insek- ten. Kaum ist man im Stande die Lebensmittel vor den 51 Angriffen der Baraten und Ameisen zu sichern. Die Letz- teren gar erscheinen oft in unermeßlichen Zügen und ziehen über Alles, was in ihrem Wege liegt. Während meines Aufenthaltes auf dem Lande bei Herrn Geiger kam einst ein solcher Schwarm und durchzog einen Theil des Hauses. Es war wirklich interessant zu sehen, welch" regelmäßige Linie die bildeten und wie sie durch keinen Gegenstand sich vor ihrer eingeschlagenen Richtung ableiten ließen. Frau Geiger erzählte mir, daß sie einst des Nachts durch ein fürchterliches Jucken erweckt wurde. Sie sprang so rasch als möglich aus dem Bette, und ein solcher Ameisen- schwarm zog über ihre Schlafstelle. Es ist da nicht zu helfen, und man muß ruhig das Ende des Zuges abwar- ten, der oft 4 – 6 Stunden anhält. Die Lebens- mittel schützt man gegen sie einigermaßen, indem man die Füße der Tische und Schränke in mit Waffer ge- füllte Schüffelchen fetzt; – die Kleider, die Wäsche werden in genau sich schließende Blechkasten gelegt, um sie nicht nur vor den Ameisen, sondern auch vor den Baraten und der Feuchtigkeit zu sichern. Am ärgsten wird man jedoch von den Sandflöhen gepeinigt, die sich meist an den Zehen unter den Nägeln, wohl auch an den Fußsohlen festsetzen. Sobald man an einem dieser Theile ein Jucken verspürt, muß man augen- blicklich nachsehen; zeigt sich da ein schwarzes Pünktchen, umgeben von einem kleinen weißen Ringe, so ist ersteres der Floh, das zweite der Eiersack, den er in das Fleisch gelegt hat. Man sucht nun mit einer Nadel die Haut so weit zu lösen, als der weiße Ring sichtbar ist, hebt dann das Ganze aus und streut in den leeren Raum etwas 4* 52 Schnupftabak. Am besten ist es, zu dieser Operation den nächsten besten Schwarzen herbei zu rufen, da sie Alle dies Geschäft ganz kunstgerecht verstehen. - Was endlich die Naturerzeugniffe Brasiliens anbe langt, so fehlen ihm einige der wichtigsten Artikel. Wohl hat es feinen Zucker, feinen Kaffee, – aber kein Korn, keine Kartoffeln und selbst nicht unsere köstlichen Obst- gattungen. Das Maniokmehl, das man unter die Spei- fen mischt, vertritt die Stelle des Brodes, ist aber lange nicht so kräftig und nahrhaft. Verschiedene süßlich schmeckende Knollengewächse sind auch nicht unsern Kar- toffeln zu vergleichen, und von den Obstgattungen find nur die Orangen, Bananen und Mangos ausgezeichnet; die hochgerühmte Ananas ist weder sehr aromatisch noch besonders süß; ich aß ungleich schmackhaftere, die in euro- päischen Treibhäusern gezogen wurden. Die übrigen Obst- gattungen sind des Aufzählens nicht werth. Was endlich zwei sehr nothwendige Lebensartikel, Milch und Fleisch, betrifft, so ist erstere sehr wäfferig, letzteres sehr trocken. Stellt man überhaupt, sowohl den Eindruck des Gan- zen, als auch die einzelnen Vor- und Nachtheile Brasi- liens jenen Europa"s gegenüber, so wird sich die Waag- schale wohl anfangs auf die Seite des ersteren, in der Folge aber um so gewisser auf die Seite des letzteren neigen. Für den Reisenden ist Brasilien vielleicht das in- teressanteste Land der Welt, – als bleibenden Aufenthalt aber würde ich Europa unbedingt vorziehen. 53 Sitten und Gebräuche lernte ich zu wenig kennen, um im Stande zu sein, ein geeignetes Urtheil darüber ab- zugeben, und ich darf mich daher nur auf einzelne Be- merkungen beschränken. Im Ganzen scheinen jene von den Europäischen wenig abzuweichen, denn die jetzigen Besitzer des Landes stammen ja von Portugal her, und so könnte man füglich die Brasilianer in das Amerikanische übersetzte Europäer nennen. Daß durch diese Ueber- setzung manche Eigenschaften verloren gegangen, andere wieder hervorgetreten sind, ist wohl natürlich. Am stärk- sten tritt bei dem amerikanisch gewordenen Europäer die Sucht nach Geld hervor, die zur Leidenschaft wird und oft den furchtsamsten Weißen zum Helden macht, – denn Heldenmuth gehört fürwahr dazu, als Pflanzer einer Plantage allein unter vielleicht hunderten von Sclaven zu leben, entfernt von jeder Hülfe, und mit der Aus- sicht, bei einem etwaigen Aufstande rettungslos verloren zu sein. Diese erstaunliche Sucht nach Gewinn haben nicht blos die Männer, sie ist auch den Frauen eigen und wird durch eine hier übliche Sitte sehr begünstigt. In Folge dieser setzt der Mann seiner Frau nie ein sogenanntes Stecknadelgeld aus, sondern er schenkt ihr, je nach feinem Vermögen, einen oder mehrere männliche oder weibliche Sclaven, über die sie nach Willkür verfügen kann. Ge- wöhnlich läßt die Frau ihre Sclaven im Kochen, Nähen, Sticken, wohl auch in Handwerken unterrichten und ver- miethet sie dann Tag-, Wochen- oder Monatweise *) an *) Sie werden je nach ihren Dienstleistungen verschieden be- zahlt. Das Gewöhnliche ist für eine gemeine Magd 54 Leute, die keine Selaven haben, – oder sie läßt von ihnen zu Hause für Fremde waschen, oder elegante Arbei- ten, feine Bäckereien u. f. w. verfertigen und sendet sie damit zum Verkaufe aus. Das gelöste Geld gehört ihr und wird meist für Putz und Unterhaltung verwendet. Bei Geschäfts- und Gewerbsleuten hilft die Frau ihrem Manne auch nur gegen Bezahlung in feinem Ge- fchäfte. Moralität und gute Sitten find leider in Brasilien nicht fehr heimisch, und ein Theil der Ursache mag wohl schon in der ersten Erziehung der Kinder liegen, die voll- kommen der Leitung der Schwarzen überlaffen wird. Ne- gerinnen sind ihre Ammen, ihre Wärterinnen und Auf- feherinnen, und häufig fah ich 8 – 10jährige Mädchen von jungen Negern zur Schule, oder sonst wohin begleitet. Die Sinnlichkeit der Schwarzen ist zu bekannt, um auf diese Weise die allgemeine, frühzeitige Entsittlichung nicht leicht begreiflich zu finden. Nirgends fah ich so viele Kin- der mit bleichen, abgelebten Gesichtern als in den Straßen von Rio de Janeiro. – Eine zweite Ursache der Immo- ralität ist gewiß auch der Mangel an Religion. Brasilien ist durch und durch katholisch, wie vielleicht nur Spanien und Italien, – beinah täglich finden Umgänge, Gebete, Kirchenfeste statt; doch dienen sie nur zur Unterhal- tung, und die wahre Religion fehlt gänzlich. Der tiefen Entsittlichung und dem Mangel an Reli- gion ist es auch zuzuschreiben, daß nicht felten Morde vor- pr. Monat 5–6 Milreis, für einen Koch 12–20 Mil- reis, für eine Amme 20–22, für einen geschickten Hand- werker 25 – 35 Milreis. 55 kommen, und zwar nicht des Raubes oder Diebstahles halber, sondern aus Rache und Haß. Der Mörder ver- übt die That entweder selbst oder er läßt sie durch einen feiner Sclaven vollbringen, der sich für eine Kleinigkeit dazu bereit findet. Die Entdeckung der That braucht ihn, wenn er reich ist, nicht sehr zu beängstigen, da hier, wie man mir sagte, mit Geld. Alles abzumachen und durchzu- setzen ist. Ich sah in Rio de Janeiro einige Männer, von welchen man mir versicherte, daß sie nicht einen, fon- dern mehrere Morde entweder selbst verübt hätten oder verüben ließen. Sie gingen nicht nur frei umher, fon- dern wurden auch in jeder Gesellschaft empfangen. Zum Schluffe fei mir noch erlaubt, einige Worte an jene meiner Landsleute zu richten, die ihr Vaterland verlaffen wollen, um an der fernen Küste Brasiliens ihr Glück zu suchen, – einige Worte nur, denen ich aber wünsche, daß sie möglichst bekannt, möglichst verbreitet würden. Es gibt in Europa Leute, die um kein Haar beffer find als die afrikanischen Sclavenhändler, Leute, die den Armen allerlei vorspiegeln von dem reichen Amerika und feinen herrlichen Ländereien, von dem Ueberfluffe an Na- turprodukten daselbst und von dem Mangel an Arbeitern. Diesen Leuten ist aber wenig an dem Glücke der Armen gelegen, – nein, sie besitzen Schiffe, die sie befrachten wollen, und nehmen dafür dem getäuschten Opfer die letzten Reste eines kleinen Vermögens ab. Während meines Hierseins kamen einige Schiffe mit solch' armen Auswanderern an; die Regierung hatte sie nicht gerufen, und gab ihnen daher keine Unterstützung,– 56 Geld hatten sie nicht, sie konnten sich also keine Ländereien verschaffen, – als Plantagen-Arbeiter konnten sie sich nicht vermiethen, denn Niemand nimmt Europäer hier- zu, da sie des heißen Klimas ungewohnt, der Arbeit bald erliegen würden. So wußten sich denn die Armen nicht zu rathen und nicht zu helfen; sie liefen bettelnd in der Stadt umher, und mußten am Ende mit dem schlechtesten Unterkommen zufrieden sein. – Anders geht es jenen, die von der brasilianischen Regierung zum Anbaue des Landes, zu Kolonisierungen berufen werden; diese bekommen ein Stück Wald, Lebensmittel und auch sonstige Unterstützungen; – kommen sie aber ganz ohne Geld, so ist auch deren Loos nicht beneidenswerth. Noth, Hunger und Krankheit reiben die meisten auf, und nur wenigen gelingt es, sich durch rastlose Bemühungen, durch eiserne Gesundheit eine bessere Existenz zu verschaffen, als sie in ihrem Vaterlande verlaffen hatten. – Die Hand- werker allein finden schnelle Unterkunft und reichliches Aus- kommen, aber auch dieß dürfte sich bald anders gestalten, da deren alljährlich viele einwandern und in neuerer Zeit die Neger selbst immer häufiger zu Handwerkern aller Art herangebildet werden. Möge doch jeder, ehe er sein Vaterland verläßt, genau sich zu unterrichten suchen; möge er lange und reif- lich überlegen und sich nicht von trügerischen Hoffnungen hinreißen laffen. Die Enttäuschung ist um so fürchterlicher, da sie erst erfolgt, wenn es zu spät ist, wenn der Arme der Noth und dem Elende schon unterliegt. 57 Einige statistische Notizen über Brasilien. Der Flächen-Inhalt Brasiliens beträgt 130.000 O.M., die Einwohner - Zahl 6 Millionen, worun- ter etwa 900.000 Weiße; der Rest besteht aus Negern, Mulatten, Mestizen und Ur-Einwohnern oder Indianern. Man rechnet ungefähr 3 Millionen Neger-Sclaven und 500.000 Indianer, unter welchen die rohesten Wilden, z. B. Botoeuden c. Die Haupt- und Refidenzstadt ist Rio de Janeiro mit 215 000 Einwohnern, 50 Kirchen und Ka- pellen, 5 Klöstern, einer Universität, einem vortrefflichen Hafen und ausgebreitetem Handel. Brasilien ist ein konstitutionelles Kaiserthum mit 2 Kammern (dem Senate und dem Repräsentantenhause). Bis zum Jahre 1822 regierte das Land ein von Portugal gesandter Vicekönig. Als solcher erklärte der Kronprinz von Portugal Dom Pedro, in Folge einer ausgebroche- nen Revolte, Brasilien für ein unabhängiges Kaiserthum mit Repräsentativ-Verfaffung, sich selbst aber zum Kaiser unter dem Namen Dom Pedro I. Im Jahre 1831 dankte er zu Gunsten eines jetzt regierenden Sohnes Dom Pedro II. ab. - Die herrschende Religion ist die katholische, die herrschende Sprache die portugiesische. In Brasilien, dem Lande des Goldes und der Edel- feine, ist im gewöhnlichen Verkehre nur Papier und Kupfer zu sehen. Gold und Silber wird in Stangen theils aufbewahrt, theils nach dem Auslande verführt. 58 Gerechnet wird nach Reis, deren 1000 (1 Mil- reis) nach dem 20 fl. Fuße ungefähr 1 fl. 7 kr. betragen, – jedoch wechselt der Kurs hierin häufig. Von Kupfermünzen gibt es: Halbe Vingt-un Stücke à . . . . 10 Reis. Ganze My n . . . . 20 m Doppelte „ My My . 40 p Ein Patak so viel als 320 Reis, ein Krusado 400 Reis. Die kleinste Banknote ist 1 Milreis. Die Brasilianische Meile, Legua genannt, ist etwas kürzer als die geographische. Man rechnet 18 Leguas auf 15 geographische Meilen. Die Kosten des Reisepaffes sind bedeutend, man muß 16 Milreis zahlen. Die Entfernung von Hamburg bis Rio de Janeiro kann man ungefähr zwischen 8 – 9000 Seemeilen an- nehmen. Vorzügliche Partien um Rio de Janeiro. Die Wafferfälle bei Teschuka. Boa Vista. Der botanische Garten und deffen Umgebung. Diese Partie gehört zu einer der intereffantesten; aber man muß zwei Tage dazu verwenden, da der bota- nische Garten allein schon viele Stunden erfordert. Graf Berchthold und ich fuhren im Omnibus nach Andaracky (1 Legua), worauf wir den Weg zu Fuße zwi- fchen Waldpartien und kleinen Hügeln fortsetzten. Nied- liche Landhäuser liegen in kleinen Entfernungen auf Höhen und an der Straße. Nachdem wir eine Legua zurückgelegt hatten, führte uns rechts ein Pfad nach einem kleinen Wafferfalle, der weder hoch noch wafferreich, aber dennoch der bedeutendste um Rio de Janeiro ist. – Wir kehrten wieder auf die Straße zurück, und nach einer halben Stunde erreichten wir eine kleine Hochebene, von welcher wir einen Ueber- blick über ein Thal hatten, das sich durch feine Originali- tät auszeichnet. Ein Theil defelben glich einem wilden Chaos, der andere einem blühenden Garten. Im ersteren lag alles voll zerbrochener Granittrümmer, aus welchen hohe Koloffe emporragten, während an andern Stellen wieder große Felsenmaffen sich fchichtenweise über einander 60 thürmten; in dem andern Theile standen die herrlichsten Fruchtbäume mitten in den üppigen Wiesengründen. Die- fes romantische Thal ist auf drei Seiten von schönen Ge- birgen umschloffen, die vierte Seite ist offen und gewährt den freien Anblick des Meeres. Wir fanden in diesem Thale eine kleine Venda, in welcher wir uns mit Brod und Wein stärkten, worauf wir den Weg nach dem sogenannten „großen Waffer- falle“ fortsetzten. Wir fanden den großen weniger überraschend als den kleinen. Ein ganz leichter Waffer- streifen zog sich über eine breite, aber nicht stark abfallende Felswand in mehreren Abtheilungen in das Thal hinab. Nachdem wir das Thal durchschritten hatten, kamen wir nach dem Porto Massalu. – Ausgehöhlte Baumstämme, die vor den wenigen Hütten in der Bucht lagen, verkün- deten uns die Bewohner als Fischer. Wir mietheten eines dieser schönen Fahrzeuge, um die schmale Bucht zu übersetzen. Die Fahrt währte höchstens eine Viertel- stunde, und dafür mußten wir als Fremdlinge 2000 Reis (2fl. 14 kr. CM) zahlen. Nun hieß es bald durch fandige Ebenen waten, bald auf schlechten Gebirgswegen auf- und abwärts klettern. Wir legten auf diese mühselige Art wohl drei Leguas zu- rück, bis wir auf die Spitze eines Gebirges gelangten, das sich als Scheidewand zweier mächtigen Thäler aufstellt. Diese Spitze nennt man die Boa Vista, und zwar mit vollem Rechte. Man überblickt beide Thäler mit den sie durchziehenden Gebirgsketten und Hügelreihen, sieht nebst andern hohen Bergen, den Corcovado und die „beiden Brüder, ferner die Hauptstadt, die sie um- 61 gebenden Landhäuser und Ortschaften, die Meeresbuchten und die offene See. - - Ungern verließen wir diesen schönen Standpunkt; allein, nicht bekannt mit den Entfernungen, die wir noch zurück zu legen hatten, um unter ein wirthliches Dach zu kommen, waren wir zur Eile gezwungen. Auch begegnet man auf diesen einsamen Wegen nur Negern, mit welchen ein nächtliches Zusammentreffen gerade nicht sehr wün- schenswerth ist. Wir fliegen daher in das Thal hinab und entschloffen uns, in dem erst' besten Gasthofe über Nacht zu bleiben. Glücklicher als man gewöhnlich in solchen Fällen ist, fanden wir nicht nur ein ganz gutes Hotel mit reinlichen Zimmern und guten Möbeln, sondern auch eine Gesell- fchaft, die uns köstlich unterhielt. Es war dieß eine Mu- latten-Familie, die meine ganze Aufmerksamkeit in An- spruch nahm. Die Frau, eine ziemlich beleibte Schönheit von einigen dreißig Jahren, war geputzt wie es bei uns nur eine Dame von sehr verdorbenem Geschmacke sein kann, – all' ihre Kostbarkeiten trug sie an sich. Wo sich von Juwelen und Gold nur immer etwas anbringen ließ, war es auch geschehen. Ein Kleid von schwerem Seidenstoff und ein ächter Shawl umhüllten den dunkelbraunen Kör- per, und ein weißseidenes Hütchen, klein und niedlich, saß höchst komisch auf dem plumpen Kopf. Der Gemal und fünf Kinder fanden der Ehefrau und respektive Mut- ter würdig zur Seite, – ja der Putz erstreckte sich sogar auf die Kinderwärterin, eine noch ganz unverfälschte Ne- gergestalt, die ebenfalls mit Schmuck überladen war. Auf einem Arme hatte sie fünf, auf dem andern sechs Armbänder 62 von Steinen, Perlen und Korallen, die aber, so viel mir schien, nicht zur ächteten Sorte gehörten. Als die Familie aufbrach, kamen zwei vierspännige Landauer-Wagen herangerollt, in welche Herr und Frau, Kinder und Wärterin mit gleich majestätischer Würde ein- fliegen. Noch sah ich den Wagen nach, die mit rascher Eile der Stadt zu rollten, da kam ein Reiter mit freundlichem Gruße heran. Es war Freund Geiger. Als er ver- nahm, daß wir die Nacht hier bleiben wollten, beredete er uns, ihn auf das nahe gelegene Landgut feines Schwie- gervaters zu begleiten. Wir lernten in diesem einen würdigen, muntern Greis von 70 Jahren kennen, der noch gegenwärtig Di- rektor der Baukunst und der bildenden Künste war. Wir bewunderten einen schönen Garten und das niedliche Wohnhaus, das im italienischen Style mit viel Geschmack gebaut ist. Am folgenden Tage zeitlich des Morgens ging ich mit Graf Berchthold nach dem botanischen Garten. Unsere Begierde, diesen Garten zu sehen, war sehr groß, – wir hofften da Bäume und Blumen von allen Weltgegenden in vollster Pracht zu sehen, wurden aber so ziemlich ge- täuscht. Der Garten ist noch zu jung, keiner der Riesen- bäume ist ausgewachsen; an Blumen und Pflanzen ist keine große Auswahl, und an den wenigen, die vorhanden find, hängen nicht einmal Etiketten, um den Neugierigen mit ihren Namen bekannt zu machen. Für uns waren am interessantesten die Affenbrotbäume mit ihren 10 bis 25 63 Pfund schweren Früchten, die eine Menge Kerne in sich schließen, welche nicht nur von Affen, sondern auch von Menschen gegessen werden, – ferner die Gewürz- melken-, Kampfer-, Cacaobäume, die Zimmt - und Thee- stauden u. f. w. Auch Palmen ganz eigener Art sahen wir hier. Die untern Theile der Stämme, ungefähr zwei bis drei Fuß hoch, waren braun und glatt und hatten die Form von Kübeln. Die daraus fortlaufenden Stämme waren hellgrün. ebenfalls sehr glatt und dabei glänzend, wie mit Firniß überstrichen. Sie waren nicht sehr hoch, und die Blätterkrone entfaltete sich, gleich den andern Pal- men, erst an der Spitze des Baumes. Wir konnten leider den Namen dieser Palme nicht erfahren, und im Ver- lauf meiner Reise kam mir nie mehr eine ähnliche zu Gesichte. Erst Nachmittags verließen wir den Garten, gingen noch eine Legua bis Botafogo und von da benutzten wir den Omnibus nach der Stadt. Partie auf den Berg Corcovado (2253 Fuß über der Meeresfläche). Herr Geiger lud den Grafen Berchthold, Herrn Rifter (einen. Wiener) und mich zu einer Partie nach dem Berge Corcovado ein. Am 1. November, wo es bei uns oft schon fürmt und schneit, während hier die Sonne glühend heiß, der (54 Himmel wolkenlos ist, traten wir früh des Morgens unsere Wanderung an. Die schöne Wafferleitung war bis an die Ursprungs- quellen, die wir nach 1", Stunden erreichten, unsere Wegweiserin. Reizende Waldungen hüllten uns in das Dickicht ihres Schattens, so daß selbst die große Hitze, die im Laufe des Tages auf 38 Grad (in der Sonne) stieg, uns nicht sehr belästigte. An der Quelle hielten wir an, und auf einen Wink Herrn Geigers erschien ein athletischer Neger, mit einem großen Korbe voll Lebensmittel beladen. – Schnell war das Effen bereitet – ein weißes Tuch wurde ausgebreitet, Speis und Trank darauf gestellt, – Scherz und Laune würzten das Mahl, und gestärkt an Leib und Seele wurde die Wanderung fortgesetzt. Der letzte Kegel des Berges machte uns einige Mühe; es ging steil hinan über kahle, heiße Felsenmaffen. Dafür entfaltete sich aber ein Panorama vor unsern Augen, wie deren die Welt gewiß nur wenige zu bieten hat. Alles, was ich bei der Einfahrt in den Hafen gesehen hatte, lag vor meinen Blicken, aber aufgedeckter und ausgedehnter, und gar vieles kam noch hinzu. Man übersah die ganze Stadt, all die niedern Hügel, die sie bei der Einfahrt hab verdecken, die große Meeresbucht, die bis an das Orgel- gebirge reicht, und auf der andern Seite das romantische Thal, in welchem der botanische Garten und viele schöne Landhäuser liegen. Jedem, der nach Rio de Janeiro kommt, empfehle ich, selbst wenn er nur wenige Tage verweilen kann, diese 65% Partie, da er hier mit einem Blicke all' die Schätze übersieht, mit welchen die Natur die Umgebung dieser Stadt wahrhaft verschwenderisch ausgestattet hat. Er findet hier Urwälder, die, wenn sie auch nicht so dicht und schön sind, wie tiefer im Lande, sich doch immerhin durch Ueppigkeit der Vegetation auszeichnen – er findet Mimosen und Farrenbäume von gigantischer Größe, Pal- men, wild wachsende Kaffeebäume, Orchidäen, Schma- rotzer- und Schlingpflanzen, Blüthen und Blumen ohne Zahl – er sieht die buntesten Vögel, die größten Schmet- terlinge, die glänzendsten Insekten, die von Blüthe zu Blüthe, von Ast zu Ast schwärmen und fliegen. Wun- derbar herrlich sind in dunkler Nacht die Millionen Leucht- käfer, die sich bis in die höchsten Spitzen der Bäume er- heben und zwischen Blättern und Gesträuchen wie hell- schimmernde Sternchen glänzen. Man hatte mir gesagt, daß die Besteigung dieses Berges höchst beschwerlich sei; das fand ich aber nicht so, indem man in 3 %, Stunden ganz bequem auf die Spitze kommt und drei Viertheile des Weges sogar zu Pferde machen kann. Schlöffer der kaiserlichen Familie. Als eigentlicher Wohnsitz der kaiserlichen Familie ist das Schloß Christovao zu betrachten, welches eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt. Der Kaiser bringt daselbst beinahe das ganze Jahr zu, und selbst alle Pfeiffers Reise, I. Th. 5 66 politischen Berathungen und Geschäfte werden hier ge- pflogen. Das Schloß ist klein, und zeichnet sich weder durch Geschmack noch durch Architektur aus, – das einzige reizende ist eine Lage. Es erhebt sich auf einem Hü- gel und beherrscht das Orgelgebirge und eine der Mee- resbuchten. Der Schloßgarten ist unbedeutend und zieht sich in Terraffen bis in das Thal hinab. Ein größerer Garten, der als Baum- und Pflanzschule dient, schließt sich an ihn an. Beide sind für Europäer höchst interessant, da man hier eine große Menge von Gewächsen findet, die bei uns gar nicht, oder höchstens in Zwerggestalten in den Treibhäusern vorkommen. – Herr Riedl, Direktor über beide Gärten, war so gefällig, mich selbst überall herum- zuführen und mich besonders auf die Thee- und Bambus- pflanzungen aufmerksam zu machen. Ein anderer kaiserlicher Garten ist in Ponte de Caschu (eine Legua von der Stadt). In diesem Garten stehen drei Mangobäume, die sich ihres Alters und ihres Umfanges wegen auszeichnen. Ihre Aete beschreiben einen Umkreis von mehr als 80 Fuß. Sie tragen keine Früchte mehr. Von nahen Spaziergängen sind noch zu empfehlen: „Der Telegraphen-Berg, der öffentliche Garten (Jardin publico) die Praya do Flamingo und die Klöster St. Gloria und St. Theresia u. f. w. Ausflug nach der neu angelegten deutschen Colonie Petropolis. Mordversuch eines Marron-Uegers. Klan erzählte mir in Rio de Janeiro so viel von dem schnellen Aufblühen von Petropolis, einer in der Nähe Rio de Janeiros von Deutschen neu angelegten Kolonie, von der herrlichen Gegend, in der dieselbe liegt, von den Urwäldern, durch die ein Theil des Weges führt, daß ich dem Wunsche nicht widerstehen konnte, einen Ausflug da- hin zu machen. Mein Reisegefährte, Graf Berchtold, war von der Partie, und so mietheten wir am 26. Sept. zwei Plätze auf einer Barke, deren täglich mehrere nach dem 20 bis 22 Seemeilen entfernten Porto d'Estrella gehen, von wo aus man die Wanderung zu Land fortsetzen muß. Wir fuhren durch eine Bucht, die sich durch wahrhaft pittoreske Ansichten auszeichnet und mich mehrmals lebhaft an Schwe- dens so ganz eigenthümliche Seen erinnerte. Sie ist von reizenden Hügelketten begrenzt und mit kleinen Inseln und Inselgruppen bedeckt, die theils mit Palmen und anderen Bäumen und Gesträuchen so üppig bewachsen sind, daß man sie kaum für betretbar hält, theils als koloffale Felsen ein- zeln aus dem Meere ragen oder lose über einander ge- thürmt sind. Merkwürdig ist an vielen der letzteren die runde Form, die oft wie gemeißelt erscheint. ; 68 Unsere Barke wurde von vier Negern und einem wei- ßen Kommandanten geführt. Anfangs trieben aufgeblähte Segel unser Schifflein und die Matrosen benutzten diese günstigen Augenblicke, zu einer Mahlzeit, die aus einer tüchtigen Portion Maniokmehl, aus gekochten Fischen, ge- bratenem Mil (türkisches Korn), Orangen, Cocus und an- deren kleineren Nußgattungen bestand, – ja sogar Weißbrod, für die Schwarzen ein Luxusartikel, fehlte nicht. Innig freute es mich, diese Menschen so gut gehalten zu sehen. Nach zwei Stunden verließ uns der Wind und die Matro- en mußten zu den Rudern greifen. Die hiesige Art und Weise des Ruderns fand ich sehr beschwerlich. Der Ma- trose mußte bei jedem Schlage auf eine vor ihm befestigte Bank steigen und sich während des Aufhebens des Ruders mit voller Gewalt zurückwerfen. Nach abermals 2 Stun- den verließen wir die See und lenkten links ein in den Fluß Geromerim, an dessen Mündung ein Gasthaus liegt, bei welchem eine halbe Stunde angehalten wurde. Hier sah ich auch einen seltsamen Leuchtthurm – eine Laterne an einem Felsen hängend. – Die Schönheit der Gegend hört nun auf; doch nur für den Laien – der Botaniker würde sie erst jetzt herrlich und wunderbar finden, denn die schönsten Wafferpflanzen, darunter vorzüglich die Nym- phea, die Pontedera und das cyprianische Gras, breiten sich in dem Waffer und um dasselbe aus. Die beiden ersteren fchlingen sich bis um die Spitzen der nahestehenden Bäum- chen, und das cyprianische Gras erreicht eine Höhe von 6–8 Fuß. Die Ufer des Fluffes sind flach und von nie- drigem Gebüsche und jungen Waldungen umsäumt; den Hintergrund bilden Hügelketten. Die Häuschen, die hin 69 und wieder zum Vorscheine kommen, sind von Stein er- baut und mit Ziegeln gedeckt, sehen aber nichts desto we- niger ziemlich armselig aus. Wir fuhren 7 Stunden auf dem Fluffe und gelangten ohne Unfall nach Porto d'Estrella, einem nicht unbedeutenden Orte, da er der Stapelplatz für die Waaren ist, die vom In- nern des Landes kommen und von hier zu Waffer nach Brasiliens Hauptstadt gefördert werden. Es gibt da zwei hübsche Gasthöfe, außerdem noch ein Gebäude – einem türkischen Chan ähnlich – und ein ungeheueres Ziegeldach, auf starken, gemauerten Pfeilern ruhend. Ersteres war für die Waaren bestimmt und letzteres für die Eseltreiber, die sich gütlich gelagert hatten und über lustig aufflam- menden Feuern ihr Abendmahl bereiteten. Diese Art Nacht- quartier gefiel uns zwar recht gut; wir zogen es aber vor, in den Gasthof zum „Stern“ zu gehen, wo uns die reinli- chen Zimmer und Betten und die würzig bereiteten Spei- fen doch noch beffer gefielen. 27. Sept. Von Porto d'Estrella bis Petropolis sind noch 7 Leguas. Gewöhnlich legt man diese Strecke auf Maulthieren zurück, die man per Stück mit vier Mil- reis bezahlt; da man uns aber in Rio de Janeiro diesen Weg als einen schönen Spaziergang geschildert hatte, der zum Theil durch herrliche Waldungen führe und überdieß höchst belebt und sicher sei, indem er die Hauptverbin- dungsstraße nach Minas Gueras bilde, so entschloffen wir uns, selben zu Fuß zu machen, um so mehr, als der Graf zu botanisieren, und ich Insekten zu sammeln wünschte. Die beiden ersten Leguas führten durch ein breites Thal, das größtentheils mit dichtem Gestrippe und jungen Wal- 70 dungen bedeckt und mit hohen Gebirgen umgeben war. Schön "ºhnen sich am Saume des Weges die wild wachsenden Ananafe aus, die, noch nicht ganz gereift, in rosenrothen Farben erglühten. Leider sind sie bei weitem nicht so schmackhaft, als sie schön aussehen, und werden daher auch "r selten gepflückt. Großes Vergnügen gewährten mir die Kolibris, deren ich hier mehrere der kleinsten Gattung sah. Man kann sich wirklich nichts zarteres und anmuthigeres als diese Thierchen denken. Sie holen ihre Nahrung aus den Blumenkelchen, die sie flatternd umschweben, wie die Schmetterlinge, mit welchen man sie in ihrem eiligen Fluge auch leicht verwechseln kann. Selten nur sieht man sie ruhend auf Aestchen sitzen. Nachdem wir das Thal durchschritten hatten, gelangten wir an die Serra – so benennen die Brasilianer die Spitze jedes Gebirges, das man überstei- gen muß. Diese hier vor uns war an 3000 Fuß hoch. Eine breite, gepflasterte Straße führte zwischen Urwaldun- gen den Berg hinan. Ich hatte mir immer vorgestellt, daß in einem Ur- walde die Bäume ungewöhnlich dicke und hohe Stämme haben müßten. Dies fand ich nun hier nicht – wahrschein- lich ist die Vegetation zu stark, und die Hauptstämme er- ficken und verfaulen unter den Maffen kleinerer Bäume, Gesträuche, Schling- und Schmarotzerpflanzen. Beide letz- tere Gattungen sind so häufig und überdecken derart die Bäume, daß man oft kaum die Blätter, viel weniger die Stämme derselben sieht. Ein Botaniker, Herr Schleierer, versicherte uns, einst auf einem Baume sechs und dreißigerlei Schling- und Schmarotzerpflanzen gefunden zu haben. Wir machten eine reiche Ernte an Blumen, Pflanzen 71 - und Infecten und verfolgten gemächlich unsern Weg, ent- zückt über die herrlichen Waldungen und die nicht minder reizenden Ansichten, die sich uns über Berg und Thal, nach dem Meere und seinen Buchten, ja theilweise sogar bis nach der Hauptstadt eröffneten. Häufige Truppa's*), von Negern geführt, so wie einzelne Fußgänger, deren wir vielen begegneten, benah- men uns jede Furcht, so daß uns das fortwährende Folgen eines Negers gar nicht auffiel. Als wir uns aber auf ei- ner etwas einsamen Stelle allein befanden, sprang er plötz- lich vor, in einer Hand ein langes Meffer, in der andern einen Lafo*) haltend, drang auf uns ein und gab uns mehr durch Geberden als Worte zu verstehen, daß er uns mor- den und in den Wald schleppen wolle. Wir führten keine Waffen bei uns, weil man uns diese Partie als ganz gefahrlos schilderte, und hatten zur Vertheidigung nichts als unsere Sonnenschirme. Ich besaß außerdem noch ein Taschenmeffer, welches ich augenblicklich aus der Tasche zog und öffnete, fest entschloffen, mein Le- bentheuer zu verkaufen. So gut es gehen wollte wehrten wir mit den Schirmen die Stiche ab. Die Schirme hielten aber nicht lange aus; überdies bekam der Neger den - - - - - - *) Unter einer Truppa versteht man 10 Maulthiere, die von einem Neger geführt werden; gewöhnlich vereinigen sich mehrere Truppa"s und bilden oft Züge von 100 – 200 Maulthieren. Es werden nämlich in Brasilien alle Gegen- stände auf Maulthieren fortgeschafft. **) Der Laso ist ein Strick mit einer Schleife; die Einge- bornen von Süd-Amerika wifen sich defen so geschickt zu bedienen, daß fiel die wildesten Thiere damit einfangen. 72 meinigen zu faffen – wir rangen darum – er brach ab und mir blieb nur ein Stückchen des Griffes in der Hand; doch war ihm bei diesem Ringen das Meffer entfallen und einige Schritte weggerollt – rasch fürzte ich darnach und dachte schon, es zu erfaffen, als er, schneller denn ich, mit Hand und Fuß mich davon wegstieß und sich deffelben wie- der bemächtigte. Er schwang es wüthend über meinem Haupte und brachte mir zwei Wunden bei, einen Stich und einen tiefen Schnitt, beide in den linken Oberarm *); nun hielt ich mich für verloren, und nur die Verzweiflung gab mir den Muth, auch von meinem Meffer Gebrauch zu machen. Ich führte einen Stoß nach der Brust des Negers, er wehrte ihn ab und ich verwundete ihn nur tüchtig an der Hand. Der Graf sprang hinzu und packte den Kerl von rückwärts, wodurch ich Gelegenheit bekam, mich wieder vom Boden zu erheben. Dies Alles war in dem Zeitraume einiger Augenblicke geschehen; die erhaltene Wunde hatte den Neger wüthend gemacht; er fletschte uns die Zähne entgegen wie ein wildes Thier und schwang ein Meffer mit fürchterlicher Schnelligkeit. Bald hatte der Graf auch einen Schnitt über die ganze Hand erhalten, und unfehl- bar wären wir verloren gewesen, hätte Gott nicht Hilfe ge- fandt. Wir vernahmen Pferdetritte auf dem Steinpflaster und augenblicklich ließ der Neger von uns ab und entsprang in den Wald. Gleich darauf bogen zwei Reiter um die *) Ich habe in der Beschreibung dieser Partie, die im De- zember des Jahres 1847, während ich noch auf den Rei- fen war, in A. Frankls Sonntagsblättern in Wien er- schien, die Thatsache meiner Verwundung verschwiegen, um meine Freunde und Verwandte nicht zu beunruhigen. 73 Ecke des Weges; wir eilten ihnen entgegen; die stark blu- tenden Wunden, so wie unsere zerschnittenen Schirme er- klärten schnell unsere Lage. Sie befragten uns um die Rich- tung, die der Flüchtling eingeschlagen hatte, sprangen von den Pferden und suchten ihn zu ereilen; doch wäre ihre Mühe vergebens gewesen, wenn nicht zwei Neger des Weges ge- kommen wären, die ihnen Hilfe leisteten und den Kerl bald einfingen. Er wurde gebunden und bekam, da er nicht ge- hen wollte, eine tüchtige Tracht Schläge, besonders über den Kopf, so daß ich fürchtete, der Hirnschädel müffe dem Armen eingeschlagen werden. Trotzdem verzog er keine Miene und blieb wie erstarrt auf der Erde liegen. Die beiden Neger mußten ihn auffaffen, wobei er, gleich einem wüthenden Thiere, um sich biß, und bis zu dem nächstgele- genen Hause tragen. Unsere Retter, so wie der Graf und ich gingen mit, ließen uns die Wunden verbinden und fetz- ten dann die Wanderung fort, zwar nicht ganz ohne Angst, besonders, wenn wir einem oder mehreren Negern begegne- neten, aber ohne weiteren Unfall und in immerwährender Bewunderung der reizenden Landschaft. Die Kolonie Petropolis liegt in der Mitte eines Ur- waldes, 2500 Fuß über der Meeresfläche. Sie wurde erst vor ungefähr 14 Monaten begründet und zwar hauptsäch- lich, um verschiedene Gattungen europäischer Gemüse und Früchte, die in den tropischen Ländern nur auf einer be- deutenden Höhe gedeihen, für den Bedarf der Hauptstadt zu ziehen. Eine kleine Reihe von Häusern bildete bereits eine Straße, und auf einem gelichteten Platze fanden schon die hölzernen Gerippe eines größeren Gebäudes, des kai- ferlichen Lustschloffes, das aber schwerlich ein kaiserliches 74 Ansehen bekommen dürfte, denn kleine, niedrige Eingangs- thüren stachen gar seltsam gegen die breiten und großen Fenster ab. Um das Schloß wird sich die Stadt bilden. Doch liegen auch viele einzelne Häuschen entfernter in den Waldungen. Ein Theil der Kolonisten, als: die Hand- werker, Krämer u. f. w. erhielten kleine Bauplätze in der Nähe des Schloffes, die Landbebauer größere, aber auch nicht mehr als 2 bis 3 Joch. – Was für Elend mögen die Guten in ihrem Heimathlande erlitten haben, um ei- niger Joche. Landes wegen einen fremden Welttheil aufzu- fuchen! – Unser gutes, altes Mütterchen, das die Reise mit uns von Deutschland nach Rio de Janeiro machte, fanden wir hier an der Seite ihres Sohnes. Die Freude, nun mit ihrem Liebling vereint schaffen und wirken zu können, hatte fie in dieser kurzen Zeit um Vieles verjüngt. Ihr Sohn wurde unser Leiter; er führte uns in der jungen Kolo- nie herum, welche in breiten Schluchten liegt; die sie umge- benden Berge sind so steil, daß, wenn sie von den Bäu- men entblößt und in Gartenland umgeschaffen sind, die weiche Erde leicht von den starken Regengüssen herabge- fchwemmt werden kann. Eine Legua von der Kolonie entfernt toset ein Waf- ferfall in einen sich selbst geschaffenen Schlund; er zeichnet sich mehr durch die keffelartige Einfaffung schöner Gebirge, durch die heilige Finsterniß der ihn umgebenden Urwälder, als durch Höhe oder durch Fülle an Waffer aus. 29. Sept. Trotz unseres früheren Unfalles machten wir doch den Rückweg nach Porto d'Estrella wieder zu Fuß, schifften uns auf einer Barke ein und fuhren die 75 schöne Nacht durch nach Rio de Janeiro, wo wir des Mor- gens glücklich ankamen. Ueberall, sowohl in Petropolis als auch in der Hauptstadt, wunderte man sich derart über den Mordanfall, welchem wir ausgesetzt waren, daß, wenn wir nicht Wunden erhalten, man uns gar nicht Glauben beigemeffen hätte. Man hielt den Kerl für betrunken oder verrückt. Erst später erfuhren wir die eigentliche Ursache. Sein Herr hatte ihn kurz zuvor eines Vergehens wegen gezüchtigt, und als er darauf uns in dem Walde traf, mochte er denken, nun Gelegenheit zu haben, seinen Haß gegen die Weißen ungestraft befriedigen zu können. Reise in das Innere von Brasilien. Die Städtchen Morroqueimado (Novo-Friburgo) und Aldea da Pedro – Pflanzungen der Europäer. – Waldbrände. – Urwälder. – Letzte Ansiedlung der Weißen. – Besuch bei den Indianern, auch Puris oder Kabocles genannt. – Rückkehr nach Rio de Janeiro Auch diese Reise trat ich in Gesellschaft des Grafen Verchtold an, nachdem wir beschloffen hatten, in das In- nere des Landes einzudringen und den Urbewohnern Bra- filiens einen Besuch abzustatten. - 2. Oktober. Morgens verließen wir Rio de Ja- neiro und fuhren auf einem Dampfboote nach dem 24 Seemeilen entfernten Hafen Sampajo. Dieser Hafen liegt an der Mündung des Fluffes Maccacu; besteht aber nur aus einem Gasthofe und zwei bis drei kleinen Häusern. Wir mietheten hier Maulthiere, um nach der 20 Leguas entfernten Stadt Morroqueimado zu reiten. Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken, daß es es in Brasilien Sitte ist, die Maulthiere ohne Führer zu vermiethen – ein großes Vertrauen, welches die Verlei- her den Reisenden schenken. An Ort und Stelle ange- langt, übergibt man die Thiere an einem, von dem Verlei- her bezeichneten Orte. Wir zogen es jedoch vor, einen 77 Führer mitzunehmen, da wir des Weges unkundig waren, eine Vorsicht, die wir um so weniger bereuten, als wir die Straße häufig mit hölzernen Gattern versperrt fanden, die immer auf- und zugemacht werden mußten. Der Preis für ein Maulthier betrug 12 Milreis. Da wir schon um 2 Uhr in Porto Sampaj0 ange- kommen waren, beschloffen wir nach Ponte do Pinheiro (4 Leguas) zu reiten. Der Weg führte größtentheils durch Thäler, die mit baumartigem Gestrippe bedeckt und von niederen Gebirgen umgeben waren. Im Ganzen erschien die Gegend sehr wild, und nur hier und da waren magere Weideplätze und armselige Hütten zu sehen. Das Städtchen Ponte de Cairas, das wir pafirten, be- steht aus einigen Kaufläden und Venden, mehreren kleineren Häusern, einem Kirchlein und einer Apotheke; der Haupt- platz glich einer Weide. – Ponte do Pinheiro ist etwas größer. Wir fanden da eine sehr gute Unterkunft, eintreff- liches Abendmahl, bestehend aus Hühnern mit Reis ge- dünstet, Weißbrod, Maniokmehl und portugiesischem Weine, gute Betten und ein Frühstück; bezahlten dafür aber auch 4 Milreis. - 3. Oktober. Erst um 7 Uhr kamen wir zum Auf- bruche; wie überall, ist auch hier zu Lande des Morgens kein Weiterkommen. Die Gegend behielt denselben Anstrich wie Tages vorher, nur näherten wir uns mehr den höheren Gebir- gen. Der Weg war ziemlich gut, desto schlechter aber wa- ren die Brücken über die Bäche und Pfützen; wir priesen uns stets glücklich, wenn wir eine solche ohne Anstand passiert hatten. Nach ungefähr drei Stunden (2 Leguas) erreichten wir 78 die große Zucker-Fazenda *) de Collegio, die in ihrer An- lage vollkommen einem großen Landsitze gleicht. An das geräumige Wohnhaus schließt sich eine Kapelle, umher lie- gen die Wirthschaftsgebäude und das Ganze ist von einer hohen Mauer umgeben. Weithin waren die Ebenen und niederen Anhöhen mit Zuckerrohr bepflanzt. Leider konnten wir die Berei- tung des Zuckers nicht sehen, da das Rohr noch nicht reif WAT. Der Reichthum eines Plantagenbesitzers wird in Bra- filien nach der Anzahl der Sclaven bemeffen. – Diese Pflanzung besaß 800 Sclaven – ein bedeutender Reich- thum, da jeder männliche Sclave 6–700 Milreis kostet. Unweit dieser Fazenda, rechts von der Straße, liegt die ebenfalls ziemlich bedeutende Fazenda Papagais; au- ßerdem sahen wir noch mehrere kleinere Pflanzungen, die in die einförmige Gegend etwas Leben brachten. St. Anna (4 Leguas) ist ein unbedeutender Ort, der nur aus einigen Häusern, einem Kirchlein und einer Apotheke besteht. Letztere darf in keinem brasilianischen Orte fehlen, und zählte er auch nur 12–15 Häuschen. Wir nahmen hier bei einem etwas prellerischen Wirth, Hrn. Gebhart, eine Eierspeise und eine Flasche Wein, ließen unsern Maulthieren etwas Mil geben und bezahlten dafür 3 Milreis. Wir ritten diesen Tag nur noch nach Mendoza (3 Leguas), einem noch unbedeutenderen Orte als St. Anna. Ein Kramladen und eine Venda waren die einzigen Ge- *) Fazenda heißt so viel wie: Plantage, Pflanzung. 79 bäude, die an der Straße lagen; doch entdeckten wir im Hintergrunde eine Maniok-Fazenda. Wir besuchten sie, und der Besitzer war so gefällig, uns erst mit schwarzem Kaffee zu bewirthen (eine in Brasilien übliche Sitte) und dann in seiner Pflanzung umher zu führen. Die Maniokpflanze treibt Stengel von 4 bis 6 Fuß Höhe hervor, die oben mehrere große Blätter haben. Der wichtige Theil dieser Pflanze ist die knollenartige Wurzel, die oft 2 – 3 Pfund wiegt und in ganz Brasilien die Stelle des Getreides vertritt. Sie wird gewaschen, ge- schält und an die äußere rauhe Rundung eines Mühlsteines, der durch Neger gedreht wird, so lange gehalten, bis sie zerrieben ist. Die Maffe wird hierauf in einen Korb gege- ben, fleißig abgewäffert und dann mittelsteiner Presse voll- kommen ausgedrückt. Zuletzt schüttet man sie auf große Ei- fenplatten, auf welchen sie durch gelind unterhaltene Hitze langsam getrocknet wird. Sie gleicht nun ganz einem gro- ben Mehle und wird statt des Brodes auf zweierlei Art gebraucht – naß und trocken. Im ersten Falle macht man sie mit heißem Waffer an, so daß sie die Form eines Breies hat; im zweiten Falle erscheint sie als grobes Mehl in kleinen Körbchen, woraus sich bei Tische jeder nach Belieben nimmt und über die Speisen freut. 4. Oktbr. Die Gebirge ziehen sich immer enger und enger zusammen und die Waldungen werden dichter und üppiger. Ueber alle Beschreibung schön machen sich die Schlingpflanzen, die nicht nur den Grund ganz überdecken, sondern derart mit den Bäumen verzweigt sind, daß ihre herrlichen Blumen an den höchsten Aesten hängen und als wunderbare Blüthen der Bäume erscheinen. Aber auch 80 Bäume gibt es, deren gelbe und rothe Blüthen den schön- sten Blumen gleichen und andere mit großen weißlichen Blättern, die wie Silber aus dem grünen, blüthenreichen Blättermeere hervor leuchten. Solche Wälder könnte man wahrlich die Riesengärten der Welt nennen. – Die Pal- men haben beinahe gänzlich aufgehört. - Bald hatten wir das Gebirge erreicht, das nun über- stiegen werden mußte. Wir kamen manchmal auf so hohe, freie Punkte, daß wir bis auf die Hauptstadt zurücksehen konnten. Auf der Spitze des Gebirges (Alta da Serra, 4 Leguas von Mendoza) fanden wir eine Venda. Von die- fem Punkte sind noch 4 Leguas nach Morroqueimado, die wir sehr langsam zurücklegten, da der Weg immer Berg auf und ab führte. Die herrlichsten Waldungen umgaben uns fortwährend von allen Seiten, und nur selten erinnerte uns eine kleine Pflanzung von Kabi *) oder Mil an die Nähe der Menschen. Wir sahen das Städtchen erst, nach- dem wir den letzten Hügel erstiegen hatten und schon ganz nahe waren. Es liegt in einem großen malerischen Gebirgs- keffel, 3200 Fuß über der Meeresfläche. Da die Nacht schon heran rückte, waren wir für heute froh, unser Nacht- quartier zu erreichen, das wir seitwärts des Städtchens bei einem Deutschen, Herrn Lindenroth, vortrefflich, und wie die Folge zeigte, sehr billig fanden, indem täglich die Person für Wohnung und drei gute Mahlzeiten einen Milreis bezahlte. *) Kabi, afrikanisches Gras, wird in ganz Brasilien ge- pflanzt, da nirgends Gras wächst. Es wächst sehr hoch und schilfartig. 81 5. Oktbr. Das Städtchen Novo Friburgo oder Mor- roqueimado wurde vor ungefähr 15 Jahren gegründet, und zwar von französischen Schweizern und Deutschen. Es zählt noch nicht ganz 100 gemauerte Häuser, die zum größeren Theil eine ungemein breite Straße bilden, zum Theil zerstreut umher liegen. Schon in Rio de Janeiro hatte man uns sehr viel von den Herren Beske und Freese erzählt und uns aufge- fordert, es ja nicht zu unterlaffen, beide zu besuchen. Herr Beske ist Naturforscher und lebt hier mit seiner Frau, die beinah so unterrichtet ist, wie er selbst. Wir unterhielten uns gar manche Stunde in ihrer lieben Ge- fellschaft; sie zeigten uns intereffante Sammlungen von vierfüßigen Thieren, Vögeln, Schlangen, Infekten u. f.w, unter welch letzteren wir mehr des schönen und merk- würdigen sahen, als im Museum zu Rio de Janeiro. Herr Beske hat stets viele Bestellungen naturhistorischer Ge- genstände nach Europa zu besorgen. – Herr Freese ist Vor- steher und Eigenthümer einer Erziehungsanstalt für Knaben, und zog es vor, sein Institut hier oben im kühleren Klima zu errichten, als unten in der heißen Stadt. Er war fo gefällig, uns die ganze Einrichtung der Anstalt zu zeigen. Da wir ihn gegen Abend besuchten, waren die Lehrstunden bereits geschloffen; doch führte er uns alle feine Schüler vor, ließ sie einige Turnübungen machen und gab ihnen verschiedene Fragen über Geschichte, Geo- graphie, Arithmetik u. f. w., die alle recht überlegt und richtig beantwortet wurden. Sein Institut zählt 60 Vlätze, welche sämmtlich besetzt waren, obwohl für jeden jährlich 1000 Milreis bezahlt werden. Pfeiffers Reise, 1. Th. 6 82 6. Oktober. Wir waren Willens gewesen, nur einen Tag in Novo Friburgo zu verweilen und dann gleich unsere Reise fortzusetzen. Leider hatte sich aber die Wunde, die der Graf auf unserm Ausfluge nach Petropo- lis in die Hand erhalten hatte, durch den angestrengten Gebrauch der Hand und in Folge der großen Hitze sehr verschlimmert; es kam eine Entzündung dazu, und so war für ihn an eine Fortsetzung der Reise nicht zu denken. Glücklicher war ich mit meinen Wunden, denn da sie sich am Oberarm befanden, konnte ich sie hinlänglich schonen und verwahren, – sie waren nun in voller Heilung begriffen und mir weder gefährlich noch hinderlich. Es blieb mir also nichts übrig, als entweder allein zu reisen, oder die interessanteste Partie, den Besuch bei den Indianern, aufzugeben. Zu letzterem konnte ich mich durchaus nicht entschließen; – ich erkundigte mich daher, ob diese Reise mit nur einiger Sicherheit zu machen sei, und da man mich deffen so halb und halb versicherte, und Herr Linden- roth mir überdieß einen zuverläßigen Führer verschaffte, fo trat ich, bewaffnet mit einer guten Doppelpistole, furcht- los meine Wanderung an. - Wir blieben Anfangs zwischen Gebirgen und fliegen wieder in die wärmere Region hinab. Die Thäler waren meist schmal und die Einförmigkeit der Waldregionen häufig durch Pflanzungen unterbrochen. Aber nicht alle Pflan- zungen sahen schön aus. Die meisten sind so voll Unkraut, daß man oft die eigentliche Pflanze, besonders wenn sie noch jung und klein ist, gar nicht heraus findet. Auf die Zucker- und Kaffee-Plantagen allein wird große Sorgfalt verwendet, 83 Die Kaffeebäume stehen reihenweise auf ziemlich fenk- rechten Hügeln. Sie erreichen eine Höhe von 6 bis 12 Fuß, fangen schon im zweiten, längstens im dritten Jahre an Früchte zu tragen und bleiben zehn Jahre fruchtbar. Ihr Blatt ist länglich und schwach ausgezackt, die Blüthe weiß, die Frucht setzt sich traubenförmig an und gleicht einer läng- lichten Kirche, die erst grün ist, dann roth, braun und endlich schwärzlich wird. Zur Zeit der rothen Farbe ist die äußere Schale noch weich; zuletzt wird sie aber voll- kommen hart und sieht wie eine hölzerne Kapsel aus. Man findet auf den Bäumen zu gleicher Zeit Blüthen, und ganz gereifte Früchte und erntet daher beinah das ganze Jahr. Die Ernte selbst geschieht auf zweierlei Art: entweder pflückt man die Früchte ab, oder man breitet große Strohmatten unter und schüttelt die Bäume. Die erstere Art ist die mühsamere, aber ungleich beffere. Ein neues Schauspiel, das mir hier zum erstenmal vorkam, waren häufige Waldbrände, die gelegt werden um das Land urbar zu machen. Meist fah ich nur von ferne ungeheure Rauchwolken empor wirbeln und wünschte nichts fehnlicher, als solch einem Brande recht nahe zu kommen. Mein Wunsch sollte noch an diesem Tage er- füllt werden, indem der Weg zwischen einem brennenden Walde und einem brennenden Rote *) mitten hindurch führte. Der Raum zwischen beiden betrug höchstens 50 Schritte und war ganz vom Rauche überdeckt. Man hörte das Knistern des Feuers und sah durch die Rauchwolken *) Unter Rost versteht man theils eine Strecke niedrigen Gebüsches, theils auch die Stellen so eben ausgebrannter Wälder, 6* 84 mächtige Flammensäulen aufzüngeln. Dazwischen tönten Knalle, gleich Kanonenschüffen, die von dem Falle der großen Bäume herrührten. Als mein Führer diesem Höllenpfuhle zuritt, ward mir doch etwas Angst; ich be- dachte aber, daß er sein Leben gewiß nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen würde und daher schon die Erfahrung haben müffe, daß solche Stellen zu passieren seien. Am Eingange saßen zwei Neger, um den Wanderer über die Richtung, die er einzuschlagen habe, zu belehren, und ihm die größte Eile zu empfehlen. Mein Führer übersetzte mir dieß, gab seinem Pferde die Sporen, ich folgte seinem Beispiele, und fo sprengten wir mit ver- hängten Zügel in die dampfende Schlucht. Glühende Asche flog um uns her, und beklemmender noch als die vom Brande ausgehende Hitze war der er- fickende Qualm des Rauches; auch unsern Thieren schien der Athem zu fehlen und wir hatten viel Mühe sie im Galoppe zu erhalten. Zum Glücke war die ganze Strecke nur fünf- bis sechshundert Schritte lang, und so gelangten wir ohne Unfall hindurch. - Solch' ein Brand gewinnt in Brasilien nie eine große Ausdehnung, da die Vegetation zu frisch ist und dem Feuer zu sehr entgegen arbeitet. Man muß den Wald an vielen Orten anzünden, und selbst da erlischt das Feuer häufig, und man findet mitten in dem abgebrannten Walde unversehrte Stellen. – Bald, nachdem wir diesen gefähr- lichen Weg paffiert hatten, kamen wir an herrliche Fel- fen, deren beinahe fenkrechte Wände eine Höhe von 600 – 800 Fuß haben mochten. Viele abgelöste Fels- stücke lagen an dem Wege und bildeten hübsche Gruppen. 85 Zu meinem Erstaunen vernahm ich von meinem Führer, daß unser heutiges Nachtquartier schon ganz nahe fei. Wir hatten kaum 5 Leguas zurückgelegt; doch sollte nach seiner Behauptung eine weitere Venda, wo wir über Nacht bleiben könnten, gar zu entfernt sein. In der Folge fah ich wohl, daß es ihm nur um die Verlängerung der Reise zu thun war, die ihm ein hübsches Geld einbrachte, da er, außer sehr guter Kost und Futter für die beiden Maulthiere, täglich vier Milreis bekam. Wir blieben also in einer einzeln liegenden Venda, mitten im dichten Walde, bei Herrn Molaß über Nacht. Von der Hitze hatten wir unter Tages sehr viel gelitten – der Thermometer wies in der Sonne auf 39 Grade. Was einem Reisenden an den Kolonisten und Be- wohnern Brasiliens am meisten auffallen muß, sind die Kontraste von Furcht und Muth. Einerseits ist. Jeder- mann, den man auf der Straße sieht, mit Pistolen und langen Meffern bewaffnet, als wäre das ganze Land voll Räuber und Mörder, – andrerseits haufen die Planta- gen-Besitzer forglos ganz allein in Mitte ihrer Maffe von Sclaven, und der Reisende übernachtet furchtlos mitten in den undurchdringlichsten Waldungen in einsamen Venden, die weder Gitter vor den Fenstern, noch feste Thüren mit guten Schlöffern besitzen. Das Wohnzimmer der Eigen- thümer ist noch überdieß von den Gastzimmern weit ge- trennt und abfeit gelegen, und von den Hausleuten (lauter Sclaven) könnte man schon gar keine Hilfe erlan- gen, da sie in irgend einer Ecke des Stalles oder der Scheuer wohnen. Anfangs bangte mir sehr, so umgeben 86 von der wilden, finstern Waldung, abgeschnitten von jeder Hilfe, allein in einem nur leicht geschloffenen Zimmer die Nächte zuzubringen. Da man mir aber überall ver- sicherte, gar nie von einem Einbruche gehört zu haben, verabschiedete ich bald die überflüffige Furcht und schlief vollkommen ruhig. In Europa kenne ich nur wenig Länder, wo ich wagen möchte, bloß in Begleitung eines gedungenen Füh- rers durch dichte Wälder zu reisen und in so schauerlich einsamen Häuschen die Nächte zuzubringen. Am 7. Oktober machten wir ebenfalls nur eine kleine Tagreise von 5 Leguas nach dem Städtchen Canto Gallo. Die Gegend blieb sich gleich, enge Thäler ohne Aussichten, und Gebirge, bedeckt mit unübersehbaren Waldungen. Erinnerten nicht hin und wieder kleine Fa- zenden oder gelegte Waldbrände an die Hand des Men- fchen, so könnte man vermeinen, in einem noch unent- deckten Theile Brasiliens umherzustreifen. Eine abenteuerliche Abwechslung in dieses Einerlei brachte ein kurzes Abkommen vom Wege. Wir mußten, um die rechte Straße wieder zu erreichen, mitten durch den Wald über ungebahnte Fährten dringen, – eine Auf- gabe, von der sich ein Europäer kaum einen Begriff machen kann. Wir stiegen von den Thieren, der Führer hieb rechts und links die tief hängenden Baumzweige ab und durchschnitt das dichte Gewebe der Schlingpflanzen. Bald mußten wir über abgebrochene Stämme klettern, zwischen anderen uns durchzwängen, bald versanken wir bis an die Kniee in das Geflechte der zahllosen Schlingpflanzen. Ich begann fast an der Möglichkeit des Durchdringens zu 87 zweifeln und begreife noch heute nicht, wie es uns gelang, diesem unentwirrbaren Dickicht zu entkommen. Das Städtchen Canto Gallo liegt in einem engen Thale und zählt ungefähr 80 Häuser. Die Venda steht abseit, und man sieht das Städtchen von ihr aus gar nicht. – Die Temperatur ist hier so heiß wie jene von Rio de Janeiro. Von einem kurzen Spaziergange nach dem Städt- chen in die Venda zurückgekehrt, setzte ich mich zu meiner Wirthin, um einmal so recht in der Nähe eine brasiliani- sche Haushaltung zu sehen. Die liebe Wirthin beküm- merte sich jedoch wenig um Wirthschaft und Küche, – wie in Italien, war dieß die Sache des Mannes. Das Kochen besorgte eine Negerin mit zwei Negerjungen, und die Einrichtung der Küche war im höchsten Grade einfach. Das Salz wurde mit einer Flasche zerdrückt, die gekoch- ten Kartoffeln desgleichen; hieraufpreßte man letztere mittelst eines Tellers in die Pfanne, um ihnen dadurch die Form eines Kuchens zu geben – ein spitziges Holz diente zur Gabel u.fw. Für jedes Gericht brannte ein eigenes großes Feuer. An der Tafel nahm alles Platz, was von weißer Farbe war. Sämmtliche Gerichte, bestehend aus kaltem Rinderbraten, schwarzen Bohnen mit gekochtem Carna secca *), Kartoffeln, Reis, Maniokmehl und gekochten Maniokwurzeln, wurden zugleich auf den Tisch gestellt und jeder langte nach Belieben zu. Zum Schluffe kam schwar- *) Carna sccca ist in ganz Brasilien ein Hauptnahrungs- artikel für Weiße und Schwarze; er kommt von Buenos- Ayres und besteht aus Ochsenfleisch in lange, flache und breite Streifen geschnitten, eingefalzt und in der Luft getrocknet. 88 zer Kaffee. Die Sclaven wurden mit Bohnen, Carna secca und Maniokmehl abgespeist. 8. Oktober. Die Fazenda Boa Esperanza, 6 Le- guas entfernt, war unser heutiges Ziel. Eine Legua hin- ter Canto Gallo kamen wir an einem kleinen Wafferfalle vorüber, und dann ging es durch die herrlichsten Urwälder, die ich bisher noch gesehen. Ein schmaler Steig, am Saume eines Bächleins führte hindurch. Palmen mit ihren majestätischen Kronen erhoben sich stolz über die Blätterbäume, die sich traulich unter ihnen wölbten und herrliche Boskette bildeten – Orchideen wucherten auf den Zweigen und Aesten – Schlingpflanzen und Farrenkräuter schoffen, an den Bäumen auf, verzweigten sich mit den Aesten und bildeten dichte Blumen- und Blüthenmauern, die mit den prachtvollsten Farben prangten und einen bal- jamischen Duft aushauchten – zarte Kolibris schwirrten umher – scheu flog der schön gefärbte Pfeffervogel empor, – Papageien und Parakite wiegten sich in den Aleten, und noch viele andere herrlich gefärbte Vögel, die ich nur aus dem Museum kannte, belebten diesen Zauberhain. Mir war's, als ritt ich in einem Feenparke, und jeden Augenblick meinte ich, Sylphen und Nymphen erscheinen zu sehen. Ich war überglücklich und fühlte die Anstrengung meiner Reise reichlich belohnt. Nur ein Gedanke trübte den Sonnenschein dieses entzückenden Bildes, der Gedanke, daß der schwache Mensch es wagt, mit dieser Riesennatur in Kampf zu treten, um sie einem Willen zu beugen. Wie bald mag vielleicht diese tiefe, heilige Ruhe durch die 89 Artschläge kühner Ansiedler gestört werden, um Raum zu geben für die Bedürfniffe des Lebens. Von gefährlichen Thieren sah ich nur einige dunkel- grün gefärbte Schlangen von 5 bis 7 Fuß Länge, eine getödtete Unze, der man das Fell abgezogen hatte, und eine 3 Fuß lange Eidechse, die ängstlich über den Weg lief. – Affen erblickte ich gar nicht. Die scheinen sich noch tiefer in den Waldungen zu bergen, wo so leicht kein menschlicher Fußtritt sie in ihren Sprüngen und Spielen stört. Auf dem ganzen Wege von Canto Gallo bis zu dem kleinen Dörfchen St. Ritta (4 Leguas) sahen wir auch nur an einigen Kaffeepflanzungen, daß die Gegend nicht ganz von Menschen vergeffen ist. Bei St. Ritta gibt es einige Goldwäschereien im Fluffe gleichen Namens, und nicht weit davon werden auch Diamanten gefunden. Seit das Diamanten-Suchen oder Graben kein kaiserliches Monopol mehr ist, kann sich jedermann diesem Geschäfte unterziehen, und dennoch wird es so viel als möglich insgeheim betrieben. Niemand will bekennen, darnach zu suchen, um dem Staat den ge- fetzlichen Antheil zu entziehen. – Die Edelsteine werden an gewissen Stellen in von Regengüssen herbei geschwemm- tem Sand- und Steingerölle und Erdreiche sorgfältig aufgesucht und ausgegraben. Zu Canto Gallo hatte ich vergangene Nacht zum letzten Male in einer Venda Unterkunft gefunden. Von nun an war ich auf die Gastfreundschaft der Fazendenbe- fizer gewiesen. Erreicht man eine Fazenda, in der man über Mittag oder über Nacht bleiben will, so erfordert 96) es die Sitte, an der Außenseite des Gehöftes anzuhalten und durch den Diener um die Erlaubniß anfragen zu laffen. Erst wenn die Bitte gewährt ist, was beinahe durchgehends geschieht, steigt man vom Maulthiere und begibt sich in das Gehöft. Ich wurde in der Fazenda Boa Esperanza äußerst freundlich aufgenommen, und da ich gerade zum Mittag- mahle kam (es war zwischen 3 und 4 Uhr), stellte man augenblicklich für mich und meinen Diener Gedecke auf den Tisch. Die Gerichte waren zahlreich und so ziemlich nach europäischer Art bereitet. In jeder Venda und in jeder Fazenda verwunderte man sich ungemein, wenn man mich, eine Frau, mit einem einzigen Diener herankommen sah. Die erste Frage war stets, ob ich mich nicht fürchte, die Wälder so allein zu durchstreifen; – mein Führer wurde überall bei Seite genommen und gefragt, warum ich denn reife. – Da ich nun häufig Blumen und Insekten sammelte, hielt er mich für eine Naturforscherin und gab die Wiffenschaft für den Zweck meiner Reise aus. Als die Tafel vorüber war, schlug mir die freund- liche Hausfrau vor, die Kaffeepflanzungen, Magazine u.fw. zu besuchen. Gerne nahm ich diesen Vorschlag an, der mir Gelegenheit bot, die Bereitung des Kaffees von An- fang bis zu Ende zu sehen. Die Art und Weise des Pflückens habe ich bereits erzählt. – Ist dieß geschehen, so wird der Kaffee auf großen Plätzen ausgebreitet, die eigens festgestampft und von niedern, kaum fußhohen, gemauerten Wänden um- geben sind. Letztere haben kleine Abzugslöcher, damit im 91 Falle eines Regens das Waffer ablaufen kann. Auf diesen Plätzen wird der Kaffee von der glühenden Son- nenhitze getrocknet und dann in große, steinerne Mörser geschüttet, deren 10 – 20 unter einem hölzernen Sparr- werke aufgestellt sind, von welchem hölzerne Hämmer in die Mörfer fallen und die Hülse leicht zerdrücken. Die Hämmer werden durch Wafferkraft in Bewegung gesetzt. Die gequetschte Maffe kommt hierauf in hölzerne Kasten, die in Mitte einer langen Tafel befestiget sind und an beiden Seiten kleine Oeffnungen haben, aus welchen der Kaffee sammt der Spreu langsam heraus fällt. An der Tafel selbst sitzen Neger, die den Kaffee von der Spreu sondern und ihn dann in flache, kupferne, leicht erhitzte Keffel bringen. Hier wird er fleißig umgewendet und bleibt so lange, bis er vollkommen getrocknet ist. Diese letzte Arbeit fordert einige Aufmerksamkeit, da von dem Grade der Hitze die Farbe des Kaffees abhängt; wird er zu schnell getrocknet, so bekömmt er statt der grünlichen eine gelbliche Farbe. Im Ganzen ist die Bearbeitung des Kaffees nicht anstrengend, und selbst die Ernte desselben ist bei weitem nicht so beschwerlich als bei uns der Getreidesschnitt. Der Neger pflückt den Kaffee in aufrechter Stellung und ist durch das Bäumchen selbst vor der großen Sonnenhitze geschützt. Die einzige Gefahr ist, von giftigen Schlangen gestochen zu werden, ein Fall, der sich glücklicherweise höchst selten ereignet. Dagegen sollen die Arbeiten auf einer Zuckerplan- tage höchst anstrengend sein, worunter besonders das Aus- jäten des Unkrautes und das Schneiden des Rohres ge- hören – Ich habe noch keiner Zuckerernte beigewohnt; vielleicht werde ich noch im Laufe der Reise dazu kommen. Mit Sonnenuntergang endet die Arbeit; dann stellen die Neger sich vor dem Herrenhause auf und werden gezählt. Nach einem kurzen Gebete wird ihnen die Abend- mahlzeit gereicht, die aus gekochten Bohnen mit Speck, Carna secca und Maniokmehl besteht. Mit Sonnenauf- gang versammeln sie sich wieder, werden abermals gezählt und gehen nach abgehaltenem Gebete und Frühstücke an die Arbeit. Ich hatte in dieser, wie in vielen andern Fazenden, Venden und Privathäusern Gelegenheit zu beobachten, daß man mit den Sclaven bei weitem nicht so hart umgeht, als wir Europäer es meinen. Sie werden mit Arbeit nicht überladen, gehen allen ihren Geschäften sehr gemäch- lich nach und werden gut genährt. Ihre Kinder sind häufig die Gespielen der Kinder ihrer Herren und bal- gen sich mit jenen herum wie mit ihres gleichen. Es mag auch Fälle geben, daß der eine oder der andere Sclave hart und unverschuldet gezüchtiget wird; aber haben dergleichen Ungerechtigkeiten nicht auch in Europa statt? Ich bin gewiß eine große Gegnerin der Sclaverei, und ihre Abschaffung würde ich mit unendlicher Seelen- freude begrüßen. Deffenungeachtet wiederhole ich meine Behauptung, daß der Negerclave unter Gesetzen ein befe- ures Loos habe, als der freie Fellah in Egypten und als viele Bauern in Europa, die noch unter der Last der Robot seufzen. – Die Hauptursache des beffern Looses 93 eines Sclaven gegenüber dem robotpflichtigen Bauer mag zum Theil hierin liegen, daß der Ankauf und Unterhalt des ersteren kostspielig ist, während man für den letzteren nichts auszulegen hat. Die Einrichtung der Herrenhäuser auf den Fazenden ist höchst einfach. Die Fenster sind ohne Glas und wer- den des Nachts mit hölzernen Laden geschloffen. Oft wölbt sich über alle Zimmer das Dach als gemeinschaft- liche Decke, und die einzelnen Zimmer sind nur durch niedere Wände von einander getrennt, so daß man jedes Wort des Nachbars, ja beinahe den Althemzug jedes Schlafenden deutlich vernimmt. Die Möbels sind eben so einfach – ein großer Speisetisch, einige Divans mit Stroh durchflochten und einige Stühle. Die Kleider hängen ge- wöhnlich an den Wänden, und nur die Wäsche wird in blecherne Koffer gelegt, um sie vor dem Benagen der Amei- fen und Baraten zu bewahren. - - Die Kinder, selbst der reichen Leute, gehen auf dem Lande häufig ohne Schuhe und Strümpfe. Vor dem Schla- fengehen untersucht man ihre Füßchen, ob sich Sandflöhe eingenistet haben, die dann mittelst einer Stecknadel von den ältern schwarzen Kindern herausgenommen werden. 9. Oktober. Zeitlich des Morgens nahm ich von meinen gütigen Wirthen Abschied. Die sorgsame Hausfrau packte mir noch ein gebratenes Huhn, Maniok- mehl und Käse ein, und so trat ich wohl ausgerüstet die fernere Reife an. Die nächste Station, Aldea do Pedro, an dem Ufer des Parahyby, war vier Leguas entfernt. Man reitet durch herrliche Waldungen und kommt bereits auf hal- 94 bem Wege zu dem Strome Parahyby, der einer der größe- ren Brasiliens ist und sich außerdem durch fein höchst originelles Flußbett auszeichnet. Er ist nämlich mit un- zähligen Klippen und Felsen übersäet, die, da er gerade nicht sehr wafferreich war, um so mehr hervortraten; allerorts erhoben sich kleine, mit Bäumchen oder Gebüsch bewachsene Inselchen, die ihm einen zauberhaften Reiz verliehen. In der Regenzeit sollen wohl die meisten Felsen und Klippen vom Waffer überspült fein und der Strom selbst erscheint, dann noch um vieles größer und majestätischer; doch ist er dieser zahllosen Klippen und Felsen wegen nur immer mit Booten und kleinen Flößen zu befahren. Wie man den Ufern des Fluffes entlang reitet, än- dert sich die Landschaft; die Vordergebirge laufen in nie- dere Hügel aus, die Berge treten zurück, und je mehr man sich Aldea do Pedro nähert, desto freier und weiter wird das Thal. Nur im Hintergrunde erheben sich wie- der schöne Gebirge, darunter ein ziemlich freistehender, hoher, etwas kahler Berg. Auf diesen wies mein Füh- rer und bedeutete mir, daß dahin unser Weg führe, um die Puris, die hinter jenen Bergen wohnten, aufzusuchen. Ich kam gegen Mittag und fand in Aldea do Pedro ein Dörfchen mit einer gemauerten Kirche, die über 200 Menschen faffen mochte. Ich war Willens gewesen, noch denselben Tag meine Wanderung zu den Puris fortzusetzen; allein mein Führer hatte Schmerzen am Knie bekommen und konnte nicht weiter reiten. Es blieb mir nichts übrig, als bei dem Geistlichen abzusteigen, der mich auch gerne 95 aufnahm. Er hatte eine ziemlich gute Wohnung, die mit der Kirche unmittelbar in Verbindung fand. 10. Oktober. Da sich das Uebel meines Füh- rers verschlimmert hatte, bot mir der Geistliche feinen Neger an dessen Stelle an. Ich nahm diesen Antrag dankbar an, konnte aber dennoch vor 1 Uhr nicht fort- kommen. Einerseits that mir dieß nicht leid, da gerade Sonntag war und ich eine Menge Landleute zur Meffe herbeiströmen zu sehen hoffte. Dem war aber nicht so. Obwohl der Tag wunderschön war, kamen kaum 30 Men- fchen in die Kirche. Die Männer waren ganz nach Euro- päischer Art gekleidet; die Weiber trugen lange Mäntel mit Krägen und hatten um den Kopf weiße Tücher ge- schlagen, von welchen ein Theil auch das Gesicht bedeckte, das sie jedoch in der Kirche entblößten. Beide Geschlech- ter gingen barfuß. Der Zufall fügte es, daß ich einem Begräbnisse und einer Taufe beiwohnte. Schon vor Anfang der Meffe kam ein Boot über den Parahyby gefahren, und am Ufer angelangt, hob man eine Hängematte heraus, in welcher sich der Verstorbene befand. Man legte ihn in einen offenen Sarg, der in einem Hause nächst dem Friedhofe ausgestellt wurde. Der Leichnam war mit einem weißen Tuche überdeckt, doch sahen die Füße und der halbe Kopf heraus. Letzterer steckte in einer spitzen Kappe von glän- zend schwarzem Zeuge. - Vor der Todtenfeier fand noch die Taufe statt. Der Täufling, ein 15jähriger Negerjunge, stand mit feiner Mutter an der Pforte der Kirche. Als der Priester in die Kirche ging, um die Messe zu lesen, stempelte er ihn 96 im Vorübergehen zum Christen, ohne viele Ceremonien und Erbauung, ja ohne Zeugen. Der gute Junge schien auch von der ganzen Handlung so wenig ergriffen wie ein neugeborenes Kind; ich glaube kaum, daß er, fammt feiner Mutter, einen Begriff von der Wichtigkeit dieser Handlung hatte. - Der Priester las hierauf im Fluge die Meffe und fegnete dann den Todten ein, der, nebenbei gesagt, einer etwas wohlhabenden Familie angehörte und daher eine ordentliche Bestattung bekam. – Aber, o Unglück! Als man den Todten in ein kaltes Ruhebett legen wollte, fand man es zu kurz und zu schmal. Der Arme wurde nun fammt seinem Sarge hin und her gestoßen, so daß ich jeden Augenblick erwartete, ihn aus selbem herauskollern zu sehen. Das half aber Alles nichts: nach vielen nutz- losen Anstrengungen blieb den Leuten doch nichts ande- res übrig, als den Sarg bei Seite zu stellen und das Grab größer zu machen, was sie unter beständigem Schim- pfen und Schmollen thaten. Diese erschöpfenden Handlungen waren endlich alle vorüber. Ich kehrte nach Hause zurück, nahm in Gefell- fchaft des Priesters ein gutes Gabelfrühstück und machte mich dann mit meinem schwarzen Begleiter auf die Reise. Wir ritten lange in einem großen Thale zwischen herrlichen Waldungen und mußten zwei Ströme, den Para- hyby und den Pomba, in ausgehöhlten Baumstämmen übersetzen. Für jede dieser erbärmlichen Ueberfahrten mußte 1 Milreis bezahlt werden, und dabei war noch große Gefahr, nicht sowohl des Stromes und des kleinen Fahr- zeuges halber, als wegen der Thiere, die an der Halfter 97 gehalten, neben dem Kahne schwimmen mußten und dem- selben häufig so nahe kamen, daß ich jeden Augenblick besorgte, er würde umgestürzt werden. Nachdem wir an 3 Leguas zurückgelegt hatten, er- reichten wir die letzte Niederlaffung der Weißen*). Auf einem freien Platze, der mit Mühe dem Urwald abgerun- gen war, stand ein ziemlich großes, hölzernes Haus, um- geben von einigen elenden Hütten; das Haus diente den Weißen, die Hütten ihren Sclaven zum Aufenthalte. Ein Brief, den ich vom Pfarrer mitbrachte, verschaffte mir gute Aufnahme. Die Wirthschaft in dieser Ansiedlung war der Art, daß ich schon hier wähnte, mich unter Wilden zu be- finden. Das große Haus enthielt eine Vorhalle, von wel- cher man in vier Zimmer gelangte, deren jedes von einer weißen Familie bewohnt war. Die ganze Einrichtung die- fer Zimmer bestand aus einigen Hängmatten und Stroh- decken. Die Inwohner kauerten auf dem Boden und spiel- ten mit den Kindern oder halfen sich gegenseitig vom Un- geziefer befreien. Die Küche stieß unmittelbar an das Haus und glich einer sehr großen, durchlöcherten Scheuer; auf einem Herde, der beinahe die Länge der Scheuer einnahm, brannten viele Feuer; darüber hingen kleine Keffel und an den Seiten waren hölzerne Spieße befestiget, an wel- chen einige Stücke Fleisch theils vom Feuer, theils vom *) Unter den „Weißen“ versteht man nicht nur neu ein- gewanderte Europäer, sondern auch die seit Jahrhunderten angesiedelten Portugiesen. Pfeiffers Reise, I Th. 7 98 Rauche gar gemacht wurden. Die Küche war voll Men- fchen; da gab es Weiße, Puris und Neger, Kinder von Weißen und Puris oder von Puris und Negern,– kurz eine wahre Musterkarte von den verschiedensten Ver- zweigungen dieser drei Hauptracen. Im Hofe wimmelte es von Hühnern, schön gefärbten Enten und Gänsen; auch fah ich ungeheuer gemästete Schweine und fürchterlich häßliche Hunde. Unter einigen Cocospalmen und Tamarinden-Bäumen, die mit herrli- chen Früchten überladen waren, faßen Weiße und Far- bige, einzeln oder in Gruppen, größtentheils damit be- schäftiget, ihren Hunger zu stillen. Die einen hatten zer- brochene Töpfe oder Kürbisschalen vor sich, worin sie mit den Händen gekochte Bohnen und Maniokmehl vermeng- ten, welch dicke, unappetitlich aussehende Maffe sie mit großer Begierde verspeisten. Andere verzehrten Stücke Fleisch, die sie ebenfalls mit den Händen auseinander riffen und abwechselnd mit einer handvoll Maniokmehl in den Mund warfen. Auch die Kinder hatten ihre Scha- len vor sich, deren Inhalt sie jedoch tapfer vertheidigen mußten, denn bald pickte ein Huhn etwas heraus, bald er- haschte ein Hund einen Biffen, oder es kam wohl gar ein Ferkelchen heran gewackelt, das dann immer ganz fröhlich grunzte, wenn es den Gang nicht vergebens gemacht hatte. Während ich noch meine Beobachtungen verfolgte, erhob sich plötzlich außer dem Hofe ein lustiges Geschrei; ich ging dahin und sah zwei Jungen eine große, gewiß über 7 Fuß lange schwarzbraune Schlange an einer Baf- schnur einherschleppen. Sie war bereits todt; so viel ich 99 - aus den Erklärungen der Leute entnehmen konnte, ist ihr Biß so gefährlich, daß man nach ihm sogleich ganz auf- schwillt und stirbt. Diese Beschreibung flößte mir denn doch etwas Angst ein; ich wollte wenigstens nicht bei anbrechender Dunkel- heit durch die Wälder ziehen, wobei ich vielleicht unter irgend einem Baume ein Nachtlager hätte aufschlagen müffen, und verschob daher meinen Besuch bei den Wilden auf den nächsten Morgen. Die guten Leute meinten, ich fürchte mich vor den Wilden und versicherten mir beständig, daß es harmlose Menschen seien, von denen ich durchaus nichts zu besorgen hätte. Da sich meine ganze Kenntniß der portu- giesischen Sprache nur auf wenige Worte beschränkte, wurde es mir ein Bischen schwer, mich ihnen verständlich zu ma- chen, und nur mit Hilfe von Gesticulationen und mitunter auch durch Zeichnungen gelang es mir, ihnen den eigent- lichen Grund meiner Furcht zu erklären. Ich blieb also über Nacht bei diesen Halbwilden, die mir fortwährend die größte Achtung erwiesen und mich mit Aufmerksamkeiten überhäuften. Eine Strohmatte, nach meinem Wunsche unter einem Dache im Hofe ausgebrei- tet, war mein Lager. Zum Abendimbiffe brachte man mir ein gebratenes Huhn, Reis, hartgekochte Eier und zum Nachtische Orangen und Tamarinden-Schoten, welch letz- tere ein braunes, äußerst schmackhaftes, süß-säuerliches Fleisch enthalten. Die Weiber lagerten sich um mich und ich verständigte mich nach und nach mit ihnen zum Ver- wundern gut. Ich wies ihnen die verschiedenen Blumen und In- fecten, die ich während des Tages gesammelt hatte. Sie 100 mochten mich deshalb für eine gar gelehrte Person halten und maßen mir als solcher auch medizinische Kenntniffe bei. Sie erbaten sich meinen Rath für verschiedene Krankheits- fälle – da gab es Ohrenstechen, Hautausschläge und bei den Kindern bedeutende Scrophelanlagen u. f.w. Ich ver- ordnete lauwarme Bäder, Waschungen, Oel- und Sei- fen-Einreibungen – und wollte Gott, daß das alles wirk- lich geholfen hat. Am 11. Oktober ging ich, in Begleitung einer Ne- gerin und eines Puri, in die Wälder, um die Indianer aufzusuchen. Wir arbeiteten uns theilweise mit vieler Mühe durch das Dickicht und fanden auch wieder schmale Steige, auf welchen sich die Wanderung etwas leichter fortsetzen ließ. Nach ungefähr 8 Stunden stießen wir auf einige Puris, die uns zu ihren nahen Hütten führten. Hier traf ich die größte Dürftigkeit, das größte Elend! – Ich hatte auf meinen Reisen schon manche Bilder der Armuth gesehen, doch nirgends in solcher Weise. Auf einem kleinen Raume unter hohen Bäumen waren fünf Hütten oder eigentlich Laubdächer (bei 18 Fuß lang und 12 Fuß breit), aufgeschlagen. Vier Stan- gen in die Erde gesteckt, daran eine Querstange, bildeten das Gerippe,– große Palmblätter, zwischen welchen der Regen ganz bequem eindringen konnte, das Dach. Auf drei Seiten war die Laube ganz offen. Im Innern hin- gen ein Paar Hängematten und auf der Erde glomm et- was Feuer und Asche, in welcher einige Wurzeln, Mais- kolben und Bananeu geröstet wurden. In einem Winkel- chen unter dem Dache war ein kleiner Vorrath dieser Le- 101 bensmittel aufgespeichert und einige Kürbisschalen la- gen herum, die den Wilden statt der Schüffeln, Töpfe, Wafferkrüge u. fw.dienen. Die langen Bogen und Pfeile, ihre einzige Waffe, lehnten im Hintergrunde an der Wand. Ich fand die Indianer noch häßlicher als die Ne- ger; – ihre Hautfarbe ist lichtbronce, ihre Statur gedrun- gen und von mittlerer Größe. Sie haben breite, etwas zusammengeschobene Gesichter und kohlschwarzes, straff herabhängendes, dichtes Haar, welches die Weiber zum Theil in Flechten tragen, die sie am Hinterkopfe befestigen, zum Theil ungeflochten herabhängen lassen. Die Stirn ist breit und nieder, die Nase etwas gequetscht, die Au- gen klein geschlitzt, beinahe nach Art der Chinesen, der Mund sehr groß mit etwas dicken Lippen. Um all diese Schönheiten noch mehr hervorzuheben, ist über das ganze Gesicht ein eigner Zug von Dummheit gelagert, der sich besonders durch den beständig offen stehenden Mund aus- drückt. Die meisten, sowohl Männer als Weiber, waren mit röthlicher oder blauer Farbe tätowiert, jedoch nur um den Mund in Form eines Schnurbartes. Beide Geschlech- ter rauchen leidenschaftlich Tabak und lieben den Brannt- wein über alles. Ihre Bekleidung bestand aus einigen Lumpen, die sie um die Lenden geschlagen hatten. Ich hatte schon über die Puris in Novo Friburgo einige nicht uninteressante Notizen erhalten, die ich daher folgendermaßen mittheile. Die Zahl der noch übrig gebliebenen Indianer von Brasilien soll sich nur mehr gegen 500.000 be- laufen, die tief in das Land hinein zerstreut in den Wäl- 102 dern leben. Nie laffen sich mehr als 6–7 Familien an einem und demselben Orte nieder, und jeden Ort verlaffen sie wieder, sobald sie das Wild umher getödtet, die Früchte und Wurzeln aufgezehrt haben. Viele dieser Indianer haben die Taufe erhalten. Für etwas Branntwein und Tabak sind sie augenblicklich bereit, diese Feierlichkeit an sich ergehen zu laffen, und bedauern nur, daß sie nicht öfter wiederholt werden kann, um so mehr, da die Cere- monie schnell abgethan ist. Der Priester glaubt durch diese heilige Handlung allein schon dem Himmel eine Seele ge- wonnen zu haben und kümmert sich ferner weder um Unterricht noch um Sitten und Gebräuche seiner Täuf- linge. Sie heißen zwar nun Christen oder gezähmte Wilde, leben aber wie früher nach heidnischer Art. So schließen sie z. B. Ehen auf unbestimmte Zeit, erwäh- len sich Kaziken (Häuptlinge), die sie aus den größten und stärksten Männern nehmen und üben alle ihre Gebräuche bei Schließung der Ehen, Todesfällen u. f. w. vor wie nach der Taufe aus. Ihre Sprache ist höchst arm. So sollen sie z. B. nur 1 und 2 zählen können und müffen daher diese bei- den Zahlen immer wiederholen, wenn sie eine größere Zahl ausdrücken wollen. Ferner haben sie für heute, morgen und gestern nur das Wort Tag; die nähere Bedeutung drücken sie durch Zeichen aus. Für heute fa- gen sie Tag und fühlen sich dabei auf den Kopf oder deuten gerade in die Höhe, – für morgen, ebenfalls Tag, wobei sie mit dem Finger nach vorwärts zeigen, und für gestern wieder Tag, wobei sie hinter sich deuten. Die Puris sollen ganz vorzüglich zum Aufspüren 103 entflohener Neger zu gebrauchen sein, da ihre Geruchs- organe besonders ausgebildet sind. Sie riechen die Spur des Entflohenen an den Blättern der Bäume, und gelingt es dem Neger nicht, einen Strom zu erreichen, in welchem er eine große Strecke gehen oder schwimmen kann, so soll er dem ihm nachspürenden Indianer nur äußerst selten entkommen. Auch zu schweren Arbeiten, zum Holzfällen, zu Mais- und Maniok-Anbau u.fw. hat man diese Wil- den gern, da sie fleißig sind und mit etwas Tabak, Brannt- wein oder farbigem Zeuge leicht abgelohnt werden. Doch darf man sich ihrer durchaus nicht mit Gewalt bemächti- gen – sie sind freie Menschen. Sie kommen gewöhnlich nur zur Arbeit, wenn sie schon halb verhungert sind. – Ich besuchte alle Hütten dieser Wilden, und da meine Begleiter mich als eine Frau von gar vielen Kennt- niffen ausposaunten, so wurde ich auch hier von allen Kran- ken zu Rathe gezogen. In einer der Hütten fand ich ein altes Weib ächzend in einer Hängematte liegen. Als ich näher trat, deckte man die Arme auf und ich sah die ganze Brust vom Krebse zer- freffen. Die Unglückliche schien keinen Verband, kein lin- derndes Mittel zu kennen. Ich rieth ihr, die Wunde häufig mit abgekochtem Malva*)-Thee zu reinigen und überdies abge- kochte Malvablätter darüber zu schlagen. – Möchte dieser Rath nur einigermaßen Erleichterung verschafft haben. Dieses schreckliche Uebel scheint bei den Puris leider nicht selten zu sein, denn ich sah noch mehrere unter den Weibern, die theils starke Erhärtungen, theils schon kleine Geschwüre an den Brüsten hatten. *) Diese heilsame Pflanze wächst sehr häufig in Brasilien. 104 – Nachdem ich in den Hütten alles genugfam betrach- tet, ging ich mit einigen der Wilden auf eine Papageien- und Affenjagd. Wir durften nicht weit suchen, um beides zu finden, und ich hatte nun Gelegenheit, die Geschicklich- keit zu bewundern, mit welcher diese Leute ihre Bogen handhabten. Sie schoffen die Vögel auch im Flug und verfehlten selten ihr Ziel. Nachdem wir drei Papageien und einen Affen erlegt hatten, kehrten wir zu den Hütten zurück. Die guten Menschen boten mir die beste ihrer Hütten zum Obdache und luden mich ein, die Nacht bei ihnen zuzubringen. Ich nahm ihr Anerbieten gerne an, da ich von der angestrengten Fußreise, von der Hitze und von der Jagd etwas ermüdet war; auch neigte sich der Tag seinem Ende zu und ich würde heute nicht mehr bis zur Ansiedlung der Weißen gekommen sein. Ich breitete also meinen Mantel auf der Erde aus, richtete ein Stück Holz statt eines Kiffens zurecht und setzte mich vorläufig auf mein herrliches Lager. Meine Wirthe bereiteten den Affen und die Papageien, indem sie dieselben auf hölzerne Spieße steckten und am Feuer rösteten. Um das Mahl recht lecker zu machen, gaben sie auch noch einige Maiskolben und Knol- lengewächse in die Asche. Sie brachten dann große frische Baumblätter herbei, riffen den gebratenen Affen mit den Händen in mehrere Theile, legten eine tüchtige Portion davon auf die Blätter, so wie auch einen Papa- gei, Mais und Knollengewächse und stellten es vor mich hin. – Mein Appetit war grenzenlos, da ich seit Mor- gens nichts genoffen hatte; ich fing also gleich mit dem Affenbraten an, den ich überaus köstlich fand; – bei 105 weitem nicht so zart und schmackhaft war das Fleisch des Papageies. Nach Beendigung der Tafel bat ich die Indianer, mir einen ihrer Tänze aufzuführen und sie willfahrten gerne mei- nem Begehren. – Da es schon dunkel war, so brachten fie viel Holz herbei, errichteten eine Art Scheiterhaufen und zündeten ihn an; die Männer schloffen einen Kreis herum und begannen den Tanz. Sie warfen ihre Körper mit merkwürdiger Plumpheit von einer Seite zur andern und bewegten dabei den Kopf nach vorwärts; hierauftra- ten auch die Weiber hinzu, blieben jedoch etwas hinter dem Männerkreise zurück und machten dieselben plumpen Bewegungen. Die Männer stimmten noch überdieß ein höllisches Geplärr an, das einen Gesang vorstellen sollte, und alle verzerrten dazu die Gesichter ganz abscheulich. Einer der Wilden stand daneben und spielte auf einer Art von Saiten-Instrument. Es war aus dem Rohre einer Kohlpalme gemacht und ungefähr 2 bis 2%, Fuß lang; ein Loch hatte man über quer geschnitten, 6 Fasern des Rohres aufgehoben und an beiden Enden durch einen kleinen Sattel in der Höhe erhalten. Es wurde darauf wie auf einer Guitarre mit den Fingern gespielt, die Töne klangen sehr leise, widrig und heiser. Diese erste Aufführung nannten sie einen Friedens- oder Freudentanz. Einen viel wilderen führten die Män- ner allein auf. Nachdem sie sich hierzu mit Bogen, Pfei- len und tüchtigen Knitteln bewaffnet, schloffen sie eben- falls wieder einen Kreis, nur waren ihre Bewegungen viel lebhafter und wilder als beim ersten Tanze; auch schlugen sie dabei mit den Knitteln schauderhaft um sich - - - TIO6 herum. Dann stoben sie plötzlich auseinander, spannten die Bogen, legten die Pfeile auf und machten die Panto- mine, als schöffen sie dem fliehenden Feinde nach; dabei stießen sie fürchterlich durchdringende Töne aus, die im ganzen Walde wiederhallten; ich fuhr erschrocken empor denn ich glaubte wirklich von Feinden umzingelt, und ohne die geringste Hilfe und Stütze in ihre Gewalt ge- rathen zu sein; – ich war herzlich froh, daß dieser gräß- liche Siegestanz bald ein Ende hatte. Als ich mich dann zur Ruhe begab und nach und nach alles stille um mich ward, befiel mich eine Angst anderer Art; ich dachte der vielen wilden Thiere, der schrecklichen Schlangen, die vielleicht ganz nahe um uns haufen möchten und des offnen, schutzlosen Obdaches, unter welchem ich die Nacht zubringen mußte. Lange hielt mich diese Furcht wach und oft vermeinte ich, die Blätter rauschen zu hören, wie wenn sich eines der gefürchteten Thiere Bahn bräche. Endlich aber forderte der ermüdete Körper dennoch seine Rechte, ich stützte den Kopf auf den hölzernen Block und tröstete mich mit dem Gedanken, daß es mit der Gefahr doch nicht so arg beschaffen sein möge, als uns manche Reisende glauben machen wollen; – wie wäre es denn sonst möglich, daß die Wilden so unbekümmert und so ganz ohne Vorkehrungen in ihren offnen Hütten wohnten. Am 12. Oktober. Morgens nahm ich Abschied von den Wilden und beschenkte sie mit verschiedenem Bronce-Schmuck, über welchen sie so entzückt waren, daß sie mir alles anboten, was sie besaßen. Ich nahm einen 107 Bogen und zwei Pfeile zum Andenken an diesen Besuch mit mir, kehrte dann zu dem hölzernen Hause zurück, und nachdem ich auch da ähnliche Geschenke ausgetheilt hatte, bestieg ich mein Maulthier und traf noch spät Abends zu Aldea do Pedro ein. Am 13. Oktober Morgens sagte ich dem gefälli- gen Geistlichen Lebewohl und trat mit meinem bereits ge- nesenen Diener die Rückreise nach Novo Friburgo an, die ich auf demselben Wege, statt wie früher in vier, nun in drei Tagen machte. Ich fand noch den Grafen Berchtold, der sich nun recht wohl befand. Wir be- schloffen daher, vor der Rückkehr nach Rio de Janeiro noch einen Ausflug zu einem schönen Wafferfalle zu machen, der ungefähr 3 Leguas von Novo Friburgo entfernt ist. Zufällig erfuhren wir aber, daß die Taufe der Prinzessin Isabella am 19. Oktober statt haben sollte. Da wir die- fes intereffante Fest nicht versäumen wollten, zogen wir es vor, unsere Rückreise gleich anzutreten. Wir nahmen denselben Weg, den wir auf der Herreise gemacht hatten, bis ungefähr eine Legua vor Ponte de Pinheiro; – hier schlugen wir einen andern Weg ein, und zwar nach Porto de Praja. Diese Tour war zu Lande um 8 Leguas län- ger, dagegen aber zur See um so kürzer, da man von Porto de Praja nach Rio de Janeiro mit dem Dampf- schiffe in einer halben Stunde fährt. Die Gegend von Pinheiro an war größtentheils traurig und langweilig, eine förmliche Wüste, deren Ein- förmigkeit nur selten durch ärmliche Waldungen oder niedere Hügel unterbrochen wurde. Des Anblickes der TIO8 hohen Gebirge erfreuten wir uns erst wieder, als wir der Hauptstadt näher kamen. Noch muß ich eines komischen Irrthums des Herrn Beske aus Novo Friburgo erwähnen, den wir Anfangs nicht begreifen konnten und der uns dann viel Stoff zum Lachen gab. Herr Beske hatte uns einen Führer empfohlen, den er uns als ein wahres Auskunfts-Comptoir beschrieb; jede unserer Fragen nach Bäumen, Pflanzen, Gegen- den u. f. w. sollte er auf das vollkommenste beantworten können. Wir schätzten uns glücklich, solch einen Phönix unter den Führern zu haben und benützten auch gleich jede Gelegenheit, ihn auf die Probe zu stellen. Er wußte uns aber über nichts Bescheid zu geben; frugen wir ihm um den Namen eines Fluffes, so meinte er, dieser sei zu klein, er habe gar keinen Namen; die Bäume waren ihm zu unbedeutend, die Pflanzen zu gemein. – Diese Unwiffen- heit war doch gar zu arg; wir forschten nach, und da kam es heraus, daß Herr Beske nicht unsern Führer, sondern deffen Bruder gemeint hatte, der aber leider schon vor sechs Monaten gestorben war, welche Begebenheit. Herr Beske vergeffen haben mußte. Am 18. Oktober Abends kamen wir glücklich in Rio de Janeiro an. Wir erkundigten uns gleich nach der Taufe und erfuhren, daß sie auf den 15. November ver- schoben sei, und daß am 19. Oktober nur das Namens- fest des Kaisers gefeiert werde. Wir hatten daher umsonst unsere Rückreise so übereilt und hätten den schönen Waf- erfall bei Novo Friburgo mit großer Muße betrachten können. T109) Die Entfernungen dieses Ausfluges betrugen: Von Rio de Janeiro nach Sampajo . . 8 Leguas. Von Sampajo nach Novo Friburgo . . 20 „ Von Novo Friburgo zu den Indianern 25 , 53 Leguas. Zurück machten wir nur 2 Leguas Umwege. Abreise von Rio de Janeiro. Santos und St. Paulo. Umschiffung des Cap Horn. Ankunft in Valparaiso. 8. Dezember 1846 bis 2. März 1847. Als ich den Platz auf der schönen englischen Barke „John Renwick, Kapitän Bell, zu 25 Pfund Sterling erhandelte, versprach mir letzterer spätestens am 25. No- . vember zur Abfahrt bereit zu sein und in keinem Zwi- fchenhafen einzulaufen, sondern direkt nach Valparaiso zu fegeln. – Ersteres glaubte ich, weil er mir versicherte, daß ihn jeder Tag Aufenthalt sieben Pfund Sterling koste, – letzteres, weil ich überhaupt gerne allen Menschen glaube, und sollten es selbst Schiffkapitäne fein – In beiden Punkten ward ich getäuscht, denn erst am 8. De- zember bekam ich die Weisung, mich des Abends an Bord zu begeben, und da erst eröffnete mir der Kapitän, daß er in Santos einlaufen müffe, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen, die dort bedeutend billiger zu bekommen wären als in Rio de Janeiro. Daß er bei dieser Gele- genheit auch eine Ladung Steinkohlen ausschiffen und eine Ladung Zucker einnehmen würde, verschwieg er bis zur T 1 Ankunft in Santos selbst, – er versicherte zwar, mit all diesen Geschäften in 3 – 4 Tagen fertig zu werden. Ich nahm Abschied von meinen Freunden und begab mich Abends an Bord, wohin mich Graf Berchthold und die Herren Geiger und Ritter begleiteten. Am 9. Dezember früh Morgens wurden die Anker gelichtet; doch war der Wind so ungünstig, daß wir den ganzen Tag lavieren mußten, um die hohe See zu erreichen; – erst am 10. gegen Mittag verloren wir das Land aus dem Gesichte. Außer mir waren noch 8 Reisende auf dem Schiffe, 5 Franzosen, l Belgier und 2 Mailänder. Letztere konnte ich als halbe Landsleute betrachten, und wir schloffen uns auch bald einander an. Die beiden Italiener machten die Reise um das Kap Horn in diesem Jahre nun schon zum zweiten Male. Ihre erste Reise war nicht glücklich gewesen; sie erreichten das Kap Horn in der Winterzeit, die in dieser südlich kalten Gegend von April bis gegen November währt *). Stewaren nicht im Stande das Kap zu umsegeln; heftige Ge- genwinde und Stürme warfen sie zurück und vierzehn ewig lange Tage kämpften sie dagegen, ohne von der Stelle zu kommen. Da verlor die Schiffsmannschaft den Muth und äußerte, es wäre beffer zurückzukehren und günstigere Winde abzuwarten. Allein der Kapitän theilte diese Meinung nicht und wußte den Ehrgeiz seiner Leute der Art *) Auf der südlichen Hemisphäre stehen die Jahreszeiten zur nördlichen gerade im entgegengesetzten Falle; wenn also auf der einen Seite des Aequators Winter ist, so ist auf der andern Sommer u. f. w. - 112 anzufachen, daß sie nochmals den Kampf mit den Elemen- ten versuchten. – Es war der letzte. Noch dieselbe Nacht ging eine fürchterliche Woge über das Schiff, zer- trümmerte den ganzen Obertheil desselben und riß den Kapitän und sechs Matrosen mit sich in die Tiefe des Meeres. Das Waffer drang fromweise in die Kajüten und jagte alle aus den Betten. Der große Maft mußte gekappt werden, die Brüstung des Schiffes, die Böte, der Steuerkasten, alles war vom Waffer hinweggeschwemmt. Die Steuerleute lenkten das Schiff zurück und nach einer langen, gefahrvollen Reise gelang es ihnen mit ihrem halbentmateten Schiffe den Hafen von Rio de Janeiro zu erreichen. Diese Erzählung stellte uns zwar kein gutes Progno- stikon, – doch die schöne Jahreszeit und unser gutes Schiff benahmen uns jede Furcht. Mit letzterem hatten wir es in jeder Hinsicht herrlich getroffen; – es besaß bequeme, große Cabinen, einen äußerst gutmüthigen und gefälligen Kapitän und eine Kost, die selbst jeden Fein- schmecker hätte befriedigen müffen. Täglich gab es gebratene oder gedämpfte Hühner, Enten oder Gänse, frisches Schöp- fen - und Schweinefleisch, Eierspeisen, Plumppuddings und Pasteten; dazu Nebenschüffeln mit Schinken, Reis, Kartoffeln und Gemüse und zum Nachtische getrocknete Früchte, Nüffe, Mandeln, Käse u. f. w. Auch fehlte es keinen Tag an frisch gebackenem Brode und gutem Weine. Wir alle bekannten einig, noch auf keinem Segelschiffe so vortrefflich behandelt und bewirthet worden zu sein, und so konnten wir auch in dieser Hinsicht mit frohem Muthe unserer Reise entgegen sehen. TITIZ Bereits am 12. Dezember sahen wir die Gebirge von Santos, und um 9 Uhr Nachts gelangten wir an eine Bucht, die der Kapitän für jene von Santos hielt. Wie- derholt angezündete Fackellichter, weit über Bord hinaus gehalten, riefen den Looten an unser Schiff; es erschien aber keiner, und wir waren gezwungen, am Eingange der Bai auf gut Glück die Anker auszuwerfen. Am 13. Dezember Morgens kam ein Lootse an Bord und überraschte uns mit der Erklärung, daß wir in einer unrechten Bucht vor Anker lägen. Mit Mühe arbeiteten wir uns wieder heraus, und erst gegen Mittag kamen wir in die rechte Bucht. Ein nettes Schlößchen fiel uns da gleich in die Augen. Wir hielten es für ein Vorgebäude der Stadt und waren sehr erfreut, unser vor- läufiges Ziel so schnell erreicht zu haben. Als wir jedoch näher kamen, sahen wir noch immer keine Stadt und er- fuhren nun, daß das Schlößchen eine kleine Festung sei, und daß Santos an einer zweiten Bucht liege, die mit dieser durch einen schmalen Arm des Meeres verbunden sei. Leider hatte sich der Wind gelegt, wir mußten den ganzen Tag vor Anker liegen bleiben, und erst am 14. De- zember gegen Mittag erhob sich eine leichte Brise und blies uns in den Hafen der Stadt. Santos liegt überaus reizend an dem Eingange eines großen Thales. Artige Hügel, mit Kapellen und einzelnen Häuschen geziert, erheben sich auf beiden Seiten, und bedeutende Gebirge, die einen weiten Halbkreis um das Thal ziehen, schließen sich an diese an, während eine liebliche Insel einen schönen Vordergrund bildet. Kaum angelandet, machte uns der Kapitän bekannt, Pfeiffers Reise, 1. Th. 8 _114 daß wir wenigstens 5 Tage verweilen würden. Die bei- den Mailänder, einer der Franzosen und ich beschloffen diese Zeit zu einem Ausfluge nach St. Paulo zu benützen, um diese größte Binnenstadt *) Brasiliens zu sehen, die zehn Leguas von Santos entfernt liegt. Wir mietheten noch den- selben Abend Maulthiere (das Thier zu 5 Milreis) und traten unsere Reise an. 15. Dezember früh Morgens. Wir bewaffneten uns mit scharf geladenen Doppelpistolen, denn man machte uns sehr viel Angst vor den Marron-Negern *), deren sich gegenwärtig bei hundert in den Gebirgen aufhalten sollten, und deren Verwegenheit so groß sei, daß sie ihre Streifzüge sogar bis in die Nähe von Santos ausdehnten. Die beiden ersten Leguas führten durch das Tha dem hohen Gebirge zu, das wir zu übersteigen hatten. Die Straße war sehr gut und so belebt, wie ich noch keine in Brasilien gesehen hatte. Ueber die Flüffe Vicente und Cubatao führen hübsche hölzerne Brücken, von denen die eine sogar gedeckt ist, – dafür mußte aber auch ein artiges Brückengeld bezahlt werden. In einer der Venden am Fuße der Gebirge stärkten wir uns an einem guten Eierkuchen, versorgten uns mit *) Binnenstadt nennt man eine Stadt, die im Innern eines Landes, entfernt von der See liegt. *) Unter Marron-Neger versteht man jene, die ihren Herren entlaufen find. Sie gesellen sich gewöhnlich in grö- ßeren Haufen zusammen und ziehen sich in die Urwälder zurück, wagen sich aber auch häufig hervor, um zu fehlen und zu rauben, wobei es nicht immer ohne Mord abgeht. 115 Zuckerrohr, defen Saft in der großen Hitze eine wahre Erquickung beut, und dann ging es an die Ersteigung der 3400 Fuß hohen Serra. Der Weg da hinauf war schrecklich, – steil, voll Löcher, Gräben und Kothlacken, in welche unsere armen Thiere oft bis über die Knie versanken. Wir mußten an Abgründen und Schluch- ten vorüber, in deren Tiefe Waldbäche fürchterlich toseten, welch letztere wir aber nie zu sehen bekamen, da sie überall von üppigen Gesträuchen überwachen waren. Auch durch Urwaldungen ging unser Weg; doch waren sie bei weiten nicht so schön und dicht, wie ich deren auf meiner Reise zu den Puris durchzogen hatte. Palmen fehlten beinahe ganz, und die wenigen, die wir fahen, erinnerten vermöge des dünnen Stammes und der magern Blätterkrone, an die kältere Region. Die Aussicht von der Serra war überraschend: das ganze Thal mit seinen Wäldern und Auen lag weithin bis zu den Buchten des Meeres vor uns ausgebreitet, die einzelnen kleinen Hütten entschwanden unseren Augen und nur ein Theil der Stadt und einige Masten von Schiffen tauchten in weiter Ferne auf . Bald entzog uns eine Wendung des Weges dies reizende Bild, wir verließen die Serra und betraten ein waldiges Hügelland, das theilweise mit ausgedehnten Grasplätzen wechselte, die mit niedrigem Gestrippe und zahllosen, zwei Fuß hohen Maulwurfshaufen bedeckt waren. Auf der Hälfte des Weges von Santos nach St. Paulo liegt der Ort Rio Grande, defen Häuser nach brasilianischer Art so weit von einander liegen, daß man fie gar nicht für zusammengehörend hält. Hier wohnt der 116 Eigenthümer der Maulthiere, deren man sich zu dieser Reise bedient und hier wird auch die Bezahlung entrich- tet. Die Maulthiere werden, will man die Reise augen- blicklich fortsetzen, gegen frische gewechselt; zieht man es aber vor, über Mittag oder über Nacht zu bleiben, so bekömmt man sehr gutes Effen und reinliche Zimmer und hat dafür nichts zu bezahlen, da es in dem Preise der 5 Milreis bereits mitgerechnet ist. Wir ließen uns nur schnell einige Gerichte geben und eilten weiter, um noch vor Sonnenuntergang die zweite Hälfte des Weges zurückzulegen. Je näher man der Stadt kommt, desto ausgebreiteter wird die Ebene. Die Schönheit der Gegend nimmt sehr ab, und hier fah ich zum erstenmal, seit ich Europa verlaffen, Sandfelder und Sandhügel. Die Stadt selbst, auf einem Hügel liegend, nimmt sich ziemlich gut aus; sie zählt an 22,000 Ein- wohner und ist ein bedeutender Handelsplatz für den in- nern Verkehr des Landes. Trotzdem besitzt sie weder einen Gasthof noch sonst einen Ort, wo Fremde Unterkunft finden können. Als wir uns nach einer Herberge erkundigten, be- zeichnete man uns nach langem Fragen einen Deutschen und einen Franzosen, mit dem Bemerken, daß beide aus Gefälligkeit Gäste aufnehmen. Wir gingen erst zu dem Deutschen, – der wies uns ganz kurz mit dem Bemerken ab, daß er keinen Platz mehr habe. Von ihm wander- ten wir zu dem Franzosen,– der schickte uns zu einem Por- tugiesen, und als wir zu diesem kamen, erhielten wir dieselbe Antwort wie von dem Deutschen. Nun waren wir in der größten Verlegenheit, um so J 17 mehr, da den Franzosen die angestrengte Reise so ange- griffen hatte, daß er sich kaum mehr auf dem Sattel er- halten konnte. In dieser kritischen Lage gedachte ich meines Em- pfehlungsbriefes, den mir Herr Geiger aus Rio de Ja- neiro an einen hier ansäßigen Deutschen, Herrn Loskiel, mitgegeben hatte. Ich war Willens gewesen, den Brief erst am nächsten Tage abzugeben, doch: „Noth kennt kein Gebot“, und so suchte ich ihn noch denselben Abend auf Er war so gütig, sich unserer auf das wärmste an- zunehmen. Mich und einen der Herren behielt er bei sich, die beiden andern brachte er bei seinem Nachbar unter; zu Tische waren wir Alle bei ihm geladen. – Wir er- fuhren nun, daß in St. Paulo Niemand, selbst kein Wirth einen Fremden aufnähme, der nicht einen Empfeh- lungsbrief mitbringe – ein Glück für Reisende, daß diese komische Sitte nicht überall herrscht. 16. Dezember. Nachdem wir vollkommen ausgeruht von den Beschwerden des gestrigen Rittes, war unser erstes Vornehmen, die Merkwürdigkeiten der Stadt zu besehen. Wir fragten unsern freundschaftlichen Wirthdarnach; allein dieser zuckte die Achseln und meinte, er wüßte von keinen, wenn wir nicht etwa den botanischen Garten als solche betrachten wollten. Wir gingen also nach dem Frühstücke aus, um vorerst die Stadt zu besehen und fanden mehr große und niedlich gebaute Häuser, als deren im Verhältniffe zu seiner Größe Rio de Janeiro besitzt. Von Geschmack oder von Eigenthümlichkeit der Bauart war aber auch hier nichts zu sehen. Die Straßen sind ziemlich breit, aber I 18 ganz merkwürdig menschenleer, und die allgemeine Stille wird nur durch das unausstehliche Knarren der Bauern- karren unterbrochen. Diese Karren ruhen auf zwei Rädern, oder, besser gesagt, auf zwei hölzernen Scheiben, die oft nicht einmal durch einen eisernen Reifzusammengehalten find. Die Achsen, ebenfalls von Holz, werden nicht geschmiert, und davon rührt diese höllische Musik her. Eine sonderbare Mode herrscht in diesem heißen Klima in der Kleidertracht: alle Männer, die Sclaven ausgenommen, tragen große Tuchmäntel, deren eine Hälfte fie um die Achsel schlagen, selbst viele Frauen sah ich in weite, lange Tuchkrägen gehüllt. - In St. Paulo ist auch eine hohe Schule; doch tritt für Studierende, die vom Lande oder von kleineren Städ- ten kommen, der unangenehme Fall ein, daß sie Niemand aufnimmt. Sie sind gezwungen, Wohnungen zu miethen, felbe einzurichten und einen eigenen Haushalt zu führen. Noch besuchten wir einige Kirchen, die in ihrem Aeußeren und Inneren wenig sehenswerthes boten, und dann zum Schluffe den botanischen Garten, welcher außer einer Pflanzung chinesischen Thees auch nichts intereffan- tes enthielt. Alles dies war in einigen Stunden abgethan, und wir hätten füglich die Reise nach Santos am folgenden Morgen wieder antreten können. Allein der Franzose, der uns in Folge seiner übergroßen Ermüdung auf dem Spaziergange nicht begleitet hatte, ersuchte uns, die Heim- kehr noch um einen halben Tag zu verzögern und es so einzurichten, daß wir in Rio Grande über Nacht blieben. 119 Wir erwiesen ihm gern diese Gefälligkeit und mach- ten uns am 17. Dezember des Nachmittags auf den Weg, nachdem wir unserm gütigen Wirth auf das herzlichste für seine gastfreie Aufnahme gedankt hatten. In Rio Grande fanden wir ein ausgezeichnetes Abendeffen, bequeme Schlaf- gemächer und des andern Tages ein gutes Frühstück. Am 18. Dezember Mittags trafen wir glücklich in Santos ein, und nun erst gestand uns der Franzose, daß er sich von dem starken Ritte (10 Leguas) in St. Paulo so erschöpft fühlte, daß er eine Krankheit befürch- tete. Er erholte sich übrigens nach einigen Tagen vollkom- men; doch versicherte er, in unserer Gesellschaft nicht so leicht mehr eine Partie machen zu wollen. Unsere erste Frage an den Kapitän war; „Wann werden die Anker gelichtet?", worauf er uns sehr höflich erwiederte, daß, sobald er 200 Tonnen Steinkohlen aus- geladen und 6000 Säcke Zucker eingenommen habe, er augenblicklich zur Abreise bereit sein werde. So kam es, daß wir drei ewig lange Wochen in Santos blieben. Der Herren einziges Vergnügen während dieser Zeit war die Jagd, – das meinige: spazieren gehen und Insek- ten sammeln. Den Neujahrstag des Jahres 1847 feierten wir noch in Santos, und endlich am 2. Jänner waren wir so glücklich, der Stadt Lebewohl zu sagen; jedoch kamen wir nicht weit, denn schon in der ersten Bucht verließ uns der Wind und erhob sich erst nach Mitternacht. Da war eben Sonn- tag, und an einem Sonntage geht kein ächter Engländer unter Segel,– wir blieben daher den ganzen 3. Januar vor Anker liegen und sahen mit großer Wehmuth zweien T120 Schiffen nach, deren Kapitäne, trotz der Sonntagsfeier, die frische Brise *) benutzten und lustig an uns vorüber segelten. Denselben Abend lief ein Schiff in der Bucht ein, das unser Kapitän für ein Negerschiff erklärte. Es hielt sich so weit als möglich von der Festung entfernt und warf an der äußersten Spitze der Bucht die Anker aus. Da die Nacht sehr mondhell war, gingen wir noch spät auf dem Decke spazieren und sahen richtig kleine Böte, mit Ne- gern beladen, an die Küste führen. Es kam zwar ein Offizier von der Festung, um das Treiben dieses verdäch- tigeu Schiffes zu untersuchen; der Eigner desselben schien ihm aber genügende Erklärung gegeben zu haben, denn er verließ das Schiff bald wieder und die Schmuggelei der Sclaven ging ruhig und ungestört die ganze Nacht vor sich. Als wir am 4. Januar Morgens an diesem Schiffe vorüber fe- gelten, sahen wir noch viele der Unglücklichen auf dem Decke stehen. Unser Kapitän fragte den Negerhändler, wie viele Sclaven er an Bord gehabt habe, und mit Ex- staunen vernahmen wir die Zahl von 670. – Genug ist schon über diesen abscheulichen Handel gesprochen und ge- schrieben worden, allgemein wird er verabscheut, als ein Schandfleck des Menschengeschlechtes betrachtet, und den- noch dauert er fort und fort. Dieser Tag ließ sich überhaupt sehr traurig an. Kaum hatten wir das Sclavenschiff aus den Augen, so *) Brise nennt man einen leichten Wind, der vom Land weht. 121 wäre bald an unserm Bord ein Selbstmord geschehen, Der Stewart (Aufwärter) des Schiffes, ein junger Mu- latte, hatte die üble Gewohnheit, den starken Getränken in übergroßem Maße zuzusprechen. Der Kapitän drohte ihm mehrmals mit ernstlichen Strafen; doch es half nichts, und heute Morgens war er derart betrunken, daß ihn die Ma- trosen in irgend einen Winkel auf dem Vordertheile des Schiffes tragen mußten, damit er sich nüchtern schlafen solle. Plötzlich sprang er aber auf, kletterte auf den Vorderbug des Schiffes und stürzte sich in die See. Zum Glück hatten wir beinahe Windstille, das Meer war voll- kommen ruhig, und man konnte hoffen, ihn zu retten. Er kam auch bald an der Wand des Schiffes zum Vor- schein, und fogleich warf man ihm von allen Seiten Taue zu. Die Liebe zum Leben erwachte und ließ ihn unwill- kürlich nach den Tauen haschen; doch hatte er nicht Kraft genug, sich fest daran zu halten. Er sank neuerdings, und erst nach vielen Bemühungen gelang es den wackern Ma- troffen, ihn dem Waffertode zu entreißen. Kaum zu sich gekommen wollte er sich abermals in die See stürzen, in- dem er schrie, er wolle nicht leben. Der Mensch raste und der Kapitän war gezwungen, ihn an Händen und Fü- ßen feffeln uud an den Mastbaum ketten zu laffen. Am folgenden Tage wurde er seines Dienstes entsetzt und zum Gehilfen eines neu ernannten Aufwärters degradiert. 5. Januar. Meistens Windstille. – Unser Koch fing heute einen 3 Fuß langen Fisch, der seines Far- benwechsels wegen merkwürdig ist. Als er aus dem Waf- fer kam, war er goldgelb, welcher Farbe er auch seinen Namen Dorado verdankt. Aber schon nach 1–2 Minu- 122 ten ging das glänzende Gelb in ein helles Himmelblau über, und nach seinem Tode ward der Bauch wieder schön hellgelb, der Rücken aber bräunlich grün. Man rechnet ihn zu den edelsten Fischen,– ich fand jedoch sein Fleisch etwas trocken. - Am 9. Januar befanden wir uns auf der Höhe des Stromes Rio Grande. Abends sahen wir einem hefti- gen Sturm entgegen; der Kapitän ging alle Augenblicke nach dem Barometer und ließ darnach die Anstalten tref- fen. Bald stürmten schwarze Wolken heran und der Wind nahm dermaßen zu, daß der Kapitän alle Lucken sorgfäl- tig schließen und die Mannschaft zur schnellen Einreffung der Segel bereit halten ließ. – Nach 8 Uhr brach das Unwetter los. Blitze über Blitze durchkreuzten den Ho- rizont nach allen Seiten und leuchteten den Matrosen zur Arbeit, die aufgeregte See erschien im hellsten Feuerglanze, das majestätische Rollen des Donners machte die Stimme des Kapitäns verstummen und die weißschäumenden Wo- gen stürzten mit so mächtiger Gewalt über das Deck, als wollten sie alles mit sich in die Tiefe reißen. Wä- ren nicht längs des Oberdeckes Taue gespannt gewesen, an die sich die Matrosen anklammern konnten, so würden letztere unfehlbar die Beute dieser Waffermaffen geworden sein. – Es ist fürwahr eine eigene Sache um solch einen Sturm, – man ist allein auf der unermeßlichen See, weit ent- fernt von jeder menschlichen Hilfe, und fühlt mehr als je, daß man nur in der Hand Gottes steht. Wer auch in solch einem fürchterlich erhabenen Augenblicke noch an keinen Gott glaubt, der ist wohl für immer mit geistiger Blind- heit geschlagen. – Eine stille Heiterkeit bemächtiget sich 123 bei diesen Natur-Ergebnissen meines Gemüthes ; ich ließ mich nicht selten in der Nähe des Steuerkastens festbinden, die fürchterlichen Wogen über mich ergehen, um dies Schauspiel recht in mich aufzunehmen und empfand keine Furcht, sondern Vertrauen und Ergebung. Nach vier Stunden hatte der Sturm ausgetobt und es trat gänzliche Windstille ein. ------- *** Am 10. Januar bekamen wir einige große Seeschild- kröten und einen Wallfisch zu Gesicht. Letzterer war noch jung und ungefähr 40 Fuß lang. 11. Januar. Wir waren nun auf der Höhe des Rio Plato *) und fanden die Temperatur bereits ziemlich abgekühlt. Von Seetangen und Mollusken war uns bisher noch nichts vorgekommen; nur heute Nacht sahen wir manchmal in der Tiefe des Meeres Mollusken, die wie Sterne herauf leuchteten. - - In diesen Gegenden nun erglänzt das Sternenbild „d es füdlichen Kreuzes immer heller und schö- ner, doch lange nicht so wunderbar, als man es beschreibt. Die Sterne, vier an der Zahl und ungefähr diese Form . ". " bildend, sind zwar groß und glänzend; sie flößten aber weder mir noch irgend jemanden aus unserer Gesellschaft viel mehr Erhebung oder Begeisterung ein, als die übrigen Sternbilder. Ueberhaupt pflegen viele Rei- fende in ihren Erzählungen sehr zu übertreiben; einerseits beschreiben sie oft Sachen, die sie selbst gar nicht gesehen haben und nur vom Hören-Sagen kennen, andrerseits *) Der Rio Plato ist einer der größten Ströme Brasiliens. 124 statten sie die Erscheinungen, die ihnen wirklich vorkom- men, mit etwas gar zu viel Phantasie aus. 16. Januar. Unter dem 37. Breitengrade kamen wir in eine heftige Strömung, die von Süd nach Nord ging und in ihrer Mitte einen gelben Streif enthielt. Der Kapitän meinte, daß dieser Streif von einem Zuge kleiner Fische herrühre. Ich ließ mir in einer Tonne Waffer herauf ziehen und fand wirklich einige Dutzend lebender Geschöpfe darinnen, die jedoch nach meiner An- ficht zum Mollusken-, nicht aber zum Fisch-Geschlechte ge- hörten. Sie waren bei 9% Zoll lang und durchsichtig wie die feinsten Wafferbläschen; vorne hatten sie weiße und hellgelbe Punkte und am Untertheile einige Fühlfäden. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar überfiel uns ein sehr heftiger Sturm und beschädigte unseren gro- ßen Mast der Art, daß der Kapitän beabsichtigte, sobald als möglich in einen Hafen einzulaufen, um einen neuen Mast auffetzen zu laffen. Vor der Hand wurde er mit Tauen, eisernen Ketten und Klammern zusammen geschnürt. Unter dem 43. Breitengrade kam uns die erste See- tange zu Gesicht. Die Wärme nahm schon fühlbar ab; wir hatten oft kaum 12 bis 14 Grad. 23. Januar. Patagonien lag uns so nahe, daß wir die Umriffe des Landes sehr gut ausnehmen konnten. 26. Januar. Wir hielten uns beständig nahe der Küste. Unter dem 50. Breitengrade sahen wir die Krei- denberge von Patagonien. – Heute kamen wir an den Falklands-Inseln vorüber, die sich vom 51. bis 52. Brei- tengrad erstrecken. Wir sahen sie jedoch nicht, da wir uns so nah als möglich dem festen Lande zu hielten, um 125 nicht an der Magellanstraße vorüber zu fahren. Der Ka- pitän fudierte nämlich seit mehreren Tagen in einem englischen Buche, welches, seiner Meinung nach, deutlich bewies, daß die Fahrt durch die Magellanstraße weniger gefährlich und bedeutend kürzer wäre, als jene um das Kap Horn. Ich frug ihn, wie es denn käme, daß die andern Seefahrer von diesem wichtigen Buche nichts wüß- ten, und warum alle nach der Westseite Amerikas segelnden Schiffe um das Kap Horn gingen. Er wußte mir darauf nichts zu antworten, als daß das Buch sehr theuer sei und es sich daher niemand anschaffe *). Mir war dieser kühne Gedanke des Kapitäns sehr willkommen. Ich fah bereits die sechs Fuß hohen Pata- gonier in ihren Böten daher schiffen, ich tauschte schon von ihnen Muscheln, Pflanzen, Schmuck und Waffen ge- gen färbige Bänder und Tüchelchen, – ja, um meiner Freude die Krone aufzusetzen, sollte in Port Famine (Hafen in Patagonien) gelandet werden, um den beschä- digten obern Theil unseres großen Mastes neu aufzusetzen. – Wie war ich in geheim dem Sturm so dankbar, unser Schiff in diesen Zustand versetzt zu haben. Aber nur zu bald ward ich diesen schönen Hoffnun- gen und Träumen entriffen. Am 27. Januar wurde die Länge und Breite genommen, und da fand es sich, daß *) Andere Kapitäne sagten mir, daß die Fahrt durch die Ma- gellanstraße nur für Kriegsschiffe möglich sei, indem diese Fahrt eine große Anzahl Matrosen fordere. Jeden Abend muß vor Anker gegangen werden und beständig müffen Matrosen in Bereitschaft sein, um bei den fehr häufig eintretenden Winden die Segel zu stellen oder einzureffen. 126 die Magellanstraße bereits 27 Minuten (oder Seemeilen) hinter uns lag. Da jedoch Windstille war, so versprach der Kapitän, für den Fall eines eintretenden günstigen Windes, einen Versuch zu machen, um die Höhe der Straße wieder zu gewinnen. Ich glaubte nicht mehr daran, und hatte Recht. Eine kaum merkliche Brise erhob sich gegen Mittag, und freude- strahlend erklärte sie der Kapitän für günstig – – zur Umschiffung des Kap Horn. Wäre es ihm mit dem Durchfahren der Magellanstraße Ernst gewesen, so hätte er nur einige Stunden kreuzen dürfen, denn bald sprang der Wind um und blies gerade in die beabsichtigte Einfahrt. 29. Januar. Wir waren dem Feuerlande stets so nahe, daß wir mit unbewaffnetem Auge jeden Strauch ausnehmen konnten. In einer Stunde wären wir am Lande gewesen und zwar ohne die Reise deshalb zu ver- zögern, da uns häufige Windstillen gefeffelt hielten; allein der Kapitän mochte es nicht erlauben, denn der Wind konnte sich ja alle Augenblicke erheben. Die Ufer erscheinen ziemlich steil aber nicht hoch; im Vordergrunde wechseln magere Wiesen mit Sandflächen und im Hintergrunde erheben sich bewaldete Hügelketten und darüber hinaus schneebedeckte Berge. Im Ganzen kam mir das Land viel wohnlicher vor als die Insel Is- land, die ich anderthalb Jahre vorher besucht hatte. Auch die Wärme hier mag bedeutender sein, da wir selbst auf der See 10 und 12 Grad hatten. Ich fah drei Gattungen Tangen; konnte aber nur ein Exemplar erhaschen. Es glich ziemlich jenem, das ich unter dem 44. Breitengrade gesehen hatte. Die 127 zweite Gattung war auch wenig verschieden, und nur die dritte hatte zugespitzte Blätter, deren immer mehrere zu- sammen Fächer von einigen Fuß Höhe und Breite bil- deten. Am 30. Januar kamen wir den Staatenland-Inseln ganz nahe. Sie liegen zwischen dem 56. und 57. Breiten- grade, bestehen aus kahlen, hohen Gebirgen und sind von dem Feuerlande durch eine nur 7 Meilen breite und un- gefähr eben so lange Meerenge, die Straße „le Maire“, getrennt. Der Kapitän erzählte uns nach Seemanns-Art, daß, als er einst durch diese Meerenge gefahren sei, sein Schiff in Folge einer starken Strömung ordentlich getanzt und sich während der Fahrt wohl taufendmal, sage tau- fendmal umgedreht habe. Des Kapitäns Erzählungen hatten zwar bei mir bereits sehr viel an Glauben verloren, dennoch verwendete ich von einer, zufällig vor uns segeln- den Hamburger Brigg kein Auge und wollte sie mit Ge- walt tanzen sehen, – weder sie noch unsere Barke that mir diesen Gefallen. Keines der beiden Schiffe drehte sich auch nur einmal um, und die einzige Merkwürdig- keit war die wogende und schäumende Straße, an deren beiden Enden die See voll ruhiger Majestät vor unseren Augen lag. Wir hatten die Meerenge in einer Stunde paffiert, und ich nahm mir nun die Freiheit, den Kapitän zu fragen, warum unser Schiff nicht getanzt habe. Er er- wiederte, weil Wind und Strömung mit uns gewesen fei. – Möglich, daß sich das Schiff im entgegengesetzten Falle einige Mal gedreht hätte, aber tausend Mal ge- wiß nicht. 128 Uebrigens war dieß die Lieblingszahl unseres guten Kapitäns. So frug ihn einst ein Herr aus unserer Ge- sellschaft um die ersten Gasthöfe Londons und erhielt zur Antwort, es sei unmöglich deren Namen zu wissen, da es daselbst über 1000 Gasthöfe der ersten Klaffe gäbe. Bei der Straße „le Maire“ fängt nach der Meinung der Seefahrer die gefährliche Fahrt um das Kap Horn an und endet erst an der Westseite Amerikas auf der Höhe der Magellanstraße. Gleich anfangs begrüßten uns zwei äußerst heftige Windstöße, deren jeder ungefähr eine halbe Stunde anhielt; sie kamen aus den eisigen Gebirgsschluch- ten des nahen Feuerlandes, zerriffen uns zwei Segel und brachen die Railstange vom großen Unterraa egel, ob- wohl die Matrosen flink und zahlreich gewesen waren. – Man rechnet von den Ausgange der Straße le Maire bis an die äußerste Spitze des Kap nur 60 Minuten, und zu dieser unbedeutenden Fahrt benöthigten wir drei Tage. Erst am 3. Februar waren wir so glücklich, die von allen Seefahrern gefürchtete Südspitze Amerikas zu errei- chen. Kahle, spitze Berge, von welchen einer einem ein- gesunkenen Krater gleicht, bilden den Schluß der mächtigen Gebirgskette, und eine herrliche Gruppe schwarzer Fels- koloffe (Basalte?) in allen Formen und Gestalten lagern davor und sind nur durch einen ganz schmalen Meeresstreif getrennt. Die äußerste Spitze des Kap Horn ist 600 Fuß hoch. An dieser Stelle wechselt der Geographie nach, der atlantische Ocean den Namen und heißt nun das stille Weltmeer. Die Seefahrer aber geben ihm diesen Namen erst auf der Höhe der Magellanstraße, da bis zu dieser Gegend die See immerwährend stürmisch I 29 bewegt sein soll. Auch wir machten diese Erfahrung; heftige Stürme trieben uns bis auf den 60. Breitengrad hinab, brachen den Topmast, der trotz der hochgehen- den See aufgesetzt werden mußte, und warfen das Schiff der Art herum, daß wir oft nicht am Tische speisen konn- ten, sondern uns auf den Boden kauern und den Teller mit der Hand festhalten mußten. An einem dieser schönen Tage stürzte der Aufwärter mit der Kaffeekanne auf mich und übergoß mich mit ihrem heißen Inhalte; glücklicher- weise kam nur ein ganz kleiner Theil auf meine Hände, - und so war das Unglück nicht sehr groß. Nach 14tägigem Kampfe mit Stürmen und Wogen, mit Regen und Kälte *) erreichten wir endlich die Höhe der Magellanstraße an der Westküste und hatten somit den gefährlichsten Theil der Reise hinter uns. Wallfische und Albatroffe sahen wir während die- fer 14 Tage sehr selten, schwimmende Eisberge gar nicht. Wir dachten, nun ruhig auf der stillen See dahin zu schiffen, in festem Vertrauen auf ihren friedlichen Namen, es ging auch recht gut durch volle 3 Tage; dann aber in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar überfiel uns ein Sturm, der des atlantischen Oceans würdig gewesen wäre. Er hielt beinahe 24 Stunden an und raubte uns 4Segel. Der größte Schaden erwuchs uns durch die fürchterlichen Wogen, die mit solcher Gewalt über das Schiff gingen, daß sich am Oberdecke ein Bret löste und Waffer in die 4) Der Thermometer sank bei Tage auf 6 – 7, bei Nacht auf 1 – 2 Grad über Null. Pfeiffers Reise I. Th. 9 130 Zuckerladung drang. Das Verdeck glich einem See, man mußte die großen Lucken am Bollwerke öffnen, um das Waffer schneller abzuleiten, und das Schiff selbst ließ in der Stunde bei zwei Zoll Waffer ein. Feuer konnte gar nicht angemacht werden: wir mußten uns mit Brod, Käse und rohem Schinken begnügen, welche Lebensmittel wir, auf der Erde kauernd, mit vieler Mühe zum Munde brachten. Das letzte Fäßchen Brennöl ward auch ein Opfer dieses Sturmes – es hatte sich losgeriffen und brach in Stücke. Der Kapitän war in großer Angst, daß wir mit der Beleuchtung des Kompaffes nicht bis Valparaiso auslangen würden; alle Lampen im Schiffe wurden durch Kerzenlicht ersetzt und der kleine noch vorhandene Rest des Oeles für den Kompaß bewahrt. – Trotz all diesen Un- annehmlichkeiten blieben wir guten Muthes, und während des Sturmes selbst konnten wir uns kaum des Lachens enthalten über die komischen Stellungen, die jeder unwill- kürlich annahm, wenn er einen Versuch machte, sich zu erheben. Die weitere Fahrt bis Valparaiso war ruhig, aber höchst unangenehm. Unser Kapitän wollte in Valparaiso einen glänzenden Einzug halten und den guten Leuten daselbst glauben machen, daß Sturm und Wogen seinem schönen Schiffe nichts anhaben konnten. Er ließ daher das ganze Schiff von oben bis unten mit Oelfarbe antrei- chen, sogar die schmalen Thüren in den Kabinen blieben von dieser schrecklichen Malerei nicht verschont. – Der Zimmermann hantierte nicht nur ganz mörderisch über unsern Köpfen, ach! er kam auch in die Kabinen und T131 machte all unsere Sachen voll Staub und Sägespäne Wir armen Reisenden hatten auf dem ganzen Schiffe kein trocke- nes und ruhiges Plätzchen. So artig Kapitän Bell wäh- rend der ganzen Reise gegen uns war, so sehr erbitterte uns dies ein Benehmen in den letzten 5 – 6 Tagen. Da war aber nichts zu sagen und zu machen, denn ein Kapitän ist auf seinem Schiffe Alleinherrscher, – er kennt weder Konstitution noch sonst eine Einschränkung seiner despotischen Macht. Am 2. März 1847 um 6 Uhr Morgens liefen wir im Hafen von Valparaiso ein. 9 Ankunft und Aufenthalt in Valparaiso. Ansicht der Stadt. Oeffentliche Gebäude. Einiges über die Sitten und Gebräuche des Volkes. Die Garküche zu Polanka. Das Engelchen (Angelito). Die Eisenbahn. Gold- und Silberminen. Der Anblick von Valparaiso ist traurig und ein- förmig: die Stadt zieht sich in zwei langen Straßen am Fuße unwirthbarer Hügel hin, die wie riesenmäßige Sand- haufen aussehen, in der That aber mit dünnen Erd- und Sandschichten überkleidete Felsmaffen sind. Auf mehreren dieser Hügel stehen Häuser, auf einem liegt der Friedhof, und dies im Verein mit den hölzernen Kirchthürmen, die im spanischen Geschmacke gebaut sind, verschönert wenigstens einigermaßen die langweilige, einförmige Ansicht. Nicht minder überraschend als der öde Anblick des Hafens war mir der höchst erbärmliche Landungsplatz. Ein hölzerner, hoher Quai, bei 100 F. lang, erstreckt sich in die See hinaus; steile, schmale Treppen, die wie Leitern ange- lehnt sind, führen hinauf. Es war stets ein bedauerns- würdiger Anblick, wenn man da eine Dame hinauf oder hinab klettern sah; – Leute, die nur einigermaßen ge- brechlich oder unbehülflich waren, mußten an Seilen hinab gelaffen werden. 133 Die beiden Hauptstraßen sind ziemlich breit und sehr belebt, besonders von Reitern. Jeder Chilese ist ein ge- borner Reiter, und unter den Pferden sieht man oft so schöne Thiere, daß man bewundernd stehen bleibt und ihren edlen Gang, die stolze Haltung und das Ebenmaß ihres Körperbaues nicht genug anstaunen kann. Sonderbar geformt sind die Steigbügel; sie bestehen aus hohen, schweren Holzstücken mit einer Höhlung, in welche der Reiter die Spitze des Fußes setzt. Die Räder an den Spornen sind auffallend groß und haben oft bei 4 Zoll im Durchmeffer. Die Häuser erscheinen ganz im europäischen Style ge- halten, mit flachen, italienischen Dächern. Die ältern Bauten haben nur ein Erdgeschoß und sind klein und häßlich; doch findet man unter den neuern Häusern die Mehrzahl mit einem Stockwerke, geräumig und hübsch. Das Innere dieser neuen Häuser ist gewöhnlich sehr geschmackvoll. Auf breiten Trep- pen das Stockwerk hinansteigend, kömmt man erst in eine hohe, luftige Vorhalle, von welcher große Glasthüren in die Empfangssäle und die verschiedenen Wohngemächer führen. Der Empfangsaal ist der Stolz nicht nur jedes dort angesiedelten Europäers, sondern auch des Chilesen, und auf seine Ausstattung werden oft große Summen ver- wendet. – Schwere Teppiche bedecken den ganzen Bo- den, reiche Tapeten überkleiden die Wände, die kostbarsten Möbel und Spiegel sind aus Europa herbeigeschafft, und auf den Tischen liegen prachtvolle Albums, die kunstvoll- ften Kupferstiche enthaltend. Zierliche Kamine verriethen mir, daß der Winter doch nicht so gelinde fein müffe, als manche der Einwohner mir glauben machen wollten. 134 Von den öffentlichen Gebäuden find das Theater und die Börse die schönsten. Ersteres sieht auch im Innern sehr zierlich aus; es enthält ein geräumiges Parterre nebst zwei Galerien, die in Logen abgetheilt sind. Die Städter besuchen es gerne; aber nicht so sehr wegen der italieni- fchen Oper, sondern als gemeinschaftlichen Unterhaltungs- ort. Die Damen erscheinen da im größten Putze, man macht sich gegenseitig Besuche in den Logen, welche alle sehr geräumig und mit Teppichen, Spiegeln, Kanapees und Stühlen allerliebst eingerichtet sind. Das zweite schöne Gebäude, die Börse, hat einen ziemlich großen, freundlichen Saal nebst hübschen Neben- gemächern. Die Aussicht vom Saale gewährt einen in- tereffanten Ueberblick über einen Theil der Stadt und See. – Das Haus des „deutschen Vereins enthält schöne Säle, Spiel- und Lesezimmer. An den Kirchen gefielen mir nur die Thürme, die aus 2 oder 3 sich übereinander erhebenden Achtecken be- stehen, welche von je acht Säulen getragen werden. Sie find von Holz, so wie auch die Altäre und Säulen im Schiffe der Kirche. Dieses sieht überhaupt etwas arm- felig und nackt aus, wozu der Mangel an Stühlen viel beiträgt. Die Männer stehen und die Frauen brin- gen kleine Teppiche mit, breiten sie vor sich aus und knieen oder sitzen darauf. Reichere Frauen laffen sich felbe von ihren Mägden nachtragen. – Die Kathedrale heißt La Matriza. Die Spazierorte in Valparaiso find nicht sehr ange- nehm, da die meisten Fahr- und Gehwege mit feinem, bei dem leichtesten Winde in großen Wolken emporwirbeln- 135 - dem Sand und Staub beinahfußhoch überdeckt sind. Nach 10 Uhr Morgens, zu welcher Zeit sich gewöhnlich die Seebrise erhebt, ist oft die ganze Stadt in solche Wolken eingehüllt. Viele Leute sollen auch hier an Brust- und Lungenkrank- heiten sterben. – Die besuchtesten Orte sind Polanka und der Leuchtthurm. Besonders bei letzterem ist die Aussicht sehr schön, da man bei vollkommen klarem Wetter einige der majestätischen, schneebedeckten Ausläufer der Anden erblickt. Die Straßen sind, wie ich bereits erwähnte, ziemlich belebt und werden häufig von Gesellschaftswägen (Tivola) und Cabriolets (Berlogen) durchkreuzt, in welchen man für einen Real*) von einem Ende der Stadt zum andern fahren kann. Auch sieht man viele Esel, die meist zum Tragen von Waffer oder Lebensmitteln verwendet werden. Das gemeine Volk fand ich von ausnehmender Häßlich- keit. Die Chilesen haben eine gelblich-braune Gesichtsfarbe, dichtes schwarzes Haar, höchst unangenehme Gesichtszüge und im Gesichte einen so eigenen widerlichen Ausdruck, daß jeder Phrenologe sie ungesäumt für Räuber oder doch wenigstens für Diebe erklären würde. – Kapitain Bell hatte zwar oft von der ausgezeichneten Ehrlichkeit dieser Leute gesprochen und uns in seiner stets übertrie- benen Weise versichert, daß man einen Beutel mit Gold auf die Straße legen könnte, mit der Gewißheit ihn des andern Tages noch an derselben Stelle zu finden; trotz dem muß ich aber gestehen, daß ich Angst gehabt hätte, diesen *) Ein Real ist der achte Theil eines spanischen Thalers, nach österreichischen Gelde 15%, Kreuzer. 136 ehrlichen Leuten bei Tage an einsamen Orten mit dem Gelde in der Tafche zu begegnen. In der Folge hatte ich Gelegenheit, mich von der irrigen Meinung des Kapitäns zu überzeugen, als ich an vielen Orten Gefangene sah, die an Ketten gelegt und bei öffentlichen Bauten, Straßenkehren, u. f. w. verwendet wurden. Auch sind die Fenster und Thüren mit Gittern und Balken verwahrt, wie kaum in irgend einer Stadt Europas. Des Nachts stehen in allen Straßen, auf allen bewohnten Hügeln Polizeiposten, die sich fortwährend anrufen, wie die Vorposten im Kriege; reitende Polizei durchstreift überdies die Stadt nach allen Richtungen, und einzelne Menschen, die aus dem Theater oder aus Gesellschaf- ten heimkehren, laffen sich häufig von solch berittenen Soldaten begleiten. – Auf gewaltsamen Einbruch ist Todesstrafe gesetzt. Alle diese Maßregeln sprechen doch sicher nicht für die große Ehrlichkeit des Volkes?! Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einer kleinen Scene zu erwähnen, deren Zeuge ich war, da sie vor meinem Fenster statt hatte. Ein kleiner Junge trug auf einem Brette mehrere Teller und Schüffeln; unglück- licherweise entfiel ihm das Brett – und das Geschirr lag in Trümmern zu feinen Füßen. Im ersten Augenblicke war der arme Knabe so erschrocken, daß er, gleich einer Bild- fäule, mit starrem Blicke auf das zerbrochene Geschirr nie- dersah, worauf er dann bitterlich zu weinen anfing. Die Vorübergehenden blieben zwar stehen und betrachteten den armen Jungen; aber niemand nahm Theil an seinem Unglücke; sie lachten – und gingen weiter. – An 137 andern Orten würde man gewiß gleich eine Sammlung veranstaltet, oder den Armen wenigstens bedauert und getröstet haben; zum Lachen hätte gewiß niemand Ursache gefunden. Es ist dieß zwar nur eine kleine Begebenheit; aber gerade in solchen Kleinigkeiten lernt man oft auch den Charakter der Menschen kennen. - Während meiner Anwesenheit in Valparaiso trug sich übrigens noch eine ganz andere, wahrhaft grauen- volle Geschichte zu. Wie bereits bemerkt so ist es auch hier, wie in manchen Ländern Europa's, gebräuchlich, die Verbrecher zu öffentlichen Arbeiten zu verwenden. – Einer dieser Sträflinge nun suchte den Wärter durch Bestechung für feine Befreiung zu gewinnen, was ihm auch in so weit gelang, als sich der Wärter verbindlich machte, ihm gegen Bezahlung einer Onze (17 spanische Thaler) Gelegenheit zur Flucht zu verschaffen. Da nun die Gefangenen täglich des Morgens und des Mittags von ihren Ver- wandten und Freunden besucht werden und auch von diesen Lebensmittel empfangen dürfen, so brachte ihm seine Frau bei einer solchen Gelegenheit das Geld, nach deffen Empfange der Wärter es einzurichten wußte, daß der Verbrecher am nächsten Morgen nicht, wie es ge- wöhnlich geschah, mit einem andern an dieselbe Kette gefeffelt wurde; er konnte allein gehen und auf diese Art leichter entfliehen, um so mehr, als der Ort der Arbeit in einer ziemlich einsamen Gegend lag. Der Plan war sehr schlau angelegt; – aber mochte der Wärter sich anders besonnen haben, oder lag es schon 138 zum Voraus in seinem Plane, – er schoß dem Flücht- linge nach und streckte ihn todt zu Boden. Höchst selten sieht man noch unvermischte Abkömm- linge der Ureinwohner *); mir kamen deren nur zwei zu Gesichte. Ich fand sie den Puris in Brasilien ziemlich ähnlich, nur daß sie nicht so kleine und häßlich geschlitzte Augen hatten. – Sclaven gibt es in diesem Lande nicht. Die Kleidung der Chilesen ist ganz europäisch, be- sonders die der Frauen. Die Männer tragen nur statt des Rockes häufig den Poncho, der aus zwei Tuch- oder Merinostreifen besteht, deren jeder ungefähr eine Elle breit und zwei Ellen lang ist. Diese werden zusammen genäht und man läßt nur in der Mitte eine Oeffnung, um den Kopf hindurch zu stecken. Das ganze Kleidungsstück reicht bis an die Hüften und hat ungefähr die Form eines viereckigen Mantelkragens. Man trägt diese Ponchos in allen Farben, grün, blau, hochroth u. f. w. Sie laffen sehr schön, besonders wenn sie, wie dieß bei Rei- chen und Wohlhabenden der Fall ist, ringsum mit Sticke- reien in farbiger Seide geziert sind. Die Frauen tragen auf der Straße stets große Um- schlagetücher, die sie in der Kirche über den Kopf ziehen. Ich war nach Chili mit der Absicht gekommen, einige Wochen da zu verweilen, um auch nach der Hauptstadt des Landes Santiago einen Ausflug machen zu können, und wollte dann erst meine Reise weiter nach China fort- etzen. *) So wie die jetzigen Brasilianer von den Portugiesen, flam- men die Chilesen von den Spaniern. 139 In Rio de Janeiro hatte man mir gesagt, daß von Valparaiso jeden Monat Schiffe nach China abgingen. Lei- der war dem nicht so. Ich erfuhr hier, daß Gelegenheiten dahin äußerst selten vorkämen, daß aber gerade jetzt ein Schiff bereit läge, welches in 5 – 6 Tagen unter Segel ginge. Allgemein rieth man mir, diese Gelegenheit nicht zu versäumen und lieber auf den Besuch Santiago's zu verzichten. Nach kurzen Besinnen that ich es, aber mit schweren Herzen und ging, um fernere Bedenklichkeiten zu verhüten, augenblicklich zu dem Kapitän, der sich für die Summe von 200, spanischen Thalern bereit erklärte, mich mitzunehmen. Ich schloß ab, und hatte nun nur über 5 Tage zu gebieten, die ich zur fleißigen Besichtigung Valparaiso"s und seiner Umgebungen zu benützen gedachte. Wohl hätte diese Zeit hingereicht, Santiago im Fluge zu besuchen, da diese Stadt nur 32 Leguas von Valparaiso entfernt ist; es wäre aber dieser Ausflug mit großen Kosten verbunden gewesen, indem keine öffentliche Post- kutsche dahin geht und man eine eigene Gelegenheit mie- then muß. Auch würde es mir wenig Vergnügen geboten haben, von beiden Städten nur flüchtige Eindrücke zu erhalten. Ich begnügte mich also mit Valparaiso, stieg fleißig auf die umliegenden Hügel und Berge, besuchte die Hüt- ten der niedern Volksklaffe, ließ mir ihre Nationaltänze aufführen u. f. w. – ich wollte wenigstens hier alles vollkommen kennen lernen. Auf einigen der Hügel, besonders auf der Serra Allegri stehen äußerst niedliche Landhäuser in zierlichen Gärten mit schönen Fernsichten auf die See. Weniger 140 anziehend ist die Ansicht des Landes, da sich hinter diesen Hügeln, höhere, kahle und häßliche Bergketten erheben die jede weitere Aussicht beschränken. - Die Hütten der armen Leute sind ganz erbärmlich schlecht, meist aus Lehm und Holz zusammen geklebt, und dem Einsturze nahe. Kaum wagte ich es einzutreten; ich dachte mir das Innere dem Aeußeren entsprechend und war daher sehr erstaunt, nicht nur gute Betten, Tische und Stühle, sondern auch häufig kleine, ganz nett mit Blumen geschmückte Hausaltäre vorzufinden. Auch die Bewohner waren nicht gar so schlecht gekleidet und die Wäsche, die vor vielen solchen Baracken hing, schien mir beffer als manche, die ich in den belebtesten Straßen der Städte Siciliens vor den Fenstern eleganter Gebäude fah. Das Leben und Treiben des Volkes kann man auch sehr gut kennen lernen, wenn man an Sonn- und Fest- tagen in der Gegend Polanka's umherstreift und die Gar- küchen besucht. Ich will meine Leser in solch eine Garküche einfüh- ren. In einer Ecke auf dem Boden glimmt ein derbes Feuer, umstellt von vielen Töpfen, dazwischen hölzerne Spießelehnend, an welchen Rind- und Schweinefleisch steckt. Es fiedet, kocht und röstet da, daß man sich ein gar lecke- res Mahl verspricht. Ein plumpes, hölzernes Gestell, worauf ein langes, breites Brett liegt, steht in der Mitte des Gemaches und ist mit einem Tuche überdeckt, dessen ursprüngliche Farbe zu erforschen wohl zu den Unmög- lichkeiten gehörte. Dieß ist die Tafel, um welche sich die Gäste reihen. Beim Effen selbst herrschen die alten pa- triarchalischen Sitten, nur mit dem Unterschiede, daß nicht 141 blos alle Gäste aus einer Schüffel effen, sondern daß auch alle Gerichte in einer Schüffel aufgetischt wer- den. Da liegen Bohnen und Reis, Kartoffeln und Rin- derbraten, Paradiesäpfel und Zwiebeln u. f.w. ganz fried- lich neben einander und werden mit großem Appetite bei tiefster Stille verzehrt. Am Ende der Mahlzeit kömmt der Humpen an die Reihe, der von Hand zu Hand geht und mit Wein oder auch nur mit Waffer gefüllt ist. Dann erst fängt die Gesellschaft an zu sprechen. – Des Abends wird in diesen Lokalen bei einer Guitarre auch fleißig ge- tanzt. Leider war gerade Fastenzeit, während wel- cher alle öffentlichen Unterhaltungen verboten sind. Die Leute nahmen es jedoch nicht so genau und waren für einige Reaux gleich bereit, mir in einem Hinterstübchen eine Aufführung ihrer Nationaltänze, der Sammaquecca und Refolosa zum besten zu geben. Ich hatte bald genug, fo über alle Maßen unanständig waren die Geberden und Bewegungen der Tänzer, und mich dauerte nur die Ju- gend, deren angeborenes Zartgefühl durch Anschauung dieser Tänze schon im ersten Keime erstickt wird. Nicht minder mißfiel mir eine hier herrschende fon- derbare Sitte, in Folge welcher der Tod eines kleinen Kindes von den Eltern als Freudenfest gefeiert wird. Sie nennen das verstorbene Kind einen Angelito (Engel- chen) und schmücken es auf alle Weise aus. Die Augen werden ihm nicht geschloffen, sondern im Gegentheil so weit als möglich geöffnet, die Backen roth gefärbt, es wird mit den schönsten Kleidern angethan, mit Blumen bekränzt und auf einem kleinen Stuhle in eine Art Nische gesetzt, die ebenfalls mit Blumen ausgeschmückt ist. Nun T142 kommen die Verwandten und Nachbarsleute und wünschen den Aeltern Glück zum Besitze eines solchen Engelchens, – ja in der ersten Nacht werden von den Eltern, Ver- wandten und Freunden vor dem Angelito die tollsten Tänze aufgeführt, die fröhlichsten Mahlzeiten begangen. Auf dem Lande soll es nicht ungewöhnlich sein, daß die Eltern selbst den kleinen Sarg nach dem Kirchhofe tragen und die Verwandten mit der Branntweinflasche in der Hand, jubelnd und lärmend nachströmen. Ein hiesiger Kaufmann erzählte mir, erst kürzlich habe einer feiner Freunde, der bei der Regierung angestellt ist, eine fonderbare Klage zu entscheiden gehabt. Ein Todtengräber trug nämlich solch ein verstorbenes Engelchen nach dem Kirchhofe und trat unterwegs in eine Schenke, um in der Eile ein Gläschen zu trinken. Der Wirth frug ihn, was er unter dem Poncho trage, und als er erfuhr, daß es ein Angelito fei, ersuchte er den Mann, ihm felbes für zwei Reaux zu überlaffen. Dieser war dazu bereit, und der Wirth errichtete nun eilig in der Trinkstube eine kleine Blumenmische, setzte das erhandelte Engelchen hinein und theilte der ganzen Nachbarschaft mit, welch Kleinod er besäße. Alles kam herbei, besah das liebe Engelchen und trank und schmauste zu seinen Ehren. Bald erfuhren es aber auch die Eltern, die also- gleich in die Schenke eilten, ihr Kind wegnahmen und den Wirth beim Richter verklagten. Der konnte sich des La- chens bei Anhörung der Klage kaum enthalten und legte die Sache friedlich bei, da in dem Gesetzbuche eines sol- chen Vergehens nicht gedacht war. Sonderbar ist die Art und Weise, wie Kranke nach 143 dem Spitale geschafft werden. Man setzt sie auf ganz einfache, hölzerne Armstühle, an welchen vorne ein Strick befestiget ist, der sie vor dem Herabstürzen schützt, und unten ein zweiter, auf welchen sie die Füße stellen – ein schrecklicher Anblick, wenn der Kranke schon so schwach ist, daß er sich nicht mehr in sitzender Stellung aufrecht halten kann. - Nicht wenig war ich erstaunt, in diesem Lande, wo noch keine Postbeförderung eingerichtet ist und überhaupt mit keinem Orte eine regelmäßige Verbindung statt hat, von der Anlegung einer Eisenbahn zu hören, die von hier nach Santiago geführt werden soll. Eine Gesellschaft von Engländern unternimmt dieses Werk, und die Meffun- gen haben bereits begonnen. Da die Gegend sehr gebirgig ist, müffen bedeutende Umwege gemacht werden, um Ebenen zu gewinnen. Hieraus erwachsen sehr große Kosten, die mit dem jetzigen Stande des Handels und des Personen- verkehrs nicht im geringsten in Vergleich gebracht werden können. Gegenwärtig fahren kaum des Tages einige Wagen, und wenn ja einmal 10 oder 15 Reisende von Santiago nach Valparaiso kommen, so spricht die ganze Stadt davon. Man glaubt daher auch, daß der Bau der Eisenbahn den Unternehmern nur zum Vorwande dient, um in allen Richtungen des Landes ungehindert nach Gold und Silber suchen zu können. Die Entdecker von Minen werden hier sehr begün- ftigt; sie haben auf ihre Entdeckung volles Eigenthums- recht und brauchen nur deren Besitznahme der Regierung anzuzeigen. Das Ding geht so weit, daß, wenn z. B. jemand mit irgend scheinbaren Gründen behaupten kann, 144 hier oder dort, vielleicht unter einem Hause, einer Kirche u. f. w. sei eine Mine zu finden, er ermächtiget wird, eines wie das andere wegreißen zu laffen, voraus- gesetzt, daß er im Stande ist, den Schaden zu vergüten. Vor ungefähr 15 Jahren entdeckte ein Eseltreiber auf eine sehr zufällige Weise eine ergiebige Silbermine. Er trieb mehrere Esel über die Gebirge, von welchen ihm eines Morgens einer entlief. Als er einen Stein aufhob, um ihn dem Thiere nachzuwerfen, strauchelte er und fiel zu Boden; der Stein entglitt ihm und rollte fort. Mit Ungestüm riß er einen zweiten aus der Erde, sprang auf und wollte eben zum Wurfe ausholen, als ihm der Stein durch eine ungewöhnliche Schwere auffiel; er besah ihn genauer und fand ihn von reinen, reichen Silberadern durchzogen. Wie einen Schatz verwahrte er den Stein, bezeichnete den Ort, zog mit seinen Eseln heim und theilte alsbald einem seiner Freunde, einem Berg- manne, die wichtige Entdeckung mit. Beide gingen nun zur Stelle, die der Bergmann untersuchte und für sehr reichhaltig erklärte. Jetzt fehlte ihnen nichts als ein Ve- triebskapital; aber auch dieses fand sich, indem sie den Herrn des Bergmannes in Gesellschaft nahmen, – und in wenig Jahren waren alle drei reiche Leute. Die sechs Tage waren verfloffen und der Kapitän ließ mir sagen, daß ich am folgenden Tag mit Sack und Pack an Bord kommen möge, da er Abends in See zu gehen gedächte. Aber am selben Tage Morgens führte mein böser Dämon ein französisches Kriegsschiff herbei, dessen 145 Bestimmung Olahiti war. Ich dachte nicht im entfernte- ften daran, daß dieses Schiff meine Pläne durchkreuzen könnte und begab mich ganz ruhig nach dem Landungs- platze. Da eilte mir der Kapitän entgegen und erzählte mir eine lange Geschichte von seiner halben Ladung, von dem französischen Kapitän, und daß er die Ladung mit Le- bensmitteln für den Bedarf der französischen Besatzung zu Otahiti löschen werde u.fw. – kurz das Ende der Ge- schichte war: – noch 5 Tage Aufschub. In meinem Unmuthe besuchte ich den fardinischen Konsul, Herrn Bayerbach, und klagte ihm meine Noth. Der gute Herr tröstete mich, so gut er es vermochte, und als er erfuhr, daß ich bereits an Bord wohne, drang er in mich, ein Zimmer feines Landhauses auf der Serra Allegri zu beziehen. Außerdem führte er mich in meh- rere Häuser, wo ich manche angenehme Stunde verbrachte und Gelegenheit hatte, einige ausgezeichnete Sammlungen von Muscheln und Insekten zu besehen. Die Abreise wurde nach den 5 Tagen abermals von Tag zu Tag verschoben, und obwohl ich auf diese Art 15 Tage in Chili zugebracht habe, sah ich doch nichts weiter als Valparaiso und die nächste Umgebung. Da Valparaiso südlich der Linie liegt, und, wie be- kannt, die Jahreszeiten der südlichen Hemisphäre jenen der nördlichen entgegen sind, so hatten wir hier den Herbst. – Ich fand (34. Breitengrad) von Früchten und Ge- müsen beinah dieselben Gattungen, wie wir sie in Deutsch- land haben, vorzüglich Trauben und Melonen. Aepfel und Birnen waren weniger gut und auch nicht fo viel- fältig wie bei uns. Pfeiffers Reise, 1 Th. 10 146 Schließlich für Reisende die Preise einiger Gegen- fände: Ein nur einigermaßen anständiges Zimmer in einem Privathause kostet täglich 4 bis 5 Reaux, die Table d'hôte einen Piaster, eine Flasche spanischen Weins einen Piafter. – Am theuerten aber kömmt das Waschen der Wäsche, (hieran ist der große Waffermangel Ursache) da für jedes Stück, groß oder klein, ein Real gefordert wird. – Auch der Reisepaß kostet sehr viel, man muß dafür 8 spanische Thaler bezahlen. - Statistische Notiz über Chili. Der Flächen-Inhalt der Republik Chili ist 6600 O.Meilen, auf welchen etwa 1%, Million Einwohnerver- theilt sind. Unter letzteren befinden sich 125,000 Creo- len, 125,000 Mestizen und Mulatten und einige tausend Neger. Der Rest besteht aus Indianern (Ur-Einwoh- nern) und den Nachkommen der eingewanderten Spanier. Chili war, bevor es sich unabhängig machte und die republikanische Verfaffung annahm, eine spanische Gene- ral-Capitanerie. – Die herrschende Sprache ist spanisch, die Religion des größten Theils der Einwohner die katho- iche – Die Hauptstadt des Landes, Santiago, hat 6 000 Einwohner und viele öffentliche Gebäude und a e . Valparaiso (mit 50.000 Einwohnern) ist der größte Hafen und Handels-Platz Chilis, und einer der wichtigsten des stillen Meeres. Die Haupt-Produkte des Landes bestehen in außer- ordentlich zahlreichen, zum Theil wilden Rinderhorden, 147 - vortrefflichen Pferden, aus Obst, Wein, Tabak, Oliven, Flachs, Waizen und allen Früchten der gemäßigten Zone, ferner aus Kupfer, Silber, Gold, Eisen, Blei und an- dern Metallen. Münz- und Meilenmaß. Goldmünzen: ganze, halbe und viertel Onzen. Silbermünzen: Piaster, auch Pesos oder „harte Thaler genannt, ferner: Reaux, Medios und Quadrillos. Ku- pfermünzen: Centavos. Eine Onze hat 17 Piaster, – ein Piaster 8 Reaux, – ein Real 2 Medios oder 4 Quadrillos und ein Qua- drillo 4 Centavos. Der Werth eines Piasters ist 2fl. 5 kr. C.M. nach österreichischem Gelde oder 5 Franken 9 Cent. 18 Leguas machen 15 deutsche Meilen. p 0* Reise von Valparaiso über Caiti nach Canton. Abreise von Valparaiso. Taiti. Sitten und Gebräuche des Volkes. Fest und Ball zur Namensfeier Louis Philipps. Ausflüge. Ein taitisches Mahl. Der Binnensee Vaihiria. Der Engpaß von Fautaua und das Diadem. Abreise. Ankunft in China. Am 17. März ließ mich Kapitän van Wyk Ju- riante benachrichtigen, daß sein Schiff fegelfertig sei, und daß er am nächsten Morgen in See gehen werde. Diese Nachricht kam mir sehr ungelegen, indem ich seit zwei Tagen an einer anhaltenden Diarrhöe litt, einem Uebel, das auf einem Schiffe, wo man weder Fleischbrühe noch sonst ein leichtes Gericht bekömmt und den Wechsel- fällen der Witterung doch immer mehr ausgesetzt ist als auf dem Lande, leicht gefährlich werden kann. Anderer- seits wollte ich die seltene Gelegenheit nach China, so wie die für die Ueberfahrt bereits erlegten 200 Dollars nicht verlieren; ich ging daher an Bord, vertrauend auf mein Glück, das mich noch auf keiner meiner Reisen verlaffen hatte. Ich suchte in den ersten Tagen mein Uebel durch strenge Diät zu bekämpfen und enthielt mich beinahe aller Nahrung, – vergebens – ich litt fortwährend, bis mir der glückliche Gedanke kam, kalte Seebäder zu gebrauchen. Ich nahm sie in einer Tonne, blieb immer eine Viertel- stunde im Waffer, und fühlte schon nach dem zweiten Bade 149 bedeutende Befferung, – nach dem sechsten war ich her- gestellt. Dieses Uebels, dem ich in heißen Ländern sehr unter- worfen war, erwähne ich nur, um bemerken zu können, daß Seebäder oder kühlende Getränke als: Buttermilch, saure Milch, Sherbet, Orangeade u. dgl. sehr zweckmäßige Mittel dagegen find. Das Schiff, auf welchem ich diese Reise machte, war die holländische Barke Lootpuit, ein starkes und schönes Schiff, auf welchem große Reinlichkeit herrschte und ziemlich gute Kost, einige holländische Speisen und den Ueberfluß an Zwiebeln abgerechnet. Mit letzteren, die bei allen Gerichten eine hervorragende Rolle spielten, konnte ich mich durchaus nicht befreunden; zu meinem Glücke verdarb im Verlaufe der Reise ein großer Theil dieses edeln Produktes. Der Kapitän war ein artiger, freundlicher Mann, und auch die Steuerleute und Matrosen waren gut und gefällig. Ueberhaupt fand ich auf den Schiffen, die ich kennen lernte, die Seeleute durchaus nicht so grob als man sie häufig von Reisenden schildern hört. Feinen Ton besitzen sie freilich nicht, und besondere Aufmerksam- keiten und Rücksichten erweisen sie dem Reisenden auch nicht; aber natürliche Gutmüthigkeit und Herzlichkeit trifft man bei den meisten. Schon nach drei Tagen, am 21. März, fahen wir das Eiland St. Felix, und des folgenden Morgens St. Ambrosio. Beide bestehen aus kahlen, unwirthbaren Felsenmaffen und dienen höchstens einigen Möven zum Aufenthalte. Wir traten nun in die Tropenkreise, fanden aber 150 die Hitze durch den Passatwind gemäßigt und nur in der Kajüte lästig. Beinahe einen Monat schifften wir in der größten Gleichmäßigkeit dahin, ohne Sturm und Gewitter, im einförmigen Anblicke von Himmel und Waffer, bis wir am 19. April den Archipel der „niedrigen Infeln erreichten. Diesen Archipel, der sich vom 36. bis zu dem 14. Längengrade erstreckt, ist den Schiffern sehr ge- fährlich, da die meisten Inseln kaum einige Fuß über die Meeresfläche ragen, – ja, um David Clark's Eiland darunter zu fehen, von dem wir nur 12 Meilen entfernt waren, mußte der Kapitän in den Mastkorb steigen. In der Nacht vom 21. auf den 22. April hatten wir ein tüchtiges Donnerwetter in Begleitung eines plötzlichen und heftigen Sturmes, den unser Kapitain, weil er von Donner begleitet war, eine Donner-Bö nannte. Während dieser Donnerbö bildeten sich wiederholt an der Spitze des Topmastes sogenannte Valentins- Feuer. Es sind dies electriche Flämmchen, die gewöhnlich die höchsten Spitzen eines Gegenstandes umspielen und nach zwei bis drei Minuten wieder verlöschen. Die Nacht vom 22. auf den 23. April war eine gefährliche; der Kapitain selbst nannte sie so. Wir hat- ten mehrere der niedern Eilande zu paffiren und dabei düsteres Regenwetter, welches uns den Mond gänzlich ver- hüllte. Gegen Mitternacht wurde unsere Lage noch durch einen heftigen Wind verschlimmert, und dieser, so wie auch ein unaufhörliches Wetterleuchten machten uns auf eine starke Bö gefaßt; glücklich aber kam der Morgen heran, und wir entgingen dem Sturm und den Eilanden. 151 Im Laufe des Tages schifften wir an den Vogel- eilanden vorüber, und zwei Tage darauf, am 25. April fahen wir schon eine der Gesellschafts-Inseln, Maihia. Am folgenden Morgen, am 39. Tage unserer Reise, befanden wir uns im Angesichte Taitis und der gegenüber liegenden Insel Emao, auch Moreo genannt. Die Einfahrt in den Hafen Taitis, Papeiti, ist eine der gefährlichsten; Corallenriffe umgeben ihn gleich einer Festung; wild zi- schend und brausend schlägt die Brandung von allen Seiten auf, und für die Einfahrt bleibt nur ein schmaler Raum offen. Ein Lootse kam uns entgegen, und obwohl der Wind fo ungünstig war, daß die Segel alle Augenblicke umge- stellt werden mußten, führte er uns doch glücklich in den Hafen ein. Als wir später an's Land gestiegen waren, wünschte man uns herzlich Glück dazu; man hatte unsere Einfahrt mit Angst verfolgt und bei der letzten Wendung des Schiffes schon sehr gefürchtet, es auf eine Corallen- bank laufen zu sehen. Dies Unglück wiederfuhr einem der französischen Kriegsschiffe, das nun schon seit mehreren Monaten hier vor Anker liegt und mit der Ausbefferung des Schadens beschäftiget ist. Noch war der Anker nicht gefallen, so umgaben uns schon ein halb Dutzend Piroguen (Kähne) mit Indianern, die von allen Seiten auf das Deck kletterten und uns Früchte und Muscheln anboten, aber nicht wie einst, gegen rothe Lappen oder Glasperlen, – diese goldenen Zeiten für die Reisenden sind vorüber – sie verlangten Geld und waren in ihrem Handel so gewinnsüchtig und geschickt wie die civilisiertesten Europäer. Ich bot einem der India- 152 ner ein Ringelchen von Bronce; er nahm es, beroch es, schüttelte den Kopf und gab mir sogleich zu verstehen, daß es nicht von Gold sei. Er bemerkte einen Ring an meinem Finger, faßte nach meiner Hand, beroch eben- falls den Ring, verzerrte das Gesicht in ein freundliches Lächeln und deutete mir an, ihm diesen zu geben. – Ich hatte späterhin mehrfache Gelegenheit zu bemerken, daß diese Insulaner das echte Gold vom falschen durch den Geruch zu unterscheiden verstehn. Die Insel Taiti fand vor mehreren Jahren unter englischen Schutze, genießt aber jetzt den französichen. Lange war sie ein Zankapfel zwischen beiden Nationen, bis im November 1846 Friede geschloffen wurde. Die Königin Pomare, die sich nach einer andern Insel geflüchtet hatte, war vor fünf Wochen nach Papeiti zurückgekommen. Sie bewohnt hier ein Häuschen von vier Zimmern und speist täglich fammt Familie beim Gouverneur. Die französische Regierung läßt ihr ein anständiges Haus bauen und gibt ihr jährlich eine Pension von 25 000 Franken. Sie darf keinen Fremdenbesuch ohne Bewilligung der französischen Behörde empfangen; man erhält aber diese Bewilligung sehr leicht. Papeiti war voll französischen Militairs, und mehrere Kriegsschiffe lagen im Hafen. Der Ort hat 3–400 Einwohner, und besteht aus einer Reihe kleiner hölzerner Häuschen längs des Hafens, die durch Gärtchen getrennt sind. Im Hintergrunde schließt sich unmittelbar ein schöner Wald an, in welchem noch viele Hütten zerstreut liegen. Die vorzüglichsten Gebäude sind: das Haus des Gou- 153 verneurs, die französischen Magazine, das Militär-Back- haus, die Kaserne und das Haus der Königin, das aber noch nicht ganz fertig war. Uebrigens wurden überall viele kleine hölzerne Häuser, häufig nur aus einem Zim- mer bestehend, gebaut, um dem Mangel an Wohnungen so schnell als möglich abzuhelfen, der zur Zeit meiner An- wesenheit so groß war, daß selbst höhere Offiziere mit den erbärmlichsten indianischen Hütten vorlieb nehmen mußten. Ich suchte vergebens irgend ein Kämmerchen zur Miethe zu bekommen und ging von Hütte zu Hütte; aber alles war besetzt. Ich mußte mich endlich mit einem Fleckchen in einer Hütte begnügen. Dies fand ich bei einem Zimmermanne, in dessen Gemache bereits vier Per- fonen wohnten. „Man wies mir einen Platz hinter der Thüre an, der gerade sechs Fuß lang und vier Fuß breit war. Der Boden war nicht gedielt – die Wände be- fanden aus Staketen – von einem Bettgestelle oder einem Stuhle war keine Rede, und dennoch mußte ich pr. Woche 1 fl. 30 kr. C. M. bezahlen. Die Wohnung oder Hütte eines Indianers besteht entweder aus einem Palmblätterdache, das auf mehreren Pfählen ruht, oder auch aus Wänden von Staketen. Jede Hütte bildet nur ein Gemach, das von 20 bis 50 Fuß lang, von 10 bis 30 Fuß breit ist, und oft mehrere Familien zugleich beherbergt. Die Einrichtung bilden schön geflochtene Strohmatten, einige Decken, ein Paar hölzerne Kisten und einige Schemel; letztere gehören aber schon zum Ueberfluffe. Der Kochgeschirre bedürfen die Indianer nicht, ihre Gerichte sind ohne Suppen und Saucen, und werden ganz einfach zwischen glühenden Stel- nen gebraten. Ihr ganzes Bedürfniß besteht aus einem Meffer und einer Cocuschale als Gefäß für das Waffer. Vor den Hütten oder am Strande liegen ihre Piro- gen (ausgehöhlte Baumstämme), die so schmal, feicht und klein sind, daß sie stets umstürzen würden, wenn nicht an einer der Seiten oben und unten fünf bis sechs Fuß lange Stangen befestiget wären, die durch eine Querstange ver- bunden sind und so das Gleichgewicht erhalten. Deffen ungeachtet schlägt ein solcher Kahn, wenn man nicht äu- ßerst vorsichtig einsteigt, sehr leicht um, und als ich einmal damit an unser Schiff gefahren kam, erschrack der gute Kapitän fehr, zankte mich sogar in seiner Gutmüthigkeit aus und beschwor mich, es ein zweites Mal nicht mehr zu versuchen. Der Anzug der Indianer ist seit der Niederlaffung der Miffionäre (ungefähr 50 Jahre) ziemlich anständig, besonders in der Nähe Papeili's. Männer und Weiber tragen eine Art Schürze aus farbigem Zeuge, Pareo ge- nannt, die sie um die Lenden schlagen. Bei den Weibern reicht dieser Pareo bis an die Knöchel, bei den Männern bis über die Schenkel. Die Männer haben darüber ein kurzes farbiges Hemd und darunter auch häufig eine weite Hose – die Weiber eine Art langer, faltenreicher Blouse. Beide Geschlechter tragen Blumen in den Ohrläppchen, welch letztere so stark durchstochen sind, daß der Stängel jeder Blume leicht durchgezogen werden kann. Die In- dianerinnen, alt und jung, schmücken sich außerdem mit Blätter- und Blumenkränzen, welche die höchst kunstvoll 155 und zierlich zu verfertigen verstehen. Auch Männer fah ich häufig Blätterkränze tragen. Bei festlichen Gelegenheiten werfen sie über den ge- wöhnlichen Anzug noch ein Oberkleid, Tiputa genannt, deffen Stoff sie selbst verfertigen, und zwar von der Rinde des Brod- und Cocusbaumes. Die Rinde wird, wenn sie noch zart ist, mit Steinen so lange geklopft, bis sie dünn wie Papier ist, und hierauf gelb und braun gefärbt. Eines Sonntags ging ich in das hölzerne Bethaus, um das Volk versammelt zu sehen*). Vor dem Eintritte in das Gotteshaus legten alle ihre Blumen ab, mit denen sie sich beim Herausgange wieder schmückten. Einige der Indianerinnen hatten schwarze Atlas-Blousen an und euro- päische, höchst altmodische Damenhüte auf. Man konnte nicht leicht etwas häßlicheres sehen, als diese plumpen Köpfe und Gesichter unter den Damenhüten. Während die Psalmen gesungen wurden, herrschte einige Aufmerksamkeit, und viele vom Volke fangen ganz artig mit. Beim Vortrage des Geistlichen aber bemerkte ich auch nicht die geringste Andacht – die Kinder spiel- ten, schäkerten und aßen, die Erwachsenen schwatzten oder schliefen, und obwohl man mich versicherte, daß viele der Eingebornen lesen und sogar schreiben könnten, sah ich doch nur zwei Greise von ihren Bibeln Gebrauch machen. Der Menschenschlag ist ausgezeichnet kräftig und stark. Männer von sechs Fuß Höhe gehören nicht zu den Seltenheiten. Die Weiber sind ebenfalls sehr groß, aber *) Alle Indianer find Christen (Protestanten), aber wohl nur dem Namen nach. - T156 gar zu kräftig – man könnte sie plump nennen. Die Ge- sichtszüge der Männer sind hübscher als jene der Frauen. Sie haben sehr schöne Zähne und dunkle schöne Augen, aber meist einen großen Mund, dicke Lippen und häßliche Nasen. Man drückt den neugebornen Kindern den Nasen- knorpel ein wenig ein, wodurch die Nase flach und breit wird. Diese Mode scheint beim weiblichen Geschlechte besonders beliebt zu sein, denn bei ihnen sieht man die häßlichsten Nasen. Das Haar ist kohlschwarz und dicht, aber grob; Weiber und Mädchen tragen es gewöhnlich in einen oder zwei Zöpfe geflochten. Die Hautfarbe ist kupferbraun. Tätowirt sind alle, meist von den Hüften bis über die halben Schenkel; selten erstreckt sich diese Zierde auf Hände, Füße, oder andere Theile des Körpers. Die Zeichnungen erscheinen arabeskenartig, sehr regelmäßig, kunstvoll zusammengesetzt und geschmackvoll ausgeführt. Daß die Menschen hier so kräftig und schön gebaut find, ist um so wunderbarer, wenn man weiß, wie ausge- laffen und sittenlos die leben. Mädchen von sieben bis acht Jahren haben ihre kleinen Liebhaber von zwölf bis dreizehn Jahren, worüber sich die Eltern sehr freuen. Je größer die Zahl der Liebhaber, desto mehr Ehre für das Mäd- chen. So lange ein Mädchen nicht verheirathet ist, lebt sie so ungebunden als nur immer ein Wüstling zu leben vermag – selbst als Weiber sollen sie nicht die getreuesten Gattinnen fein. Ich hatte mehrmals Gelegenheit ihren Tänzen bei- zuwohnen. Es sind dies die unanständigsten, die ich je gesehen. Und dennoch würde mich jeder Maler um solch eine Scene beneiden. Man denke ich einen Hain von 157 prächtigen Palmen und andern Riesenbäumen der heißen Zone, darunter offene Palmenhütten und eine Schaar fröh- licher Indianer, die sich versammeln, um den herrlich her- annahenden Abend nach ihrer Art zu feiern. Sie bilden vor einer der Hütten einen Kreis, in defen Mitte zwei herkulische, halbnackte Indianer sitzen, die auf kleine Trommeln nach dem Takte tapfer schlagen. Fünf ähnliche Koloffe sitzen vor ihnen und machen mit dem Oberkörper die schrecklichsten und heftigsten Bewegungen – ganz be- fonders mit den Armen, Händen und Fingern; von letz- teren wissen sie jedes Glied einzeln zu bewegen. Es schien mir, als wollten sie durch diese Geberden vorstellen, wie sie den Feind verjagen, seiner Feigheit spotten, sich ihres errungenen Sieges freuen u. f. w. Dabei stoßen sie fort- während ein mißtönendes Geheul aus und verzerren die Gesichter auf das gräßlichste. Im Anfange wüthen die Männer ganz allein auf dem Schauplatze, bald aber für- zen zwei weibliche Gestalten aus den Reihen der Zuseher hervor und tanzen und toben wie Beseffene; – je un- anständiger, frecher und ausgelaffener ihre Geberden und Bewegungen sind, desto stürmischer fallen die Veifallsbe- zeigungen aus. – Die ganze Vorstellung währt höchstens zwei Minuten, die Pause der Ruhe nicht viel länger, wor- auf sie wieder aufs neue beginnen. Eine solche Unter- haltung dauert oft Stunden lang fort. Jünglinge neh- men selten Theil am Tanze. Eine große Frage ist, ob der Unsittlichkeit der In- dianer durch das Benehmen der gebildeten Franzosen ge- steuert wird?! So viel ich beobachtete oder auch von er- fahrenen Leuten vernahm, mag vor der Hand wenig zu 158 hoffen sein. – Im Gegentheile lernen die Eingebornen jetzt eine Menge unnöthiger Bedürfniffe kennen, in Folge deren die Begierde nach Geld in ihnen schrecklich erwacht ist. Da sie nun von Natur aus sehr träge sind und durchaus nicht arbeiten wollen, so haben sie das weibliche Geschlecht zum Mittel des Erwerbes ausersehen. Eltern, Geschwister, ja Ehemänner führen ihre Angehörigen den Fremdlingen zu. Die Weiber sind es auch zufrieden, indem sie so auf leichte Art Putz für sich und Geld für die Ihrigen erlangen. Jedes Haus eines Offiziers ist das Stelldichein mehrerer eingeborner Schönen, die da zu jeder Stunde des Tages aus- und eingehen. Selbst außer dem Hause nehmen sie es nicht sehr genau, sie begleiten gleich jeden Mann, und keiner der Herren entzieht sich solch einer Begleiterin. Als Frau in vorgerücktem Alter ist es mir wohl er- laubt, über derlei Gegenstände Bemerkungen zu machen, und ich muß offen gestehen, daß, obwohl ich viel in der Welt herum gereist bin und viel gesehen habe, mir noch nie so ein öffentlich schamloses Betragen vorgekommen ist. Ich will nur einer kleinen Scene erwähnen, welche sich einst vor meiner Hütte zutrug und als Beleg meiner Behauptung dienen mag. Vier dicke Grazien kauerten in gar anmuthigen Stel- lungen beisammen auf dem Boden und rauchten Tabak. Da kam ein Offizier vorüber, erblickte das reizende Bild und siehe – er eilte im Sturmschritte darauf zu und er- faßte eine der Holden an der Schulter. Anfangs sprach er in sanften Worten zu ihr, die sich aber bald unter stei- gendem Zorne in ein gewaltiges Schreien und Schimpfen verwandelten. Doch weder Bitten noch Drohungen mach- 159 ten den geringsten Eindruck auf das zartfinnige Wesen; es blieb ruhig in seiner Stellung, rauchte gemüthlich fort und würdigte den wuthentbrannten Seladon keines Blickes, viel weniger eines Wortes. Der erboste Geliebte vergaß sich so weit, dem Mädchen die goldenen Reifen aus den Ohren zu lösen und ihr zu drohen, die all' des Putzes zu berauben, den er ihr geschenkt habe. Auch dies war nicht vermögend, das Mädchen aus ihrem stumpfen Gleich- muth zu bringen, und der tapfere Offizier sah sich am Ende gezwungen das Feld zu räumen. Aus den Reden, die er halb in französischer, halb in der Landessprache hielt, entnahm ich, daß ihn das Mädchen in Zeit von drei Monaten an vier hundert Fran- ken gekostet, die er für Putz und Geschmeide ausgegeben hatte. Ihre Wünsche waren nun erfüllt, und sie ließ ihn ohne weiters laufen. Ich hörte sehr häufig das Gefühl, die Anhänglichkeit und Güte dieses indianischen Völkleins rühmen; kann aber hierin nicht unbedingt beistimmen. Ihre Güte will ich gerade nicht bestreiten: Sie laden den Fremdling bereit- willig zum Mahle, schlachten wohl auch seinetwegen ein Schweinchen, theilen ihr Lager mit ihm u. f. w.; allein das sind Dinge, die ihnen keine Mühe machen, – und bietet man ihnen Geld dafür, so nehmen sie es ziemlich gierig, ohne sich auch nur dafür zu bedanken. Gefühl und An- hänglichkeit aber möchte ich ihnen beinahe ganz absprechen; ich fah nur Sinnlichkeit und keine der edlen Leidenschaf- ten. Im Verlaufe meiner Reifen auf dieser Insel werde ich wiederholt darauf zu sprechen kommen. Am 1. Mai ward ich Zeuge einer äußerst interes- 16(!) fanten Scene. Es wurde das Namensfest des französischen Königs Louis Philipp gefeiert, und der Gouverneur, Herr Bruat, bot alles auf, das taitische Völkchen aufs befte zu unterhalten. Des Vormittags führten die französischen Matrosen ein kleines Kampfspiel zur See aus. Mehrere Boote, mit tüchtigen Ruderern versehen, stachen in die See. Am Vordertheile jedes Bootes war eine Art Treppe oder Leiter errichtet, auf welcher ein Kämpfer, mit einem Stocke versehen, fand. Die Boote wurden ganz nahe zusammen gelenkt, und die Kämpfer versuchten einer den andern von seinem Standpunkte in die See zu stoßen. – Ferner war ein Maibaum errichtet, an dessen Spitze farbige Hemden, Bänder und andere Klei- nigkeiten flatterten, die jedem, der hinaufklettern wollte, zu Gebote standen. – Mittags wurden die Chefs und Vorneh- men des Volkes bewirthet. Auf dem Wiesenplatze vor des Gouverneurs Hause wurden Lebensmittel, als: ge- falzenes Fleisch, Speck, Brod, gebratene Schweine, Früchte u. d. g. in vielen Haufen aufgeschichtet. Aber statt daß sich die Gäste herumlagerten, wie man vermuthet hatte, fo theilten die Chefs alles in Portionen, und jeder trug feinen Theil nach Hause. – Abends war Feuerwerk und Ball. Nichts fand ich interessanter als diesen Ball. Hier fah man die schroffen Gegensätze von Kunst und Natur – die elegante französische Dame neben der plumpen, brau- nen Indianerin, den Stabsoffizier in voller Uniform neben dem halbnackten Insulaner. Viele der Eingebornen hat- ten zwar diesen Abend weite, weiße Hosen an und ein Hemd darüber; doch gab es auch andere, die außer dem T6U Pareo und dem kurzen Hemde keine weiteren Kleider auf dem Körper hatten. Einen häßlichen Anblick gewährte in diesem Anzuge einer der Chefs, der mit der Elephan- tiafis *) behaftet war. Ich sah diesen Abend die Königin Pomare zum erftenmal. Sie ist eine Frau von 36 Jahren, groß und plump gebaut, doch noch ziemlich gut erhalten. (Ueberhaupt fand ich, daß die Weiber hier weniger schnell verblühen als unter andern heißen Himmelstrichen.) Das Gesicht ist nicht übel und ein äußerst gutmüthiger Zug spielt um Mund und Kinn. Sie war in ein Kleid oder viel- mehr in eine Art Blouse von himmelblauem Atlas ge- hüllt, um welche kostbare schwarze Blonden in doppelten Reihen genäht waren. In den Ohren trug sie große Jasminblüthen, im Haare einen Blumenkranz – in der Hand hielt die höchst zierlich ein feines Taschentuch, das schön gestickt und mit breiten Spitzen besetzt war. Für diesen Abend hatte sie ihre Füße in Strümpfe und Schuhe gezwungen (sonst geht sie barfuß). Der ganze Anzug war ein Geschenk des Königs von Frankreich. Der Königin Gemahl, jünger als sie, ist der schönste Mann auf Taiti. Die Franzosen nennen ihn scherzweife: Prinz Albert von Taiti, nicht nur seiner Schön- heit wegen, sondern auch, weil er, wie Prinz Albert in England, nicht König, sondern nur „Gemahl der *) Die Elephantiafis äußert sich auch hier gewöhnlich an den Füßen bis an die Schenkel hinauf. Diese Theile des Kör- pers find dann hoch angeschwollen, voll Schuppen und Fin- nen, so daß man fie wahrlich für Elephanten-Füße halten könnte. - Pfeiffers Reise, 1. Th. 1 1 162 Königin“ genannt wird. Er hatte eine französische Generalsuniform an, die ihm sehr gut ließ, um so mehr da er sich recht gut darein zu schicken wußte; nur durfte man seine Füße nicht beobachten, sie waren gar zu plump und häßlich geformt. Außer diesen beiden hohen Personen befand sich noch ein königliches Haupt in der Gesellschaft, der König Otoume, Besitzer einer der benachbarten Inseln. Dieser fah höchst komisch aus: er hatte über weite, aber kurze weiße Beinkleider einen Männer-Rock von schwefelgelbem Kattun, der ganz gewiß von keinem Pariser Künstler ge- macht war, denn er erschien als eine wahre Musterkarte von lauter Fehlern. Dieser König ging barfuß. Die Gesellschafts-Damen der Königin, vier an der Zahl, die Frauen und Töchter der Chefs waren meist in Blousen von weißem Mouslin gekleidet. Sie hatten auch Blumen in den Ohren und Kränze in den Haaren. Ihr Benehmen, ihre Haltung war im Durchschnitt zum Erstau- nen gut. Ja, drei der jungen Damen tanzten sogar mit Offizieren die französische Quadrille, ohne die Figuren zu verfehlen. Nur war ich stets für ihre Füße bange, denn außer dem königlichen Ehepaar trug Niemand Schuhe oder Strümpfe. – Einige alte Weiber erschie- nen in europäischen Damenhüten. Junge Weiber brach- ten ihre Kinder mit, sogar die ganz kleinen, denen fie, um sie zur Ruhe zu bringen, ohne Umstände vor aller Augen die Brust reichten. --- Ehe man zu Tische ging, verlor sich die Königin in ein Nebengemach, um einige Cigarren zu rauchen; ihr Gemahl vertrieb sich die Zeit am Billard. 163 Bei Tische kam ich zwischen Prinz Albert von Taiti und den kanariengelben König Otoume zu sitzen. Beide waren in der Bildung schon so weit ge- kommen, mir die gewöhnlichen Tisch-Aufmerksamkeiten zu erweisen, als: das Glas mit Waffer oder Wein anzu- füllen, die Speisen zu reichen, u. f. w. Man sah, daß sie sich Mühe gaben, die europäischen Sitten so viel als mög- lich zu erlernen. Nichts desto weniger fielen doch dann und wann einige der Gäste aus ihrer Rolle; – so ver- langte z. B. die Königin beim Deffert einen zweiten Tel- ler, den sie mit Näschereien anfüllte und bei Seite stellen ließ, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Andere mußte man abhalten, dem edlen Champagnerwein nicht gar zu sehr zuzusprechen; doch ging die Unterhaltung im ganzen fröhlich und anständig zu Ende. In der Folge speiste ich mehrmals in Gesellschaft der königl. Familie beim Gouverneur. Die Königin erschien dabei in ihrer Landestracht, mit dem farbigen Pareo und dem Hemde, eben so der Gemahl, – beide gingen barfuß Der künftige Thronerbe, ein Knäblein von neun Jahren, ist mit der Tochter eines benachbarten Königs verlobt. Die Braut, einige Jahre älter als der Prinz, lebt am Hofe der Königin Pomare und wird in der christlichen Reli- gion, in der taitischen und englischen Sprache unterrichtet. Im Hause der Königin geht es höchst einfach zu. Vor der Hand, bis das Steinhaus, das ihr von dem fran- zösischen Gouvernement gebaut wird, fertig ist, bewohnt fie ein hölzernes Häuschen von vier Zimmern, welche zum Theil mit europäischen Möbeln versehen sind. Da auf Taili Frieden geschloffen war, konnte man 11* ungehindert die ganze Insel durchstreifen. Ich hatte von meinem Kapitän vierzehn Tage Urlaub und wünschte diese Zeit zum Theil auf Bereisung des Eilandes zu verwen- den. Ich dachte, mich an einen der Offiziere anschließen zu können, die häufig im Auftrage der Regierung die In- fel bereisen mußten; fand aber zu meinem Befremden, daß man mir immer ganz besondere Ursachen angab, war- um man mich gerade diesmal nicht Theil an der Reise nehmen laffen konnte. Ich wußte mir diese Ungefälligkeit durchaus nicht zu erklären, bis mir endlich einer der Off- ziere selbst das Räthel löste – jeder der Herren reiste nämlich mit feinem Mädchen. Herr ....*), der mir dies Geheimniß vertraute, bot sich an, mich nach Papara, wo er wohnte, mit zu nehmen, aber auch er sei nicht ohne Gesellschaft. Außer feiner Freundin gehe Tati, der vornehmste Chef der Insel, fammt Familie mit. Dieser letztere war nach Papeitigekommen, um den Festen des ersten Mai beizuwohnen. Wir gingen am 4. Mai in einem Boote zur See, um längs der Küste nach Papara (36 Seemeilen) zu fahren. Ich fand in dem Chef Tati einen beinah neun- zigjährigen munteren Greis, der sich noch sehr gut der zweiten Landung des berühmten Weltumseglers Cook zu erinnern wußte. Sein Vater war damals erster Chef ge- wesen, hatte Freundschaft mit Cook geschloffen, und, wie es zur selben Zeit noch Sitte auf Taiti war, auch den Namen mit ihm gewechselt. Tati genießt von der französischen Regierung eine *) Ich nenne auf Taiti absichtlich keinen Namen der Herren; ich glaube nur, mir dadurch ihren Dank zu verdienen. I65% jährliche Pension von 6000 Franken, die nach seinem Tode dem ältesten Sohne zufällt. Er hatte ein junges Weib und fünf seiner Söhne mit; erstere zählte 23, letztere 12 bis 18 Jahre. Die Kinderstamm- ten von andern Ehen – die Frau war seine fünfte Gattin. Da wir erst gegen Mittag Papeiti verlaffen hatten, die Sonne bald nach sechs Uhr untergeht und die Fahrt zwischen den unzähligen Klippen höchst gefährlich ist, so landeten wir in Paya (22 Seemeilen), wo ein echter Sohn Tati's als Chef herrsche. Die Insel ist von allen Seiten von schönen Gebirgen durchzogen, deren höchster Gipfel, der Oroena, 6200 Fuß Höhe hat. In der Mitte der Insel theilen sich die Berge, und ein ganz wunderbarer Felsstock steigt aus ihrer Mitte hoch empor. Er hat die Form eines mit mehreren Spitzen versehenen Diadems und führt auch deßhalb den Namen „Diadem. Rund um die Gebirge schlingt sich ein vier- bis sechshundert Schritte breiter Gürtel, der bewohnt ist und in schönen Waldungen die köstlichsten Früchte birgt. Nirgends aß ich die Brotfrucht, Mango, Orange, Guava, so gut als hier. Mit der Cocosnuß geht man so ver- schwenderisch um, daß man gewöhnlich nur das darin enthaltene süße Waffer trinkt und Kern und Schaale weg- wirft. Auf den Gebirgen und in den Schluchten gibt es auch eine Menge Pifangs (eine Gattung großer Bananen oder Fehlis), die man aber nur gebraten zu genießen pflegt. Die Hütten der Eingebornen liegen nahe am Meeresstrande zerstreut umher; selten fieht man ein Dutzend solcher Hüt- ten beisammen. „. Die Brotfrucht hat ungefähr die Form einer Waf- 166 fermelone und wiegt vier bis sechs Pfund. Die Schale ist grün, etwas rauh und dünn. Die Indianer schaben fie mit scharfen Muscheln ab, spalten sie der Länge nach in zwei Theile nnd rösten sie zwischen glühenden Steinen. Sie schmeckt köstlicher und feiner als Kartoffeln und dem Brote so ähnlich, daß man letzteres sehr leicht entbehren kann. Die Südsee-Inseln sind das eigentliche Vaterland dieser Frucht, die zwar in andern Tropengegenden auch vorkömmt, aber von der hiesigen gänzlich verschieden ist. In Brasilien z. B., wo man die Affenbrot nennt, ist sie von gelblichter Farbe, wiegt fünf- bis dreißig Pfund und ist im Innern voller Kerne, die, wenn die Frucht ge- braten ist, herausgenommen und verzehrt werden. Der Geschmack dieser Kerne gleicht jenem der Kastanien. Der Mango, eine apfelähnliche Frucht, ist von der Größe einer Männerfaust; Schale und Fleisch find gelb. Er schmeckt ein wenig nach Terpentin, verliert aber diesen Beigeschmack, je reifer er wird. Diese Frucht gehört zu einer der besten; sie ist fleischig und fafreich, schmeckt sehr süß und hat einen länglich breiten Kern in der Mitte. Die Brot- und Mangobäume wachsen hoch und umfangs- reich. Die Blätter der ersteren sind an 3 Fuß lang, andert- halb Fußbreit und sehr tiefeingezackt, die Blätter der letzte- ren nicht bedeutend größer als jene unserer Apfelbäume. Bevor wir Paya erreichten, kamen wir an einigen intereffanten Orten vorüber, wie an Foar, einem kleinen französischen Fort, auf einem Hügel gelegen. Bei Taipari muß man zwischen zwei gefährlichen Brandungen durch- schiffen, die man des „Teufels Einfahrt“ nennt. Die zischenden Wogen schlagen so mächtig und hoch auf, daß T67 man sie für Wälle halten könnte. – In der Ebene bei Pumavia liegt ein großes Fort, das von mehreren Thür- men, die auf nahe Hügel gebaut sind, unterstützt wird. Bei diesem Punkte ist die Gegend reizend. Die Gebirge öffnen sich und man kann weithin die Krümmungen einer pittoresken Thallschlucht verfolgen, deren Hintergrund der schwarze, hohe Felsberg Olofena bildet. Nicht minder als die schöne Natur, beschäftigte mich auch der Meeresgrund. Unser Boot glitt über zahllose Untiefen, in welchen das Waffer durchsichtig wie Krystall war, so daß man jedes Steinchen am Grunde sehen konnte. Da gab es Gruppen und Zusammensetzungen von farbigen Korallen und Madreporen, deren Schönheit mit nichts zu vergleichen war. Mit Recht könnte man behaupten, daß man in der Meerestiefe feenartige Blumen- und Gemüsegärten erblicke. Ich fah riesige Blumen, Blüthen und Blätter, und wieder Schwämme und Ge- müse jeder Art wie durchbrochene Arabesken-Zeichnungen und niedliche, farbige Felsgruppen. Wunderbare Muscheln hingen daran, oder lagen daneben auf dem Grunde, und kleine bunte Fische schwärmten dazwischen wie Schmetter- linge und Kolibris. Diese zarten Fische waren kaum vier Zoll lang und von einem Farbenspiele, wie ich noch nie etwas ähnliches gesehen habe. Viele schimmerten vom reinsten Himmelblau, andere lichtgelb, wieder andere beinahe durchsichtig braun, grün u. f. w. Als wir gegen sechs Uhr Abends zu Paya angekom- men waren, ließ der junge Tati zu Ehren seines Vaters ein 18 bis 20 Pfund fchweres Schweinchen schlachten und auftaitische Weise zubereiten. In einer seichten Grube, 168 in welcher viele Steine lagen, wurde ein tüchtiges Feuer gemacht. Man brachte hierauf eine Menge Brotfrüchte (Majoré), die abgeschabt und mit einem sehr schneidigen, hölzernen Beil in zwei Theile gespalten wurden. Nach- dem das Feuer abgebrannt und die Steine gehörig erhitzt waren, gab man das Schwein und die Früchte darauf, legte noch einige der erhitzten Steine darüber und deckte das Ganze mit grünen, belaubten Zweigen, mit dürrem Blätterwerke und mit Erde zu. Während die Speisen zwischen den Steinen schmor- ten, machte man die Tafel zu recht. Eine Strohmatte wurde auf den Boden gebreitet und mit großen Blättern belegt. Für jeden Gast stellte man eine Cocoschale hin, die halb mit Miti gefüllt war, einem säuerlichen Getränke, das aus der Cocospalme gewonnen wird. Nach anderthalb Stunden grub man die Speisen aus. Das Schwein wurde zwar nicht kunstgerecht und auch nicht sehr appetitlich, dafür aber mit Blitzesschnelle zer- legt. Ein Meffer und die Hand zerriffen das Thier in so viele Theile, als Gäste damit abzuspeisen waren. Jedem wurde dann ein Antheil nebst einer halben Brot- frucht auf einem großen Blatte gereicht. Außer dem Offizier, seinem Mädchen, dem alten Tati, einer Frau und mir, saß niemand an unserer ländlichen Tafel, da es gegen die Landessitte ist, daß der Gastgeber mit dem Gaste ißt oder die Kinder mit den Eltern speisen. Außer dieser Ceremonie fah ich keinen weitern Beweis von Liebe oder Herzlichkeit zwischen dem Vater und dem Sohne. So mußte z. B. der neunzig- jährige Greis, der noch dazu, an einem heftigen Husten litt, unter einem leichten, luftigen Dache die Nacht zu- 169 bringen, während der Sohn in der wohlgedeckten Hütte schlief Am 5. Mai verließen wir Teipari mit leerem Magen. Der alte Tati wollte uns auf einer feiner Besitzungen, die zwei Stunden von hier entfernt lag, bewirthen. Als wir dort angekommen waren und die Steine für unser Mahl erhitzt wurden, kamen mehrere der Eingebornen aus den nahen Hütten herbei, um von die- fer Kochgelegenheit Gebrauch zu machen. Sie brachten Fische, Stücke von Schweinefleisch, Brotfrüchte, Pisang's u. f. w. mit. . Fische und Fleisch waren in große Blätter eingeschlagen. Für uns wurde nebst Brotfrucht und Fischen eine Seeschildkröte von vielleicht mehr denn zwanzig Pfund bereitet. Wir hielten die Mahlzeit in einer Hütte ab, wohin alsbald die ganze Nachbarschaft kam, sich etwas abseits von uns Hauptpersonen in verschiedenen Gruppen formierte und die mitgebrachten Gerichte verspeiste. Jeder hatte eine Cocosschaale voll Miti vor sich, worein er jeden Biffen warf; derselbe wurde dann mit der Hand wieder herausgefischt und am Ende des Mahles der Rest ausgetrun- ken. Uns hatte man frisch gepflückte, angebohrte Cocosnüffe vorgesetzt, deren jede gewiß über einen Schoppen reines, süß schmeckendes Waffer enthielt. Man nennt dieses Waffer bei uns fälschlich „Milch“; es wird aber erst dick und milchweiß, wenn die Nuß schon ganz alt ist, in welchem Zustande sie hier nicht mehr genoffen wird. Der Tati fammt Familie blieb hier zurück und wir setzten unsern Weg nach Papara (1 Stunde) zu Fuße fort. Der Weg war allerliebst; er führte meist durch dichte Haine von Fruchtbäumen, nur durfte man nicht waffer- 170 fcheu sein, denn mehr als ein halbes Dutzend Mal muß- ten wir Flüffe und Bäche durchwaten. Herr . . . . besaß zu Papara einige Ländereien nebst einem hölzernen Häuschen von vier Zimmern. Er war fo gefällig, mich in seiner Behausung aufzunehmen. Wir erfuhren hier den Tod eines der Söhne Tati's (welcher deren 21 gehabt hatte); der Sohn war schon seit 3 Tagen gestorben, und man erwartete nur den Vater, um jenem die letzte Ehre zu erweisen. – Ich hatte zwar einen Ausflug nach dem Binnensee Vaihiria vorgehabt, verschob denselben aber, um den stattzufindenden Begräbnißfeierlichkeiten beizu- wohnen. Am folgenden Morgen (6. Mai) besuchte ich die Hütte des Verstorbenen. Herr.... gab mir ein neues Sack- tuch mit, um es dem Todten als Geschenk zu überbringen – ein Gebrauch, den das taitische Volk aus seinem alten Glau- ben ins Christenthum mitgenommen hat. Diese Geschenke sollen den Geist des Todten beruhigen. Der Leichnam lag in einem schmalen Sarge auf einer niedern Bahre; beide waren mit einem weißen Laken überdeckt. Vor der Bahre hatte man zwei Strohmatten ausgebreitet, auf deren einer die Kleidungsstücke, das Trinkgefäß, Meffer u. f. w. des Verstorbenen lagen, während auf der andern die Geschenke zur Schau gestellt waren. Letztere bildeten einen ganzen Haufen von Hemden, Pareos, Stücken Zeu- ges u. f. w. – alles so neu und hübsch, daß man einen kleinen Kramladen ganz artig damit hätte ausstatten kön- 1NEN. Der alte Tati kam alsbald in die Hütte, hielt sich aber nur einige Augenblicke auf, da der Tode schon ganz abscheulich roch, und kehrte ins Freie zurück. Er setzte 171 sich unter einen Baum und schwatzte mit den Nachbarn hei- ter und ruhig, wie wenn nichts vorgefallen wäre. In der Hütte faßen die weiblichen Verwandten und Nachba- rinnen, die sich ebenfalls ganz gemüthlich unterhielten und dabei aßen und rauchten. Ich mußte mir die Gattin, die Kinder und Verwandten des Verstorbenen zeigen laffen; – an ihrer Miene hätte ich sie nicht erkannt. Nach einiger Zeit erhoben sich die Stiefmutter und die Gattin, warfen sich über den Sarg und heulten eine halbe Stunde lang; doch merkte man wohl, daß es nicht von Herzen kam. Das Ding ging beständig aus einem und demselben Tone. Beide kehrten hierauf mit freundlicher Miene, mit trockenem Auge wieder an ihren Platz zurück und fähie- nen das Gespräch dort fortzusetzen, wo sie es abgebrochen hatten. – Am Strande wurde des Verstorbenen Piroge verbrannt. - Ich hatte genug gesehen und kehrte heim, um einige kleine Vorkehrungen für die morgige Partie nach dem Binnensee zu treffen. Man rechnet bis dahin 18 englische Meilen, und die Reise ist daher in zwei Tagen bequem hin und zurück zu machen. Ein Wegweiser begehrte nichts destoweniger die unverschämte Summe von zehn Dollars. Durch Vermittlung des alten Tati erhielt ich jedoch einen solchen für drei Dollars. Die Fußpartien auf Taiti sind höchst beschwerlich, da man auf dieser unendlich wafferreichen Insel häufig durch Sandstrecken und Flüffe waten muß. Ich war dazu fehr zweckmäßig gekleidet; ich trug feste Männerschuhe, keine Strümpfe, Beinkleider und eine Blouse, die ich bis an die Hüften schürzte. So gerüstet trat ich am 7. 172 Mai meine kleine Reise in Begleitung des Führers an. – Das erste Drittheil des Weges führte uns nahe an der Küste fort, wobei ich an 32 Bäche zählte, die wir durchschreiten mußten. Darauf ging es durch Schluchten ins Innere der Insel; doch sprachen wir zuvor in einer indianischen Hütte ein, um irgend eine Mahlzeit zu er- halten. Man reichte uns freundlich einige Brotfrüchte und kleine Fische, nahm aber sehr bereitwillig eine kleine Gabe entgegen. Im Innern der Insel hörten die edeln Fruchtbäume bald auf und ihre Stelle vertraten Pisang, Tarro und das neun bis zwölf Fuß hohe Gesträuch Oputu (Maran- ta). Letzteres besonders wucherte in solcher Menge, daß wir oft viele Mühe hatten durchzukommen. – Die Tarro, welche gepflanzt wird, ist zwei bis drei Fuß hoch, hat schöne, große Blätter und Knollenfrüchte, den Kartoffeln ähnlich, die gebraten werden aber nicht sehr gut schmecken. Der Piang oder die Banane ist ein zierliches Bäumchen von 15 bis 20 Fuß Höhe mit Palmblättern, dessen Stamm oft an acht Zoll im Durchmesser hat, aber nicht Holz, sondern Rohr ist und unendlich leicht bricht. Die Ba- nane gehört eigentlich zum Geschlechte der Graspflanzen und wächst außerordentlich schnell. Im ersten Jahre hat fie ihre Größe erreicht, im zweiten trägt die Früchte, worauf sie abstirbt. Sie pflanzt sich durch Sprößlinge fort, die gewöhnlich neben dem alten Stamme empor- schießen. Ein ziemlich breiter Gebirgsstrom, welcher sich der Schlucht entlang über ein sehr steiniges Bett stürzt, an vielen Stellen reißend, und in Folge des kürzlich stattge- T73 habten Regens, oft auch über drei Fuß tief war, mußte 62 Mal durchwatet werden. Der Indianer faßte mich bei gefährlichen Stellen an der Hand und zog mich, oft halb schwimmend, nach sich. Das Waffer ging mir häufig bis an die Hüften, und an ein Trockenwerden war gar nicht zu denken. Auch der Fußpfad wurde stets müh- famer und gefährlicher. Man hatte über Felsen und Steine zu klettern, die noch dazu mit dem großen Laube des Oputu derart bedeckt waren, daß man nie wußte, wohin man den Fuß mit einiger Sicherheit setzen konnte. Ich riß mir manche tüchtige Wunde an Händen und Füßen und fiel oft zu Boden, wenn ich mich an dem verrätheri- fchen Stamme eines Pifangs festhalten wollte, der unter meinen Händen brach. Es war eine wahrhaft halsbreche- rische, noch von wenig Offizieren ausgeführte Partie, die von Frauen wohl nie wird unternommen werden. An zwei Orten verengte sich die Schlucht dermaßen, daß außer dem Strombette weiter kein Raum war. An diesen Stellen hatten die Indianer während des Krieges mit den Franzosen fünf Fuß hohe Steinwände aufgeführt, um sich gegen den Feind zu vertheidigen, wenn er sie von dieser Seite angegriffen hätte. Nach acht Stunden hatten wir die achtzehn Meilen zurückgelegt und eine Höhe von 1800 Fuß erstiegen. Den See erblickten wir erst, als wir an einem Ufer fanden, da er in einer kleinen Vertiefung liegt. Er mag höchstens 800 Fuß im Durchmesser haben. Am merkwürdigsten ist feine Umgebung. Ein Kranz hoher, schroffer, grüner Berge umfaßt ihn so enge, daß auch der schmalste Fuß- pfad nicht Raum hat. Man könnte das Bett des Sees I74 für einen ausgebrannten Krater halten, der sich mit Waffer angefüllt hat – eine Vermuthung, welche durch die gro- ßen Basaltmaffen, die im Vordergrunde liegen, verstärkt wird. – Der See ist fischreich und soll eine ganz eigene Art Fische besitzen, – ferner sagt man, er habe einen unterirdischen Abzug, der bis jetzt noch nicht entdeckt ist. Wer über den See fetzen will, muß entweder schwim- men oder sich eines höchst schaudervollen Fahrzeuges be- dienen, das jeder Indianer in Zeit einiger Minuten ver- fertiget. Die Neugierde, eine solche Expedition zu ma- chen, veranlaßte mich, meinem Führer zu bedeuten, daß ich über den See wolle. Augenblicklich riß er einige Stämme der Fehi (Piang) nieder, befestigte sie mittelst langer, zäher Grasstängel aneinander, legte Blätter darauf, schob sie ins Waffer und forderte mich auf, Besitz von diesem Fragmente eines Fahrzeuges zu nehmen. Ich fühlte freilich eine kleine Angst; würde mich aber geschämt haben, sie zu äußern. Ich fetzte mich auf, und mein Führer, der mir schwimmend folgte, stieß das Fahrzeug vor sich her. Glück- lich kam ich hin und zurück; doch war mir während der Fahrt, aufrichtig gestanden, nicht ganz gut zu Muthe. Das Fahrzeug war klein, es ging mehr unter als über dem Waffer – man konnte sich nirgends recht anklam- mern und mußte jeden Augenblick befürchten über Bord zu fallen. Ich möchte keinem Nicht-Schwimmer eine ähnliche Fahrt anrathen. Nachdem ich See und Umgegend sattsam betrachtet hatte, kehrten wir auf demselben Pfade einige hundert Schritte zurück, bis zu einer Stelle, wo wir ein Laubdach fanden. Hier machte mein Führer sogleich ein munteres T75 Feuer auf indianische Weise an. Er spitzte ein Stückchen Holzfein zu und machte in ein zweites eine schmale, leichte Rinne, worin er mit dem zugespitzten Holze so lange rieb, bis die feinen Späne, die sich dabei ablösten, zu rauchen begannen. Zuvor hatte er dürres Gras und Laub bereitet, – in dieses warf er die rauchenden Späne, nahm es dann in die Hand und schwang es mehrmals in der Luft, worauf es alsbald lichterloh brannte. Die ganze Operation währte kaum zwei Minuten. Für unsere Abendmahlzeit pflückte er einige Fehi und legte sie aufs Feuer. Dieses Element benützte ich noch außerdem zum Trocknen meiner Kleider, indem ich mich nahe daran setzte und von einer Seite zur andern wandte. Halb durchnäßt und ziemlich ermüdet suchte ich nach dem kärglichen Abendmahle gar bald mein Lager auf dürrem Laube. Es ist ein Glück, daß man in diesen wilden, ent- legenen Gegenden weder Menschen noch Thiere zu fürchten hat, – erstere sind höchst ruhig und friedliebend, und von letzteren gibt es, außer einigen Wildschweinen keine gefährlichen. Die Insel ist in dieser Hinsicht so bevorzugt, daß sie weder giftige noch schädliche Reptilien oder Insek- ten birgt. Es gibt höchstens Ratten und einige Skorpio- nen, und letztere sind so klein und so unschädlich, daß man sie in die Hand nehmen kann. Nur die Muskitos fand ich hier, wie in allen südlichen Gegenden, sehr lästig. 8. Mai. In der Nacht fing es bedeutend zu regnen an, und gegen Morgen war leider nicht die geringste Aus- ficht auf besseres Wetter; – im Gegentheile, die Nebel- wolken wurden immer undurchdringlicher, stürmten wie böse Geister von allen Seiten daher und ergoffen sich in Strömen über die schuldlose Gegend. Deffen ungeachtet blieb uns nichts anderes übrig, als diesen üblen Launen des Waffergottes kühnen Trotz entgegen zu fetzen und den Weg wieder anzutreten. Schon nach der ersten halben Stunde lief mir das Waffer überall durch, worauf ich ruhig fortgehen konnte, da es nun nicht mehr möglich war, noch näffer zu werden. Als ich nach Papara zurückgekommen war, erfuhr ich, daß Tati's Sohn noch nicht begraben sei. Die Feier- lichkeit fand am folgenden Tage statt. – Der Priester hielt am Grabe eine kurze Rede, und als der Sarg ein- gesenkt war, warf man die Strohmatten, den Strohhut, die Kleider des Verstorbenen, so wie auch einige der Ge- fchenke ihm nach in die Grube. Die Verwandten waren gegenwärtig, aber eben so gleichgültige Zuseher als ich. Der Friedhof lag ganz nahe an einigen Murai. Es find dieß die ehemaligen Begräbnißorte der Indianer, kleine viereckichte Plätze von 3–4 Fuß hohen Steinwänden ein- gefaßt. Man legte hier die Verstorbenen auf hölzerne Gerüste, wo sie so lange blieben, bis das Fleisch von den Knochen gefallen war. Letztere fammelte man dann, und begrub sie an irgend einer einsamen Stelle. Denselben Abend sah ich auf eine ganz merkwürdige Art Fische fangen. Zwei Jungen gingen in die See, von welchen der eine mit einem Stocke, der andere mit bren- nenden Spänen bewaffnet war. Der mit dem Stocke jagte die Fische zwischen den Steinen hervor und schlug dann nach ihnen, zu welcher Arbeit ihm der andere leuchtete. 177 Die Jagd fiel jedoch sehr mager aus. Häufiger und er- folgreicher wird mit Netzen gefangen. Beinahe jeden Tag erhielt Herr . . . . Besuche von reifenden Offizieren und deren Freundinnen. Daß es da nicht immer am anständigsten zuging, bedarf wohl keiner Erwähnung. Ich wollte durch meine Nähe die Herren nicht in ihren geistreichen Gesprächen und Unterhaltungen stören und zog es daher vor, mit meinem Buche im Zim- mer der Dienstleute zu sitzen, die zwar auch scherzten und lachten, bei deren Scherzen man aber doch wenigstens nicht erröthen mußte. Sehr komisch war es, wenn Hr. . . . . die Treue, Anhänglichkeit und Dankbarkeit seiner Indianerin rühmte. Hätte er doch das Benehmen seiner Schönen in den Stunden seiner Abwesenheit gesehen! – Ich konnte nicht umhin, einst gegen einen der Herren meine Meinung zu äußern und mich zu wundern, wie es mög- lich sei, diese geldgierigen, habsüchtigen Geschöpfe mit solch unermüdeter Aufmerksamkeit und Hingebung zu behandeln, sie so mit Geschenken zu überhäufen, jedem ihrer Wünsche zuvorzukommen und ihre gröbsten Fehler zu entschuldigen und zu ertragen. Man antwortete mir: daß diese Da- men, wenn man sie nicht so behandle und beschenke, gleich davon liefen, und daß selbst die beste Behandlung fie nur auf kurze Zeit feßle. Aus allem, was ich gesehen habe, kann ich nur wieder auf meine frühere Behauptung zurückkommen, daß das taitische Völkchen durchaus keiner edleren Gefühle fähig ist und rein nur genießen will. Hierin wird es von der Natur auch wunderbar unterstützt – es braucht sich Pfeiffers Reise, 1 Th. U 2 178 feinen Unterhalt nicht im Schweiße des Angesichtes zu er- werben. Die Insel ist überreich an köstlichen Früchten, an Knollengewächsen, an zahmen Schweinen u. f. w. Die Leute haben wahrlich nichts anderes zu thun, als die Früchte zu pflücken und die Schweine zu schlachten. Deß- halb ist es auch hier sehr schwer, jemanden zum Dienste oder zur Arbeit zu bekommen. Der geringste Taglöhner verdingt sich nicht unter einem Dollar per Tag; – für zwölf Stücke Wäsche zahlt man als Waschlohn ebenfalls einen Dollar und muß nebst dem noch die Seife dazu kaufen. Ein Indianer, den ich in meine Dienste als Begleiter auf meinen Ausflügen nehmen wollte, forderte für den Tag anderthalb Dollars. Die Rückreise von Papara nach Papeiti machte ich in Gesellschaft eines Offiziers und seiner Freundin, – wir legten die 36 Meilen in einem Tage zu Fuße zurück. Der Weg führte uns an der Hütte der Mutter des uns beglei- tenden Mädchens vorüber, wo selbst man uns mit einem köstlichen Gerichte bewirthete. Es war aus Brodfrucht, Mango und Bananen zusammengesetzt, wurde zu einem Teige verarbeitet, auf heißen Steinen gar gemacht und warm mit darüber gegoffenem Orangensafte verzehrt. Als wir uns verabschiedeten, gab der Offizier seinem Mädchen einen Dollar, um ihn der Mutter zu geben; das Mädchen nahm das Geld so gleichgültig, als ob es ohne Werth gewesen wäre, – ebenso die Mutter, beide ohne zu danken oder die geringste Freude darüber zu äußern. - Hin und wieder fanden wir kleine Strecken trefflich gebahnten Weges, die von den Sträflingen gemacht worden T179 waren. Wenn nämlich ein Indianer ein Verbrechen be- geht, wird er nicht in Ketten gelegt, sondern verurtheilt, eine bestimmte Strecke am Wege zu bauen oder auszubes- fern, und dieß wird so genau zugehalten, daß gar keine Aufseher nöthig sind. Diese Art Strafe wurde unter König Pomare dem Ersten eingeführt und ist eine Erfindung der Indianer, – die Europäer setzten dieß System nur fort. Zu Punavia kehrten wir im Fort ein, stärkten uns nach Soldatenart mit Brot, Wein und Speck, und Abends 7 Uhr kamen wir glücklich nach Hause. Außer Papara besuchte ich noch die Venus spitze, eine kleine Erdzunge, auf welcher Cook den Durchgang der Venus durch die Sonne beobachtete. Noch sieht man den Stein, auf welchem die Instrumente hiezu aufgestellt waren. Unterwegs kam ich an dem Grabe oder Murai des Königs Pomare des Ersten, vorüber. Es besteht aus einem kleinen, von Steinen ummauerten Platze, über welchem sich ein Palmdach wölbt. Einige halb vermoderte Reste von Stoffen und Kleidungsstücken lagen noch darinnen. Einer der interessantesten Ausflüge war aber nach Fautaua und dem Diadem. Fautaua ist der Punkt, welchen die Indianer für uneinnehmbar hielten, und auf dem sie in dem letzten Kriege von den Franzosen dennoch voll- kommen besiegt wurden. – Herr Gouverneur Bruat war so freundlich, mir zu dieser Partie seine Pferde zu leihen und mir einen Unteroffizier mitzugeben, der jede Stel- lung der Franzosen und Indianer zu erklären wußte, da er selbst dabei gewesen war. Länger als zwei Stunden führte uns der Weg zwischen schauerlichen Schluchten, durch dichte Wälder und reißende 12* 180 Bergströme. Die Schluchten schloffen sich oft zu wahren Engpäffen, und die sie umgebenden Berge waren schroff und unerfteigbar, so daß hier, wie einst zu Termopylä, eine kleine Schaar tapferer Krieger ganze Armeen zurück- halten könnte. Der Eingang nach Faulaua wird auch als der eigentliche Schlüffel der Insel betrachtet. Um ihn einzunehmen, gab es kein anderes Mittel, als eine der schroffen Bergkanten zu erklettern und auf dem schmalen Bergrücken vorzudringen, um dem Feinde in den Rücken zu kommen. Der Gouverneur, Herr Bruat ließ zu diesem hals- brecherischen Unternehmen Freiwillige aufrufen, deren sich mehr meldeten als nöthig waren. Man wählte aus ihnen abermals, und zwar nur 62 Mann, die sich bis auf die Schuhe und Unterbeinkleider entkleideten und bloß ihre Gewehre und Patronen mitnahmen. Nach zwölfstündigem, höchst gefahrvollem Klettern gelangten sie mittelst Seile und des Einsetzens spitzer Eisen und Bajonnette auf die Höhe eines der Bergrücken, wo sie den Indianern so unerwartet erschienen, daß diese, gänzlich entmuthigt, ihre Waffen von sich warfen und sich ergaben. Sie meinten: „Menschen könnten hieher nicht dringen, das müßten Geister sein, und gegen solche wären sie nicht im Stande, sich zu vertheidigen." Jetzt ist zu Fautaua ein kleines Fort erbaut, und auf einer der höchsten Spitzen ein Wachthaus. Zu diesem führt ein Fußsteig über eine schmale Bergkante, die an beiden Seiten in unermeßliche Abgründe abfällt. Leute, die dem Schwindel unterworfen sind, können schwer oder gar nicht dahin gelangen, wodurch sie viel verlieren, indem die Aussicht überaus großartig ist. Man übersieht 181 Thäler, Schluchten und Berge ohne Zahl (von letzteren besonders den romantischen Felskoloß „Diadem), dichte Wälder von Palmen und andern gigantischen Bäumen, und darüber hinaus das gewaltige Meer, das sich an den Klippen und Riffen tausendfältig bricht und in weiter Entfernung in dem azurblauen Himmel verschwimmt. In der Nähe des Fort stürzt ein Wafferfall zwischen engen Schluchten über eine senkrechte Wand hinab; leider ist aber der Ausgang des Sturzes von vorspringenden Felsen und Hügeln verdeckt und die Waffermenge etwas geringe, – sonst verdiente dieser Fall der Höhe des Stur- zes nach (gewiß über 400 Fuß) zu den ausgezeichneten gezählt zu werden. Der Weg vom Fort zum Diadem ist höchst beschwer- lich und währt volle drei Stunden. Die Aussicht ist hier noch großartiger, da man auf zwei Seiten über die Insel hinaus das Meer erblickt. Dies war mein letzter Ausflug auf dieser schönen Insel; den folgenden Tag, am 17. Mai, mußte ich an Bord. Die Ladung war gelöscht und der Ballast einge- nommen. Die europäischen Bedürfniffe für das französische Militair als: Mehl, gesalzenes Fleisch, Kartoffeln, Hül- senfrüchte, Wein u. f. w. müffen alle eingeführt werden, denn keinen dieser Artikel liefert die Insel *). Ich nahm ungern Abschied von diesem reizenden *) Taiti erzeugt bisher keine Ausfuhrartikel, darum nimmt man hier nur Ballast ein; die Insel ist für die Franzo- fen als Anhaltspunkt für ihre Schiffe im Weltmeere wichtig. 182 Eilande, und nur der Gedanke, jetzt unmittelbar nach China, dem sonderbarsten aller Länder zu kommen, machte mir die Abreise weniger schwer. Wir verließen am Morgen des 17. Mai den Hafen Papeiti mit dem günstigsten Winde, kamen schnell und glücklich an all den gefährlichen Korallenriffen vorüber, die das Eiland umgeben und schon nach sieben Stunden hatten wir alles Land aus dem Gesichte verloren. Gegen Abend erblickten wir die Gebirge der Insel Huaheme, an welcher wir während der Nacht vorüber segelten. Die ersten Tage unserer Reise waren höchst ange- nehm. Nebst der dauernden günstigen Brite hatten wir die Gesellschaft einer schönen belgischen Brigg (Rubens), die mit uns zu gleicher Zeit ausgelaufen war. Wir kamen wohl selten so nahe, um mündlich verkehren zu können; allein wer mit langen Seereisen und deren unend- licher Einförmigkeit nur einigermaßen bekannt ist, weiß gar wohl zu ermeffen, welch Gefühl der Freude und des Vergnügens es gewährt, menschliche Gesellschaft in der Nähe zu wissen. Bis zu den Philippinen sollte uns dieselbe Straße führen; doch leider war schon am Morgen des dritten Tages unsere Gefährtin verschwunden, ohne daß wir wußten, ob sie uns, oder ob wir sie übersegelt hatten. Wir waren nun wieder allein auf der unermeßlichen Was- erwüste, allein in der langweiligen Einförmigkeit. Den 23. Mai kamen wir dem niedrig gelegenen Ei- lande Penrhyn sehr nahe. Einige Dutzend der Einwohner, halb nackte Indianer, wollten uns mit einem Besuche be- ehren und ruderten in sechs Canots wacker unterm Schiffe 183 zu. Wir segelten indeß so schnell, daß sie bald weit zu- rückblieben. Unter unsern Matrosen behaupteten mehrere, daß diese Wilden noch zu den echten Wilden gehörten, und daß wir uns eigentlich Glückwünschen könnten, ihrem Besuche entgangen zu sein. Auch der Kapitain schien diese Mei- nung zu theilen, und ich blieb die einzige, die es be- dauerte, ihre nähere Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. 28. Mai. Schon seit einigen Tagen erfreuten uns zeitweise heftige Regengüsse, – eine um diese Zeit außerge- wöhnliche Erscheinung, da hier die Regenzeit in den ersten drei Monaten des Jahres eintritt, und in den übrigen der Himmel meist heiter und wolkenlos bleibt. Diese Ausnahme kam uns um so mehr zu fatten, als wir gerade unter der Linie waren und gewiß etwas mehr von der Hitze zu leiden gehabt hätten. So wies der Thermometer im Schatten nur 22 in der Sonne 29 Grad. Heute Mittags auf dem 168. Längengrade überschifften wir die Linie und befanden uns nun wieder auf der nördlichen Hemisphäre. Ein otahitisches Schweinchen wurde zu Ehren des glücklichen Ueberganges geschlachtet und verzehrt, und mit echtem Rheinweine die heimathliche Halbkugel begrüßt. Am 4. Juni, unter dem 8. Breitengrade, gewahrten wir zum ersten Male wieder den schönen Nordstern. Am 17. Juni kamen wir Saypan, einer der größten ladronischen Inseln, so nahe, daß wir ihre Gebirge ganz gut ausnehmen konnten. Die Ladronen- und Marianen- Inseln liegen zwischen dem 13. und 21. Breiten-, und dem 145. und 146. Längengrad der östlichen Hemisphäre. Am 1. Juli sahen wir abermals Land, und zwar die 184 Küste von Lucovia oder Luzon – der größten der Phi- lippinen, welche Inseln zwischen dem 18. und 19. Brei- ten-, und dem 125. bis 119. Längengrad liegen. Der Hafen Manilla befindet sich an der Südküste der gleich- namigen Insel. Noch im Laufe des Tages kamen wir am Eilande Babuan und an noch mehreren einzeln stehenden Felskoloffen vorüber, die gleich Thürmen aus dem Meere stiegen. Vier von ihnen standen ziemlich nahe beisammen und bildeten eine malerische Gruppe – später kamen uns noch zwei zu Gesichte. In der Nacht auf den 2. Juli erreichten wir die westliche Spitze von Luzon und segelten nun in die ge- fährliche chinesische See. Ich war herzlich erfreut, dem stillen Ocean endlich Lebewohl zu sagen, denn eine Fahrt auf ihm gehört wohl zu den langweiligsten. Höchst selten begegnet man einem Schiffe, und das Waffer ist gewöhn- lich so ruhig, daß man meint auf einem Strome zu fahren. Nicht selten schrack ich von meinem Schreibtische auf,– ich wähnte in irgend einem winzigen Kämmerchen auf dem Lande zu sitzen, welche Täuschung um so natürlicher ward, da wir drei Pferde, einen Hund, einige Schweine, Hüh- ner, Gänse und Kanarienvögel an Bord hatten. Das wieherte, bellte, grunzte, gakerte und fang wie auf einem Meierhofe. 6. Juli. Die ersten Tage glich unsere Fahrt auf der chinesischen See so ziemlich jener im stillen Ocean – wir trieben langsam und ruhig vorwärts. Heute erst wur- den wir der Küste China's ansichtig, und gegen Abend waren wir nur noch 28 Meilen von Macao entfernt. Mit 185 ziemlicher Ungeduld erwartete ich den folgenden Morgen. Ich hoffe sicher den langersehnten chinesischen Boden zu betreten, ich sah schon die Mandarine mit ihren hohen Mützen, die Chinesinnen mit ihren kleinen Füßen – da mitten in der Nacht, drehte sich der Wind, und – wir waren am 7. Juli 100 Meilen weit verschlagen. Zum Ueberfluffe fiel noch der Barometer so außerordent- lich, daß wir einen Tai-foon befürchteten. Es ist dies ein höchst gefährlicher Sturm oder vielmehr Orkan, der im chinesischen Meere während der Sommermonate Juli, August und September häufig losbricht. Eine schwarze Wolke, welche an einem Rande dunkelroth, am andern halbweiß ist, zeigt sich gewöhnlich als schrecklicher Bote am Horizonte, und fürchterliche Regengüsse, Donner und Blitz sind die Begleiter der heftigsten Winde, die von allen Richtungen zu gleicher Zeit aufspringen und das Meer thurmhoch aufwühlen. Alle Vorkehrungen wurden an unserm Borde zum Empfange des gefährlichen Feindes getroffen; aber diesmal umsonst – der Orkan brach ent- weder gar nicht, oder in großer Entfernung los; wir ver- spürten nur einen kleinen Sturm, der noch überdies von kurzer Dauer war. Am 8. Juli gelangten wir wieder in die Nähe von Macao, in die Straße der Lema und fuhren nun fort- während durch Buchten und Scheeren, die von den wun- der vollsten Inselgruppen durchzogen waren und die schön- ften und mannigfaltigsten Ansichten gewährten. Am 9. Juli ankerten wir an der Rhede von Macao. Die Stadt (den Portugiesen gehörig und 20.000 Einwohner zählend) liegt äußerst reizend am Meeresufer und ist 186 von hübschen Hügel- und Bergketten umgeben. Vor allem bemerkt man den Palast des portugiesischen Gouverneurs, das katholische Kloster Guia, die Festungswerke und einige hübsche Gebäude, die auf schönen Hügeln in malerischer Unordnung durcheinander liegen. Auf der Rhede waren, außer wenigen europäischen Schiffen, auch einige Dschonken (größere chinesische Fahr- zeuge) vor Anker, und viele kleine Boote, von Chinesen geführt, umgaukelten unser Schiff Die Insel Taiti hat 72 engliche Meilen im Umfange. Religion: die anglikanische. Sprache: die taitische. Bevölkerung: Eingeborene zwischen 8–9000. Geld: amerikanische und spanische Dollars, auch Piaster genannt, und französisches Geld. Der Piafter wird zu fünf Franken oder acht Reaux gerechnet. Die Entfernung von Valparaiso bis Taiti beträgt bei 5000 Seemeilen, von Taiti bis Macao ungefähr eben so viel. Von Macao bis Hong-Kong 60 Seemeilen. Von Hong-Kong bis Canton 90 Seemeilen. Inhalt des ersten Pandes. Reise nach Brasilien. Abreise von Wien. Aufenthalt in Hamburg. Dampfschiffe und Sege - fchiffe. Abfahrt. Kurhaven. Der Kanal la Manche. Die fliegen- den Fische. Die Philolide. Sternbilder. Das Ueberschreiten der Linie. Die Vampero's. Die starke Brise und der Sturm. Kap Frio. Einfahrt in den Hafen von Rio de Janeiro. . - Ankunft und Aufenthalt in Rio de Janeiro. Einleitung. Ankunft. Beschreibung der Stadt. Die Schwarzen und ihre Verhältniffe zu den Weißen. Künfte und Wiffenschaften. Kir- chenfeste. Taufe der kaiserlichen Prinzeffin. Feste in den Kasernen. Klima und Vegetation. Sitten und Gebräuche. Einige Worte an die Auswanderer. Statistische Notizen über Brasilien. Vorzügliche Partieen um Rio de Janeiro. Die Wafferfälle bei Teschuka. Boa Vista. Der botanische Garten und deffen Umgebung. . - - - - - - Partie auf den Berg Corcovado. . e - Schlöffer der kaiserlichen Familie. . - - - e Ausflug nach der neu angelegten deutschen Colonie Petropolis. Mord- versuch eines Marron-Negers 29 59 63 65 67 Reise in das Innere von Brasilien. Die Städtchen Morroqueimado (Novo Friburgo) und Aldea do Pedro. Pflanzungen der Europäer. Waldbrände. Urwälder. Letzte An- fiedlung der Weißen. Besuch bei den Indianern, auch Puris, auch Kabocles genannt. Rückkehr nach Rio de Janeiro . Abreise von Rio de Janeiro. Santos und St. Paulo. Umschiffung des Cap Horn. Ankunft in Valparaiso. - - - - Ankunft und Aufenthalt in Valparaiso. Ansicht der Stadt. Oeffentliche Gebäude. Einiges über die Sitten und Gebräuche des Volkes. Die Garküche zu Polanka. Das Engelchen (Angelito). Die Eisenbahn. Gold- und Silberminen. Statistische Notiz über Chili Reise von Valparaiso über Taiti nach Canton. Abreise von Valparaiso. Tanti. Sitten und Gebräuche des Volkes. Fest und Ball zur Namensfeier Louis Philipps. Ausflüge. Eintaitisches Mahl. Der Binnensee Vaihiria. Der Engvaß von Fautaua und das Diaden. Abreise. Ankunft in China. 76 110 132 146 148 (Fine Fraserfahrt um die St. , Reife von Wien nach Brasilien, Chili, Otahaiti, China, Ost-Indien, Perfien und Kleinafien VON Ida Pfeiffer, geb. Meyer. Verfasserin der „Reise einer Wienerin ins heilige Land“ und der „Reise nach Island und Scandinavien.“ –ASO3– Zweiter Band. ------------------------------------------(HH- - Ururuvvvvvvvvvvv". VV Wien, 1850. Verlag von Carl Gerold. Druck von Carl Gerold und Sohn. Inhalt des juriten Pandes. C h i n a. Macao. Hongkong. Victoria Fahrt auf einer chinesischen Dschonke. Der Si-Kiang, auch „Tigerfluß“ genannt. Wham-poa. Canton oder Huangtscheu-fu. Lebensweise der Europäer. Die Chinesen. Sitten und Gebräuche. Verbrecher und Piraten. Ermordung des Herrn Vauchée. Spaziergänge und Ausflüge - O ft - I n d i e n. Singapore. Ankunft" in Hong-kong. Das englische Dampfboot. Singapore. Pflanzungen. Eine Jagdpartie in den Jungles. Eine chinesische Leichenfeier. Das Laternenfest. Temperatur und Clima. Ceylon. Abfahrt von Singapore. Die Insel Pinang. Ceylon. Pointe de Galle. Ausflug nach dem Innern. Colombo. Kandy. Der Tempel Dagoha Elephanten-Fang. Rückkehr nach Colombo und Pointe die Galle. Abreise. - - - - - 61 87 B e n ga le n. Madras und Calcutta. Abfahrt von Ceylon, Madras. Calcutta. Lebensweise der Euro- päer. Die Hindus. Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besuch bei einem Babao. Religionsfeste der Hindu. Sterbehäuser und Verbrennungsorte. Mohamedanische und europäische Hochzeits- feier. - - - - - - - - Benares. Abreise von Calcutta. Einfahrt in den Ganges. Bajmahal. Gur. Junghera. Monghyr Patna. Deinapoor. Gasipoor. Be- nares. Religion der Hindus. Beschreibung der Stadt. Paläste und Tempel. Die heiligen Stellen. Die heil. Affen. Die Ruinen von Sarnath. Eine Indigo - Pflanzung. Besuch bei dem Raja von Benares. Märtyrer und Fakire. Der indische Bauer. Die Miffions-Anstalt. - - - Allahabad, Agra und Delhi. Allahabad. Caunipoor. Agra. Das Mausoleum des Sultans --- Akbar. Tajh - Makal. Die Ruinenstadt Fatipoor - Sikri. Delhi, Die Hauptstraße. Oeffentliche Aufzüge. Der Palast des Kaisers. Paläste und Moscheen. Die Fürstin Bigem. Alt-Delhi. Merkwürdige Ruinen. Die englische Militär-Station. . 187 Eine frauenfahrt um die Welt. w-->>------------------------ C h i n a. Macao. Hong-kong. Victoria. Fahrt auf einer chinesischen Dschonke. Der Si-Kiang, auch „Tigerfluß“ genannt. Wham-poa. Canton oder Huangtscheu-fu. Lebensweise der Europäer. Die Chinesen. - Sitten und Gebräuche. Verbrecher und Piraten. Ermordung des Herrn Vauch ée. Spaziergange und Ausflüge Wloch vor einem Jahre hätte ich kaum gedacht, daß es mir gelingen würde, unter die kleine Zahl der Euro- päer zu gehören, die dies merkwürdige Land nicht blos aus Büchern, sondern auch durch eigene Anschauung ken- nen lernten. Ich hätte nicht gedacht, je in Wirklichkeit die Chinesen zu sehen, mit ihren geschornen Häuptern, langen Zöpfen und den häßlichen, schmal geschlitzten, klei- nen Augen, gerade so, wie sie auf den Bildern gezeich- net sind, die wir in Europa haben. Wir hatten kaum die Anker ausgeworfen, so klet- terten schon mehrere Chinesen auf unser Deck, während andere in ihren Booten eine Menge schöner Arbeiten, Früchte und Backwerke auskramten, in hübscher Ordnung aufstellten und so in einem Augenblicke rund um unser Schiff einen ganzen Markt bildeten. Einige unter ihnen priesen sogar in gebrochen englischer Sprache ihre Schätze Pfeiffers Reise 11 Th J 2 an; doch machten sie insgesammt schlechte Geschäfte, da unsere Mannschaft nur einige Cigarren und Früchte er- handelte. Kapitän Juriante miethete ein Boot, und wir fetz- ten sogleich an's Land. Bei der Landung mußte für jeden Kopf ein halber spanischer Thaler an den Mandarin ent- richtet werden. Wie ich hörte, wurde bald darauf dieser Mißbrauch abgeschafft. – Wir begaben uns in eines der portugiesischen Handlungshäuser und kamen auf dem Wege dahin durch einen großen Theil der Stadt. Die Euro- päer, sowohl Männer als Frauen, können hier ungehin- dert umher gehen, ohne, wie dieß in andern chinesischen Städten häufig der Fall ist, der Gefahr eines Steinregens ausgesetzt zu sein. In jenen Gaffen, die ausschließlich nur von Chinesen bewohnt waren, ging es höchst lebhaft zu. Die Männer saßen häufig in Gruppen, Domino pielend in den Gaffen, und in den vielen Buden der Schloffer, Tischler, Schuster u. f. w. wurde gearbeitet, geschwatzt, gespielt und zu Mittag gespeist. Frauen fah ich wenige, und nur von niedrem Stande. Nichts verur- fachte mir mehr Vergnügen und Staunen als die Art des Effens der Chinesen: sie bedienen sich zweier Stäbchen, mit- telt welcher sie die Speisen ganz außerordentlich geschickt und zierlich in den Mund führen; nur mit dem Reis geht es nicht so gut, weil dieser nicht in Stücken zusammenhält. Sie neh- men daher das mit Reis gefüllte Gefäß ganz nahe an den weit geöffneten Mund und schieben große Portionen mittelt der Stäbchen hinein, wobei aber gewöhnlich ein Theil auf sehr unappetitliche Weise wieder in das Gefäß zurückfällt. Bei flüffigen Speisen bedienen sie sich runder Porzellanlöffel. Z An der Bauart der Häuser fand ich nichts beson- deres – die Fronte geht gewöhnlich in den Hof oder Garten. Ich besuchte unter anderem die Grotte, in welcher der berühmte Portugiese Camoens eine herrliche Lu- fiade gedichtet haben soll. Er wurde in Folge eines fatirischen Gedichtes (Disperates no India) im Jahre 1556 nach Macao verwiesen, wo er mehrere Jahre bis zu feiner Zurückberufung lebte. – Die Grotte liegt unfern der Stadt auf einer reizenden Anhöhe. Da in Handelsgeschäften nichts zu machen war, fo beschloß der Kapitän den nächsten Morgen wieder in See zu gehen. Er bot mir freundlichst an, mich nach Hong- kong als Gast mitzunehmen; ich hatte nämlich die Ueber- fahrt nur bis Macao ausbedungen. Seine Einladung war mir um so angenehmer, als ich für Macao keinen einzigen Empfehlungsbrief hatte, und überdies die Gelegenhei- ten nach Hong-kong nicht fehr häufig find. Unser Schiff lag, des leichten Fahrwaffers wegen, ziemlich weit vom Lande, im Bereiche der Streifereien der Piraten, die hier äußerst zahlreich und kühn sind. Es wurden daher für diese Nacht alle Vorsichtsmaßregeln an- geordnet und eine doppelte Wache ausgestellt. Noch im Jahre 1842 überfielen die Piraten auf der Rhede von Macao eine Brigg, tödteten die Mann- schaft und plünderten das Schiff. Der Kapitän war auf dem Lande geblieben, die Mannschaft hatte sich sorglos dem Schlafe überlassen, uud nur einen Mann als Wache ausgestellt. Da, mitten in der Nacht, kam ein Schampan (kleineres Fahrzeug als eine Dschonke) heran gerudert, 1 * 4 deffen Anführer dem wachthabenden Manne ein Billet übergab, mit dem Bedeuten, daß es vom Kapitän komme. Während der Matrose damit an die Laterne trat, um es zu lesen, versetzte ihm der Pirat einen Schlag auf den Kopf, daß er lautlos zu Boden stürzte. Die auf dem Schampan verborgene Mannschaft erkletterte schnell von allen Seiten das Schiff und ward mit Leichtigkeit Mei- fer der schlafenden Matrosen. Am 10. Juli Morgens, nach ruhig vergangener Nacht, gingen wir in Begleitung eines Looten nach Hong- kong in See. Die Entfernung beträgt sechzig Seemeilen und die Fahrt ist abwechselnd und unterhaltend, da man fortwährend an Buchten, Scheeren und Inselgruppen vor- übersegelt. Die Engländer erhielten die Insel Hong-kong von den Chinesen nach dem Kriege im Jahre 1842 und gründeten darauf die Hafenstadt Victoria, die nun schon viele palastähnliche, von Quadersteinen aufgeführte Ge- bäude zählt. Die Europäer, deren Zahl sich nur auf einige Hun- dert beläuft, sind hier aber nicht sehr zufrieden, da der Handel nicht halb so gut geht, als man anfangs ver- muthete. Die Kaufleute bekommen von der englischen Regierung unentgeldlich Bauplätze, mit der Bedingung, Häuser darauf zu bauen. Viele führten, wie bereits be- merkt, großartige Bauten auf, die sie nun um den halben Preis verkaufen würden, ja manche gäben gerne den Grund fammt den Fundamenten zurück, ohne den gering- ften Ersatz dafür zu begehren. Ich gedachte, nur einige Tage in Victoria zu ver- 5% weilen, weil es mein Wunsch war, sobald als möglich nach Canton zu kommen. Kapitän Juriante fügte zu seinen vielen mir bereits erwiesenen Gefälligkeiten auch noch die hinzu, daß ich während der Zeit meines Aufenthaltes auf seinem Schiffe wohnen und speisen konnte, wodurch ich täglich 4 bis 6 Dollars ersparte *). Eben so stand mir das Boot, welches er zum täglichen Gebrauche gemiethet hatte, jederzeit zu Diensten. – Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen, daß ich noch auf keinem Schiffe so reines, gutes Waffer fand, wie auf dem feinigen. Es ist dies ein Beweis, daß weder die Tropenhitze noch die Zeit das Waffer so leicht verdirbt. Es kömmt nur auf Reinlichkeit und Sorg- falt an, die wohl nur bei Holländern in solcher Weise zu finden sein mag. Nähme sich doch jeder Kapitän, wenig- stens in diesem Punkte, die Holländer zum Muster! Es ist wahrlich eine zu harte Aufgabe, sich mit übelriechendem und ganz trüben Waffer den Durst stillen zu müffen. Leider erfuhr ich diese Unannehmlichkeit auf allen Segel- schiffen, auf welchen die Reise mehrere Monate währte. Die Lage Victoria's ist nicht sehr reizend, da kahle Gebirge die Umgebung bilden. Die Stadt selbst hat ein europäisches Gepräge, und sähe man nicht chinesische Trä- ger, Arbeiter, Kleinverkäufer u. f. w. auf den Straßen und in den Buden, so würde man kaum glauben, sich auf chinesischem Boden zu befinden. Auffallend war es mir, auf den Straßen keine eingebornen Weiber zu sehen. Man *) Die Preise in den Hôtels zu Macao, Victoria, Canton, find per Tag von 4 bis 6 Dollars. 6 hätte denken sollen, daß es daher auch für eine Euro- päerin gefährlich gewesen wäre, so allein herum zu freifen; aber nie erfuhr ich die geringste Beleidigung oder Beschimpfung von Chinesen; selbst ihre Neugierde war hier nicht belästigend. In Victoria ward mir das Vergnügen zu Theil, den rühmlich bekannten Herrn Gützlaff kennen zu ler- nen*). Auch vier andere deutsche Miffionäre traf ich da. Sie fudieren die chinesische Sprache, kleiden sich chine- sich, laffen sich die Köpfe scheeren gleich den Eingebornen *) Karl Gützlaff ist am 8. Juli 1803 zu Pyritz in Pommern geboren. Schon als Knabe zeigte er viel frommen Sinn und ein ungewöhnliches Talent. Die Eltern ließen ihn das Gürtlerhandwerk lernen. Er arbeitete fleißig; allein es sagte ihm nicht zu. Im Jahre 1821 hatte er Gele- genheit, dem Könige von Preußen ein Gedicht zu über- reichen, in welchem er seine Empfindungen und Wünsche aussprach. Der König erkannte darin das Talent des aufstrebenden Jünglings, und man öffnete ihm eine feinen Neigungen entsprechende Laufbahn. Im Jahre 1827 kam er als Miffionär nach Batavia, später reiste er nach Bintang, wo er die chinesische Sprache so fleißig studierte, daß er fie in Zeit von zwei Jahren schon fertig genug sprach, um darin predigen zu können. Im Dezember 1831 ging er nach Macao, legte da Schulen für die chinesische Jugend an und begann eine Uebersetzung der Bibel in das Chine- fische. Er begründete mit Moriffon eine Gesellschaft für Verbreitung nützlicher Kenntniffe in China und gab ein chinef. monatl. Magazin heraus, in welchem er die Chinesen für Geschichte, Geographie und Literatur zu intereffiren suchte. – In den Jahren 1832 und 1833 kam er bis in die Pro- vinz Fo-Kien. - 7 und tragen Zöpfe ebenfalls wie jene. Das Lesen und Schreiben ist in keiner Sprache so schwer wie in der chine- fischen, die Schrift besteht aus Charakteren, deren es über 4000 geben soll, die Sprache aus lauter einsilbigen Wor- ten. Man schreibt mit Pinseln, die in Tusch getaucht werden, von der Rechten zur Linken nach der Länge des Papieres herab. Schon nach einigen Tagen fand ich eine Gelegenheit nach Canton, und zwar auf einer kleinen chinesischen Dschonke. Herr Puftau, ein hiesiger Kaufmann, der sich meiner sehr freundlich angenommen hatte, rieth mir zwar sehr ab, mich so ganz ohne allen Schutz dem chine- fischen Volke anzuvertrauen und meinte, ich solle entweder ein eigenes Boot oder einen Platz auf dem Dampfschiffe miethen; aber für meine beschränkten Mittel war dies zu theuer, da ein Platz auf dem Dampfschiffe oder ein gemiethetes Boot zwölf Dollars gekostet hätte, während der Fahrpreis in der Dschonke nur 3 Dollars war. Auch muß ich gestehen, daß mir der Anblick und das Betragen der Chinesen durchaus keine Furcht einflößte. Ich setzte Die Reisen Gützlaffs haben zu wichtigen Beobachtungen über die chines. Dialekte geführt, find auch in andrer wifen- fchaftlicher Beziehung nicht ohne Ausbeute gewesen und verhalfen besonders zur gesunden Kritik der neuerdings über China erschienenen Werke. Man muß in jeder Hinsicht fein seltenes Talent aner- kennen, die unerschütterliche Festigkeit in der Verfolgung seines Vorhabens preisen und seinen andauernden, wifen- schaftlichen Eifer wie feinen festen Glaubensmuth bewun- dern. Siehe „Konversations-Lerikon der Gegenwart.“ – 8 meine Pistolen in Stand und begab mich am Abende des 12. Juli ganz ruhig an Bord. Heftiger Regen und die einbrechende Dunkelheit zwangen mich bald, den innern Raum des Fahrzeuges aufzusuchen, wo ich zum Zeitvertreibe meine chinesischen Reisegefährten beobachtete. Die Gesellschaft war zwar keine gewählte, benahm sich aber sehr anständig, so daß ich ohne Scheu unter ihnen verweilen konnte. Einige spielten Domino, während an- dere einer Art Mandoline, die mit drei Saiten bespannt war, ganz jämmerliche Töne entrangen. Dabei wurde geraucht und geschwatzt und ungezuckerter Thee aus klei- nen Schälchen getrunken – auch mir bot man diesen Göttertrank von allen Seiten an! Jeder Chinese, reich oder arm, trinkt weder reines Waffer noch geistige Ge- tränke, sondern immer ungezuckerten, schwachen Thee. Spät des Abends begab ich mich in meine Kabine, deren Oberdeck nicht ganz wafferdicht geschloffen war und unwillkommene Boten des Regens hindurch ließ. Kaum hatte dies der Schiffskapitän bemerkt, als er mir auch gleich eine andere Stelle anwies. Ich befand mich da in Gesellschaft zweier Chinesinnen, die im vollem Tabakrau- chen begriffen waren. Sie dampften aus Pfeifchen, nicht größer als Fingerhüte, konnten aber auch nicht mehr als vier bis fünf Züge machen, ohne wieder zu stopfen. Meine Nachbarinnen bemerkten bald, daß ich kein Kopfschemelchen bei mir hatte; sie boten mir eines der ihrigen an und ließen mit Bitten nicht nach, bis ich es annahm. Man bedient sich nämlich in China statt der Kopfkiffen kleiner Schemel von Bambus oder sehr 9 starkem Pappendeckel, die bei 8 Zoll hoch oben gewölbt, nicht gepolstert sind, und eine Länge von ein bis drei Fuß haben. Es liegt sich darauf beffer als man glau- ben sollte. 13. Juli. Als ich am frühen Morgen aufs Deck eilte, um die Einfahrt von der See in die Bocca des - Si-kiang oder „Tiger - zu sehen, befanden wir uns schon so hoch im Strome, daß von der Mündung keine Spur mehr zu entdecken war. Ich sah sie jedoch später auf der Rückreise von Canton nach Hong-kong. Der Si- kiang, einer der größeren Ströme Chinas, der noch eine kurze Strecke vor seinem Eintritte ins Meer, eine Breite von beinahe acht Seemeilen hat, wird an der Mündung von Bergen und Felsen dergestalt eingeengt, daß er die Hälfte seiner Breite verliert. Die Gegend ist schön, und einige Festungswerke auf den Spitzen der Berge verleihen ihr einen romantischen Anstrich. Bei „Hoo-mun, auch Whampoa“ genannt, theilt sich der Strom in mehrere Arme, von welchen jener, der nach Canton führt, Perlfluß heißt. – Whampoa, als Ort zwar unbedeutend, verdient doch bemerkt zu wer- den, da, wegen der vielen Untiefen des Perlfluffes, hier alle tiefergehenden Schiffe ankern müffen. An den Ufern des Perlfluffes ziehen sich ungeheure Reispflanzungen hin, die mit Bananen und andern Fruchtbäumen eingeräumt sind. Letztere bilden oft nied- liche Alleen, werden aber weniger der Zierde als der Nothwendigkeit wegen angelegt. Der Reis bedarf näm- lich eines sehr naffen Bodens, und man pflanzt die Bäume dazwischen, damit das Erdreich sich befestigt und 1(!) durch die starke Bewäfferung nicht weggeschwemmt wird. Artige Landhäuser in ächt chinesischem Style, mit den ausgeschweiften, spitzigen und zackichten Dächern, mit den eingelegten farbigen Ziegeln und Thonplatten, liegen unter fchattigen Baumgruppen; verschiedenartig gebaute Pagoden (Tas genannt) von drei bis zu neun Stockwerken erheben sich auf kleinen Erdhügeln in der Nähe von Ortschaften und ziehen schon von weiter Ferne die Aufmerksamkeit auf fich. Viele Festungswerke, die aber mehr großen abge- deckten Häusern gleichen, beschirmen aufwärts den Strom. Mehrere Meilen vor Canton reihen sich Dörfer an Dörfer, die alle aus höchst erbärmlichen und großen Theils auf hohen Pfählen im Strome selbst sich befindenden Ba- racken bestehen; unzählige Boote, die ebenfalls bewohnt sind, liegen davor. Je näher man Canton kömmt, desto mehr nimmt die Lebhaftigkeit auf dem Fluße, die Zahl der Schiffe und bewohnten Boote zu. Man sieht Fahrzeuge von den wunderbarsten Formen –D fchonken, deren Hintertheil zwei Stock hoch über das Waffer ragt und gleich einem Hause mit hohen Fenstern und Galerien versehen und mit einem Dache gedeckt ist. Diese Schiffe sind oft von erstaun- licher Größe und laden bis zu tausend Tonnen. – Ferner sieht man chinesische Kriegsfchiffe, flach, breit und lang gebaut, mit 20 auch 30 Kanonen besetzt *), – Mandarins boote, die mit ihren bemalten Außen- *) Alle größeren Fahrzeuge haben am Vordertheile große, ein- gelegte, gemalte Augensterne, mittelst welcher fie, wie die Chinesen meinen, ihren Weg beffer finden. TT wänden, Thüren und Fenstern, mit ihren ausgeschnitzten Galerien und den farbigen seidenen Flaggen den nied- lichsten Häusern gleichen, und vor allem die herrlichen Blumenboote, deren obere Galerien mit Blumen, Guirlanden, Arabesken u. dgl. ausgeschmückt sind. Thüren und Fenster, beinahe in gothischem Style gehalten, führen in das Innere, das aus einem großen Saale und einigen Cabinetten besteht. Spiegel, seidene Tapeten zieren die Wände, Glaslustres und farbige Papierlampen, zwischen welchen niedliche Körbchen mit frischen Blumen schweben, vollenden den zauberhaften Anblick. Diese Blumenboote bleiben immer vor Anker liegen und dienen den Chinesen bei Tag und Nacht als Unterhal- tungsorte. Da werden Comödien aufgeführt, Gaukler- und Tanzkünste produziert u. f. w. Frauen sind, außer den einer gewissen Claffe angehörigen, nicht gegenwärtig. Europäern ist der Zutritt gerade nicht verwehrt; doch find fie, besonders bei der jetzigen ungünstigen Stimmung, immer mehr oder weniger Beleidigungen, ja sogar Miß- handlungen ausgesetzt. Zu diesen wunderlichen Fahrzeugen denke man sich nun noch Tausende von kleinen Booten (Schampans), die theils vor Anker liegen, theils überall durchkreuzen und durchdrängen, – Fischer, die von allen Seiten ihre Netze auswerfen, – Kinder und Erwachsene, die sich mit Baden und Schwimmen belustigen. Man wendet oft ängstlich den Blick hinweg, wenn man auf den kleinen, schmalen Booten die Jungen sich balgen und spielen sieht, – jeden Augenblick meint man, eines der Kleinen über Bord fallen zu sehen. Vorsichtige Eltern binden den ein- bis 12 sechsjährigen Kindern ausgehöhlte Kürbisse oder mit Luft gefüllte Ochsenblasen auf den Rücken, damit, wenn sie in das Waffer fallen, sie nicht so bald zu Boden sinken. Alle diese vielseitigen Beschäftigungen der Menschen, dies unermüdete Leben und Treiben, gewähren Bilder, von deren Eigenthümlichkeiten man sich wohl schwerlich, ohne sie gesehen zu haben, einen richtigen Begriff machen kann! Seit einigen Jahren erst ist auch uns europäischen Frauen der Eintritt und Aufenthalt in den Faktoreien zu Canton gestattet; ich verließ daher ohne Zagen das Fahr- zeug. Nur mußte zuvor noch überlegt werden, wie der Weg nach dem Hause des Herrn Agassiz, an das ich gewiesen war, zu finden sei. Da ich noch kein chinesisches Wort sprechen konnte, so mußte ich meine Zuflucht zu Zeichen nehmen. Ich machte meinem Kapitain begreiflich, daß ich kein Geld bei mir habe, und daß er mich daher in die Faktorei führen solle, wo ich ihn bezahlen würde. Er verstand mich sehr bald, brachte mich dahin, die daselbst anwesenden Europäer wiesen mir das Haus, und so war ich geborgen. Als mich Herr Agafiz ankommen sah und die Art meiner Reise, die Fußpartie vom Schiffe in sein Haus erfuhr, war er sehr verwundert und wollte kaum glauben, daß ich unbeschädigt und ohne Anstand durchgekommen sei. Nun wurde ich erst inne, wie höchst gewagt es für mich als Frau gewesen war, allein mit einem chinesischen Führer die Straßen Cantons betreten zu "haben. Es war dies ein hier noch nie vorgekommener Fall, und Herr Agafiz meinte, daß ich es meinem besondern Glücke zu 13 danken hätte, von dem Volke nicht gröblichst beleidigt, ja wohl gar gesteinigt worden zu sein. In solch einem Falle würde mein Führer die Flucht ergriffen und mich meinem Schicksale überlaffen haben. Wohl hatte ich auf dem Wege vom Schiffe bis zur Faktorei bemerkt, daß Alt und Jung mir nachschrie und nachsah, mit Fingern nach mir wies, daß die Leute aus den Buden liefen und daß sich sogar nach und nach ein mich begleitender Zug bildete. Was blieb mir wohl übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, – ich schritt furchtlos weiter, und vielleicht gerade weil ich keine Furcht zeigte, geschah mir auch nichts. Ich war ebenfalls Willens gewesen, nicht lange in Canton zu verweilen, indem seit dem letzten Kriege der Engländer mit den Chinesen die Europäer sich hier weniger als je sehen lassen dürfen. Noch mehr gilt dieser Haß den Frauen, da es in einer der chinesischen Prophezeihun- gen heißt, daß einst eine Frau das himmlische Reich erobern werde. Ich machte mir daher wenig Hoff- nung, hier etwas zu sehen, und gedachte, meine Wanderung nach dem Norden Chinas, nach dem Hafen Tschang-hai fortzusetzen, wo es, wie man mir sagte, leichter sein soll sich unter Volk und Adel Zutritt zu verschaffen. Glücklicherweise lernte ich einen Deutschen, Herrn v. Carlovitz kennen, der bereits einige Jahre in Canton zugebracht hatte. Er nahm einiges Interesse an mir und bot sich sogar zu meinem Mentor an, unter der Bedin- gung, daß ich mich mit Geduld waffnen wolle, bis die europäische Post, die in einigen Tagen erwartet werde*), *) Die europäische Post kommt jeden Monat nur einmal. 14 angekommen sei. Es sind in dieser Zeit die Gemüther der Kaufleute so aufgeregt und beschäftiget, daß sie keine Muße haben, sich mit irgend etwas anderem als ihrer Correspondenz zu befaffen. Ich mußte also warten bis der Dampfer nicht nur angekommen, sondern auch wieder abgegangen war, worüber acht Tage verfloffen. Herrn Agafiz verdanke ich es, daß mir diese Zeit nicht lang wurde; ich war über alle Maßen gut und herzlich aufge- nommen und hatte dabei Gelegenheit, die Lebensweise der hier angesiedelten Europäer kennen zu lernen. Nur wenige Europäer nehmen ihre Familie mit nach China, am allerwenigsten aber nach Canton, wo Frauen und Kinder beinahe wie im Gefängniffe leben und ihr Haus höchstens in einer wohl verschlossenen Sänfte ver- laffen können. Ueberdies ist alles so theuer, daß man dagegen in London noch billig lebt. Eine Wohnung von sechs Zimmern sammt Küche kostet jährlich bei 7 bis 800 Dollars. Die Diener bekommen 4 bis 8 Dollars per Monat, – ja Dienerinnen sogar 9 bis 10 Dollars, da die Chinesinnen den Europäern nur dienen wollen, wenn sie überzahlt werden. Zu diesem kommt noch die hier herrschende Sitte, zu jeder Art Verrichtung eine eigene Person zu haben, woraus das Bedürfniß einer großen Anzahl von Dienern entspringt. s Eine Familie von nur vier Köpfen benöthigt wenig- stens zehn, zwölf und auch mehr Diener. Erst muß jedes Glied der Familie einen Diener ausschließlich für sich haben; dann hat man einen Koch, einige Kinderwärterinnen und mehrere Cooli, die zu den gemeineren Arbeiten, als: Zimmer reinigen, Holz und Waffer tragen u. f. w. ver- 15 wendet werden. Bei dieser großen Menge von Dienern ist man dazu oft sehr schlecht bedient, denn geht der eine oder der andere aus und man benöthigt seines Dienstes, so muß man warten bis er wieder kömmt, da kein Diener die Arbeit des andern verrichten würde. Den ganzen Haushalt leitet der Comprador, eine Art Haushofmeister. Ihm werden alle Silbergeräthe, Möbel, Wäsche u. f. w. übergeben; er nimmt die Diener auf, beköstiget sie, sorgt sonst für ihre Bedürfniffe und steht für ihre Treue ein; zieht aber auch jedem dafür per Monat zwei Dollars ab. Er besorgt alle Einkäufe, die Küchenrechnungen – kurz alle Ausgaben und gibt am Ende jedes Monats die Hauptfumme an, ohne sich viel in Einzelnheiten einzulaffen. - Der Comprador hat außer diesen häuslichen Geschäf- ten auch noch die Kaffe des Handlungshauses über; durch seine Hände gehen Hunderttausende von Dollars, für deren Aechtheit er gut stehen muß; zum Auszahlen oder Ein- kafiren des Geldes hat er eigene Gehülfen, die mit einer beispiellosen Schnelligkeit jedes Stück besehen und untersuchen. Sie nehmen eine ganze Hand voll Münzen, schnellen sie einzeln mit dem Daumen und Mittelfinger in die Luft, vernehmen so den Klang und besehen zugleich die andere Seite der Münze, da sie gewendet auf die leere Hand zurückfällt. In einigen Stunden sind viele Tausende von Stücken gezählt. Diese genaue Untersuchung ist sehr nothwendig wegen der vielen falschen Dollars, welche die Chinesen verfertigen. Auf jedes Stück wird zum Beweise der Aechtheit der Hausstempel geschlagen, wodurch am Ende die Münzen ganz breit und dünn werden und oft 16 in mehrere Stücke zerfallen. Die einzelnen Stücke ver- lieren aber nichts von ihrem Werthe, da die Summe nach dem Gewichte bestimmt wird. – Außer den Dollars ist auch reines, ungeprägtes Silber in kleinen Stangen ge- bräuchlich; man schneidet, je nach dem Betrag der Summe, kleinere oder größere Stücke davon herab. Die Kaffe befindet sich im Erdgeschoße in dem Zimmer des Compradors, und der Europäer hat mit dem Gelde nichts zu schaffen, trägt auch nie welches bei sich. Der Comprador erhält keinen Gehalt, sondern hat von jedem Handlungsgeschäfte Prozente, – von den Hausrechnungen weiß er sich deren zu machen. Uebri- gens sind diese Leute im allgemeinen verläßlich; sie er- legen an die Mandarine (hohe Beamte, Minister) eine Kaution, worauf diese für sie einstehen. - Die tägliche Lebensweise der hier ansäßigen Europäer ist ungefähr folgende: Nachdem man aufgestanden ist und eine Taffe Thee auf seinem Zimmer getrunken hat, nimmt man ein kaltes Bad. Nach neun Uhr ist das Frühstück, welches aus gebratenen Fischen oder Cotelets, kaltem Bra- ten, weichen Eiern, Butter, Brot und Thee besteht. – Nun geht alles an seine Geschäfte bis zur Zeit des Mit- tagmahles, welches gewöhnlich um vier Uhr eingenommen wird. Da gibt es Schildkrötensuppe, Curri *) und Reis, *) Ein sehr scharfes Gericht, das aus Ingwer, rothem Pfeffer, Knoblauch und Zwiebeln besteht. Diese Ingredienzien wer- den auf einer Steinplatte mittelst einer Steinwalze zu einer feinen Salbe zerrieben; hieraus wird dann eine Sauce ge- macht und diese mit Reis gegessen. 17 Braten, auch Ragouts und Mehlspeisen. Alle Speisen, Curri und Reis ausgenommen, sind auf englische Weise zubereitet und zwar von chinesischen Köchen. Zum Nach- tiche nimmt man Käse und Früchte, als: Ananafe, Long-yen, Mango, Lytschi u. f. w. Von letzterer Frucht behaupten die Chinesen, sie sei die beste auf Erden. Sie ist von der Größe einer Nuß, hat eine braunrothe, etwas warzige Schaale, zartes und weißes Fleisch und einen schwarzen Kern. Die Long-yen ist etwas kleiner, hat auch weißes und zartes Fleisch, schmeckt aber etwas wäfferig; ich fand beide Früchte nicht sehr gut. Die Ananas schien mir nicht so süß und aromatisch schmackhaft wie die in den europäischen Glashäusern, nur sind die hiesigen bedeutend größer als jene in Europa. Die Getränke bestehen aus portugiesischem Weine und englischem Biere. Zu jedem Getränke wird Eis ge- boten, das in kleine Stücke zersplittert und in ein Tuch eingeschlagen ist. – Das Eis ist ein ziemlich kostbarer Artikel, da es von Nordamerika gebracht wird. Abends genießt man Thee. Während der Mahlzeiten verbreitet eine große Punka Kühlung und Luftzug über die ganze Gesellschaft. – Die Punka ist ein 8 – 10 Fuß langer, 3 Fuß hoher Rah- men, der mit weißem Perkal überzogen ist und an far- ken Schnüren von der Zimmerdecke herab hängt. Eine Schnur geht gleich einem Glockenzuge durch die Zimmer- wand in ein Nebengemach oder in das Erdgeschoß, wo ein Diener die gleichmäßig anzieht und dadurch den Rah- men in steter langsamer Bewegung erhält, die den ange- nehmsten Luftzug bewirkt. Pfeiffers Reise 11. Th. 2 18 Das Leben der Europäer kömmt, wie man sieht, sehr theuer, – die Kosten einer Haushaltung kann man des Jahres geringe auf 30 000 Franken (6000 Dollars) anschlagen, – eine sehr bedeutende Summe, wenn man bedenkt, wie wenig man dafür genießt: man hält weder Pferde noch Wagen, es gibt keine Unterhaltungs- und Versammlungsorte, nichts von alle dem; – das einzige Vergnügen mancher Herren besteht darin, ein Boot zu haben, für dessen Miethe sie den Monat sieben Dollars zahlen, oder des Abends in etnem kleinen Garten zu luft- wandeln, welchen die in Canton ansässigen Europäer zu ihrem Vergnügen anlegen ließen. Er befindet sich der Faktorei gegenüber und ist von drei Seiten mit Mauern umgeben, die vierte wird vom Perlfluffe bespült. Dagegen lebt das chinesische Volk ungemein billig; ein Mann kann des Tages mit 60 Cash (1200 machen einen Dollar) ganz gut auskommen. Der Arbeitslohn ist daher auch sehr gering; man kann z. B. ein Boot den Tag um einen halben Dollar miethen, von welchem Ein- kommen oft eine Familie von sechs bis neun Köpfen lebt. Freilich sind die Chinesen in der Auswahl der Lebens- mittel nicht besonders lecker, – sie effen Hunde, Katzen, Mäuse und Ratten, das Eingeweide des Geflügels, das Blut jedes Thieres, ja sogar, wie man mir sagte, die Seidenraupen, Regenwürmer und das gefallene Vieh. Ihre Hauptnahrung ist Reis, der nicht nur als Speise, sondern auch statt des Brotes dient. Er ist sehr wohl- feil, – der Pikul (100 Wiener- oder 125 Hamburger Pfund) kostet von 1% bis 2% Dollars. Der Anzug beider Geschlechter des gemeinen Volkes be- 19 steht aus weiten Hosen und langen Ueberkleidern und zeichnet sich durch grenzenlose Unsauberkeit aus. Der Chinese ist ein Feind der Bäder und Waschungen, er trägt kein Hemd, die Hose aber so lange, bis sie am Körper zerreißt. Die Ueberkleider reichen bei den Männern bis über die Kniee, bei den Weibern noch etwas tiefer. Der Stoff ist Nanking oder Seide, die Farbe dunkelblau, braun oder schwarz. Während der kälteren Jahreszeit ziehen sie ein Sommer- kleid über das andere und halten die Gewänder durch Leibbinden zusammen; in der großen Hitze aber läßt man letztere lose um den Körper flattern. Das Haupt ist bei den Männern geschoren bis auf einen kleinen Theil am Hinterkopf, wo die Haare sorgfältig gepflegt und zu einem Zopfe geflochten werden. Je stärker und länger der Zopf ist, desto stolzer ist der Besitzer darauf; man flicht daher falsches Haar und schwarzes Band ein, und so reicht ein solcher Zopf oft bis an den Knöchel des Fußes. Während der Arbeit wird er um den Hals geschlagen, beim Eintritte in ein Zimmer aber hinabgelaffen, da es gegen den Anstand und die Artig- keit wäre, mit umgewickelten Zopfe zu erscheinen. – Die Frauen behalten ihr volles Haar. Sie kämmen felbes ganz aus der Stirne zurück und flechten und stecken es höchst kunstvoll am Haupte fest, wozu sie zwar viel Zeit verwenden; doch währt so ein Haarputz auch eine ganze Woche. Männer und Weiber gehen theils ohne Kopfbe- deckung, theils tragen die Hüte von dünnem Bambus, die oft gegen drei Fuß im Durchmesser haben, vor Sonne und Regen schützen und dabei unendlich leicht und unverwüst- lich sind. 24 20 Die Fußbekleidung besteht aus genähten Strümpfen und Schuhen von schwarzen Seiden- oder Wollstoffen, die Sohle an den Schuhen, über einen Zoll hoch, ist von dicker Pappe oder Filz, der mehrfach auf einander geklebt ist. Die ärmeren Leute gehen ohne Fußbekleidung. Die Häuser des Volkes, armselige Baracken, sind von Ziegeln oder Holz erbaut, die innere Einrichtung ist höchst erbärmlich: ein schlechter Tisch, einige Stühle, ein Paar Bambusmatten, Kopfschemelchen und alte Decken bilden den ganzen Hausrath; doch fehlen nirgends einige Blumentöpfe. Die billigste Art Wohnung ist der Besitz eines Bootes. Der Mann geht auf das Land in die Arbeit, und das Weib sucht unterdessen durch Spazier- oder Ueberfahrten eben- falls zur Erhaltung der Familie beizutragen. Die eine Hälfte des Bootes gehört der Familie, die andere dem Miether, und obwohl der Raum außerordentlich be- schränkt ist (das ganze Boot mißt kaum 25 Fuß in der Länge), so herrscht doch die größte Reinlichkeit und Ord- nung, denn jeden Morgen wird alles gescheuert und ge- waschen. Jedes Fleckchen ist äußerst sinnreich benützt, sogar zu einem winzigen Hausaltare findet sich Platz. Unter Tages wird gekocht und gewaschen, wobei es nicht an kleinen Kindern fehlt, und dennoch wird der Miether nicht im geringsten belästigt; kein eklicher Anblick bietet sich ihm dar, und er vernimmt nur höchst selten die wei- nerliche Stimme eines der armen Kleinen. Während die Mutter das Ruder führt, trägt sie ihr Jüngstes auf den Rücken gebunden. Die größeren Kinder haben auch zu- weilen dergleichen festgebundene Lasten; springen und 21 klettern aber damit herum, ohne im geringsten darauf Rücksicht zu nehmen. Oft fah ich mit Wehmuth, wie das Köpfchen eines kaum gebornen Kindes bei jedem Sprunge des älteren von einer Seite auf die andere geworfen wurde, oder wie die brennende Sonne so aufs unbedeckte Hauptfach, daß das Kindchen kaum die Augen zu öffnen vermochte. – Von der Armuth und Beschränktheit einer chinesischen Bootfamilie ist es wahrlich schwer sich einen Begriff zu machen. Man beschuldigt die Chinesen, daß sie viele der neugebornen oder schwächlichen Kinder tödten. Sie sollen selbe entweder gleich nach der Geburt ersticken und in den Fluß werfen oder in den Straßen aussetzen, welch letzteres das grausamste ist, da es viele Schweine und herrenlose Hunde gibt, die dann mit Heißhunger über die gebotene Beute fallen. Am häufigsten mag dies mit Mäd- chen geschehen, denn was die Knaben betrifft, so schätzt sich jede Familie glücklich, deren zu haben, da es ihre Pflicht ist, die Eltern in den alten Tagen zu ernähren, – ja der älteste Sohn muß, Falls der Vater stirbt, defen Stelle vertreten und für seine übrigen Geschwister sorgen, wogegen diese ihm unbedingt zu folgen und in allem die höchste Achtung zu erweisen haben. – Auf Erfüllung dieser Gesetze wird sehr strenge gehalten und jeder dawi- derhandelnde mit dem Tode bestraft. Großvater zu fein betrachten die Chinesen als Ehre, und um diesen Vorzug kenntlich zu machen, trägt jeder so beglückte Mann einen Schnurrbart. Diese grauen, magern Bärte fallen um so mehr in die Augen, da man 22 an den jungen Männern nicht nur keine Schnurrbärte, sondern überhaupt gar keine Bärte sieht. Was die Sitten und Gebräuche der Chinesen anbe- langt, so bin ich nur im Stande einzelner zu erwähnen, in- dem es für den Fremden schwer, ja beinahe unmöglich ist, dieselben kennen zu lernen. Ich bemühte mich, so viel als möglich davon zu sehen, begab mich bei allen sich dar- bietenden Gelegenheiten unter das Volk und schrieb dann getreulich nieder, was ich alles bemerkt hatte. Als ich eines Morgens ausging, begegneten mir mehr denn fünfzehn Verbrecher, die alle in das hölzerne Joch (Can-gue) gesperrt waren und zur Schau in den Straßen umher geführt wurden. Es besteht dieses Joch aus zwei großen Stücken Holz, die sich ineinander fügen und eine bis drei Oeffnungen haben, durch welche, je nach der Größe des Vergehens, der Kopf und eine oder beide Hände gesteckt werden. Ein solcher Block wiegt 50 bis 100 Pfund und drückt so schwer auf Achseln und Schul- tern, daß der arme Verbrecher nie die Nahrung selbst zum Munde führen kann, sondern warten muß, bis ihn irgend eine mitleidige Seele füttert. – Solche Strafen währen von einigen Tagen bis zu mehreren Monaten; im letz- teren Falle erliegt der Verbrecher fast immer. Eine andere Strafe ist das Prügeln mit dem Bam- busrohre, welches, wenn es auf zarte Theile des Körpers geschieht, das Opfer oft schon nach dem fünfzehnten Streiche seiner irdischen Leiden für immer enthebt. – Weitere Strafen, die jenen der christlichen Inquisition nichts nachgeben, sind: Haut abziehen, Glieder einquet- fchen, Sehnen aus den Füßen lösen u. f. w. Die Todes- 23 urtheile erscheinen dagegen milde – sie lauten auf Er- würgen und Köpfen; doch sagte man mir, daß in einzel- nen, ganz besondern Fällen noch das Zersägen und das Verhungernlaffen stattfinde. Bei ersterem wird das arme Opfer zwischen zwei Bretter gepreßt und von oben durch- gesägt, bei letzterem entweder bis an den Kopf in die Erde gegraben und so dem Hungertode überlaffen, oder es wird ihm das hölzerne Joch umgelegt und von Tag zu Tag weniger Nahrung gegeben, bis es am Ende nur einige Reiskörner bekömmt. Ungeachtet der harten, grau- famen Strafen und Todesarten soll man indessen doch Leute finden, die gegen Bezahlung sich für andere strafen, ja tödten laffen. Im Jahre 1846 wurden in Canton 4000 Menschen geköpft. Es waren zwar die Verbrecher von zwei Provin- zen, die zusammen neunzehn Mill. Einwohner zählen; defen ungeachtet ist dies aber doch eine furchtbare Menge. Sollte die Zahl der Verbrecher wirklich so groß sein – oder verhängt man die Todesstrafe so leicht – oder ist viel- leicht beides der Fall?! Ich kam einmal zufällig in die Nähe des Richtplatzes und sah zu meinem Entsetzen eine große Reihe noch blu- tender Köpfe auf hohen Stangen zur Schau ausgestellt. Die Körper dürfen die Verwandten hinwegnehmen und begraben. In China gibt es verschiedene Religionen; die aus- gebreiteste ist der Buddhismus. Er enthält sehr vielen Aberglauben und Götzendienst und ist gewöhnlich die Re- ligion des niederen Volkes. Die natürlichste ist jene des weiten Con-fut-zee, welche auch die Religion des 24 Hofes, der Beamten, der Gelehrten und der gebildeten Stände sein soll. Die Bevölkerung China’s besteht aus vielen und sehr verschiedenen Stämmen, deren Charakteristik zu geben ich leider unvermögend bin, da die Zeit meines Aufent- haltes in China viel zu kurz hiezu war. Das Volk, wel- ches ich in Canton, Hong-kong und Macao gesehen habe, ist von mittlerer Größe. Die Farbe der Haut ist, je nach der Beschäftigung, verschieden; der Landmann, der Träger ist ziemlich sonnenverbrannt, der Reiche, die vornehme Frau weiß. Die Gesichtsbildung ist breitgedrückt und häßlich; die Augen sind schmal, etwas schiefgeschlitzt und stehen weit auseinander, die Nase ist breit und der Mund groß. Die Finger an den Händen fand ich bei vielen ungewöhnlich lang und mager. Die Nägel daran laffen nur die Reichen (beiderlei Geschlechtes) zum Beweise, daß sie nicht, gleich den Geringeren, nöthig haben, durch Händearbeit ihr Brod zu verdienen, übermäßig lang wachsen; gewöhnlich find dergleichen aristokratische Nägel einen halben Zoll lang – bei einem einzigen Manne sah ich sie von der Länge eines starken Zolles, und auch das nur an der linken Hand. Mit dieser konnte er einen flachen Gegenstand nicht aufheben, ohne die Hand flach darauf zu legen und die Sache zwischen die Finger zu klemmen. Die Frauen der Vornehmen sind im Durchschnitte zum Fettwerden geneigt – eine Beschaffenheit, die hier nicht nur am weiblichen, sondern auch am männlichen Geschlechte hoch geschätzt wird. Obwohl ich viel über die kleinen Füße der Chine- 25 finnen gelesen hatte, überraschte mich doch deren Anblick im höchsten Grade. Durch Vermittlung einer Miffionärs- Frau (Mad. Balt) gelang es mir, solch ein Füßchen in natura zu sehen. Die vier Zehen waren unter die Fußsohle gebogen, an dieselbe fest gepreßt und schienen mit ihr wie verwachsen, nur die große Zehe ließ man ungestört auswachsen. Der Vordertheil des Fußes war mit starken, breiten Bändern so zusammengeschnürt, daß er, statt in die Breite und Länge, in die Höhe ging und sich mit dem Rohre des Fußes vereinte; an der Stelle des Knöchels bildete sich daher ein dicker Klumpen, der sich an das Bein anschloß. Der Untertheil hatte kaum vier Zoll Länge und anderthalb Zoll Breite. Der Fuß wird stets in weißes Linnen oder in Seide gewickelt, mit starken breiten Seidenbändern umwunden und in niedliche Schuhe mit sehr hohen Absätzen gesteckt. - Zu meiner Verwunderung trippelten diese verfüm- melten Geschöpfe trotz uns breitfüßigen Wesen, ziemlich schnell einher, nur mit dem Unterschiede, daß sie dabei gleich Gänsen wackelten; sie stiegen sogar Trepp auf und ab ohne Hilfe eines Stockes. Von dieser chinesischen Verschönerung sind nur die Mädchen der ärmsten Klaffe, das ist jener, die in Booten wohnt, ausgenommen; in den vornehmen Familien trifft alle das Loos, in den geringeren gewöhnlich die erstge- borne Tochter. Der Werth der Bräute wird nach der Kleinheit der Füße bestimmt. Man nimmt diese Verstümmlung nicht an dem neu- gebornen Kinde vor, sondern wartet damit bis zum voll- 26 endeten ersten, manchmal auch bis zum dritten Jahre. Auch wird der Fuß nach der Operation nicht, wie manche behaupten, in einen eisernen Schuh gezwengt, sondern nur mit festen Bändern zusammengeschnürt. Die Chinesen dürfen, ihrer Religion gemäß, viele Frauen halten; doch stehen sie in diesem Punkte den Mu- hamedanern weit nach. Die Reichsten haben selten mehr als sechs bis zwölf Frauen, die Armen begnügen sich mit einer einzigen. Ich besuchte in Canton, so viel mir möglich war, die Werkstätten verschiedenartiger Künstler. Mein erster Gang galt den vorzüglichsten Malern, und ich muß ge- stehen, daß mich die Lebhaftigkeit und der Glanz ihrer Farben wirklich frappierte. Man schreibt ihn hauptsäch- lich dem Reispapiere zu, worauf sie malen, und welches von ausgezeichneter Feinheit und Milchweiße ist. Die Arbeiten auf Leinwand oder Elfenbein unter- scheiden sich in Betreff der Farben sehr wenig von denen unserer europäischen Künstler, desto mehr aber in Betreff der Composition und der Perspektive, worin die Chinesen noch in der ersten Anfangsperiode stehen. Ganz beson- ders gilt dies von der Perspektive. Die Figuren oder Gegenstände des Hintergrundes wetteifern an Größe und Lebhaftigkeit der Farben mit jenen des Vordergrundes, und Flüffe oder Seen schweben gar oft in der Höhe an der Stelle der Wolken. Dagegen wissen sie sehr gut zu kopiren*) und sogar zu porträtieren. Ich sah Porträts, *) Wenn sie ein Bild kopieren, theilen sie es, wie unsere Künstler, in Quadrate ein. 27 so richtig getroffen und gezeichnet, so herrlich in Farben - ausgeführt, daß sich tüchtige, europäische Künstler der Ar- beit nicht zu schämen gebraucht hätten. Von ausgezeichneter Geschicklichkeit sind die Chinesen in Schnitzereien in Elfenbein, Schildkröte und Holz. Besonders trifft man unter den Arbeiten in schwarzem, fei- nem Lack mit flachen oder erhabenen Goldzeichnungen oft Gegenstände, die jeder Schatzkammer als große Zierde dienen könnten. Ich fah kleine Damen-Nähtischchen bis zum Werthe von 600 Dollars. – Eben so ausgezeichnet schön sind die Körbchen, Tapeten u. d. g., die sie aus Bambus verfertigen. Weit weniger leisten sie in Gold- und Silberarbei- ten, die alle meist plump und geschmacklos sind. Dagegen haben sie in der Fabrikation des Porzellans einen großen Ruf erlangt. Ihre Fabrikate zeichnen sich sowohl durch Größe als Durchsichtigkeit aus. Vasen und andere Ge- fäße von vier Fuß Höhe waren zwar weder durchsich- tig noch leicht; aber Taffen und kleine Gegenstände zeichneten sich durch eine Feinheit und Durchsichtigkeit aus, die nur dem Glase zu vergleichen war. Die Farben der Malereien sind sehr lebhaft, die Zeichnungen aber steif und schlecht. In Verfertigung von Seidenstoffen und Crepontüchern fand ich sie unübertrefflich; die letzteren besonders find an Schönheit, Geschmack und Dichte des Stoffes bei wei- tem den französischen und englischen vorzuziehen. Die Musik steht hingegen auf einer so niedrigen Stufe, daß die guten Chinesen hierin beinahe den wilden Völkern zu vergleichen sind. Es fehlt ihnen zwar nicht 28 an Instrumenten, wohl aber an der Kunst, felbe zu be- handeln. Sie haben Violinen, Guitarren, Lauten (alle mit Saiten oder Eisendraht bezogen), Hackbrette, Blas- instrumente, Trommeln, Pauken und Becken, kennen aber weder Composition noch Melodie oder Vortrag: sie schar- ren, kratzen und schlagen auf ihre Instrumente der Art, daß sie den vollkommenen Effekt einer Katzenmusik her- vorbringen. Ich hatte auf meinen Fahrten auf dem Perl- fluffe mehrmals Gelegenheit, solch kunstvolle Aufführun- gen auf Mandarins- und Blumenbooten zu hören. Im Betrügen sind sie viel geschickter, und überlisten ganz gewiß jeden Europäer. Auch haben sie dabei gar kein Ehrgefühl; kömmt ihr Betrug an den Tag, so sagen fie höchstens: „Der war geschickter oder schlauer als ich. – Man erzählte mir, daß, wenn sie lebende Thiere als, Kälber, Schweine u. dgl. verkaufen, die dieselben, da ihr Werth nach dem Gewichte bestimmt wird, zwingen, Steine oder große Quantitäten Waffer zu verschlucken. Auch das Fleisch des getödten Geflügels, wissen sie so aufzublasen und herzurichten, daß es vollkommen frisch, voll und fett aussieht. Aber nicht nur das gemeine Volk ist so schlecht und betrügerisch, – diese schönen Eigenschaften erstrecken sich bis auf die höchsten Beamten. So weiß man, daß es nirgends mehr Piraten gibt als in der chinesischen See, und ganz besonders in der Umgebung Cantons; dennoch geschieht nichts zu ihrer Bestrafung oder Vertreibung, indem es die Mandarinen nicht unter ihrer Würde finden, mit jenen in heimlicher Verbindung zu stehen. Der Opiumhandel z. B. ist verboten, – trotzdem 29 wird jährlich so viel eingeschmuggelt, daß der Werth dieser Einfuhr jenen der Ausfuhr des Thees übersteigen soll*) Die Kaufleute verstehen sich mit den Beamten und Mandarinen, man bedingt eine Summe für jeden Pikul, und nicht selten bringt der Mandarin selbst ganze " Schiffsladungen unter einer Flagge ans Land. So soll sich auf einer der Inseln unweit Hong-kong eine ausgebreitete Falschmünzerei befinden, die ganz unge- stört arbeitet, da sie an die Beamten und den Mandarin einen Tribut bezahlt. Kürzlich wurden einige Räuber- schiffe, die sich gar zu nahe an Canton gewagt hatten, in den Grund geschoffen, wobei die Mannschaft verunglückte und der Anführer gefangen genommen wurde. Die Pira- tengesellschaft ersuchte in einem Schreiben die Regierung um Freigebung des Anführers und drohte im Verwei- gerungsfalle mit großen Brandlegungen. Jedermann war überzeugt, daß diesem Drohbriefe noch eine Summe Gel- des beigefügt war, denn nach kurzem hieß es, der Ver- brecher sei entschlüpft. Ich erlebte in Canton einen Fall, der mir große Angst verursachte, und der die Ohnmacht oder Willenlosig- keit der chinesischen Regierung genügend beweiset. Am 8. August fuhr Herr Agafiz mit einem Freunde nach Whampoa, gedachte aber noch des Abends zurück- zukehren. Ich blieb mit den chinesischen Dienern allein im Hause. Herr Agafiz kam nicht; – endlich in der Nacht gegen ein Uhr vernahm ich plötzlich laute Stimmen, und man schlug mit Heftigkeit an das Hausthor. Anfangs *) Der Pikul unpräparierten Opiums kömmt auf 600 Dollars. dachte ich, es sei Herr Agafiz und wunderte mich sehr über die laute Nachhausekunft; bald aber gewahrte ich, daß der Lärm nicht in unserm, sondern im gegenüber- liegenden Hause statt hatte. Es ist ein solcher Irrthum sehr leicht, da die Häuser sich ganz nahe stehen und die Fenster Tag und Nacht offen sind. – Ich hörte rufen: Stehen Sie auf, kleiden Sie sich an! – und da- zwischen wieder: Es ist fürchterlich! es ist entsetzlich! Gott! wo, wo ist es geschehen? – – Ich sprang aus dem Bette und warf eilig ein Kleid um, mit dem Gedanken, es müffe entweder Feuer oder ein Aufstand ausgebrochen sein*). Als ich einen der Herren in der Nähe eines Fensters gewahrte, rief ich hinüber und bat ihn, mir zu sagen, was so schreckliches vorgefallen sei. Er erzählte mir in Eile, man habe so eben die Nachricht gebracht, daß zwei seiner Freunde, die nach Hong-kong fahren wollten (Wham- poa lag auf dem Wege) von Piraten überfallen und der eine ermordet, der andere verwundet worden sei. – Er verließ gleich darauf das Fenster, so daß ich ihn nicht um den Namen des Unglücklichen fragen konnte und so während der ganzen Nacht in Angst schwebte, ob man diese Unthat nicht an Hrn. Agafiz verübt habe. Glücklicherweise war wenigstens dies nicht der Fall, *) Besonders letzteres war täglich zu erwarten, und das Volk ließ sich verlauten, daß spätestens am 12. oder 13. August eine Revolution ausbrechen werde, in welcher alle Euro- päer ihr Leben verlieren sollten. – Man denke ich meine Lage, – ich war mir ganz allein überlaffen und nur von Chinesen umgeben, ZI denn Herr Agafiz kam des Morgens um fünf Uhr nach Haufe. Ich erfuhr nun, daß dieses Unglück Herrn Vauchée, einen Schweizer getroffen hatte, der manchen Abend bei uns gewesen war. Noch am Tage seiner Abreise sah ich ihn bei unserm Nachbar, wo es munter und lustig her- ging und bis nach acht Uhr Abends die schönsten Lieder und Quartette gefungen wurden. Um 9 Uhr begab er sich in das Boot, um 10 Uhr wurde abgefahren und eine Viertelstunde darauf, mitten unter tausenden von Scham- pans und andern Fahrzeugen, fand er ein trauriges Ende. Herr Vauchée hatte die Absicht gehabt, nach Hong- kong zu fahren und sich daselbst auf einem größeren Schiffe nach Tschang-hai *) einzuschiffen; er führte Schweizer- Uhren im Werthe von 40 000 Franken mit sich und er- zählte noch einen Freunden, wie vorsichtig er felbe ein- gepackt, ohne daß seine Diener etwas davon gesehen hätten. Dieß scheint aber doch nicht der Fall gewesen zu sein, und da die Piraten in jedem Hause unter der Die- nerschaft Spione haben, so waren sie von allem leider nur zu gut unterrichtet. Während meines Aufenthaltes zu Canton wurde das Haus eines Europäers von dem Volke zerstört, weil es auf einem Grunde stand, der zwar von Europäern bewohnt werden durfte, bisher aber noch nicht bewohnt worden war. So vergingen selten Tage, ohne daß man von Un- *) Einer der neueren Hafenorte, der den Engländern im Jahre 1842 eröffnet wurde. 32 fügen oder Gewaltthätigkeiten hörte, und man lebte in immerwährender Angst, besonders da sich das Gerücht einer nahe bevorstehenden Revolution verbreitet hatte, in welcher alle Europäer getödtet werden sollten. Gar viele Kaufleute waren zu augenblicklicher Flucht bereit, und in den meisten Comptoirs waren Musketen, Pistolen und Säbel in zierlicher Ordnung aufgestellt. – Glück- licherweise ging die für den Ausbruch der Revolution be- stimmte Zeit vorüber, ohne daß das Volk seine Drohung erfüllte. Die Chinesen sind im höchsten Grade feige, – sie sprechen groß, wenn sie sicher sind, selbst keinen Schaden zu leiden, z. B. wenn es gilt, einzelne zu steinigen, auch wohl zu tödten. Wo sie aber auf Widerstand zu rechnen haben, da greifen sie sicher nicht an. Ich glaube, daß ein Dutzend guter europäischer Soldaten wohl hundert chinesische in die Flucht schlüge. Mir ist noch kein feigeres, falscheres und dabei grausameres Volk vorgekommen als das chinesische. Ein Beweis dafür ist unter anderen, daß ihr größtes Vergnügen darin besteht, Thiere zu quälen. Trotz der ungünstigen Stimmung des Volkes wagte ich viele Gänge. Herr von Carlovitz hatte viel Güte und Geduld, mich überall hin zu begleiten, und setzte sich meinetwegen gar manchen Gefahren aus. Er ertrug es mit Gelaffenheit, wenn das Volk hinter uns nach stürmte und seinen Zorn über die Kühnheit der europäischen Frau, sich öffentlich zu zeigen, in Worten Luft machte. – Durch feine Verwendung fah ich mehr, als je eine Frau in China gesehen hatte. 33 Unser erster Ausflug ging nach dem berühmten Tem- pel Hon an, welcher zu den schönsten in China gehören soll. Der Tempel ist mit feinen ausgedehnten Nebenge- bäuden und großen Gärten von einer hohen Mauer um- geben. Man betritt zuerst einen großen Vorhof, an dessen Ende ein kolossales Portal in die innern Höfe führt. Unter dem Bogen dieses Portals sind zwei Kriegsgötter angebracht, jeder von 18 Fuß Höhe, in drohender Stellung und mit fürchterlich verzerrtem Gesichte. Sie sollen bösen Geistern den Eingang verwehren. Ein zwei- tes ähnliches Portal, unter welchem die vier himmlischen Könige aufgestellt sind, führt in den innersten Hof, in welchem sich der Haupttempel befindet. Das Innere die- fes Tempels ist hundert Fuß Jang und eben so breit. Die flache Decke, von welcher eine Menge Glaslustres, Lampen, künstlich verfertigte Blumen und farbige Seidenbänder herabhängen, ruht auf einigen Reihen hölzerner Säulen. Viele Statuen, Altäre, Blumen- und Räuchergefäße, Kandelaber, Leuchter und andere Zierathen erinnern un- willkürlich an die Ausschmückung einer katholischen Kirche. Im Vordergrunde stehen drei Altäre, hinter diesen drei Statuen, welche den Gott Buddha in dreierlei Ge- falten, in jener der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft darstellen. Die Figuren sind kolossal und in fitzender Stellung. - Zufällig hielt man gerade Gottesdienst, als wir den Tempel besuchten – es war eine Art Todtenmeffe, welche ein Mandarin für eine seiner verstorbenen Gattinen halten ließ. – Am rechten und linken Altare befanden sich die Prie- fer, deren Gewänder und sogar Ceremonien ebenfalls jenen Pfeiffers Reise, II. Th. Z 34 der katholischen Priester glichen. Am Mittelaltare be- fand sich der Mandarin, andächtig betend und sich dabei von zwei Dienern mittelst großer Fächer Luft zuwehen las- fend*). Er küßte sehr häufig den Boden, worauf ihm jedesmal drei Rauchkerzchen gereicht wurden, die er erst in die Höhe hob und dann einem Priester gab, der sie vor einer der Buddha-Statuen aufpflanzte, jedoch ohne sie anzuzünden. – Die Musikkapelle war aus drei Männern gebildet, von welchen einer auf einem Saiteninstrumente scharrte, während der zweite auf eine metallenen Kugel schlug und der dritte auf einer Flöte blies. Außer diesem Haupttempel gibt es noch verschiedene Hallen und Tempelchen, die mit Statuen von Göttern ausgeschmückt sind. Eine besondere Verehrung genießen die 24 Götter der Barmherzigkeit und Kwanfoote, ein Halbgott des Krieges. Von ersteren haben manche vier, sechs, ja auch acht Arme. Alle Gottheiten, Buddha nicht ausgenommen, find von Holz, vergoldet und meist mit schreienden Farben bemalt. *) Seine Kleidung bestand aus einem weiten Oberkleide, das bis an die Kniee reichte und mit offen flatternden Aermeln versehen war; darunter sah man ein weißseidenes Bein- kleid. Das Oberkleid war von Brokat in lebhaften Farben und bizarren Mustern. Auf der Brust hatte er zwei Vö- gel als Abzeichen des Ranges, nebst einem Halsbande von schönen Steinen. Die Stiefel, von schwarzem Seidenstoff, gingen vorne in gebogene Spitzen aus. Als Kopfbe- deckung trug er einen fammtenen Hut von konischer Form mit einem vergoldeten Knopfe“ 35 In dem Tempel der Barmherzigkeit wäre uns bald ein etwas unangenehmes Abentheuer begegnet. Ein Prie- fer oder Bonze reichte uns kleine Rauchkerzchen, die wir anzünden und seiner Gottheit weihen sollten. Herr von Carlowitz und ich hielten die Kerzchen schon in der Hand und wollten ihm gerne diese Freude machen; allein ein amerikanischer Miffionär, der uns begleitete, ließ es nicht zu, sondern riß uns die Kerzchen aus der Hand und gab fie erzürnt dem Priester zurück, indem er diese Hand- lung für Götzendienst erklärte. Der Priester nahm die Sache sehr ernsthaft, schloß augenblicklich den Ausgang, rief nach seinen Kameraden, die bald von verschiedenen Seiten herbeikamen, ganz jämmerlich schimpften und schrien, und dabei immer näher auf uns eindrangen. Nur mit vieler Mühe gelang es uns, den Ausgang zu er- kämpfen und uns so der Gefahr zu entziehen. Unser Führer geleitete uns nach diesem überstande- nen Strauß in die Behausung der geheiligten – – Schweine*). Eine schöne steinerne Halle ist ihnen zur Wohnung eingeräumt; doch verbreiten diese sonderbaren Heiligen, trotz aller Sorgfalt, die auf sie verwendet wird, einen so abscheulichen Geruch, daß man ihnen nur mit verhaltener Nase nahen kann. Sie werden gepflegt und gefüttert bis ein natürlicher Tod sie in’s beffere Leben *) Man muß wissen, daß den Chinesen dieses Thier besonders heilig ist, aber doch nicht so heilig, daß es nicht mit gutem Appetite verspeist würde. Die heiligen, wie die unheiligen chinesischen Schweine find klein, sehr kurzbeinig, von graulichter Farbe und mit einem langen Rüffel ver- fehen. 3” führt. Gegenwärtig befand sich nur ein so glückliches Pärchen hier – selten soll ihre Zahl drei Paare über- schreiten. Beffer als dieser heilige Ort gefiel mir die daran- foßende Wohnung eines Bonzen. Sie befand zwar nur aus einem Wohn- und Schlafstübchen, hatte aber eine bequeme und nette Einrichtung. In dem Wohnzimmer waren die Wände mit Holzschnitzwerk geziert, die Möbel antik und zierlich gearbeitet; an der Hinterwand befand sich ein kleiner Altar, und den Fußboden bedeckten große Steinplatten. Wir fanden hier einen Opium-Raucher. Er lag auf dem Boden auf einer Matte ausgestreckt, und hatte zur Seite eine gefüllte Theetaffe, einige Früchte, ein Lämp- ichen und mehrere Pfeifen, deren Köpfe kleiner als Finger- hüte waren; aus der einen fog er eben die berauschenden Dämpfe. (Man sagt, daß es in China Opiumraucher gibt, die 20 bis 30 Gran*) täglich vertragen.) Da er bei unserm Eintritte noch nicht ganz in bewußtlosem Zu- fande war, raffte er sich mühsam auf, legte die Pfeife zur Seite und schleppte sich zu einem Stuhle. Seine Augen sahen fier, und Todtenbläffe bedeckte sein Gesicht – es war ein höchst trauriger, bedauernswürdiger Anblick. Zum Schluffe führte man uns noch in den Garten, in welchem die Bonzen nach dem Tode verbrannt werden – eine besondere Auszeichnung, denn die andern Leute werden nur begraben. Ein einfaches Mausoleum, viel- leicht von dreißig Fuß im Gevierte und einige kleine Pri- *) 240 Gran gehen auf ein Loth. 37 vatmonumente ist alles, was da zu sehen ist. Weder das eine noch die andern sind hübsch; sie bestehen aus ganz einfachen Mauerwerken. Im ersteren werden die Gebeine der Verbrannten bewahrt, unter letzteren sind reiche Chi- nesen begraben, deren Erben tüchtig bezahlten, um solch einen Platz zu erringen. – Unweit davon steht ein Thürmchen von acht Fuß im Durchmesser und achtzehn in der Höhe, an defen Boden eine kleine Vertiefung ist, in welcher ein Feuer angemacht wird. Ueber dieser Ver- tiefung steht der Lehnstuhl, auf dem der verstorbene Bonze in vollem Ornate angebunden ist. Rund umher wird noch Holz und dürres Reis gelegt, dieses angezündet und die Thüre verschloffen. Nach einer Stunde öffnet man fie wieder, zerstreut die Asche um den Thurm, und be- wahrt die Gebeine auf bis zur Zeit der Eröffnung des Mausoleums, die alljährlich nur einmal fatt hat. Eine Merkwürdigkeit dieses Gartens ist die schöne Wafferrose oder Lotosblume (Nymphea Nelumbo), deren eigentliches Vaterland China ist. Die Chinesen sind solche Liebhaber dieser Blume, daß sie ihretwegen in jedem Garten Teiche anlegen. Die Blume mag an sechs Zoll im Durchmesser haben und ist gewöhnlich von wei- ßer Farbe, höchst selten blaßröthlich. Die Samen- körner gleichen an Größe und Geschmack jenen der Ha- selnüffe; die Wurzeln sollen gekocht wie Artischocken schmecken. Im Tempel Honan leben über hundert Bonzen, die sich in ihrem Hausanzuge durch nichts von den gemeinen Chinesen unterscheiden; man erkennt sie allein an ihrem ganz geschornen Haupte. Weder diese Priester noch an- 38 dere sollen sich der geringsten Achtung des Volkes zu er- freuen haben. Unser zweiter Ausflug galt der Halfway-Pagode, von den Engländern so genannt, weil sie auf dem halben Wege von Canton nach Whampoa liegt. Wir fuhren auf dem Perlfluffe dahin. Die Pagode steht auf einem kleinen Erdhügel, nahe an einem Dorfe, inmitten ungeheurer Reisfelder; sie hat neun Stockwerke und eine Höhe von 170 Fuß. Ihr Umfang ist nicht sehr bedeutend und bis zur Spitze hinauf ziemlich gleich, so daß sie dadurch das An- sehen eines Thurmes bekömmt. Diese Pagode gehörte, wie man mir sagte, zu einer der berühmteren in China. Nun ist sie aber schon lange nicht mehr im Gebrauche. Der innere Raum war ganz leer; man fah weder Statuen noch andere Ausschmückungen, und keine Zwischendecke hinderte den Blick, sich bis an die Spitze des Gebäudes zu verlieren. Von außen umgeben schmale Gänge ohne Geländer jedes Stockwerk, und schroffe, schwer zu erstei- gende Treppen führen hinan. Einen sehr schönen Effekt machen diese vorspringenden Gänge, da sie von farbigen Ziegeln kunstvoll zusammengesetzt und mit bunten Thon- platten eingelegt sind. Die Spitzen der Ziegel, schief nach Außen gekehrt, liegen reihenweise übereinander, so daß jede Spitze bei vier Zoll über die andere ragt. Von Ferne gesehen gleicht dies einer halb durchbrochenen Ar- beit, und durch die schönen Farben und die Feinheit der Thonplatten kann man sich leicht verführen laffen, die ganze Maffe für Porzellan zu halten. Während wir die Pagode untersuchten, hatte sich die Dorfgemeinde um uns versammelt, und da sich die 39 guten Leute ziemlich ruhig verhielten, brachte uns dies auf den Gedanken, auch ihr Dörfchen zu besehen. Wir fan- den kleine, aus Backsteinen zusammengesetzte Häuser, oder beffer gesagt Hütten, die außer flachen Dächern nichts eigenthümliches an sich hatten. Ueber dem Stübchen war keine besondere Decke; man fah bis an das Hausdach; der Fußboden war gestampfte Erde und die Scheidewände bestanden zum Theil aus Bambusmatten. An Möbeln war wenig vorhanden und alles unrein gehalten. Unge- fähr in der Mitte des Dorfes standen kleine Tempelchen, und vor dem Hauptgotte brannten einige düstere Lämpchen. Ich wunderte mich am meisten über das viele Feder- vieh, das man in und außer den Hütten fah – man mußte sich ordentlich in Acht nehmen, die junge Brut nicht zu zertreten. – Das Geflügel wird hier wie in Egypten durch künstliche Wärme ausgebrütet. Als wir wieder vom Dorfe zur Pagode zurückge- kehrt waren, sahen wir zwei Schampans landen, aus wel- chen viele braune, halbnakte und größtentheils bewaffnete Männer sprangen, die eilig die Reisfelder durchschritten und gerade auf uns losgingen. Wir hielten sie für Piraten und erwarteten mit einiger Angst die Dinge, die da kommen würden. Waren es wirklich Piraten, fo sahen wir uns auch rettungslos verloren, denn hier, weit von Canton entfernt und umgeben von lauter Chine- sen, die ihnen noch hilfreiche Hand geleistet hätten, wäre es ihnen doppelt leicht gewesen, mit uns fertig zu wer- den. An ein Entkommen, an eine Rettung war daher gar nicht zu denken. Unterdessen kamen die Leute immer näher und 4(!) der Anführer stellte sich uns in gebrochenem Englisch als den Kapitän eines Siamesischen Kriegsschiffes vor. Er erzählte uns, daß er erst kürzlich angekommen sei und den Gouverneur von Bangkok hieher gebracht habe, der sich zu Lande weiter nach Peking begäbe. – Unsere Angst verlor sich nach und nach, und wir nahmen sogar die freundliche Einladung des Kapitäns an, bei der Rückfahrt an seinem Schiffe anzulegen, um es zu besehen. Er setzte sich zu uns ins Boot, fuhr uns selbst an sein Schiff und zeigte uns da alles persönlich; doch war der Anblick nicht be- sonders reizend. Die Mannschaft fah roh und sehr ver- wildert aus, und alle waren gleich lumpig und schmutzig gekleidet, so daß man weder Offiziere noch Matrosen aus- einander finden konnte. Das Schiff zählte zwölf Kanonen und 68 Köpfe. Der Kapitän bewirthete uns mit portugiesischem Weine und englischem Biere – erst spät des Abends kamen wir nach Hause. - Der weiteste Ausflug, den man von Canton machen kann, erstreckt sich 20 Meilen den Perlfluß aufwärts. Herr Agafiz war so gütig, mir den Genuß dieser Fahrt zu verschaffen. Er miethete ein schönes Boot, versah uns reichlich mit Speise und Trank und bat einen Miffionär, der diese Fahrt schon einigemal gemacht hatte, Herrn von Carlowitz und mich zu begleiten. – Die Begleitung eines Miffionärs ist auf den Reifen in China noch die sicherste Eskorte. Diese Herren sprechen die Sprache des Landes, sie machen sich nach und nach mit dem Volke be- kannt und freifen ziemlich ungehindert in den nahen Ge- genden umher. 41 Ungefähr eine Woche früher als unsere Partie zu Stande kam, hatten einige junge Leute versucht, diese Fahrt zu machen; sie waren aber durch Schüffe aus einer der Festungen, die längs des Fluffes liegen, gezwungen, auf halbem Wege umzukehren. Als wir in die Nähe dieser Festung kamen, wollten unsere Fahrleute nicht weiter fahren, bis wir sie beinahe mit Gewalt dazu zwangen. Da wurde denn auch auf uns gefeuert, aber glücklicher Weise als wir bei der Festung schon halb vorüber waren. Wir ent- gingen der Gefahr und fetzten unsere Reise ohne weitere Störung fort, landeten bei manchen Dörfchen, betraten die sogenannte „Herrenpagode und sahen uns über- all wacker um. Die Gegend war reizend und bot große Ebenen mit Reis-, Zuckerrohr- und Theepflanzungen, schöne Baumgruppen, artige Hügel und in der Ferne hö- here Gebirge. An den Abhängen der Hügel sahen wir viele Grabmäler, die durch einzelne, aufrecht stehende Steine bezeichnet waren. Die Herren pagode besteht aus drei Stockwerken, ist mit einem spitzauslaufenden Dache gedeckt und zeichnet sich durch ihre äußere Sculptur aus. Sie hat keine Gänge von außen; dagegen windet sich um jedes Stockwerk ein dreifacher Blätterkranz. Im ersten und zweiten Stocke, zu welchen ganz besonders schmale Treppen führen, befin- den sich kleine Altäre mit geschnitzten Götzenbildern. In den dritten Stock ließ man uns nicht gehen, unter dem Vorwande, daß da nichts zu sehen sei. Die Dörfer, welche wir besuchten, glichen mehr oder weniger demjenigen, das wir bei der Halfway-Pagode gesehen hatten. 42 Auf dieser Partie bekam ich Gelegenheit zu beobach- ten, auf welche Art sich die Missionäre der religiösen Bü- cher entledigen. Der Miffionär, welcher so gefällig war, uns zu begleiten, benützte diese Fahrt dazu, einigen frucht- bringenden Samen unter das Volk auszustreuen. Er packte 500 kleine Broschüren auf unser Boot, und so oft ein anderes Boot in unsere Nähe kam, was sehr häufig geschah, neigte sich der Mann so weit als möglich vor, hielt ein halb Dutzend solcher Bücher in die Höhe und schrie und winkte den Leuten, herbei zu kommen, um die- selben in Empfang zu nehmen. Kamen die Leute nicht zu uns, so ruderten wir auf sie los, der Missionär beglückte fie Dutzendweise mit seinen Broschüren und war schon im voraus entzückt über den segensreichen Erfolg, den sie zweifelsohne bewirken würden. Noch ärger war das Ding, wenn wir in ein Dorf kamen. Da mußte der Diener ganze Päcke nachschleppen. In einem Augenblicke umgaben uns viele Neugierige, und eben so schnell waren die Bücher unter die verheilt. Jeder Chinese nahm, was man ihm bot,– es kostete ja nichts, und wenn er auch nicht lesen konnte (die Bücher waren in chinesischer Sprache geschrieben), so hatte er doch wenigstens einiges Papier. Unser Miffionär kehrte feelen- vergnügt-heim, – er hatte alle 500 Exemplare richtig an den Mann gebracht. Welch herrlichen Bericht gab das nicht für die Missionsgesellschaft, welch glänzenden Artikel für die geistliche Zeitung! Diesen Ausflug, dem Perlfluffe entlang, machten drei Monate später sechs junge Engländer Auch sie hiel- ten an einem der Dörfer an und begaben sich unter das 43 Landvolk. Leider aber fielen sie alle als Opfer des chine- fischen Fanatismus, – sie wurden auf die grausamste Weise ermordet. Von größeren Ausflügen blieb mir nun nur noch ein Gang um die Mauern der eigentlichen Stadt Canton*) übrig. Auch dieser Wunsch wurde bald erfüllt, denn der gute Miffionär trug sich mir und Hrn. v. Carlowitz als Be- gleiter und Beschützer an, doch unter der Bedingung, daß ich mich verkleide. Bisher hatte noch keine Frau diesen Gang gewagt, und auch ich, meinte er, dürfte es in mei- ner Kleidung nicht thun. Ich nahm meine Zuflucht zur Männerkleidung, und eines frühen Morgens machten wir uns auf den Weg. Lange gingen wir durch enge Gäßchen, die mit brei- ten Steinen gepflastert waren. An jedem Hause fahen wir in irgend einer Nische kleine Altäre von ein bis zwei Fuß Höhe, vor welchen noch, da es zeitlich des Morgens war, die Nachtlämpchen brannten. Eine unendliche Maffe Oels wird dieses Religionsgebrauches wegen unnütz ver- brannt. – Nach und nach wurden die Kaufläden geöffnet, welche niedlichen Hallen gleichen, da die vordern Wände hinweggenommen sind. Die Waaren werden theils in offenen Fächerkasten aufgestellt, theils auf Tischen, hinter *) Die Stadt hat an 9 englische Meilen im Umfange. Sie ist der Sitz eines Vice - Königs, in die Tartaren - und Chinesenstadt abgetheilt und durch Mauern geschieden. Die Bevölkerung der Stadt wird auf 400.000 Seelen geschätzt, die auf den Booten und Schampans auf 60.000, jene der nächsten Umgebung Canton’s auf 200.000. Die Zahl der hier ansäßigen Europäer ist etwa 200. 44 welchen die Chinesen sitzen und arbeiten, ausgebreitet. Von einer Ecke der Halle führt eine schmale Treppe in das obere Stockwerk in des Kaufmanns Wohnung. Auch hier besteht, wie in den türkischen Städten, die Einrichtung, daß jede Profession ihre besondere Straße hat, so daß man in einer Gaffe nichts als Glaswaaren, in einer andern Seidenstoffe u. f. w. sieht. In den Gaffen, wo die Aerzte wohnen, sind auch alle Apotheken, da die Aerzte zugleich dies Geschäft mit versehen – Die Lebens- mittel, die meist recht zierlich aufgestellt sind, haben ebenfalls ihre eigenen Gaffen. Zwischen den Häusern stehen viele kleine Tempel, die sich aber im Style von den übri- gen Gebäuden gar nicht unterscheiden; auch wohnen nur im Untergeschoße die Götter, in den oberen Stockwerken ganz gewöhnliche Menschen. - Die Lebhaftigkeit in den Gaffen war auffallend stark, besonders in jenen, wo die Lebensmittel aufgespeichert lagen. Weiber und Mädchen der geringeren Klaffen gin- gen umher, ihre Einkäufe zu besorgen, so gut wie in Eu- ropa. Sie erschienen alle unverschleiert, und viele von ihnen wackelten gleich Gänsen, da, wie ich schon bemerkt habe, in jeder Klaffe des Volkes der Gebrauch stattfindet, die Füße zu verkrüppeln. Das Gedränge wird durch die vielen Lastträger ungemein vermehrt, die mit großen Kör- ben voll Lebensmittel, die sie auf den Schultern tragen, durch die Gaffen laufen und dabei mit lauter Stimme bald ihre Waaren anpreisen, bald die Leute aus dem Wege gehen heißen. Auch sperren nicht selten die Sänf- ten, in welchen sich die Reichen und Vornehmen zu ihren Geschäftslokalen tragen laffen, die ganze Breite eines Gäß- 45 chens und hemmen den Strom des geschäftigen Volkes. Das schrecklichste aber sind die zahllosen Träger, die ge- wiffe übelriechende Gegenstände in größen Kübeln davon schleppen und einem auf jedem Schritte und in jeder Straße begegnen. Man muß wissen, daß vielleicht kein Volk auf Erden an Fleiß und Industrie den Chinesen gleicht, daß keines fo sorgfältig wie sie jedes Fleckchen Erde benützt und bepflanzt. Da sie nun wenig Vieh und folglich auch wenig Dünger haben, so suchen sie diesen auf andere Art zu er- setzen, und daher ihre große Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf jedes Ercrement lebender Wesen. - All diese kleinen Gäßchen sind an die Stadtmauer angebaut, so daß wir schon lange um sie herum gegangen waren, ehe wir sie bemerkten. Unbedeutende Thore oder Eingangspförtchen, die des Abends geschloffen werden, führen in das Innere der Stadt, deren Betretung jedem Fremden auf das strengste verwehrt wird. Manchem Matrosen oder sonstigen Fremdlingen soll es schon geschehen sein, daß sie auf ihren Streifzügen durch solch ein Pförtchen in die Stadt geriethen ohne es zu wiffen und ihres Irrthums erst gewahr wurden, als man anfing Steine nach ihnen zu werfen. Nachdem wir wenigstens zwei Meilen gemacht hat- ten, fortwährend durch enge Gäßchen uns drängend, ge- langten wir ins Freie. Hier hatten wir eine vollkom- mene Ansicht der Stadtmauern, und von einem kleinen Hügel, der nahe an der Mauer lag, selbst einen ziemlich weiten Ueberblick über die Stadt. Die Stadtmauer ist unge- fähr sechzig Fuß hoch und an den meisten Stellen mit 46 Gras, Schlingpflanzen und Gesträuchen der Art überwach- fen, daß sie einer herrlichen lebendigen Gartenwand gleicht. Die Stadt erscheint wie ein Chaos kleiner Häuser, zwi- schen welchen mitunter einzelne Bäume stehen. Weder schöne Straßen und Plätze, noch ausgezeichnete Gebäude, Tempel und Pagoden feffelten unsern Blick. Eine ein- zige Pagode von fünf Stockwerken erinnerte an China's Bauart. Der Weg führte uns ferner über fruchtbares Hügel- land, über gut gehaltene Wiesen und Felder. Viele der Hügel dienen zu Grabesstätten und sind mit kleinen Erd- haufen überdeckt, an welchen zwei Fuß hohe Steinplatten, oder auch unbehauene Steine lehnen. Manche darunter waren mit Inschriften bedeckt. Auch Familien-Grüfte lagen dazwischen, die man in die Hügel hineingegraben, und mit niedern Mauern in Hufeisenform umgeben hatte; die Eingänge der Gräber waren ebenfalls vermauert. Die Chinesen begraben aber nicht alle ihre Todten; fie haben noch eine andere, eigenthümliche Art, sie aufzube- wahren, und zwar in kleinen gemauerten Hallen, die aus zwei Wänden und einem Dache bestehen, und deren an- dere zwei Seiten offen sind. Hier werden höchstens zwei bis vier Särge auf zwei Fuß hohen hölzernen Bänken auf- gestellt. Die Särge sind aus massiven ausgehöhlten Baumstämmen. Die Ortschaften, die wir paffierten, waren alle sehr belebt, sahen aber höchst armselig und unrein aus. Bei dem Durchgange mancher Gäßchen und Plätze mußten wir uns die Nase verhalten, und gerne hätten wir oft auch die Augen geschloffen vor dem häufigen Anblicke eckelhafter 47 Kranken, deren Körper mit Hautausschlägen, Geschwüren und Beulen überdeckt waren. In all den Ortschaften sah ich viel Geflügel und Schweine, aber nicht mehr als drei Pferde und eine Büf- felkuh; Pferde und Kuh waren von ganz besonders klei- ner Race. Beinahe am Ende unserer Wanderung begegneten wir einem Leichenzuge. Eine jämmerliche Musik kündete uns etwas besonderes an; doch blieb uns kaum Zeit auf zuschauen und aus dem Wege zu treten, denn eilig, wie auf der Flucht begriffen, kam ein Zug daher. Voran liefen die edlen Musikanten, dann folgten einige Chinesen, ferner zwei leere Sänften, von Trägern geschleppt, hierauf ein ausge- höhlter Baumstamm, der den Sarg vorstellte, an einer Stange hing und ebenfalls getragen wurde, und zum . Schluffe einige Priester und Volk. Der Hauptpriester hatte eine Art weißer*) Narren- kappe mit drei Spitzen auf, die nachfolgenden Leute (nur Männer) trugen jeder einen weißen Lappen entweder um den Arm oder um den Kopf gewickelt. Ich war auch so glücklich, einige der Sommerpaläste und Gärten der Vornehmen zu sehen. Vor allen zeichnete sich jener des Mandarins Hau- qua aus. Das Haus war von ziemlichem Umfange, ein- stöckig und mit sehr breiten, herrlichen Terraffen versehen. Die Fenster gingen nach Innen, und die Dachung glich der europäischen, nur war sie viel flacher. Die ausge- *) Weiß ist bei den Chinesen die Farbe der Trauer. 48 schweiften Dächer mit den vielen Zacken und Spitzen, mit den Glöckchen und den eingelegten bunten Ziegeln und Thonplatten sieht man auch hier nur an Tempeln, Luft- und Gartenhäusern, nicht aber an den großen Wohngebäu- den. An die Eingangspforte waren zwei Götter gemalt, die, nach der Meinung der Chinesen, jedem bösen Geiste den Eintritt verwehren. - Der vordere Theil des Hauses bestand aus mehreren Empfangssälen; sie hatten keine Vorderwände *) – im Erdgeschoße schloffen sich niedliche Blumengärtchen unmit- telbar daran, im ersten Stockwerke großartige Terraffen, die ebenfalls mit Blumen geschmückt waren und herrliche Uebersichten des belebten Fluffes, der reizenden Gegend und der Häusermaffe der um Canton's Mauern gelegenen Orte darboten. Niedliche Kabinetchen umgaben die Säle, von welchen sie nur durchsichtige, oft aus den kunstvollsten Gemälden bestehende Wände schieden. Unter diesen zeichnen sich besonders jene von Bambus aus, die fein und zart wie Schleier und mit gemalten Blumen oder zierlich geschriebenen Sittensprüchen reichlich überdeckt sind. Eine Unzahl von Stühlen und viele Kanapees stan- den an den Wänden, woraus man schließen konnte, daß auch die Chinesen an große Gesellschaften gewöhnt sind. Man sah da Armstühle, die aus einem einzi- gen Stücke Holz kunstvoll geschnitzt waren – andere, deren Sitze aus schönen Marmorplatten bestanden, und - *) Im Winter werden die offenen Seiten der Säle durch Bambusmatten verhängt. 49 wieder andere aus feinem farbigen Thon oder Porzellan. Von europäischem Hausrath fanden wir schöne Spiegel, Stockuhren, Vasen, Tischplatten von florentiner Mosaik oder buntem Marmor. Auffallend war die Menge von Lampen und Laternen, die von den Decken herabhingen; sie waren von Glas, von durchsichtigem Horn, von farbi- ger Gaze und Papier, und mit Glasperlen, Fransen und Quasten besetzt. Auch an den Wänden fehlte es an Lam- pen nicht, und bei voller Beleuchtung mögen diese Ge- mächer wirklich einen zauberhaften Anblick gewähren. Da wir so glücklich gewesen waren, dies Haus zu er- reichen, ohne gesteinigt worden zu sein, machte uns dies Muth, auch die großen Ziergärten Herrn Hauquau's zu besuchen, die ungefähr dreiviertel Meilen vom Hause ent- fernt an einem Kanale des Perlfluffes lagen. Kaum hat- ten wir aber in jenen Kanal eingelenkt, als unsere Fahr- leute auch schon wieder umkehren wollten; sie sahen darin ein Mandarinen-Schiff liegen, an welchem alle Flaggen aufgehißt waren – ein Zeichen, daß sich der Mandarin darinnen befand. Die Fahrleute wollten es nicht wagen, uns Europäer daran vorüber zu führen; sie fürchteten zur Strafe gezogen oder fammt uns vom Volke gesteinigt zu werden. Wir ließen sie aber nicht umwenden, sondern fuhren ganz nahe an dem Mandarinschiff vorüber, stiegen dann aus und setzten unsere Wanderung zu Fuß fort. Bald hatten wir einen großen Volkshaufen hinter uns, man fing an, Kinder auf uns zu stoßen, um unsern Zorn zu erre- regen; allein wir waffneten uns mit Geduld, gingen ruhig weiter und erreichten glücklich den Garten, dessen Thore alsogleich hinter uns geschloffen wurden. Pfeiffers Reise, 11. Th. 4 50 Der Garten war in vollkommen guten Stande, aber durchaus nicht geschmackvoll. Allerorts hatte man Som- merhäuschen, Kioske, Brücken u. f. w. angebracht, und alle Wege und Plätze waren mit großen und kleinen Töpfen eingefaßt, in welchen Blumen und verkrüppelte Frucht- bäume aller Gattungen wuchsen. Im Verkleinern oder vielmehr Verkrüppeln der Bäume sind die Chinesen vollkommen Meister; manche dieser Gewächse erreichen oft kaum eine Höhe von drei Fuß. Man liebt diese Zwergbäume sehr und zieht sie in den Gärten den schönsten und schattenreichsten Bäumen vor. Geschmackvoll kann man zwar diese liliputanischen Alleen nicht nennen; aber merkwürdig ist es zu sehen, wie voll, und mit welch schönen Früchten die winzigen Zweig- lein behangen sind. Nebst diesen Spielereien fanden wir auch Figuren aller Art, als : Schiffe, Vögel, Fische, Pagoden u. . w. aus zarten Blättergewächsen gebildet. In den Köpfen der Thiere facken Eier, die vorne mit schwarzen Sternen bemalt waren und die Augen vorstellen sollten. Auch an einzelnen Felsstücken und Felsgruppen fehlte es nicht, die noch dazu mit Blumentöpfchen, mit Figürchen und Thierchen reich besetzt waren; letztere konnte man nach Belieben versetzen, und damit verschiedenartige Gruppen bilden, – welches ein besonders beliebter Zeit- vertreib der chinesischen Damen sein soll. – Eine andere, nicht minder beliebte Unterhaltung, sowohl für Frauen als Herren, ist das Steigen laffen der Drachen. Stun- denlang vermögen sie zu sitzen und solch einem Papier- Ungeheuer nachzusehen. Jeder Garten eines vornehmen 51 Chinesen enthält zu diesem Zwecke große, freie Wiesen- plätze. An fließendem Waffer und Teichen war ebenfalls kein Mangel, – Wafferkünste sahen wir aber nicht. Da uns heute alles geglückt war, schlug mir Herr v.Carlowitz vor, auch noch den Garten des Mandarinen Pun- tingqua zu besehen. Mich interessierte der Gang dahin um so mehr, als daselbst auf Befehl des Mandarinen ein Dampfboot und zwar von einem Chinesen gebaut wurde. Derselbe hatte sich dreizehn Jahre in Nordamerika aufge- halten und dort eine Studien gemacht. Der Bau war schon so weit gediehen, daß das Schiff in wenig Wochen vom Stapel laufen sollte. Mit großem Behagen wies uns der Meister sein Werk; er war sichtlich erfreut, sein Lob aus unsern Munde zu vernehmen. Einen besondern Werth legte er auch auf die Kenntniß der eng- lischen Sprache, denn als ihn Herr v. Carlowitz auf chinesisch ansprach, antwortete er englisch und ersuchte uns, in die- ser Sprache fortzufahren. – Das Maschinenwerk schien uns nicht mit chinesischer Nettigkeit gearbeit zu sein, auch kam uns die Maschine für das kleine Schiff viel zu groß vor. Weder ich noch mein Gefährte hätten Muth gehabt, die Probefahrt mitzumachen. Der Mandarin, der dieß Schiff bauen ließ, war nach Peking gegangen, um sich als Belohnung einen Knopf *) zu holen, denn auf sein Gebot läuft das erste Dampfboot im chinesischen Reiche vom Stapel. Der Ex- *) Ein solcher Knopf, der auf den Hut gesteckt wird, hat bei den Chinesen denselben Werth wie bei uns ein Orden. +“ 52 bauer selbst wird sich wahrscheinlich mit dem Bewußtsein seiner Geschicklichkeit begnügen müssen. Von dem Schiffswerfte gingen wir in den Garten, der fehr groß, aber äußerst vernachläßt war. Da gab es weder Alleen noch Fruchtbäumchen, weder Felsen noch Figürchen; dagegen aber eine lästige Menge von Lusthäus- chen, Brücken, Galerien, Tempelchen und Pagoden. Das Wohnhaus bestand aus einem großen Saale und vielen kleinen Gemächern. In- und Außenwände waren mit Holzschnitzwerk verziert und das Dach reichlich mit Spitzen und Zacken versehen. In dem großen Saale gibt man zeitweise Komödien und andere Spiele zur Belustigung der Frauen, deren Unterhaltungen sich durchgehends auf ihre Häuser und Gärten beschränken*). Letztere können von Fremden auch nur in Abwesenheit der Damen besucht werden. In diesen Gärten wurden mehrere Pfauen, Silber- fasanen, Mandarins-Enten und Dammhirsche unterhalten. – In einer Ecke befand sich ein kleiner, finsterer Bam- bus-Hain, der einige Familiengräber barg. Unweit dieses Hains war ein kleiner Erdhügel aufgeworfen, mit einer hölzernen Tafel, auf der ein langes Lobgedicht zu Ehren der hier begrabenen Lieblingschlange des Mandarins stand. *) Die vornehmen chinesischen Frauen leben noch viel einge- zogener als die Orientalinnen. Sie dürfen sich sehr selten besuchen, und das nur in wohlverschloffenen Sänften oder Booten. Sie haben weder öffentliche Bäder noch Gärten, um welchen fie. Zusammenkünfte veranstalten könnten. 53 Nachdem wir alles mit Muße besichtiget hatten, machten wir uns auf den Rückweg und gelangten unange- fochten nach Hause. Nicht so gut ging es mir einige Tage später bei dem Besuche einer Theefabrik. Der Eigenthümer selbst führte mich in die Arbeitslokale, die aus großen, hohen Hallen bestanden, worin an 600 Leute, darunter viel alte Wei- ber und Kinder, beschäftiget waren. Mein Eintritt er- regte eine vollkommene Revolte. Alt und Jung stand von der Arbeit auf, die Großen hoben die Kleinen in die Höhe und wiesen mit Fingern nach mir; bald drängte das ganze Volk auf mich ein und erhob ein so fürchterliches Geschrei, daß mir beinahe anfing bange zu werden. Der Fabriksherr und die Aufseher hatten gewaltig zu thun, den Schwarm von mir abzuhalten, und man bat mich, nur alles in Eile anzusehen und dann das Gebäude gleich zu verlaffen. Ich konnte daher nur oberflächlich beobachten, daß die Theeblätter auf einige Augenblicke in kochendes Was- fer gegeben werden, darauf kommen sie in eiserne, schief eingemauerte, flache Pfannen, werden bei geringer Wärme etwas geröstet und dabei stets mit der Hand aufgemischt. Wenn sie anfangen sich ein wenig zu krausen, wirft man sie auf große Bretter und rollt jedes einzelne Blatt zu- sammen. Diese Arbeit geht so schnell vor sich, daß man sehr genau aufpaffen muß, um zu sehen, wie auch wirklich nur ein Blättchen genommen wird. Die ganze Maffe kommt hierauf wieder in die Pfanne. Der sogenannte „fchwarze Thee“ wird länger geröstet und der „grü- ne Thee“ häufig mit Berlinerblau gefärbt, indem man 54 beim zweiten Rösten eine ganz geringe Quantität der Farbe den Blättern beigibt. Zuletzt schüttet man den Thee wieder auf die hölzernen Platten, um ihn genau durchzusehen und rollt die nicht ganz geschloffenen Blätter nochmals zusammen. Bevor ich das Haus verließ, führte mich der Eigen- thümer in seine Wohnung und bewirthete mich mit einer Taffe Thee auf die Art und Weise, wie ihn die reichen und vornehmen Chinesen zu nehmen pflegen. In eine feine Porzellan-Taffe wurde etwas Thee gegeben, kochen- des Waffer darauf gegoffen und die Taffe dann mit einem Deckel, der genau darauf paßte, zugedeckt. Nach wenigen Minuten trinkt man den heißen Thee von den Blättern herab. Die Chinesen geben weder Zucker, Rum noch Milch zum Thee; sie sagen, daß durch jeden Zusatz, ja selbst durch das Aufrühren das Aroma des Thees ver- loren gehe. In meine Taffe erhielt ich mit den Blät- tern zugleich etwas Zucker. Der Strauch der Theepflanze hatte in den Pflanzun- gen, die ich in der Umgebung Cantons fah, höchstens die Höhe von sechs Fuß; man läßt ihn nicht höher wachsen und beschneidet ihn daher zeitweise. Er wird vom 3. bis zum 8. Jahre benützt, worauf man ihn abhaut, damit er wieder treibe, oder ganz ausrottet. Man kann des Jah- res drei Ernten halten, und zwar die erste im März, die zweite im April und die dritte, die durch zwei Monate währt, im Mai. Die Blätter der ersten Ernte sind so überaus zart und fein, daß man sie leicht für Blüthen nehmen könnte, und daher mag wohl auch der Irrthum entstehen, daß man den sogenannten „Blumen- oder Kai- 55 ferthee nicht für die Blätter, sondern für die Blüthen des Theestrauches hält *). Diese erste Ernte ist dem Strauche so nachtheilig, daß sie für gewöhnlich ganz un- terbleibt. Man sagte mir, der Thee aus der Umgebung Can- ton's sei der schlechteste, und der beste komme aus den etwas nördlicher gelegenen Provinzen. Die Theefabrikanten in Canton sollen auch häufig gebrauchtem Thee oder den durch Regen verdorbenen Theeblättern das Ansehen von gutem Thee zu geben verstehen. Sie trocknen und rösten die Blätter, färben sie mit pulverisiertem Kurkumni gelb- lich, oder mit Berlinerblau hellgrün und rollen sie dicht zusammen. Die Preise des Thees, der nach Europa gesandt wird, sind pr. Pikul (100 Pfund österr. Gewicht) 15 bis 60 Dollars. Die Gattung pr. 60 Dollars findet we- nig Abgang und diesen meist nur nach England. Der sogenannte „Blüthenthee 4 kommt im Handel gar nicht vor. Noch muß ich eines Schauspiels erwähnen, das ich zufällig eines Abends auf dem Perlfluffe fah – es war, wie ich später erfuhr, ein Dankfest, den Göttern darge- bracht von den Eigenthümern zweier Dschonken, die eine etwas größere Seereise gemacht hatten, ohne weder von Piraten beraubt, noch von dem gefährlichen Orkan Tai- foon überfallen worden zu sein. *) Die Blätter dieser Ernte werden mit der größten Behut- famkeit gepflückt, und zwar von Kindern und jungen Leu- ten, die mit Handschuhen versehen find und jedes Blättchen einzeln mit größter Sorgfalt abnehmen müffen. 56 - Zwei der größten Blumenboote, herrlich beleuchtet, schwammen langsam den Strom herab, drei Reihen Lam- pen umgaben die obersten Theile der Schiffe und bildeten wahre Feuergalerien, alle Zimmer hingen voll Kron- leuchter und Lampen, und am Vorderdecke brannten große Feuer, aus welchen zeitweise Raketen aufstiegen, zwar tüchtig knallend, aber nur einige Fußhochfliegend. Auf dem vorderen Schiffe hatte man eine große Stange aufgepflanzt, die ebenfalls bis an die höchste Spitze mit zahllosen farbi- gen Papierlampen erleuchtet war und eine schöne Pyra- mide bildete. – Vor diesen beiden Feuerkörpern zogen zwei reichlich mit Fackeln versehene Boote mit lärmender Musik. Langsam schwebten die Feuermaffen durch die finstere Nacht – man hätte sie für Zauberwerke ansehen können. Zeitweise hielten fiel ein, und dann loderten in den klei- nen Booten hohe Feuer auf, die von heiligem und wohl- riechendem Papiere genährt wurden. Geräuchertes Papier, welches man von den Priestern kaufen muß, wird bei jeder Gelegenheit, ja sogar häufig vor und nach jedem Gebete verbrannt. Dieser Papier- handel bildet den größten Theil der Einkünfte der Priester. Einige Mal machte ich in Begleitung des Herrn v. Carlowitz kleine Spaziergänge in den der Faktorei nahe gelegenen Straßen. Es gewährte mir viel Vergnügen, all die schönen chinesischen Waaren anzusehen, um so mehr, als man dies hier mit Muße thun konnte, da die Buden nicht so offen waren wie jene, die ich zu sehen bekam, als 57 ich um die Stadtmauern Canton's ging. Sie hatten Thü- ren und Fenster wie die unsrigen; wir konnten hinein- gehen und waren dadurch vor den Zudringlichkeiten des Volkes geschützt. – Auch die Straßen fand ich hier etwas breiter, gut gepflastert und mit Matten oder Brettern über- deckt, um die brennenden Sonnenstrahlen abzuhalten. Man kann in der Umgegend der Factorei, nament- lich in Fousch-an, dem Ort der meisten Fabriken, viele Wege zu Waffer machen, da Kanäle, wie in Venedig, die Gaffen durchschneiden. Uebrigens ist aber diese Seite Canton’s nicht die schönste, weil an den Kanälen alle Ma- gazine liegen und die Fabriksarbeiter und Taglöhner eben- falls hier ihre Wohnungen aufgeschlagen haben in ärmlichen Baracken, die halb auf der festen Erde, halb auf morschen Pfeilern ruhen und weit in die Kanäle hinausragen. Ein abscheulicher Anblick ward uns einst zu Theil, als wir aus den Kanälen in den Perlfluß einlenkten. Ein Neger mußte auf irgend einem Schiffe gestorben und über Bord geworfen worden sein, denn der nackte Körper trieb auf dem Waffer umher. Jedes Boot stieß ihn so weit als möglich von sich, und auch dem unsrigen kam er nur gar zu nahe. Ich hatte im ganzen über fünf Wochen in Canton zugebracht, vom 13. Juli bis 20. August. Diese Zeit gehörte zur heißesten im Jahre, und die Hitze war auch wirklich unleidlich. In den Zimmern hatten wir bis zu 27% Grad, im Freien im Schatten bis zu 30 Grad. Man hat hier gegen diesen lästigen Gast, außer den Pun- 58 kas in den Zimmern, noch sehr zweckmäßige Vorkehrungen an den Thüren und Fenstern, ja auf den Dächern und für ganze Wände der Häuser. Es sind dies Geflechte von Bambus, die Vorsprünge vor Thüren und Fenstern bil- den oder als zweites Dach jene Stellen des wirklichen Daches überschatten, unter welchen sich die Arbeitslokale befinden, oder endlich als ganze Wände, die acht bis zehn Schuh von den eigentlichen Wänden des Hauses ab- stehen, mit Eingängen, Fensteröffnungen und Dachung ver- sehen sind, und das Haus ordentlich einkleiden. Ich trat meine Rückreise nach Hong-kong wieder auf einer chinesischen Dschonke an, aber nicht so furchtlos wie das erste Mal – die traurige Begebenheit mit Hrn. Vauchée lag mir noch zu frisch im Gedächtniffe. Ich ge- brauchte daher auch die Vorsicht, meine wenigen Kleider und meine Wäsche im Angesichte der Dienerschaft einzu- packen, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß die Mühe der Piraten schlecht belohnt würde, wenn sie sich meinetwegen die geringste Ungelegenheit machten. Am 20. August sieben Uhr Abends sagte ich Canton und meinen Freunden ein herzliches Lebewohl, und um neun Uhr schwamm ich bereits wieder auf dem mächtigen, berühmten und berüchtigten Perl- oder Sikiang-Strome. Ueber die Geographie und Statistik von China sind die Angaben so verschieden und die Schwierigkeiten der genaueren Erforschung so groß, daß man nur ungefähre, sich auf einige Wahrscheinlichkeit gründende Annahmen er- wähnen kann. Nach diesen soll die Größe des chinesi- 59 schen Reiches mit seinen Schutzländern etwa 180.000 O. M., die Einwohnerzahl gegen 400 Millionen betra- gen. Die Maffe der Landes-Produkte ist der ungeheuern Ausdehnung dieses Reiches angemeffen: Gold, Silber und fast alle andern Metalle, Edelsteine, Salz, Alaun, Vitriol, Salpeter, Thee, Reis und alle möglichen Pro- dukte der südlichen Zone. – Die Einwohner sind Chi- nefen, Mandfchu (die Eroberer des Reiches, aus denen die kaiserliche Familie stammt), Sifanen, Lolos, Mieo-fe. Die Staatsreligion ist der Glaube des Con- fu-te; außerdem bekennen sich noch viele zur Reli- gion des Lao und zum Buddhismus, dem auch der Kaiser als Mandschu angehört. – China ist eine in der Familie der Tai-thing erbliche Monarchie, deren Haupt – der Kaiser – unumschränkt regiert und sich den Beherrscher des himmlischen Reiches nennt. Die Hauptstadt Peking soll gegen 2 Millionen Einwohner zählen; außerdem gibt es noch viele Städte mit sehr zahlreicher Bevölkerung, worunter Hong-tscheu, Canton, Nanking u. f. w. die ersten. Der Handel in China ist sehr bedeutend, feine In- dustrie auf einer hohen Stufe. Eines der wichtigsten Ereigniffe in der Geschichte Chinas, deren Anfänge natürlich sehr dunkel sind, ist der im Jahre 1840 mit England ausgebrochene Krieg, durch deffen rasche, siegreiche Beendigung es den Engländern ge- lang, das seit Jahrtausenden in China geübte Absper- rungs-System etwas zu lockern und den Europäern meh- rere Häfen zu erschließen. Die Folge dieser Concession ist eine größere Handels-Freiheit, ein stets lebhafterer Verkehr mit den Chinesen, und es dürfte die Zeit nicht 60 mehr sehr fern sein, in welcher es der siegenden Kultur des Abendlandes gelingen wird, sich der Strecken dieses ungeheueren Reiches nach und nach zu bemeistern. 1200 Cash gehen auf einen spanischen Thaler. Ein Tael hat 1409 Cash. Ein Mace hat 141 Cash. zehn Candarini gehen auf eine Mace. Außer den Cash's eritiert keine der genannten Geld- forten; sie sind nur in der Handelsprache gebräuchlich. Die Cashs haben in der Mitte ein Loch und werden zu 100 oder 50 Stücken an Bambusfasern gereiht. China hat keine geprägten Münzen von Gold oder Silber und auch kein Papiergeld. Die Zahlungen wer- den in spanischen oder amerikanischen Thalern, oder in ungeprägtem Gold und Silber geleistet. Oft - Indien. Singapore. Ankunft in Hongkong Das englische Dampfboot. Singapore. Pflan- zungen. Eine Jagdpartie in den Jungles. Eine chinesische Leichen- feier. Das Laternenfest. Temperatur und Clima. Die Fahrt von Canton nach Hong-kong ging, des beständigen Gegenwindes halber, langsam, aber glück- lich von statten. In der ersten Nacht weckten uns zwar einige Schüffe aus dem Schlummer; doch mußten diese uns nicht gegolten haben, da wir nicht weiter beun- ruhiget wurden. Die Chinesen, meine Reisegefährten, betrugen sich auch diesmal höchst gefällig und anständig, und ich hätte gerne, wäre mir ein Blick in die Zukunft möglich gewesen, auf den englischen Dampfer Verzicht ge- leistet und meine Reise nach Singapore auf einer chinesi- schen Dschonke fortgesetzt. Leider war dies nicht der Fall, und ich mußte mich entschließen, das englische Dampfboot Pekin von 450 Pferdekraft, Kapitän Fronson, zu benützen, welches jeden Monat nach Calcutta fährt. Da die Preise über alle Maßen hoch sind *), rieth *) Erster Platz von Hongkong nach Singapore 173 Dollars. Zweiter „ „ r p 117 „ Entfernung 1100 Seemeilen. 62 man mir, den dritten Platz zu nehmen und eine Cabine von einem Maschinisten oder Unteroffiziere zu miethen. Ich war ganz beglückt durch diesen Rath und eilte ihn auszuführen. Man denke ich mein Erstaunen, als ich kein Billet für den dritten Platz erhielt. Es wurde mir bemerkt, daß da schlechte Gesellschaft, daß der Mond des Nachts den Passagieren des dritten Platzes, die auf dem Decke schlafen müffen, höchst gefährlich wäre, u. f. w. Vergebens wandte ich ein, zu wissen, was ich thue und wolle. Das half alles nicht; ich war, wenn ich nicht zu- rückbleiben wollte, gezwungen, den zweiten Platz zu neh- men. Ich konnte nicht umhin, von der englischen Wil- lensfreiheit einen ganz sonderbaren Begriff zu bekommen. Am 25. August Mittags 1 Uhr begab ich mich an Bord. Als ich auf dem Schiffe ankam, fand sich auf dem zweiten Platze keinen Diener, und ich mußte einen Matrosen ansprechen, mein Gepäck in die Kajütte zu schaffen. In dieser sah es nicht im geringsten confortable aus; die Möbel waren höchst einfach, der Tisch voll Flecken und Schmutz und die Unordnung sehr groß. Ich sah nach der Schlafcabine und fand für Herren und Frauen nur ein Gemach. Doch sagte man mir, ich solle mich an einen der Vorgesetzten wenden, der würde mir gewiß einen andern Platz zum schlafen anweisen. Ich that es und erhielt auch eine niedliche Cabine. Der Steward*) war so ge- fällig, mir anzutragen, mit seiner Frau zu speisen. – Dies *) Der Steward hat den Rang eines Unteroffiziers; er be- sorgt die Einkäufe der Lebensmittel und Getränke. 63 nahm ich nicht an; ich wollte für meintheueres Geld nicht alles aus besonderer Gnade haben. Auch war dies das erste englische Dampfschiff, auf welchem ich fuhr, und ich war neugierig zu sehen, wie die Reisenden der zweiten Klaffe behandelt werden. Die Tischgesellschaft bestand nicht nur aus den Rei- fenden, deren es außer mir nur noch drei gab, sondern auch aus den Köchen und Aufwärtern des ersten Platzes, aus dem Schlächter, kurz aus jedem von dem Dienstper- sonale, der gelaunt war, mit unserem Tische vorlieb zu nehmen. Dabei wurde in der Toilette nicht die geringste Etikette beobachtet. Der eine erschien ohne Rock oder Jacke, der Schlächter vergaß gewöhnlich Schuhe und Strümpfe – es gehörte wahrlich ein kräftiger Appetit dazu, um in dieser Gesellschaft effen zu können. Die Kost war wohl dem englischen Schiffspersonale und ihrem Anzuge entsprechend, nicht aber den Reisenden, von welchen jeder 13 Dollars für den Tag bezahlen mußte. Das Tischtuch war voll Flecken und statt der Ser- vietten konnte jeder Gast sein Sacktuch benützen. Die Eß- bestecke waren theils in schwarzes, theils in weißes Horn gefaßt, die Meffer schartig, die Gabelspitzen abgebrochen. Löffel gab man uns am ersten Tage gar nicht, am zweiten erschien ein einziger, der auch während der ganzen Reise ohne Gesellschaft blieb. Gläser waren zwei von der ordi- närsten Sorte vorhanden, die von Mund zu Mund wan- derten; mir als Frau gab man zur besondern Auszeich- nung statt des Glases eine alte Theetafe mit abgebroche- nem Henkel. 64 Der erste Koch, welcher die Honeurs machte, ent- schuldigte jede Unordnung mit der Ausrede: „daß dies- mal der Diener fehle. Diese Ausrede schien mir doch gar zu naiv, denn wenn ich bezahle, bezahle ich für das, was ich wirklich bekomme, und nicht für das, was ich vielleicht ein andermal bekommen könnte. Die Kost war, wie gesagt, sehr schlecht, – was am ersten Tische übrig blieb, wurde uns Armen gesandt. Zwei, drei Gerichte lagen oft in brüderlicher Eintracht auf einer Schüffel, selbst wenn ihre Charaktere nicht in der geringsten Harmonie fanden, – darauf wurde nicht gesehen, eben so wenig, ob die Gerichte kalt oder warm auf den Tisch kamen. Einst war der Hauptkoch während unsers Theezirkels bei besonders guter Laune und sagte: „Ich gebe mir alle Mühe, Sie gut zu nähren, ich hoffe, daß es an nichts gebricht.“ – Von den Gästen antworteten zwei Eng- länder: „O yes, that's true,“ der dritte, ein Portugiese, hatte die inhaltsschwere Rede nicht verstanden, – ich als Deutsche, die ich keinen englischen Patriotismus besaß, würde anders geantwortet haben, wäre ich nicht Frau ge- wesen und hätte ich es dadurch beffer gemacht. Die Beleuchtung bestand aus einem Stückchen Un- schlittkerze, das oft schon um acht Uhr zu Ende ging. Man war dann gezwungen, entweder im finstern zu sitzen oder zu Bette zu gehen. Des Morgens diente die Cajüte noch überdieß zur Barbierstube, des Nachmittags zur Schlafkammer, in der sich die todmüden Köche und Diener auf den Bänken aus- streckten. 65 Um den Comfort noch vollkommener zu machen, quartierte einer der Schiffsoffiziere zwei junge Hunde, die immerwährend heulten, auch in unsere Cajüte ein; in jene der Matrosen wagte er es nicht zu thun, weil man sie da ohne Umstände hinaus geworfen hätte. Man wird meine Schilderung vielleicht für übertrie- ben halten, um so mehr, da man gerade bei den Englän- dern alles höchst bequem und ordentlich zu finden vermeint; ich kann aber versichern, daß ich vollkommene Wahrheit gesprochen habe, ja ich füge noch hinzu, daß, obschon ich viele Reisen auf Dampfschiffen gemacht, und zwar immer auf den zweiten Plätzen, mir nirgends ein so hoher Preis und eine so elende, empörende Behandlung vorgekommen ist. Nie in meinem Leben wurde ich noch auf infamere Weise um mein Geld geprellt. Das einzige angenehme auf diesem Schiffe war das Betragen der Offiziere, die alle sehr artig und gefällig waren. Ich bewunderte nur die merkwürdige Geduld, mit welcher meine Reisegefährten alles ertrugen. Ich möchte wiffen, was ein Engländer, der die Worte Comfort und comfortable stets im Munde führt, sagen würde, wenn ihm folch eine Behandlung auf einem einer andern Na- tion angehörigen Dampfer zu Theil würde?! Die ersten Tage der Reise hielten wir uns beständig auf hoher See, und erst am 28. August Abends erblickten wir die gebirgige Küste Cochinchina’s. Während des 29. August blieben wir der Küste stets ganz nahe. Wir sahen aber außer reich bewaldeten Gebirgsketten weder Pfeiffers Reise II. Th. 5 G6 Wohnungen noch Menschen; nur des Abends verriethen einige Feuer, die man für Lichter von Leuchtthürmen hätte halten können, daß die Gegend nicht ganz menschen- leer sei. Im Laufe des folgenden Tages sahen wir nichts als einen einzeln stehenden großen Fels, „ der Schuh“ ge- nannt. Mir kam es vor, als gliche er vollkommen dem Kopfe eines Schäferhundes. Am 2. September näherten wir uns Malacca. Be- waldete, ziemlich hohe Gebirge ziehen sich längs der Küste, in welchen viele Tiger hausen sollen, die das Reisen auf dieser Halbinsel sehr gefährlich machen. Am 3. September erreichten wir den Hafen von Singapore, aber so spät des Abends, daß wir nicht mehr ausgeschifft werden konnten. Am folgenden Morgen suchte ich das Handlungshaus „Behn-Mayer auf, an welches ich Briefe hatte. Ich fand in Mad. Behn, seit ich Hamburg verlaffen hatte, die erste deutsche Frau. Meine Freude darüber vermag ich gar nicht zu schildern; nun konnte ich wieder einmal in meiner Muttersprache so recht nach Herzenslust mich aus- sprechen. Mad. Behn ließ nicht zu, daß ich in einen Gasthof ging – ich mußte gleich bei dieser liebenswür- digen Familie bleiben. Mein Plan war eigentlich, nur kurze Zeit in Sin- gapore zu verweilen und meine Reise nach Calcutta auf einem Segelschiffe fortzusetzen, da ich vor den englischen Dampfern zu großen Abscheu hatte. Man sagte mir, daß selten eine Woche verginge, in der sich nicht solche Ge- legenheit fände. Ich wartete aber eine Woche um die 67 andere, und am Ende war ich doch wieder gezwungen, mich eines comfortablen englischen Dampfers zu bedienen“). Die Europäer führen auf Singapore so ziemlich das- felbe Leben wie in Canton, jedoch mit dem Unterschiede, daß die Familien auf dem Lande wohnen und nur die Herren täglich in die Stadt fahren. Jede Familie muß eine große Dienerschaft halten, und die Hausfrau kann nur wenig in die Wirthschaft eingreifen, da diese gewöhnlich ganz dem ersten Diener übergeben ist. Die Diener sind Chinesen, mit Ausnahme der Seis, (Kutscher oder Pferdewärter), welche Bengalen sind. Je- des Frühjahr kommen ganze Schiffsladungen chinesischer Knaben im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren, die sich hier verdingen. Gewöhnlich sind sie so arm, daß sie die Ueberfahrt nicht bezahlen können; in diesem Falle nimmt sie der Kapitän für seine Rechnung mit, und empfängt dafür den Lohn des ersten Dienstjahres, der von dem Aufnehmer des Dieners gleich im voraus bezahlt wird. Diese Jungen leben höchst sparsam und kehren, wenn sie sich einiges Geld verdient haben, wieder in ihr Vaterland zurück; manche jedoch etablieren sich als Hand- werker und siedeln sich ganz an. Die Insel Singapore hat eine Bevölkerung von 55,000 Seelen, darunter 40,000 Chinesen, 10.000 Ma- laien (d. f. Eingeborne) und 150 Europäer. Die Zahl der weiblichen Individuen soll sehr gering sein, da aus China und Indien nur Männer und Knaben einwandern. *) Es sind dieß englische Packet-Dampfschiffe, die jeden Monat einmal von Canton nach Calcutta fahren und auf dieser Fahrt Singapore berühren. 5 68 Die Stadt Singapore zählt jammt der nahen Um- gebung über 20.000 Einwohner. Die Straßen fand ich breit und luftig, die Häuser aber nicht schön – sie sind einstöckig, und da die Dächer knapp über den Fenstern fitzen, sehen sie dadurch ganz gedrückt aus. An den Fen- ferstöcken find , der immerwährend gleichmäßig heißen Temperatur wegen, keine Glasscheiben, sondern nur Ja- loufieen angebracht. Jeder Artikel hat hier wie in Canton, wenn gerade nicht seine Gaffe, so doch eine Seite davon. Sehr schön und hoch, gleich einem Tempel, ist die Halle, in welcher Fleisch und Gemüse verkauft wird. Da es auf dieser Insel so vielerlei Nationen gibt, so sieht man auch verschiedene Tempel, von welchen aber außer dem chinesischen keiner sehenswerth ist. Letzterer hat die Form eines Hauses; das Dach aber ist vollkom- men nach chinesischer Art ausgeschmückt, nur etwas zu fehr überladen. Da gibt es Spitzen und Zacken, Räder und Bogen ohne Zahl, alle aus farbigen Ziegeln, Thon oder Porzellan zusammengesetzt und mit Blumen, Arabes- ken, Drachen und andern Ungethümen reichlich verziert. Ueber dem Haupteingange sind kleine Basreliefs, in Stein gehauen, angebracht, und an hölzernen, reich vergoldeten Schnitzwerken fehlt es weder in noch außer dem Tempel. Auf dem Altare der Göttin der Barmherzigkeit waren einige Erfrischungen aufgestellt, welche aus Früchten und Backwerk aller Art bestanden, nebst einer ganz kleinen Portion gekochten Reises. Diese Gerichte werden jeden Abend erneuert – die Reste, die der Göttin nicht mun- den, kommen den Bonzen zu gut. – Auf demselben 69 Altare lagen zwei kleine, oval geschnitzte, zierliche Hölz- chen. Diese werden von den Chinesen in die Höhe ge- worfen und bedeuten, wenn sie auf die inwendige Seite fallen, Unglück, im entgegengesetzten Falle Glück. Die guten Leute werfen sie aber gewöhnlich so oft, bis sie nach Wunsch fallen. Eine zweite Art, das Schicksal zu erforschen, besteht darin, mehrere dünne, hölzerne Stäbchen in einen Becher zu stecken, und diesen so lange zu schütteln, bis eines her- aus fällt. Jedes dieser Stäbchen ist mit einer Zahl be- schrieben, die eine Stelle in den Büchern der Sittensprüche bezeichnet. – Dieser Tempel war vom Volke mehr be- sucht als jener in Canton; die Hölzchen und Stäbchen fcheinen auf die Menschen eine größere Gewalt auszuüben, als der eigentliche Gottesdienst, denn nur um jene fah man die Leute sich drängen. In der Stadt selbst ist weiter nichts zu sehen; aber entzückend schön ist die Umgebung oder beffer gesagt, das ganze Inselchen. Man kann seine Lage zwar nicht groß- artig oder erhaben nennen, da sie des Hauptschmuckes, schöner Gebirge, entbehrt (der höchste Hügel, auf welchem das Haus des Gouverneurs und der Schiffstelegraph stehen, mag kaum über 200 Fuß hoch sein); allein das üppig frische Grün, die freundlichen, in schönen Gärten liegenden Wohnhäuser der Europäer, die großen Pflan- zungen der kostbarsten Gewürze, die zierlichen Areka- und Feder-Palmen, deren überaus schlanke Stämme bis zur Höhe von hundert Fuß emporschießen und in eine dichte, federartige, durch frisches Grün sich von allen andern Palmen-Gattungen unterscheidende Blätterkrone auslau- 70 fen, – endlich die Dschongles (Jungles, Urwälder) in Hintergrunde, bilden die anmuthigste Landschaft, deren Reiz noch mehr gewinnt, wenn man, wie ich, aus dem Kerker „Canton oder aus der öden Umgebung der Stadt Victoria kömmt. Die ganze Insel ist mit schönen Fahrwegen durch- schnitten, von welchen jene, die sich an der Meeresküste fortschlängeln, die besuchtesten sind. Man sieht hier hüb- sche Equipagen, Pferde von Neuholland, von Java und sogar von England*). Außer den schönen europäischen Wagen sind auch viele hier fabrizierte sogenannte Palan- kine im Gebrauche, die ganz gedeckt und von allen Sei- ten mit Jalousieen umgeben sind. Gewöhnlich ist nur ein Pferd daran gespannt, und der Kutscher so wie der Diener laufen neben dem Pferde her. Ich konnte mein Mißfallen über diese barbarische Sitte nicht verhehlen. Man sagte mir, man habe sie abschaffen wollen, daß aber die Diener selbst wieder gebeten hätten, lieber neben dem Wagen laufen zu dürfen, als darauf zu sitzen oder zu stehen. Sie hängen sich am Pferde oder am Wagen an und laffen sich mit fortreißen. - Es verging selten ein Tag, an welchem wir nicht spazieren fuhren. Zwei Mal in der Woche hörten wir auf der Esplanade, dicht am Meere, herrliche Militär- Musik*). Dahin fuhr, ritt und ging die ganze elegante Welt. Wagen reihten sich an Wagen, junge Herren zu *) Die Pferde pflanzen sich hier nicht fort, sie müffen stets eingeführt werden. **) Die ostindische Compagnie, der die Insel gehört, hat hier einen Gouverneur und englisches Militär. 71 Pferd und zu Fuß umschwärmten diese von allen Seiten,– man hätte sich beinahe einbilden können, mitten in Europa zu fein. Mir machte es aber mehr Vergnügen, Pflan- zungen oder andere Orte zu befuchen, als das alte euro- päische Leben hier wieder zu sehen. Häufig ging ich nach den Muskatnuß- und Gewürz- melken-Plantagen und erquickte mich an den balsami- fchen Düften. Die Bäume der ersten sind von unten bis oben dicht belaubt, von der Größe schöner Aprikosenbäume, und die Aeste brechen weit unten am Stamme hervor; das Blatt ist glänzend, wie wenn es mit Lack überfirnist wäre. Die Frucht gleicht vollkommen einer gelb-braun gesprengelten Aprikose. Wenn sie reif ist, platzt sie von selbst, und man sieht einen runden Kern von der Größe einer Nuß, der mit einem netzartigen Gewebe von schöner, dunkelrother Farbe umsponnen ist; dieses Gewebe ist die sogenannte Muskatblüthe. Sie wird von der Nuß sorg- fältig geschieden, im Schatten getrocknet und während des Trocknens mit Seewaffer mehrmals besprengt, da sich sonst die rothe Farbe statt in die gelbe in eine schwarze verwandeln würde. Außer diesem Gewebe ist die Mus- katnuß noch mit einer leichten, zarten Schale umgeben. Die Nuß wird ebenfalls getrocknet, hierauf etwas geräu- chert und dann öfter in Seewaffer, das mit einer leichten Kalkauflösung gemischt ist, getaucht, um sie gegen das Ranzigwerden zu schützen. Man findet auf Singapore auch wildwachsende Muskat-Bäume. Ein Pikul gepflanzter Muskatnüffe kostet 60 Dollars. „, dto. Muskatblüthe . . . . . 200 „ , dto. wildwachsender Muskatnüffe 6 „ 72 Der Gewürznelkenbaum ist etwas kleiner, nicht so schön belaubt und auch nicht mit so schönen, fetten Blät- tern versehen wie der Muskatbaum. Die Gewürznelken find die ungeöffneten Blüthenknospen des Baumes. Sie werden in diesem Zustande abgenommen, zuerst im Rau- che getrocknet und dann auf kurze Zeit in die Sonne gelegt. Ein anderes Gewürz ist die Arekanuß, die unter der Krone der gleichnamigen Palme in Trauben von zehn bis zwanzig Stücken wächst. Die Frucht ist etwas größer als die Muskatnuß; ihre äußere Schale scheint so schön glänzend goldgelb, daß sie den vergoldeten Nüffen gleicht, welche man den Kindern an die Weihnachtsbäumchen hängt. Ihr Kern ist an Farbe dem der Muskatnuß ähn- lich, nur ist er mit keinem Netze umsponnen. Sie wird im Schatten getrocknet. Diese Nuß wird nebst Betelblatt und aus Muscheln gebranntem Kalke von den Chinesen und Eingebornen gekaut. Sie bestreichen ein Betelblatt ganz wenig mit Kalk, geben ein kleines Stückchen der Nuß dazu und ma- chen daraus ein Päckchen, welches sie in den Mund neh- men. Wenn sie noch Tabakblätter hinzufügen, so wird der sich bildende Saft blutroth, und sperrt dann solch ein Kauer den Mund auf, so meint man eine kleine Hölle zu sehen, um so mehr, wenn er, wie dies die Chi- nesen hier häufig thun, die Zähne abgefeilt und schwarz gefärbt hat. Als mir solch ein Anblick zum ersten Male zu Theil wurde, erschrack ich sehr – ich glaubte, der arme Mann habe sich beschädigt und sein Mund sei voll Blut. Ein andermal besuchte ich eine Sago-Fabrik. Der unzubereitete Sago kömmt von der nahen Insel Boromeo 73 und besteht aus dem Marke einer kurzen, dickstämmigen Palmenart. Um ihn zu gewinnen, wird der Baum im fie- benten Jahre umgehauen, der Stamm der Länge nach ge- spalten, und das Mark, das in sehr reichlichem Maße darin sitzt, gesammelt, von den Fasern gereiniger, in große Formen gedrückt und an der Sonne oder am Feuer ge- trocknet. Es sieht in diesem Zustande noch etwas gelb- lich aus. In den Fabriken macht man es zu Grütze und zwar auf folgende Weise: Das Mehl oder Mark wird durch mehrere Tage abgewäffert, bis es schön weiß ist, dann nochmals an der Luft oder am Feuer getrocknet und hierauf mittelsteines Stückes runden Holzes zerdrückt und durch ein Haarsieb gelaffen. Dieses feine und weiße Mehl kömmt dann in eine leinene Schwinge, die vorher auf eine ganz eigene Art befeuchtet wird. Der Arbeiter nimmt Waffer in den Mund und spritzt es, gleich einem feinen Regen, darüber. In dieser Schwinge wird das Mehl von zwei Arbeitern so lange hin- und hergeschüttelt und zeitweise von solch einem Sprühregen befeuchtet, bis es sich zu kleinen Kügelchen gestaltet, die in großen fla- chen Keffeln, unter beständigem Aufmischen, langsam über dem Feuer getrocknet werden. Zu Ende schüttet man sie nochmals durch ein etwas weiteres Sieb, in welchem die gröberen Kügelchen zurückbleiben. Das Gebäude, in welchem diese Arbeit verrichtet wurde, war ein großer Schuppen ohne Wände, defen Dach auf Baumstämmen ruhte. Der Güte der Herren Behn-Meyer hatte ich eine sehr interessante Partie nach den Dschongels zu danken. Die Herren, vier an der Zahl, waren mit Kugelflinten 74 versehen, da sie sich vorgenommen hatten, nach der Fährte eines Tigers zu suchen; auch mußte man nebenbei auf Bären, Wildschweine oder große Schlangen gefaßt sein. – Wir fuhren in Wagen bis zu dem Fluffe Gallon, wo zwei Boote für uns bereit lagen. Bevor wir sie bestiegen, be- sahen wir noch eine Zuckersiederei, die am Fluffe lag. Das Zuckerrohr stand vor dem Gebäude in Haufen aufgeschichtet; es war aber nur so viel geschnitten worden, als man in einem Tage verarbeiten konnte, da es bei der großen Hitze gleich sauer wird. Das Rohr wird durch Metallwalzen durchgezogen, deren Druck allen Saft herauspreßt. Letzterer läuft in große Keffel, wo er ge- kocht und abgekühlt wird. Zur gänzlichen Trocknung schüttet man ihn in irdene Gefäße. - Die Gebäude waren jenen der Sagofabrik ähnlich. Nachdem wir dies gesehen, bestiegen wir die Boote und fuhren stromaufwärts. Bald befanden wir uns mit- ten im Urwalde, und die Fahrt wurde mit jedem Ruder- schlage beschwerlicher, da viele gefallene Baumstämme in und über dem Waffer lagen. Oft mußten wir aussteigen und die Boote über Baumstämme schieben oder heben, oft wieder uns flach in das Boot legen, um unter den Stämmen durchzukommen, die sich gleich Brücken über den Fluß legten. Gesträuche, mit Dornen und Stacheln ver- sehen, neigten sich von allen Seiten über uns, ja sogar einzelne Riesenblätter versuchten uns den Weg zu ver- sperren. Diese Blätter gehören einer Gattung Graspalme an, die Mungkuang genannt wird; sie sind nahe dem Stengel an fünf Zoll breit, dagegen aber bei zwölf Fuß 75 lang, und da der Fluß kaum über neun Fuß breit sein mochte, reichten sie bis an das jenseitige Ufer. Doch gab es der Naturschönheiten so viele, daß diese zeitweisen Beschwerden leicht zu ertragen waren, ja sogar den Reiz des Ganzen noch hoben. Der Wald war dicht und üppig an Untergehölzen, Schlingpflanzen, Palmen, Laub- und Farrenbäumen; letztere, bis zu sechzehn Fuß hoch, bildeten nicht minder ein Schattendach gegen die glühenden Sonnenstrahlen als die Palmen und andere Bäume. Gesteigert wurde meine Freude, als ich in den höch- ften Spitzen der Bäume einige Affen von Zweig zu Zweig springen sah und mehrere in der Nähe kreischen hörte. Ich erblickte zum ersten Male diese Thiere in ihrem Na- turzustande, und innig vergnügte es mich, daß es keinen der Herren gelang, einen der kleinen Schelme zu treffen. Sie schoffen dafür einige herrliche Loris (eine Gattung kleiner Papageien vom "schönsten Gefieder und Farbenspiel) und Eichhörnchen. Bald aber wurde unsere Aufmerksam- keit auf einen wichtigeren Gegenstand geleitet: wir be- merkten zwischen den Aesten auf einem der Bäume einen dunkeln Körper und erkannten bei näherer Beschauung eine große Schlange. Sie ruhte da mehrfach zusammen- gerollt und lauerte vermuthlich auf Beute. Wir wagten uns ziemlich in ihre Nähe; sie blieb unbeweglich und fierte mit ihren glänzenden Augen unverwandt nach uns, nicht ahnend, wie nahe ihr der Tod war. – Man schoß nach ihr und traf sie in die Seite. Wüthend und pfeil- schnell schoß sie vom Baume, doch so, daß sie mit dem Schwanze am Aste hängen blieb. Sie schnellte sich und 76 züngelte stets nach uns, doch in ohnmächtiger Wuth, da wir uns in gehöriger Entfernung hielten. Mehrere nach- folgende Schüffe machten ihrem Leben ein Ende, worauf wir unter den Aft fuhren, an welchem sie hing. Einer unserer Bootführer, ein Malaie, machte eine kleine Schlinge von starkem, zähem Gras, befestigte sie an einem Stocke, warf sie der Schlange um den Kopf und zog diese fo in das Boot. Er fagte uns auch, daß wir gewiß eine zweite in der Nähe finden würden, da sich diese Schlan- gen immer paarweise zusammen halten. Die Herren im zweiten Boote hatten sie auch gefunden und geschoffen, und zwar ebenfalls auf den Aleten eines großen Baumes. Die Schlange war dunkelgrün mit schönen gelben Streifen und an zwölf Fuß lang; man sagte mir, daß sie zum Geschlechte der Boa's gehöre. Nachdem wir acht englische Meilen in vier Stunden zurückgelegt hatten, verließen wir die Boote und verfolg- ten einen schmalen Fußpfad, der uns bald auf einige aus- gerodete Plätze führte, die mit hübschen Pfeffer - und Gambir-Pflanzungen bebaut waren. Die Pfefferstaude ist ein schlankes, strauchartiges Gewächs, das sich an Stützen fünfzehn bis achtzehn Fuß hoch empor rankt. Die Frucht setzt sich in kleinen trauben- förmigen Büschelchen an. Diese sind anfänglich roth, dann grün und endlich schwärzlich. Der Strauch fängt schon im zweiten Jahre zu tragen an. Der weiße Pfeffer ist kein Naturprodukt, sondern wird durch Kunst geschaffen. Man taucht nämlich den schwarzen Pfeffer mehrmals in Seewaffer, wodurch er feine Farbe verliert und weißlich wird. – Vom weißen Pfeffer 77 kostet der Pikul fechs Dollars, vom schwarzen dagegen nur drei Dollars. Die Gambirftaude wird höchstens acht Fuß hoch; man benützt von ihr nur die Blätter, die abgestreift und in großen Keffeln ausgekocht werden. Der dicke Saft kömmt in hölzerne, breite Gefäße, wird an der Sonne getrocknet, dann in drei Zoll lange Stückchen geschnitten und verpackt. Der Gambir ist ziemlich wichtig für die Gerber und wird daher auch häufig nach Europa ausge- führt. Gambir- und Pfefferpflanzen stehen immer beisam- men, da die letzteren mit den ausgekochten Gambirblättern gedüngt werden. Obwohl die Pflanzungen, wie überhaupt alle Arbei- ten auf Singapore, durch freie Menschen besorgt werden, versicherte man mir doch, daß sie billiger kämen als durch Sclaven, Der Arbeitslohn ist über alle Maßen gering: ein gemeiner Arbeiter erhält monatlich drei Dollars, weder Kost noch Wohnung, und dennoch können die Leute dabei bestehen und sogar eine Familie erhalten. – Die Wohnung, Laubhütten, bauen sie sich selbst, die Nahrung besteht aus kleinen Fischen, Knollengewächsen und etwas Gemüse, und die Kleidung macht ihnen ebenfalls keine starke Auslage, denn entfernter von der Stadt, wo sich all die Plantagen befinden, gehen die Kinder ganz nackt, die Männer tragen außer einem handbreiten Schürzchen, das zwischen die Beine gezogen ist, auch weiter keine Klei- dungsstücke, und nur die Weiber sind anständig bedeckt. Diese Plantagen, bei welchen wir gegen zehn Uhr angekommen waren, wurden von Chinesen bearbeitet. Sie hatten neben ihren Laubhütten ein kleines Tempelchen von 78 Holz errichtet, das sie uns als Absteigequartier anwiesen. Der Altar wurde sogleich mit einigen Speisen zierlich ausgestattet, die uns die sorgliche Hausfrau, Mad. Behn, mitgegeben hatte; allein, statt wie die Chinesen, die den Göttern zu opfern, machten wir fündige Menschen uns darüber und verspeisten sie mit wahrem Heißhunger. Als der Appetit gestillt war, wurde der mitgebrach- ten Schlange die Haut abgezogen und das Thier den Chi- nesen geschenkt. Diese gaben zu verstehen, daß sie selbe nicht berühren würden, worüber ich mich sehr wunderte, da die Chinesen alles effen. Später überzeugte ich mich aber, daß sie sich nur zum Schein so gestellt hatten, denn als wir nach mehreren Stunden von unserer Jagdpartie zurückkehrten, und ich die Laubhütten der Chinesen be- suchte, fand ich sie in einer solchen vereint, vor einer gro- ßen Schüffel sitzend, in welcher gebratene Stücke Fleisch lagen, die ganz die runde Form der Schlange hatten. Die Leute wollten sie eilig verbergen; allein ich trat rasch hinzu, gab ihnen einiges Geld und bat sie, mich diese Speise kosten zu laffen. Ich fand das Fleisch außerordentlich zart und fein, sogar zarter als das Fleisch junger Hühner. Doch ich bin voraus geeilt und habe vergeffen, von unserer Jagdpartie zu erzählen. – Wir frugen die Arbeitsleute, ob sie uns nicht die Spur eines Tigers an- zugeben wüßten. Sie beschrieben uns eine Gegend im Walde, wo noch vor wenig Tagen solch ein Ungeheuer residiert haben sollte. Wir machten uns sogleich auf den Weg dahin. Das Vordringen im Walde war sehr beschwerlich: wir mußten viel über gefallene Baumstämme klettern, durch Gestrippe kriechen und Sümpfe überschrei- 79) ten; aber wenigstens ging es vorwärts, während man in Brasiliens Urwäldern an solch ein Unternehmen gar nicht hätte denken können. Wohl waren auch hier Schling- pflanzen und Orchidäen, aber bei weiten nicht in solcher Menge, wie in Brasilien, und auch die Bäume standen hier weniger dicht beisammen als dort. Von letzteren sahen wir mitunter wahre Prachtexemplare, die zu einer Höhe von mehr denn hundert Fuß emporstiegen. Mich interessierten am meisten die Ebenholz- und Kolim-Bäume. Erstere haben zweierlei Holzgattungen. Eine bräunlich gelbe Schichte umgibt den Kernstamm, der viel härter ist, und eine schwärzliche Farbe hat. Dieser liefert das eigent- liche Ebenholz. Der Kolimbaum verbreitet einen außerordentlich star- ken Geruch von Knoblauch, durch welchen er sich schon von einiger Entfernung bemerkbar macht. Die Frucht schmeckt ebenfalls ganz nach Knoblauch und wird vom Volke häufig genoffen; dem Europäer ist ihr Geruch und Geschmack zu stark. Ich berührte nur ein Stück frischer Baumrinde, und noch am folgenden Morgen roch meine Hand darnach. Mehrere Stunden trieben wir uns im Walde umher, ohne auf das gehoffte Wild zu stoßen. Einmal wollte man schon das Lager entdeckt haben; aber man fah her- nach, daß man sich getäuscht hatte. Eben so behauptete einer der Herren, das Gebrumme eines Bären gehört zu haben; es mußte aber sehr leise gewesen sein, denn außer ihm hörte es niemand, obwohl wir uns immer nahe zu- sammenhielten. Wir kehrten nach Hause zurück, zwar ohne wei- 80 teres Wild, aber vollkommen zufrieden mit dem herrlichen Ausfluge. Obwohl Singapore eine kleine Insel ist und man alle möglichen Versuche und Aufmunterungen angewendet hat, die Tiger zu vertilgen, so gelang dies doch nie. Das Gouvernement gibt für jeden erlegten Tiger eine Prämie von fünfzig Dollars, und eine gleiche Summe der Verein der Singaporer Kaufleute. Das schöne Fell gehört über- dies noch dem glücklichen Jäger, und selbst das Fleisch schafft Gewinn, da es die Chinesen gerne kaufen und ver- zehren. Die Tiger kommen aber von dem nahen Ma- lacca, das nur durch eine ganz schmale Wafferstraße von Singapore getrennt ist, herüber geschwommen, und man wird sie daher nie ganz ausrotten können. Zahlreich und ausgezeichnet sind auf Singapore die Früchte. Eine der besten ist die Mangustin, die außer hier und in Java nirgends vorkommen soll. Sie hat die Größe eines mittleren Apfels; die Schale ist über - eine Linie dick, außen dunkelbraun, inwendig hochroth und enthält eine weiße Frucht, die sich in vier oder fünf Spal- ten zerheilt. Sie zerfließt beinahe im Munde und schmeckt außerordentlich fein. Die Ananas ist hier viel saftiger, süßer und bedeutend größer als in Canton; ich fah einige, die an vier Pfund wiegen mochten. Ganze Fel- der werden damit bepflanzt und zur Zeit der Hauptreife bekömmt man drei- bis vierhundert Stücke um einen Dol- lar. Man ißt sie häufig mit Salz. Eine andere Frucht Sauerop, die ebenfalls oft mehrere Pfund wiegt, ist von außen grün und enthält ein weißliches oder sehr blaßgel- bes Fleisch, welches sehr stark nach Erdbeeren schmeckt, 81 und auch wie diese mit Zucker und Wein genoffen wird. Die Gumaloh gleicht einer blaßgelben Orange, ist in meh- rere Scheiben getheilt, schmeckt aber weniger süß und ist nicht so fafreich. Doch gibt es viele, die sie den Oran- gen vorziehen; sie ist wenigstens fünfmal so groß als eine Orange. Den Preis aber verdient, wenigstens nach mei- nem Geschmacke*), der Custod-apple, der grün und mit kleinem Schuppen überdeckt ist. Das Fleisch, in welchem schwarze Kerne sitzen, ist sehr weiß, weich wie Butter und von unübertrefflichem Geschmacke. Man ißt diese Frucht mit kleinen Löffeln. - Einige Tage vor meiner Abreise von Singapore hatte ich Gelegenheit, der Leichenfeier eines wohlhabenden Chinesen beizuwohnen. Der Zug ging an unserem Hause vorüber, und trotz der Hitze von 36 Grad schloß ich mich an und begleitete ihn bis an das Grab, das eine Stunde weit entfernt war. Am Grabe währte die Feierlichkeit bei zwei Stunden; ich wich aber nicht vom Platze, da mich die Ceremonie zu sehr interessierte. Den Zug eröffnete ein Priester, welchem zur Seite ein Chinese mit einer zwei Fuß hohen Laterne ging, die mit weißem Kammertuch überzogen war. Hierauf folgten zwei Spielleute, von denen der eine zuweilen auf einer kleinen Trommelwirbelte, der andere auf zwei Meffing- becken (Cymbeln) schlug. Nun kam der Sarg, über def- den Obertheil, wo der Kopf des Todten lag, ein Diener einen großen aufgespannten Sonnenschirm hielt. Zur *) Einstimmig schätzt man die Mangustin als die feinste Frucht der Welt. Pfeiffers Reise II. Th. (6 Seite ging der älteste Sohn oder der nächste männliche Sprößling mit aufgelösten Haaren und ein weißes Fähn- lein tragend. Die Verwandten waren in tiefer Trauer, das heißt, sie waren ganz weiß gekleidet, ja die Männer tru- gen sogar weiße Mützen auf dem Kopfe, und die Weiber waren mit weißen Tüchern so überdeckt, daß man nicht einmal ihr Gesicht fah. Von den übrigen Begleitern, die in beliebigen Gruppen dem Sarge folgten, hatte jeder einen weißen Streifen Kammertuches entweder um den Kopf, um den Leib oder um den Arm geschlagen. Als man bemerkte, daß ich den Zug begleitete, näherte sich mir ein Mann, der mit vielen solchen Streifen versehen war und reichte mir einen derselben – ich schlang ihn um den Arm. Der Sarg, ein massiver Baumstamm, war mit einem dunklen Tuche überdeckt; einige Blumengewinde hingen daran, und Reis, in ein Tuch gebunden, lag dar- auf. Vier und zwanzig Männer trugen diese schwere Last auf ungeheuren Stangen. Bei dem Wechseln der Träger ging es stets sehr lebhaft zu – bald lachten sie und bald zankten sie sich. Auch im übrigen Publikum herrschte weder Trauer noch Andacht. Man unterhielt sich, man rauchte, man aß, und einige Männer trugen in Eimergefäßen kalten Thee nach, um die Durstigen zu laben. Nur der Sohn enthielt sich von allem: der ging, der Sitte gemäß, tief bekümmert neben dem Sarge. Als der Zug an der Straße ankam, die zu dem Orte der Ruhe führte, warf sich der Sohn zur Erde, verhüllte sich das Gesicht und schluchzte ziem- lich hörbar. Nach einiger Zeit fand er wieder auf 83 und wankte dem Sarge nach; zwei Männer mußten ihn führen; er schien tief ergriffen und höchst leidend. Später erfuhr ich freilich, daß dies Benehmen meist erheuchelt sei, indem die Sitte gebeut, daß der Hauptleidtragende aus Schmerz schwach und krank werde, oder doch wenig- stens sich so stelle. - Am Grabe angekommen, das an dem Abhange eines Hügels sieben Fuß tief gemacht war, legten die Leute das Bahrtuch, die Blumen und den Reis zur Seite, freuten eine Menge Gold- und Silberpapier in die Grube und senkten den Sarg, der, wie ich jetzt erst sah, schön aus- gearbeitet, lackiert und hermetisch geschloffen war, hinein. Ueber dieser Handlung verging wenigstens eine halbe Stunde. Die Verwandten warfen sich Anfangs zur Erde, verhüllten sich die Gesichter und heulten jämmerlich. Da ihnen aber die Grablegung gar zu lange dauerte, fetz- ten sie sich im Kreise herum, ließen sich ihre Körbchen mit Betel, Kalk und Arekanüffen reichen und fingen ganz ge- müthlich zu kauen an. Nachdem der Sarg eingelenkt war, begab sich einer der Chinesen an den obern Theil des Grabes, öffnete das Bündelchen mit Reis und stellte eine Art Compaß darauf Man reichte ihm eine Schnur, die er über die Mitte des Compaß zog und so lange hin und her schob, bis sie mit der Nadel desselben in gleicher Richtung lag. Eine zweite Schnur, woran ein Senkblei hing, wurde dann an die erste gehalten und in die Grube gesenkt. Nach der Lage dieser Schnur schob man nun den Sarg so lange hin und her, bis seine Mitte mit der 6 81 Compaßnadel in gleicher Richtung stand – zu dieser Ar- beit benöthigten sie wenigstens eine Viertelstunde. Der Sarg wurde hierauf mit großen Bogen weißen Papieres mehrfach überdeckt, und der Chinese, der sich mit den Messungen befaßt hatte, hielt eine kurze Rede, wäh- rend welcher sich die Kinder des Verstorbenen am Grabe zur Erde warfen. Nach geendeter Rede streute der Red- ner einige Hände voll Reiskörner über den Sarg und bis an die Kinder hin. Diese hielten die Ecken der Ober- kleider auf, um von den Körnern so viel als möglich zu erhaschen; da sie aber nur wenige bekamen, gab ihnen der Redner noch ein Paar Fingerhüte voll dazu. Sie ban- den sie sorgfältig in die Ecken der Oberkleider und nah- men sie mit sich. Das Grab wurde endlich mit Erde angefüllt, wobei die Verwandten ein fürchterliches Geheul erhoben; so viel ich aber bemerkte, blieb jedes Auge trocken. Nach dieser Ceremonie setzte man gekochte Hühner, Enten, Schweinefleisch, Früchte, Backwerk und ein Dutzend gefüllter Theetaffen nebst der Kanne, in zwei Reihen auf das Grab. Man zündete sechs bemalte Wachskerzen an und steckte sie neben den Speisen in die Erde. Darauf brannte man beständig Gold- und Silberpapier an, bis große Haufen solchen Papieres vom Feuer verzehrt waren. Der älteste Sohn trat nun wieder ans Grab, warf sich mehrmals davor nieder und berührte jedesmal mit der Stirne die Erde. Man reichte ihm sechs glimmende, wohl- riechende Papierkerzchen, die er einigemal in die Luft schwang und dann zurückgab – auch sie wurden in die 85 Erde gepflanzt. Dieselbe Ceremonie ahmten die Ver- wandten nach. Während dieser ganzen langen Zeit hatte der Prie- fer, vom Grabe entfernt, ganz theilnahmslos unter dem Schatten eines mächtigen Sonnenschirmes geseffen. Nun aber kam er herbei, hielt ein kurzes Gebet, schellte dazwi- fchen mehrmals mit einer Glocke, und sein Dienst war be- endet. – Die Speisen wurden hinweg genommen, der Thee über das Grab gegoffen und der Zug kehrte munter und fröhlich, unter Begleitung der Musik, die auch zeit- weise am Grabe gespielt hatte, heim. – Die Speisen wurden, wie man mir sagte, an Arme vertheilt. Am darauf folgenden Tage fah ich das berühmte La- ternenfest der Chinesen. An allen Häusern, an den Ecken der Dächer, an hohen Pfählen u. f. w. hingen zahllose Laternen von farbiger Gaze und Papier, die auf das ge- schmackvollste geschmückt und mit Göttern, Kriegern und Thieren bemalt waren. In den Höfen und Gärten der Häuser, oder in Ermangelung derselben, auf den Straßen vor den Häusern waren auf großen Tischen halb pyrami- denförmig Speisen und Früchte zwischen Blumen, Lichter- und Lampen aufgestellt. Das Volk wogte in den Stra- ßen, Höfen und Gärten bis gegen Mitternacht umher, und dann erst wurden die eßbaren Pyramiden von den Eigenthümern und deren Verwandten angegriffen. – Mir gefiel dieses Fest fehr gut, und nichts bewunderte ich so fehr, als das bescheidene und anständige Benehmen des Volkes – es betrachtete all die Vorräthe von Eßwaaren mit prüfenden Blicken; allein niemand berührte das ge- ringste davon. 86 Singapore liegt 58 Minuten (Seemeilen) nördlich der Linie, auf dem 104. östlichen Längengrade. Das Klima ist im Vergleiche zu andern südlicher gelegenen Gegenden sehr angenehm. Während meines Aufenthaltes vom 3. September bis 8. Oktober stieg die Hitze in den Zimmern selten über 23, in der Sonne über 38 Grad, und selbst diese Hitze war ziemlich erträglich, da sich jeden Morgen angenehme Seebrisen erhoben. Die Temperatur wechselt im Laufe des Jahres unbedeutend, eine Folge der nahen Lage an der Linie. Sonnen-Auf- und Unter- gang ist stets um sechs Uhr, worauf gleich volles Tages- licht oder Finsterniß folgt; die Dämmerung währt kaum zehn Minuten. Zum Schluffe muß ich noch bemerken, daß Singapore in kurzem der Mittelplatz Indiens für die Dampfschiffe sein wird. Die Schiffe von Hong-kong, Ceylon, Ma- dras, Calcutta und Europa kommen regelmäßig jeden Mo- nat, eben so ein holländisches Kriegs-Dampfschiff von Batavia, und nächstens werden Dampfschiffe nach Manilla und Sidney gehen und gleichfalls hier anlaufen. Oft - Indien. Ceylon. Abfahrt von Singapore. Die Insel Pinang. Ceylon. Pointe de Galle. Ausflug nach dem Innern. Colombo. Handy. Der Tempel Dagoha- Elephanten-Fang. Rückkehr nach Colombo und Pointe de Galle. Abreise. Wieder fuhr ich mit einem englischen Dampfer, auf dem Braganza von 350 Pferdekraft, Kapitän Boz, der am 7. Oktober von Singapore nach Ceylon abging. Die Entfernung beträgt 1500 Seemeilen. Die Behandlung auf diesem Schiffe war zwar von der auf dem vorigen ein wenig verschieden, aber beinahe eben so schlecht. Wir Reisende, vier *) an der Zahl, speisten allein und hatten sogar einen Mulatten zum Aufwärter, *) Einer davon war vom ersten Platze abgesetzt worden, weil er, wie man behauptete, etwas verwirrt war, und nicht immer wußte, was er that oder sprach. Da nun die Leute des ersten Platzes dies immer genau wifen, so war ihnen der Arme ein Stein des Anstoßes, und ein Machtspruch des Kapitäns verwies ihn zu uns; dabei muß ich aber be- merken, daß man die Bezahlung für den ersten Platz be- hielt. 88 der aber leider mit der Elephantiasis behaftet war, – eine Krankheit deren Anblick gerade nicht dazu diente, den Ap- petit zu erhöhen. Wir segelten in der Straße von Malacca, welche Sumatra von der Halbinsel Malacca trennt und verloren während des 7. und 8. Oktober das Land nicht aus dem Gesichte. Der Vordergrund Malaccas besteht aus Hügel- Land, das sich erst tiefer im Innern zu einer schönen Ge- birgskette erhebt. Auf der linken Seite lagen mehrere gebirgige Inseln, die uns den Anblick von Sumatra gänz- lich verbargen. Mehr als außen in der Natur gab es auf unterm Schiffe zu sehen. Die Mannschaft bestand aus 79 Köpfen, unter welchen Chinesen, Malaien, Cingalesen, Bengalen, Hindostaner und Europäer waren. Bei den Mahlzeiten hiel- ten sich gewöhnlich die Landsleute zusammen. Sie hatten alle ungeheure Schüffeln mit Reis und kleine Näpfchen mit Curri vor sich; einige Stückchen getrockneten Fisches dienten statt des Brotes. Den Currigoffen sie über den Reis, machten ihn mit den Händen durcheinander und bildeten kleine Ballen, die sie nebst einem Stückchen Fisch in den Mund schoben. Die Hälfte der Portion fiel meistens wieder in die Schüffel zurück. Die Trachten dieser Menschen waren höchst einfach. Viele hatten außer kurzen Beinkleidern nichts am Körper. Den Kopf deckte gewöhnlich ein schmutziger, ärmlicher Turban, und in Ermangelung dessen einfärbiger Lappen oder eine alte Matrosenkappe. Die Malaien hatten lange Tücher um den Körper gewickelt, von welchen ein Theil über die Achsel geschlagen wurde. Die Chinesen wichen 89 in nichts von ihrer Landestracht und Lebensweise, und nur die farbigen Diener der Schiffsoffiziere waren mitunter fehr zierlich und geschmackvoll gekleidet. Sie trugen weiße Beinkleider, weite, weiße Ueberkleider mit weißen Binden, bunte, seidene Jäckchen und kleine gestickte, weiße Käppchen oder schöne Turbane. Die Art und Weise, mit welcher all diese farbigen Menschen behandelt wurden, fand ich durchaus nicht chriften gemäß; es fehlte nie an rauhen Worten, an Stößen, Puffen und Fußtritten, ja der geringste europäi- sche Matrosenbube erlaubte sich die gröbsten Handlungen, die gemeinten Späße gegen jene. – Arme Geschöpfe! wie ist es möglich, daß die Liebe und Achtung für die Christen fühlen sollen! Am 9. Oktober landeten wir auf dem Eiländchen Pinang. Das Städtchen gleichen Namens liegt in einer kleinen Ebene, die zur Hälfte eine Erdzunge bildet. Un- fern des Städtchens erheben sich hübsche Gebirge, welche dieser kleinen Insel ein reizendes Aussehen verleihen. Ich erhielt fünf Stunden Urlaub, die ich dazu be- nutzte, in einem Palankine kreuz und quer durch das Städtchen, ja sogar ein wenig ins Land hinein zu fahren. Alles was ich sah, könnte ich mit Singapore vergleichen. Das Städtchen selbst ist nicht hübsch, dagegen sind es aber die Landhäuser, die alle in herrlichen Gärten liegen. Viele gebahnte Wege durchschneiden auch dies Inselchen. Auf einem der nahen Berge soll man einen schönen Ueberblick über Pinang, einen Theil von Malacca und die See haben; auf dem Wege dahin soll auch ein Waffer- 90 fall sein, – leider reichten die wenigen Stunden nicht aus, alles zu besehen. Der größte Theil der Bevölkerung dieser Insel be- steht aus Chinesen. Handwerke und Kleinhandel liegen fast ausschließend in ihren Händen. Am 11. Oktober sahen wir das Inselchen Pulo- Rondo, zu Sumatra gehörig. Nun segelten wir den bengalischen Meerbusen von Osten nach Westen auf der geradesten Linie durch, und bekamen bis Ceylon kein Land mehr zu Gesicht. Am 17. Oktober Nachmittags näherten wir uns der Küste von Ceylon. Mit neugierigen Blicken wandte ich mich dahin, denn Ceylon wird als ein Eden, als ein Paradies geschildert, – ja man behauptet sogar, daß Adam, unser Stammvater, in diesem Lande seinen Wohn- ort genommen habe, nachdem er aus dem Paradiese ge- trieben worden war, was man dadurch beweisen will, daß noch jetzt einige Orte auf der Insel seinen Namen führen, wie der „Adamspic“, die „Adamsbrücke u. f. w. – Auch die Luft sog ich begierig ein,– ich hoffte, gleich an- dern Reisenden, die balsamischen Düfte der reichen Ge- würzpflanzungen einzuathmen. Wunderbar schön entstieg die Insel den Fluthen, und immer herrlicher entwirrte sich die große Gebirgswelt, die Ceylon so vielfach durchkreuzt. Die höchsten Gipfel der Berge wurden von den Strahlen der sich neigenden Sonne noch magisch erleuchtet, während die dichten Kokos- wälder, die Hügel und Ebenen im schwarzen Dunkel la- gen. Die aromatischen Düfte aber blieben aus, und es 91 - roch auf unterm Schiffe wie zuvor nur nach Theer, Steinkohlen, Dampf und Oel. Gegen neun Uhr Nachts befanden wir uns vor dem Hafen Pointe de Galle. Da die Einfahrt höchst gefähr- lich ist, blieben wir die Nacht ruhig davor liegen. Am folgenden Morgen kamen zwei Looten, die uns glücklich in dem schmalen Raum des tiefen Fahrwaffers nach dem Hafen brachten. Kaum ans Land gestiegen, wurden wir von Schaa- ren von Verkäufern umringt, die uns geschliffene Edel- feine, Perlen und Arbeiten von Schildkröte und Elfen- bein zum Kaufe anboten. Der Kenner mag hier vielleicht gute Geschäfte machen können; dem Laien aber ist zu ra- then, sich nicht von der Größe und dem Glanze der Edel- feine und Perlen blenden zu laffen, da die Eingebornen, wie man mir sagte, den schlauen Europäern die Kunst, bei günstigen Gelegenheiten großen Nutzen zu ziehen, be- reits abgelernt haben. Die Lage von Pointe de Galle ist höchst anmuthig: im Vordergrunde erheben sich schöne Felsgruppen und im Hintergrunde schließen sich stolze Palmenwälder an das durch einige Festungswerke beschützte Städtchen. Die Häuser sind nett, niedrig und häufig von Bäumen be- schattet, die in manchen der reinlichen Gaffen Alleen bilden. Pointe de Galle ist der Punkt, auf welchem die Dampfschiffe von China, Bombay, Calcutta und Suez zusammen treffen. Die Reisenden, die von Calcutta, Bombay und Suez kommen, verweilen hier nur 12, höch- stens 24 Stunden; dagegen müffen aber jene, die von 92 China nach Calcutta sich begeben, zehn, auch vierzehn Tage auf den Dampfer warten, der sie weiter befördern soll. Mir war dieser Aufenthalt sehr erwünscht, – ich benützte ihn zu einer Reise nach Kandy. Von Pointe de Galle nach Colombo gehen zwei Ge- legenheiten: die Mail (königl. englische Post) täglich, und eine Privatgelegenheit dreimal in der Woche. Die Ent- fernung beträgt 73 englische Meilen, welche in zehn Stun- den zurückgelegt werden. Der Platz in der Mail kostet zwei und ein halb Pfund Sterling, in der Privatkutsche zwölf Schillinge. Die Kürze der Zeit zwang mich zur ersteren meine Zuflucht zu nehmen. Die Straße ist herr- lich, kein Hügel, kein Steinchen hemmt den Lauf der flüchtigen Roffe, die überdies noch alle acht Meilen ge- wechselt werden. Der größte Theil des Weges führte unweit des Meeresstrandes durch dichte Cocoswaldungen. Die Straße war so belebt und bewohnt, wie mir selbst in Europa nichts ähnliches vorgekommen ist. Ortschaften stießen an Ortschaften, und der einzelnen Hütten lagen so viele da- zwischen, daß man keine Minute fuhr, ohne an einer solchen vorüber zu kommen. Auch kleine Städtchen sahen wir, von welchen mir aber nur Calluri durch einige hübsche, von Europäern bewohnte Häuser auffiel. Nahe dabei auf einem felsigen Hügel an der See lag eine kleine Citadelle. Längs der Straße fanden unter kleinen Palmdächern große irdene Gefäße mit Waffer gefüllt; Cocoschalen lagen daneben, als Trinkgefäße dienend. Eine nicht min- der lobenswürdige Einrichtung für die Bequemlichkeit des Wanderers sind kleine gemauerte, auf den Seiten offene 93 Hallen, mit einem Dache überdeckt und mit Bänken ver- sehen. Manche Reisende bringen darunter die Nächte zu. Die stets auf- und niederwogende Menge von Men- fchen und Wagen machte die Reise höchst kurzweilig. Man konnte da alle Racen studieren, aus welchen die Bevöl- kerung Ceylons zusammengesetzt ist. Die größte Zahl bilden die eigentlichen Bewohner, die Cingalesen; außer- dem gibt es Indier, Mohamedaner, Malaien, Malabaren, Juden, Mohren, ja sogar Hottentotten. Unter den drei erstgenannten Stämmen sah ich viele mit schöner, ange- nehmer Gesichtsbildung; besonders schön sind die einga- lesischen Knaben und Jünglinge. Sie haben zarte, wohl- gebildete Gesichtszüge und sind so schlank und fein ge- baut, daß man leicht in den Irrthum fallen könnte, sie für Mädchen zu halten, wozu auch viel die Art und Weise beiträgt, wie sie die Haare stecken: sie gehen nämlich ohne Kopfbedeckung, kämmen die Haare alle nach hinten und drehen sie in einen Knoten, der mittelst eines Kammes, deffen Schild flach, breit und vier Zoll hoch ist, am Hin- terkopfe befestiget wird. Die Männer kleidet dieser Kopf- putz gerade nicht am besten. Die Mahomedaner und Ju- den haben etwas kräftigere Gesichtszüge,– letztere sehen den Arabern ziemlich ähnlich; sie haben, gleich ihnen, edle Physiognomien. Auch erkennt man die Mohamedaner und Juden leicht an ihren geschorenen Häuptern und den langen Bärten; sie tragen kleine weiße Käppchen oder Turbane. Auch viele Indier schmücken sich mit Turbanen; die meisten aber haben nur einfache Tücher, die sie über den Kopf schlagen. Letzteres ist auch bei den Malabaren und Malaien Sitte. Die Hottentotten laffen ihr pech- 94 schwarzes Haar in struppichter Unordnung über den Vor- derkopf und den halben Nacken hängen. Die Kleidung macht, mit Ausnahme der Mohamedaner und Juden, kei- ner von diesen Nationen große Sorge. Außer einer klei- nen Leibbinde oder einem handbreiten Lappen, der zwi- fchen die Beine gezogen wird, gehen sie nackt. Jene, die gekleidet sind, tragen kurze Hosen und ein Oberkleid. Vom weiblichen Geschlechte sah ich sehr wenige, und diese nur nahe an ihren Hütten. Es scheint, daß sie hier feltner als irgendwo ihre Wohnungen verlaffen. Auch ihre Tracht war sehr einfach. Eine Schürze um die Len- den gebunden, ein kurzes Jäckchen, das den Oberkörper mehr entblößte als deckte, und ein Lappen, der über den Kopf hing, bildeten den ganzen Anzug. Viele waren in große Tücher eingeschlagen, die sie ziemlich lose trugen. Die Kanten der Ohren, so wie die Ohrläppchen hatten sie durchstochen und mit Ohrgehängen geschmückt. An den Füßen, Armen und am Halse trugen die Ketten und Span- gen von Silber oder anderem Metalle, und an einer der Fußzehen einen großen, sehr massiven Ring. Man sollte meinen, daß das weibliche Geschlecht in einem Lande, wo es sich so wenig zeigen darf, immer strenge verhüllt sein müffe; dies war aber hier gerade nicht der Fall. Manche hatten Jäckchen und Kopftuch vergeffen, und besonders schien diese Vergeffenheit den alten Weibern eigen zu sein, die in dieser Blöße wahr- haft widerlich aussahen. Unter den jüngern gab es manch schönes ausdrucksvolles Gesichtchen; nur mußte man sie ebenfalls nicht ohne Jäckchen sehen, da ihre Brüste bis an die Lenden hinab hingen. 95 Die Hautfarbe der Bewohner varirt von licht- bis dunkelbraun, röthlichbraun und kupferroth. Die Hottentotten sind schwarz, aber nicht von dem glänzenden Schwarz der Neger. Merkwürdig ist die Scheu, die all diese halbnackten Leute vor dem Regen und vor naffen Stellen haben. Zu- fällig fing es an ein wenig zu regnen; augenblicklich sprangen sie wie Seiltänzer über jede kleine Pfütze und eilten den Hütten und Häusern zu, um sich darunter zu bergen. Jene, welche gezwungen waren, ihren Weg fort- zusetzen, hielten statt der Regenschirme die Blätter der Schirmpalme (Corypha umbraculifera), auch Talibot genannt, über sich. Diese Blätter haben bei vier Fuß im Durchmeffer und laffen sich leicht zusammenhalten wie Fächer. Ein solches Riesenblatt ist groß genug zwei Menschen vor dem Regen zu schützen. Viel weniger als den Regen fürchten sie die glühen- den Sonnenstrahlen. Man sagt, daß die Sonne den Ein- gebornen nicht gefährlich sei, indem diese ihre dicke Hirn- fchale und das darunter liegende Fett vor dem Sonnen- fiche schütze. Ganz eigener Art fand ich die Fuhrwerke, die ich hier sah: es waren hölzerne zweiräderige Karren mit Palmendächern, die vorne und hinten bei vier Fuß über den Karren hinaus reichten. Diese Vorsprünge die- nen dem Fuhrmanne als Schutz gegen Regen und Sonne, fie mögen kommen von welcher Seite sie wollen. Die Ochsen, stets zwei, waren so weit vom Wagen gespannt, daß der Kutscher ganz bequem zwischen ihnen und dem Wagen gehen konnte. 96 Die Frühstückszeit, eine halbe Stunde, benützte ich, an den Meeresstrand zu gehen, wo ich auf gefährlichen Klippen, mitten in den schauerlichsten Brandungen, viele Menschen emsig beschäftigt sah. Die einen lösten mittelst langen Stangen Schaalthiere von den Felsen, die andern stürzten sich in den Meeresgrund, sie herauf zu holen. Ich dachte, in den Schalen müßten Perlen enthalten sein, da sich meiner Meinung nach die Menschen blos der Austern wegen nicht solchen Gefahren aussetzen würden. Dennoch war letzteres der Fall, denn später erfuhr ich, daß der Perlfang wohl auf dieselbe Art betrieben wird, aber an der Ostküste Ceylon's und nur in den Monaten Februar und März Die Boote, deren sich die Leute bedienten, waren von zweierlei Art, die größeren, die an vierzig Mann faßten, sehr breit, von Brettern zusammengefügt und mit Stricken von Cocosfasern verbunden – die kleineren glichen jenen, die ich in Taiti gesehen hatte; nur kamen sie mir noch gefährlicher vor. Ein ganz feichter, äußerst schmaler, aus- gehöhlter Baumstamm bildete die Grundlage; die Seiten- wände waren durch Bretter erhöht und mit Seiten- und Querstangen versehen. Das Fahrzeug ragte kaum andert- halb Fuß hoch aus dem Waffer und die obere Breite be- trug keinen ganzen Fuß. Ein Brettchen zum sitzen lag darüber; die Kniee aber mußten aus Mangel an Raum über einander gelegt werden. Der größte Theil des Weges ging, wie gesagt, durch Cocoswaldungen, in welchen der Boden sehr sandig, von Schlingpflanzen und Untergehölzen ganz frei war; wo aber Laubbäume fanden, fand ich das Erdreich fett und 97 Baumstämme und Boden von üppig wuchernden Schling- pflanzen überdeckt. Von Orchidäen gab es sehr wenige. Wir setzten über vier Flüffe, den Tindureh, Ben- tock, Cattura und Pandura. Zwei überfuhren wir in Booten, über die andern gelangten wir auf schönen, hölzernen Brücken. Zehn englische Meilen von Colombo fingen die Zimmtpflanzungen an. Auf dieser Seite Colombos lie- gen auch alle Landhäuser der Europäer; sie sind sehr ein- fach, von Cocospalmen umschattet und mit Mauern um- geben. Nachmittags drei Uhr rollte unser Wagen über zwei Zugbrücken, durch zwei Festungsthore in die Stadt. Die Lage Colombos ist bei weitem anmuthiger als jene von Pointe de Galle, da man den schönen Gebirgen bereits um vieles näher ist, Ich hielt mich hier nur über Nacht auf und ging schon am folgenden Morgen mit der Post weiter nach der 72 englische Meilen entfernten Stadt Kandy. Am 20. Oktober um fünf Uhr wurde abgereist. Colombo ist eine sehr ausgedehnte Stadt. Wir fuhren durch unendlich lange, breite Straßen, zwischen hübschen Häusern, die alle mit Veranden und Säulengängen um- geben waren. Einen schauerlichen Eindruck machten auf mich die vielen Menschen, die unter diesen Veranden oder Vorsprüngen der Häuser ausgestreckt lagen und mit wei- ßen Laken überdeckt waren. Anfangs dachte ich, es feien Todte; dann aber wurde mir die Zahl zu groß, und ich fah wohl, daß es nur Schläfer waren. Auch fing mancher an sich zu bewegen und das Leichentuch von Anmerkung. Die Entfernungen der Landreise rechne ich nach englischen Meilen, deren 4 etwa eine deutsche Meile machen. Pfeiffers Reise, 11. Th. 7 98 sich zu streifen. Auf mein Befragen erfuhr ich, daß die Eingeborenen es angenehmer finden, vor als in den Häu- fern zu schlafen. Eine lange Schiffbrücke führt über den bedeutenden Fluß Calanyganga, und der Weg wendet sich nun immer mehr von dem Meere ab; auch die Landschaft ändert sich bald. Schöne Reispflanzungen erstrecken sich über große Ebenen, deren faftiges Grün mich an unsere Waizensaaten erinnerte, wenn sie im Frühlinge hervortreten. Die Waldpartien bestehen aus Laubholz, und die Palmen wer- den seltener; nur hie und da fehlen sie sich in die fremden Waldungen, aus welchen sie gleich Riesen emporragen und alles überschatten. Nichts war schöner, als wenn die zarten Schlinggewächse sich auch an die Palmen wag- ten, den langen Stamm umrankten und bis an die hohe Blätterkrone reichten. Nachdem wir bei sechzehn englische Meilen zurückge- legt hatten, fingen die Anhöhen und Hügel an, und bald umgaben uns die Gebirge von allen Seiten. Am Fuße jedes Berges fanden Vorspannpferde bereit die uns eilig über Berg und Höhe brachten. Auch diese 72 Meilen, obwohl wir bis Kandy bei 2000 Fuß emporstiegen, wur- den in eilf Stunden gemacht. Je näher wir dem Gebiete Kandys kamen, desto vielfältiger und abwechselnder wurden die Gebirgssce- nerien. Bald war man enge von ihnen umschloffen, bald thürmten sich Berge auf Berge, und eine Kuppe suchte die andere an Höhe und Schönheit der Form zu überbieten. Bis zur Höhe von einigen tausend Fuß waren die üppig bewachsen, dann kämpfte sich aber meistens das Felsengebiet 99 durch. – Nicht minder interessant als die Gegend waren mir die seltsamen Gespanne, die uns zeitweise begegneten. Ceylon ist, wie man weiß, reich an Elephanten, deren viele gefangen und zu verschiedenen Arbeiten verwendet werden. Hier waren sie zu zwei bis drei vor große Wa- gen gespannt, um Steine zur Ausbefferung der Straßen herbei zu fahren. - Vier Meilen vor Kandy kamen wir an den Fluß Mahavilaganga, über welchen sich eine meisterhafte Brücke aus einem einzigen Bogen wölbt. Brücke und Sparrenwerk sind aus dem kostbaren Satin Wood (Atlas-Holz). An diese Brücke knüpft sich folgende Sage: Als die Eingebornen von den Engländern besiegt wurden, gaben sie die Hoffnung, ihre Freiheit wieder zu erringen, nicht auf, weil eines ihrer Orakel prophezeit hatte, so unmöglich es sei, durch einen Weg die beiden Ufer des Mahavilaganga zu verbinden, eben so unmög- lich werde es einem Feinde sein, eine dauernde Herrschaft über sie zu erringen. Anfangs lächelten sie, als der Bau der Brücke begonnen wurde, und meinten, er werde nie ge- lingen. Nun denken sie, wie man mir sagt., an keine Befreiung mehr. Nahe an der Brücke befindet sich ein botanischer Garten, welchen ich des folgenden Tages besuchte. Mich überraschte die schöne Ordnung, so wie der Reichthum an Blumen, Pflanzen und Bäumen. - Diesem Garten gegenüber liegt eine der größten Zuckerplantagen; in der Umgebung find mehrere Kaffee- pflanzungen. Die Lage Kandys ist, nach meinem Geschmacke, 7 100 überaus reizend. Viele behaupten zwar, daß die Berge gar zu nahe seien, und daß Kandy eigentlich in einem Keffel liege. Jedenfalls ist aber dieser Keffel reizend, um so mehr, als er in der üppigsten Vegetation erblüht. Das Städtchen ist klein und häßlich: man sieht nichts als einen Haufen kleiner Kramläden, vor welchen sich die Einge- bornen umhertreiben. Die wenigen Häuser der Europäer, die Geschäftslokale und Kasernen, liegen außer der Stadt auf kleinen Hügeln. Große, künstlich angelegte Waffer- becken, von herrlichem, durchbrochen gearbeitetem Mauer- werke umgeben und von Alleen der mächtigen Tulpenbäume beschattet, füllen einen Theil des Thales aus. An einem dieser künstlichen Teiche liegt der berühmte Buddha-Tempel Dagoha, der im maurisch-hindostanischen Style aufgeführt und reichlich mit Verzierungen ausgestattet ist. Als ich die Postkutsche verließ, empfahl mir einer der Reisenden einen guten Gasthof und hatte noch die Güte, einen Eingebornen herbei zu rufen und ihm den Ort zu erklären, wohin er mich zu führen habe. Als ich am Gasthofe ankam, bedauerte man sehr, kein leeres Zimmer mehr zu haben. Ich bat die Leute, meinem Führer ein anderes Haus anzuzeigen, was sie auch thaten. Der Bursche führte mich hierauf von dem Städchen weg, wies nach einem nahen Hügel, und bedeutete mir, daß hinter diesem das Gasthaus liege. Ich glaubte es ihm, da ich sah, daß alle Gebäude weit von einander lagen. Als ich aber auf dem Hügel ankam, sah ich statt des Hauses eine etwas entlegene Gegend und einen Wald. Ich wollte zurück; doch der Kerl merkte nicht auf mich und schritt dem Walde zu. Ich riß ihm mein Felleisen von der Schulter (01 und wich nicht von der Stelle. Er wollte es mit Gewalt wieder nehmen; da sah ich aber glücklicherweise in einiger Ferne zwei englische Soldaten, denen ich zuschrie und zu- winkte, herbei zu kommen. Als der Bursche dies sah, lief er davon. – Ich erzählte den Soldaten mein Abentheuer; fie wünschten mir Glück zur Rettung meines Gepäckes und führten mich hierauf zur Kaserne, wo einer der Offiziere fo gefällig war, mich in einen andern Gasthof führen zu laffen. - Mein erster Besuch galt dem Tempel Dagoha, der eine große Reliquie der Gottheit Buddha: einen ihrer Zähne enthält. Der Tempel fammt den Nebengebäuden ist von Mauern umgeben. Der Umfang des Haupttempels erschien sehr unbedeutend, und das Allerheiligste, welches den Zahn enthält, ist ein kleines Gemach von kaum zwan- zig Fuß im Durchmeffer. Tiefe Finsterniß herrscht darin- nen, da es keine Fenster hat, und innerhalb der Thüre ein Vorhang hängt, um das einfallende Licht abzuhalten. Die Wände und die Decke find mit seidenen Teppichen ausgelegt, die aber kein anderes Verdienst als jenes des Alters haben. Sie waren zwar mit Goldfäden durchwirkt, fcheinen jedoch nie allzureich gewesen zu sein, und ich konnte mir durchaus nicht vorstellen, daß sie je einen so gro- ßen, blendenden Effekt hervorgebracht haben, wie manche Reiseberichte melden. Das halbe Gemach nimmt eine große Tafel (eine Art Altar) ein, die mit Silberplatten ausgetäfelt und an den Kanten mit Edelsteinen besetzt ist. Auf dieser Tafel steht ein glockenartiger Sturz, der an dem unteren Ende einen Durchmeffer von wenigstens drei Fuß, und eine gleiche Höhe hat. Er ist von stark vergoldetem 102 Silber und mit vielen kostbaren Edelsteinen ausge- schmückt. Ein Pfau in der Mitte ist blos aus Edelsteinen zusammengesetzt; doch machen all' diese vielen und großen Edelsteine keinen besondern Effekt, da sie sehr plump und unvortheilhaft gefaßt sind. Unter dem Riesensturze befinden sich sechs kleinere, die von reinem Golde fein sollen, – der letzte deckt den Zahn der allmächtigen Gottheit. Den äußeren Sturz ver- sperren drei Schlöffer, zu welchem zwei der Schlüffel bei dem englischen Gouverneur liegen, während der dritte bei dem Oberpriester des Tempels bleibt. Vor kurzem hat aber das Gouvernement die beiden Schlüffel unter großen Feierlichkeiten den Eingebornen zurückgegeben, und sie be- finden sich jetzt bei einem der Radscha's (Prinzen) der Insel. Die Reliquie selbst wird höchstens einem Prinzen oder sonst einem Mächtigen der Erde gezeigt, andere Leute müffen sich mit den Worten des Priesters begnügen, der gegen eine kleine Belohnung die Gefälligkeit hat, die Größe und Schönheit des Zahnes zu beschreiben. Seine blendend weiße Farbe soll das Elfenbein beschämen, seine Form, alles der Art bisher Gesehene übertreffen, und feine Größe der eines mächtigen Ochsenzahnes ent- sprechen. Unzählige Menschen wallfahrten jährlich hieher, um dem göttlichen Zahne ihre Verehrung darzubringen. Der Glauben macht selig; – gibt es doch unter den christlichen Sekten viele Menschen, die Dinge für wahr halten, wozu kein minder fester Glaube gehört. So erinnere ich mich noch aus meiner Jugendzeit einst einem Feste beigewohnt zu haben, das zu Calvaria, einem Wall- T103 fahrtsorte in Galizien, noch jetzt alljährlich gefeiert wird. Eine große Anzahl Pilger kommen dahin, um Splitter- chen vom Kreuze des Heilandes zu holen. Die Priester machten ganz kleine Kreuzchen von Wachs, worauf sie, wie sie dem gläubigen Volke versicherten, Splitterchen vom wahren Kreuze Christi klebten. Diese Kreuzchen waren in Papier gewickelt und fanden in vollen Körben zur Austheilung, das heißt zum Verkaufe bereit. Jeder Bauer pflegte wenigstens drei Stücke zu nehmen, von welchen er eines in die Stube, das zweite in den Stall und das dritte in die Scheune legte. Das sonderbarste dabei war, daß dieser Kauf alle Jahre wiederholt werden mußte – die alten Kreuzchen hatten nach Verlauf dieser Zeit ihre heilige Kraft verloren. Doch kehren wir wieder nach Kandy zurück. In einem zweiten Tempel, der sich an das Heiligthum anschließt, sind zwei riesige Statuen des Gottes Buddha in fitzen- der Stellung, – beide sollen vom feinsten Golde fein (inwendig hohl). Vor diesen koloffalen Figuren stehen ganze Reihen kleiner Buddha's, die aus Crystall, Glas, Silber, Kupfer oder anderen Materialien verfertigt sind. Auch in der Vorhalle sieht man mehrere aus Stein ge- hauene Statuen von Göttern, nebst andern Fragmenten, die aber alle ziemlich roh und steif gearbeitet sind. Mitten darunter steht ein kleines Monument von einfachem Mauer- werke, einer umgestürzten Glocke gleichend; es soll das Grab eines Braminen enthalten. An den Außenwänden des Haupttempels sieht man die ewigen Strafen in jämmerlichen Fresken gemalt. Letztere stellen Menschen dar, die geröstet, oder mit glühenden 1(!)4 Zangen gezwickt, oder theilweise gebraten wurden, oder Feuer verschlucken mußten. Dann sah man solche, die zwischen Felsen eingezwängt waren, andere, welchen Fleisch aus dem Körper geschnitten wurde, u. f.w. Doch scheint bei den Buddhisten auch das Feuer bei den ewigen Strafen die Hauptrolle zu spielen. Die Pforten des Haupttempels sind von Metall, die Thürstöcke von Elfenbein. Auf ersteren sind in erhabe- ner, auf letzteren in eingelegter Arbeit die herrlichsten Arabesken, Blumen und andere Verzierungen angebracht. Vor dem Eingange der Hauptpforte stehen als Zierde vier der größten Elephantenzähne, die je gefunden wurden. Im Hofe rings umher sind die Zelte der Priester. Diese letzteren gehen stets mit entblößtem, ganz geschor- nem Haupte, und ihre Tracht besteht in lichtgelben Ober- kleidern, die den Körper so ziemlich bedecken. Einst soll dieser Tempel fünfhundert diensthuende Priester gehabt haben,– jetzt muß sich die Gottheit mit einigen Dutzenden begnügen. - Die Andachtsbezeigungen der Buddhisten bestehen hauptsächlich in Blumen- und Geldspenden. Täglich wird des Morgens und des Abends vor der Pforte des Tem- pels eine ohrenzerreißende Musik, Tam-tam genannt, mit einigen weithin schallenden Trommeln und Pfeifen aus- geführt. Bald darauf sieht man Leute von allen Seiten herbeikommen, welche die schönsten Blumen in Körben bringen. Die Priester schmücken damit die Altäre aus, und zwar mit solcher Zierlichkeit und solchem Geschmacke, daß sie hierin gewiß nicht zu übertreffen find. Außer diesem Tempel gibt es noch einige andere in T (D5% Kandy, von welchen jedoch nur noch einer merkwürdig ist. Dieser liegt am Fuße eines Felshügels, in welchen eine sechsunddreißig Fuß hohe Buddha-Statue ausgehauen ist. Ein kleiner, niedlicher Tempel wölbt sich darüber. Der Gott ist mit den buntesten Farben bemalt. Die Wände des Tempels, mit schönem, röthlichem Cement überkleidet, sind in kleine Felder geheilt, in welchen überall der Gott Buddha al fresco erscheint. Einige Bildniffe Wischnus, einer andern Gottheit, findet man jedoch darunter. Besonders schön und frisch haben sich die Farben an der südlich gelegenen Wand des Tempels erhalten. Ein Grabesmonument, gleich jenem im Tempel Dagoha, steht ebenfalls hier, aber nicht eingeschloffen im Tempel, sondern unter Gottes freiem Himmel, beschattet von ehrwürdigen Bäumen. Neben den Tempeln gibt es häufig Schulen, in wel- chen die Priester das Lehramt versehen. Bei diesem Tempel fanden wir ein Dutzend Jungen (Mädchen dürfen keine Schule besuchen), die sich gerade mit schreiben be- fchäftigten. Die Vorschriften waren mittelst eines Griffels auf schmale Palmblätter sehr schön geschrieben. Die Knaben schrieben auf demselben Materiale. Höchst lohnend ist ein Spaziergang nach dem großen Thale, das von dem Mahavilaganga durchschnitten wird. Es ist von zahllosen, wellenförmigen Hügeln durchzogen, deren viele in regelmäßige Teraffen getheilt und mit Reis oder Kaffee bepflanzt sind. Die Natur ist hier jung und kräftig und belohnt reich den Fleiß des Pflanzers. Die Schlagschatten dieses Bildes bilden dunkle Haine von 106 Palmen oder Laubbäumen, den Hintergrund theils hohe Gebirge in fammtgrünem Festkleide, theils wildromanti- fche Fels-Koloffe in düster-grauer Nacktheit. Ich sah viele der höchsten Berge Ceylon's, Riesen von 8000 Fuß Höhe, leider aber nicht den berühmtesten, den Adams pic. Dieser Berg, 6500 Fuß hoch, soll auf der letzten Spitze so steil sein, daß man, um das Er- steigen möglich zu machen, kleine Stufen in den Fels ge- hauen und eine eiserne Kette gezogen hat. Die Mühe des kühnen Kletterers wird aber reichlich belohnt. Oben auf der Platte ist die zarte Spur eines fünf Fuß langen Füßchens abgedrückt. Die Muhamedaner legen dies übernatürliche Zeichen unserm kräftigen Stammvater Adam bei, die "Buddhisten ihrem großzahnigen Gotte Buddha. Von beiden Völkern wallen jährlich viele Tausende hin, ihre Andacht darzubringen. Zu Kandy ist noch der Palast des ehemaligen Kö- nigs oder Kaisers von Ceylon zu sehen – ein schönes gemauertes Gebäude, das aber wenig eigenthümliches hat; ich würde es für ein von Europäern aufgeführtes Werk gehalten haben. Es besteht aus einem etwas er- höhten Erdgeschoffe mit großen Fenstern und schönen Vor- hallen, die auf Säulen ruhen. Das einzige merkwürdige ist im Innern ein großer Saal, defen Wände mit einigen grob und feif ausgearbeiteten Reliefs, Thiere darstellend, ausgeschmückt sind. Seit der eingeborne Monarch von Ceylon durch die nimmersatten Engländer in Ruhestand versetzt wurde, bewohnt der englische Resident oder Gou- verneur diesen Palast. Wäre ich vierzehn Tage früher nach Kandy gekom- 107 men, so hätte ich einer Elephanten-Jagd oder, besser ge- sagt, einem Elephanten-Fange beiwohnen können. Man sucht zu diesem Zwecke an den Ufern eines Fluffes den Ort auf, wohin diese Thiere gewöhnlich zur Tränke gehen. Da wird dann ein großer Raum mit Pfählen umgeben, zu welchem, verzweigte enge Wege, ebenfalls von starken Pfählen umzäunt, führen. Ein abgerichteter Elephant, in der Mitte dieses Raumes angebunden, lockt durch sein Geschrei die durstigen Thiere an sich, die sorglos in die Irrwege gehen, aus welchen sie nicht mehr hinaus können, da die Jäger und Treiber hinter ihnen her sind, durch Lärmen sie in Schrecken setzen und dem großen Raume zu treiben. Die ausgezeichnet großen Thiere werden lebend gefangen, indem man sie etwas Hunger leiden läßt, wo- durch die fofolgsam werden, daß sie sich ruhig eine Schlinge umwerfen laffen und ohne Wiederstand dem gezähmten Elephanten folgen. Die übrigen werden entweder getödtet oder frei gelaffen, je nachdem sie schöne Hauer (Zähne) haben oder nicht. Die Vorbereitungen zu folch einem Fange währen oft mehrere Wochen, da außer der Einzäunung des Platzes auch viele Treiber die Elephanten weit und breit aufsuchen und nach und nach dem Wafferplatze zutreiben müffen. Manchmal geht man auch, nur mit Gewehren ver- fehen, auf die Elephanten-Jagd; doch ist dies gefährlich. Der Elephant hat nämlich, wie bekannt, nur eine leicht verwundbare Stelle: die Mitte der Hirnschale. Trifft man diese, so erlegt man das Ungeheuer auf den ersten Schuß; fehlt man sie aber, dann wehe dem Jäger – er wird von den Füßen des wüthenden Thieres zermalmt.– TIOZ Sonst ist der Elephant sehr friedliebend und greift nicht leicht den Menschen an. Die Europäer richten die Elephanten zum ziehen und Lasttragen ab, (ein Elephant trägt bis vierzig Centner) die Eingebornen halten sie mehr zur Zierde und zum reiten. Nach drei Tagen verließ ich Kandy und ging wieder nach Colombo zurück. Hier mußte ich mich einen Tag aufhalten, weil gerade Sonntag war, während defen keine Mail geht. Ich benutzte diese Zeit, die Stadt, die von einem starken Fort beschützt wird, zu besehen. Sie ist sehr aus- gedehnt, hat hübsche breite Straßen und nette, einstöckige Häuser, die mit Veranden und Säulengängen umgeben find. Die Bevölkerung wird auf 80,000 Seelen gerech- net, darunter (ohne Militär) ungefähr 100 Europäer und 200 Abkömmlinge von Portugiesen, welch letztere schon vor Jahrhunderten hier eine Ansiedlung gegründet hatten. Ihre Gesichtsfarbe ist so braun wie jene der Ein- gebornen. Des Morgens besuchte ich den katholischen Gottes- dienst. Die Kirche war voll von irländischem Militär und Portugiesen. Die Portugiesinnen erschienen sehr reich gekleidet: sie trugen gefaltete Röcke und kurze Jäck- chen von Seidenstoffen, Ohrgehänge von Perlen und Edel- feinen und um den Hals, um die Arme, ja sogar um die Füße Gold- und Silberketten. Nachmittags ging ich nach einigen Zimmtpflanzun- gen, deren viele um Colombo liegen. Der Zimmt-Baum oder Strauch ist in Reihen gepflanzt, höchstens neun Fuß 109 hoch, und trägt weiße, geruchlose Blüthen. Aus der Frucht, die kleiner als eine Eichel ist, wird Oel gewonnen, wel- ches, wenn man die Frucht zerquetscht und kocht, obenauf schwimmt. Man mengt es mit Cocosöl und verbraucht es bei der Beleuchtung. - Die Zimmternte hat zweimal im Jahre statt: die erste (große) von April bis Juli, die zweite (kleine) von November bis Januar. Die Rinde wird mittelst eines Meffers von den dünnen Aesten geschält und an der Sonne getrocknet, wodurch sie eine gelbliche oder bräun- liche Farbe bekömmt. Der feinste Zimmt ist lichtgelb und höchstens von der Dicke eines Kartenpapieres. Das feine Zimmtöl, das man als Arznei gebraucht, wird aus dem Zimmt selbst gezogen. Man schüttet ihn in ein hölzernes, mit Waffer angefülltes Gefäß und läßt ihn acht bis zehn Tage darin liegen. Die ganze Maffe wird hierauf in einen Destillierkolben gegeben und über einem kleinen Feuer destilliert. Auf dem daraus gewon- nenen Waffer sammelt sich nach kurzer Zeit Oel, welches man mit der größten Sorgfalt abschöpft. Unter den Thieren Ceylon's fielen mir außer den Elephanten noch besonders die Raben auf, und zwar durch ihre Menge und ihre Zahmheit. In jedem Städtchen und Dörfchen sieht man eine Unzahl dieser Vögel, die an die Thüren und Fenster kommen und alles aufpicken. Sie sind dem Lande das, was die Hunde der Türkei – sie zehren allen Unrath auf. Das Hornvieh ist etwas klein und hat zwi- schen den Schulterblättern Höcker, die aus Fleisch bestehen und für Leckerbissen gehalten werden. In Colombo und Pointe de Galle sieht man auch 110 viele große weiße Büffel, die dem englischen Gouvernement gehören und von Bengalen hierher gebracht werden. Man gebraucht sie zum schweren Zuge. Unter den Früchten war die Ananas von vorzüg- licher Größe und Güte. Die Temperatur fand ich ziemlich gemäßigt, beson- ders in dem hochgelegenen Kandy, wo es bei vielem Re- gen beinahe kalt wurde. Des Abends und Morgens fiel der Thermometer bis auf 13 Grad, des Mittags in der Sonne stieg er höchstens auf 21 Grad. In Colombo und Pointe de Galle war die Witterung schön und die Tem- peratur um 7 Grad wärmer. Am 26. Oktober kam ich wieder nach Pointe de Galle, und am folgenden Tage schwamm ich, und zwar abermals auf einem englischen Dampfer, Indien zu. Die Größe der Insel Ceylon: 1800 Quad-Meilen. Einwohner-Zahl: 980,000. Hauptstadt: Colombo mit 80.000 Einwohnern. Religion der Eingeborenen: der Buddhismus. Geldsorten: englische. B e n g a l e n. Madras und Calcutta. Abfahrt von Ceylon. Madras. Calentta. Lebensweise der Europäer Die Hindus. Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besuch bei einem Baboo. Religionsfeste der Hindu. Sterbehäufer und Verbrennungsorte. Muhamedanische und europäische Hochzeitsfeier. Am 27. Oktober Mittags begab ich mich an Bord des Dampfers Bentink von 500 Pferdekraft. Die Anker wurden erst gegen Abend gelichtet. - Unter den Reisenden befand sich ein indischer Prinz, Namens Shadathan, der von den Engländern gefangen genommen worden war, weil er den mit ihnen geschloffe- nen Frieden gebrochen hatte. Er wurde seinem Stande gemäß behandelt, und man hatte ihm seine beiden Gesell- schafter, seinen Mundschi (Sekretär) so wie sechs seiner Diener gelaffen. Alle waren orientalisch gekleidet; nur statt der Turbane hatten sie hohe, runde Mützen von ge- steifter Pappe, mit Gold oder Silberstoff überzogen. Sie trugen reiche schwarze Locken und Bärte. Die Gesellschafter speisten mit den Dienern gemein- schaftlich. Ein Teppich wurde auf dem Decke ausgebreitet und zwei große Schüffeln darauf gestellt, deren eine ge- 112 kochte Hühner, die andere Pillav enthielt; – die Leute aßen mit den Händen. 28. Oktober. Stets hatten wir die schöne Linie der dunkeln Gebirgskette Ceylons im Auge. Auch fehlte es nicht an einzelnen Felskoloffen, die aus dem Meere emportauchten. A Am 29. Oktober sahen wir kein Land. – Einige Wallfische verriethen ihr Dasein durch sprühenden Thau- regen, und mächtige Schwärme fliegender Fische wurden durch das Getöse unseres Dampfers aufgeschreckt. Am 30. Oktober Morgens überraschte uns der An- blick des Festlandes von Indien. Bald kamen wir den Ufern so nahe, um unterscheiden zu können, daß sie eben nicht zu den reizendsten gehörten: sie waren flach und theilweise mit gelbem Sande bedeckt; niedrige Hügelketten zeigten sich im Hintergrunde. Um ein Uhr Nachmittags ließen wir in ziemlicher Entfernung von der Stadt Madras (5 Seemeilen) die Anker fallen. Kein Ankerplatz bietet so viele Gefahren wie der vor Madras. Die Brandung ist so stark, daß man der Stadt zu keiner Zeit mit einem größeren Schiffe nahen kann, – oft vergehen Wochen, während der nicht einmal Boote zukommen. Die Schiffe legen daher auch nur auf ganz kurze Zeit an, und man sieht selten mehr als ein halbes Dutzend vor Anker liegen. Große Boote, mit zehn, auch zwölf Ruderern bemannt, kommen an die Schiffe, um in Eile die Reisenden, die Post und die Waaren ab- zuholen. Das Dampfschiff hält hier acht Stunden an, und man kann diese Zeit benützen, die Stadt zu besehen, T 13 jedoch läuft man, da die Winde hier oft plötzlich um- springen, Gefahr, auf das Schiff nicht mehr zurückzukom- men. Ich verließ mich auf das gute Glück, das mich - stets auf meinen Reifen begleitet, und machte die Expe- dition der Ausschiffung mit. – Aber schon auf halben Wege dahin wurde meine Neugierde bestraft. Ein ab- scheulich schwerer Regen fiel nieder und durchnäßte uns gänzlich, noch ehe wir das Land erreicht hatten. Wir flüchteten in das erste Kaffeehaus, das am Strande lag. Der Regen verwandelte sich in einen tropischen, und es ward uns zur Unmöglichkeit das Asyl zu verlaffen. Als das Unwetter nachgelaffen hatte, hieß es: schnell wieder zurückkehren, da man nicht wissen könnte, was noch nach- käme. Ein spekulativer Zuckerbäcker von Madras war mit dem ersten Boote an unsern Dampfer gekommen und führte Eis und Backwerk mit, die er mit großem Gewinne ab- fetzte. Der erzürnte Himmel hatte Mitleid mit uns, klärte sich noch vor Sonnenuntergang auf, und wir sahen längs des Strandes in schöner Beleuchtung die palastartigen Wohnungen der Europäer. Sie sind halb in griechischem halb in italienischem Style aufgeführt, und liegen theils in der Stadt, theils nahe an dem Meeresufer in prachtvollen Gärten. Bevor wir noch abfuhren, wagten sich mehrere Ein- geborne in kleinen Booten herbei, um uns Früchte, Fische und andere Kleinigkeiten zum Verkaufe anzubieten. Ihre Fahrzeuge bestanden aus vier kleinen Baumstämmen, die mit dünnen Stricken aus Kokosfasern leicht zusammen ge- Pfeiffers Reise, 11. Th. 8 II 4 bunden waren. Ein langes Stück Holz diente als Ruder. Die Wogen schlugen so hoch darüber, daß man jeden Augenblick dachte, Boot und Menschen seien verloren. Die guten Leute gingen beinahe im Naturzustande, nur für ihre Köpfe trugen die Sorge: die waren mit den verschiedenartigsten Gegenständen, mit Lappen, Turbanen, Tuch- oder Strohkäppchen, oder sehr hohen, ganz spitzen Strohmützen bedeckt. Die Wohlhabenderen (die Boot- führer, welche die Post und die Reisenden brachten) wa- ren mitunter recht geschmackvoll gekleidet: sie hatten nied- liche Jäckchen an und lange, große Tücher um den Körper geschlagen; Jäckchen und Tücher waren von weißem Zeuge und mit blauen Streifen eingefaßt. Auf dem Kopfe tru- gen sie fest anschließende weiße Hauben, von welchen ein Lappen bis an die Schulter reichte. Auch die Haube war mit blauen Streifen besetzt. Die Farbe der Eingebornen war sehr dunkel bronze oder kaffeebraun. Spät Abends kam noch eine Eingeborne mit zwei Kindern an Bord; sie hatte für den zweiten Platz bezahlt, und man wies ihr eine kleine, finstere Cabine unweit des ersten Platzes an. Ihr jüngeres Kind war unglücklicher- weise mit einem starken Husten belästiget, wodurch eine reiche, vornehme Engländerin, die ebenfalls einen Jungen bei sich hatte, im Schlafe gestört wurde. Die Dame mochte bei der übertriebenen Zärtlichkeit, die sie für ihr Söhnchen hegte, noch überdieß meinen, daß der Husten an- steckend sein könnte. Ihr erstes Geschäft am folgenden Mor- gen war daher, den Kommandanten zu bitten, die Mutter fammt den Kindern aufs Deck zu weisen, was der hoch- I 15% herzige, menschenfreundliche Mann auch sogleich that. – Weder die Dame noch der Kommandant bekümmerten sich darum, ob die arme Mutter auch eine warme Decke für das kranke Kind bei sich habe, um es vor den kalten Nächten und vor dem häufigen und starken Regen zu schützen. Wäre doch der Engländerin Kind krank geworden, und sie selbst hinaus gestoßen worden in Nacht und Nebel, damit auch die erprobt hätte, wie solch eine Behandlung thut! – Sollte man sich nicht beinahe schämen, einer Menschenklaffe anzugehören, die an Humanität und Her- zensgüte von den sogenannten Wilden und Heiden weit übertroffen wird? Kein Wilder hätte je eine Mutter mit einem kranken Kinde verjagt; er würde im Ge- gentheil noch Sorge für beide getragen haben. Nur die christlich gebildeten Europäer nehmen sich das Recht heraus, mit den farbigen Menschen nach Willkür und Laune zu verfahren. Am 1. und 2. November sahen wir von Zeit zu Zeit das Festland oder kleine Inselchen, – alles flach und fandig, ohne die geringste Naturschönheit. Zehn bis zwölf Schiffe, darunter die größten Ostindien-Fah- rer, fegelten gleich uns dem reichen Calcutta zu. - Am 3. November Morgens hatte die See schon ihre schöne Farbe verloren und jene des schmutzig gelblichen Ganges angenommen. – Gegen Abend näherten wir uns den Mündungen dieses Riesenstromes. Einige Meilen vor der Einfahrt schmeckte das Waffer schon süß. Ich füllte ein Glas aus des heiligen Ganges Fluthen und 8* 116 leerte es auf das Wohl all meiner Lieben im Vater- lande. Um 5 Uhr Abends warfen wir zu Kadscheri (an der Einfahrt des Ganges) Anker. Es war zu spät um bis Calcutta (60 Seemeilen) zu segeln. Der Strom war hier viele Meilen breit, so daß man nur auf einer Seite den dunklen Saum des Ufers sah. 4. November. Des Morgens segelten wir in den Hugly – so heißt eine der sieben Mündungen des Gan- ges. Endlose, unübersehbare Ebenen erstreckten sich an beiden Ufern dieses Stromes. Reisfelder wechselten mit Zuckerpflanzungen, Palmen-, Bambus- und Laubbäume standen dazwischen, die üppigste Vegetation zog sich bis an des Ufers Gestade; nur Dörfer und Menschen fehlten. Erst als wir nur mehr fünf und zwanzig Meilen von Calcutta entfernt waren, tauchten hin und wieder ärmliche Dörfer auf, und man sah halb nackte Menschen sich bewe- gen. Die Hütten waren aus Lehm, Bambus oder Palm- zweigen errichtet und mit Ziegeln, Reisstroh oder Palm- blättern gedeckt. Merkwürdig und ganz verschieden von jenen, die ich bei Madras fah, fand ich die größeren Fahr- zeuge der Eingebornen. Das Vordertheil des Bootes endigte beinahe flach, so daß es kaum einen halben Fuß über das Waffer ragte, während das Hintertheil bei sieben Fuß hoch war. Das erste palastähnliche Gebäude, eine Kottonspin- nerei, zeigte sich fünfzehn Meilen vor Calcutta, und ein freundliches Wohnhaus schloß sich daran. Von da an sah man an beiden Seiten des Hugly viele Paläste, die alle in griechisch-italienischem Style gebaut und reichlich T1 17 mit Säulen, Hallen, Terraffen u. f. w. versehen waren. Wir flogen leider zu schnell vorbei, um mehr als einen Ueberblick erhaschen zu können. - Große und viele Schiffe zogen an uns vorüber oder fegelten uns zur Seite, mehrere Dampfer glitten auf und nieder und führten Schiffe im Schlepptau, das Lebens- gewühl, das Fremdartige nahm immer mehr zu, und es war leicht zu errathen, daß wir uns einer asiatischen Welt- stadt näherten. - Bei Gardenrich, vier Meilen vor Calcutta, legten wir uns vor Anker. Nichts fiel mir so schwer als eine Unterkunft in einem Hafenorte zu finden, da es durch Zeichen und Deuten nicht immer möglich war, den Eingebornen begreiflich zu machen, wohin sie mich bringen sollten. Hier nahm sich einer der Maschinisten unseres Schiffes meiner in so ferne an, daß er mich ans Land brachte, daselbst für mich einen Pa- lankin miethete und den Leuten den Ort bezeichnete, wo- hin fie mich zu bringen hatten. Eine höchst unangenehme Empfindung bemächtigte sich meiner, als ich das erste Mal Gebrauch von einem Trag- Palankin machte. Es kam mir für die Menschen gar zu entwürdigend vor, sie statt der Thiere zu benützen. Die Palankine sind fünf Fuß lang, drei Fuß hoch, haben Schubthüren und Jalusien und sind mit Matrazen und Kiffen versehen, so daß man darin wie in einem Bette liegt. Vier Träger genügen für die Stadt, acht für wei- tere Ausflüge. Sie wechseln beständig mit einander ab, und laufen so schnell, daß sie vier englische Meilen in einer Stunde, ja sogar in drei Viertelstunden zurücklegen. – TTI R Da diese Palankine alle von außen schwarz angestrichen sind, fo kam es mir vor, als sähe ich lauter Sterbende in das Hospital, oder Todte auf den Friedhof tragen. Auf dem Wege nach der Stadt fielen mir vor allem am Ufer des Hugly die herrlichen Säulenhallen (Gauths) auf, von welchen breite Treppen bis an den Fluß führen. An diesen Gauths liegen viele Boote, theils zum Ueber- fahren, theils zu Lustpartien. - Die herrlichsten Paläste lagen in großen Gärten, und bald lenkten auch meine Träger in einen niedlichen Garten und setzten mich unter einem schönen Portale ab. – Hier wohnte die Familie Heilgers, an die ich Empfehlungsbriefe hatte. Die liebenswürdige junge Frau begrüßte mich als Sprachverwandte (sie war aus Nord-, ich aus Süd-Deutsch- land), und nahm mich auf das Herzlichste auf. Ich ward hier mit indischem Luxus einquartiert, hatte einen Em- pfangssalon, ein Schlafgemach, ein Badezimmer und eine Garderobe, Meine Ankunft zu Calcutta fiel in eine der ungün- figsten Epochen, die je über diese Stadt gekommen waren. Drei unfruchtbare Jahre in beinahe ganz Europa hatten eine Handelskrisis zur Folge, die Calcutta zu Grunde zu richten drohte. Jede Nachricht aus Europa brachte Nach- richten bedeutender Fallimente, die hier den Ruin der reichsten Häuser nach sich zogen. Kein Kaufmann wagte mehr zu sagen: „Ich besitze etwas,“ – die nächste Post konnte ihn zum Bettler machen. Ein banges Gefühl, ein zitterndes Erwarten hatte jede Familie ergriffen. Auf dreißig Millionen Pfund Sterling berechnete man bereits die Verluste in England und hier, und noch immer fand das Unglück keine Grenzen. Solche Unglücksfälle treffen viel schwerer gerade die Menschen, welche, so wie hier, an übermäßige Bequemlich- keit, an den höchsten Lurus gewöhnt sind. Bei uns macht man sich keinen Begriff von dem Haushalte eines Europäers in Indien. Jede Familie bewohnt für sich allein einen Pa- last, wofür den Monat zweihundert Rupien *) und auch noch mehr gezahlt wird. Außerdem beschäftigt sie 25 bis 30 Dienstleute, und zwar: zwei Köche, einen Schüffelwascher, zwei Wafferträger, vier Tischbediente, vier Zimmeraufräumer, einen Lampenputzer, ein halb Dutzend Seis (Stallknechte). Man hält wenigstens sechs Pferde (jedes Pferd muß einen eigenen Wärter haben), ein paar Kutscher, zwei Gärtner, für jedes Kind eine Wärte- rin nebst einem Diener, eine Magd für die Frau, eine gemeine Magd, um die Wärterinnen zu bedienen, zwei Hausschneider, zwei Punkazieher und einen Thorwächter. Der Lohn steigt von 4 bis 11 Rupien den Monat. Die Leute erhalten keine Kost, und nur wenige schlafen im Hause. Kost und Wohnung ist im Lohne mit gerechnet; die meisten sind verheirathet und gehen zum Effen und Schlafen täglich nach Hause. – An Kleidung gibt man ihnen höchstens die Turbane und Leibgürtel, – das übrige müffen sie sich selbst anschaffen und auch selbst die Wäsche waschen laffen. Die Wäsche der Herrenleute wird trotz der großen Dienerschaft nicht im Hause ge- waschen; man zahlt dafür, und zwar für 100 Stücke drei *) Eine Rupie gleich 58 kr. C.M. 120 Rupien. Der Wäschewechsel ist außerordentlich: alles trägt sich weiß, und man wechselt gewöhnlich zweimal des Tages die ganzen Anzüge. Die Lebensmittel sind nicht theuer, wohl aber die Anschaffung von Pferden, Wagen, Möbeln und Klei- dungsstücken. Die drei letzten Artikel kommen aus Euro- pa, die Pferde entweder auch aus Europa oder aus Neu- holland oder aus Java. Ich habe europäische Häuser besucht, in welchen man 60, auch 70 Diener und 15 bis 20 Pferde hielt. Nach meiner Meinung sind an diesem kostspieligen Aufwande mit Dienern die Europäer wohl selbst Schuld. Sie sahen die Rajas und Reichen des Landes von großen Schwärmen müßiger Leute umgeben und wollten als Eu- ropäer darin nicht zurück bleiben. Nach und nach ward dies zur Sitte, und jetzt würde es sehr schwer sein, eine andere Einrichtung zu treffen. Man sagte mir zwar auch, daß diese Einrichtung nicht anders sein könne, so lange die Hindus in Kasten getheilt seien. Der Hindu, welcher die Zimmer rein macht, würde um keinen Preis bei Tische bedienen, die Kinderwärterin dünkt sich viel zu vornehm, das Waschbecken des Kleinen mit eigenen Händen zu säubern. Es mag wohl allerdings viel wahres daran sein; aber jede Fami- lie kann ja doch nicht 20, 30 und noch mehr Diener hal- ten?! – Schon in China und Singapore fielen mir die vielen Diener auf,– hier kann man aber die doppelte und dreifache Zahl annehmen. Die Hindus sind, wie bekannt, in vier Kasten ein- geheilt: Braminen, Katris, Bhises oder Banians und 12] Soudras. – Sie entspringen alle aus dem Körper des Gottes Brama, und zwar die erste Kaste aus feinem Munde, die zweite aus den Schultern, die dritte aus dem Leibe und den Schenkeln, die vierte aus den Füßen. Aus der ersten Kaste werden die höchsten Beamten, die Priester und die Lehrer des Volkes gewählt. Sie allein dürfen die heiligen Bücher lesen und genießen die höchste Achtung, ja, wenn sie ein Verbrechen begehen, werden sie viel ge- ringer bestraft als jene aus andern Kasten. Die zweite Kafe liefert die niedern Beamten und die Krieger, die dritte die Handelsleute, Handwerker und Bauern, die vierte endlich die Diener für die drei ersten Klaffen. Jedoch dienen die Hindus aus allen Kasten, wenn sie Armuth dazu zwingt; nur scheiden sie sich im Dienste ge- nau von einander, da den höheren Kasten nur die rein- licheren Dienstleistungen erlaubt sind. Von einer Kaste in eine andere aufgenommen zu werden oder hinein zu heirathen, ist unmöglich. Wenn fich ein Hindu vom Vaterlande entfernt oder von einem Paria eine Nahrung annimmt, so wird er aus seiner Kaste gestoßen und so lange als unwürdig betrachtet, bis er sich mit großen Kosten wieder einkauft. Außer diesen Kasten gibt es noch eine Volksabthei- lung: die Parias. Diese sind die unglücklichsten Men- fchen, da sie von allen Kasten so tief verabscheut werden, daß kein Mensch mit ihnen die geringste Gemeinschaft macht. Wenn zufällig ein Hindu an einen Paria streift, fo hält er sich für verunreinigt und muß sich alsogleich baden. - Die Parias dürfen keine Tempel besuchen, haben 122 ihre eigenen Wohnplätze u. f. w. Sie sind über alle Be- griffe arm, wohnen in den erbärmlichsten Hütten, nähren sich von allem Unrath, ja sogar von gefallenem Vieh; auch gehen sie beinahe nackt oder höchstens mit einigen Lumpen bedeckt. Sie sind es auch, welche die schmutzigsten und härtesten Arbeiten verrichten. Die vier Kasten zerfallen wieder in eine Menge Ab- theilungen, von welchen 70 Fleisch genießen dürfen, 18 aber sich deffen gänzlich enthalten müffen. Eigentlich verbietet die Religion den Hindus das Blutvergießen und daher auch den Genuß des Fleisches; doch machen jene 70 Secten eine Ausnahme davon, auch werden bei einigen Religionsfesten Thiere geopfert. Eine Kuh aber darf durchaus nicht geschlachtet werden. – Die Hauptnahrung der Hindus besteht in Reis, Früchten, Fischen und Vegetabilien. Sie leben äußerst mäßig und halten täglich nur zwei einfache Mahlzeiten, die eine des Morgens, die andere des Abends. Ihr gewöhnliches Getränk ist Waffer oder Milch und zeitweise Cocoswein. Die Hindus sind von mittlerer Größe, schlank und zart gebaut. Ihre Gesichtsbildung fand ich höchst angenehm und gutmüthig. Das Gesicht ist oval, die Nase erhaben und fein gezeichnet, die Lippe nicht wulstig, das Auge schön und sanft, das Haar glatt und schwarz. Die Haut- farbe ist verschieden, je nach der Gegend, – sie geht vom Dunkelbraun bis in das helle Lichtbraun, ja in den höhern Ständen findet man selbst ziemlich weiße Menschen, beson- ders unter dem weiblichen Geschlechte. In Indien sind sehr viele Mohamedaner, in deren Händen, da sie sehr geschickt und thätig sind, ein großer 123 Theil des Handels und der Gewerbe sich befindet. Auch verdingen sie sich bei den Europäern gerne als Dienst- leute. Die Männer verrichten hier auch jene Arbeiten, die wir gewöhnt sind vom weiblichen Geschlechte gethan zu sehen. Sie sticken in weißer Wolle, in farbiger Seide und Gold, sie machen Damenkopfputz, waschen und glätten, beffern die Wäsche aus und laffen sich sogar statt der Wär- terinnen bei kleinen Kindern gebrauchen. – Auch einige Chinesen leben hier, die meistens das Schusterhandwerk betreiben. Calcutta, die Hauptstadt von Bengalen, liegt am Hugly, der hier so breit und tief ist, daß die größ- ten Kriegsschiffe und Ostindienfahrer längs der Stadt vor Anker liegen können. Die Bevölkerung beträgt bei 600,000 Seelen, worunter, ohne das englische Militär, nur wenig mehr als 2000 Europäer und Amerikaner. Die Stadt ist in mehrere Theile getheilt: in die Ge- fchäftsstadt, in die sogenannte schwarze Stadt und in das europäische Quartier. Die Geschäftsstadt und die „schwarze Stadt find häßlich, die Straßen enge und krumm und mit schlechten Häusern und erbärmlichen Hüt- ten überfüllt, zwischen welchen Magazine, Geschäftslocale und mitunter auch einzelne Paläste liegen. Schmale, gemauerte Kanäle durchziehen alle Straßen, da die Hin- dus sehr viel Waffer gebrauchen, um ihre täglichen häufi- gen Waschungen vorzunehmen. – In der Geschäftsstadt und in der schwarzen Stadt ist alles von Menschen der Art überfüllt, daß, wenn eine Equipage durchfährt, die Diener 124 vom Wagen feigen, vor demselben herlaufen und die Menschenmaffen anrufen oder auseinander jagen müffen. Schön ist dagegen das europäische Quartier oder Viertel, welches auch sehr häufig die „Stadt der Pa- läften genannt wird, ein Name, der ihm zum Theile gebührt. Nur heißt hier, wie in Venedig, jedes ein wenig größere Haus: Palast. Die meisten dieser Paläste stehen in Gärten, die mit hohen Mauern umgeben sind, – selten reihen sie sich an einander; daher gibt es wenig imposante Plätze und Straßen. An ausgezeichneter Bauart, an Kunst und Reich- thum kann, außer dem Palaste des Gouverneurs, wohl keiner mit den großen Palästen von Rom, Florenz und Venedig in die Schranken treten. Die meisten unter- fcheiden sich blos durch einen hübschen Porticus, der auf gemauerten Säulen ruht, und durch terraffenförmige Dächer von gewöhnlichen Häusern. Im Innern sind die Zimmer sehr groß und hoch, die Treppen von graulichtem Marmor oder wohl auch von Holz, das Stiegenhaus ist einfach. Von schönen Statuen oder Sculpturen in oder außer den Palästen ist nichts zu fehen. - Der Palast des Gouverneurs erscheint, wie gesagt, von außen als ein herrliches Gebäude, das der größten Weltstadt zur Zierde gereichen würde. Er ist in Form eines Hufeisens gebaut, in dessen Mitte sich eine schöne Kuppel erhebt; – der Porticus, wie auch die beiden Seitenflügel ruhen auf vielen Säulen. Die innere Ein- richtung ist fo ungeschickt als möglich. So muß man 3. B. von dem Tanz- in den Speisesaal eine Treppe höher 125 steigen. In diesen beiden Sälen stehen auf den Seiten zwei Reihen von Säulen. Der Fußboden des letzteren ist mit Agra-Marmor getäfelt. Die Säulen und die Wände sind mit feinem, weißem Cement überkleidet, welcher an Glanz dem Marmor gleicht. Die Wohnzim- mer lohnen nicht die Mühe, sie zu besehen; höchstens bieten sie Gelegenheit, den Eintheilungssinn des Bau- meisters zu bewundern, der in dem großen Raume so wenig als möglich geschaffen hat. Weitere sehenswerthe Bauten find: die Townhall, das Hofpital, das Museum, Ochterlony"s Monument, das Münzgebäude, die englische Cathedrale u. f. w. Die Townhall ist groß und schön; die Halle geht durch ein Stockwerk. Es stehen hier einige Monumente von weißem Marmor, die dem Andenken ausgezeichneter Männer neuerer Zeit gewidmet sind. In dieser Halle haben Zusammenkünfte aller Art statt, hier werden alle großen Geschäfte und Unternehmungen besprochen, Kon- zerte, Bälle und Festmahle abgehalten. Das Hofpital besteht aus mehreren kleinen von Wiesenplätzen eingeschloffenen Häusern. Das Ganze ist mit einer Mauer umgeben. „Die Kranken sind der Art abgetheilt, daß die Männer in einem, die Weiber und Kinder in einem zweiten, und die Narren in einem dritten Häus- chen wohnen. Die Säle fand ich groß, luftig und sehr rein gehalten. In dies Spital kommen nur Christen. Das Hofpital für die Eingeborenen ist in derselben Art, nur bedeutend kleiner. Die Kranken wer- den unentgeldlich aufgenommen, und vielen werden auch außerhalb der Anstalt Arzneien gespendet. 126 Das Mufe um, erst im Jahre 1836 gegründet, ist für diese kurze Zeit ziemlich reichhaltig, besonders an vierfüßigen Thieren und Skeletten; nur der Insekten gibt es wenige, und von diesen sind die meisten beschädigt. In einem der Säle steht ein aus Elfenbein fleißig und schön gearbeitetes Modell des berühmten Tatsch in Agra; mehrere Skulpturen und Reliefs liegen umher. Die Fi- guren daran schienen mir sehr plump, die Architektur ist ungleich beffer. – Das Museum ist täglich offen. – Ich ging mehrmals hin und fand zu meinem Erstaunen jeder- zeit mehrere Eingeborne, die alles recht emsig und genau betrachteten. Ochterlony"s Monument ist eine einfache, gemauerte Säule von 165 Fuß Höhe, die, wie ein Aus- rufungszeichen, mitten auf einem leeren, großen Wiesen- platze steht. Sie ist dem Angedenken des Generals Ochter- lony errichtet, der sich als Staatsmann und Krieger gleich rühmlich ausgezeichnet hat. Wer die Mühe des Ersteigens von 222 Stufen nicht scheut, wird durch eine weite Uebersicht über Stadt, Fluß und Umgebung erfreut; letztere ist jedoch sehr einförmig, da sie aus einer end- losen Ebene besteht, die nur vom Horizonte begrenzt wird. Unweit der Säule steht eine gar niedliche Moschee, deren zahllose Thürmchen und Kuppeln mit metallenen, vergoldeten Kugeln geziert sind, die in der Sonne glänzen und flimmern wie die Sterne am Firmamente. – Ein netter Vorhof umgibt die Moschee. Wer sie betreten will, muß sich schon am Eingange des Hofes der Schuhe ent- ledigen. Ich unterzog mich diesem Gesetze, fand aber 127 meine Unterwürfigkeit nicht belohnt, denn ich sah nichts als einen kleinen, leeren Saal, defen Decke auf einigen gemauerten Säulen ruhte. An der Decke und an den Wänden hingen Glaslampen, und der Boden war mit grauem Agra-Marmor getäfelt. Dieser Marmor ist in Calcutta sehr gewöhnlich, da er von Agra auf dem Gan- ges dahin gebracht wird. - Das Münzgebäude präsentiert sich sehr schön. Es ist im reinen griechischen Style gebaut, doch mit der Ausnahme, daß es nicht von allen vier Seiten von Säu- len umgeben ist. – Die innere Einrichtung an Maschine- rieen soll ganz vorzüglich fein und selbst Europa der Art nichts ähnliches aufzuweisen haben. Ich kann darüber nicht urtheilen und bemerke nur, daß alles, was ich sah, mir höchst sinnreich und vollkommen vorkam. Das Me- tall wird durch Hitze erweicht, durch Walzen in Platten verwandelt, die Platten werden in Streifen geschnitten und geprägt. Die Säle, in welchen dies alles vor sich geht, sind groß, hoch und luftig. Der Betrieb geschieht meistens mit Dampfmaschinen. Unter den christlichen Kirchen zeichnet sich vor allen die englische Kathedrale aus. Ihre Bauart ist gothisch, und der schöne Hauptthurm überragt ein halbes Dutzend kleinerer Thürmchen. – Außer dieser Kirche gibt es noch einige andere, ebenfalls mit gothischen Thürmen versehene Im Innern sind die Kirchen alle sehr einfach, mit Aus- nahme der armenischen, in welcher die Wand des Altares mit goldberahmten Bildern überfüllt ist. Das berüchtigte „schwarze Loch, in welches der Raja Suraja Dowla im Jahre 1756, als er Calcutta T128 eroberte, 150 der vornehmsten Gefangenen werfen und da verhungern ließ, ist jetzt in ein Magazin verwandelt. Am Eingange steht ein 50 Fuß hoher Obelisk, auf wel- chem die Namen der Unglücklichen verzeichnet sind. Der botanische Garten liegt fünf englische Meilen von der Stadt entfernt. Er wurde im Jahre 1743 unter Lord Kyd's Anleitung angelegt; gleicht aber mehr einem natürlichen Parke, da er nur wenig Blumen und Pflan- zen, aber desto mehr Bäume und Strauchgewächse enthält, die in gefälliger Unordnung auf großen Wiesenplätzen ver- theilt stehen. Ein niedliches Monument mit der mar- mornen Büste des Gründers, verewigt deffen Andenken. Das sehenswerthefte in diesem Garten sind zwei Bananen- Bäume. Sie gehören zum Geschlechte der Feigenbäume, und erreichen mitunter eine Höhe von 40 Fuß. Die Früchte find ganz klein, rund und von dunkelrother Farbe; sie werden gebrannt und liefern Oel. Wenn der Stamm ungefähr eine Höhe von funfzehn Fuß erreicht hat, breiten sich viele seiner Aefte in horizontaler Richtung nach allen Seiten aus, und an ihren untern Theilen fproffen fadenähnliche Wurzeln oder Geflechte hervor, die sich senkrecht zur Erde neigen und bald fest in dem Boden wurzeln. Wenn sie stark geworden sind treiben sie wie der Hauptstamm dieselben Zweige. Und so geht es immer fort; es ist daher leicht zu begreifen, daß ein einziger Urstamm am Ende einen ganzen Hain bildet, in wel- chem Tausende von Menschen kühlenden Schatten fin- den. Den Hindus ist dieser Baum heilig. Sie setzen dem Gotte Rama Altäre darunter, und der Bramine ver- sammelt hier feine Schüler zum Unterrichte. 129 Der älteste dieser beiden Bäume beschreibt bereits mit feiner Familie einen Umkreis von mehr denn 600 Fuß; der Hauptstamm mißt bei 50 Fuß im Umfange. An den botanischen Garten schließt sich das Bi- fchofs-Collegium an, in welchem die Eingebornen zu Miffionären gebildet werden. Nach dem Palaste des Gou- verneurs ist dies das schönste Gebäude in Calcutta. Es besteht aus zwei Mittel- und drei Flügel-Gebäuden in gothischer Bauart. Eine überaus niedliche Kapelle nimmt eines der Mittelgebäude ein. Die Bibliothek, in einem imposanten Saale aufgestellt, ist sehr reich an den besten Autoren; sie steht der wißbegierigen Jugend zu Gebote, deren Fleiß aber der großartigen Einrichtung nicht zu ent- sprechen scheint, denn als ich einen Folianten aus einem der Büchergestelle nahm, ließ ich ihn augenblicklich aus den Händen fallen und floh an das andere Ende des Saales – ein Schwarm von Bienen stürzte aus dem Büchergestelle auf mich ein. Speisesäle, Wohnzimmer u. f. w. find so reich und bequem eingerichtet, daß man meinen sollte, diese Anstalt … fei für die Söhne der reichsten englischen Familien be- stimmt, die, an Comfort von zartester Jugend gewöhnt, denselben in alle Welttheile zu verpflanzen hätten, – aber nicht für „Arbeiter im Weingarten des Herrn. Ich betrachtete diese kostbare Anstalt mit betrübtem Herzen, um so mehr, da sie für Eingeborne errichtet war. Diese müffen hier erst ihre einfache Lebensweise abstreifen und sich in Ueberfluß und Bequemlichkeit hineinstudieren. Dann sollen sie hinaus in Wildniffe und Wälder, um unter Heiden und Barbaren ihr Lehramt zu beginnen. Pfeiffers Reise II. Th. 9 130 Zu den Sehenswürdigkeiten Calcuttas gehört auch der Garten des Oberrichters, Herrn Lorenz Peel. Er ist für den Botaniker und den Laien gleich interessant und an seltenen Blumen, Pflanzen und Bäumen weit reicher als der botanische Garten. Der großartig und mit wifen- fchaftlichem Sinne angelegte Park, die üppigen Rasenplätze, von Blumen und Pflanzen durchwebt und umsäumt, die krystallklaren Teiche, die dunklen Laubgänge mit Bos- ketten und gigantischen Bäumen bilden ein wahrhaftes Paradies, in dessen Mitte der schöne Palast des benei- denswerthen Eigenthümers steht. Diesem Parke gegenüber in dem großen Dorfe Ali- faughur liegt ein gar bescheidenes Häuschen, aus welchem viel des Guten hervorgeht. Es wird von einem Einge- bornen bewohnt, der die Arzneikunst studiert hat, und ent- hält eine kleine Apotheke. Arzt und Apotheke stehen den Dorfbewohnern unentgeldlich zu Gebote. Diese schöne Stiftung rührt von Lady Julia Cameron, Gattin des ge- fetzgebenden Mitgliedes des Rathes von Indien, Charles Henry Cameron, her. Ich hatte das Vergnügen, diese Dame kennen zu lernen und fand in ihr in jeder Hinsicht eine der ausge- zeichnetsten ihres Geschlechtes. Wo es sich um gute Werke handelt, steht sie gewiß an der Spitze. In den Jahren 1846 und 1847 veranstaltete die Sammlungen für die von der großen Hungersnoth hart heimgesuchten Irlän- der. Sie schrieb zu diesem Zwecke in die fernsten Pro- vinzen Indiens, forderte jeden Engländer auf, sein Schärflein beizutragen und brachte die bedeutende Summe von 80.000 Rupien zusammen. -- 131 Auch im Felde der Wiffenschaften leistet Lady Ca- meron Schönes. Unseres Bürger „Leonoren fand an ihr eine würdige Uebersetzerin. Außerdem ist sie die zärtlichste Gattin und Mutter, lebt nur ihrer Familie, kümmert sich wenig um die Außenwelt und wird deshalb von der großen Menge ein Original genannt. Gäbe es doch nur viele solche Ori- ginale! – Ich hatte keinen Brief an diese liebenswürdige Dame; fie hörte aber zufällig von meinen Reisen und fuchte mich auf. Ueberhaupt fand ich hier wahre Gastfreundschaft – ich wurde in den besten Cirkeln mit. Zuvorkommenheit und Herzlichkeit empfangen, und jedermann bemühte sich, mir gefällig zu fein. Unwillkürlich gedachte ich des öfter- reichischen Ministers in Rio de Janeiro, Grafen Reh- berg, der schon meinte, mich sehr auszuzeichnen, daß er mich zu einem einfachen Male in seine Villa lud. Diese Ehre mußte ich entweder mit einem stundenlangen Gange in der glühenden Sonnenhitze oder mit sechs Milreis (sechs Gulden 42 kr. C. M.) für den Wagen erkaufen. In Calcutta ließ man mich stets im Wagen abholen. Noch viel könnte ich von diesem Herrn Grafen erzählen, defen Benehmen mir fühlen ließ, wie ungeschickt es von mir fei, daß ich nicht einer reichen, aristokratischen Fa- milie entstammte. Anders war der Minister, Herr Ca- meron, anders der Justizminister, Herr Peel, – diese ehrten mich meiner felbst willen, ohne sich um meine Ah- nen zu kümmern. Bei Herrn Peel war während meiner Anwesenheit zu Calcutta ein großes Fest zur Feier feines Geburts- 9 132 tages. Auch ich erhielt eine Einladung, die ich des Putzes wegen nicht annehmen wollte. Man ließ diese Entschul- digung aber nicht gelten, und so kam ich mit Lady Cameron im schlichten, farbigen Muffelinkleide in eine Gesellschaft, in der alle Damen in Atlas und Sammt gekleidet, mit Spitzen und Schmuck überladen waren. Doch schämte sich niemand meiner; im Gegentheile, alle sprachen mit mir und erwiesen mir jede mögliche Ehre. Eine höchst interessante Spazierfahrt für den Frem- den ist die am „Strand, auch „Maytown“ genannt. Diese Straße wird auf einer Seite von den Ufern des Hugly, auf der andern von schönen Wiesenplätzen begrenzt, an deren entgegengesetztem Ende die großartige Straße Chaudrini liegt. In dieser reihen sich Paläste an Pa- läste; sie wird als der schönste Theil Calcuttas betrachtet. Außerdem hat man die Ansicht des Palastes des Gouver- neurs, der Cathedrale, des Ochterlony Monumentes, der schönen Wafferbehälter auf den Wiesenplätzen, des Fort William, das ein prachtvolles Fünfeck bildet und bedeu- tende Außenwerke hat, u. f. w. Alle Abende vor Sonnenuntergang frömt die schöne Welt Calcutta's hieher. Der geldstolze Europäer, der aufgeblasene Baboo (Nabob), der entthronte Raja fahren in schönen europäischen Wagen*), gefolgt von vielen Die- nern in orientalischer Tracht, die theils hinter dem Wa- gen stehen, theils neben demselben laufen. Die Rajas und Baboos find in Gold gestickte Seidenkleider gehüllt, *) Der Zudrang war oft so stark, daß fünf Reihen von Wagen neben einander auf und abfuhren. 133 über welche sie die kostbarsten indischen Shawls werfen. Auf den Wiesen galoppieren Damen und Herren auf eng- lichen Rennern, und daneben ziehen. Schaaren von Ein- gebornen, die unter Lachen und Scherzen von der Arbeit heimkehren. Auch auf dem Hugly herrscht reges Leben; die größten Ostindienfahrer liegen vor Anker, werden ausgeladen oder klar gemacht, und viele Boote fahren fortwährend hin und her. Man hatte mir gesagt, daß das Volk hier sehr an der Elephantiasis leide, und daß man vielen solchen Un- glücklichen mit schrecklich angeschwollenen Füßen begegne. Dem ist aber nicht so. Ich sah hier in fünf Wochen nicht so viele als an einem Tage in Rio de Janeiro. Einst besuchte ich einen reichen Baboo. Man schätzte das Vermögen der Familie, die aus drei Brüdern be- fand, auf 150,000 Pf. Sterl. Der Hausherr empfing mich an dem Thore und geleitete mich in das Empfangs- zimmer. Er war in ein großes Stück weißen Muffelins ge- hüllt, worüber er einen prächtigen indischen Shawl ge- worfen hatte, der dem durchsichtigen Muffelin zu Hülfe kam und den Körper von den Hüften bis an die Füße an- ständig deckte. Einen Theil des Shawls hatte er recht malerisch über eine der Schultern drapiert. Der Empfangsaal war nach europäischer Weise ein- gerichtet. Eine große Spielorgel stand in einer der Ecken, in einer andern ein großer Bücherschrank mit den Werken der vorzüglichsten englischen Dichter und Philo- sophen. Es schien mir jedoch, daß all diese Bücher mehr zur Schau als zum Gebrauche dienten, denn bei Byron's Werken war ein Theil nach oben, der andere nach unten 134 gekehrt, und Young's Nachtgedanken facken dazwischen. Einige Kupferstiche und Gemälde, die nach des guten Baboo Meinung, die Wände zieren sollten, waren weni- ger werth als die sie umgebenden Rahmen. Der reiche Mann ließ seine beiden Söhne kommen – hübsche Jungen von sieben und vier Jahren, die er mir vorstellte. Ich frug, obwohl der Sitte ganz entge- gen, nach feiner Frau und feinen Töchtern. Unser armes Geschlecht steht in der Meinung der Hindus so tief, daß eine Frage nach ihm schon einer halben Beleidigung gleicht. Er nahm es jedoch mit mir Europäerin nicht so frenge und ließ sogleich eine Mädchen kommen. Das jüngste, ein allerliebstes Kindchen von sechs Monaten, war ziemlich weiß und hatte große, schöne Augen, deren Feuer durch die schwarzblauen, feinen Ränder, die um jene gemalt waren, sehr gesteigert wurde. Die älteste Tochter (9 Jahre alt) hatte ein etwas gemeines, plumpes Gesicht. Der Vater *) stellte sie mir als Braut vor und lud mich zur Hochzeit ein, die in sechs Wochen statt haben sollte. Ich war über diese zeitliche Heirath so fehr erstaunt, daß ich fagte, er werde wohl Verlobung und nicht Hochzeit meinen; er versicherte mir aber, daß das Mädchen dem Manne vermählt und ihm über- geben werde. Als ich frug, ob das Mädchen den Bräutigam auch liebe, erfuhr ich, daß beide sich zum ersten Male bei der Hochzeit zu sehen bekämen. Der Baboo erzählte mir weiter, daß sich bei seinem Volke jeder Vater so zeitlich *) Der Mann sprach ziemlich verständlich die englische Sprache. 135 als möglich um einen Schwiegersohn umsehe, da jedes Mädchen heirathen müffe, und zwar je jünger desto ehren- voller, – eine unverheirathete Tochter wäre des Vaters Schande, und man würde ihn für lieblos halten. Hat er einen Schwiegersohn gefunden, so beschreibt er feiner Frau defen geistige und körperliche Beschaffenheit, die Vermögensumstände u. f. w. Sie muß sich mit dieser Beschreibung begnügen, denn sie bekömmt ihren Schwie- gersohn weder als Bräutigam noch als Gemahl ihrer Tochter zu sehen. Er wird nie als zur Familie der Braut gehörend betrachtet, sondern die junge Frau geht in jene des Mannes über. Die männlichen Verwandten ihres Gemahls zu sehen und mit ihnen zu sprechen, ist ihr nicht verwehrt, eben so darf sie vor der männlichen Die- nerschaft im Hause unverschleiert erscheinen; will sie aber ihre Mutter besuchen, so muß sie sich in einem fest ver- schloffenen Palankine dahin tragen laffen. Ich sah auch des Baboo Frau und eine feiner Schwägerinnen. Erstere war 25 Jahre alt und fehr wohl beleibt, letztere zählte 15 Jahre und hatte eine schlanke, liebliche Gestalt. Die Ursache hievon ward mir alsbald erklärt. Die Mädchen, obwohl so jung verheirathet, wer- den selten vor dem 14ten Jahre Mütter und bis dahin be- halten sie gewöhnlich ihre schlanke Gestalt. Nach der ersten Geburt bringen sie sechs oder acht Wochen in ihrem Zimmer wie eingeschloffen zu, machen keine Bewegung und effen reichlich von den leckersten Speisen und Nasch- werken. Diese Mästung schlägt gewöhnlich gut an. Man muß wissen, daß die Hindus wie die Mohamedaner TI R6 nur Geschmack an korpulenten Damen finden. – Unter dem gemeinen Volke sah ich keine derartige Schönheit. Die beiden Frauen waren eben nicht sehr decent ge- kleidet. Große Stücke Muffelin von blauer und weißer Farbe, mit Gold gestickt und mit handbreiten Goldtreffen besetzt, hüllten den Körper sammt dem Kopfe ein. Allein dies zarte Gewebe *) war zu ätherisch und man konnte alle Umriffe des Körpers darunter sehen. Auch fiel der Muffelin, wenn sie einen Arm bewegten, so weit auseinan- der, daß nicht nur der Arm, sondern auch ein Theil der Brust und des Körpers entblößt wurde. Mehr Sorge trugen sie für die Bedeckung des Haares; ihr erstes Be- streben war, stets den Muffelin wieder über den Kopf zu ziehen. So lange die Mädchen sind, dürfen sie ohne Kopf- bedeckung gehen. Sie waren mit Gold, Perlen und Edelsteinen so reich überladen, daß sie wahrlich wie Lastthiere zu tragen hatten. Große Perlen, gemischt mit durchbohrten Edelsteinen, deckten Hals und Brust, dazwischen hingen schwere Goldketten und eingefaßte Goldmünzen. Die Oh- ren, ganz durchstochen, (ich zählte an einer Ohrkante und dem Ohrläppchen 12 Löcher) waren von ähnlichem Schmucke so sehr bedeckt, daß man sie selbst gar nicht herausfinden konnte, – man sah nur Gold, Perlen und Edelsteine. An jedem Arme waren acht bis zehn kostbare, schwere Armbänder angebracht, darunter das Hauptstück vier Zoll breit, von massivem Golde mit 6 Reihen kleiner *) Der feinste und kostbarste Muffelin wird in der Provinz Dacca erzeugt; die Elle kostet 2 auch 2%, Rupien. 137 Brillanten. Man gab es mir in die Hand – es wog gewiß ein halbes Pfund. Um die Lenden hatten sie schwere Goldketten dreimal geschlungen. Auch die Knöchel der Füße waren mit Goldspangen und Ketten umfaßt, die Füße selbst mit Henne rothbraun gefärbt. Die Frauen brachten ihre Schmuckkästchen herbei und zeigten mir noch viel andere Kostbarkeiten. Der Hindu muß in Schmuck, in Gold- und Silbergesticktem Daccaer Muffelin viel verschwenden, da jede reiche Frau die andere darin überbieten will. Die beiden Frauen waren im höchsten Staate; sie hatten meinen Besuch erwartet und wollten sich mir in voller indischer Pracht zeigen. Der Baboo führte mich auch in die innern Gemächer, deren Fenster nach dem Hofe zu lagen. Einige Zimmer waren nur mit Teppichen und Polstern belegt, da der Hindu im allgemeinen Stühle und Betten nicht liebt; in andern standen einige europäische Möbel, als: Tische, Stühle, Schränke, sogar Bettstellen. Mit besonderer Freude wurde mir ein Gläserkasten gezeigt, der Puppen, Wagen, Pferdchen und anderes Spielwerk enthielt, an welchem sich die Kinder und Frauen gar sehr erlustigten; letztere jedoch spielen noch leidenschaftlicher mit Karten. In die Zimmer, deren Fenster nach der Straße gehen, darf keine Frau treten, denn sie könnte aus den gegenüberliegenden Fenstern von einem Manne erblickt werden. Die jugendliche Braut benützte noch ihre Frei- heit: sie hüpfte fchnell vor uns hinein ans offne Fenster, um einen Blick auf die belebten Straßen zu werfen. Die Weiber der reichen Hindus oder der höhern T138 Kasten sind eben so sehr an ihre Wohnungen gefeffelt wie die Chinesinnen. Das einzige Vergnügen, das der strenge Gemahl seiner Gattin von Zeit zu Zeit erlaubt, ist, daß sie sich in einem dicht verschloffenen Palankin zu einer Freundin oder Verwandten begeben darf. Nur während der kurzen Mädchenzeit haben sie ein wenig mehr Freiheit. Ein Hindu kann mehrere Frauen nehmen ; doch sollen davon nur wenige Beispiele vorkommen. Die Verwandten des Mannes wohnen wo möglich in demselben Hause; jede Familie führt jedoch ihren eigenen Haushalt. Die größeren Knaben dürfen mit den Vätern speisen; den Weibern, Töchtern und kleineren Kindern ist es verboten, bei der Mahlzeit der Männer gegenwärtig zu sein. Beide Geschlechter lieben das Tabakrauchen sehr. Das Gefäß, woraus sie rauchen, ist eine Wafferpfeife und heißt Huka. Zu Ende des Besuches wartete man mir mit vielen Süßigkeiten, Früchten, Rosinen u. dgl. auf. Die Sü- ßigkeiten bestanden meist aus Zucker, Mandeln und Fett, schmeckten aber nicht sehr gut, da das Fett zu sehr die Oberhand hatte. Bevor ich das Haus verließ, besah ich noch im un- tern Geschoffe den Saal, in welchem jährlich einmal der häusliche Gottesdienst, Natsch genannt, abgehalten wird. Dieses Fest, das größte der Hindus, fällt zu Anfang des Monats Oktober und währt 14 Tage. Während dieser Zeit verrichtet der reichte wie der ärmste kein Geschäft, keine Arbeit. Der Herr schließt seine Buden und Maga- zine, der Diener schafft Stellvertreter, die er gewöhnlich 139 unter den Mohamedanern findet, und Herr und Diener bringen ihre Zeit, wenn auch nicht immer mit Faften und Beten, so doch gewiß mit Nichtsthun dahin. Der Baboo erzählte mir, daß zu diesem Feste fein Saal reich ausgeschmückt und die zehnarmige Göttin Durga darin aufgestellt werde. Sie ist aus Thon oder Holz ge- formt, mit den grellsten Farben bemalt, mit Gold oder Silberflitter, mit Blumen und Bändern, ja oft gar mit ächtem Schmucke überladen. Im Saale, im Hofe, an der Außenseite des Hauses flimmern zwischen Vasen und Blumenguirlanden Hunderte von Lichtern und Lampen. Viele Thiere werden als Opfer dargebracht, jedoch nicht im Angesichte der Göttin, sondern in irgend einem Winkel des Hauses getödtet. Priester warten der Göttin auf, und Tänzerinnen entfalten vor ihr unter schallender Musik (Tam-tam) ihre Kunst. Priester und Tänzerinnen wer- den sehr hoch bezahlt. Der letzteren gibt es, wie in Europa Elsler's und Taglionis, die gleich diesen große Summen verdienen. Zur Zeit meiner Anwesenheit be- fand sich hier eine persische Tänzerin, die keinen Abend für weniger als 500 Rupien auftrat. – Schwärme von Besuchern, worunter auch viele Europäer, wandern von Tempel zu Tempel. Die vornehmeren Gäste werden mit Süßigkeiten und Früchten bedient. Am letzten Tage des Festes wird die Göttin unter Musik im größtem Pompe nach dem Hugly getragen, auf ein Boot gesetzt, in die Mitte des Stromes gefahren und unter Jubel und Geschrei des am Ufer stehenden entzück- ten Volkes in den Fluß gestürzt. In früheren Zeiten wurde der ächte Schmuck mit der Göttin den Fluthen 40 übergeben, jedoch Nachts von den Priestern wieder sorg- fältig herausgesucht; jetzt ersetzt man am letzten Tage des Festes den echten Schmuck durch einen falschen, oder der, Festgeber bringt ihn während der Ueberfahrt bei Seite. Er muß dies aber mit vieler Vorsicht thun, um von dem Volke nicht bemerkt zu werden. Ein solcher Natsch kömmt oft auf viele tausend Rupien zu stehen und ist eine der bedeutendsten Ausgaben der Reichen und Vornehmen. Die Hochzeiten sollen ebenfalls große Summen kosten. Die Braminen (Priester) machen Beobachtungen in den Sternen, nach welchen sie den glücklichsten Tag, ja sogar die Stunde berechnen, in welcher die Feier abge- halten werden soll. Gewöhnlich wird die Hochzeit noch im letzten Augenblicke um einige Stunden verschoben, da der Priester abermals gerechnet und eine noch glücklichere Stunde herausgefunden hat. Natürlich muß eine solche Entdeckung neuerdings mit Gold aufgewogen werden. Feste zu Ehren der vierarmigen Göttin Kally finden mehrmals im Jahre statt, und zwar besonders in dem Dorfe Kallighat, nahe bei Calcutta. Während meiner Anwesenheit gab es zwei solcher Feste. Da sah man beinahe vor jeder Hütte eine Menge kleiner Götzenbilder, die aus Thon geformt, bunt bemalt waren und die schrecklichsten Gestalten vorstellten. Sie waren zum Verkaufe bestimmt. – Die Göttin Kally, in Lebensgröße, streckte die Zunge so weit als möglich aus dem weit geöffneten Rachen; sie stand entweder vor oder in den Hütten und war mit Blumenkränzen reich be- hangen. - 141 Der Kalytempel ist ein erbärmliches Gebäude oder beffer gesagt: ein finsteres Loch, auf defen kuppelartigem Dächlein einige Thürmchen angebracht sind. Die hier befindliche Statue zeichnete sich besonders durch einen un- geheuren Kopf und eine fürchterlich lange Zunge aus. Ihr Gesicht war hochroth, gelb und himmelblau ange- strichen. – Ich durfte dies. Götterloch nicht betreten, weil ich zum Frauengeschlechte gehörte, welches nicht für würdig geachtet wird, ein so großes Heiligthum wie Kally's Tempel zu besuchen. Ich sah mit den Weibern der Hindus bei der Thüre hinein, womit ich mich voll- kommen begnügte. - Schauerliche und ergreifende Bilder gewähren di Sterbehäuser und Verbrennungsorte der Hindus. Jene, welche ich fah, liegen an dem Ufer des Hugly, nahe der Stadt, – ihnen gegenüber ist der Holzmarkt. Das Sterbehaus war klein und enthielt blos ein Gemach mit vier nackten Bettstellen. Die Sterbenden werden von ihren Verwandten hieher gebracht und entweder auf eine der Bettstellen, oder wenn diese besetzt sind, auf den Bo- den, ja im Nothfalle selbst vor das Häuschen in die glühende Sonnenhitze gelegt. Ich fand fünf Sterbende in dem Häuschen und zwei außer demselben. Letztere waren ganz in Stroh- und Wolldecken gehüllt und ich dachte sie seien schon todt; als ich mich aber darnach er- kundigte, schlug man die Decken auf, und ich sah die Armen sich noch bewegen. Ich glaube, daß sie unter den Decken halb ersticken müffen. Im Häuschen lag ein stein- altes Mütterchen auf dem Boden, das schwer der letzten Stunde entgegen röchelte. Die vier Bettstellen waren ebenfalls besetzt. – Ich bemerkte nicht, daß Mund und Nafe der Sterbenden mit Gangeschlamm angestopft wa- ren; dies mag vielleicht in andern Gegenden Sitte fein. Die Verwandten saßen um die Sterbenden herum und erwarteten still und ruhig deren letzte Athenzüge. Auf meine Frage, ob ihnen nichts gereicht werde, antwortete man mir, daß man ihnen, wenn sie nicht gleich sterben, von Zeit zu Zeit einen Schluck Gangeswaffer gebe, aber immer weniger und in größeren Zwischenräumen, da fie, einmal hieher gebracht, schlechterdings sterben müßten. Nach dem Tode, oft wenn sie kaum erkaltet sind, trägt man sie nach dem Verbrennungsorte, der von der Fahrstraße durch eine Mauer geschieden ist. Dort fah ich einen Todten und einen Sterbenden liegen, und auf sechs Scheiterhaufen sechs Leichen, die von hochauflodernden Flammen verzehrt wurden. Vögel, größer als Truthühner, hier Philosophen*) genannt, kleine Geier und Raben faßen in großer Menge um die Schei- terhaufen herum, auf nahen Dächern und Bäumen und harrten begierig der halbverbrannten Leichen. Mich fchauerte, – ich eilte fort und konnte lange nicht den Ein- druck dieses Bildes aus meinem Gedächtniffe bringen. Bei Reichen kosten diese Verbrennungen oft über 1000 Rupien, da die theuersten Holzgattungen als San- del-, Rosenholz u. a. dazu verwendet werden. Außer- dem hat man zu den Ceremonien einen Braminen, Kla- geweiber und Musik nöthig. Die Gebeine werden nach der Verbrennung gesam- *) Hurgila, eine Art Storch, frißt Leichen und ist an Indiens Flüffen häufig zu sehen. 143 --------- melt, in eine Vase gelegt und entweder vergraben oder in den Ganges oder sonst einem heiligen Fluß gesenkt.– Der nächste Verwandte muß den Scheiterhaufen anzünden. Bei armen Leuten fällt natürlich dies alles weg. Sie verbrennen ihre Todten ganz einfach auf Holz oder Kuhdung, und sind sie so arm, daß sie kein Brennmate- rial kaufen können, so befestigen sie an der Leiche einen Stein und werfen sie in den Fluß. Ich will hier eine kleine Anekdote beifügen, die ich aus dem Munde eines sehr glaubwürdigen Mannes ver- nahm. Sie mag als Beweis dienen, zu welchen Grausam- keiten oft irrige Religionsbegriffe führen. Herr N. befand sich einst auf einer Reise unfern des Ganges und hatte nebst einigen Dienern einen Hund bei fich. Plötzlich war dieser verschwunden und kein Rufen konnte ihn herbei locken. Man fand ihn endlich am Ufer des Ganges an der Seite eines menschlichen Körpers, den er beständig leckte. Herr N. ging hinzu und fand einen zum Sterben ausgesetzten Mann, in welchem noch einige Lebensspur glomm. Er rief seine Leute herbei, ließ dem Armen den Schlamm und Schmutz vom Gesichte waschen, ihn in eine wollene Decke schlagen und pflegen. Nach wenig Tagen war er vollkommen hergestellt. Als ihn nun aber Herr N. entlaffen wollte, bat der Mann flehent- lich, dies nicht zu thun, da er seine Kaste verloren habe, von keinem seiner Verwandten mehr anerkannt würde, mit einem Worte, aus dem Leben gestrichen sei. – Herr N. behielt ihn in seinen Diensten und der Mann befindet sich noch in bester Gesundheit, obwohl sich diese Geschichte schon vor mehreren Jahren zugetragen hat. Die Hindus selbst bekennen, daß durch die Art und 14.1 Weise, wie sie mit den Sterbenden verfahren, mancher Mord stattfindet; allein ihre Religion sagt, wenn der Arzt erklärt habe, daß keine Hülfe mehr sei, so müffe der Kranke sterben. Von den Sitten und Gebräuchen der Hindus lernte ich in Calcutta, außer den bereits beschriebenen, keine weiteren kennen; wohl aber fah ich einiges von den ma- homedanischen Hochzeiten. Am Tage der Hochzeit wird das schön geschmückte Brautbett unter Sang und Klang nach der Wohnung des Bräutigams geschafft. Spät des Abends kömmt die Braut in einem festverschloffenen Pa- lankine unter Musik und Fackelschein und großer Beglei- tung ebenfalls dahin. Viele der Verwandten tragen ganze Pyramiden von Lichtern, und auch das wunderschöne, hellblaue Feuer, bei uns unter dem Namen des „Benga- lischen bekannt, darf dabei nicht fehlen. - Bei der Ankunft am Hause des Bräutigams wird nur dem Brautpaar der Eintritt gestattet; die Begleitung bleibt vor dem Hause und musiziert, schreit und fingt oft bis zum hellen Morgen. Häufig hörte ich die Europäer sagen, daß sie den Zug mit dem Brautbette höchst unanständig fänden. Aber wie das Sprichwort sagt: „Der Mensch sieht den Splitter im Auge des Nächsten, während er den Balken im eigenen nicht gewahrt,“ – so fand ich gerade, daß die Ehen unter den hier lebenden Europäern auf weit un- anständigere Weise geschloffen werden. Bei den Englän- dern darf am Tage der Vermählung, die gegen Abend statt hat, der Bräutigam die Braut erst am Altare fehen, – ein Verstoß dagegen wäre fürchterlich. – Im 145 Falle daß sich das Brautpaar noch etwas zu sagen hätte, muß es zur Feder seine Zuflucht nehmen. Kaum aber ist der priesterliche Segen ausgesprochen, so werden die Neu- vermählten in einen Wagen gepackt und auf acht Tage in irgend einen Gasthof in der Nähe der Stadt geschickt. Hierzu sind gewöhnlich entweder der Gasthof zu Barrakpore oder einige Häuser zu Gardenrich ausersehen. Im Falle daß alle Plätze vergeben wären, was sich nicht selten ereignet, da beinahe alle Hochzeiten in den Monaten No- vember und December geschloffen werden, miethet man Boote mit einem oder zwei Cabinchen, und die jungen Eheleute sind verurtheilt, die ersten acht Tage ganz abge- sperrt von den Ihrigen zu verbringen. Selbst den Aeltern ist der Zutritt zu ihren Kindern untersagt. Ich glaube, daß das Zartgefühl eines Mädchens unter diesen groben Sitten unendlich leiden muß. Wie mag das arme Geschöpferröthen, wenn es die Orte be- tritt, die zu diesen Einsperrungen bestimmt sind, und wie mag jeder Blick, jede lächelnde Miene der Wirths- leute, Aufwärter oder Bootführer es verwunden. - Die guten Deutschen, die leider alles schön finden, was nicht von ihnen ausgeht, ahmen diese Sitte höchst gewiffenhaft nach. Pfeiffers Reise 11. Th. 10 LBS nanres. Abreise von Calcutta. Einfahrt in den Ganges. Rajmahal. Gur. Junghera. Monghyr. Patna. Deinapoor. Gasipoor. Benares. Religion der Hindus. Beschreibung der Stadt. Paläste und Tempel. Die heiligen Stellen. Die heil. Affen. Die Ruinen von Sarnath. Eine Indigo- Pflanzung. Besuch bei dem Raja von Benares. Märtyrer und Fakire. Der indische Bauer. Die Missions-Anstalt. DAm 10. December, nach einem Aufenthalte von mehr denn fünf Wochen, verließ ich Calcutta, um nach Benares zu gehen. Die Reise dahin kann man entweder zu Land, oder zu Waffer auf dem Ganges machen. Zu Land beträgt die Entfernung 470 engl. Meilen, zu Waffer in der Regenzeit 685, in der trockenen Jahreszeit aber 400 Meilen mehr, da man ungeheure Umwege machen muß, um vom Hugly durch die Sunderbunds in den Hauptstrom zu gelangen. Die Reise zu Land macht man in Postpalankinen, von Menschen getragen, die gleich den Pferden alle vier bis sechs Meilen abgelöst werden. Man reist Tag und Nacht, und auf jeder Station find die Menschen schon 147 bereit, da ein Lauf- oder Meldzettel den Reisenden ein bis zwei Tage in vorhinein ankündiget. Bei Nacht gesellt sich noch ein Fackelträger zum Zuge, um durch die Helle der Flamme die wilden Thiere zu verscheuchen. Die Reise- spesen betragen für eine Person ungefähr 200 Rupien. Für das Gepäck wird besonders bezahlt. Die Reise zu Waffer kann man in Dampfbooten machen, deren beinah jede Woche eines bis Allahabad (115 Meilen über Benares) geht. Die Fahrt währt vierzehn bis zwanzig Tage; man kann nämlich, der vielen Sandbänke halber, nur bei Tage weiter kommen, und hat deffen ohngeachtet häufig das Unglück aufzufahren, be- sonders bei niederem Wafferstande. Die Preise bis Benares betragen für den ersten Platz 257 Rup., für den zweiten 216 Rup. Die Kost ohne Getränke wird mit drei Rup. täglich vergütet. Da ich von des Ganges schönen Ufern, von den be- deutenden Städten an demselben so viel gehört hatte, wählte ich die Wafferfahrt. Am 8. Dec. sollte, der Ankündigung gemäß, das Dampfboot „General Macleod, 140 Pferdekraft, unter Kapitän Kellar abgehen. An Bord angelangt erhielt ich die erfreuliche Nachricht einer vierundzwanzigstündigen Verzögerung, die dann noch um vierundzwanzig Stunden verlängert wurde, so daß wir erst am 10ten um eilf Uhr Morgens fortkamen. Die Reise ging den Strom abwärts in die See bis Katscherie. Am folgenden Tage lenkten wir bei Mudpointe in die Sunderbunds ein, in welchen Ge- wäffern wir uns bis Culna umhertrieben. Von da 10 148 benutzten wir den Gurie, einen bedeutenden Nebenfluß des Ganges, der unterhalb Rumpurbolea in den Haupt- from mündet. Die ersten Tage der Reise waren höchst einförmig: man sah weder Städte noch Dörfer, die Ufer blieben ewig flach, und die Gegend war weit und breit mit hohem, dichtem Gebüsch überdeckt, das die Eng- länder Jungles (Dschungels) das ist: „Urwald nennen. Ich konnte da keinen Urwald sehen, denn ich verstehe unter dieser Benennung einen Wald von mächtigen Väumen. Des Nachts hörten wir mitunter einige Tiger brüllen, die in diesen Gegenden ziemlich heimisch sind und sich manchmal sogar über einzelne Eingeborne wagen, wenn sich selbe Abends mit Holzauflesen verspäten. Man wies uns an einem Gesträuche den aufgesteckten Lappen eines Kleides, der zur Erinnerung dienen soll, daß an dieser Stelle ein Eingeborner von einem solchen Thiere zerriffen wurde. Aber nicht nur diese Thiere allein sind des Menschen Feinde, auch der Ganges enthält deren höchst gefährliche – die gefräßigen Crocodile. Zu sechs bis acht sieht man sie häufig sich sonnen am fundigen, schlammigen Ufer oder auf Sandbänken. Sie haben eine Länge von sechs bis fünfzehn Fuß. Bei Annäherung unseres lärmenden Dampfers glitten sie eilig in die schmutzig gelben Fluthen des Stromes. Die Canäle in den Sunderbunds und im Gurie sind oft so schmal, daß man kaum einem Schiffe auszuweichen, vermag, und oft breiten sie sich wieder zu meilenweiten Becken aus. Trotzdem, daß wegen der Sandbänke und Untiefen nur bei Tage gefahren wird, sind größere oder 149 geringere Unglücksfälle nicht selten. Auch wir blieben nicht ganz verschont. In einem der engen Canäle mußte unser Schiff angehalten werden, um ein anderes vorüber- fegeln zu laffen. Bei dieser Gelegenheit stieß eines der beiden Schiffe, die wir im Schlepptau führten, so ge- waltig an unsern Dampfer, daß die Wand einer Cabine eingedrückt wurde,– glücklicherweise ward Niemand dabei beschädiget. / In einem andern Canale lagen zwei Schiffe von Eingebornen vor Anker. Die Leute gewahrten uns etwas spät und waren mit der Hebung des Ankers noch nicht zu Stande gekommen, als wir schon daher brausten. Der Kapitän ließ nicht anhalten, da er noch vorbei zu kommen gedachte, lenkte aber zu fehr ab und fuhr dermaßen in das Gesträuch, daß einige der hölzernen Jalusien der Cabinenfenster als Trophäen, daran hängen blieben. Ueber diesen Unfall entrüstet, sandte er in Eile ein Boot zurück" und ließ den Armen die Anker kappen *). Diese That war doch wieder eines Europäers würdig! – Bei Culna (308 Meilen von der See) fuhren wir in den bedeutenden Nebenfluß des Ganges: Gurie, der unterhalb Rumpurbolea in den Ganges mündet. Hier treten die Jungles zurück, und schöne Reis-, Reps- und andere Pflanzungen nehmen ihre Stelle ein. An Dörfern war kein Mangel; nur waren die Hütten, die meist aus Stroh- oder Palmblättern bestanden, elend und klein. *) Das heißt die Taue abhauen, an welchen die Anker be- festiget find; natürlich find dann die Anker verloren. 15 (!) Unser Dampfer lockte die Bewohner herbei; sie verließen Hütte und Feld und lautes Jubelgeschrei tönte uns überall nach. 15. Dec. Diesen Abend saßen wir zum erstenmal auf einer Sandbank auf, und es kostete uns einige Mühe wieder flott zu werden. -- 16. Dec. Schon gestern hatten wir in den Ganges gelenkt. Heute hielten wir spät des Abends bei dem Dörfchen Commercolly. Die Einwohner brachten Lebens- mittel aller Art herbei, und wir hatten Gelegenheit ihre Preise zu erfahren. Ein schöner Schöps kostete vier Ru- pien, achtzehn junge Hühner eine Rup., ein Fisch von mehreren Pfunden eine Annas (vier Kreuzer); acht Eier eine Annas; zwanzig Apfelsinen, zwei Annas; ein Pfund weißes Brod drei Beis (drei Kreuzer). – Und bei diesen Spottpreisen nahm der Kapitän den Rei- senden täglich drei Rup. für die Kost ab. » Aber wäre sie nur noch gut gewesen! – Einige der Reisenden kauften sich hier Eier, frisches Brod und Apfelsinen, und der Kapitän schämte sich nicht, dergleichen selbstgekaufte Artikel bei seiner theuren Tafel erscheinen zu laffen. 18. Dec. Bealeah, ein bedeutender Ort mit vielen Gefängniffen. Hier ist ein Depositum von Verbrechern*), welche von nah und ferne hieher gebracht werden. Diese Leute müffen nicht so gerne entfliehen wie unsere Europäer, denn ich sah sie ganz leicht gefeffelt, einzeln oder zu meh- reren im Orte und in der Umgebung umher gehen, ohne daß die Aufseher begleiteten. Sie werden gehörig *) Gegenwärtig belief sich die Zahl auf 782. 151 verpflegt und zu leichten Arbeiten verwendet. Eine Pa- pier-Fabrik wird meist von ihnen beschickt. In diesem Orte scheinen die Bewohner zu den sehr fanatischen zu gehören. Ich ging in Gesellschaft eines Reisenden, Herrn Lau, im Städtchen spazieren, und wir wollten in ein Gäßchen einbiegen, in welchem ein kleiner Hindu-Tempel stand. Als die Leute unsere Absicht ge- wahrten, fingen sie ein jämmerliches Geschrei an und drängten sich an uns, so daß wir es für gerathen hielten, unsere Neugierde zu bezähmen und umzukehren. 19. Dec. Heute zeigten sich niedrige Gebirgsketten, Rajmahal-HilIs, die ersten seit Madras. Abends saßen wir ganz fest auf einer Sandbank auf. Wir brachten die Nacht ziemlich ruhig zu; am Morgen wurde aber alles angewandt, uns flott zu machen. Die Schleppschiffe wur- den losgehängt, die Maschinen bis auf den höchsten Grad geheizt, die Matrosen arbeiteten unermüdet, und gegen Mittag – saßen wir noch so fest wie Abends zuvor. Da kam ein Dampfer, von Allahabed nach Calcutta fegelnd, heran. Unser Kapitän zog keine Nothflagge auf, – er war in übelster Laune, von einem Cameraden in dieser Lage gesehen zu werden. Der Kapitän des andern Schiffes bot ihm defen ohngeachtet eine Hülfe an; wurde aber mit kurzen, trockenen Worten abgefertigt. – Erst nach vielen Stunden unsäglicher Mühe gelang es uns, von dem Sande ab in freies Fahrwaffer zu kommen. Im Laufe des Tages berührten wir Radschmahal (Rajmahal) *), ein ausgebreitetes Dorf, das der dichten *) Radschmahal war um das 17. Jahrhundert die Hauptstadt Bengalens. - ", 152 Waldungen, der vielen Sümpfe und Moräfte wegen, die es umgeben, als höchst ungesund geschildert wird. Einst stand hier „Gur, eine der größten Städte Indiens, die zwanzig Quadratmeilen und bei zwei Millionen Einwohner gezählt haben soll. Noch sind, wie neuere Reisende versichern, zahlreiche und ausgezeichnet schöne Ruinen zu finden, darunter die vorzüglichte, die sogenannte „goldene Moschee, ein Prachtgebäude mit Marmor belegt, – die Thore berühmt wegen ihrer großen Bogen und der Festigkeit ihrer Seitenmauern. Da glücklicherweise hier eine Kohlenstation war, gestattete man uns einige Stunden zur freien Verfügung. Die jungen Leute benützten selbe zu einer Jagdpartie, wozu die herrlichen Waldungen, die schönsten die ich bisher in Indien sah, sehr einluden. Man sagte freilich, fie feyen reich belebt von Tigern; das hielt jedoch Nie- manden zurück. Ich meinerseits ging auch auf die Jagd, aber au eine andere: ich durchtrich weit und breit die Waldungen und Sümpfe, um die Ruinen zu suchen. Ich fand sie auch; aber wie wenige! und die wenigen wie erbärmlich! Die ansehnlichsten waren zwei einfache Stadtthore, von Sandsteinen aufgeführt und mit einigen hübschen Sculp- turen verziert, jedoch ohne hohe Wölbungen und ohne Kuppeln. An einem unbedeutenden Tempel mit vier Eck- thürmchen fah ich hin und wieder Stellen mit feinem Mörtel bekleidet. Außerdem lagen noch einige Ruinen oder einzelne Bruchstücke von Gebäuden, Säulen u. f. w. umher; – alle Ruinen zusammen nehmen aber nicht den Flächeninhalt zweier englischen Quadrat-Meilen ein. 153 An dem Saume des Waldes oder einige hundert Schritte weiter darinnen lagen viele Hütten der Einge- bornen, zu welchen die niedlichsten Wege unter dunklen Schattengängen führten. In Bealeah waren die Leute sehr fanatisch, hier die Männer sehr eifersüchtig. Zu Ende meiner Ercursion hatte sich einer der Reisenden zu mir gesellt, und wir strichen nahe den Wohnungen der Leute umher. Sobald die Männer meinen Begleiter gewahrten, schrieen sie alsogleich ihren Weibern zu, in die Hütten zu fliehen. Diese liefen auch rechts und links nach denselben; blieben aber ganz ruhig unter der Thüre stehen, um nns vorüber gehen zu sehen, und vergaßen ganz, ihre Gesichter zu bedecken. In diesen Gegenden gibt es ganze Waldungen von Cocospalmen. Indien ist das eigentliche Vaterland dieses Baumes, der hier eine Höhe von achtzig Fuß erreicht und schon im sechsten Jahre Früchte trägt. In andern Ländern wird er kaum fünfzig Fuß hoch und trägt erst nach zwölf bis fünfzehn Jahren Früchte. Dieser Baum ist vielleicht der nützlichste der Welt: er liefert eine große, nahrhafte Frucht, eine köstliche Milch, große Blätter zur Deckung und Einfaffung der Hütten, die stärksten Taue, das reinste Brennöhl, Matten, gewobene Zeuge, Färbe- stoff und sogar ein Getränk, das Surr, Toddy oder Palmbrantwein genannt und durch Einschnitte in die Krone des Baumes gewonnen wird. Während eines ganzen Monats steigen die Hindus Morgens und Abends bis unter die Krone des Baumes, machen einige Ein- schnitte in den Stamm und hängen Töpfe darunter, um 154 den tröpfelnden Saft aufzufangen. Das Hinaufklettern wird dadurch erleichtert, daß die Rinde sehr wulstig ist. Der Hindu erfaßt mit einer starken Schlinge den Stamm und die Mitte seines eigenen Körpers, mit einer zweiten die Füße, die er gegen den Baum stemmt; er schwingt sich dann in die Höhe und zieht die obere Schlinge mit der Hand, die untere mit den Fußspitzen nach sich. Ich sah die Leute auf diese Art die höchsten Bäume mit Leichtigkeit in höchstens zwei Minuten ersteigen. Um den Leib haben sie einen Riemen geschnallt, an welchem ein Meffer und ein oder zwei Töpfe hängen. Der frisch gewonnene Saft sieht ganz klar aus und schmeckt angenehm süßlich; fängt aber schon nach sechs bis acht Stunden zu gähren an und bekommt dann eine weiß- liche Farbe und einen scharfen, etwas unangenehmen Ge- schmack. Man kann daraus mit Zusatz von Reis starken Arac machen. Ein guter Baum liefert in vierundzwanzig Stunden über zwei Maß solchen Saftes; er trägt jedoch in dem Jahre, in welchem der Toddy gewonnen wird, keine Früchte. 21. Dec. Ungefähr 70 Meilen unterhalb Radsch- mahal kommt man an drei ziemlich steilen Felsen vorüber, die dem Ganges entsteigen. Der größte mag an 60 Fuß Höhe haben; der mittlere, mit einigem Gebüsche be- wachsen, ist der Aufenthalts- Ort eines Fakirs, den gläubige Menschen mit Lebensmitteln versehen. Wir fahen diesen heiligen Mann nicht, da es schon dunkelte, als wir vorüberfuhren. Mehr bedauerten wir, daß wir den botanischen Garten zu Bogulpore, welcher der schönste in Indien sein soll, nicht besuchen konnten; da aber zu 155 Bogulpore keine Kohlenstation war, so wurde auch nicht angehalten. - Der 22. Dec. führte uns an der wundervollen Fels- partie Junghera vorüber, die gleich einer Feeninsel dem majestätischen Ganges entsteigt. Diese Stelle ward in früheren Zeiten als die heiligste im Ganges verehrt. Tausende von Booten und Schiffen durchfurchten stets den schönen Strom, kein Hindu dachte ruhig sterben zu können, ohne hier gewesen zu sein. Viele Fakire trieben da ihr Wesen, stärkten die armen Pilger mit salbungsvollen Reden und nahmen ihnen dafür fromme Gaben ab. Jetzt hat die Gegend ihren Heiligenschein verloren, und die eingehenden milden Gaben genügen kaum, zwei bis drei Fakiren das Leben zu fristen. Abends hielten wir bei Monghyr*), einer ziemlich großen Stadt mit alten Festungswerken. Ein Friedhof mit Monumenten überfüllt, fällt vor allem in die Augen. Die Monumente sind so eigenthümlich, daß, wenn ich deren nicht schon auf den Friedhöfen zu Calcutta gesehen hätte, ich sie nimmermehr einer christlichen Glaubensecte zuge- muthet haben würde. Es gab da Tempel, Pyramiden, mächtige Katafalke, Kioske u. f. w., alle von Ziegeln massiv aufgeführt. Die Größe dieses Friedhofes steht mit der geringen Anzahl der in Monghyr wohnenden Europäer in gar keinem Verhältniffe; allein dieser Ort soll der ungesundeste in ganz Indien sein, so daß ein Europäer, *) Monghyr wird das indische Birmingham genannt, wegen der vielen Stahl- und Waffenfabriken und Mefferschmieden. Bevölkerung bei 30,000 Seelen. - 156 wenn er für mehrere Jahre dahin beordert wird, gewöhn- lich für immer Abschied von den Seinigen nimmt. Fünf Meilen von da gibt es heiße Quellen, die von den Eingebornen für heilig gehalten werden. Die Ansicht der Radschmahal Hills hatten wir schon bei Bogulpore verloren, – eine ununterbrochene Ebene breitete sich wieder auf beiden Seiten des Stromes aus. 24. Dec. Patna“), eine der größten und ältesten Städte Bengalens, mit einer Bevölkerung von ungefähr 300,000*) Seelen, besteht aus einer acht engl. Meilen langen, sehr breiten Straße, in welche viele kurze Gäß- chen einmünden. Die Häuser fand ich meist von Lehm, über alle Maßen klein und erbärmlich. Unter den Vor- dächern derselben sind Waaren und Lebensmittel der ein- fachsten Gattung ausgekramt. Der Theil der Straße, in welchem sich die meisten dieser ärmlichen Lager befinden, wird mit dem stolzen Namen „Bazar 4 belegt. Die wenigen beffern Häuser hätte man ohne große Mühe zählen können; sie waren von Ziegeln gebaut und mit zierlichen, in Holz geschnitzten Galerien und Säulen umgeben. In *) Patna ist die Hauptstadt der Provinz »Bechar,« und war einst seiner vielen Buddha-Tempel wegen sehr berühmt. In der Nähe von Patna lag die berühmteste Stadt des indischen Alterthumes, »Parlibohra.« Patna hat viele Baumwollen - Manufacturen und einige Opium- Fabriken. **) In allen indischen, mahomedanischen, man kann sagen, in allen nicht christlichen Ländern ist es höchst schwierig. die Einwohnerzahl einer Stadt genau anzugeben, da das Volk nichts mehr verabscheuet als ähnliche Zählungen. 157 diesen Häusern mußte man auch die hübschen und kost- baren Waarenlager suchen. Die Tempel der Hindus, die Gauths (Treppen, Hallen, Thorwege) nach dem Ganges versprechen, wie die Moscheen der Mohamedaner, immer von der Ferne unendlich mehr, als sie bei näherer Besichtigung ge- währen. Das einzige sehenswerthe, was ich hier fand, waren einige Mausoleen in Glockenform, wie jene auf Ceylon, zwar nicht kunstvoller, doch bei weitem größer: ihr Umfang mochte wohl zweihundert, ihre Höhe achtzig Fuß überschreiten. Ganz schmale Eingänge mit einfachen Thüren führten ins Innere. Von außen leiteten an zwei Seiten schmale Treppen, einen Halbkreis bil- dend, bis an die Spitze. Man schloß die Thüre nicht auf, und wir mußten uns mit der Versicherung begnügen, daß außer einem einfachen Sarkophage nichts darinnen enthalten fey. Patna ist ein höchst wichtiger Platz für den Opium- handel, dessen Betrieb viele der Eingebornen bereichert. Ihren Reichthum zeigen sie für gewöhnlich weder in Kleidern noch in sonstigem öffentlichen Lurus. Es gibt nur zwei Trachten, die des Bemittelten, der orientalischen ähnlich, und die des ganz Armen, aus einem Tuche be- stehend, das um die Lenden geschlagen wird. Die Hauptstraße der Stadt ist höchst belebt, sowohl von Fahrenden als von Fußgängern. Der Hindu ist, wie der Jude, ein so abgesagter Feind des Gehens, daß er den schlechtesten Platz auf dem erbärmlichsten Karren nicht verachtet. Das gebräuchlichste Fuhrwerk besteht in einem 158 schmalen, hölzernen Karren auf zwei Rädern, der mit vier Pfählen und Querstangen umgeben ist. Diese sind mit farbigem Wollstoff umhangen, und oben schützt eine Art Baldachin gegen die Sonne. Platz ist hier eigentlich nur für zwei Personen; doch sah ich drei bis vier darauf zusammengedrängt. Ich gedachte dabei der Italiener, deren oft so viele in einem Wagen sitzen und stehen, daß nicht einmal die Fußtritte leer bleiben. Diese Karren heißen Baili; sie werden dicht verhängt, wenn Frauen darin fahren. Ich erwartete hier die Straßen von Kamehlen und Elephanten belebt zu sehen, da ich in einigen Beschreibun- gen so viel davon gelesen hatte; ich fah aber nur von Ochsen gezogene Bailis und einzelne Reiter, jedoch weder Kamehle noch Elephanten. Gegen Abend fuhren wir nach Deinapore, das acht engl. Meilen von Palma entfernt ist*). Eine herrliche Poststraße, mit schönen Bäumen besetzt, führt zwischen üppigen Feldern dahin. Deinapore ist eine der größten englischen Militär- stationen und besitzt ausgedehnte Casernen, die beinahe für sich eine Stadt bilden. Die Stadt Deinapore liegt von den Casernen nicht weit entfernt. Unter den Ein- wohnern gibt es viele Mohamedaner, die sich durch Fleiß und Betriebsamkeit vor den Hindus auszeichnen. Ich sah hier in einem außerhalb der Stadt gelegenen *) Ich ließ mich mit zwei Reisenden zu Patna an's Land fetzen und fuhr gegen Abend zu Wagen nach Deinapore, wo unser Dampfer für die Nacht vor Anker ging. T159 Serai*) zum ersten Male auf dem Festlande Indiens Elephanten; es waren acht große, herrliche Thiere. Als wir des Abends auf unser Schiff zurückkehrten, fanden wir da ein Leben wie in einem Lager: alle mög- lichen Artikel waren herbei gebracht und ausgekramt wor- den; besonders, aber thaten sich die Schuster hervor, deren Arbeiten schön und dauerhaft aussahen und dabei merk- würdig billig waren. Ein Paar Männerstiefel z. B. koste- ten anderthalb bis zwei Rup., wurden aber freilich immer um das doppelte angeboten. Ich sah bei dieser Gele- genheit, wie die europäischen Seeleute den Handel mit den Eingebornen betrieben. Einer der Maschinisten wollte ein Paar Schuhe erhandeln und bot den vierten Theil des geforderten Betrags. Der Verkäufer damit nicht einverstan- den, nahm die Waare zurück; allein der Maschinist riß ihm felbe aus der Hand, warf ihm einige Beis über die ge- botene Summe zu und eilte in seine Cabine. Der Schuster lief ihm nach und forderte die Schuhe; statt deren ertheilte man ihm aber einige tüchtige Püffe mit der Drohung, daß er augenblicklich vom Schiff müffe, wenn er sich nicht ruhig verhalte. Halb weinend ging der arme Teufel zu seinem Waarenpacke zurück. Ein anderer Fall ereignete sich an demselben Abend: ein Hindüknabe brachte eine Schachtel für einen der Rei- fenden und bat um eine kleine Gabe für seine Mühe, – man hörte nicht darauf. Der Junge blieb stehen und *) Serai find große, schöne Höfe, mit kleinen Hallen und Kämmerchen umgeben, die den Reisenden aller Nationen zur Benützung offen stehen. T60 erneuerte zeitweise feine Bitte. Da jagte man ihn fort, und als er nicht gleich gehen wollte, gab man ihm Schläge. Zufällig kam der Kapitän herbei und frug, was es gäbe. Der Knabe erzählte schluchzend sein Anliegen und seine Abfertigung, – der Kapitän zuckte die Achseln, und der Knabe wurde aus dem Schiffe gebracht. Wie viel ähnliche und noch ärgere Begebenheiten habe ich nicht gesehen! Wenn uns die sogenannten „barbarischen und heidnischen Völker verabscheuen und haffen, haben sie vollkommen Recht. Wo der Europäer hinkommt, will er nicht belohnen, sondern nur herrschen und gebieten, und gewöhnlich ist feine Herrschaft viel drückender als jene der Eingebornen. 26. Dec. Die Aussetzungen der Sterbenden an den Ufern des Ganges scheinen doch nicht so häufig zu feyn, wie viele Reisende erzählen. Wir fuhren nun schon vier- zehn Tage auf dem Strome, waren an vielen reichbe- völkerten Städten und Ortschaften vorüber gekommen, und erst heute kam mir ein solches Schauspiel zu Gesichte: der Sterbende lag knapp am Waffer, um ihn herum saßen mehrere Menschen, wahrscheinlich eine Verwandten, und harrten seiner Sterbestunde entgegen. Einer schöpfte mit der Hand Waffer oder Schlamm aus dem Fluffe und berührte damit des Sterbenden Nase und Mund. Der Hindu glaubt, daß, wenn er mit dem Mund voll heiligen Waffers am Fluffe selbst stirbt, er ganz gewiß in den Himmel kommt. Die Verwandten oder Freunde bleiben nur bis Sonnenuntergang bei dem Verscheidenden; dann gehen sie heim und überlaffen ihn feinem Schicksale. Ge- wöhnlich wird er die Beute eines Crocodiles. 161 Schwimmende Leichen bekam ich auch nur sehr fel- ten zu Gesichte; auf der ganzen Reise sah ich nicht mehr als zwei. Die meisten Leichen werden verbrannt. 27. Dec. Ghazipur ist ein bedeutender Ort, der sich schon von ferne durch schöne Gauths bemerkbar macht. Hier steht ein artiges Monument, dem Andenken des Grafen von Cornwallis errichtet, der im Jahre 1790 Tippo-Saib besiegte. – In der Nähe ist ein großes Pferdegestüt, welches ausgezeichnet schöne Pferde liefern foll. Am merkwürdigsten aber ist Ghazipur durch seine ungeheuren Rosenfelder und durch das hier bereitete Rosenwaffer und Rosenöl. Letzteres wird auf folgende Art gewonnen: - Auf vierzig Pfund mit dem Kelche versehene Rosen werden sechzig Pfund Waffer gegoffen und über lang- famem Feuer destilliert. Man bekömmt davon dreißig Pfund Rosenwaffer. Mit diesem werden abermals vierzig Pfund frische Rosen überschüttet und davon höchstens zwanzig Pfund Waffer destilliert. Dieses wird sodann in Schüffeln eine Nacht hindurch der kühlen Luft ausgesetzt, worauf man am Morgen das Oel auf der Oberfläche des Waffers geronnen findet und abnimmt. Von achtzig Pfund Rosen (200.000 Stück) soll man höchstens andert- halb Loth Oel erhalten. Ein Loth ächtes Rosenöl kostet zu Ghazipur selbst vierzig Rupien. - - . . ." Am 28. Dec. zehn Uhr Morgens erreichten wir endlich die heilige Stadt Benares. Wir gingen bei Radschgaht vor Anker, wo schon Culli (Träger) und Kamehle bereit standen um uns in Empfang zu nehmen." Ehe ich von dem Ganges scheide, muß ich bemerken, Pfeiffers Reise, 11. Th. 1 l T162 daß ich auf der ganzen Reise von ungefähr tausend Meilen nicht eine einzige Stelle gefunden habe, die sich durch beson- dere Naturschönheit ausgezeichnet oder eine pittoreske An- ficht gewährt hätte. Die Ufer sind flach oder mit zehn bis zwanzig Fuß hohen Erdschichten umsäumt, und mehr land- einwärts wechseln Sandflächen mit Pflanzungen oder aus- getrockneten Wiesenplätzen oder erbärmlichen Dschungels. Städte und Ortschaften sieht man zwar in großer Anzahl; aber einzelne schöne Gebäude und die Gauths ausge- nommen, bieten sie nichts als Hütten und Baraken. Der Strom selbst ist oft in mehrere Arme getheilt, oft wie- der so ausgebreitet, daß er mehr einem See als einem Fluffe gleicht, und daß das Auge kaum die fernen Ufer erblickt. Benares ist die heiligste Stadt Indiens. Sie ist dem Hindu was Mecca dem Mohamedaner, Rom dem Katholiken. Der Glaube des Hindu an ihre Heiligkeit ist so groß, daß nach seiner Meinung jeder Mensch ohne Unterschied der Religion der Seligkeit theilhaftig wird, wenn er vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt ver- weilt hat. Einer der schönsten Züge in der Religion und dem Charakter dieses Volkes ist jene edle Toleranz, die den einseitigen Glauben gar mancher Christen-Secten tief beschämt. Die Zahl der Pilger steigt alljährlich auf 3 bis 400,000, durch deren Verkehr, Opfer und Gaben die Stadt die reichte im Lande wurde. - Es mag hier nicht am unrechten Orte sein, einige - 163 Bemerkungen über die Religion dieses interessanten Volkes . einzuschalten, die ich aus Zimmermanns „Taschenbuch der Reifen entlehne: „Die Grundlage des hindostanischen Glaubens ist: „ein über alles erhabenes Urwesen, eine Unsterblichkeit, „eine Belohnung der Tugend. Die Haupt-Idee von „Gott ist so groß und schön, ihre Moral fo rein und „erhaben, wie man sie bei keinem andern Volke gefun- „den hat.“ „Ihre Glaubenslehre ist: das höchste Wesen an- „beten, seine Schutzgötter anrufen, freundlich gegen feine „Mitmenschen sein, sich der Unglücklichen erbarmen, und „sie unterstützen, geduldig die Beschwerlichkeiten des Le- „bens ertragen, nicht lügen, nicht ehebrechen, die gött- „liche Geschichte lesen und lesend anhören, wenig reden, „fasten, beten, zur bestimmten Zeit sich baden. – Dieß „find die allgemeinen Pflichten, zu welchem die heiligen „Bücher alle Indier ohne Ausnahme irgend eines Stammes „oder einer Zunft insgesammt verbinden.“ „Ihr wahrer, einziger Gott heißt „Brahm, „wohl zu unterscheiden von dem durch ihn geschaffenen „Brahma.“ Er ist das wahre, ewige, felige, unwan- „delbare Licht aller Zeiten und Räume. – Das Böse „wird bestraft, das Gute belohnt.“ „Aus des Unsterblichen Wesen ging die Göttin „Bhavani (d. i. die Natur) und ein Heer von 1180 „Millionen Geister hervor. Unter diesen gibt es drei „Halbgötter oder Obergeister: Brahma, Vifchnu „und Schiwa, die Dreieinigkeit der Hindus, bei ihnen „Trim urti genannt.“ 1 13 T61. " „Unter den Geistern herrschte lange Zeit Eintracht „und Glückseligkeit; aber darauf brach eine Empörung „aus, viele versagten den Gehorsam. Die Rebellen wurden „von der großen Höhe in den Abgrund der Finsterniß „gestürzt. Hierauf erfolgte die Seelenwanderung, jedes „Thier, jede Pflanze war von einem gefallenen Engel be- „feelt; von diesem Glauben schreibt sich die unendliche „Gutmüthigkeit der Hindus gegen die Thiere her. Sie „betrachten sie als ihre Mitbrüder und wollen keines „tödten.“ „In der lautersten, religiösesten Absicht verehrt „der Hindu den großen Zweck der Natur, die Er- „zeugung organisierter Körper. Ihm sind alle dazu „wirkenden Theile verehrungswerth und heilig, und in „dieser Absicht allein beweist er dem Lingam göttliche „Verehrung.“ - „Man dürfte behaupten, daß nur nach und nach „das Abenteuerliche dieser Religion durch Verfälschung „und Unverständlichkeit im Munde des Volkes ein fast „wahnsinniges Gaukelspiel geworden ist." „Es wird hinreichen, die Bilder nur einiger der „vornehmsten Gottheiten anzugeben, um hieraus auf den „jetzigen Zustand ihrer Religion schließen zu können.“ „Brahma als Erschaffer der Welt wird mit „vier Menschenköpfen und acht Händen abgebildet, in der „einen Hand hält er das Gesetzbuch, in den übrigen „andere Sinnbilder. Er wird in keinem Tempel „ (Pagode) verehrt, er verlor dieses Vorrecht seines „Stolzes wegen, er wollte das allerhöchste Wesen er- forschen. Jedoch nach Bereuung feiner Thorheit ward 165 „es ihm zugestanden, daß die Brahminen ihm zu Ehren „eigene feierliche Feste, Poutsché genannt, anstellen „durften. - „Vifchnu als Erhalter der Welt wird in einund- „zwanzig verschiedenen Gestalten dargestellt. Halb Fisch „halb Mensch, als Schildkröte, halb Löwe halb Mensch, „Buddha, Zwerg u. f. w. - Die Gemahlin des Vichnu „wird als die Göttin der Fruchtbarkeit, des Reichthums, „der Schönheit u. f. w. verehrt. Ihr zu Ehren wird die „Kuh heilig gehalten.“ „Schiwa ist der Zerstörer, Rächer, Umwandler, „der Sieger des Todes, er hat daher einen doppelten „Charakter, wohlthuend oder furchtbar, er belohnt und „bestraft. Gewöhnlich wird er gräßlich dargestellt, ganz „von Blitzen umgeben, mit drei Augen, wovon das „größte auf der Stirne ist; nebst dem hat er acht Arme, „in deren jedem er etwas hält.“ „Obwohl diese drei Gottheiten gleich hoch stehen, „so theilt sich die Religion der Hindus doch eigentlich „nur in zwei Seeten, nämlich in die der Vichnu - und „Schiwa-Verehrer. Brahma hat keine eigene Seete, „weil ihm Tempel und Pagoden versagt sind; man „könnte jedoch die ganze Priester-Kaste, die Brahminen, „für seine Verehrer betrachten, da sie behaupten, aus „seinem Kopfe entsprungen zu sein.“ „Die Vishnu-Verehrer haben auf der Stirn oder „Brust ein röthlich oder gelblich gemaltes Zeichen der „Jani. Die Schiwa-Verehrer tragen an der Stirn das „Zeichen des Lingam, oder eines Obelisken, Dreieckes, „oder der Sonne.“ 166 „Unter - Gottheiten werden 333 Millionen ange- „nommen; sie sind die Götter der Elemente, Natur - Er- „fcheinungen, Leidenschaften, Künste, Krankheiten u.fw. „Sie werden in verschiedenen Gestalten und mit allerlei „Attributen dargestellt. „Ferner gibt es Genien, gute und böse Dämone. „Die Zahl der guten übersteigt die schlechten um drei „Millionen. „Auch andere Dinge sind dem Hindu heilig, als: „Flüffe, darunter vorzüglich der Ganges; er soll aus „dem Schweiße des Schiwa entstanden sein. Das Ganges- „Waffer wird so hoch gehalten, daß man viele Meilen „landeinwärts Handel damit treibt." „Von Thieren verehren sie besonders die Kuh, den „Ochsen, Elephanten, Affen, Adler, Schwan, Pfau „und die Schlange. „Von Pflanzen: den Lotos, den Bananien - und „den Mango-Baum. „Eine ganz besondere Verehrung bezeigen die Brah- „minen einem Stein, nach Sonnerat ein Ammonshorn „in Schiefer versteinert. „Höchst merkwürdig ist es, daß in ganz Hindostan „keine Abbildung des höchsten Wesens zu finden ist. „Es scheint ihnen zu groß, sie halten die gesammte Erde „für feinen Tempel und beten es unter allen Ge- nfalten an.“ „Die Anhänger des Schiwa beerdigen ihre Todten, „die andern verbrennen oder werfen sie in den Fluß. TI (57 Wer nur nach Calcutta und nicht weiter kam, kann sich kaum einen richtigen Begriff von Indien machen. Calcutta ist beinahe europäisch geworden. - Die Paläste, die Equipagen sind europäisch, es gibt da Gesellschaften, Bälle, Concerte, Promenaden, beinahe wie in Paris und London, und sähe man nicht den gelbbraunen Ein- gebornen auf der Straße, den Hindu als Diener im Hause, so könnte man wahrlich oft leicht vergeffen, daß man sich in einem fremden Welttheile befindet. Anders ist es in Benares. Da steht der Europäer vereinzelt; fremdartige Sitten und Gebräuche umgeben ihn überall und erinnern ihn bei jedem Schritte, daß er der geduldete Eindringling ist. Benares zählt bei 300.000 Einwohner, worunter kaum 150 Europäer. Die Stadt ist schön, besonders von der Wafferseite aus gesehen, wo man ihre Mängel nicht bemerkt. Pracht- volle Treppen-Reihen, aus koloffalen Steinen gebaut, führen das Ufer hinan zu den Häusern und Palästen, zu den kunstvoll gebauten Stadtthoren. In dem schönen Stadttheile reihen sie sich ununterbrochen aneinander und bilden eine zwei engl. Meilen lange Kette. Diese Trep- pen kosteten unermeßliche Summen, und aus den dazu verwendeten Steinen hätte man eine große Stadt erbauen können. Der schöne Stadttheil enthält sehr viele alterthüm- liche Paläste im maurischen, gothischen oder hindostanischen Style, deren manche eine Höhe bis zu sechs Stockwerken haben. Die Portale sind großartig, die Fronten der Paläste und Häuser mit meisterhaft gearbeiteten Arabesken, Basreliefs und Bildhauerarbeiten bedeckt, die Stockwerke e T168 reich mit schönen Säulengängen, vorspringenden Pfeilern, Veranden, Balkonen und Friesen ausgeschmückt. Nur die Fenster gefielen mir nicht: sie sind niedrig, schmal und felten regelmäßig angebracht. Alle Paläste und Häuser haben sehr breite, geneigte Dächer oder auch nur Teraffen. Unzählige Tempel geben einen Beweis von dem Reichthum und der Religiosität der Einwohner dieser Stadt. Jeder wohlhabende Hindu hat an seinem Hause einen Tempel, d. h. ein Thürmchen erbaut, das oft kaum die Höhe von zwanzig Fuß erreicht. Der Hindu-Tempel besteht eigentlich aus einem dreißig bis sechzig Fuß hohen Thurme ohne Fenster mit einem kleinen Eingange. Er nimmt sich, besonders von der Ferne gesehen, sehr schön und originell aus, da er entweder höchst kunst- und geschmackvoll ausgehauen, oder mit hervorragenden Verzierungen als: Spitzen, kleinen Säulen, Pyramidchen, Blättern, Nischen u. f. w. reich- lich bedeckt ist. Leider gibt es unter diesen schönen Bauten auch viele Ruinen. Der Ganges unterwühlt hin und wieder das Erdreich, und Paläste und Tempel sinken in dem lockern Boden ein, oder stürzen wohl ganz und gar zusammen. Kleine, ärmliche Häuser sind theilweise darauf gebaut, die das schöne Bild der Stadt noch mehr verunzieren als die Ruinen, die selbst als solche noch schön sind. Wenn man mit Sonnenaufgang an den Fluß kommt, sieht man ein Schauspiel, das mit keinem andern in der Welt verglichen werden kann. Der religiöse Hindu kommt hieher um eine Andacht zu verrichten; er steigt in den T69 Fluß, wendet sich gegen die Sonne, begießt sich drei- mal den Kopf mit Waffer, das er mit der Hand geschöpft hat, und murmelt dabei seine Gebete. Bei der großen Bevölkerung, die Benares auch ohne Pilger besitzt, wird man es nicht übertrieben finden, wenn man die tägliche Anzahl der Betenden durchschnittlich auf 50,000 angibt. Viele Brahminen sitzen in kleinen Kiosken oder auf Stein- blöcken auf den Treppen knapp am Waffer, um die Spen- den der Wohlhabenden und Pilger in Empfang zu nehmen und ihnen dagegen die Absolution ihrer Sünden zu ertheilen. Jeder Hindu soll sich des Tages wenigstens einmal, und zwar des Morgens baden; gehört er zu den sehr an- dächtigen, und erlaubt es ihm die Zeit, so verrichtet er dieselbe Ceremonie auch des Abends. – Das weibliche Geschlecht übergießt sich zu Hause mit Waffer. In den Zeiten der Feste, Mela genannt, wo der Zu- drang der Pilger nach Benares unberechenbar ist, sollen die Treppen kaum die Menschenmenge faffen können, und der Strom soll von den Köpfen der Badenden wie mit schwarzen Punkten übersäet sein. Die innere Stadt ist bei weitem nicht so schön als jener Theil, der sich längs des Ganges ausbreitet. Es gibt zwar da auch noch viele Paläste; doch fehlen ihnen die schönen Portale, Säulen, Veranden u. d. m. Viele der Gebäude sind mit feinem Cement überkleidet und andere mit erbärmlichen Fresken bemalt. - Die Straßen sind größtentheils schmutzig, häßlich, und manche darunter so enge, daß man mit einem Pa- lankine gar nicht durchkommen kann. In allen Ecken, beinahe vor jedem Hause steht das Sinnbild des Gottes Schiwa. Von den Tempeln in der Stadt ist der schönste der „Vis vishas : er hat zwei durch Säulengänge ver- bundene Thürme, deren Spitzen mit Goldplatten belegt sind. Eine Mauer umgibt den Tempel. Wir durften den Vorhof betreten und bis an die Eingangshüren gehen. Darinnen sahen wir einige Sinnbilder des Vichnu und Schiwa, die mit Blumen bekränzt und mit Fruchtkörnern von Reis, Waizen u. dgl. überstreut waren. In den Vorhallen fanden kleine Stiere von Metall oder Stein, und lebende weiße Stiere (ich zählte deren acht) gingen frei umher. Diese Letzteren werden für heilig geachtet und dürfen sich ungehindert überall hinbegeben, ja es ist ihnen sogar nicht verwehrt, ihren Hunger mit den geopferten Blumen und Frucht- körnern zu stillen. Dergleichen heilige Thiere verweilen nicht nur in den Tempeln, sie gehen auch in den Straßen umher. Die Leute weichen ihnen ehrerbietig aus und werfen ihnen mitunter auch Futter zu; doch laffen sie selbe nicht, wie einst, von dem zum Kaufe ausgestellten Getreide naschen. – Wenn einer der heiligen Stiere stirbt, so wird er in den Fluß geworfen oder verbrannt; er genießt hierinnen gleiche Ehre mit den Hindus. In dem Tempel befanden sich Männer und Weiber, die Blumen gebracht hatten, mit welchen sie die Sinnbilder schmückten und bekränzten. Manche legten auch ein Stück Geld unter die Blumen. Sie spritzten Gangeswaffer über 171 Sinnbilder und Blumen und freuten Reis - und andere Getreide - Körner darüber aus. Nahe am Tempel Visvishas befinden sich die heilig- ften Stellen der Stadt, der sogenannte „heilige Brun- nen, und die „Man karnika, ein großes Waffer- becken. Von ersterem erzählt man folgendes: Als die Engländer Benares erobert hatten, pflanzten fie vor dem Eingange eines Tempels eine Kanone auf, um den Gott Mahadeo zu zerstören. Die Brahminen, darüber ganz entrüstet, suchten das Volk aufzuwiegeln, das auch wirklich in zahlreichen Haufen zu dem Tempel eilte. Die Engländer, um jeden Streit zu verhüten, sagten zu dem Volke: „Wenn euer Gott stärker ist als „der Christen Gott, so wird ihm die Kugel nichts an- „haben; im andern Falle aber wird er zerschmettert nieder- „stürzen. – Natürlich hatte letzteres statt. „Die Brah- minen gaben aber ihre Sache nicht verloren und erklärten, daß sie gesehen hätten, wie vor dem Schuffe der Geist ihres Gottes das Steinbild verlaffen und sich in den nahen Brunnen gestürzt habe. – Von dieser Zeit an wird der Brunnen als heilig betrachtet. Die Mankar nika ist ein tiefes, mit Steinen ausgelegtes Wafferbecken von vielleicht sechzig Fuß Breite und Länge; breite Treppen führen von den vier Seiten zum Waffer. Man erzählt hier eine ähnliche Geschichte von dem Gotte Schiwa. Beide Götter, der eine hier wie der andere in dem Brunnen, halten sich noch heutigen Tages da auf. Jeder Pilger, der Benares besucht, muß sich bei seiner Ankunft in diesem heiligen Teiche baden und dafür eine kleine Gabe entrichten. Zum Empfange der Gaben sind stets einige Brahminen anwesend. Sie unterscheiden sich in ihrer Kleidertracht durchaus nicht von den etwas Wohlhabenderen unter dem Volke; nur ihre Hautfarbe ist heller und mehrere unter ihnen hatten sehr edle Gesichtszüge. - Fünfzig Schritte von diesem Teiche, am Ufer des Ganges, steht ein ausgezeichnet schöner Hindu-Tempel mit drei Thürmen. Leider gab vor wenigen Jahren das Erdreich nach, und die Thürme wurden aus ihrer Stellung gebracht; der eine neigt sich links, der andere rechts und der dritte ist beinahe in dem Ganges versunken. Unter den übrigen tausend und tausend Tempeln und Tempelchen gibt es zwar hin und wieder einige, die der Mühe lohnen, im Vorübergehen gesehen zu werden; doch würde ich Niemanden rathen, ihrethalben große Umwege zu machen. Der Verbrennungsplatz für die Todten ist ebenfalls ganz nahe am heiligen Teiche. Als wir dahin kamen, röstete man gerade einige Verstorbene, – anders kann man die Art und Weise der Verbrennung nicht nennen: die Feuer waren so klein, daß die Körper von allen Seiten darüber hinaus ragten. Unter den übrigen Bauten verdient vor allem die Moschee „Aurang - Zeb die Aufmerksamkeit des Reisenden. Sie ist ihrer beiden Minarete wegen berühmt, die, an 150 Fuß hoch, die schlanksten in der Welt sein sollen. Sie gleichen zweien Nadeln und verdienen diesen Namen gewiß eher als jene der Cleopatra zu Alexandria in Egypten. – Schmale Wendeltreppen im Innern führen bis an die Spitze, auf welcher eine kleine Plattform 173 mit einem fußhohen Geländer angebracht ist. Glücklich wer dem Schwindel nicht unterworfen ist! Er kann da hinaustreten und das unendliche Häusermeer mit den zahl- losen Hindu-Tempeln in Vogelperspective überschauen. Auch der Ganges mit feinem meilenlangen Treppenquais liegt aufgedeckt zu den Füßen. An recht heiteren, klaren Tagen soll man sogar einer fernen Hügelkette ansichtig werden, – der Tag war schön und heiter; aber die Hügelkette konnte ich nicht erblicken. Ein höchst merkwürdiger und kunstvoller Bau ist das Ob- fervatorium, welches Dfcheifing unter dem geistvollen Kaiser Akbar vor mehr denn zweihundert Jahren baute. Man findet da keine gewöhnlichen Fernröhre und Teles- kope, sondern alle Instrumente sind aus massiven Qua- der feinen kunstvoll zusammengefügt. Auf einer erhöhten Terraffe, zu welcher steinerne Treppen führen, stehen zirkel- runde Tafeln, halb- und viertelzirkelförmige Bogen u.fw., die voll Zeichen, Schriften und Linien sind. Mit diesen In- strumenten machten und machen noch heut zu Tage die Brah- minen ihre Beobachtungen und Berechnungen in den Ge- firnen. – Auch jetzt trafen wir mehrere Brahminen eifrig mit Berechnungen und schriftlichen Aufsätzen beschäftigt. Benares ist überhaupt auch der Hauptsitz der indi- fchen Gelehrsamkeit. Unter den Brahminen, sechstausend an der Zahl, soll es viele geben, die Unterricht in der Astronomie, in der Sanskrit-Sprache und in andern wiffenschaftlichen Gegenständen ertheilen. Eine andere Merkwürdigkeit von Benares sind die heiligen Affen, die ihren Hauptsitz auf einigen ungeheuren Mango-Bäumen in der Vorstadt Durgakund haben. Als 174 wir unter den Bäumen anlangten, mochten die Thiere wohl ahnen, daß wir uns ihretwegen da eingefunden hatten, denn sie kamen ganz unbesorgt in unsere Nähe; aber als der Diener, den wir um Futter für sie geschickt hatten, zurückkehrte, ihnen zurief und sie höflicht zum Fraße einlud, da mußte man erst sehen, wie das lustige Völklein von Dächern und Bäumen, aus Häusern und Gaffen gerannt und gesprungen kam. In einem Augen- blicke waren wir in engem Kreise von einigen Hunderten umschlossen, die sich auf die possierlichste Weise um die ihnen vorgeworfenen Früchte und Körner balgten. Der größte oder älteste unter ihnen spielte den Commandanten; wo Streit und Hader war, sprang er hin, theilte Klapse aus, drohte mit den Zähnen und gab murrende Laute von sich, worauf die Zänker auch jedesmal gleich ausein- ander sprangen – es war die größte und possierlichste Affengesellschaft, die ich je gesehen. – Die Affen waren über zwei Fuß hoch und von schmutziggelblicher Farbe. Eines Tages führte mich mein gütiger Wirth, Herr Luitpold *) nach Sarnath (fünf engl. Meilen von Benares), wo man einige interessante Ruinen, drei un- geheure massive Thürme findet. Sie sind nicht von sehr be- deutender Höhe und liegen auf drei künstlich aufgemauerten Hügeln, deren jeder eine Meile von dem andern entfernt ist. Hügel und Thürme sind von großen Ziegeln aufge- führt. Der größte dieser Thürme ist noch jetzt an vielen *) Herr L., ein Deutscher, nahm mich hier fehr gastfreund- lich auf. Er und seine liebenswürdige Gemahlin erwiesen mir alle nur möglichen Gefälligkeiten und Aufmerksam- keiten, wofür ich ihnen stets dankbar verbleibe. 175 Stellen mit Steinplatten überkleidet, an welchen man hin und wieder Spuren schöner Arabesken entdeckt. Viele Steinplatten liegen als Ruinen am Boden umher. An den beiden andern Thürmen findet man keine Spur einer derlei Ueberkleidung. In jedem Thurme ist eine kleine Thüre und ein einziges Gemach *). Das englische Gouvernement ließ in jedem Hügel einen Eingang bis unter den Thurm durchbrechen, in der Hoffnung, Entdeckungen zu machen, die einige Aufklärung über diese Bauten geben sollten; man fand aber nichts als ein leeres unterirdisches Gewölbe. An einem dieser Thürme breitet sich ein See aus, der durch Ausgrabung des Erdreiches künstlich geschaffen ist und durch einen Canal von dem Ganges mit Waffer versehen wird. Von diesen Thürmen und von dem See gibt die Sage eine sehr wahrscheinliche Geschichte an: „In den Zeiten des grauen Alterthumes regierten hier drei Brüder, drei Riefen, welche diese Bauten aufführen und den See aus- graben ließen, und zwar geschah dies alles an einem Tage. Man muß jedoch wissen, daß ein Tag jener Zeit nach unserer gegenwärtigen Rechnung zwei Jahre betrug. Die Riesen waren so groß (was die kleinen Thürme und Gemächer sehr wahrscheinlich machen), daß sie mit einem Schritte von einem Thurm zum andern gelangen konnten, und sie bauten selbe fo nahe, weil sie sich ungemein liebten und jeden Augenblick zu sehen wünschten. *) Manche halten diese Thürme für Buddhisten-Tempel; – die Höhe beträgt bei 70 – der Umfang bei 150 Fuß. 176 Nicht minder interessant als diese Thürme und ihre merkwürdige Geschichte waren mir einige in der Nähe angelegte Indigopflanzungen, die ersten die ich zu sehen bekam. Die Indigopflanze ist ein strauchartiges Gewächs von ein bis drei Fuß Höhe, mit blaugrünen zarten Blätt- chen. Die Ernte fällt gewöhnlich in den Monat August; die Pflanze wird ziemlich tief am Hauptstamme abge- fchnitten, in Bündel zusammen gebunden und in große hölzerne Tonnen gegeben. Man legt Breter darauf, die man mit großen Steinen beschwert und schüttet Waffer darüber; nach sechzehn Stunden, oft auch erst in einigen Tagen, je nach Beschaffenheit des Waffers, fängt das Ding an zu gähren. In diesem Gährungsprozeffe besteht die Hauptschwierigkeit, und alles kommt darauf an, ihn nicht zu kurz oder zu lange währen zu laffen. Wenn das Waffer eine dunkelgrüne Farbe hat, wird es in andere hölzerne Kübel abgeleitet, mit Kalk versetzt und mit hölzernen Schaufeln so lange gemischt, bis sich ein blauer Satz vom Waffer scheidet. Hierauf läßt man die Maffe sich setzen und das Waffer davon ablaufen; die zurück- bleibende Substanz, d. i. der Indigo, wird in lange leinene Beutel gegeben, durch welche die Feuchtigkeit gänzlich durchsickert. Sobald der Indigo trocken und er- härtet ist, wird er in Stücke gebrochen und verpackt. Kurz vor meiner Abreise hatte ich durch die Ver- mittlung meines Reisegefährten, Herrn Lau, das Ver- gnügen, dem Rajah (Prinz) von Benares vorgestellt zu werden. Er wohnt in der Citadelle Ramnaghur, die am linken Ufer des Ganges oberhalb der Stadt liegt. T77 An dem Ufer des Ganges erwartete uns ein herrlich geschmücktes Boot, am jenseitigen Ufer ein Palankin. Bald befanden wir uns am Eingange des Palastes, dessen Thorweg hoch und majestätisch ist. Ich hoffte im In- nern durch den Anblick großer Höfe, schöner Bauten über- rascht zu werden, sah aber nur unregelmäßige Höfe und kleine unsymmetrische Gebäude ohne allen Geschmack und Lurus. In einem der Höfe befand sich zu ebener Erde eine einfache Säulenhalle, welche als Empfangssaal diente. Diese Halle war mit europäischen Möbeln, mit Glas- lustres und Lampen ganz überfüllt, an den Wänden hingen erbärmliche Bildchen in Glas und Rahmen. Im Hofe wimmelte es von Dienerschaft, die uns mit großer Auf- merksamkeit betrachtete. Nun erschien der Prinz in Be- gleitung seines Bruders, einiger Gesellschafter und Diener ; letztere waren von den Gesellschaftern kaum zu unterscheiden. Die beiden Prinzen waren sehr reich gekleidet; sie hatten weite Hosen, lange Unter- und kurze Ober-Kleider, alles von golddurchwirktem Atlas. Der Aeltere (35 Jahre alt) trug ein golddurchwirktes Seidenkäppchen, dessen Rand mit Diamanten besetzt war, an den Fingern hatte er einige große Brillant-Ringe, seine seidenen Schuhe waren mit schönen Goldstickereien überdeckt. Sein Bruder ein Jüngling von neunzehn Jahren, den er an Kindes statt angenommen hatte*), trug einen weißen Turban mit, *) Wenn einem Hindu kein Knabe geboren wird, nimmt er einen aus der Verwandtschaft an Kindes statt an, damit dieser bei dem Leichenbegängniffe des Adoptiv-Vaters die Pflichten eines Sohnes erfüllt. Pfeiffers Reise 11. Th. 12 78 einer kostbaren Agraffe von Diamanten und Perlen, an den Ohren hatte er große Perlen hängen und um die Handgelenke reiche, schwere Armbänder. Der ältere Prinz war ein schöner Mann mit überaus gutmüthigen und auch geistvollen Gesichtszügen; der jüngere gefiel mir bei weitem weniger. Kaum hatten wir Platz genommen, als man große, silberne Becken mit zierlich gearbeiteten Nargilehs brachte und uns zu rauchen einlud. Wir dankten für diesen Hochgenuß und der Prinz rauchte allein; er machte aus ein und demselben Nargileh immer nur einige Züge, hierauf ersetzte ein anderes, schöneres, das so eben gebrauchte. Das Benehmen des Prinzen war voll Anstand und Lebhaftigkeit, – schade, daß wir nur mittelst eines Dolmetschers mit ihm verkehren konnten. Er ließ mich fragen, ob ich schon einen Natsch (Festtanz) gesehen habe. Auf meine verneinende Antwort ertheilte er sogleich den Befehl, einen solchen aufzuführen. Nach einer halben Stunde erschienen zwei Tänzerin- nen (Devedassi) und drei Musikanten. Die Tänzerinnen waren in bunten, goldgestickten Muffelin gekleidet, hatten seidene, golddurchwirkte, weite Beinkleider an, die bis an den Boden reichten und die unbeschuhten Füße ganz überdeckten. Von den Musikanten wirbelte der eine auf zwei kleinen Trommeln, die beiden andern strichen vier- faitige, unsern Violinen ähnliche Instrumente. Sie fanden knapp hinter den Tänzerinnen und spielten ohne Melodie und Harmonie; die Tänzerinnen machten dabei fehr lebhafte Bewegungen mit den Armen, Händen und 179 Fingern, weniger mit den Füßen – an letztern trugen sie silberne Schellen, die sie zeitweise ertönen ließen. Mit den Oberkleidern machten sie schöne, graziöse Drapierun- gen und Figuren. Diese Aufführung währte ungefähr eine Viertelstunde, worauf sie den Tanz mit Gesang be- gleiteten. Die beiden Sylphiden kreischten so erbärmlich, daß mir für mein Gehör und Nervensystem bange wurde. - Während der Aufführung wurden uns Süßigkeiten, Früchte und Sherbet (ein kühlendes, süßsäuerliches Ge- tränk) geboten. Nach Beendigung des Tanzes ließ mich der Prinz fragen, ob ich einen Garten zu besuchen wünschte, der eine Meile vom Palaste entfernt läge. Ich war so in- diskret, auch diesen Antrag anzunehmen. In Begleitung des jungen Prinzen begaben wir uns auf den Vorplatz des Palastes, wo schön geschmückte Ele- phanten bereit standen. Des älteren Prinzen Leib-Ele- phant, ein Thier von seltener Größe und Schönheit, war für mich und Herrn Lau bestimmt. Eine scharlachrothe Decke mit Quasten, Fransen und golddurchwirkten Bor- ten überdeckte beinahe das ganze Thier. Auf dem breiten Rücken war ein bequemer Sitz angebracht, den ich mit einem Phaeton ohne Räder vergleichen möchte. Der Elephant mußte sich zur Erde legen, eine bequeme Stufen- leiter wurde angelehnt und Herr Lau und ich nahmen auf dem Unthiere Platz. Hinter uns saß ein Diener, der einen ungeheuer großen Sonnenschirm über unsere Häupter hielt. Der Treiber saß auf dem Halle des Thieres, und - 12 k. T180 fach dieses mit einem spitzigen Eisenstabe zeitweise zwi- fchen die Ohren. Der junge Prinz, feine Gesellschafter und Diener verheilten sich auf die andern Elephanten. Einige Offi- riere zu Pferde ritten uns zur Seite, zwei Soldaten mit gezogenem Säbel liefen dem Zuge voran, um Platz zum schaffen, und mehr denn ein Dutzend Soldaten zu Fuß, ebenfalls mit gezogenem Säbel, umgaben uns; einige reitende Soldaten schloffen den Zug. Obwohl die Bewegung des Elephanten eben so er- schütternd und unangenehm ist wie jene des Kamehles, so machte mir diese ächt indische Partie dennoch eine unge- meine Freude. - An Ort und Stelle angekommen, schien des jungen Prinzen stolzer Blick uns zu fragen, ob wir über die Pracht des Gartens nicht höchst entzückt wären. Unser Entzücken war leider nur ein erheucheltes, denn der Gar- ten war gar zu einfach um viel Lob zu verdienen. – Im Hintergrunde des Gartens fand ein etwas ruinen- hafter königlicher Sommerpalast. Als wir den Garten verlaffen wollten, brachten uns die Gärtner schön gebundene Blumensträußchen und köst- liche Früchte, – eine in ganz Indien übliche Sitte. Außerhalb des Gartens liegt ein sehr großes Waffer- becken, mit schönen Quadersteinen ausgelegt, breite Trep- pen führen zu dem Waffer, und an den Ecken stehen herrliche Kioske mit ziemlich gut gearbeiteten Reliefs. Der Rajah von Benares erhält von der englischen Regierung eine jährliche Pension von ein Lak, das ist 100.000 Rup. Eben so viel soll er von feinen Ländereien 181 beziehen und defen ohngeachtet ganz verschuldet sein. Die Ursachen davon sind: der große Lurus in Klei- dern und Schmuck, die vielen Frauen, die zahllose Dienerschaft, die Menge von Pferden, Kamehlen und Elephanten u. fw. Man erzählte mir, daß dieser Prinz vierzig Frauen, bei tausend Diener und Soldaten, hun- dert Pferde, fünfzig Kamehle und zwanzig Elephanten besitze. – Am folgenden Morgen ließ sich der Rajah erkundi- gen, wie mir der Ausflug bekommen sei, und fandte mir bei dieser Gelegenheit Backwerk, Süßigkeiten und die auserlesensten Früchte, darunter Weintrauben und Granat- äpfel, die in dieser Jahres eit unter die Seltenheiten gehören, – sie kommen von Kabul, das bei sieben- hundert engl. Meilen von hier entfernt ist. Schließlich muß ich noch bemerken, daß in dem Palaste, welchen der Rajah bewohnt, schon seit vielen Jahren kein Mensch gestorben ist. Die Ursache hier- von soll folgende sein: „Einer der Beherrscher dieses Palastes frug einst einen Brahminen, was aus der Seele desjenigen würde, der im Palaste stürbe. Der Brah- mine antwortete, sie käme ins Himmelreich. Neunund- neunzigmal wiederholte der Rajah dieselbe Frage und erhielt immer dieselbe Antwort. Als er aber zum hun- dertsten Male frug, da verlor der Brahmine die Geduld und antwortete, sie würde in einen Esel fahren.“ – Seit jener Zeit flieht Jedermann, vom Prinzen bis zum geringsten Diener, den Palast, sobald er sich unwohl fühlt. Keiner will nach dem Tode die Rolle fortspielen, 182 die er in diesem Leben vielleicht oft schon so meisterhaft begonnen hat. Ich hatte in Benares zweimal Gelegenheit, soge- nannte Märtyrer unter den Fakiren (eine Priesterseete der Hindus) zu sehen. Diese Märtyrer legen sich die mannigfaltigsten Qualen auf: die laffen sich z. B. einen eisernen Hacken durch das Fleisch stechen und bis zu einer Höhe von zwanzig bis fünfundzwanzig Fuß aufziehen; sie stehen mehrere Stunden des Tages auf einem Beine und strecken die Arme dabei in die Lüfte oder sie halten in verschiedenen Stellungen schwere Lasten oder drehen sich stundenlang im Kreise, zerfleischen ihren Körper u.fw. Oft quälen sie sich dermaßen, daß sie dem Tod bald erliegen. Diese Märtyrer werden vom Volke noch so ziemlich ver- ehrt; jedoch gibt es heut zu Tage nur wenige mehr. Einer von den beiden, die ich sah, hielt eine schwere Hacke über den Kopf und hatte dabei die gebückte Stellung eines Arbeiters angenommen, der Holz spaltet. Ich beobachtete ihn über eine Viertelstunde, er verharrte in der gleichen Stellung so fest und ruhig, wie wenn er in Stein verwandelt gewesen wäre, – er mochte wohl schon jahrelang diese nützliche Beschäftigung geübt haben. – Der andere hielt die Fußspitze an die Nase. Eine andere Seite dieser Fakire legt sich die Buße auf, wenig und nur die ekelhafteste Nahrung zu ge- nießen: Fleisch von gefallenem Vieh, halbverfaulte Ve- getabilien, Unrath jeder Art, ja sogar Schlamm und Erde; sie sagen, es sei ganz gleich, mit was man den Magen stopfe. Die Fakire gehen alle so viel wie ganz entblößt, 183 bestreichen ihren Körper mit Kuhdung, das Gesicht nicht ausgenommen, und überstreuen sich dann mit Asche ; Brust und Stirne bemalen sie mit den Sinnbildern des Schiwa und Vichnu, die struppigen Haare färben sie dunkelrohbraun. Man kann nicht leicht etwas häßlicheres und widerlicheres sehen als diese Priester. Sie gehen in allen Straßen umher und predigen überall und was ihnen einfällt; sie stehen aber bei weitem nicht in der Achtung wie die Märtyrer. Einer der Herren, die ich in Benares kennen lernte, war so gütig, mir einige Bemerkungen über die Verhält- niffe des Bauers zu der Regierung mitzutheilen. Der Bauer hat keinen Grundbesitz, er ist nur Pächter. Alles Land gehört entweder der englischen Regierung, der ost- indischen Compagnie oder den eingebornen Fürsten. Die Länder werden im Großen verpachtet, die Hauptpächter zerstückeln sie in kleine Partien und überlaffen diese dem Bauer. Das Schicksal des letzteren hängt gänzlich von der Güte oder Härte des Oberpächters ab. Dieser macht die Preise des Pachtschillings; er fordert die Summe oft zu einer Zeit, wo die Frucht noch nicht geerndtet ist und der Bauer nicht zahlen kann; der Arme ist dann gezwungen, um den halben Preis die ungereifte Saat auf dem Felde zu verkaufen, die der Pächter gewöhnlich unter dem Namen eines andern an sich zu bringen weiß. Dem un- glücklichen Bauer bleibt oft kaum so viel, um sich und den Seinigen das Leben zu fristen. Gesetze un Richter gibt es freilich im Lande, und T84 wie ich überall sagen hörte, sollen die Gesetze gut, die Richter gerecht sein; aber eine andere Frage ist, ob der Arme auch immer bis zu dem Richter gelangt. Die Di- strikte sind groß, der Bauer kann nicht eine Reise von fiebzig bis achtzig oder noch mehr Meilen unternehmen. Und selbst wenn er in der Nähe wohnt, dringt er nicht immer bis zu des Richters Stuhl. Der Geschäfte sind so viele, daß der Richter selbst sich nicht mit allen Einzeln- heiten befaffen kann; und gewöhnlich ist er der einzige Europäer im Amte, – das übrige Personale besteht aus Hindus und Mohamedanern, deren Charakter – eine traurige Wahrheit – immer schlechter wird, je mehr sie mit Europäern verkehren oder in Verbindung stehen. Wenn daher der Bauer der Gerichtshalle naht, ohne eine Gabe zu bringen, wird er gewöhnlich abgewiesen, feine Schrift oder Klage wird nicht angenommen, nicht ange- hört; – und wo soll der von dem Pächter Ausgesogene die Gabe hernehmen? Der Bauer weiß und kennt dies, er geht daher selten klagen. - Ein Engländer (leider entfiel mir ein Name), der Indien wissenschaftlich bereist hat, bewies, daß die Bauern jetzt mehr zu leisten haben als früher unter ihren einge- bornen Fürsten. Auch hier in Indien unter der sogenannten „frei- finnigen englischen Regierung kam ich zur traurigen Ueberzeugung, daß die Lage des Sclaven in Brasilien beffer ist als die des freien Bauers hier. Der Sclave dort hat für keine Bedürfniffe zu sorgen, auch wird ihm nie zu viel Arbeit aufgebürdet, da der Nutzen des Herrn darunter am meisten leiden würde, denn ein Sclave kostet 185 sieben bis achthundert Gulden und der Vortheil des Eigen- thümers erfordert es daher, ihn gut zu behandeln, um ihn lange zu erhalten. Daß es Fälle gibt, in welchen der Sclave tyrannisch behandelt wird, ist nicht zu leugnen; doch ereignet sich dies äußerst selten. In der Umgebung von Benares wohnen mehrere deutsche und englische Missionäre, die fleißig nach der Stadt gehen, um da zu predigen. Bei einer dieser Missions- anstalten ist sogar ein christliches Dörfchen, welches einige zwanzig Hindusfamilien zählt. Deffen ohngeachtet macht das Christenthum beinah gar keine Fortschritte*). Bei jedem der Missionäre erkundigte ich mich angelegentlich uach der Anzahl der Hindus oder Mohamedaner, die er im Laufe seiner Missionszeit getauft habe, – gewöhnlich hieß es „ Keinen – höchst selten. „Einen.“ Die oben erwähnten einige zwanzig getauften Familien rühren von 1831 her, als beinahe in ganz Indien die Cholera, das Nervenfieber, die Hungersnoth wüthete, – die Leute starben dahin, und viele Kinder blieben elternlos und irrten umher ohne Dach und Fach zu finden. Dieser nahmen sich die Missionäre an und erzogen sie in der christ- lichen Religion. Sie wurden in allen Handwerken unterrich- tet, bekamen ihre eigenen Wohnsitze, man verheirathete sie *) Der Abscheu der Indier gegen die Europäer rührt größ- tentheils daher, weil letztere keine Ehrfurcht vor den Kühen haben, Rindfleisch effen, Branntwein trinken, daß sie in den Häusern, ja sogar in den Tempeln ausspucken, den Mund mit den Fingern waschen u. . w.; sie nennen die Europäer „Parangi.“ Diese Verachtung soll dem Hindu auch die christliche Religion verhaßt machen. 186 und sorgt noch jetzt für ihren Unterhalt. Die Abkömm- linge dieser Familien werden von den Missionären fort- während unterrichtet und streng beaufsichtiget; neu Hinzu- kommende finden sich aber leider nicht. Ich wohnte einigen Prüfungen bei; Knaben und Mädchen waren im Lesen, Schreiben, Rechnen, in Reli- gion, Geographie u. f. w. ganz gut unterrichtet. Die Mädchen machten künstliche Stickereien, sie strickten sehr gut und nähten Weißzeug aller Art, – die Knaben und Männer verfertigten Teppiche, Tischler-, Buchbinder-, Buchdrucker-Arbeiten u. a. m. Der Director und Pro- feffor dieser schönen Anstalt ist der Missionär Herr Luit- pold; seine Frau hat die Oberaufsicht über die Mädchen. Alles ist höchst finnig und verständig eingerichtet und ge- leitet, – Herr und Frau L. nehmen sich mit wahrer Chriftenliebe ihrer Zöglinge an. Was sind aber einige Tröpfchen im unermeßlichen Meere! – Allahabad, Agra und Heikki. Allahabad. Caunipoor. Agra. Das Mausoleum des Sultans Akbar, Tajh - Mahal. Die Ruinenstadt Fatipoor - Sikri. Delhi. Die Hauptstraße Oeffentliche Aufzüge. Der Palast des Kaisers. Pa- läfte und Moscheen. Die Fürstin Bigem. Alt-Delhi. Merkwürdige Ruinen. Die englische Militär-Station. Won Benares fuhren wir, Herr Lau und ich, in einem Postdock*) nach Allahabad; die Entfernung beträgt 76 engl. Meilen, die man in zwölf bis dreizehn Stun- den bequem zurücklegt. Am 7. Jänner 1848 Abends fechs Uhr verließen wir die heilige Stadt und am frühen Morgen befanden wir uns schon in der Nähe von Alla- habad an einer langen Schiffbrücke, die hier über den Ganges führt. Wir verließen den Postdock und ließen uns in Trag- palankinen nach dem noch eine Meile entfernten Hôtel bringen. Daselbst angekommen fanden wir es von den Officieren eines auf dem Marsche befindlichen Regimentes *) „Dock“ ist ein bequemer Palankin für zwei Personen, der auf Räder gesetzt und von zwei Pferden gezogen wird. 188 so besetzt, daß man meinen Reisegefährten nur unter der Bedingung annahm, sich mit einem Plätzchen im Speise- zimmer zu begnügen. Unter diesen Umständen blieb mir nichts anderes übrig, als von einem Empfehlungsbrief an Dr. Angus Gebrauch zu machen. Meine Ankunft setzte den guten alten Herrn nicht wenig in Verlegenheit, auch sein Haus war bereits mit Reisenden überfüllt; seine Schwester, Madame Spencer, bot mir aber alsogleich mit großer Freundlichkeit die Hälfte ihres eigenen Schlafgemaches an. Allahabad, mit 25.000 Einwohnern, liegt theils am Jumna (Dschumna), theils an dem Ganges. Die Stadt gehört nicht zu den großen und schönen, obwohl fie auch zu den heiligen Städten gezählt und von vielen Pilgern besucht wird. Die Europäer wohnen außerhalb der Stadt in schönen Gartenhäusern. Unter den Merkwürdigkeiten zeichnet sich vor allem das Fort mit dem Palaste aus, das unter Sultan Akbar erbaut wurde. Es liegt an der Mündung des Jumna in den Ganges. Das Fort wurde von den Engländern durch neue Werke sehr verstärkt,– es dient jetzt zum Hauptwaffenplatz des britischen Indiens. Der Palast ist ein ziemlich gewöhnliches Gebäude, nur einige der Säle sind merkwürdig durch ihre innere Eintheilung. So gibt es solche, die von drei Säulen- gängen durchschnitten sind und drei in einander grei- fende Arkadengänge bilden. In andern führen einige Stufen in kleine Gemächer, die sich in dem Saale selbst befinden und großen Theaterlogen gleichen. 189 Jetzt ist der Palast zur Rüstkammer verwendet, – 40.000 Mann können da vollkommen gerüstet werden, und an schwerem Geschütze fehlt es auch nicht. In einem der Höfe steht eine sechsunddreißig Fuß hohe metallene Säule, Feroze – Schachs-Laht genannt, die sehr gut erhalten, mit Schriftzeichen ganz bedeckt ist, und auf deren Spitze ein Löwe steht. Eine zweite Merkwürdigkeit in dem Fort ist ein ganz kleines, unbedeutendes Tempelchen, – jetzt ziemlich ver- fallen, – das von den Hindus für sehr heilig gehalten wird; zu ihrem größten Leidwesen dürfen sie es nicht be- suchen, da das Fort für sie verschloffen ist. Einer der Officiere erzählte mir, daß vor kurzem ein sehr reicher Hindu hierher gepilgert kam und dem Festungs-Com- mandanten 20,000 Rup. anbieten ließ, wenn er ihm erlaubte in diesem Tempelchen eine Andacht zu verrichten. Der Commandant konnte es nicht gestatten. Auch dieses Fort hat seine Sage: „Als Sultan Akbar den Bau anfing, stürzte sogleich jede Wand wieder ein. Ein Orakelspruch sagte, daß man mit dem Baue nicht eher zu Stande kommen werde, als bis sich ein Mann freiwillig dem Tode opfere. Ein solcher stellte sich und machte die einzige Bedingniß, daß die Festung und Stadt feinen Namen führen sollte. Der Mann hieß Brog, und von den Hindus wird noch heut zu Tage die Stadt häufiger „Brog“ als Allahabad genannt. Dem Andenken des heldenmüthigen Mannes ward ein Tempel nahe der Festung unter der Erde geweiht, wo er auch begraben liegt. Viele Pilger kommen jährlich dahin. Der Tempel if stockfinster, man muß mit Lichtern 190 oder Fackeln hinein gehen. Im Ganzen gleicht er einem großen, schönen Keller, dessen Decke auf vielen einfachen Steinpfeilern ruht. Die Wände sind voll Nischen, die alle von Göttern oder deren Sinnbildern bewohnt sind. Als größte Merkwürdigkeit wird ein blattloser Baum gezeigt, der in dem Tempel wuchs und sich einen Durch- gang durch die Steindecke schuf - Noch besah ich einen großen, schönen Garten, in welchem vier mohamedanische Mausoleen stehen. Das größte enthält einen Sarcophag von weißem Marmor, welcher mit hölzernen Galerien, höchst reich und zierlich mit Perlmutter ausgelegt, umgeben ist. Hier ruht Sultan Koshru, Sohn des Jehanpuira. In zwei kleineren Sarcophagen ruhen Kinder des Sultans. Die Wände sind mit steifen Blumen und erbärmlichen Bäumen be- malt, zwischen welchen es auch Inschriften gibt. Eine Stelle an einer der Wände ist von einem klei- nen Vorhange überdeckt; der Führer schob ihn mit tiefer Andacht zur Seite und zeigte mir den Abdruck einer koloffalen flachen Hand. Er erzählte mir, daß einst ein Ur-Ur-Enkel Mohameds hierher gekommen sei, seine Andacht zu verrichten. Er war mächtig groß und schwer- fällig; als er aufstand, stützte er sich an der Wand und der Abdruck der heiligen Hand blieb zurück. Diese vier Monumente sollen über 250 Jahre zählen; sie sind von großen Quadersteinen aufgeführt und mit Arabesken, Friesen, Reliefs u. . w. reichlich versehen. Das Grabmahl Koshrus und der Abdruck der Hand wer- den von den Mohamedanern sehr verehrt. Mir gefiel der Garten beffer als die Monumente, 19 und zwar der ungeheuern Tamarinden - Bäume halber. Ich dachte, in Brasilien die größten gesehen zu haben; allein hier scheint das Erdreich oder vielleicht das Klima dieser Baumgattung noch günstiger zu sein. Nicht nur der Garten ist voll solcher Pracht-Exemplare, auch um die Stadt ziehen sich herrliche Alleen. Die Tama- rinden Allahabadºs werden selbst in geographischen Wer- ken angeführt. - - An einer Seite der hohen Mauer, die den Garten umgibt, sind zwei Serais angebaut, die sich durch hohe, schöne Portale, Größe und zweckmäßige Einrichtung aus- zeichnen. Es war hier außerordentlich belebt: man sah Menschen in allen Trachten, Pferde, Ochsen, Kamehle und Elephanten, und eine große Menge Waaren in Kisten, Ballen und Säcken. 10. Jänner. Um drei Uhr Nachmittags verließen wir Allahabad und setzten unsere Reise im Postdock, kleine Unterbrechungen abgerechnet, bis Agra fort. Die Entfernung beträgt an dreihundert engl. Meilen. In zweiundzwanzig Stunden hatten wir Caunipoor (150 Meil.) am Ganges erreicht, ein Städtchen, das sich durch europäische Niederlaffungen auszeichnet. Die Reise bis hierher bot wenig Abwechslung: eine ununterbrochene, reich bepflanzte Ebene und eine wenig belebte Straße. Außer einigen Militärzügen begegneten wir keinem Reisenden. Ein Militärzug in Indien sieht einer kleinen Völker- wanderung ähnlich, und leicht kann man sich, hat man einen solchen gesehen, einen Begriff von den ungeheuren Zügen der persischen oder anderer asiatischen Armeen 192 machen. Der größte Theil der eingebornen Soldaten ist verheirathet, eben so die Officiere (Europäer); wenn sich daher ein Regiment in Bewegung setzt, so gibt es beinahe der Weiber und Kinder so viele als der Soldaten. Weiber und Kinder reiten zu zweien bis dreien auf Pferden oder Ochsen, oder sitzen auf Karren, oder wandern zu Fuß neben her mit Bündeln auf dem Rücken. Sie haben all ihr Hab und Gut auf Karren gepackt und treiben ihre Ziegen und Kühe vor sich her. Die Officiere folgen mit ihren Familien in kleinen Zwischenräumen in europäischen Wagen, in Tragpalankin’s oder zu Pferde. Ihre Zelte, Hauseinrichtung u..w. sind auf Kamehle und Elephanten gepackt, die gewöhnlich den Zug schließen. Die Lager werden an beiden Seiten des Weges aufgeschlagen, auf der einen Seite sind die Leute, auf der andern die Thiere. Caunipoor ist eine starke Militär - Station mit vielen schönen Casernen; auch ist hier eine bedeutende Missionsgesellschaft. Die Stadt besitzt einige schöne Schul- und Privat-Gebäude und eine christliche Kirche in rein gothischem Style. - 12. Jänner. Gegen Mittag erreichten wir das kleine Dörfchen Beura. Wir fanden hier einen Bongolo, d.i. ein Häuschen mit zwei bis vier Zimmern, die kaum mit den nöthigsten, einfachsten Möbeln versehen sind. Diese Bongolos liegen an den Poststraßen und dienen statt der Gasthäuser. Sie sind vom Gouvernement errichtet. Eine einzelne Person zahlt für ein Zimmerchen per Tag eine Rup., eine Familie zwei Rupien. Die Bezahlung ist, ob man vierundzwanzig Stunden oder eine halbe Stunde verweilt, in den meisten Bongolos dieselbe, nur in 193 wenigen begnügt man sich bei kurzen Aufenthalten mit dem halben Preis. Bei jedem Bongolo ist ein Einge- borner als Aufseher aufgestellt, welcher die Reisenden bedient, für sie kocht u. f. w. Die Controlle wird mittelst eines Buches, in welches sich jeder Reisende einschreiben muß, genau geführt. – Wenn es keine Reisenden gibt, kann man bleiben so lange es einem gefällt, im entgegen- gesetzten Falle aber muß man nach vierundzwanzig Stun- den den Platz räumen. - Die Ortschaften, die an dem Wege liegen, sind klein und sehen sehr armselig und dürftig aus. Sie sind von hohen Lehmwänden umgeben, was ihnen den Anstrich einer Befestigung gibt. Am 13. Jänner, nachdem wir im Ganzen drei Nächte und zwei und einen halben Tag gefahren waren, erreichten wir Agra, die einstige Residenz der Groß- Mogule Indiens. Die Vorstädte Agra's gleichen an Armseligkeit den elenden Dörfern: hohe Erdwälle oder Lehmwände, da- zwischen kleine baufällige Hütten und Baraken; anders gestaltete es sich aber, als wir durch ein stattliches Thor fuhren – wir befanden uns plötzlich auf einem großen, offenen Platze, der mit Mauern umgeben war und von welchem vier hohe Thore nach der Stadt, der Festung und den Vorstädten führten. Agra besitzt, wie die meisten Städte Indiens, keinen Gasthof. Ein deutscher Missionär nahm mich liebreich auf und fügte seiner Gastfreundschaft die für mich noch werthvollere Gefälligkeit hinzu, mir persönlich die Sehens- würdigkeiten der Stadt und Umgebung zu zeigen. Pfeiffers Reise II. Th. 13 9. Unser erster Besuch galt dem herrlichen Mausoleum des Sultans „Akbar“ zu Secundra (vier engl. Meilen von Agra). - - Schon die Eingangspforte, durch welche man in den Garten gelangt, ist ein Meisterwerk. Lange blieb ich bewundernd davor stehen. Das mächtige Gebäude liegt auf einer Steinterraffe, auf welche breite Treppen führen, die Pforte ist hoch und ein imposanter Dom wölbt sich darüber. An den vier Ecken stehen Minarete von weißem Marmor, drei Stockwerke hoch; leider sind ihre obersten Theile schon etwas eingesunken. An der vordern Seite der Pforte sieht man noch Reste einer Steinwand, die durchbrochen gearbeitet ist. Das Mausoleum steht mitten im Garten; es bildet ein Viereck von vier Stockwerken, die pyramidenartig nach oben schmäler werden. Der erste Anblick dieses Mo- numentes ist nicht sehr überraschend, denn man hat die Schönheit der Eingangspforte noch zu sehr im Gedächt- niffe; doch steigt die Bewunderung, je mehr man in die Einzelheiten eingeht. Das untere Stockwerk ist mit schönen Arkaden um- geben, die Gemächer sind einfach, die Wände mit weißem, glänzenden Cement überkleidet, der den Marmor ersetzen foll; einige Sarcophage stehen darin. Das zweite Stockwerk besteht aus einer großen Terraffe, die das ganze untere Gebäude überdeckt, auf ihrer Mitte erhebt sich ein offenes, luftiges Gemach, das von Säulen getragen und mit einem leichten Dache überwölbt ist. Viele kleine Kioske in den Ecken und Seiten der Terraffe geben dem Ganzen ein etwas bizarres, aber geschmackvolles / 195 Ansehen. Die niedlichen Kuppeln der Kioske mußten einst sehr reich und glänzend gewesen sein, denn noch jetzt sieht man an vielen schöne Reste von bunten Thonglasuren und eingelegten weißen Marmorstreifen. Das dritte Stockwerk gleicht dem zweiten. Das vierte und oberste ist das schönste; es ist ganz von weißem Marmor, während die drei unteren nur von rothem Sandsteine sind. Breite, gedeckte Arkadengänge, deren äußere Marmorgitter unnachahmlich schön gearbeitet find, bilden ein offenes Viereck, über das sich die schönste Decke – der blaue Himmel – wölbt. Hier steht der Sarcophag, der die Gebeine des Sultans enthält. Ueber den Bogen der Arkadengänge sind Sprüche aus dem Koran in Schriftzügen von schwarzem Marmor eingelegt. Ich glaube, daß dieses das einzige mohamedanische Monument ist, in welchem der Sarcophag auf der Höhe des Gebäudes in einem unüberdeckten Raume steht. Der Palast der mongolischen Sultane befindet sich in der Citadelle; er soll zu den vorzüglichsten Bauten mongolischer Architectur gehören *). Die Festungswerke haben einen Umfang von beinahe zwei engl. Meilen und bestehen aus zwei- und dreifachen Mauern, von welchen die äußere eine Höhe von fünfund- siebenzig Fuß haben soll. - *) Viele der indischen Städte neuerer Zeit stammen von den Mongolen her, oder sind von ihnen so verändert worden, daß sie ihren ursprünglichen Charakter ganz verloren haben. Indien wurde schon im zehnten Jahrhundert von den Mongolen erobert. 13 196 Das Innere ist in drei Haupthöfe geheilt. In dem ersten wohnten die Garden, in dem zweiten die Officiere und hohen Beamten, in dem dritten, der die Seite gegen den Jumna einnimmt, liegen die Paläste, die Bäder, Harems und einige Gärten. In diesem Hofe ist alles von weißem Marmor. Die Wände der Zimmer in den Palästen sind mit Halbedelsteinen als: Achaten, Oniren, Jaspiffen, Karniolen, Lapis-Lafolien u. f. w. mosaik- artig eingelegt; sie stellen Blumengefäße, Vögel, Ara- besken und andere Figuren dar. Zwei Gemächer ohne Fenster sind ausschließend auf den Effect der Beleuchtung berechnet. Die Wände, die gewölbten Decken sind mit Glimmerschiefer in schmalen versilberten Rähmchen aus- gelegt; Wafferfälle stürzen über Glaswände, hinter wel- chen Lichter angebracht werden können, und Wafferstrahlen steigen in Mitte der Gemächer auf. Schon ohne Be- leuchtung flimmerte und schimmerte es gar wunderbar; wie mochte es erst ein, als unzählige Lämpchen und Lichter ihren Glanz tausendfältig zurückstrahlten. – Wenn man ähnliches sieht, begreift man leicht die bilder- reichen Schilderungen der Orientalen, die Erzählungen von „Tausend und Einer Nacht. – Solche Paläste, solche Gemächer könnte man wahrlich für Zauberwerke halten. Neben dem Palaste steht eine kleine Moschee, die ebenfalls ganz von weißem Marmor aufgeführt und reich und kunstvoll mit Arabesken, Reliefs u. f. w. ausge- stattet ist. Bevor wir die Festung verließen, führte man uns in einen tiefen Unterraum, den ehemaligen Schauplatz 197 der heimlichen Hinrichtungen. – Wie viel unschuldiges Blut mag da vergoffen worden sein! – Die Jumna - Mof chee, von welcher Sachver- ständige behaupten, daß sie die herrliche Solimans-Moschee in Constantinopel übertreffen soll, liegt außerhalb der Festung, nahe am Jumna, auf einer hohen Steinterraffe. Sie ist aus rotbem Sandstein, besitzt drei wundervolle Kuppeln und wurde von Sultan Akbar erbaut. In den Wölbungen sieht man Reste kostbarer Malereien in licht- und dunkelblauer Farbe, mit Goldstreifen durchzogen. Schade, daß diese Moschee in einem etwas zerstörten Zustande ist; hoffentlich aber wird dem bald abgeholfen sein, da die englische Regierung bereits Ausbesserungen vornehmen ließ. Von der Moschee begaben wir uns zurück nach der Stadt, die größtentheils von Schutt umgeben ist. Die Hauptstraße „Sander ist breit und reinlich, in der Mitte mit Quadersteinen, an den Seiten mit Ziegeln gepflastert. An die beiden Ausgänge dieser Straße schließen sich maje- fätische Stadtthore. Die Häuser der Stadt (ein bis vier Stockwerke hoch) sind fast durchgehends von rothem Sand- stein, die meisten klein, aber viele darunter mit Säulen, Pfeilern und Galerien umgeben. Mehrere zeichnen sich durch schöne Portale aus. Die Nebengaffen alle sind enge, krumm und häßlich, die Bazare unbedeutend, – in In- dien wie im Oriente muß man die kostbaren Waaren im Innern der Häuser suchen. – Einst soll die Bevölkerung dieser Stadt 800.000 Seelen betragen haben, jetzt rechnet man sie kaum auf 60,000. Die ganze Umgebung ist voll Ruinen. Dem, der 198 etwas zu bauen hat, kosten die Materialien nur die kleine Mühe sie vom Boden aufzulesen. Manche Europäer be- wohnen halbverfallene Ruinen, die sie mit wenig Mühe und Kosten in niedliche Paläste verwandeln. Agra ist der Hauptsitz zweier Miffions-Gesellschaften, einer katholischen und einer protestantischen. Sie unter- richten hier wie in Benares die Abkömmlinge der im Jahre 1831 aufgefundenen Kinder. Man wies mir ein kleines Mädchen, das erst kürzlich einer armen Mutter um zwei Rup. abgekauft wurde. - An der Spitze der katholischen Mission steht ein Bi- schof; der jetzige, Herr Porgi, ist der Schöpfer einer geschmackvoll gebauten Kirche und eines schönen Wohn- hauses. In keiner ähnlichen Anstalt sah ich so viel Ord- nung und die Eingebornen so gut gehalten wie hier. Des Sonntags nach den Betstunden unterhalten sie sich mit anständigen, munteren Spielen, während die in den pro- testantischen Anstalten, nachdem sie die ganze Woche ge- arbeitet haben, des Sonntags den ganzen Tag beten müffen und zu ihrem Vergnügen höchstens einige Stunden mit ruhiger, ernster Miene vor den Hausthüren sitzen dürfen. Wenn man in diesem Lande unter ächten Protestanten einen Sonntag zubringt, so sollte man wahrlich glauben, Gott der Allgütige habe den Menschen auch die un- fchuldigte Unterhaltung versagt. Diese beiden gottgeweihten Gesellschaften stehen sich leider etwas schroff entgegen und bekritteln und verfolgen jede geringe Abweichung, wodurch sie den um sie lebenden Eingebornen gerade kein fehr gutes Bei- spiel geben. 199 Mein letzter Besuch galt dem bewunderten Kleinode Agra's, ja ganz Indiens, dem weltberühmten Taj-Mahal (Tatsch-Mahal). Ich hatte in einem Buche gelesen, daß man dieses Monument zuletzt besuchen solle, da man, wenn man es gesehen habe, die andern nicht mehr bewundern könne. – Kapitän Elliot sagt: „Es ist schwer eine Beschreibung „dieses Monumentes zu geben; der Bau ist voll Kraft „und Eleganz.“ Taj-Mahal wurde von dem Sultan Jehoe (Dschehoe) dem Andenken seiner Favoritin Muntáza - Zemani errichtet. Der Bau soll 750.000 Pf, Sterling gekostet haben. Eigentlich ist des Sultans Andenken durch diesen Bau mehr verewigt worden, als jenes der Favoritin, denn Jeder, der dieses Werk sieht, wird unwillkürlich nach dem Namen des Herrschers fragen, unter dessen Machtspruche es hervorging. “ Die Namen der Architecten und Baumeister gingen leider verloren. Manche wollen es italienischen Meistern zuschreiben; wenn man aber so viel andere vollkommene Werke mohamedanischer Baukunst sieht, müßte man ihr entweder alle absprechen, oder auch dieses zuerkennen. Das Monument steht mitten in einem Garten, auf einer zwölf Fuß hohen, freistehenden Terraffe von rothen Sandsteinen. Es stellt eine Moschee vor, bildet ein Achteck mit hochgewölbten Bogengängen und ist fammt den vier Minareten, die an den Ecken der Terraffen stehen, ganz aus weißem Marmor erbaut. Die Hauptkuppel erhebt sich zur Höhe von zweihundert sechzig Fuß und ist von vier kleineren Kuppeln umgeben. Ringsherum an den 200 Außenseiten der Moschee sind Sprüche aus dem Koran in Schriftzügen von schwarzem Marmor eingelegt. In dem Hauptgemache stehen zwei Sarcophage, wo- von der eine die Reste der Favoritin, der andere die des Sultans enthält. Die untern Theile der Wände dieses Gemaches, so wie die beiden Sarcophage sind mit kost- barer Mosaik in den schönsten Halbedelsteinen ausgelegt. Ein großes Kunstwerk ist ein Marmorgitter von sechs Fuß Höhe, das die beiden Sarcophage umgibt: es besteht aus acht Theilen oder Wänden, die alle so zart, fein und durchbrochen gearbeitet sind, daß man glaubt, sie seien aus Elfenbein gedrechselt. Die niedlichen Säulen, die schmalen Gesimse sind ebenfalls oben und unten mit Halbedelsteinen ausgelegt; man wies uns darunter den fogenannten „Goldstein, der eine vollkommen gold- gelbe Farbe hat, und sehr kostbar sein soll, ja kostbarer als Lapis-Lasoli. Zwei Eingangspforten und zwei Moscheen stehen in geringer Entfernung des Taj-Mahal; sie sind von rothem Sandstein und weißem Marmor. – Stünden sie allein, so würde man jedes als Meisterwerk betrachten; fo aber verlieren sie durch die Nähe des Taj-Mahal, von welchem ein Reisender mit vollem Rechte sagt: „Er ist zu rein, zu heilig, zu vollkommen um von Menschen- händen geschaffen zu sein, – Engel müffen ihn vom Himmel gebracht haben, und einen Glassturz sollte man darüber decken, um es gegen jeden Hauch, gegen jeden Lufzug zu schirmen.“ – Dieses Mausoleum, obwohl es schon über 250 Jahre 2) feht, ist so vollkommen erhalten, als ob es erst beendet worden wäre. – Manche Reisende behaupten, daß der Taj-Mahal bei Mondbeleuchtung einen zauberhaften Effect hervor- bringe. Ich sah ihn bei vollem Mondscheine, war aber fo wenig entzückt davon, daß ich es sehr bereute durch diesen Anblick den ersten Eindruck etwas geschwächt zu haben. Bei alten Ruinen oder gothischen Gebäuden macht die Mondbeleuchtung einen magischen Effect; nicht so bei einem Monumente, das ganz aus weißem, glänzendem Marmor besteht. Letzteres verschwimmt bei Mondbe- leuchtung in unsichere Maffen und erscheint theilweise wie mit zartem Schnee überdeckt. Jener, der dies zuerst von dem Taj-Mahal behauptete, hat ihn vielleicht in einer Gesellschaft besucht, die ihn so sehr entzückte, daß er alles um sich herum himmlisch und überirdisch fand; und andere mögen es bequemer gefunden haben, statt selbst zu prü- fen, das zu wiederholen, was ihre Vorgänger behauptet haben. Einer der interessantesten Ausflüge meiner ganzen Reise war der nach der Ruinen-Stadt „Fattipoor-Sikri, die achtzehn engl. Meilen von Agra entfernt liegt und einen Umfang von sechs engl. Meilen hat. Wir fuhren dahin und hatten unterlegte Pferde be- stellt, um die Partie in einem Tage machen zu können. Der Weg führt zeitweise durch ausgedehnte Haiden; in einer derselben sahen wir eine kleine Heerde Antilo- pen. – Die Antilopen, eine Art Rehe, sind etwas 202 kleiner als diese, äußerst zart und niedlich gebaut und längs des Rückens mit schmalen, dunkelbraunen Streifen gezeichnet. Sie setzten ohne große Scheu vor uns über die Straße, über Gräben und Gebüsche, machten Sprünge von mehr denn zwanzig Fuß und dabei waren ihre Be- wegungen so anmuthig, daß es schien als ob sie durch die Luft tanzten. Nicht minder erfreute mich der Anblick eines wilden Pfauenpaares. Es gewährt ein ganz eigen- thümliches Vergnügen, Thiere im freien Zustande zu sehen, die wir Europäer gewohnt sind als Seltenheiten gleich den erotischen Gewächsen in Käfigen und andern engen Räumen zu bewahren. Der Pfau ist hier im Naturzustande etwas größer als ich ihn in Europa sah; auch kam mir das Farbenspiel, der Glanz des Gefieders schöner und lebhafter vor. Dieser Vogel wird von dem Indier beinahe so heilig gehalten wie die Kuh. Die Thiere scheinen diese Humani- tät ordentlich zu verstehen, denn man sieht sie wie das Hausgeflügel in den Dörfern herum spazieren oder auf den Dächern gemächlich der Ruhe pflegen. In manchen Gegenden sind die Indier für diese Thiere so eingenom- men, daß es kein Europäer wagen dürfte, nach ihnen zu schießen, ohne sich den größten Beleidigungen auszusetzen. Erst vor vier Monaten fielen zwei englische Soldaten als Opfer dieser Nichtachtung der hindostanischen Gebräuche. Sie tödteten einige Pfauen, das Volk fiel wuthentbrannt über die Mörder und mißhandelte sie dermaßen, daß sie kurze Zeit darnach starben. Fattipoor-Sikri liegt auf einem Hügel, man sieht daher die Festungsmauern, die Moscheen und andere 203 Gebäude schon von ferne. Die Ruinen beginnen schon eine kleine Strecke außerhalb des Walles; an beiden Sei- ten des Weges liegen Reste von Häusern oder einzelnen Gemächern, Fragmente schöner Säulen u. f. w. Mit großem Bedauern sah ich die Eingebornen viele der- felben behauen und zu Baumaterialien für ihre Häuser bearbeiten. Ueber Gerölle und Trümmer ging es durch drei schöne Thore in die Festung und Stadt. Der Anblick den man hier hat, ist viel ergreifender als jener zu Pompeji bei Neapel. Dort ist zwar auch alles zerstört, aber es ist eine andere, eine geordnete Zerstörung, – – Gaffen und Plätze sehen so reinlich aus, als wären sie gestern erst verlaffen worden. Häuser, Paläste und Tempel sind vom Schutte gesäubert, – ja die Geleise der Wagen find sogar unversehrt geblieben. Auch liegt Pompeji in einer Ebene, man übersieht es nicht mit einem Blicke und feine Ausdehnung ist kaum halb so groß, wie die Sikris; die Häuser sind kleiner, die Paläste nicht so zahl- reich und bescheidener in Pracht und Größe. Hier aber liegt ein großer, weiter Raum aufgedeckt, überfüllt mit Prachtgebäuden, mit Moscheen und Kiosken, mit Pa- lästen, Säulenhallen und Arkaden, mit Allem was die Kunst zu schaffen vermochte, und kein einziges Stück ent- ging unversehrt der nagenden Zeit, Alles zerfiel in Trüm- mer und Schutt. Man kann sich des Gedankens eines fürchterlichen Erdbebens kaum erwehren, und doch ist es kaum mehr als zweihundert Jahre, daß die Stadt noch in Pracht und Reichthum erglänzte. Freilich war sie nicht von schützender Asche überdeckt wie Pompeji, sondern 2() lag frei und offen allen Stürmen und Gewittern ausge- fetzt. Wehmuth und Erstaunen wuchs bei jedem Schritte, den ich vorwärts that – Wehmuth über den schrecklichen Verfall, Erstaunen über die noch sichtbare Pracht, über die Anhäufung von großartigen Gebäuden, über die herr- lichen Sculpturen und die reiche Ausschmückung. Ich sah Gebäude, deren Innen- und Außenseiten mit Sculpturen fo überdeckt waren, daß auch nicht der kleinste Raum leer blieb. Die Hauptmoschee übertrifft an Größe und kunst- vollem Bau noch die Jumna-Moschee in Agra. Die Ein- gangspforte in den Vorhof soll die höchste der Welt sein; die innere Wölbung des Thores mißt zweiundsiebenzig Fuß, die Höhe des Ganzen beträgt hundert und vierzig Fuß. Der Vorhof der Moschee gehört ebenfalls zu den größten, feine Länge beträgt vierhundert fechsunddreißig, die Breite vierhundert acht Fuß; er ist mit schönen Arka- dengängen und kleinen Zellen umgeben. Dieser Vorhof wurde beinahe für so heilig gehalten wie die Moschee selbst, und zwar weil an einer Stelle desselben Sultan Akbar „der Gerechte - eine Andacht zu verrichten pflegte*). Nach seinem Tode wurde diese Stelle durch eine Art Altar bezeichnet, der in weißem Marmor wun- der voll ausgearbeitet ist. Die Moschee selbst, im Style der Jumna-Moschee *) Akbar, der vortrefflichste Fürst seiner Zeit nicht nur in Indien, sondern in ganz Afien, wurde im Jahre 1542 geberen und bestieg schon im vierzehnten Jahre den Thron Seiner ausgezeichneten Güte und Gerechtigkeit, so wie feines großen Verstandes wegen wurde er fast abgöttisch verehrt und geliebt. 205 erbaut, hat wie jene drei mächtige Dome. Das Innere ist voll von Sarcophagen, in welchen entweder Ver- wandte oder bevorzugte Minister des Sultans Akbar liegen. Auch in einem Nebenhofe fehlt es nicht an ähn- lichen Grabmälern. In der Halle der Gerechtigkeit, Dewanaum, brachte Sultan Akbar täglich mehrere Stunden zu, er- theilte darin dem geringsten wie dem vornehmsten seiner Unterthanen Audienz. Eine in der Mitte der Halle freistehende, oben abgeplattete Säule bildete den Divan des Kaisers. Die Säule, deren Kapitol wundervoll ausgehauen ist, wird nach oben zu breiter und ist von einer fußhohen schön gearbeiteten Steingallerie umgeben. Von dem Divan führten vier breite Steingänge oder Brückchen in die anstoßenden Gemächer des Palastes. Des Sultans Paläste zeichnen sich weniger durch besondere Größe als durch Sculpturen, Säulen u. dgl. aus. Alle sind reich, ja man könnte sagen, überreich damit versehen. Weniger fand ich an dem berühmten Elephanten- Thore zu bewundern. Das Thor ist zwar hochgewölbt, doch nicht so hoch als die Eingangspforte in den Vorhof der Moschee; die beiden Elephanten davor, die vollkom- men kunstgerecht in Stein ausgehauen waren, sind so sehr verfallen, daß man kaum mehr erkennt, was, sie vorstellen. Beffer erhalten ist der sogenannte Elephanten- Thurm, von welchem einige Beschreibungen erzählen, daß er nur allein aus Elephantenzähnen zusammen ge- etzt sei, und noch dazu blos aus den Zähnen jener 206 Elephanten, die unter Alkbar dem Feinde entrungen oder vom Sultan auf Jagden erlegt worden seien. Dies ist aber nicht der Fall; der Thurm, bei sechzig Fuß hoch, ist von Steinen aufgemauert und die Zähne sind von oben bis unten daran befestigt, so daß sie gleich Stacheln davon abstehen. Akbar soll häufig auf der Spitze dieses Thurmes geseffen und nach Vögeln geschoffen haben. Alle Gebäude, selbst der mächtig große und lange Wall, sind von rohem Sandstein, aber nicht, wie eben- falls. Viele behaupten, von rothem Marmor, erbaut. In den Spalten und Löchern der Gebäude haben viele hunderte kleiner, grüner Papageien ihre Nester aufgeschlagen. Am 19. Jänner verließ ich, und zwar abermals in Gesellschaft Herrn Lau's, die berühmte Stadt Agra, um die noch berühmtere Stadt Delhi zu besuchen, die 122 engl. Meilen von Agra entfernt ist. Auch bis Delhi führt eine herrliche Poststraße. Die Gegend zwischen Agra und Delhi bleibt ziemlich unverändert; weit und breit ist kein Hügelchen zu erspähen; angebautes Land wechselt mit Haide- und Sandstrecken und die erbärmlichen Dörfchen oder Städtchen, die am Wege liegen, erregten durchaus keinen Wunsch in uns, die Fahrt auch nur auf Augenblicke zu unterbrechen. In der Nähe des Städtchens Gassinager führt eine lange, schöne Kettenbrücke über den Jumma. Am 20. Jänner Nachmittags vier Uhr trafen wir in Delhi ein. Ich fand hier an Dr. Sprenger einen gar 207“ lieben und freundlichen Landsmann. Hr. Dr. Sprenger, ein geborner Tyroler, hat sich durch feine ausgezeichneten Fähigkeiten und Kenntniffe nicht nur unter den Englän- dern, sondern in der ganzen gelehrten Welt einen be- deutenden Ruf erworben. Er ist als Direktor des hiesigen Studien-Collegiums angestellt und erhielt vor Kurzem von der englischen Regierung die Aufforderung, nach Luknau zu gehen, um die dortige Bibliothek des indischen Königs von Luknau zu untersuchen, die werthvollen Werke bekannt zu machen und das Ganze zu ordnen. Der Sanskrit-, der alt- und neuperfischen, der türkischen, arabischen und hindostanischen Sprache vollkommen mäch- tig, liefert er die fchwierigsten Uebersetzungen von diesen in die englische und deutsche Sprache. Er beschenkte die Literatur bereits mit werthvollen und geistreichen Aufsätzen und wird noch viel des Interessanten liefern, da er äußerst thätig und ein Mann von kaum vierunddreißig Jahren ist. - Obwohl die Abreise Herrn Sprenger's nach Luknau ganz nahe war, so hatte er nichts desto weniger die für mich unschätzbare Güte, meinen Mentor zu machen. Wir fingen mit der großen Kaiserstadt Delhi an, mit jener Stadt, auf welche einst alle Blicke nicht nur Indiens, sondern fast ganz Asiens gerichtet waren. Sie war ihrer Zeit für Indien was Athen für Griechenland, Rom für Europa. Auch jetzt heilt sie deren Geschick, – fie hat von all ihrer Größe nur den Namen behalten. Das jetzige Delhi wird Neu-Delhi genannt, obwohl es schon seit zwei Jahrhunderten steht; es ist eine Fort- fetzung der alten Städte, deren es sieben gegeben haben 208 foll und von welchen jede Delhi hieß. So oft nämlich die Paläste, Festungsmauern, Moscheen u. f. w. baufällig wurden, ließ man sie in Ruinen zerfallen und führte neue Bauten neben den alten auf. Auf diese Art häuften sich hier Ruinen über Ruinen, welche über sechs engl. Meilen in der Breite und achtzehn in der Länge einnehmen sollen. Wenn nicht schon ein großer Theil davon mit einer dünnen Erdschichte überdeckt wäre, würden diese Ruinen gewiß die ausgebreitesten der Welt fein. - - - Neu-Delhi liegt am Jumna; es hat nach Brückners Erdbeschreibung eine Bevölkerung von 500.000 Seelen*); soll aber in Wirklichkeit nur wenig über 100.000 zählen, darunter hundert Europäer. Die Straßen sind so breit und schön, wie ich deren noch in keiner indischen Stadt gesehen habe. Die Hauptstraße, Tschandni-Tschauk, würde jeder europäischen Stadt Ehre machen: sie ist bei drei Viertel engl. Meilen lang und an hundert Fuß breit; ein schmaler, wafferarmer, halb verschütteter Kanal durch- schneidet sie der Länge nach. Die Häuser in der Haupt- fraße zeichnen sich weder durch Größe noch Pracht aus, sie sind höchstens fockhoch und unten mit erbärmlichen Vor- dächern oder Arkaden versehen, unter welchen werthlose Waaren ausgestellt sind. Von den kostbaren Waaren- lagern, von den vielen Edelsteinen, die des Abends bei Lampen und Lichtern, wie viele Reisende erzählen, so unvergleichlich schimmern sollen, fah ich nichts. Die hübschen Häuser und die reichen Waarenlager muß man in den am Bazar gelegenen Seitengaffen suchen. Die *) Zur Zeit der höchsten Blüthe hatte es zwei Millionen. 209 Kunstprodukte, welche ich da fah, befanden in Gold- und Silberarbeiten, in Goldstoffen und Shawlen. Die Gold- und Silberwaaren verfertigen die Eingebornen so geschmack - und kunstvoll, daß man sie in Paris nicht schöner finden kann. Die goldgewobenen Stoffe, die Gold- und Seidenstickereien auf Stoffen und Kaschmir- Shawlen sind höchst vollkommen. Die feinsten Kaschmir- Shawle kosten hier an Ort und Stelle bis vier tausend Rupien. Noch viel mehr ist die Geschicklichkeit der Hand- werker zu bewundern, wenn man sieht, mit welch ein- fachen Mitteln und Werkzeugen sie all die Kunstwerke hervor zu bringen verstehen. Aeußerst interessant ist es, sich des Abends in den Hauptstraßen Delhis umher zu treiben. Da sieht man so recht das Leben und Treiben der indischen Großen und Reichen. In keiner Stadt gibt es so viele Prinzen und Vornehme wie hier. Außer dem pensionierten Kaiser jammt seinen Verwandten, deren Zahl sich auf mehrere Tausend belaufen soll, leben noch andere abgesetzte pensionierte Regenten und Minister hier. Diese bringen viel Leben in die Stadt; sie zeigen sich gerne öffentlich, veranstalten häufig größere und kleinere Partien, reiten (stets auf Elephanten) entweder in nahe Gärten oder des Abends in den Straßen auf und nieder. Bei Tagespar- tien sind die Elephanten auf das kostbarste mit Teppichen und schönen Stoffen, mit Goldtreffen und Troddeln ge- schmückt, die Sitze, Hauda genannt, sind sogar mit Kaschmir-Shawls ausgelegt, reich verbrämte Baldachine schützen gegen die Sonne, oder Diener halten ungeheure Schirme aufgespannt. Die Prinzen und Vornehmen fitzen, Pfeiffers Reise II. Th. 14 21(!) zu zwei bis vier in solch einer Hauda und sind sehr reich orientalisch gekleidet. Diese Züge gewähren den schönsten Anblick: und sind noch größer und reicher als jener des Raja von Benares, den ich beschrieb. Ein Zug besteht oft aus einem Dutzend oder mehr Elephanten, und fünfzig bis sechzig Soldaten zu Fuß und zu Pferde, aus eben so viel Dienern u. dgl. Des Abends dagegen machen diese Herren ihre Partien mit wenig Pomp, – ein Elephant nebst einigen Dienern genügt ihnen; sie reiten in den Gaffen auf und nieder und cokettieren mit Mädchen einer gewiffen Klaffe, die in großem Putze mit unverschleierten Gesichtern an offenen Fenstern oder Galerien sitzen. An- dere tummeln edle arabische Roffe, deren stolzes Ansehen durch goldgestickte Decken, durch das mit Silber eingelegte Zaumwerk, noch mehr gesteigert wird. Dazwischen schrei- ten bedächtig hochbeladene Kamehle, von weit entfernten Gegenden kommend, und auch an Baili"s fehlt es nicht, die mit prachtvollen weißen Buckelochsen (Bison) bespannt sind, deren sich die minder Reichen oder die obgenannten Mädchen bedienen. Die Baili's, so wie die Ochsen, sind mit scharlachrothen Decken überhangen; die Thiere haben die Hörner und die untere Hälfte der Füße mit brauner Farbe bemalt und um den Hals ein schönes Band, an welchem Schellen oder Glocken befestigt sind. Die nied- lichten Mädchen gucken höchst bescheiden aus den halb- geöffneten Baili's. Wüßte man nicht, zu welcher Klaffe in Indien unverschleierte Mädchen gehören, so würde man, ihrem Benehmen nach, gewiß nicht ihren Stand erkennen. Leider soll es dieser Geschöpfe in Indien mehr als in irgend einem Lande geben; die Hauptursache hiervon 211 ist ein widernatürliches Gesetz, ein empörender Gebrauch. Die Mädchen jeder Familie werden gewöhnlich als Kinder von einigen Monaten verlobt; wenn nun der Bräutigam zufällig gleich nach der Verlobung oder auch später stirbt, wird das Kind oder Mädchen als Witwe betrachtet und darf als solche nicht mehr heirathen. Sie werden dann gewöhnlich Tänzerinnen. – Der Witwenstand wird für ein großes Unglück angesehen, weil man glaubt, daß nur jene Weiber in diesen Zustand versetzt werden, die es in einem vorhergehenden Leben verdient hätten. Der Indier darf nur ein Mädchen aus feinem Stamme heirathen. Zu all den beschriebenen Sehenswürdigkeiten auf den Straßen gehören noch die Gaukler, Taschenspieler und Schlangenbändiger, die sich überall herumtreiben und stets von Haufen. Neugieriger umgeben sind. Von Gauklern sah ich einige Stücke, die mir wirk- lich unbegreiflich schienen. Sie spien Feuer aus dem Munde, wobei auch Rauch hervorging; sie mengten weißes, rothes, gelbes und blaues Pulver durcheinander, verschluckten es, und spien gleich darauf jedes trocken, in abgesonderter Farbe aus; sie schlugen die Augen nieder und als sie selbe wieder erhoben, erschien der Augenstern wie von Gold, dann neigten sie den Kopf vor und als fie ihn erhoben, hatte der Augenstern seine natürliche Farbe, dagegen waren die Zähne von Gold. Andere machten sich eine kleine Oeffnung in die Haut am Körper und zogen daraus viele, viele Ellen Zwirn, Seidefaden und schmale Bändchen heraus. Die Schlangenbezähmer hielten die Thiere am Schwanze und ließen sich felbe um Arme, Hals und Körper winden, – sie faßten große 14* 212 Scorpionen an und ließen sie über die Hand kriechen. Auch einige Kämpfe sah ich zwischen großen Schlangen und Jchneumons. Dieses Thierchen, wenig größer als ein Wiesel, lebt bekanntlich von Schlangen und von den Eiern der Crocodile, – erstere weiß es so geschickt am Nacken zu faffen, daß sie stets unterliegen; die Eier der Crocodile saugt es aus. - Am Ende der Hauptstraße liegt der kaiserliche Palast, der zu einem der schönsten Gebäude Asiens gerechnet wird. Er nimmt mit seinen Nebengebäuden über zwei engl. Meilen ein und ist mit einem vierzig Fuß hohen Walle umgeben. Einen schönen Anblick gewährt am Haupteingange die Perspective durch mehrere aufeinander folgende Thore, die weit im Hintergrunde durch eine niedliche Halle ge- fchloffen wird. Diese Halle ist klein, von weißem Mar- mor und mit Halbedelsteinen eingelegt, die Decke ist mit Marienglas überwölbt, auf welches kleine Sternchen ge- malt sind. Leider wird sie bald um all ihren schimmern- den Glanz kommen, denn der größte Theil des Glases ist bereits herausgefallen und der andere wird bald nach- folgen. Im Hintergrunde der Halle befindet sich eine Thüre von vergoldetem Metall, die mit eingeäzten Zeich- mungen herrlich verziert ist. In dieser Halle pflegt sich der Ermonarch dem Volke zu zeigen, das noch manchmal aus angewohnter Achtung oder aus Neugierde den Palast besucht, – auch die Besuche von Europäern empfängt er hier. Die schönsten Theile des kaiserlichen Palastes sind der von jedermann bewunderte, prächtige Audienzsaal 213 (Divan) und die Moschee. Ersterer steht in der Mitte eines freien Hofraumes, bildet ein längliches Viereck, deffen Decke von dreißig Säulen getragen wird und ist von allen Seiten offen; einige Stufen führen zu ihm hinauf und eine zwei Fuß hohe, niedlich gearbeitete Mar- morgallerie umgibt ihn. Der jetzige Großmogul hat so wenig Sinn für Schön- heit, daß er diesen Divan durch eine ganz erbärmliche Breterwand in zwei Theile theilen ließ. Eine ähnliche Wand schließt sich – zu welchem Zwecke konnte ich nicht errathen – vorne an beiden Seiten des Saales an und somit kann man von ihm fagen, daß er ganz in Breter eingerahmt ist. Ein großer Schatz befindet sich in diesem Divan: der größte Krystall der Welt. Es ist dieß ein Block von ungefähr vier Fuß Länge, zwei ein halb Fuß Breite und ein Fuß Dicke*); er ist sehr durchsichtig. Dieses Cabinetstück diente den Kaisern als Thron oder Sitz im Divan. Jetzt ist es hinter der graziösen Breter- wand verborgen und wenn ich nicht aus Büchern feine Existenz gewußt und es zu sehen begehrt hätte, würde man es mir gar nicht gezeigt haben. - Die Moschee ist zwar klein, aber gleich dem Ge- richtssaal von weißem Marmor mit schönen Säulen und Sculpturen. Unmittelbar an die Moschee schließt sich der Garten „Schalinaru an, der einst zu den schönsten in Indien ge- hört haben soll, jetzt aber ganz im Verfalle ist. *) Einige Schriftsteller geben diesen Krystall-Koloß gar auf fünfundzwanzig Fuß Länge an. 214 In den Höfen lag viel Schmutz und Unrath, die Gebäude glichen halben Ruinen und erbärmliche Baracken stützten sich an schadhafte Mauern. Der kaiserlichen Residenz wegen wäre es sehr nöthig, bald wieder ein neues Delhi zu erbauen; dagegen fehlt es nicht an Be- weglichkeit. Schon bei meinem Eintritte in den Palast hatte ich in einem der Höfe einen Kreis von Menschen versammelt gesehen. Eine Stunde später, als wir von der Besich- tigung des Palastes zurückkamen, saßen sie noch beisam- men. Wir traten näher um zu sehen was ihre Aufmerk- famkeit so fehr feßle: es waren einige Dutzend gezähmter Vögelchen, die auf Stangen faßen und den Wärtern das Futter aus den Händen nahmen oder sich darum streiten mußten. Die Zuseher waren, wie man uns sagte, fast durchgehends Prinzen. Mehrere saßen auf Stühlen, an- dere fanden in Gemeinschaft mit ihrem Gefolge darneben. In ihrem Hausanzuge unterscheiden sich die Prinzen von ihrer Dienerschaft sehr wenig, auch an Bildung und Kennt- niffen sollen sie wenig vor ihnen voraus haben. Eine nicht viel beffere Spielerei belustigt den Kaiser; es ist dies ein Militär, das aus Knaben von acht bis vierzehn Jahren besteht. Sie tragen erbärmliche Uni- formen, die an Schnitt und Farbe den englischen gleichen; ihre Exercitien werden theils von alten Officieren, theils von Knaben geleitet. Ich bedauerte die junge Krieger- schaar von Herzen und begriff kaum, wie es ihnen möglich war die schweren Gewehre und Fahnen zu handhaben. Für gewöhnlich fitzt der Monarch täglich einige Stunden in der kleinen Empfangshalle und unterhält sich an den Maneuvres seiner jungen Krieger. Bei dieser Gelegenheit ist es auch am leichtesten Sr. Majestät vorgestellt zu wer- den. Der fünfundachtzigjährige Greis war aber gerade unwohl und so wurde mir das Glück nicht zu Theil, ihn zu sehen. Der Kaiser bezieht von der englischen Regierung eine jährliche Pension von 14 Luk (1,400,000 Rupien). Die Einkünfte seiner Grundbesitzungen betragen die Hälfte; jedoch mit alledem kommt er so wenig aus wie der Raja von Benares. – Er hat eine zu große Menge Menschen zu erhalten – allein über dreihundert Abkömmlinge der kaiserl. Linie, über hundert Frauen und mehr denn zwei- tausend Dienstleute. Rechnet man dazu die vielen Ele- phanten, Kamehle, Pferde u. f. w., so wird man leicht begreifen, daß seine Kaffe immer leer ist. Jeden ersten des Monats erhält der Monarch feine Pension, die unter dem Schutze des englischen Militärs an die Kaffe gebracht werden muß, da sie sonst von den Gläubigern gestürmt würde. Der Kaiser soll sehr darauf bedacht sein, seine Ein- künfte auf verschiedene Weise zu steigern. So ertheilt er z. B. Ehrenstellen und Aemter, für welche er sich bedeu- tende Summen Geldes geben läßt. Und – sollte man es glauben! – stets finden sich Narren genug, die für der- gleichen Albernheiten Geld ausgeben. Eltern kaufen sogar Officierstellen für ihre Knaben. Der jetzige Comman- dant der kaiserl. Truppen zählt kaum zehn Jahre. Das Merkwürdigste aber ist, daß der Verzier (Minister), der des Kaisers Einnahmen und Ausgaben besorgt, nicht nur keinen Gehalt bezieht, sondern dem Kaiser für diese Stelle 216 noch jährlich 10.000 Rup. gibt. – Was mögen dafür Summen unterschlagen werden! – - Der Kaiser gibt in seinem Palaste eine eigene Zei- tung heraus, die im höchsten Grade lächerlich und komisch ist. Da wird nichts von Politik oder auswärtigen Be- gebenheiten verhandelt, sondern ausschließend von den häuslichen Vorfällen, Gesprächen und Verhältniffen. So meldet das Blatt z. B. „daß des Sultans Gemahlin A. der „Waschfrau B. drei Rup. schulde und die Waschfrau heute oder gestern gekommen sei, die Schuld einzufordern; die „hohe Frau habe zum kaiserlichen Gemahl gesandt, sich „diese Summe zu erbitten. Der Kaiser habe sie an den „Schatzmeister gewiesen, dieser habe aber versichert, daß, „da der Monat zu Ende gehe, er über keinen Heller mehr „befehlen könne; die Waschfrau sei daher auf den nächsten „Monat zu verweisen. – Oder: „Der Prinz C. besuchte „zu dieser und jener Stunde den Prinzen D. oder F., er „wurde in diesem oder jenem Zimmer empfangen, ver- „weilte so und so lange, – das Gespräch handelte von „diesem oder jenem Gegenstandet u. f. w. Unter den übrigen Palästen der Stadt ist jener, in welchem sich das Collegium befindet, einer der schönsten. Er ist in italienischem Style erbaut, wahrhaft majestätisch, die Säulen sind von seltner Höhe, der Treppenaufgang (halbes Erdgeschoß), die Säle und Zimmer sehr groß und hoch. Ein schöner Garten umgibt die hintere Seite des Palastes, ein großer Hof die Vorderseite und eine hohe Festungsmauer das Ganze. – Dr. Sprenger, als Director des Collegiums, hat darin eine wahrhaft fürst- liche Wohnung zu seiner Benützung. - 217 Der Palast der Fürstin Bigem, halb im italienischen, halb im mongolischen Style, ist ziemlich groß und zeichnet sich durch seine vorzüglich schönen Säle aus. Ein hübscher, bisher noch gut unterhaltener Garten umgibt ihn von allen Seiten. Die Fürstin Bigem machte zur Zeit als Delhi noch nicht unter englische Herrschaft gehörte, durch ihren Ver- fand, ihren Unternehmungsgeist und ihre Tapferkeit viel Aufsehen. Sie war von Geburt eine Hindu, lernte in ihrer Jugend einen Deutschen, Herrn Sombar, ken- nen, in welchen sie sich verliebte und ging zur christlichen Religion über, um ihn zu heirathen. Herr Sombar bildete aus Eingebornen einige Regimenter, die er, als sie gut eingeübt waren, dem Kaiser zuführte. In der Folge wußte er sich so sehr in die Gunst des Kaisers zu setzen, daß dieser ihn mit großen Gütern beschenkte und zum Fürsten erhob. Seine Frau soll ihm in Allem kräftig zur Seite gestanden haben. Nach seinem Tode wurde sie zur Befehlshaberin der Regimenter ernannt, welche Stelle sie mehrere Jahre höchst ehrenvoll bekleidete. – Sie starb erst kürzlich in einem Alter von achtzig Jahren. Von den zahlreichen Moscheen Neu-Delhis besah ich nur zwei, die Moschee Roshun-ud-dawla und die Jumna-Moschee. Erstere liegt in der Hauptstraße; ihre Spitzen und Kuppeln sind ächt vergoldet. Sie wurde durch die Grausamkeit Schach Nadir's berühmt. Dieser ausgezeichnete, aber fürchterlich grausame Monarch ließ, als er Delhi im Jahre 1739 eroberte, 100 000 der Einwohner niederhauen, bei welchem Schauspiele er auf einem der Thürme dieser Moschee als Zuschauer geseffen 218 haben soll. Die Stadt wurde hierauf angezündet und geplündert. Die Jumna-Moschee, von Schach Djihan erbaut, wird ebenfalls für ein Meisterwerk mohamedanischer Bau- kunft betrachtet; sie erhebt sich auf einer ungeheuren Platt- form, zu welcher vierzig Stufen hinaufführen und ragt wahrhaft majestätisch aus der sie umgebenden Häusermaffe. Ihre Symmetrie ist überraschend. Die drei Dome und die kleinen Kuppeln an den Minareten sind von weißem Marmor, alles übrige, selbst die großen Platten, mit welchen der schöne Vorhof ausgelegt ist, von rothem Sandstein. Die eingelegten Zierrathen und Streifen an der Moschee sind ebenfalls von weißem Marmor. Serais gibt es viele mit oft wunderschönen Por- talen. Die Bäder sind unbedeutend. Den entfernteren Denkmälern Alt-Delhis widmeten wir einen Ausflug von zwei Tagen. Der erste Halt wurde an der noch sehr gut erhaltenen „Purana-Kale“ ge- macht. Alle großartigen, schönen Moscheen gleichen ein- ander sehr. Diese zeichnet sich durch Zierlichkeit, durch Reichthum und Correctheit an Sculpturen, durch ge- schmackvolle Einlegungen und durch ihre Größe aus. Drei leichtgewölbte hohe Kuppeln decken das Hauptgebäude, kleine Thürmchen zieren die Ecken, zwei hohe Minarete stehen an den Seiten. Die Innseiten der Dome und der Eingangspforte sind mit Thonglasur eingelegt und auch bemalt, die Farben zeichnen sich durch ihre Frische und ihren Glanz aus. Im Innern ist jede Moschee leer; 219 eine kleine Tribune für den Redner oder Vorbeter und einige Glaslufter und Lampen bilden die ganze Aus- schmückung. Das Mausoleum des Kaisers Humaione, ganz in dem Style einer Moschee, wurde von diesem Monarchen selbst zu bauen angefangen. Da er aber früher starb als es beendet war, ließ es sein Sohn Akbar vollenden. Der hochgewölbte Tempel, in dessen Mitte der Sarkophag feht, ist mit einigen Mosaikarbeiten in Halbedelsteinen eingelegt. Statt der Fensterscheiben sind die Oeffnungen mit kunstvoll ausgehauenen Steingittern versehen. In Nebenhallen ruhen unter einfachen Sarcophagen mehrere Weiber und Kinder des Kaisers Humaione. Unweit dieses Monumentes ist das Grabmal Nizam- ul-d'in's, eines sehr verehrten und heiligen Moha- medaners. Es steht in einem kleinen Hofe, dessen Boden mit weißem Marmor ausgetäfelt ist. Ein viereckiger Marmorchirm, mit vier niedlichen kleinen Thüren, um- gibt den schönen Sarcophag. Dieser Schirm ist noch zarter und feiner ausgearbeitet als jener im Taj-Mahal; man begreift kaum, wie es möglich war, in Stein solch ein Kunstwerk zu schaffen. Die Thüren, die Zwischenpfeiler, die eleganten Verbindungsbogen, sind überdeckt mit den reinsten Reliefs, wie ich deren in den kunstsinnigsten Städten Italiens keine vollendeteren gesehen habe. Der Marmor hierzu ist von ausgezeichneter Weiße und Rein- heit, des großen Kunstwerkes würdig. Mehrere hübsche Monumente, alle aus weißem Mar- mar, reihen sich an dieses. Man geht ziemlich achtlos 220 an ihnen vorüber, wenn man das vollendetste zuerst be- schaut hat. Viel Rühmens macht man auch von einem großen, gemauerten Wafferbecken. Es ist auf drei Seiten von Zellen umgeben, die bereits sehr verfallen sind; die vierte Seite ist frei und von dieser führt eine herrliche, vierzig Fuß breite Steintreppe in das Wafferbecken, das fünfund- fünfzig Fuß tief ist. Jeder Pilger würde eine Wallfahrt für ungültig halten, wenn er nicht gleich bei seiner An- kunft da hinein fiege. Von den Terraffen der Zellen stürzen sich Taucher in die Tiefe des Wafferbeckens und holen das kleinste Geld- fück heraus, das man hinein wirft. Manche sollen so behende sein, das Stück zu erhaschen, noch ehe es den Grund berührt. Wir warfen manches Stück Geld hinein, das sie auch jedesmal glücklich ans Tageslicht förderten, ob sie es aber eher erhaschten als es den Grund berührte, möchte ich kaum glauben. Sie blieben jederzeit lange genug unter Waffer, um es nicht nur vom Grunde auf- zuheben, sondern auch aufzusuchen. Die Sache war allerdings bewundernswürdig, doch nicht, wie Reisende behaupten, so außerordentlich, um ähnliches nicht auch an andern Orten sehen zu können. Unser letzter Besuch für diesen Tag galt dem herr- lichen Monumente des Vezier Safdar-Dfchang, das ebenfalls eine Moschee vorstellt. An diesem Monu- mente fielen mir ganz vorzüglich die eingelegten Arbeiten von weißem Marmor in rothem Sandstein an den vier Minareten auf, sie waren so mannigfaltig und zart, fo rein ausgeführt, daß der geübteste Zeichner sie nicht zarter 221 und richtiger auf dem Papier wiedergeben könnte. Das- felbe läßt sich von dem Sarcophage im Haupttempel sagen, der aus einem Blocke schönen, weißen Marmors ge- hauen ist. Ein ziemlich gut erhaltener Garten, ganz nach europäischer Art angelegt, umgibt das Monument. Am Ende des Gartens, dem Mausoleum gegenüber, steht ein kleiner, niedlicher Palast, meist dem König von Luknau gehörig. Jetzt wird er von den wenigen in Neu- Delhi ansäßigen Europäern stets in gutem Zustande er- halten. Er ist mit einigen Möbeln versehen und dient zur Aufnahme der Besucher dieser Ruinen. Wir blieben hier über Nacht und fanden, Dank der herzlichen und lieben Hausfrau Madame Sprenger, alle Bequemlichkeiten vom größten bis zum kleinsten. Das erste und erfreulichste nach der langen Wanderung war eine wohlbestellte Tafel. Doppelt dankenswerth sind solche Aufmerksamkeiten, wenn man bedenkt, welch große Mühe sie verursachen. Bei ähnlichen Partien bedarf man nicht nur der Lebensmittel und des Koches, es muß auch für Küchengeschirr, für Tafelservice, für Bettzeug, für Diener- fchaft, kurz für einen kleinen Haushalt gesorgt werden. Ein solcher Zug, der immer vorausgesandt wird, gleicht einer kleinen Umsiedlung Am folgenden Morgen ging die Reise nach Kotab- Minar, einem der ältesten und prachtvollsten Baue der Patanen (von diesem Völkerstamme leiten die Afghanen ihren Ursprung her). Das merkwürdigste Stück an diesem Denkmale ist die sogenannte „Riefenfäule,“ ein Vieleck von siebenundzwanzig Seiten oder halbrunden 222 Kanten, mit fünf Stockwerken oder Gallerien, dessen Durchmesser am Fundamente vierundfünfzig Fuß und defen Höhe zweihundert sechsundzwanzig Fuß beträgt. Eine Wendeltreppe von 386 Stufen führt hinauf. Dieser Bau foll aus dem dreizehnten Jahrhundert von Kotab-ud- dun stammen. Die Säule ist aus rothem Sandstein und nur die oberste Abtheilung ist mit weißem Marmor aus- gelegt; Verzierungen und wundervolle Sculpturen winden sich in breiten Streifen rund um die Säule; sie sind so fein und nett gemeifelt, daß sie einem geschmackvollen Spitzenmuster gleichen. Jede Beschreibung von der Zart- heit und dem Effekte dieser Arbeit wird weit durch die Wirklichkeit übertroffen. Die Säule ist glücklicherweise so gut erhalten, als wenn sie kaum hundert Jahre stünde. Die oberste Abtheilung neigt sich etwas vor (ob künstlich wie am Thurme zu Bologna ist nicht ermittelt), die endigt flach, gleich einer Terraffe, was dem Baue nicht recht anpaßt. Man weiß nicht ob früher etwas darauf stand. Als die Engländer Delhi eroberten, war die Säule im jetzigen Zustande. Wir fliegen bis auf die höchste Spitze, – eine über- raschende Ansicht der ganzen Trümmerwelt Neu-Delhis, des Jumna, der unbegränzten Fläche that sich vor uns auf. Hier in den stufenweise aufeinander gehäuften Ruinen der Kaiserstädte könnte man die Geschichte der Völker fu- diren, die einst Hindostan beherrschten, – es war ein großer, ein ergreifender Anblick!! – Viele Stellen, auf welchen einst prachtvolle Paläste und Monumente fanden, sind jetzt mit Saaten überdeckt; 223 überall wo die Erde gelockert wird, stößt man auf Schutt und Gerölle. Dem Thurme oder der Säule Kotab-Minar gegen- über steht ein ähnlicher unvollendeter Bau, defen untere Basis bedeutend umfangreicher ist als jene des vollendeten. Man vermuthet, daß beide Thürme zu einer prachtvollen Moschee gehörten*), von welcher noch einige Höfe, Thore, Säulen, Wände u. f. w. vorhanden sind. Diese wenigen Reste der Moschee zeichnen sich durch höchst vollendete Sculpturen aus, mit welchen Wände, Thore u. f. w. von außen und innen überdeckt sind. Die Eingangspforten haben eine bedeutende Höhe. Die Säulen in den Höfen sind buddhistischen Ursprunges; man sieht an ihnen die Glocke mit der langen Kette in Relief aus- gehauen. In dem Vorhofe der Moschee steht eine metallene Säule, ähnlich jener zu Allahabad; nur hat sie auf der Spitze keinen Löwen, auch beträgt ihre Höhe nicht über fechsunddreißig Fuß. Man nennt sie „Feroze - Schachs- Lath. Man sieht an ihr einige Eindrücke und leichte Verletzungen, welche von den Mongolen herrühren sollen, die, als sie Delhi eroberten, in ihrer Zerstörungswuth auch diese Säule vernichten wollten. Sie versuchten sie umzustürzen, die Säule fand aber zu fest und mit allen Bemühungen gelang es ihnen nicht einmal, die daran befindliche Inschrift zu zerstören. - *) Wenn diese beiden Thürme zu einer Moschee gehören soll- ten, warum waren fic im Umfange des Baues fo un- gleich? – 224 Die noch übrigen Patan- oder afghanischen Tempel und Monumente, die zerstreut unter andern Ruinen liegen, gleichen sich unter einander eben so sehr, als sie von den hindostanischen und mohamedanischen Bauten ab- weichen. Derlei Monumente bestehen gewöhnlich aus einem kleinen runden Tempel mit einer nicht sehr hohen Kuppel, welchen offene Arkaden, auf Säulen gestützt, umgeben. Auch hier, nahe bei Kotab-Minar, findet der Rei- fende eine freundliche Wohnung. Die Ruine eines Ge- bäudes wurde zu einem Wohnhause von drei Zimmern umgeschaffen und mit einigen Möbeln versehen. Auf dem Heimwege besuchten wir das Observatorium des berühmten Astronomen Jey-Singh. Wenn man jenes von Benares gesehen hat, so kann man dieses füglich unbesucht laffen. Beide wurden von demselben Meister, in demselben Style erbaut, – jenes in Benares ist aber noch vollkommen gut erhalten, während dieses hier schon zu sehr zur Ruine wurde. Manche Reisende betrachten dies Denkmal als eines der größten Wunderwerke. Nahe dem Observatorium liegt die alte Madrißa (Schulhaus), ein großes Gebäude mit vielen Zimmer- chen für Lehrer und Schüler, und mit offenen Galerien und Hallen, in welchen die Lehrer im Kreise der Jünger saßen und Unterricht ertheilten. Das Gebäude ist ziemlich vernachläßigt, wird aber theilweise noch von Privatper- fonen bewohnt. Der Madrißa angereiht sind eine niedliche Moschee und ein sehr schönes Monument, beide von weißem Mar- mor. Letzteres ließ Aurang - Zeb seinem Vezier Ghafy - al -dyn - Chan, dem Stifter der Madrißa, setzen. Es ist eben so vollkommen gearbeitet wie jenes des Heiligen Nizam-ul-din und scheint von demselben Künstler geschaffen zu sein. Der Palast des Feroze - Schach stößt an Neu- Delhi, er liegt zwar ziemlich in Ruinen; allein die Spuren des Walles sind doch noch stellenweise zu erkennen und auch an den Resten der Gebäude ist noch manches heraus zu finden. Der Vorhof der Moschee wurde vor Kurzem durch den unermüdenden Eifer des hiesigen ge- schätzten Redacteurs der englischen „Delhi-Zeitung, Herrn Kolb, ans Tageslicht befördert. Er war von Schutt und Steinmafen ganz bedeckt, so daß es unendlich viel Mühe kostete, ihn davon zu befreien, – er ist sehr gut erhalten. In diesem Palaste steht die dritte metallene Säule, Feroze - Schachs-Lath; aus ihrer Inschrift er- sieht man, daß sie schon hundert Jahre vor Chr. Geb. existierte und so als eines der ältesten Monumente Indiens betrachtet werden kann. Sie wurde zur Zeit, als man diesen Palast baute, von Lahore hierher gebracht. Die Purana-Killa oder das alte Fort, der Palast der Babar ist sehr verfallen. Man sieht Bruchstücke von Thorwegen und Mauern, aus deren Höhe und Bauart man auf die Größe des Palastes schließen kann. Die Ruinen von Toglukabad sind ebenfalls sehr in der Auflösung begriffen, es lohnt nicht der Mühe eine Fahrt von sieben Meilen dahin zu machen. Die noch übrigen, unzähligen Ruinen sind theils ganz verfallen oder Wiederholungen der bereits beschrie- benen, mit welchen sie sich jedoch an Größe, Pracht und Pfeiffers Reise, II. Th. 15 226 Schönheit nicht vergleichen laffen. Für Sachverständige, Alterthumsforscher und Geschichtsschreiber mögen auch sie von hohem Intereffe fein, – für mich, ich gestehe es auf- richtig, hatten sie keinen so großen Werth. Noch muß ich der englischen Militär-Station er- wähnen, die nahe bei Neu-Delhi auf niederen Hügeln liegt; die eigenthümliche Gestaltung des Bodens macht eine Fahrt dahin äußerst interessant. Man befindet sich plötzlich in einem Gebiete mächtiger Felsblöcke rothen Sandsteines, zwischen welchen sich schöne Bäume hervor- arbeiten. An Ruinen fehlt es, wie in ganz Delhi, na- türlich auch hier nicht. - - --- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - s - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - . - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -, -, - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -»- - - - - - - - - - - - - - - - - - Österreichische Klationalbibliothek li, +Z17702900