Nicht ausheben
Umsignieren auf
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(Eine
Fraserfahrt nun die
Reife von Wien -
nach
Brasilien, Chili, Otahaiti, China, Ost-Indien,
Perfien und Kleinasten
VDM1
Ida Pfeiffer, geb. Meyer,
Verfafferin der „Reise einer Wienerin ins heilige Land“ und der „Reise
nach Island und Scandinavien.“
–LOO3–
Erster Band
VAA/VVVU. - (EZ VVVVVV/\/\/\/\/
Wien, 1850.
Verlag von Carl Gerold.
Buchdruckerei von Carl Gerold und Sohn
Meiner
lieben Cousine
Art Die PPR Reyer,
gebornen Edlmann
und dem
H. e r r n
J. G, Schatz,
Consul der vereinigten Staaten von Amerika sc. sc.
achtungsvoll gewidmet
von der
Verfasserin.
-
- - - -
V or rede,
Schon in mehreren Zeitungen ward ich Touri-
stin genannt; dieser Name gebührt mir indessen, feiner
gewöhnlichen Bedeutung nach, leider nicht. Einerseits
besitze ich zu wenig Witz und Laune, um unter-
haltend schreiben, und andrerseits zu wenig Kennt-
niffe, um über das Erlebte gediegene Urtheile fällen
zu können. Ich vermag nur schmucklos das zu erzählen,
was mir begegnet, was ich gesehen, und will ich et-
was beurtheilen, so kann ich es blos von dem Stand-
puncte einfacher Anschauung aus.
Manche glauben vielleicht, Eitelkeit sei die Veran-
laffung zu dieser großen Reise gewesen. Ich kann
darauf nichts erwiedern, als: wer dies denkt, möge selbst
eine ähnliche Reise unternehmen, um zu sehen, daß
solche Beschwerden, solche Entbehrungen und Gefahren
nur durch angeborne Reiselust, durch unbegränzte
Wißbegierde überwunden werden können.
Wie es den Maler drängt, ein Bild zu malen,
den Dichter, seine Gedanken auszusprechen, so drängt
es mich die Welt zu sehen. –Reifen war der Traum
meiner Jugend, Erinnerung des Gesehenen ist nun das
Labsal meines Alters. -
Freundlich und gütig hat das geehrte Publicum
meine ungeschmückten Reiseberichte „nach dem heili-
gen Lande, nach Island und Scandinavien“
aufgenommen, und dies ermuthigt mich, abermals
mit dem Tagebuch dieser meiner letzten und größten
Reise in die Oeffentlichkeit zu treten.
Möchte die Erzählung meiner Erlebnisse den
geehrten Lesern und Leserinnen nur einen Theil jenes
Vergnügens bieten, das die Reise selbst mir in großem
Maße gewährte!
Wien, den 16. März 1850.
Die Verfafferin.
Reise nach Prasilien.
Abreise von Wien. Aufenthalt in Hamburg. Dampfschiffe und Segel-
schiffe. Abfahrt. Kurhaven. Der Kanal la Manche. Die fliegen-
den Fische. Die Philolide. Sternbilder. Das Ueberschreiten der
Linie. Die Vampero's. Die starke Briefe und der Sturm. Kap
Frio. Einfahrt in den Hafen von Rio de Janeiro.
Am 1. Mai 1846 verließ ich Wien und ging, einige
kleine Unterbrechungen zu Prag, Dresden, Leipzig abge-
rechnet, gerade nach Hamburg, um mich von da nach
Brasilien einzuschiffen. In Prag hatte ich das Vergnü-
gen, den Grafen Berchthold, einen Gefährten auf einem
Theile meiner orientalischen Reise, zu sehen und von
ihm zu hören, daß er Luft habe, die Reise nach Bra-
filien mitzumachen. Ich versprach, in Hamburg auf
ihn zu warten.
Ein zweites interessantes Zusammentreffen hatte ich
auf dem Dampfboote zwischen Prag und Dresden, und
zwar mit der Witwe des Professors Mikan, die im
Jahre 1817, bei Gelegenheit der Vermälung der öster-
reichischen Prinzessin Leopoldine mit Don Pedro I,
ihrem Gemale nach Brasilien gefolgt war und später
mit ihm auch das Innere des Landes wissenschaftlich
bereiste.
Pfeiffers Reise, I. Th. 1
2
Oft schon hatte ich von dieser Frau sprechen gehört,
und groß war meine Freude, die nun persönlich kennen zu
lernen. Die liebenswürdige Greisin theilte mir freund-
lich viele ihrer Erfahrungen mit, und gab mir manche
Rathschläge und Verhaltungsregeln, die mir in der Folge
sehr nützlich waren.
Am 12. Mai kam ich in Hamburg an, und schon am
13. hätte ich Gelegenheit gehabt, mich einzuschiffen und zwar
auf einer herrlichen, schnellsegelnden Brigg, die noch dazu
meinen Namen „Idau trug. Mit schwerem Herzen fah
ich das schöne Schiff absegeln – ich mußte zurückbleiben,
da ich meinem Reisegefährten versprochen hatte, ihn hier
zu erwarten. Woche um Woche verging, und nur das
Zusammensein mit meinen Verwandten verkürzte mir die
lange Zeit des Erwartens. Endlich, Mitte Juni, kam
er an, und bald darauf war auch ein Schiff gefunden,
eine dänische Brigg „Caroline, Kapitän Bock, die nach
Rio de Janeiro unter Segel ging
Mir fand nun eine lange Seereise bevor, eine See-
reise, die unter zwei Monaten nicht zu machen war, die
aber auch drei und vier Monate dauern konnte. Zum
Glück hatte ich schon auf meinen frühern Reisen ziemlich
bedeutende Fahrten auf Segelschiffen gemacht, und war
dadurch mit deren Einrichtung bekannt geworden, die
von jener auf Dampfschiffen gänzlich verschieden ist.
Auf einem Dampfschiffe ist alles luxuriös und be-
quem, die Fahrt selbst geht bei jedem Winde rasch vor-
wärts, und der Reisende findet frische und gute Nahrung,
geräumige Kajüten und gute Gesellschaft.
Anders ist es auf Segelschiffen; diese sind, mit
Z
Ausnahme der großen Ostindienfahrer, für Reisende fel-
ten eingerichtet. Als Hauptsache werden die Waaren
betrachtet, und die Reisenden find eine dem Schiffsperso-
nale fehr unangenehme Zugabe, auf die gewöhnlich nur
wenig Rücksicht genommen wird. Der Kapitän ist der .
einzige, der sich für die intereffert, da ihm von dem Paffa-
giergelde ein Drittheil, ja auch die Hälfte zufällt.
Die Räume sind meist so beschränkt, daß man sich
in der Schlafabine kaum umwenden, in der Coje (Schlaf-
stelle) nicht einmal aufrichten kann. Außerdem ist auch
auf einem Segelschiffe die Bewegung weit stärker als auf
einem Dampfschiffe, – dagegen behaupten aber wieder
Viele, daß auf letzterem das ewig gleichmäßige Erzittern,
sowie der üble Geruch des Oeles und der Steinkohlen
unerträglich sei. Ich fand dies nicht; es ist wohl unan-
genehm, doch viel leichter zu ertragen als die vielen
Unannehmlichkeiten, die man auf einem Segelschiffe trifft.
Da ist man der Laune des Kapitäns ganz und gar
anheim gegeben. Er ist unumschränkter Gebieter und
herrscht über Alles. Auch die Kost hängt von seiner
Großmuth ab; sie ist zwar für gewöhnlich nicht ganz
schlecht, doch im besten Falle nicht so gut, als auf einem
Dampfer.
Die gewöhnlichen Gerichte find: Thee und Kaffee
ohne Milch, Speck und Salzfleisch, Erbsen- oder Kohl-
fuppen, Kraut, Kartoffeln, harte Klöfe, Stockfische
und Schiffszwieback. Ausnahmsweise findet man auch
Schinken, Eier, Fische, Pfannkuchen, oder wohl gar
magere Hühner. Brot wird auf kleineren Schiffen nur
höchst selten gebacken.
1 *
4
Um sich die Kost zu verbeffern, besonders bei einer
längeren Reise, thut man sehr wohl, sich mit einigen
Aushilfsmitteln zu versehen. Die zweckmäßigsten sind:
Suppenglace und feiner Zwieback; beide verwahre man
in Blechkästchen, um Feuchtigkeit und Ameisen davon ab-
zuhalten – ferner eine tüchtige Portion Eier, die man
aber, wenn die Reise in südliche Gegenden geht, zuvor in
starkes Kalkwaffer tauchen oder in Steinkohlenstaub ver-
packen muß; dann Reis, Kartoffeln, Zucker, Butter,
und alle Ingredienzien zur Bereitung von Weinsuppe und
Kartoffelsalat. Erstere ist sehr färkend, letzterer sehr
kühlend. Dem, welcher mit Kindern reist, würde ich ganz
besonders eine Ziege mitzunehmen empfehlen.
In Betreff des Weines muß man ja nicht vergeffen,
den Kapitän zu fragen, ob dieß Getränk in der Zahlung
mit begriffen ist, da man es sonst um theures Geld von
ihm kaufen muß.
Aber auch noch andere Sachen als Lebensmittel sind
da mitzunehmen, und zwar vor Allem eine Matratze
fammt Polster und Decke, da man gewöhnlich nur eine
leere Coje vorfindet. Man bekömmt diese Gegenstände in
jeder Hafenstadt billig zu kaufen.
Außerdem thut man auch gut, sich mit farbiger
Wäsche zu versehen. Die Stelle des Wäschers vertritt
ein Matrose, und daß man da die Wäsche nicht im besten
Zustande zurückbekömmt, ist leicht begreiflich.
Sind die Matrosen gerade mit der Stellung der
Segel beschäftiget, so muß man außerordentlich Acht
haben, von einem herabfallenden Taue nicht beschädiget zu
werden.
5
Doch all' diese Unannehmlichkeiten sind noch sehr
gering – die wahre Qual beginnt gegen das Ende der
Reise. Des Kapitän's Geliebte ist ein Schiff. Auf dem
Meere gestattet er ihr das bequeme Negligée; aber im
Hafen muß sie geputzt und geschmückt erscheinen. Keine
Spur der weiten Reise, der Stürme, der glühenden
Sonnenhitze darf man an ihr gewahren. Da beginnt
denn ein unaufhörliches Hämmern, Hobeln und Sägen;
jeder Sprung, jede Fuge und Beschädigung wird ausge-
beffert und am Ende das ganze Schiff mit Oelfarbe über-
malt. Am ärgsten ist das Gehämmer, wenn die Fugen
des Deckes ausgebeffert und mit Theer eingelaffen wer-
den. Dies ist beinahe unerträglich.
Aber genug von den Unannehmlichkeiten. Ihre
Beschreibung soll nur dazu dienen, jene, die noch nie
zur See gereist sind, einigermaßen vorzubereiten. Leute, die
in Seehäfen wohnen, bedürfen dieser Andeutungen freilich
nicht, denn die hören ja täglich davon sprechen; – nicht
fo wir armen Binnenfädter. Wir wissen oft kaum, wie ein
Segel- oder Dampfschiff aussieht, viel weniger, wie man
darauf lebt. Ich spreche aus Erfahrung, und weiß nur
zu gut, was ich bei meiner ersten Seereise litt, weil ich,
von nichts unterrichtet, außer einiger Wäsche und
Kleidung, nichts mit mir nahm.
Nun zu dem weiteren Verlaufe meiner Reise. Am
28. Juni Abends fähifften wir uns ein, und am 29. vor
Sonnenaufgang wurden die Anker gelichtet. Die Reise
begann eben nicht sehr ermuthigend; wir hatten höchst
flauen, beinahe gar keinen Wind, jeder Fußgänger ward,
im Vergleiche zu uns, ein Schnellläufer – wir legten
6
die 8 Meilen *) bis Blankenese in sieben Stunden
zurück.
Zum Glücke ward uns diese Langsamkeit nicht so
lästig, da wir Anfangs noch lange die herrliche Hafen-
stadt im Gesichte behielten, und später an der holsteini-
schen Küste an den schönen Landhäusern der reichen Ham-
burger, die auf reizenden Hügeln gelegen, und von zier-
lichen Gärten umgeben sind, fortwährend unser Auge
ergötzten. So schön dieses Ufer ist, so einfach und lang-
weilig ist das linke, das Hannoveranische. Die Elbe
hat an manchen Stellen schon eine Breite von 3 bis 4
Meilen.
Unterhalb Blankenese versehen sich die Schiffer mit
Waffer aus der Elbe, das zwar schmutzig und trübe aus-
sieht, doch die gute Eigenschaft haben soll, jahrelang der
Fäulniß zu widerstehen.
Glückstadt (32 Meilen von Hamburg) erreichten
wir erst am 30. Morgens. Der Wind hörte hier ganz auf,
die Fluth gewann die Oberhand, und wir trieben zurück.
Der Kapitän ließ daher die Anker fallen, und benützte
diese aufgedrungene Ruhe, die Kisten und Koffer auf und
unter dem Decke befestigen zu laffen. Uns Müßiggängern
wurde erlaubt an's Land zu gehen und das Städtchen zu
besehen, an dem wir jedoch wenig zu bewundern fanden.
Die Reisegesellschaft bestand aus 8 Personen. Die
vier Cajütenplätze waren, außer dem Grafen B. und mir,
*) Auf der See wie auf Flüffen rechne ich immer nach
Seemeilen, von welchen vier auf eine geographische
Meile kommen.
7
noch von zwei jungen Leuten besetzt, die in Brasilien
schneller Glück zu machen hofften als in Europa. –
Der Preis eines Cajütenplatzes betrug 100, jener des
Zwischendeckes 50 Dollars.
Im Zwischendecke befand sich, außer zwei achtbaren
Bürgersmännern, noch ein altes Mütterchen, die dem
Rufe ihres einzigen, in Brasilien angesiedelten Sohnes
folgte, und eine Frau, deren Mann bereits 6 Jahre in
Rio de Janeiro das Schneiderhandwerk betrieb. Man"
lernt sich auf Schiffen schnell kennen und hält so viel als
möglich zusammen, um dadurch die Einförmigkeit einer
langen Seereise erträglich zu machen.
Am 1. Juli gingen wir bei ziemlich fürmischem
Wetter wieder unter Segel. Wir gewannen einige Mei-
len; mußten uns aber alsbald wieder vor Anker legen.
Die Elbe ist nun schon so breit, daß man ihrer Ufer kaum
mehr ansichtig wird. Durch die Heftigkeit des Wellen-
schlags zeigte sich bereits bei einigen aus unserer Gesell-
schaft die Seekrankheit. Auch am 2. Juli versuchten
wir die Anker zu lichten, es war jedoch so erfolglos wie
Tags zuvor. Gegen Abend fahen wir einige Delphine,
auch Tummler genannt, nebst mehreren Möven – Ver-
künder der nahen See.
Viele Schiffe zogen gar eilig an uns vorüber, –
ach, sie konnten Sturm und Wind benützen, ihnen
schwellte er die Segel, und trieb sie eilend der nahen
Stadt zu. Wir mißgönnten ihnen dies Glück, und viel-
leicht hatten wir es dieser christlichen Liebe zu danken, daß
wir auch am 3. Juli nicht weiter als bis Kurhaven (64
Seemeilen von Hamburg) kamen.
8
Der 4. Juli war ein schöner, herrlicher Tag –
für Jene, die ruhig am Lande bleiben konnten; aber für
Seefahrer war er sehr schlecht, denn es ging auch nicht
das kleinste Lüftchen. Um unsern Klagen zu entgehen
rühmte uns der Kapitän das niedliche Städtchen, und
ließ uns an's Land setzen. Wir besahen sowohl das
Städtchen als auch das Badehaus und den Leuchtthurm,
und gingen dann fogar nach dem fogenannten „Busch,
wo wir, wie man uns sagte, eine große Menge von Erd-
beeren finden würden. – Nachdem wir bei glühender
Hitze eine gute Stunde über Felder und Wiesen gestrichen
waren, fanden wir wohl den Busch, aber statt der Erd-
beeren nur Frösche und Nattern.
Wir drangen nun in den magern Hain, und sahen
bei 20 Zelte aufgeschlagen; ein geschäftiger Wirth trat
hervor, und während er uns einige Gläser schlechter Milch
kredenzte, erzählte er, daß hier im Buche alljährlich
durch 3 Wochen, oder eigentlich beffer gesagt, an drei
Sonntagen (denn unter der Woche blieben die Zelte ge-
schloffen) Markt gehalten werde. Auch die Frau Wirthin
trippelte herbei, und lud uns gar freundlich ein, ja nur
den nächsten Sonntag hier zuzubringen. Wir würden
uns, wie sie sagte, gewiß „köstlich amüsieren u; wir älte-
ren hätten Unterhaltung an den erstaunlichen Künsten
der Seiltänzer und Taschenspieler, und die jungen Herren
würden schmucke Dirnen zum Tanze finden.
Wir haten sehr erfreut über diese Einladung, ver-
sprachen ganz sicher zu kommen, und gingen dann noch
nach Ritzebüttel, wo wir ein Schlößchen und einen Mi-
niaturpark bewunderten.
9
5. Juli. Nichts ist so veränderlich als das Wet-
ter; gestern schwelgten wir im Sonnenscheine, heute
umgab uns dichter, finsterer Nebel, – und doch war uns
das heutige schlechte Wetter lieber als das gestrige
schöne, denn es erhob sich etwas Wind, und um 9 Uhr
Morgens hörten wir die Ankerwinde knarren.
Unsere jungen Leute mußten sich nun die Parthie
nach dem Bufche aus dem Kopfe schlagen, und das
Tanzen mit hübschen Mädchen bis zur Ankunft in dem
neuen Welttheile verschieben, – in Europa sollte kein
Fuß mehr ans Land gesetzt werden.
Der Uebergang von der Elbe in die Nordsee ist
kaum bemerkbar, da sich die Elbe nicht in Arme theilt,
und bei ihrem Ausfluffe eine Breite von 8 – 10 Meilen
hat. Sie bildet selbst ein kleines Meer, und hat auch
schon die grüne Farbe desselben angenommen. Wir wa-
ren daher sehr überrascht, als uns der Kapitän freudig
zurief: „Nun haben wir den Strom übersegelt! –
wir meinten, schon lange auf dem Meere zu schiffen!
Nachmittags fahen wir die Insel Helgoland
(den Engländern gehörig), die wirklich zauberhaft aus
dem Meere emporsteigt. Sie ist ein nackter, koloffaller
Fels, und hätte ich nicht aus einer der neuesten Geogra-
phien gewußt, daß sich bei 2500 Menschen darauf auf-
halten, ich hätte die ganze Insel für unbewohnt be-
trachtet. Auf drei Seiten steigen die Felsenwände fo
schroff aus dem Meere, daß man gar nicht anlanden kann.
Wir fähifften in ziemlicher Ferne vorüber, und fahen
nur den Kirch- und Leuchtthurm, und den sogenannten
„Mönch, einen freistehenden, senkrecht abfallenden
T(l)
Fels, der von dem eigentlichen Stammfels getrennt ist
und einen Streifen des Meeres durchschimmern läßt.
Die Einwohner sind sehr arm. Die einzigen Quel-
len ihres Erwerbes sind der Fischfang und die Badegäste,
deren jährlich. Viele kommen, da die hiesigen Seebäder,
ihres außerordentlichen Wellenschlages wegen, von großer
Wirkung sein sollen. Leider besorgt man, daß dieser
Badeort nicht sehr lange mehr existieren dürfte, – all-
jährlich soll die Insel kleiner werden, bedeutende Fels-
trümmer lösen sich beständig ab, und das ganze Eiland
kann einstens in die Tiefe des Meeres versinken.
Vom 5. bis 10. Juli hatten wir beständig fürmi-
sche und kalte Witterung, hohe See und starkes Rollen
des Schiffes. Unter uns armen „Landkrabben
(so nennen die Seeleute die Landbewohner) herrschte all-
gemein die Seekrankheit. Den Kanal von England, auch
Kanal la Manche genannt (360 Meilen von Kurhaven),
erreichten wir erst in der Nacht vom 10. auf den 11.
Wir erwarteten mit Sehnsucht die aufgehende
Sonne, – sie sollte uns zwei der mächtigsten Reiche
Europas zeigen. Zum Glücke bekamen wir einen schö-
nen heitern Tag, und die beiden Reiche lagen vor unsern
Blicken so nahe und herrlich, daß man zu glauben geneigt
war, ein Schwestervolk bewohne die beiden Länder.
An Englands Küste fahen wir North-Foreland,
das große Castell Sandowe, und die sich am Fuße der
mehrere Meilen langen, etwa 150 Fuß hohen Kreide-
wände ausbreitende Stadt Deal; ferner South-Fore-
land, und endlich das antike Castell Dover, das ächt
ritterlich auf einer Anhöhe thront und die Umgegend
11
weit und breit überwacht. Die Stadt gleichen Namens
liegt an dem Meeresufer.
Dover gegenüber, wo der Kanal am schmälften ist,
sahen wir an Frankreichs Küste Cap Grisnez, wo
Napoleon ein kleines Gebäude errichten ließ, um, wie
man fagt, nach England wenigstens sehen zu können –
weiterhin den Obelisk, welchen Napoleon zur Erinne-
rung eines Lagers bei Boulogne setzen ließ, der aber
erst unter Louis Philipp beendet wurde.
In der Nacht mußten wir in der Gegend von Dover
kreuzen, da der Wind nicht zu unserm Vortheil war.
Bei der tiefen Finsterniß, die Land und Meer bedeckte,
war dieß sehr gefährlich, einerseits wegen der nahen
Küste, andererseits wegen der Menge von Schiffen, die
den Kanal befahren. Um das Zusammenstoßen zu ver-
meiden, wurde auf dem Fokmaste eine Laterne aufgehan-
gen, zeitweise eine Fakel angezündet und über Bord ge-
halten, und manchmal mit der Schiffsglocke geläutet –
lauter sehr beängstigende Zeichen für einen der Seefahrt
noch Ungewohnten.
Vierzehn Tage hielt uns der 360 Meilen lange
Kanal gefangen; oft blieben wir 2 – 3 Tage an einer
und derselben Stelle wie festgebannt, oft mußten wir
Tagelang kreuzen, um nur einige Meilen zu gewinnen.
In der Nähe von Start überfiel uns sogar ein tüchtiger
Sturm. In der Nacht wurde ich plötzlich auf das Deck
gerufen. Schon wähnte ich, es sei irgend ein Unglück ge-
fchehen. Ich warf nur einige Kleider um, und eilte
hinauf, – da hatte ich den überraschenden Anblick eines
Feuermeeres; das Kielwaffer bildete einen so starken
12
Feuerstreif, daß man dabei hätte lesen können, die Wogen
an der Seeseite glichen glühenden Lavaströmen, und jede
aufspringende Welle warf Feuerfunken aus. Die Züge
der Fische umgab ein unnachahmliches Licht, – weit und
breit erschimmerte Alles.
Dieses außerordentliche Leuchten des Meeres gehört
zu den seltenen Erscheinungen, und es ereignet sich höchstens
nach anhaltenden, heftigen Stürmen. Der Kapitän er-
zählte mir, daß er selbst noch nie das Meer in solcher
Art habe leuchten gesehen. Mir wird dieser Anblick ewig
unvergeßlich bleiben.
Eine andere, kaum minder schöne Erscheinung bot
uns einf, nach einem Gewitter, das Wiederspiegeln der
fonnebeglänzten Wolken auf der Meeresfläche. Sie
schimmerten und prangten in einem Farbenspiele, das noch
jenes des Regenbogens übertraf
Eddystower, den berühmtesten Leuchtthurm Euro-
pa's, konnten wir mit voller Muße betrachten, da wir zwei
Tage in einem Angesichte kreuzten. Die Höhe, Kühn-
heit und Stärke seines Baues ist wirklich wunderbar,
noch wunderbarer aber feine Lage auf einem gefährlichen
Riffe; vier Meilen von der Küste, entfernt erscheint er
wie in das Meer hinein gemauert.
Wir schifften häufig so nahe an der Küste von
Cornwallis, daß wir nicht nur jedes Dörfchen genau
betrachten konnten, sondern selbst die Menschen auf den
Straßen und Feldern sahen; das Land ist hügelig und
üppig, und scheint sehr forgfältig kultiviert.
Die Temperatur war während der ganzen Fahrt im
13
Kanal ziemlich kalt und rauh; nur selten stieg der Ther-
mometer über 15 Grad *).
Endlich, am 24. Juli, erreichten wir das Ende des
Kanales, und kamen in die hohe See; wir hatten ziem-
lich guten Wind, und befanden uns am 2. August schon
auf der Höhe von Gibraltar, wo uns eine Windstille
überfiel, die 24 Stunden anhielt. Der Kapitän warf
einige Stücke weißen Geschirres, so wie einige große
Knochen in das Meer, um uns zu zeigen, wie wunderschön
grün derlei Gegenstände erscheinen, wenn sie langsam in
die Tiefe finken; natürlich kann man dies nur bei gänz-
licher Windstille bemerken.
Des Abends erfreuten uns viele Mollusken durch
ihr schönes Leuchten im Meere; sie sahen aus wie hand-
große, schwimmende Sterne; auch bei Tage sahen wir sie
häufig unter dem Waffer. Bräunlichroth gefärbt glichen sie
an Form einem Fliegenschwamme ; manche hatten einen
dicken Stengel, der unten etwas ausgefranzt war; bei
andern hingen statt des Stengels viele Fäden hinab.
4. August. Heute war der erste Tag, der sich
durch Hitze als südlich kund gab, doch fehlte ihm, wie
auch den folgenden, jener reine, dunkelblaue Himmel, der
sich so unnachahmlich schön über das Mittelmeer wölbt.
Eine kleine Entschädigung gewährten die Auf- und Unter-
gänge der Sonne, die oft von den seltsamsten Wolken-
bildungen und Farbenmischungen begleitet waren.
Wir befanden uns auf der Höhe von Marokko, und
waren an diesem Tage so glücklich, eine große Menge
*) Ich rechne stets nach Reaumur, und zwar im Schatten.
14
Boniten zu fehen. Das ganze Schiffspersonale kam in
Bewegung, und von allen Seiten wurden Angeln aus-
geworfen, – leider ließ nur ein einziger sich von unsern
freundlichen Lockungen verführen, er biß an, – und fein
gutmüthiges Vertrauen verschaffte uns ein langentbehrtes
frisches Gericht.
Am 5. August sahen wir nach 12 Tagen wieder
einmal Land, und zwar schon bei Sonnenaufgang das
Inselchen Porto Santo, das aus spitzen Bergen besteht,
die in ihren Formen vulkanischen Ursprung verrathen.
Einige Meilen vor dieser kleinen Insel steht gleich einem
Vorposten der schöne Fels Falcon.
Noch am selben Tage kamen wir an Madeira vorüber,
(20 Meilen von Porto Santo), aber leider in solcher
Ferne, daß wir nichts als den langen Bergrücken sahen,
der diese Insel durchschneidet. Unweit Madeira liegen
die gebirgigen Inseln Defertas, die bereits zu Afrika
gehören.
Wir begegneten nahe diesen Inseln einem Schiffe,
welches mit kurzen Segeln unter dem Winde ging,
woraus unser Kapitän schloß, daß es ein Kreutzer fei,
der Seeräuber auf der Fährte habe.
Am 6. August sahen wir die ersten fliegenden
Fische, doch in solcher Entfernung, daß wir sie kaum aus-
nehmen konnten.
Der 7. August brachte uns in die Nähe der cana-
rischen Inseln, die aber leider, des starken Nebels wegen,
für uns unsichtbar blieben. – Nun empfing uns der
Paffatwind, der von Osten bläst und allen Schiffern
erwünscht ist.
15
In der Nacht vom 9. auf den 10. August tra-
ten wir in den Wendekreis der Tropen*). Wir erwarte-
ten nun von Tag zu Tag glühendere Hitze und heiteren
Himmel, – und fanden keines von beiden. Die Atmo-
sphäre war düster und neblich und der Himmel so um-
wölkt, wie dies in unserm rauhen Vaterlande höchstens an
einem Novembertage statt hat. Alle Abende thürmten sich
die Wolken der Art auf, daß wir stets einem Wolkenbruche
entgegen sahen; erst nach Mitternacht heiterte sich der
Himmel gewöhnlich wieder auf, und ließ uns die schönen
hellglänzenden Sternbilder des Südens bewundern.
Der Kapitän erzählte uns, daß er nun schon zum
14. Mal die Reise nach Brasilien mache, stets die Hitze
fehr erträglich gefunden; und den Himmel nie anders als
im düstersten Gewande gesehen habe. Dies rühre von der
feuchten, ungesunden Küste von Guinea her, deren böse
Wirkung sich noch weit über uns hinaus erstrecke; – wir
waren 300 Meilen von ihr entfernt.
In den Tropen macht sich der schnelle Uebergang
vom Tage zur Nacht schon sehr bemerkbar; 35 – 40
Minuten nach Untergang der Sonne herrscht schon tiefe
Finsterniß. Der Unterschied zwischen Tag- und Nacht-
gleiche vermindert sich noch mehr, je näher man der Linie
kömmt. Unter der Linie selbst ist der Tag und die
Nacht gleich lang.
Den 14. und 15. August segelten wir parallel mit
den Cap-Verdischen Inseln. Wir waren kaum 20 Mei-
*) Die Tropen erstrecken fich auf 23 Breitengrade südlich
und nördlich von der Linie,
T16
len von ihnen entfernt; konnten sie aber des düstern
Dunstkreises wegen nicht erblicken.
Nun erfreuten uns schon häufig kleine Schwärme
fliegender Fische, die sich oft so nahe der Schiffswand er-
hoben, daß wir sie vollkommen genau betrachten konnten.
Sie haben beiläufig die Größe und Farbe der Häringe,
nur daß ihre Seitenfloffen länger und breiter sind, und
sie dieselben öffnen und schließen können, wie kleine Flü-
gel. Sie erheben sich bei 12 – 15 Fuß in die Höhe
und fliegen oft über 100 F. weit, worauf sie auf Augen-
blicke untertauchen, um sich dann neuerdings zu erheben;
letzteres geschieht besonders häufig, wenn sie von Boniten
oder andern Feinden verfolgt werden. Wenn man sie
etwas entfernt vom Schiffe auffliegen sieht, gleichen sie
wirklich zierlichen Luftbewohnern. Gar oft fahen wir
auch Boniten hinter den Armen herjagen, die dann eben-
falls versuchten, sich über das Waffer zu erheben; selten
kam aber mehr als der Kopf zum Vorschein.
Sehr schwer hält es, einen dieser Luftsegler zu er-
haschen, da sie sich weder mit Netzen noch Angeln fangen
laffen; nur zufällig treibt der Wind manchmal in den
Nächten einige aufs Deck oder in den Rost *), wo
man sie dann des Morgens todt findet, da sie auf
trocknen Stellen nicht die Kraft haben, sich zu erheben.
Auf diese Art erhielt ich einige Exemplare.
Heute den 15. August ward uns ein höchst
intereffantes Schauspiel zu Theil: wir befanden uns gerade
*) Roft nennt man den Vorsprung an der äußern. Schiffs-
wand, in welchem die Mast-Taue befestigt sind.
17
um die Mittagsstunde im Zenithe der Sonne, deren
Strahlen so senkrecht herabfielen, daß kein Gegenstand
den geringsten Schatten warf. Wir stellten Bücher,
Stühle, uns felbst in die Sonne, und ergötzten uns unge-
mein an diesem feltsame Spiele – Dank dem Zufalle,
der uns zur rechten Zeit an den rechten Ort führte; –
wären wir zur selben Stunde nur Einen Grad näher
oder entfernter gewesen, so würde die ganze Erscheinung
für uns verloren gegangen sein. – Unsere Lage war:
14 Grad 6 Minuten der Breite; – ein Grad hat 60
Minuten; eine Minute ist gleich einer Seemeile.
Das Meffen mit dem Sertanten *) mußte unter-
bleiben, bis wir uns wieder einige Grade von dem
Zenithe der Sonne entfernt hatten.
17. Auguft. Ganze Schaaren von Springern
(4 – 5 Fuß lange Fische, zum Geschlechte der Delphine
gehörig) tummelten um unser Schiff umher. Schnell
wurde eine Harpune zurecht gemacht und eine Matrose
damit auf das Bugsprit geschickt, um einen zu harpunieren.
Entweder hatte der Bursche kein Glück oder er war in
*) Der Sertant ist ein mathematisches Instrument, mittelst
welchem berechnet wird, unter welchen Breiten- und Län-
gengraden man sich befindet, und wie man in der Zeit
feht. Nach ihm werden auch die Uhren gerichtet. Um
die Breitengrade zu bestimmen, mißt man Mittags, aber
nur wenn die Sonne scheint, denn sie ist unbedingt nöthig
hiezu, weil nach dem Schatten, den sie auf die unten be-
merkten Zahlen wirft, die Berechnung gemacht wird. Die
Längengrade kann man Vor- oder Nachmittags messen,
hiezu ist die Sonne nicht nöthig.
Pfeiffers Reise 1. Th. 2
18
der Kunst des Harpunirens zu unerfahren, der Wurf ging
fehl, und das Wunderbare dabei war, daß die Thiere wie
mit einem Zauberschlage verschwanden, und auf mehrere
Tage nicht mehr zum Vorscheine kamen; es war, als ob
fie sich einander zugeflüstert und vor der drohenden Ge-
fahr gewarnt hätten.
Desto häufiger kam ein anderes Geschöpf des Meeres
zum Vorscheine, die herrliche Molluske Phyfolide,
in der Schiffersprache „portugiesisches Segel-
fchiffu genannt. Auf der Oberfläche des Meeres
schwimmend gleicht sie mit ihrem länglichen Kamme, den
fie auf- und niederlegen kann, wirklich einem kleinen, zier-
lichen Segler. Ich hätte mir gerne eines dieser Thier-
chen verschafft; aber es zu erhaschen war nur mittelst
eines Netzes möglich, und ich hatte keines, auch nicht
einmal Nadel und Bindfaden, um mir schnell eines zu
verfertigen. Die Noth aber macht erfinderisch, ich schnitzte
eine Nadel aus Holz, drehte einen groben Bindfade auf,
und nach einigen Stunden hatte ich ein Netz. Bald war
auch eine Molluske gefangen und in ein mit Seewaffer
gefülltes Gefäß gesetzt. Der Körper des Thierchens ist
bei 6 Zoll lang und 2 Zoll hoch; über den ganzen
Rücken zieht sich der Kamm, der in der Mitte, wo er
am höchsten ist, bei 1%, Zoll mißt. Kamm und Körper
sind durchsichtig und wie angehaucht von blaffer Rofa-
farbe; an dem Unterkörper, der violett gefärbt ist, hän-
gen viele Fäden oder Arme von derselben Farbe.
Ich hing das Thierchen außerhalb des Schiffes am
Stern auf, um es zu trocknen; einige der Fäden reich-
ten bis in die See (eine Tiefe von wenigstens 12 Fuß),
T19
fielen aber meist ab. Der Kamm blieb nach dem Tode
aufgerichtet und der Körper vollkommen ausgedehnt; die
schöne Rosafarbe aber ging in weiß über.
18. Auguft. Heute wurde uns ein heftiges Don-
nerwetter zu Theil. Es war uns sehr erwünscht, da es
die Luft bedeutend kühlte. Zwischen dem 11. und dem
2. bis 3. Breitengrade nördlich der Linie (Aequator) finden
überhaupt häufige Veränderungen in Luft und Wetter
statt. So überfiel uns auch am Morgen des 20. ein be-
deutender Wind, der die Wogen des Meeres fockhoch
aufhürmte, und bis Abend anhielt, wo ihn ein tropi-
scher Regen, den man bei uns einen Wolkenbruch nennen
würde, ablöste. Unter Deck war augenblicklich in einen
See verwandelt, dabei trat solche Windstille ein, daß
selbst das Steuerruder vollkommen Ferien hatte.
Mich kostete dieser Regen eine Nacht, denn als ich
Besitz von meiner Koje nehmen wollte, fand ich das Bett-
zeug ganz durchnäßt, und mußte mein Lager auf einer
hölzernen Bank suchen.
Am 27. August kamen wir aus dem Bereiche die-
er uns so feindlichen Grade, und wurden nun von dem
sehnlich erwünschten Süd-Ost-Paffat empfangen, der uns
rasch vorwärts brachte.
Wir waren nun schon der Linie sehr nahe, und
hätten gerne, gleich andern Reisenden, die gepriesenen
Sternbilder des Südens gesehen. Am begeistertsten hörte
ich immer von dem südlichen Kreuze sprechen. Da
ich selbes aus den Sternen nicht heraus fand, so bat ich
unsern Kapitän, es mir zu zeigen. Er meinte, nichts
davon gehört zu haben, ebenso der Obersteuermann, nur
2*
20
dem Untersteuermanne schien es nicht ganz unbekannt.
Mit feiner Hülfe fanden wir auch wirklich am fernbesäeten
Firmamente vier Sterne, die ungefähr die Form eines
etwas schiefen Kreuzes bildeten, aber durchaus nichts be-
sonderes an sich hatten und uns gar keine Begeisterung
einflößten. – Herrlich dagegen waren: der Orion, der
Jupiter und die Venus; letztere ergänzte der Art,
daß ihr Licht eine schöne Silberfurche über das Meer zog.
Das Fallen vieler und großer Sternschnuppen kann
ich ebenfalls nicht bestätigen. Es fielen wohl mehr als
in kalten Ländern; aber gar zu häufig kommen sie auch
nicht vor, und was ihre Größe betrifft, so sah ich nur
eine, welche die unsern übertraf; sie erschien ungefähr
dreimal so groß als ein gewöhnlicher Stern.
Seit einigen Tagen bemerkten wir auch schon die
„magellanifchen oder Cap-Wölkchen, und
die sogenannte „schwarze Wolken, – erstere sind
licht und werden, gleich der Milchstraße, durch zahllose
kleine Sterne gebildet, die dem entwaffneten Auge nicht
sichtbar sind; letztere erscheint schwarz, da an dieser Stelle
des Firmamentes gar keine Sterne sein sollen.
Alle diese Zeichen machten uns auf den intereffan-
testen Moment dieser Fahrt aufmerksam, – auf das
Ueberschreiten der Linie. -
Am 29. August. Nachts 10 Uhr begrüßten wir,
die südliche Hemisphäre! Ein beinah stolzes Gefühl
bemächtigte sich Aller, aber besonders jener, die zum ersten
Mal die Linie überschritten. Wir schüttelten einander
freudig die Hände, und beglückwünschten uns, als hätten
wir eben eine Heldenthat vollbracht. Einer der Reisenden
21
hatte für diese Feierlichkeit ein Paar Flaschen Cham-
pagner mitgenommen. Lustig flogen die Stöpsel in die
Luft, und ein fröhliches Lebehoch wurde der neuen
Hemisphäre zugetrunken.
Unter dem Schiffsvolke fand keine Feierlichkeit statt;
es ist dieß auf den wenigsten Schiffen mehr gebräuchlich,
da dergleichen Feste selten ohne Unordnung und Trunken-
heit ablaufen. – Unterm Schiffsjungen, der die Linie
zum erstenmale paffirte, konnten es aber die Matrosen
doch nicht ganz schenken, und er wurde mit einigen Eimern
Seewaffer tüchtig getauft.
Schon lange vor Erreichung der Linie hatten wir
Reisende von all' den Leiden und Qualen gesprochen, die
wir unter dem Aequator würden auszustehen haben.
Jeder hatte irgend etwas Fürchterliches gelesen oder gehört,
und theilte es den Andern mit. Der Eine erwartete
Kopfschmerzen oder Magendrücken, der Zweite sah die
Matrosen vor Mattigkeit dahin sinken, der Dritte
fürchtete eine glühende Hitze, die nicht nur den Theer
schmelzen *), sondern das ganze Schiff derart austrocknen
werde, daß nur beständiges Begießen mit Waffer das
Entzünden desselben werde verhüten können, – der
Vierte fah wieder alle Lebensmittel verderben und uns
dem Hungertode nahe.
Was mich nun selbst betraf, so freute ich mich schon
außerordentlich auf die tragischen Erzählungen, die ich
*) Zur Schmelzung des Theers in den Fugen des Schiffes,
braucht die Hitze eben nicht sehr bedeutend zu sein; ich
fah ihn schon bei 22 Graden in der Sonne weich werden
und Blasen aufwerfen.
22
meinen theuren Lesern würde auftischen können; ich fah
fie Thränen vergießen über unsere ausgestandenen Leiden,
– ich kam mir schon vor wie eine halbe Märtyrerin!
Ach! ich hatte mich bitter getäuscht. Wir blieben
Alle gefund, – von den Matrosen sank keiner hin, –
das Schiff verbrannte nicht, und die Lebensmittel ver-
darben nicht, – sie blieben so schlecht wie zuvor.
3. September. Vom 2. bis zum 8. Breiten-
grade, südlich der Linie, sind die Winde unregelmäßig,
und oft sehr ungestüm. Wir hatten eben heute den 8.
Grad zurückgelegt, und zwar ohne Land zu gewahren,
was den Kapitän in die heiterste Laune versetzte. Er
erklärte uns, daß wir, wenn Land sichtbar geworden
wäre, bis beinah" an die Linie zurückgemußt hätten, weil
die Strömung dem Lande zu ungeheuer heftig sei, und
man die Fahrt nur in der gehörigen Entfernung vom
Lande ungehindert fortsetzen könne.
7. September. Zwischen dem 10. und 20.
Grade herrschen wieder ganz eigenthümliche Winde. Sie
heißen Vamperos und zwingen den Seefahrer zu im-
merwährender Aufmerksamkeit, da sie plötzlich kommen
und oft sehr heftig sind. Diese Nacht überfiel uns ein
solcher, aber glücklicherweise keiner der heftigsten. Nach
einigen Stunden war alles vorüber, – nur die See
wollte sich lange nicht beruhigen.
Auch am 9. und 11. September hatten wir
kurze Anfälle des Vampero zu überstehen; die stärksten
kamen aber zum Schluffe am:
12. und 13. September. Den einen bezeichnete
der Kapitän zwar nur als „eine starke Briefe,
23
den 2. trug er aber schon als „Sturm in's Logbuch*).
Die starke Briese kostete uns ein Segel, der Sturm zwei.
Die See ging fortwährend so hoch, daß uns das Effen die
größte Mühe kostete. Mit einer Hand mußte man den
Teller und zugleich sich selbst am Tische festhalten, wäh-
rend man mit der andern die Speisen dem Munde höchst
mühsam zuführte. Des Nachts mußte ich mich in der
Coje mit Mantel und Kleidern fest stauen (packen), um
meinen Körper vor blauen Flecken zu schützen.
Am Morgen des 13. war ich schon mit Tagesanbruch
auf dem Decke. Der Steuermann führte mich an die
Schiffswand und hieß mir, den Kopf darüber hinaus zu
halten und die Luft einzuathmen; – ich sog den herrlich-
fen Blüthenduft ein. Ueberrascht blickte ich umher und
meinte das Land sehen zu müffen. Es lag jedoch noch weit
entfernt, und nur der Sturm wehte den zarten Duft vom
Lande her. Sonderbar war es, daß er innerhalb des
Schiffes ganz verloren ging.
Das Meer selbst war bedeckt mit unzähligen Leichen
armer Schmetterlinge und Nachtfalter, die ebenfalls der
Sturm ins Meer getragen. Auf einer der Schiffsraaen
ruhten zwei niedliche Vögelchen, noch ganz matt und er-
schöpft von dem ungewohnten weiten Fluge.
Für uns, die wir 2%, Monate lang nichts als Him-
mel und Waffer gesehen hatten, waren all' diese Erschei-
*) Das Logbuch ist das Tagebuch des Schiffers. Alle 4
Stunden wird darin genau verzeichnet, welche Winde man
hatte, wie viele Meilen man gesegelt u. f. w., kurz alle
Begebenheiten. Mit diesem Buche muß sich der Kapitän
beim Schiffseigenthümer ausweisen.
24
nungen höchst ergötzlich, und wir spähten nun sehnsüchtig
nach dem Cap Frio, welchem wir schon sehr nahe wa-
ren. Der Horizont war aber wolkig und neblig, und die
Sonne hatte keine Kraft den trüben Schleier zu zerreißen.
Wir hoffen auf den nächsten Morgen, – da brach in
der Nacht ein neuer Sturm aus, der bis 2 Uhr anhielt.
Das Schiff wurde so weit als möglich in die offene See
gesteuert, und wir waren am Ende noch glücklich, am
Tage dieselbe Höhe und Breite wieder zu erreichen, die
wir Abends zuvor gehabt hatten.
Auch heute, den 14. September, gelang es der
Sonne nur selten, das düstere Gewölke zu durchbrechen;
dabei war es sehr kalt, der Thermometer stieg nur auf
14 Grade. Nachmittags waren wir endlich so glücklich,
die Umriffe des Cap Frio (60 Meilen von Rio de Janeiro
entfernt) zu erblicken, doch nur auf einige Stunden, denn
ein abermaliger Sturm zwang uns wieder die hohe See
zu suchen. -
Am 15. September war und blieb alles Land
unsern Augen entrückt, und nur einige Möven, Waffer-
tauben von Cap Frio, verriethen uns die Nähe desselben,
und gewährten uns einige Zerstreuung. Sie schwammen
dicht an der Seite des Schiffes und verschlangen begierig
jedes Stückchen Fleisch oder Brot, das wir ihnen zuwarfen.
Die Matrosen fischten mit Angeln nach ihnen, und waren
wirklich so glücklich, welche zu fangen. Sie setzten sie
auf das Deck, und da sah ich zu meinem Erstaunen, daß
sie sich vom Boden gar nicht erheben konnten. Wenn
wir sie berührten, schleppten sie sich nur höchst mühsam
einige Schritte weiter, während sie ich von der Waffer-
25
fläche mit bedeutender Schnelligkeit erhoben, und sehr hoch
fliegen konnten.
Gerne hätte einer der Herren einen getödtet, um ihn
auszustopfen; allein der Aberglauben der Schiffer prote-
firte dagegen. Sie sagten: Wenn man auf dem Schiffe
Vögel tödtet, fallen dauernde Windstillen ein. Wir folg-
ten ihrem Wunsche und übergaben sie wieder ihrem Luft-
und Waffer-Elemente.
Es war uns dieß ein neuer Beweis, daß der Aber-
glaube unter den Seeleuten noch sehr heimisch ist. In
der Folge kamen mir noch viele Beispiele vor. So sah
es auf einem Schiffe der Kapitän sehr ungern, daß sich
die Reisenden mit Karten - oder andern Spielen erlustig-
ten, – auf einem andern Schiffe sollte Niemand des
Sonntags schreiben, u. f. w. Bei Windstillen wurden
häufig leere Tonnen oder Stücke Holz in das Meer ge-
worfen – vermuthlich, um dadurch den Göttern der
Winde Opfer zu bringen.
Am 16. September. Morgens waren wir end-
lich so glücklich, die vor Rio de Janeiro gelegenen Ge-
birge zu erblicken, unter welchen wir auch sogleich den
Zuckerhut herausfanden. Schon um 2 Uhr Mittags
fuhren wir in die Bucht und in den Hafen von Rio de
Janeiro ein.
Gleich am Eingange dieser Bucht liegen mehrere
Bergkegel, die sich theils, gleich dem Zuckerhute, einzeln
aus der See erheben, theils am Fuße mit andern zusam-
menhängen und beinah" unbesteigbar sind. *). Durch die-
*) Vor mehreren Jahren hat ein Matrose den Versuch ge-
26
fes „Meer gebirge, wie ich es nennen möchte, bilden
fich die überraschendsten Ansichten, indem man bald wun-
derbare Schluchten, bald einen reizend gelegenen Theil
der Stadt, bald wieder das hohe Meer, bald wieder eine
herrliche Bucht erblickt. Aus der Bucht selbst, an deren
Ende die Hauptstadt liegt, entsteigen Felsmaffen, die Fe-
fungswerken als Grundlagen dienen. Auf einigen der
Bergkuppen oder Hügel liegen Kapellen und auch Fe-
fungswerke. An eines der größten der letzteren, an St.
Cruz, muß man so nahe als möglich heranfahren, um die
nöthigen Auskünfte zu ertheilen.
Von dieser Festung rechts zieht sich der schöne Ge-
birgsrücken. Sera dos-Orgôas hin, der, nebst andern
Bergen und Hügeln, eine herrliche Bucht umsäumt, an
deren Ufer das Städtchen Praya-grande, einige
Dorfchaften und einzelne Gehöfte liegen.
Am Ende der Hauptbucht breitet sich Rio de Janeiro
aus, von einer mittelhohen Gebirgskette umgeben (wor-
unter der Corcovado, von 2100 Fuß), hinter welcher
sich auf der Landseite das Orgelgebirge erhebt, das
feinen Namen den vielen riesigen, gleich Orgelpfeifen in
Reih und Glied aufgestellten Zacken verdankt. (Die höchste
Spitze darunter von 5000 Fuß) -
Ein Theil der Stadt ist, wie bereits bemerkt, durch
den Telegraphenberg und mehrere Hügel verborgen, auf
welchen nebst dem Telegraphen, ein Kapuzinerkloster und
macht, den Zuckerhut zu erklimmen; es gelang ihn zwar
deffen Höhe zu erreichen, aber nicht, wieder herabzukommen.
Wahrscheinlich glitt er aus und stürzte in die See.
27
andere kleine Gebäude liegen. Von der Stadt sieht man
mehrere Häuserreihen und Plätze, das große Spital, die
Klöster St. Luzia und Moro do Castella, das
Convent St. Bento, die schöne Kirche St. Candle-
laria und einige Theile der wahrhaft großartigen Waf-
ferleitung. Knapp an der See liegt der öffentliche Stadt-
garten (Passeo publico), der durch eine hübschen Pal-
men, wie durch eine elegante, gemauerte Galerie mit
zwei Pavillons sehr in die Augen fällt. – Links stehen
auf Anhöhen einzelne Kirchen und Klöster, als St.
Gloria, St. Theresia u. f. w. An diese reihen
fich die Praya Flamingo und Botafogo, aus-
gedehnte Dörfer mit schönen Villen , niedlichen Ge-
bäuden und Gärten, die sich bis in die Nähe des Zucker-
hutes verlieren, und so das wundervollste Rundgemälde
schließen. – Zu all diesem geben nun noch die vielen
Schiffe, die theils im Hafen vor der Stadt, theils in den
verschiedenen Buchten vor Anker liegen, – die reiche,
üppige Vegetation, das viele fremdartige und überseeische
ein Bild, dessen Reize umfaffend zu schildern meiner
Feder leider nicht möglich ist.
Selten ist man so glücklich, sich gleich bei der Ein-
fahrt eines so schönen ausgedehnten Anblickes zu erfreuen,
wie er mir zu Theil wurde, – Nebel, Wolken, oder ein
feuchter Dunstkreis verdecken häufig einzelne Partien und
stören dadurch den wunderbaren Eindruck des Ganzen.
In solch’ einem Falle rathe ich jedem, der einige
Zeit in Rio de Janeiro bleibt, an einem vollkommen hei-
teren Tage mit einem Kahne bis St. Cruz zu fahren, um
sich diesen einzig schönen Anblick zu verschaffen.
28
Es wurde beinahe dunkel bis wir den Ankerplatz er-
reichten. Erst mußten wir bei St. Cruz anhalten und
Auskunft geben, dann auf einen Offizier warten, der die
Päffe und versiegelten Briefe in Empfang nahm, dann
auf den Arzt, der uns betrachtete, ob wir vielleicht nicht
die Pest oder das gelbe Fieber mitbrächten, und endlich
wieder auf einen Offizier, der verschiedene Pakete und Kist-
chen in Empfang nahm, und uns den Ankerplatz anwies.
So war es für uns zu spät geworden, und es ging
nur der Kapitän allein an's Land. Wir aber blieben auf
dem Decke, und betrachteten noch lange das wunderherr-
liche Bild, bis die hereinbrechende Nacht Land und Meer
tief überschattete.
Wir Alle gingen heute fröhlich zur Ruhe, wir hat-
ten das schöne Ziel der langen Reise ohne große Unfälle
glücklich erreicht, – nur die arme Schneidersfrau erwar-
tete eine herbe Nachricht, die ihr der gute Kapitän heute
noch verschwieg, um sie der Nachtruhe ungestört genießen zu
laffen. – Als nämlich der Schneider Kunde erhielt, daß sich
seine Frau wirklich auf der Reise befände, ging er mit einer
Negerin durch, und hinterließ nichts als – Schulden.
Die arme Frau hatte ihr sicheres Brod im Vater-
lande aufgegeben (sie ernährte sich durch Spitzen- und
Kleiderputzen), ihr Erspartes der Reife geopfert, und nun
faß sie verlaffen und hilflos in einem fremden Welttheile*).
Von Hamburg bis Rio de Janeiro gegen 7500 See-
meilen.
*) Einige Tage nach ihrer Ankunft nahm sie die würdige
Familie Lallemand bei fich auf
Ankunft und Aufenthalt in Rio de Janeiro.
Einleitung. Ankunft. Beschreibung der Stadt. Die Schwarzen und
ihre Verhältniffe zu den Weißen. Künfte und Wiffenschaften. Ki-
chenfeste. Taufe der kaiserlichen Prinzeffin. Feste in den Kasernen.
Klima und Vegetation. Sitten und Gebräuche. Einige Worte an
die Auswanderer. Statistische Notizen über Brasilien.
3h hielt mich, die kürzeren und längeren Ausflüge
in das Innere des Landes abgerechnet, über zwei Monate
in Rio de Janeiro auf; will aber meine Leser durchaus
nicht mit einem vollständigen Verzeichnisse aller gering-
fügigen, alltäglichen Ereigniffe ermüden, sondern ihnen
nur im Allgemeinen das Hervorragende der Stadt, und
der Sitten und Gebräuche ihrer Einwohner erzählen, wie
ich Gelegenheit hatte es während meines Aufenthaltes
kennen zu lernen; die Beschreibung meiner Ausflüge werde
ich in der Form eines Anhanges folgen laffen, und erst
dann wieder den Faden meines Tagebuches ergreifen.
- - Es war am 17. September Morgens, als ich nach
beinahe 2%, Monaten zum erstenmale wieder festen Bo-
den betrat. Der Kapitän geleitete uns Reisende selbst
an's Land, nachdem er noch Jedem angelegentlich empfoh-
len hatte, ja nichts einzuschmuggeln und ganz besonders
keine versiegelten Briefe. „Nirgends,“ versicherte
30
er, „seien die Zollbeamten so strenge und die Strafen so
groß.“
Als wir das Wachtschiff erblickten, waren wir daher
beinahe ängstlich, und meinten vom Kopfe bis zu den
Füßen untersucht zu werden. Der Kapitän bat um die
Erlaubniß, mit uns ans Land gehen zu dürfen. Dies
wurde sogleich bewilligt, – und damit war die ganze
Sache abgethan. So lange wir auf dem Schiffe wohn-
ten, und nach der Stadt hin- und herfuhren, wurden wir
nie einer Untersuchung ausgesetzt; nur als wir Kisten und
Koffer mitnahmen, mußten wir nach dem Zollhause fah-
ren, wo die Untersuchung strenge, und der Zoll für Waa-
ren, Bücher u. ff. sehr groß ist.
Wir landeten an der Pray a dos Mineiros,
einem schmutzigen, ekelhaften Platze, bevölkert mit einigen
Dutzenden eben so schmutziger, ekelhafter Schwarzen, die
auf dem Boden kauerten, und Früchte und Näschereien
zum Verkaufe laut schreiend und preisend anboten. –
Von da kamen wir gleich in die Hauptstraße (Rua direita),
deren einzige Schönheit ihre Breite ist. Sie enthält meh-
rere öffentliche Gebäude, wie das Zollhaus, die Post, die
Börse, Wache u. f.w, die aber Alle so unansehnlich sind,
daß man sie gar nicht bemerken würde, fänden nicht im-
mer viele Leute davor.
Am Ende dieser Straße liegt das kaiserliche Schloß,
ein ganz gewöhnliches großes Privatgebäude, ohne An-
sprüche auf Geschmack und schöne Architektur. Der Platz
davor (Largo do Paco), mit einem einfachen Brunnen ge-
ziert, ist sehr unrein, und dient des Nachts vielen armen,
freien Negern zur Schlafstelle, die dann des Morgens
31
ihre Toilette ganz ungeniert vor aller Leute Augen machen.
" Ein Theil des Platzes ist von einer Mauer umfaßt, und
wird als Fisch-, Obst-, Gemüse- und Geflügel-Markt
verwendet.
Von den übrigen Straßen sind noch die Rua Miseri-
corda und Ouvidor die interessantesten, letztere enthält die
reichsten und größten Waarenlager, doch darf man weder
die schönen Auslagen europäischer Städte erwarten, noch
findet man besonders viel Schönes oder Kostbares. Das
einzige, was mich besonders anzog, waren die Blumen-
Magazine, in welchen die herrlichsten Blumen, künstlich
aus Vogelfedern, Fischschuppen und Käferflügeln verfer-
tiget, zur Schau gestellt waren.
Unter den Plätzen ist der Largo do Rocio der schönste,
der Largo St. Anna der größte. Auf ersterem, der auch
stets ziemlich reinlich gehalten wird, stehen das Opern-
haus, das Regierungsgebäude, die Polizei u. ff. Von
hier gehen auch die meisten Omnibus aus, welche die
Stadt in allen Richtungen durchkreuzen.
Der letztere ist unter allen Plätzen der schmutzigste;
als ich ihn das erstemal betrat, sah ich halbverweste Hunde
und Katzen, – ja selbst ein derartiges Maulthier darauf
liegen. – Ein Brunnen ist die einzige Zierde dieses
Platzes, und beinah möcht' ich es vorziehen, diesen Brun-
nen hier auch nicht zu sehen, denn, da das Süßwaffer in
Rio de Janeiro eben nicht in Ueberfluß vorhanden ist,
so schlägt die edle Wäscherzunft ihre Stätte auf, wo sich
eben Waffer findet, und ganz besonders gerne, wo dabei
auch gleich ein Platz zum Trocknen ist. Da wird also
32
gewaschen und getrocknet, geschrien und gelärmt, daß man
froh ist, den Platz hinter sich zu bekommen.
Die Kirchen bieten nichts Sehenswerthes, weder von
Außen noch von Innen. Am meisten täuschen noch die
Kirche und das Kloster St. Bento, und die Kirche Can-
delaria, die sich von der Ferne besonders gut machen
Der einzig wahrhaft schöne und großartige Bau ist
die Wafferleitung, die an manchen Stellen wirklich einem
ächt römischen Werke gleicht.
Die Häuser sind nach europäischer Art gebaut, aber
klein und unansehnlich; die meisten haben nur ein Erdga-
schoß, oder ein Stockwerk, – zwei Stockwerke sind eine
etwas seltene Sache. Auch findet man hier nicht, wie in
andern heißen Ländern, Terraffen und Veranden mit schö-
nen Geländern und Blumen geziert. Geschmacklose und
kleine Balkone hängen an den Wänden, und plumpe höl-
zerne Läden schließen die Fenster, um der Sonne jeden
Blick in die Zimmer zu verwehren. Man sitzt beinahe in
vollkommener Dunkelheit, was übrigens den brasilianischen
Damen, die sich im Arbeiten oder Lesen gewiß nie über-
nehmen, höchst gleichgültig ist.
Die Stadt bietet also an Plätzen, Straßen und Ge-
bäuden dem Fremden durchaus nichts Anziehendes; wahr-
haft abschreckend sind aber die Menschen, welchen man be-
gegnet – beinahe durchgehends nur Neger und Nege-
rinnen mit den plattgedrückten, häßlichen Nasen, den wul-
figen Lippen und kurz gekrausten Haaren. Dazu sind
sie meist noch halb nackt, mit elenden Lumpen bedeckt,
oder sie stecken in europäisch geformten, abgetragenen Klei-
dungsstücken ihrer Herren. Auf 4 – 5 solcher Schwar-
33
zen kommt dann ein Mulatte, und nur hie und da leuchtet
ein Weißer hervor. -
Noch widerlicher wird das Bild durch die häufigen
Gebrechen, die man überall gewahrt, und worunter ganz
besonders die Elephantiasis in schreckliche Klumpfüße aus-
artet; an Blindheit und andern Uebeln ist auch kein Man-
gel vorhanden. Ja sogar auf Hunde und Katzen, die in
großer Anzahl in den Gaffen umher laufen, erstreckt sich
die allgemeine Häßlichkeit – auch diese sind meist schäbig,
oder voll Wunden und Räuden.
Hierher möchte ich jeden Reisenden zaubern, der vor
dem Betreten der Gaffen. Konstantinopels zurückschreckt, der
von dieser Stadt behauptet, der Anblick des Innern zer-
störe den Eindruck des Aeußern.
Es ist wahr, daß das Innere Konstantinopels auch
höchst unrein ist, daß die vielen kleinen Häuser, die engen
Gaffen und holprigen Wege, die garstigen Hunde u. j.w.
dem Beschauer nicht sehr malerisch erscheinen; – doch bald
stößt er wieder auf herrliche Bauten maurischer und
römischer Zeiten, auf wundervolle Moscheen und majestä-
tische Paläste, und setzt seine Wanderungen fort durch
unermeßliche Friedhöfe und träumerische Cypreffen-Wäl-
der. Er tritt ausweichend zur Seite vor einem Pascha
oder hohen Priester, der auf stolzem Roffe reitet und von
glänzender Dienerschaft umgeben ist, – er begegnet Tur-
ken, in edle Tracht gehüllt, Türkinnen, deren Feueraugen
durch den Schleier glänzen, – er sieht Perser mit
hohen Mützen, Araber mit edlen Gesichtsbildungen, da-
zwischen Derwische mit Narrenmützen und gefalteten Wei-
berröcken, und von Zeit zu Zeit herrlich bei alte, vergol-
Pfeiffers Reise, 1. Ty. 3
3.
dete Wagen, von prächtig geschirrten Ochsen gezogen. –
Dies Alles find Erscheinungen, die reichlich entschädigen
für das Häßliche, das man hie und da er schaut. Dage-
gen findet man im Innern Rio de Janeiros nichts, das
erfreuen und entschädigen kann, sondern überall tritt hier
nur Ekelhaftes und Widerliches vor die Augen.
Erst, nachdem ich manche Woche hier verbracht hatte,
war ich in etwas an den Anblick der Schwarzen und Mu-
latten gewöhnt, und ich fand dann auch unter den jungen
Negerinnen artige Gestalten, und unter den etwas dunkel-
gefärbten Brasilianerinnen und Portugiesinnen hübsche,
ausdrucksvolle Gesichter; minder scheint die Gabe der
Schönheit dem männlichen Geschlechte verliehen zu sein.
Die Lebhaftigkeit auf den Straßen ist bei weitem
nicht so groß, als man nach so vielen Beschreibungen ver-
muthen würde, und durchaus nicht mit jener in Neapel
oder Meffina zu vergleichen. Den meisten Lärm machen
die lasttragenden Neger, und darunter besonders Jene,
welche die Kaffeesäcke an Bord der Schiffe schleppen; sie
stimmen dabei einen eintönigen Gesang an, der ihnen zum
Takte dient, um gleichen Schritt zu halten, übrigens sehr
widrig klingt; doch hat er das Gute, daß der Fußgän-
ger dadurch aufmerksam gemacht wird, und bei Zeiten aus
dem Wege gehen kann.
In Brasilien werden alle schweren und unreinen
Arbeiten in und außer dem Hause durch Schwarze ver-
richtet, die hier überhaupt die Stelle des niederen Volkes
vertreten. Doch lernen auch viele Handwerke, und man-
che derselben sind dabei den geschicktesten Europäern gleich-
zustellen. Ich sah in den elegantesten Werkstätten Schwarze
35
mit Verfertigung von Kleidern, Schuhen, Tapezier-,
Gold-, Silber - Arbeiten u. f. w. beschäftiget, und traf
manch zierlich gekleidetes Negermädchen, am feinsten Da-
menputze, an den zartesten Stickereien arbeitend. Ich
glaubte fürwahr oft zu träumen, wenn ich diese armen
Geschöpfe, die ich mir als freie Wilde in ihren heimath-
lichen Wäldern vorstellte, in den Läden und Zimmern
solch' feine Geschäfte vollbringen sah! Und dennoch scheint
es ihnen nicht so schwer zu fallen, als man glauben sollte.
Sie verrichteten stets scherzend und munter ihre Ar-
beiten. -
Unter der hiesigen sogenannten gebildeten Klaffe find
manche, die, nach all' den Beweisen mechanischer Geschick-
lichkeit und auch geistiger Auffassung, welche die Schwarzen
häufig entwickeln, noch immer behaupten, dieselben ständen
an Geisteskraft so tief unter den Weißen, daß man
sie nur als einen Uebergang vom Affen - zum Menschen-
geschlechte betrachten könnte. Ich gebe zu, daß sie einiger-
maßen entfernt von der geistigen Bildung der Weißen
find; finde aber die Ursache nicht in dem Mangel an Ver-
stand, sondern in dem gänzlichen Mangel an Erziehung.
Für sie ist keine Schule errichtet, sie bekommen keinen
Unterricht, – kurz es geschieht nicht das Geringste, ihre
geistigen Fähigkeiten zu entwickeln. Man hält ihren Geist
wie in alten despotischen Staaten vorsätzlich in Feffeln,
denn das Erwachen dieses Volkes dürfte den Weißen
fürchterlich sein. An Zahl ist es ihnen um das Vier-
fache*) überlegen, und käme es zu dem Bewußtsein dieser
Man rechnet durchgehends auf 4 Schwarze einen Weißen.
3 *
36
Ueberlegenheit, dann könnten leicht die Weißen in jenen
Zustand versetzt werden, in welchem sich bisher die un-
glücklichen Schwarzen befanden.
Aber ich versteige mich in Vermuthungen und Ab-
handlungen, die wohl gelehrten Männern zukommen, nicht
aber mir, die ich die dazu nöthige Bildung durchaus nicht
befize; mein Zweck ist: nur einfach meine Anschauungen
darzulegen.
Obwohl in Brasilien die Zahl der Selaven sehr
groß ist, so findet man doch nirgends einen Sclavenmarkt.
Ihre Einfuhr ist öffentlich verboten, – doch werden all-
jährlich viele Tausende eingeschmuggelt und verkauft auf
ganz geheimen Wegen, die Jedermann kennt und Jeder-
mann benützt. Englands Schiffe kreuzen wohl beständig
an der afrikanischen und brasilianischen Küste; kommt ihnen
aber auch ein Sclavenschiff in die Hände, so sind die armen
Schwarzen, wie man mir sagte, eben so wenig frei, als
wären sie nach Brasilien gekommen. Sie werden alsdann
nach den englischen Kolonien gebracht, wo sie nach zehn
Jahren frei sein sollten. Die Besitzer laffen aber wäh-
rend dieser Zeit die Meisten sterben, – natürlich nur
auf dem Papiere in ihren Ausweisen, und die armen
Sclaven – bleiben Sclaven. – Doch wiederhole
ich, daß mir dieß nur durch Erzählungen bekannt
wurde.
Uebrigens ist das Loos der Sclaven nicht gar so
schlecht, als viele Europäer glauben; sie werden in Bra-
silien im Durchschnitte ziemlich gut behandelt, man über-
häuft sie nicht mit Arbeit, sie haben eine gute, kräftige
Kost, und die Strafen sind weder gar so häufig noch
37
frenge; nur das Entlaufen wird hart geahndet. Außer
einer tüchtigen Tracht Schläge bekommen sie noch Hals-
oder Fußeisen, die sie ziemlich lange tragen müffen. Eine
andere Art Strafe ist das Tragen von Blechlarven, die
rückwärts durch ein Schloß gesperrt sind. Es werden
damit die Säufer und die Erd- oder Kalkfreffer bestraft.
Während meines langen Aufenthaltes in Brasilien
kam mir ein einziger Neger vor, der mit einer solchen
Larve umher ging. Ich möchte beinah zu behaupten wa-
gen, daß das Loos der Sclaven im Ganzen minder schlecht
ist, als jenes der russischen, polnischen oder ägyptischen
Bauern, die man nicht Sclaven nennt.
Intereffant war es mir, daß ich einst von einem
Neger zur Pathin gebeten wurde, dabei aber weder
einer Taufe noch einer Firmung beiwohnte. Es herrscht
hier nämlich die Sitte, daß ein Sclave, der irgend etwas
gethan hat, wofür er einer Züchtigung gewärtig ist, zu
einem Freunde seines Besitzers zu fliehen sucht, und selben
um ein Briefchen bittet, worin um Nachlaß der Strafe
angesucht wird. Der Aussteller eines solchen Briefes er-
hält den Titel eines Pathen, und es würde für die größte
Unart angesehen werden, die Bitte des Pathen nicht zu
erfüllen. Ich war so glücklich, auf diese Art einen Scla-
ven von einer Strafe zu retten.
Die Stadt ist ziemlich gut beleuchtet, und zwar bis
zu einem bedeutenden Umkreise, eine Maßregel, die der
vielen Schwarzen wegen eingeführt wurde. Auch darf
nach 9 Uhr Nachts kein Sclave auf der Straße getroffen
38
werden, ohne von einem Herrn einen Schein zu haben,
daß er in dessen Auftrage gehe. Ertappt man ihn ohne
Schein, so kommt er augenblicklich in das Strafhaus, wo
ihm der Kopf geschoren wird, und er so lange bleiben muß,
bis ihn ein Herr gegen Erlegung von 4 – 5 Milreis*)
auslöst. In Folge dieser Einrichtung kann man mit ziem-
licher Sicherheit zu jeder Stunde der Nacht auf der Straße
gehen. -
Eine der größten Unannehmlichkeiten Rio de Janei-
ro's ist der gänzliche Mangel an Abzugsgräben. Bei star-
ken Regengüssen ist jede Straße ein förmlicher Strom,
über welchen man zu Fuß nicht setzen kann; man muß
sich von Negern hinüber tragen lassen. Gewöhnlich hört
da aller Verkehr auf, die Straßen sind verödet, keiner
Einladung wird Folge geleistet, ja selbst die Wechsel wer-
den an solchen Tagen nicht eingelöst. Einen Wagen zu
miethen entschließt man sich sehr schwer, da hier der alberne
Gebrauch herrscht, für eine kurze Fahrt eben so viel zu
bezahlen, als benützte man den Wagen für den ganzen
Tag; eines wie das andere kostet 6 Milreis. Die Wagen
sind halbgedeckt, mit einem Sitze für zwei Personen, mit
zwei Maulthieren bespannt, auf deren einem der Kutscher
reitet. Nach englischer Art und mit Pferden findet man
Wagen und Bespannung nur sehr selten.
Was die Künste und Wissenschaften betrifft, so will
ich nur mit wenigen Worten der Akademie der bilden-
den Künste, des Museums, des Theaters u. s.w.
erwähnen. In der Akademie der bildenden Künste sieht
* - Ein Milreis ist nach österreichischem Gelde 1 fl. 8 kr.
-- 39
man von Allem etwas, und doch eigentlich nichts, –
einige Figuren und Büsten, größtentheils von Gips, einige
Baupläne, Handzeichnungen und eine Sammlung sehr
alter Oelgemälde. Bei diesen kam es mir wahrhaftig
vor, als sei irgend eine Privatgalerie gemustert, und der
Ausschuß hieher bei Seite gestellt worden. Die meisten
der Oelgemälde sind so arg beschädiget, daß man kaum
mehr erkennt, was sie vorstellen sollen, was übrigens nicht
sehr schade ist. Das einzige Interessante besteht in ihrem
ehrwürdigen Alter. Einen grellen Gegensatz bilden die
von den Schülern verfertigten Copien. Waren in den
alten Bildern die Farben schon verblichen, so glänzten sie
hier dafür im Ueberfluffe. Da erscheinen alle Farben,
roth, gelb, grün, u. f. w. in ihrer vollsten Reinheit, nir-
gends war an ein Mischen, Dämpfen oder Verschmelzen
derselben zu denken. Ich weiß noch heut zu Tage nicht,
hatten die guten Schüler im Sinne, eine neue Schule für
das Colorit zu gründen, oder wollten sie nur an ihren
Copien das gut machen, was die Zeit an den Originalien
verdorben hatte!
Unter den Schülern gab es so viel Schwarze und
Mulatten, als Weiße; doch war im Ganzen die Anzahl
ziemlich klein.
Auf einer beinahe noch niedrigeren Stufe steht die
Musik, besonders was Klavierspiel und Gesang anbelangt.
In jeder Familie hört man die Töchter spielen und auch
singen; aber die guten Leute haben von Takt, Vortrag,
Eintheilung, Tempo u. f. w. gar keinen Begriff, so daß
selbst die leichtesten, gesangvollsten Stücke oft gar nicht zu
erkennen sind. Die Kirchenmusik ist etwas weniges besser;
40
indeffen läßt die Hofkapelle noch Manches zu wünschen
übrig. Am besten ist noch die Militärmusik, die meist
von Negern und Mulatten aufgeführt wird.
Das Opernhaus verspricht von Außen nicht viel des
Schönen und Ueberraschenden, und man ist daher sehr
erstaunt, im Innern herrliche, große Räume, eine breite
und tiefe Bühne zu erblicken. Es mag wohl über 2000
Personen faffen. Vier Reihen geräumiger Logen erheben
sich über einander, deren Balustraden, aus zierlich ge-
arbeiteten, eisernen Gittern bestehend, dem Theater ein ge-
schmackvolles Aussehen verleihen. Das Parterre wird
nur von Männern besucht. Ich sah die Oper Lucrezia
B orgia von einer italienischen Gesellschaft ziemlich gut
aufführen; auch die Dekorationen und das Kostüm waren
nicht übel.
So wie ich beim Besuche des Theaters angenehm
enttäuscht wurde, so erfolgte beim Besuche des Mu-
fe ums gerade das Gegentheil. Ich erwartete in einem,
von der Natur so reich und üppig ausgestatteten Lande,
auch ein großes, reiches Museum, und fand – war viele
große Säle, die einst vielleicht einmal angefüllt werden
mögen, jetzt aber noch sehr leer waren. Am vollständig-
ften und wirklich schön fand ich nur die Sammlung der
Vögel; mangelhaft ist die der Mineralien, und armselig
jene der vierfüßigen Thiere und der Insekten. Am meisten
beschäftigten meine Neugierde vier recht wohl erhaltene
Köpfe von Wilden, wovon zwei dem Stamme der Malaien,
und zwei jenem der Neuseeländer angehörten; besonders
die Letzteren konnte ich mir nicht genug besehen, da sie
ganz tätowirt, mit den schönsten, kunstvollsten Zeichnungen
41
überdeckt und fo gut erhalten waren, als hätten sie erst
aufgehört zu leben.
Zur Zeit meines Aufenthaltes in Rio de Janeiro
wurden die Säle des Museums gerade ausgebeffert, und
man sprach auch von einer neuen Eintheilung. Es war
daher dem Besuche nicht geöffnet, und ich verdankte nur
der Güte des Herr Direktor Riedl, daß ich es be-
fehen konnte. Er machte selbst meinen Führer und be-
dauerte gleich mir, daß in diesem Lande, wo es so leicht
wäre, ein reichhaltiges Museum zusammenzustellen, so we-
nig dafür geschehe.
Noch besuchte ich das Atelier des Bildhauers
Petrich, eines gebornen Dresdners, der eigens aus
Rom nach dem hiesigen Hof berufen wurde, um eine
Statue des Kaisers in Carrara-Marmor auszuführen.
Der Kaiser ist in Lebensgröße, in stehender Haltung, im
vollen Ornate, den Hermelin-Mantel über die Schultern
geworfen, dargestellt. Der Kopf ist treffend ähnlich
und das ganze Bild mit künstlerischer Geschicklichkeit dem
Steine abgerungen. – Ich glaube dies Monument war
für ein öffentliches Gebäude bestimmt
Ich war so glücklich, während meiner Anwesenheit
zu Rio de Janeiro Zeuge mehrerer Feste zu sein.
Das erste war am 21. September in der Kirche
St. Cruz, wo ich der Feier des Landespatrons beiwohnte.
Schon des Morgens waren vor der Kirche einige hundert
Mann Militär aufgestellt, und eine recht gut eingeübte
Musikbande erekutierte muntere Stücke. Zwischen 10 und 11
42
Uhr kamen nach und nach Offiziere und Beamte, und zwar,
wie man mir sagte, zuerst die vom niederen Range; beim
Eintritte in die Kirche wurde Jedem ein braunrothes,
seidenes Mäntelchen umgehangen, das die Uniform ganz
verdeckte. So oft nun einer von höherm Range erschien,
fanden alle schon in der Kirche Befindlichen auf, gingen
dem Neueintretenden bis an die Kirchenthüre entgegen,
und geleiteten ihn ehrfurchtsvoll zu einem Platze. Zuletzt
kam der Kaiser mit seiner Gemalin. Der Kaiser ist sehr
jung (er hatte noch nicht volle 21 Jahre), dabei aber 6
Fuß hoch und äußerst korpulent; er sieht in die Habsburg-
Lothringische Familie. Die Kaiserin (eine neapolitanische
Prinzeffin) ist klein und schmächtig, und nimmt sich fon-
derbar neben der athletischen Gestalt ihres Gemals aus.
Gleich nach dem Eintritte des Hofes begann das
Hochamt, welchem Alles sehr andächtig zuhörte, und nach
deffen Beendigung das Herrscherpaar, auf dem Wege
durch die Kirche bis zum Wagen die harrende Menge
zum Handkuffe ließ. Es wurden mit dieser Auszeichnung
nicht blos die hohen Offiziere und Beamten beehrt, sondern
Jedermann, der sich hinzu drängte.
Das zweite und glänzendere Fest fand am 19. Oktober
statt: es war das Namensfest des Kaisers, und wurde in
der Hofkapelle durch ein Hochamt gefeiert. Diese Kapelle
befindet sich nahe am kaiserlichen Palaste, mit welchem sie
mittelt einer gedeckten Galerie verbunden ist. Bei dem
Hochamte waren, außer der kaiserlichen Familie, auch die
Generalität und die hohen Staatsbeamten gegenwärtig,
aber in voller Prachtuniform, ohne die häßlichen seidenen
Mäntelchen. Ringsum machten die Lanzenträger (Garde)
43
Spalier. Von dem Reichthume und der Ueberfülle an
Goldstickereien, an Epauletten, schön gefaßten Orden u. fw.
kann man sich wirklich keinen Begriff machen, und ich
glaube kaum, daß man an irgend einem Hofe Europas
Aehnliches sehen dürfte. -
Während des Hochamtes versammelten sich die Ge-
fandten der auswärtigen Mächte, so wie die hoffähigen
Kavaliere und Damen im Palaste, wo selbst nach der Rück-
kehr des Kaisers allgemeiner Handkuß stattfand. Die Ge-
fandten nahmen jedoch keinen Theil daran, sie machten
nur einfache Verbeugungen.
Man konnte diese erheben die Feierlichkeit ganz be-
quem von dem Platze aus sehen, da die Fenster sehr
niedrig sind und überdies geöffnet waren.
Auf den kaiserlichen Schiffen, mitunter auch auf
andern, werden bei dergleichen Festen fortwährend Kano-
nen abgefeuert. -
Am 2. November, am Armen-Seelen-Tage, fah ich
wieder Feste anderer Art, – Kirchenfeste; – in diesen
Tagen wandert Jung und Alt von einer Kirche zur andern,
um für die Verstorbenen zu beten.
Es herrscht hier der sonderbare Gebrauch, daß nicht alle
Verstorbene auf dem Friedhof, sondern manche auch gegen
besondere Bezahlung in der Kirche selbst begraben werden,
zu welchem Zwecke in jeder Kirche besondere Hallen erbaut
sind, deren Seitenwände gemauerte Katakomben enthalten.
Der Leichnam des Verstorbenen wird mit Kalk betreut, in
eine solche Katakombe gelegt, und nach 8 oder 10 Mona-
ten ist das Fleisch verwest. Man nimmt nun die Gebeine
heraus, reiniget sie durch Kochen und verwahrt sie in
44
einer Urne, auf welcher der Name des Verstorbenen, fein
Geburtstag u. f. w. verzeichnet ist. Diese Urnen wer-
den in den Gängen aufgestellt oder wohl auch von den
Verwandten mit nach Hause genommen.
Am Aller-Seelentage nun werden die Seitenwände
der Hallen mit schwarzen Stoffen, Goldtreffen und andern
Zierathen ausgeschmückt, die Urnen auf erhöhte Ge-
stelle gesetzt, mit Blumen und Bändern reich behangen
und durch viele Wachslichter in silbernen Armleuchtern
und Lustern erleuchtet. Da geht es denn vom frühen
Morgen bis Mittag äußerst lebhaft zu; die Frauen und
Mädchen beten für die Manen ihrer verstorbenen Ver-
wandten, und die jungen Herren sind so neugierig wie
bei uns in Europa, sie wollen die Mädchen beten sehen.
Frauen und Mädchen gehen an diesem Tage schwarz
gekleidet, und tragen häufig zum großen Aerger der neu-
gierigen, jungen Herren, über Kopf und Gesicht einen
schwarzen Schleier, – mit einem Hute darf man über-
haupt bei keinem Kirchenfeste erscheinen.
Jedoch das glänzendste aller Feste, die ich hier fah,
war die Taufe der kaiserlichen Prinzeffin.
Diese Feierlichkeit fand am 15. November in der Hofka-
pelle statt, die durch eine, zu diesem Zwecke eigens ge-
baute, offene Galerie mit dem Palaste verbunden war.
Gegen 3 Uhr Nachmittag stellte sich eine Menge
Militär auf dem Schloßplatze auf, die Garden vertheilten
sich auf den Galerien und in der Kirche, und das Musik- -
chor spielte schöne Melodien, darunter häufig die Volks-
hymne, die angeblich der letzt verstorbene Kaiser, Peter I.,
tomponiert hat. Eine Equipage nach der andern kam an
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den Palast gefahren, und setzte glänzend geputzte Herren
und Frauen ab. -
Um 4 Uhr begann der Zug sich aus dem Palaste
zu bewegen. An der Spitze war das in rothen Sammt
gekleidete Hof-Musikchor, welchem 3 Herolde in altspani-
fcher Tracht, mit prächtig geschmückten Federhüten und
schwarztammtnen Anzügen folgten. Weiter kamen Ge-
richtspersonen und Beamte jeder Behörde, Kammer-
herren, Hofärzte, Senatoren und Deputierte, Generäle
und Geistliche, Staatsräthe und Sekretäre, – erst am
Ende dieses langen Zuges erschien der Haushofmeister der
kleinen Prinzessin, die er auf einem prachtvollen, weiß-
jammtnen Kiffen, mit breiten Goldtreffen besetzt, auf den
Armen trug. Unmittelbar hinter ihm folgte der Kaiser
und die Amme der kleinen Prinzessin, umgeben von den
vornehmsten Kavalieren und Hoffrauen. Als der Kaiser
unter die Triumphpforte der Galerie vor das Pallium der
Kirche kam, nahm er selbst sein Töchterchen auf die Arme
und wies es dem Volke, – eine Sitte, die mir unge-
mein gefiel und die ich sehr paffend fand.
Die Kaiserin *) mit ihren Hofdamen war indessen
durch die innern Gänge auch schon in die Kirche gelangt,
wo nun ungesäumt die Feierlichkeit begann. Der Moment
der Taufe wurde durch Kanonenschüffe, Pelotonfeuer und
Raketen *) der ganzen Stadt verkündet. Nach Beendi-
gung der Feierlichkeit, die über eine Stunde währte, ging
*) Die Prinzessin war schon vor 3 Monaten geboren.
**) Raketen und kleine Feuerwerke werden bei jedem Kirchen-
feste, theils vor der Kirche, theils unweit davon abgebrannt,
und zwar, was sehr komisch ist, – stets bei hellem Tage.
46
der Zug wieder in derselben Ordnung zurück, und nun
wurde die Kapelle dem Volke zum Bestehen eröffnet. Auch
mich zog die Neugierde hinein, und ich muß sagen, ich
war überrascht von der Pracht und dem Geschmacke, mit
welchem sie ausgestattet war. Kostbare Seiden- und
Sammtstoffe, verziert mit Goldfransen, überkleideten die
Wände, und reiche Teppiche bedeckten den Boden. In
der Mitte des Schiffes, auf großen Tafeln, waren sämmt-
liche Prachtstücke des Kirchenschatzes zur Schau gestellt;
– da standen goldene und silberne Kannen, ungeheure
Schüffeln, Teller und Becher, mit künstlichen Gravirun-
gen oder getriebener oder durchbrochener Arbeit, –
wunderherrliche Krystallgefäße enthielten die schönsten
Blumen, und schwere Armleuchter mit zahllosen Lichtern
flimmerten dazwischen. Auf einer abgesonderten Tafel in
der Nähe des Hauptaltares sah man all' die kostbaren
Gefäße und Geräthschaften, welche bei der Taufe gebraucht
worden waren, und in einer Seitenkapelle stand die Wiege
der Prinzessin, die mit weißem Atlas überzogen und mit
Goldtreffen garniert war.
Des Abends wurde die Stadt beleuchtet, oder beffer
gesagt „die öffentlichen Gebäude, denn von
den Privat-Hausbesitzern wird es nicht bestimmt verlangt,
und aus eigenem Antriebe thun sie es entweder gar nicht,
oder stecken höchstens einige Laternen aus den Fenstern
hinaus, – eine Sache, die man sehr natürlich findet,
wenn man weiß, daß solche Beleuchtungen 6 bis 8 Abende
währen. Dagegen sind die öffentlichen Gebäude von oben
bis unten mit unzähligen Lampen behangen, die ein ordent-
liches Feuermeer verbreiten.
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Einzig in ihrer Art und wirklich anziehend fand ich
die Feste, die an mehreren darauf folgenden Abenden
zur Feier der Taufe in verschiedenen Kasernen gegeben
wurden, und bei welchen sogar der Kaiser auf Augenblicke
erschien. Es waren dieß zugleich von allen Festen, die
ich hier sah, die einzigen, die nicht mit religiösen Feier-
lichkeiten in Verbindung fanden. Sie wurden von den
Soldaten selbst ausgeführt, unter welchen man die hüb-
schesten und gewandtesten ausgewählt und in Tänzen und
Evolutionen eingeübt hatte. Das schönste dieser Feste
fand in der Kaserne Rua Barbone statt. In dem großen
Hofe war eine halbrunde, sehr geschmackvolle Galerie er-
richtet, in deren Mitte ein kleiner Tempel mit den Büsten
des Kaiserpaares stand. Diese Gallerie war für die ge-
ladene Damenwelt bestimmt, die geschmückt, wie zu dem
glänzendsten Balle erschien; an dem Eingange des Hofes
wurden sie von den Offizieren empfangen und zu ihren
Plätzen geleitet. Vor der Gallerie erhob sich die Bühne,
an deren beiden Seiten noch viele Reihen Bänke für min-
der elegante Frauen aufgestellt waren; außerhalb der
Bänke standen die Männer.
Um 8 Uhr fing das Musikchor zu spielen an, und
kurz darauf begann die Vorstellung. Die Soldaten er-
schienen in verschiedenartigen Kostümen, – als Schotten,
Polen, Spanier u. f. w.; auch fehlte es nicht an Tänze-
rinnen, die natürlich ebenfalls von gemeinen Soldaten
vorgestellt wurden. Am meisten bewunderte ich, daß,
Kleidung und Venehmen dieser männlichen Soldatenmäd-
chen im höchsten Grade decent war. Ich hatte mich we-
nigstens auf einige Uebertreibungen gefaßt gemacht, und
48
-
im besten Falle kein sehr anmuthiges Bild erwartet; –
ich war daher wahrhaft überrascht sowohl von der Korrekt-
heit der Tänze und Evolutionen, als auch von dem voll-
kommenen Anstande, mit welchem die ganze Vorstellung
durchgeführt wurde. -
Das letzte Fest, welches ich sah, fand am 2. Dezember
zur Feier des Geburtstages des Kaisers statt. Nach dem
Hochamte war wieder Aufwartung der Chargen, allge-
meiner Handkuß u. s.w. Zum Schluffe postierte sich das
Kaiserpaar an ein Fenster des Palastes, und ließ das Mi-
litär unter klingendem Spiele vorbei defilieren. Schwer-
lich wird man irgendwo glänzender gekleidete Truppen
sehen als hier, – jeder gemeine Mann könnte füglich für
einen Lieutenant oder doch wenigstens für einen Unter-
offizier gelten; nur Schade, daß Haltung, Größe und
Farbe mit der Pracht der Kleidung nicht sehr im Einklange
stehen, – hier sieht man ein 14jähriges Knäblein neben
einem großen, tüchtigen Manne, dort einen Schwarzen
neben einem Weißen u. . w.
Die Ergänzung des Militärs geschieht durch Preffen,
und die Zeit des Dienstes währt 4 bis 6 Jahre.
Viel hatt' ich in Europa gehört und gelesen von
der Großartigkeit und Ueppigkeit der Natur in Brasilien,
von dem ewig heitern, lachenden Himmel, von den wun-
derbaren Reizen des immerwährenden Frühlings.
Es ist wahr, daß die Vegetation hier so reich, der
Wachsthum so kräftig und üppig ist, wie vielleicht in kei-
nem Lande der Welt, und daß Jeder, der das Wirken der
Natur in vollster Kraft, in unaufhörlicher Thätigkeit sehen
wiu, nach Brasilien kommen muß; – doch möge ja
49
Keiner glauben, daß hier auch Alles schön, Alles gut
sei, und daß es nichts gebe, was vielleicht den Zauber
des ersten Eindruckes schwächen könne.
Jubelt doch Jeder über das immerwährende Grün,
über die unaufhörliche Frühlingspracht, und gibt am Ende
gerne zu, daß auch das mit der Zeit seinen Reiz verliert.
Man zöge es vor, lieber etwas Winter zu haben, indem
das Erwachen der Natur, das Wiederaufleben der abge-
forbenen Pflanzen, das Wiederkehren der balsamischen
Frühlingsdüfte gerade deshalb am meisten Vergnügen ge-
währt, weil man es einige Zeit entbehrt hat.
Das Klima und die Luft fand ich höchst drückend und
unangenehm, die Hitze, obwohl in der damaligen Jahreszeit
im Schatten kaum 24 Grad übersteigend, sehr ermattend,
– in den heißen Monaten, die von Ende Dezember bis
in den Mai währen, steigt die Hitze im Schatten bis auf
30, in der Sonne bis über 40 Grad. Ich ertrug in
Egypten eine größere Hitze weit leichter, als hier die min-
dere, was vielleicht daher rühren mag, daß es dort mehr
trocken ist, während hier die größte Feuchtigkeit herrscht –
Nebel und Gewölke sind an der Tagesordnung – Berge,
Höhen, ja ganze Landstriche sind häufig in undurchdring-
liche Finsterniß gehüllt und die ganze Atmosphäre ist mit
feuchten Dünsten geschwängert.
Im Monat November befiel mich ein anhaltendes
Unwohlsein: ich fühlte mich, besonders in der Stadt, bald
beklommen, matt und hinfällig, und nur der Güte und
Freundschaft Herrn Geigers (Sekretär bei dem österreichi-
schen Konsulate) und seiner Frau, die mich zu sich aufs
Land nahmen und mir die möglichste Sorgfalt bewiesen,
Pfeiffers Reise 1. Th. 4
50
hatte ich meine Genesung zu verdanken. – Ich schrieb
meine Krankheit allein der ungewohnten feuchten Luft zu.
Die angenehmste Jahreszeit soll der Winter (von
Juni bis Oktober) ein, der bei einer Wärme von 14 bis
18 Grad meist trocken und heiter ist. Diese Zeit be-
nützt man auch vorzüglich zum Reisen. Während des
Sommers soll es an heftigen Gewittern nicht fehlen; ich
erlebte während meines Aufenthaltes in Brasilien nur drei
wahrhaft bedeutende, von welchen jedes nach 1%, Stun-
den ausgewüthet hatte. Die Blitze waren fast unausgesetzt
und verbreiteten sich gleich einem Feuermeere über den
größten Theil des Horizontes; dagegen war der Donner
nicht fehr bedeutend.
Reine, wolkenlose Tage (vom 16. Sept. bis 9. Dez.)
waren so selten, daß ich sie wirklich hätte zählen können,
und ich begreife es nicht, wie so mancher Reisende von dem
ewig schönen, lachenden, blauen Himmel Brasiliens er-
zählen kann, – es müßte dieß während einer anderen
Jahreszeit der Fall sein.
Auch der Genuß schöner Abende und einer langen
Dämmerung geht hier ziemlich verloren; mit dem Unter-
gang der Sonne eilt. Alles nach Hause, da Finsterniß und
Feuchtigkeit schnell darauf eintreten.
Die Sonne geht im hohen Sommer gegen 6% Uhr,
während der übrigen Zeiten um 6 Uhr unter; die Finster-
niß stellt sich 20 – 30 Minuten darnach ein.
Eine weitere Unannehmlichkeit find die Muskitos,
Ameisen, Baraten, Sandflöhe ufw. Viele Nächte verbrachte
ich sitzend, gepeinigt und gequält von den Stichen der Insek-
ten. Kaum ist man im Stande die Lebensmittel vor den
51
Angriffen der Baraten und Ameisen zu sichern. Die Letz-
teren gar erscheinen oft in unermeßlichen Zügen und ziehen
über Alles, was in ihrem Wege liegt. Während meines
Aufenthaltes auf dem Lande bei Herrn Geiger kam einst
ein solcher Schwarm und durchzog einen Theil des Hauses.
Es war wirklich interessant zu sehen, welch" regelmäßige
Linie die bildeten und wie sie durch keinen Gegenstand sich
vor ihrer eingeschlagenen Richtung ableiten ließen. Frau
Geiger erzählte mir, daß sie einst des Nachts durch ein
fürchterliches Jucken erweckt wurde. Sie sprang so rasch
als möglich aus dem Bette, und ein solcher Ameisen-
schwarm zog über ihre Schlafstelle. Es ist da nicht zu
helfen, und man muß ruhig das Ende des Zuges abwar-
ten, der oft 4 – 6 Stunden anhält. Die Lebens-
mittel schützt man gegen sie einigermaßen, indem man
die Füße der Tische und Schränke in mit Waffer ge-
füllte Schüffelchen fetzt; – die Kleider, die Wäsche
werden in genau sich schließende Blechkasten gelegt, um sie
nicht nur vor den Ameisen, sondern auch vor den Baraten
und der Feuchtigkeit zu sichern.
Am ärgsten wird man jedoch von den Sandflöhen
gepeinigt, die sich meist an den Zehen unter den Nägeln,
wohl auch an den Fußsohlen festsetzen. Sobald man an
einem dieser Theile ein Jucken verspürt, muß man augen-
blicklich nachsehen; zeigt sich da ein schwarzes Pünktchen,
umgeben von einem kleinen weißen Ringe, so ist ersteres
der Floh, das zweite der Eiersack, den er in das Fleisch
gelegt hat. Man sucht nun mit einer Nadel die Haut so
weit zu lösen, als der weiße Ring sichtbar ist, hebt dann
das Ganze aus und streut in den leeren Raum etwas
4*
52
Schnupftabak. Am besten ist es, zu dieser Operation den
nächsten besten Schwarzen herbei zu rufen, da sie Alle
dies Geschäft ganz kunstgerecht verstehen. -
Was endlich die Naturerzeugniffe Brasiliens anbe
langt, so fehlen ihm einige der wichtigsten Artikel. Wohl
hat es feinen Zucker, feinen Kaffee, – aber kein Korn,
keine Kartoffeln und selbst nicht unsere köstlichen Obst-
gattungen. Das Maniokmehl, das man unter die Spei-
fen mischt, vertritt die Stelle des Brodes, ist aber lange
nicht so kräftig und nahrhaft. Verschiedene süßlich
schmeckende Knollengewächse sind auch nicht unsern Kar-
toffeln zu vergleichen, und von den Obstgattungen find
nur die Orangen, Bananen und Mangos ausgezeichnet;
die hochgerühmte Ananas ist weder sehr aromatisch noch
besonders süß; ich aß ungleich schmackhaftere, die in euro-
päischen Treibhäusern gezogen wurden. Die übrigen Obst-
gattungen sind des Aufzählens nicht werth. Was endlich
zwei sehr nothwendige Lebensartikel, Milch und Fleisch,
betrifft, so ist erstere sehr wäfferig, letzteres sehr
trocken.
Stellt man überhaupt, sowohl den Eindruck des Gan-
zen, als auch die einzelnen Vor- und Nachtheile Brasi-
liens jenen Europa"s gegenüber, so wird sich die Waag-
schale wohl anfangs auf die Seite des ersteren, in der
Folge aber um so gewisser auf die Seite des letzteren
neigen.
Für den Reisenden ist Brasilien vielleicht das in-
teressanteste Land der Welt, – als bleibenden Aufenthalt
aber würde ich Europa unbedingt vorziehen.
53
Sitten und Gebräuche lernte ich zu wenig kennen,
um im Stande zu sein, ein geeignetes Urtheil darüber ab-
zugeben, und ich darf mich daher nur auf einzelne Be-
merkungen beschränken. Im Ganzen scheinen jene von den
Europäischen wenig abzuweichen, denn die jetzigen Besitzer
des Landes stammen ja von Portugal her, und so könnte
man füglich die Brasilianer in das Amerikanische
übersetzte Europäer nennen. Daß durch diese Ueber-
setzung manche Eigenschaften verloren gegangen, andere
wieder hervorgetreten sind, ist wohl natürlich. Am stärk-
sten tritt bei dem amerikanisch gewordenen Europäer die
Sucht nach Geld hervor, die zur Leidenschaft wird und
oft den furchtsamsten Weißen zum Helden macht, – denn
Heldenmuth gehört fürwahr dazu, als Pflanzer einer
Plantage allein unter vielleicht hunderten von Sclaven
zu leben, entfernt von jeder Hülfe, und mit der Aus-
sicht, bei einem etwaigen Aufstande rettungslos verloren
zu sein.
Diese erstaunliche Sucht nach Gewinn haben nicht
blos die Männer, sie ist auch den Frauen eigen und wird
durch eine hier übliche Sitte sehr begünstigt. In Folge
dieser setzt der Mann seiner Frau nie ein sogenanntes
Stecknadelgeld aus, sondern er schenkt ihr, je nach feinem
Vermögen, einen oder mehrere männliche oder weibliche
Sclaven, über die sie nach Willkür verfügen kann. Ge-
wöhnlich läßt die Frau ihre Sclaven im Kochen, Nähen,
Sticken, wohl auch in Handwerken unterrichten und ver-
miethet sie dann Tag-, Wochen- oder Monatweise *) an
*) Sie werden je nach ihren Dienstleistungen verschieden be-
zahlt. Das Gewöhnliche ist für eine gemeine Magd
54
Leute, die keine Selaven haben, – oder sie läßt von ihnen
zu Hause für Fremde waschen, oder elegante Arbei-
ten, feine Bäckereien u. f. w. verfertigen und sendet sie
damit zum Verkaufe aus. Das gelöste Geld gehört ihr
und wird meist für Putz und Unterhaltung verwendet.
Bei Geschäfts- und Gewerbsleuten hilft die Frau
ihrem Manne auch nur gegen Bezahlung in feinem Ge-
fchäfte.
Moralität und gute Sitten find leider in Brasilien
nicht fehr heimisch, und ein Theil der Ursache mag wohl
schon in der ersten Erziehung der Kinder liegen, die voll-
kommen der Leitung der Schwarzen überlaffen wird. Ne-
gerinnen sind ihre Ammen, ihre Wärterinnen und Auf-
feherinnen, und häufig fah ich 8 – 10jährige Mädchen
von jungen Negern zur Schule, oder sonst wohin begleitet.
Die Sinnlichkeit der Schwarzen ist zu bekannt, um auf
diese Weise die allgemeine, frühzeitige Entsittlichung nicht
leicht begreiflich zu finden. Nirgends fah ich so viele Kin-
der mit bleichen, abgelebten Gesichtern als in den Straßen
von Rio de Janeiro. – Eine zweite Ursache der Immo-
ralität ist gewiß auch der Mangel an Religion. Brasilien
ist durch und durch katholisch, wie vielleicht nur Spanien
und Italien, – beinah täglich finden Umgänge, Gebete,
Kirchenfeste statt; doch dienen sie nur zur Unterhal-
tung, und die wahre Religion fehlt gänzlich.
Der tiefen Entsittlichung und dem Mangel an Reli-
gion ist es auch zuzuschreiben, daß nicht felten Morde vor-
pr. Monat 5–6 Milreis, für einen Koch 12–20 Mil-
reis, für eine Amme 20–22, für einen geschickten Hand-
werker 25 – 35 Milreis.
55
kommen, und zwar nicht des Raubes oder Diebstahles
halber, sondern aus Rache und Haß. Der Mörder ver-
übt die That entweder selbst oder er läßt sie durch einen
feiner Sclaven vollbringen, der sich für eine Kleinigkeit
dazu bereit findet. Die Entdeckung der That braucht ihn,
wenn er reich ist, nicht sehr zu beängstigen, da hier, wie
man mir sagte, mit Geld. Alles abzumachen und durchzu-
setzen ist. Ich sah in Rio de Janeiro einige Männer,
von welchen man mir versicherte, daß sie nicht einen, fon-
dern mehrere Morde entweder selbst verübt hätten oder
verüben ließen. Sie gingen nicht nur frei umher, fon-
dern wurden auch in jeder Gesellschaft empfangen.
Zum Schluffe fei mir noch erlaubt, einige Worte
an jene meiner Landsleute zu richten, die ihr Vaterland
verlaffen wollen, um an der fernen Küste Brasiliens ihr
Glück zu suchen, – einige Worte nur, denen ich aber
wünsche, daß sie möglichst bekannt, möglichst verbreitet
würden.
Es gibt in Europa Leute, die um kein Haar beffer
find als die afrikanischen Sclavenhändler, Leute, die den
Armen allerlei vorspiegeln von dem reichen Amerika und
feinen herrlichen Ländereien, von dem Ueberfluffe an Na-
turprodukten daselbst und von dem Mangel an Arbeitern.
Diesen Leuten ist aber wenig an dem Glücke der Armen
gelegen, – nein, sie besitzen Schiffe, die sie befrachten
wollen, und nehmen dafür dem getäuschten Opfer die
letzten Reste eines kleinen Vermögens ab.
Während meines Hierseins kamen einige Schiffe mit
solch' armen Auswanderern an; die Regierung hatte sie
nicht gerufen, und gab ihnen daher keine Unterstützung,–
56
Geld hatten sie nicht, sie konnten sich also keine Ländereien
verschaffen, – als Plantagen-Arbeiter konnten sie sich
nicht vermiethen, denn Niemand nimmt Europäer hier-
zu, da sie des heißen Klimas ungewohnt, der Arbeit
bald erliegen würden. So wußten sich denn die Armen
nicht zu rathen und nicht zu helfen; sie liefen bettelnd
in der Stadt umher, und mußten am Ende mit dem
schlechtesten Unterkommen zufrieden sein. – Anders
geht es jenen, die von der brasilianischen Regierung zum
Anbaue des Landes, zu Kolonisierungen berufen werden;
diese bekommen ein Stück Wald, Lebensmittel und auch
sonstige Unterstützungen; – kommen sie aber ganz ohne
Geld, so ist auch deren Loos nicht beneidenswerth.
Noth, Hunger und Krankheit reiben die meisten auf, und
nur wenigen gelingt es, sich durch rastlose Bemühungen,
durch eiserne Gesundheit eine bessere Existenz zu verschaffen,
als sie in ihrem Vaterlande verlaffen hatten. – Die Hand-
werker allein finden schnelle Unterkunft und reichliches Aus-
kommen, aber auch dieß dürfte sich bald anders gestalten, da
deren alljährlich viele einwandern und in neuerer Zeit
die Neger selbst immer häufiger zu Handwerkern aller Art
herangebildet werden.
Möge doch jeder, ehe er sein Vaterland verläßt,
genau sich zu unterrichten suchen; möge er lange und reif-
lich überlegen und sich nicht von trügerischen Hoffnungen
hinreißen laffen. Die Enttäuschung ist um so fürchterlicher,
da sie erst erfolgt, wenn es zu spät ist, wenn der Arme
der Noth und dem Elende schon unterliegt.
57
Einige statistische Notizen über Brasilien.
Der Flächen-Inhalt Brasiliens beträgt 130.000
O.M., die Einwohner - Zahl 6 Millionen, worun-
ter etwa 900.000 Weiße; der Rest besteht aus Negern,
Mulatten, Mestizen und Ur-Einwohnern oder Indianern.
Man rechnet ungefähr 3 Millionen Neger-Sclaven und
500.000 Indianer, unter welchen die rohesten Wilden,
z. B. Botoeuden c.
Die Haupt- und Refidenzstadt ist Rio de
Janeiro mit 215 000 Einwohnern, 50 Kirchen und Ka-
pellen, 5 Klöstern, einer Universität, einem vortrefflichen
Hafen und ausgebreitetem Handel.
Brasilien ist ein konstitutionelles Kaiserthum mit 2
Kammern (dem Senate und dem Repräsentantenhause).
Bis zum Jahre 1822 regierte das Land ein von Portugal
gesandter Vicekönig. Als solcher erklärte der Kronprinz
von Portugal Dom Pedro, in Folge einer ausgebroche-
nen Revolte, Brasilien für ein unabhängiges Kaiserthum
mit Repräsentativ-Verfaffung, sich selbst aber zum Kaiser
unter dem Namen Dom Pedro I. Im Jahre 1831 dankte
er zu Gunsten eines jetzt regierenden Sohnes Dom
Pedro II. ab. -
Die herrschende Religion ist die katholische, die
herrschende Sprache die portugiesische.
In Brasilien, dem Lande des Goldes und der Edel-
feine, ist im gewöhnlichen Verkehre nur Papier und
Kupfer zu sehen. Gold und Silber wird in Stangen
theils aufbewahrt, theils nach dem Auslande verführt.
58
Gerechnet wird nach Reis, deren 1000 (1 Mil-
reis) nach dem 20 fl. Fuße ungefähr 1 fl. 7 kr. betragen,
– jedoch wechselt der Kurs hierin häufig.
Von Kupfermünzen gibt es:
Halbe Vingt-un Stücke à . . . . 10 Reis.
Ganze My n . . . . 20 m
Doppelte „ My My . 40 p
Ein Patak so viel als 320 Reis, ein Krusado 400
Reis. Die kleinste Banknote ist 1 Milreis.
Die Brasilianische Meile, Legua genannt, ist etwas
kürzer als die geographische. Man rechnet 18 Leguas auf
15 geographische Meilen.
Die Kosten des Reisepaffes sind bedeutend, man muß
16 Milreis zahlen.
Die Entfernung von Hamburg bis Rio de Janeiro
kann man ungefähr zwischen 8 – 9000 Seemeilen an-
nehmen.
Vorzügliche Partien um Rio de Janeiro.
Die Wafferfälle bei Teschuka. Boa Vista. Der botanische Garten und
deffen Umgebung.
Diese Partie gehört zu einer der intereffantesten;
aber man muß zwei Tage dazu verwenden, da der bota-
nische Garten allein schon viele Stunden erfordert.
Graf Berchthold und ich fuhren im Omnibus nach
Andaracky (1 Legua), worauf wir den Weg zu Fuße zwi-
fchen Waldpartien und kleinen Hügeln fortsetzten. Nied-
liche Landhäuser liegen in kleinen Entfernungen auf Höhen
und an der Straße.
Nachdem wir eine Legua zurückgelegt hatten, führte
uns rechts ein Pfad nach einem kleinen Wafferfalle, der
weder hoch noch wafferreich, aber dennoch der bedeutendste
um Rio de Janeiro ist. – Wir kehrten wieder auf die
Straße zurück, und nach einer halben Stunde erreichten
wir eine kleine Hochebene, von welcher wir einen Ueber-
blick über ein Thal hatten, das sich durch feine Originali-
tät auszeichnet. Ein Theil defelben glich einem wilden
Chaos, der andere einem blühenden Garten. Im ersteren
lag alles voll zerbrochener Granittrümmer, aus welchen
hohe Koloffe emporragten, während an andern Stellen
wieder große Felsenmaffen sich fchichtenweise über einander
60
thürmten; in dem andern Theile standen die herrlichsten
Fruchtbäume mitten in den üppigen Wiesengründen. Die-
fes romantische Thal ist auf drei Seiten von schönen Ge-
birgen umschloffen, die vierte Seite ist offen und gewährt
den freien Anblick des Meeres.
Wir fanden in diesem Thale eine kleine Venda, in
welcher wir uns mit Brod und Wein stärkten, worauf
wir den Weg nach dem sogenannten „großen Waffer-
falle“ fortsetzten. Wir fanden den großen weniger
überraschend als den kleinen. Ein ganz leichter Waffer-
streifen zog sich über eine breite, aber nicht stark abfallende
Felswand in mehreren Abtheilungen in das Thal hinab.
Nachdem wir das Thal durchschritten hatten, kamen
wir nach dem Porto Massalu. – Ausgehöhlte Baumstämme,
die vor den wenigen Hütten in der Bucht lagen, verkün-
deten uns die Bewohner als Fischer. Wir mietheten
eines dieser schönen Fahrzeuge, um die schmale Bucht zu
übersetzen. Die Fahrt währte höchstens eine Viertel-
stunde, und dafür mußten wir als Fremdlinge 2000 Reis
(2fl. 14 kr. CM) zahlen.
Nun hieß es bald durch fandige Ebenen waten, bald
auf schlechten Gebirgswegen auf- und abwärts klettern.
Wir legten auf diese mühselige Art wohl drei Leguas zu-
rück, bis wir auf die Spitze eines Gebirges gelangten,
das sich als Scheidewand zweier mächtigen Thäler aufstellt.
Diese Spitze nennt man die Boa Vista, und zwar mit
vollem Rechte. Man überblickt beide Thäler mit den sie
durchziehenden Gebirgsketten und Hügelreihen, sieht
nebst andern hohen Bergen, den Corcovado und die
„beiden Brüder, ferner die Hauptstadt, die sie um-
61
gebenden Landhäuser und Ortschaften, die Meeresbuchten
und die offene See. -
- Ungern verließen wir diesen schönen Standpunkt;
allein, nicht bekannt mit den Entfernungen, die wir noch
zurück zu legen hatten, um unter ein wirthliches Dach zu
kommen, waren wir zur Eile gezwungen. Auch begegnet
man auf diesen einsamen Wegen nur Negern, mit welchen
ein nächtliches Zusammentreffen gerade nicht sehr wün-
schenswerth ist. Wir fliegen daher in das Thal hinab
und entschloffen uns, in dem erst' besten Gasthofe über
Nacht zu bleiben.
Glücklicher als man gewöhnlich in solchen Fällen ist,
fanden wir nicht nur ein ganz gutes Hotel mit reinlichen
Zimmern und guten Möbeln, sondern auch eine Gesell-
fchaft, die uns köstlich unterhielt. Es war dieß eine Mu-
latten-Familie, die meine ganze Aufmerksamkeit in An-
spruch nahm. Die Frau, eine ziemlich beleibte Schönheit
von einigen dreißig Jahren, war geputzt wie es bei uns
nur eine Dame von sehr verdorbenem Geschmacke sein kann,
– all' ihre Kostbarkeiten trug sie an sich. Wo sich von
Juwelen und Gold nur immer etwas anbringen ließ, war
es auch geschehen. Ein Kleid von schwerem Seidenstoff
und ein ächter Shawl umhüllten den dunkelbraunen Kör-
per, und ein weißseidenes Hütchen, klein und niedlich,
saß höchst komisch auf dem plumpen Kopf. Der Gemal
und fünf Kinder fanden der Ehefrau und respektive Mut-
ter würdig zur Seite, – ja der Putz erstreckte sich sogar
auf die Kinderwärterin, eine noch ganz unverfälschte Ne-
gergestalt, die ebenfalls mit Schmuck überladen war. Auf
einem Arme hatte sie fünf, auf dem andern sechs Armbänder
62
von Steinen, Perlen und Korallen, die aber, so viel mir
schien, nicht zur ächteten Sorte gehörten.
Als die Familie aufbrach, kamen zwei vierspännige
Landauer-Wagen herangerollt, in welche Herr und Frau,
Kinder und Wärterin mit gleich majestätischer Würde ein-
fliegen.
Noch sah ich den Wagen nach, die mit rascher Eile
der Stadt zu rollten, da kam ein Reiter mit freundlichem
Gruße heran. Es war Freund Geiger. Als er ver-
nahm, daß wir die Nacht hier bleiben wollten, beredete
er uns, ihn auf das nahe gelegene Landgut feines Schwie-
gervaters zu begleiten.
Wir lernten in diesem einen würdigen, muntern
Greis von 70 Jahren kennen, der noch gegenwärtig Di-
rektor der Baukunst und der bildenden Künste war. Wir
bewunderten einen schönen Garten und das niedliche
Wohnhaus, das im italienischen Style mit viel Geschmack
gebaut ist.
Am folgenden Tage zeitlich des Morgens ging ich
mit Graf Berchthold nach dem botanischen Garten. Unsere
Begierde, diesen Garten zu sehen, war sehr groß, – wir
hofften da Bäume und Blumen von allen Weltgegenden
in vollster Pracht zu sehen, wurden aber so ziemlich ge-
täuscht. Der Garten ist noch zu jung, keiner der Riesen-
bäume ist ausgewachsen; an Blumen und Pflanzen ist
keine große Auswahl, und an den wenigen, die vorhanden
find, hängen nicht einmal Etiketten, um den Neugierigen
mit ihren Namen bekannt zu machen. Für uns waren am
interessantesten die Affenbrotbäume mit ihren 10 bis 25
63
Pfund schweren Früchten, die eine Menge Kerne in
sich schließen, welche nicht nur von Affen, sondern auch
von Menschen gegessen werden, – ferner die Gewürz-
melken-, Kampfer-, Cacaobäume, die Zimmt - und Thee-
stauden u. f. w. Auch Palmen ganz eigener Art sahen
wir hier. Die untern Theile der Stämme, ungefähr zwei
bis drei Fuß hoch, waren braun und glatt und hatten die
Form von Kübeln. Die daraus fortlaufenden Stämme
waren hellgrün. ebenfalls sehr glatt und dabei glänzend,
wie mit Firniß überstrichen. Sie waren nicht sehr hoch,
und die Blätterkrone entfaltete sich, gleich den andern Pal-
men, erst an der Spitze des Baumes. Wir konnten leider
den Namen dieser Palme nicht erfahren, und im Ver-
lauf meiner Reise kam mir nie mehr eine ähnliche zu
Gesichte.
Erst Nachmittags verließen wir den Garten, gingen
noch eine Legua bis Botafogo und von da benutzten wir
den Omnibus nach der Stadt.
Partie auf den Berg Corcovado (2253 Fuß über
der Meeresfläche).
Herr Geiger lud den Grafen Berchthold, Herrn
Rifter (einen. Wiener) und mich zu einer Partie nach
dem Berge Corcovado ein.
Am 1. November, wo es bei uns oft schon fürmt
und schneit, während hier die Sonne glühend heiß, der
(54
Himmel wolkenlos ist, traten wir früh des Morgens unsere
Wanderung an.
Die schöne Wafferleitung war bis an die Ursprungs-
quellen, die wir nach 1", Stunden erreichten, unsere
Wegweiserin. Reizende Waldungen hüllten uns in das
Dickicht ihres Schattens, so daß selbst die große Hitze, die
im Laufe des Tages auf 38 Grad (in der Sonne) stieg,
uns nicht sehr belästigte.
An der Quelle hielten wir an, und auf einen Wink
Herrn Geigers erschien ein athletischer Neger, mit einem
großen Korbe voll Lebensmittel beladen. – Schnell war
das Effen bereitet – ein weißes Tuch wurde ausgebreitet,
Speis und Trank darauf gestellt, – Scherz und Laune
würzten das Mahl, und gestärkt an Leib und Seele wurde
die Wanderung fortgesetzt.
Der letzte Kegel des Berges machte uns einige Mühe;
es ging steil hinan über kahle, heiße Felsenmaffen. Dafür
entfaltete sich aber ein Panorama vor unsern Augen, wie
deren die Welt gewiß nur wenige zu bieten hat. Alles,
was ich bei der Einfahrt in den Hafen gesehen hatte, lag
vor meinen Blicken, aber aufgedeckter und ausgedehnter,
und gar vieles kam noch hinzu. Man übersah die ganze
Stadt, all die niedern Hügel, die sie bei der Einfahrt hab
verdecken, die große Meeresbucht, die bis an das Orgel-
gebirge reicht, und auf der andern Seite das romantische
Thal, in welchem der botanische Garten und viele schöne
Landhäuser liegen.
Jedem, der nach Rio de Janeiro kommt, empfehle
ich, selbst wenn er nur wenige Tage verweilen kann, diese
65%
Partie, da er hier mit einem Blicke all' die Schätze
übersieht, mit welchen die Natur die Umgebung dieser
Stadt wahrhaft verschwenderisch ausgestattet hat. Er
findet hier Urwälder, die, wenn sie auch nicht so dicht
und schön sind, wie tiefer im Lande, sich doch immerhin
durch Ueppigkeit der Vegetation auszeichnen – er findet
Mimosen und Farrenbäume von gigantischer Größe, Pal-
men, wild wachsende Kaffeebäume, Orchidäen, Schma-
rotzer- und Schlingpflanzen, Blüthen und Blumen ohne
Zahl – er sieht die buntesten Vögel, die größten Schmet-
terlinge, die glänzendsten Insekten, die von Blüthe zu
Blüthe, von Ast zu Ast schwärmen und fliegen. Wun-
derbar herrlich sind in dunkler Nacht die Millionen Leucht-
käfer, die sich bis in die höchsten Spitzen der Bäume er-
heben und zwischen Blättern und Gesträuchen wie hell-
schimmernde Sternchen glänzen.
Man hatte mir gesagt, daß die Besteigung dieses
Berges höchst beschwerlich sei; das fand ich aber nicht so,
indem man in 3 %, Stunden ganz bequem auf die Spitze
kommt und drei Viertheile des Weges sogar zu Pferde
machen kann.
Schlöffer der kaiserlichen Familie.
Als eigentlicher Wohnsitz der kaiserlichen Familie
ist das Schloß Christovao zu betrachten, welches eine
halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt. Der Kaiser
bringt daselbst beinahe das ganze Jahr zu, und selbst alle
Pfeiffers Reise, I. Th. 5
66
politischen Berathungen und Geschäfte werden hier ge-
pflogen.
Das Schloß ist klein, und zeichnet sich weder durch
Geschmack noch durch Architektur aus, – das einzige
reizende ist eine Lage. Es erhebt sich auf einem Hü-
gel und beherrscht das Orgelgebirge und eine der Mee-
resbuchten. Der Schloßgarten ist unbedeutend und zieht
sich in Terraffen bis in das Thal hinab. Ein größerer
Garten, der als Baum- und Pflanzschule dient, schließt
sich an ihn an. Beide sind für Europäer höchst interessant,
da man hier eine große Menge von Gewächsen findet, die
bei uns gar nicht, oder höchstens in Zwerggestalten in den
Treibhäusern vorkommen. – Herr Riedl, Direktor über
beide Gärten, war so gefällig, mich selbst überall herum-
zuführen und mich besonders auf die Thee- und Bambus-
pflanzungen aufmerksam zu machen.
Ein anderer kaiserlicher Garten ist in Ponte de
Caschu (eine Legua von der Stadt). In diesem Garten
stehen drei Mangobäume, die sich ihres Alters und ihres
Umfanges wegen auszeichnen. Ihre Aete beschreiben
einen Umkreis von mehr als 80 Fuß. Sie tragen keine
Früchte mehr.
Von nahen Spaziergängen sind noch zu empfehlen:
„Der Telegraphen-Berg, der öffentliche Garten (Jardin
publico) die Praya do Flamingo und die Klöster St.
Gloria und St. Theresia u. f. w.
Ausflug nach der neu angelegten deutschen Colonie
Petropolis. Mordversuch eines Marron-Uegers.
Klan erzählte mir in Rio de Janeiro so viel von dem
schnellen Aufblühen von Petropolis, einer in der Nähe
Rio de Janeiros von Deutschen neu angelegten Kolonie,
von der herrlichen Gegend, in der dieselbe liegt, von den
Urwäldern, durch die ein Theil des Weges führt, daß ich
dem Wunsche nicht widerstehen konnte, einen Ausflug da-
hin zu machen. Mein Reisegefährte, Graf Berchtold, war
von der Partie, und so mietheten wir am 26. Sept. zwei
Plätze auf einer Barke, deren täglich mehrere nach dem
20 bis 22 Seemeilen entfernten Porto d'Estrella gehen,
von wo aus man die Wanderung zu Land fortsetzen muß.
Wir fuhren durch eine Bucht, die sich durch wahrhaft pittoreske
Ansichten auszeichnet und mich mehrmals lebhaft an Schwe-
dens so ganz eigenthümliche Seen erinnerte. Sie ist von
reizenden Hügelketten begrenzt und mit kleinen Inseln und
Inselgruppen bedeckt, die theils mit Palmen und anderen
Bäumen und Gesträuchen so üppig bewachsen sind, daß man
sie kaum für betretbar hält, theils als koloffale Felsen ein-
zeln aus dem Meere ragen oder lose über einander ge-
thürmt sind. Merkwürdig ist an vielen der letzteren die
runde Form, die oft wie gemeißelt erscheint.
;
68
Unsere Barke wurde von vier Negern und einem wei-
ßen Kommandanten geführt. Anfangs trieben aufgeblähte
Segel unser Schifflein und die Matrosen benutzten diese
günstigen Augenblicke, zu einer Mahlzeit, die aus einer
tüchtigen Portion Maniokmehl, aus gekochten Fischen, ge-
bratenem Mil (türkisches Korn), Orangen, Cocus und an-
deren kleineren Nußgattungen bestand, – ja sogar Weißbrod,
für die Schwarzen ein Luxusartikel, fehlte nicht. Innig
freute es mich, diese Menschen so gut gehalten zu sehen.
Nach zwei Stunden verließ uns der Wind und die Matro-
en mußten zu den Rudern greifen. Die hiesige Art und
Weise des Ruderns fand ich sehr beschwerlich. Der Ma-
trose mußte bei jedem Schlage auf eine vor ihm befestigte
Bank steigen und sich während des Aufhebens des Ruders
mit voller Gewalt zurückwerfen. Nach abermals 2 Stun-
den verließen wir die See und lenkten links ein in den
Fluß Geromerim, an dessen Mündung ein Gasthaus liegt,
bei welchem eine halbe Stunde angehalten wurde. Hier
sah ich auch einen seltsamen Leuchtthurm – eine Laterne
an einem Felsen hängend. – Die Schönheit der Gegend
hört nun auf; doch nur für den Laien – der Botaniker
würde sie erst jetzt herrlich und wunderbar finden, denn
die schönsten Wafferpflanzen, darunter vorzüglich die Nym-
phea, die Pontedera und das cyprianische Gras, breiten sich
in dem Waffer und um dasselbe aus. Die beiden ersteren
fchlingen sich bis um die Spitzen der nahestehenden Bäum-
chen, und das cyprianische Gras erreicht eine Höhe von
6–8 Fuß. Die Ufer des Fluffes sind flach und von nie-
drigem Gebüsche und jungen Waldungen umsäumt; den
Hintergrund bilden Hügelketten. Die Häuschen, die hin
69
und wieder zum Vorscheine kommen, sind von Stein er-
baut und mit Ziegeln gedeckt, sehen aber nichts desto we-
niger ziemlich armselig aus.
Wir fuhren 7 Stunden auf dem Fluffe und gelangten
ohne Unfall nach Porto d'Estrella, einem nicht unbedeutenden
Orte, da er der Stapelplatz für die Waaren ist, die vom In-
nern des Landes kommen und von hier zu Waffer nach
Brasiliens Hauptstadt gefördert werden. Es gibt da zwei
hübsche Gasthöfe, außerdem noch ein Gebäude – einem
türkischen Chan ähnlich – und ein ungeheueres Ziegeldach,
auf starken, gemauerten Pfeilern ruhend. Ersteres war
für die Waaren bestimmt und letzteres für die Eseltreiber,
die sich gütlich gelagert hatten und über lustig aufflam-
menden Feuern ihr Abendmahl bereiteten. Diese Art Nacht-
quartier gefiel uns zwar recht gut; wir zogen es aber vor,
in den Gasthof zum „Stern“ zu gehen, wo uns die reinli-
chen Zimmer und Betten und die würzig bereiteten Spei-
fen doch noch beffer gefielen.
27. Sept. Von Porto d'Estrella bis Petropolis
sind noch 7 Leguas. Gewöhnlich legt man diese Strecke
auf Maulthieren zurück, die man per Stück mit vier Mil-
reis bezahlt; da man uns aber in Rio de Janeiro diesen
Weg als einen schönen Spaziergang geschildert hatte, der
zum Theil durch herrliche Waldungen führe und überdieß
höchst belebt und sicher sei, indem er die Hauptverbin-
dungsstraße nach Minas Gueras bilde, so entschloffen wir
uns, selben zu Fuß zu machen, um so mehr, als der
Graf zu botanisieren, und ich Insekten zu sammeln wünschte.
Die beiden ersten Leguas führten durch ein breites Thal,
das größtentheils mit dichtem Gestrippe und jungen Wal-
70
dungen bedeckt und mit hohen Gebirgen umgeben war. Schön
"ºhnen sich am Saume des Weges die wild wachsenden
Ananafe aus, die, noch nicht ganz gereift, in rosenrothen
Farben erglühten. Leider sind sie bei weitem nicht so
schmackhaft, als sie schön aussehen, und werden daher auch
"r selten gepflückt. Großes Vergnügen gewährten mir die
Kolibris, deren ich hier mehrere der kleinsten Gattung sah.
Man kann sich wirklich nichts zarteres und anmuthigeres
als diese Thierchen denken. Sie holen ihre Nahrung aus
den Blumenkelchen, die sie flatternd umschweben, wie die
Schmetterlinge, mit welchen man sie in ihrem eiligen Fluge
auch leicht verwechseln kann. Selten nur sieht man sie ruhend
auf Aestchen sitzen. Nachdem wir das Thal durchschritten
hatten, gelangten wir an die Serra – so benennen die
Brasilianer die Spitze jedes Gebirges, das man überstei-
gen muß. Diese hier vor uns war an 3000 Fuß hoch.
Eine breite, gepflasterte Straße führte zwischen Urwaldun-
gen den Berg hinan.
Ich hatte mir immer vorgestellt, daß in einem Ur-
walde die Bäume ungewöhnlich dicke und hohe Stämme
haben müßten. Dies fand ich nun hier nicht – wahrschein-
lich ist die Vegetation zu stark, und die Hauptstämme er-
ficken und verfaulen unter den Maffen kleinerer Bäume,
Gesträuche, Schling- und Schmarotzerpflanzen. Beide letz-
tere Gattungen sind so häufig und überdecken derart die
Bäume, daß man oft kaum die Blätter, viel weniger die
Stämme derselben sieht. Ein Botaniker, Herr Schleierer,
versicherte uns, einst auf einem Baume sechs und dreißigerlei
Schling- und Schmarotzerpflanzen gefunden zu haben.
Wir machten eine reiche Ernte an Blumen, Pflanzen
71 -
und Infecten und verfolgten gemächlich unsern Weg, ent-
zückt über die herrlichen Waldungen und die nicht minder
reizenden Ansichten, die sich uns über Berg und Thal,
nach dem Meere und seinen Buchten, ja theilweise sogar
bis nach der Hauptstadt eröffneten.
Häufige Truppa's*), von Negern geführt, so wie
einzelne Fußgänger, deren wir vielen begegneten, benah-
men uns jede Furcht, so daß uns das fortwährende Folgen
eines Negers gar nicht auffiel. Als wir uns aber auf ei-
ner etwas einsamen Stelle allein befanden, sprang er plötz-
lich vor, in einer Hand ein langes Meffer, in der andern
einen Lafo*) haltend, drang auf uns ein und gab uns mehr
durch Geberden als Worte zu verstehen, daß er uns mor-
den und in den Wald schleppen wolle.
Wir führten keine Waffen bei uns, weil man uns
diese Partie als ganz gefahrlos schilderte, und hatten zur
Vertheidigung nichts als unsere Sonnenschirme. Ich besaß
außerdem noch ein Taschenmeffer, welches ich augenblicklich
aus der Tasche zog und öffnete, fest entschloffen, mein Le-
bentheuer zu verkaufen. So gut es gehen wollte wehrten
wir mit den Schirmen die Stiche ab. Die Schirme hielten
aber nicht lange aus; überdies bekam der Neger den
- - - - - -
*) Unter einer Truppa versteht man 10 Maulthiere, die von
einem Neger geführt werden; gewöhnlich vereinigen sich
mehrere Truppa"s und bilden oft Züge von 100 – 200
Maulthieren. Es werden nämlich in Brasilien alle Gegen-
stände auf Maulthieren fortgeschafft.
**) Der Laso ist ein Strick mit einer Schleife; die Einge-
bornen von Süd-Amerika wifen sich defen so geschickt zu
bedienen, daß fiel die wildesten Thiere damit einfangen.
72
meinigen zu faffen – wir rangen darum – er brach ab
und mir blieb nur ein Stückchen des Griffes in der Hand;
doch war ihm bei diesem Ringen das Meffer entfallen und
einige Schritte weggerollt – rasch fürzte ich darnach und
dachte schon, es zu erfaffen, als er, schneller denn ich, mit
Hand und Fuß mich davon wegstieß und sich deffelben wie-
der bemächtigte. Er schwang es wüthend über meinem
Haupte und brachte mir zwei Wunden bei, einen Stich
und einen tiefen Schnitt, beide in den linken Oberarm *);
nun hielt ich mich für verloren, und nur die Verzweiflung
gab mir den Muth, auch von meinem Meffer Gebrauch zu
machen. Ich führte einen Stoß nach der Brust des Negers,
er wehrte ihn ab und ich verwundete ihn nur tüchtig an der
Hand. Der Graf sprang hinzu und packte den Kerl von
rückwärts, wodurch ich Gelegenheit bekam, mich wieder
vom Boden zu erheben. Dies Alles war in dem Zeitraume
einiger Augenblicke geschehen; die erhaltene Wunde hatte
den Neger wüthend gemacht; er fletschte uns die Zähne
entgegen wie ein wildes Thier und schwang ein Meffer
mit fürchterlicher Schnelligkeit. Bald hatte der Graf auch
einen Schnitt über die ganze Hand erhalten, und unfehl-
bar wären wir verloren gewesen, hätte Gott nicht Hilfe ge-
fandt. Wir vernahmen Pferdetritte auf dem Steinpflaster
und augenblicklich ließ der Neger von uns ab und entsprang
in den Wald. Gleich darauf bogen zwei Reiter um die
*) Ich habe in der Beschreibung dieser Partie, die im De-
zember des Jahres 1847, während ich noch auf den Rei-
fen war, in A. Frankls Sonntagsblättern in Wien er-
schien, die Thatsache meiner Verwundung verschwiegen, um
meine Freunde und Verwandte nicht zu beunruhigen.
73
Ecke des Weges; wir eilten ihnen entgegen; die stark blu-
tenden Wunden, so wie unsere zerschnittenen Schirme er-
klärten schnell unsere Lage. Sie befragten uns um die Rich-
tung, die der Flüchtling eingeschlagen hatte, sprangen von
den Pferden und suchten ihn zu ereilen; doch wäre ihre Mühe
vergebens gewesen, wenn nicht zwei Neger des Weges ge-
kommen wären, die ihnen Hilfe leisteten und den Kerl bald
einfingen. Er wurde gebunden und bekam, da er nicht ge-
hen wollte, eine tüchtige Tracht Schläge, besonders über
den Kopf, so daß ich fürchtete, der Hirnschädel müffe dem
Armen eingeschlagen werden. Trotzdem verzog er keine
Miene und blieb wie erstarrt auf der Erde liegen. Die
beiden Neger mußten ihn auffaffen, wobei er, gleich einem
wüthenden Thiere, um sich biß, und bis zu dem nächstgele-
genen Hause tragen. Unsere Retter, so wie der Graf und
ich gingen mit, ließen uns die Wunden verbinden und fetz-
ten dann die Wanderung fort, zwar nicht ganz ohne Angst,
besonders, wenn wir einem oder mehreren Negern begegne-
neten, aber ohne weiteren Unfall und in immerwährender
Bewunderung der reizenden Landschaft.
Die Kolonie Petropolis liegt in der Mitte eines Ur-
waldes, 2500 Fuß über der Meeresfläche. Sie wurde erst
vor ungefähr 14 Monaten begründet und zwar hauptsäch-
lich, um verschiedene Gattungen europäischer Gemüse und
Früchte, die in den tropischen Ländern nur auf einer be-
deutenden Höhe gedeihen, für den Bedarf der Hauptstadt
zu ziehen. Eine kleine Reihe von Häusern bildete bereits
eine Straße, und auf einem gelichteten Platze fanden schon
die hölzernen Gerippe eines größeren Gebäudes, des kai-
ferlichen Lustschloffes, das aber schwerlich ein kaiserliches
74
Ansehen bekommen dürfte, denn kleine, niedrige Eingangs-
thüren stachen gar seltsam gegen die breiten und großen
Fenster ab. Um das Schloß wird sich die Stadt bilden.
Doch liegen auch viele einzelne Häuschen entfernter in den
Waldungen. Ein Theil der Kolonisten, als: die Hand-
werker, Krämer u. f. w. erhielten kleine Bauplätze in der
Nähe des Schloffes, die Landbebauer größere, aber auch
nicht mehr als 2 bis 3 Joch. – Was für Elend mögen
die Guten in ihrem Heimathlande erlitten haben, um ei-
niger Joche. Landes wegen einen fremden Welttheil aufzu-
fuchen! –
Unser gutes, altes Mütterchen, das die Reise mit
uns von Deutschland nach Rio de Janeiro machte, fanden
wir hier an der Seite ihres Sohnes. Die Freude, nun mit
ihrem Liebling vereint schaffen und wirken zu können, hatte
fie in dieser kurzen Zeit um Vieles verjüngt. Ihr Sohn
wurde unser Leiter; er führte uns in der jungen Kolo-
nie herum, welche in breiten Schluchten liegt; die sie umge-
benden Berge sind so steil, daß, wenn sie von den Bäu-
men entblößt und in Gartenland umgeschaffen sind, die
weiche Erde leicht von den starken Regengüssen herabge-
fchwemmt werden kann.
Eine Legua von der Kolonie entfernt toset ein Waf-
ferfall in einen sich selbst geschaffenen Schlund; er zeichnet
sich mehr durch die keffelartige Einfaffung schöner Gebirge,
durch die heilige Finsterniß der ihn umgebenden Urwälder,
als durch Höhe oder durch Fülle an Waffer aus.
29. Sept. Trotz unseres früheren Unfalles machten
wir doch den Rückweg nach Porto d'Estrella wieder zu
Fuß, schifften uns auf einer Barke ein und fuhren die
75
schöne Nacht durch nach Rio de Janeiro, wo wir des Mor-
gens glücklich ankamen. Ueberall, sowohl in Petropolis
als auch in der Hauptstadt, wunderte man sich derart über
den Mordanfall, welchem wir ausgesetzt waren, daß, wenn
wir nicht Wunden erhalten, man uns gar nicht Glauben
beigemeffen hätte. Man hielt den Kerl für betrunken oder
verrückt. Erst später erfuhren wir die eigentliche Ursache.
Sein Herr hatte ihn kurz zuvor eines Vergehens wegen
gezüchtigt, und als er darauf uns in dem Walde traf,
mochte er denken, nun Gelegenheit zu haben, seinen Haß
gegen die Weißen ungestraft befriedigen zu können.
Reise in das Innere von Brasilien.
Die Städtchen Morroqueimado (Novo-Friburgo) und Aldea da Pedro –
Pflanzungen der Europäer. – Waldbrände. – Urwälder. – Letzte
Ansiedlung der Weißen. – Besuch bei den Indianern, auch Puris
oder Kabocles genannt. – Rückkehr nach Rio de Janeiro
Auch diese Reise trat ich in Gesellschaft des Grafen
Verchtold an, nachdem wir beschloffen hatten, in das In-
nere des Landes einzudringen und den Urbewohnern Bra-
filiens einen Besuch abzustatten. -
2. Oktober. Morgens verließen wir Rio de Ja-
neiro und fuhren auf einem Dampfboote nach dem 24
Seemeilen entfernten Hafen Sampajo. Dieser Hafen liegt
an der Mündung des Fluffes Maccacu; besteht aber nur
aus einem Gasthofe und zwei bis drei kleinen Häusern.
Wir mietheten hier Maulthiere, um nach der 20 Leguas
entfernten Stadt Morroqueimado zu reiten.
Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken, daß es
es in Brasilien Sitte ist, die Maulthiere ohne Führer zu
vermiethen – ein großes Vertrauen, welches die Verlei-
her den Reisenden schenken. An Ort und Stelle ange-
langt, übergibt man die Thiere an einem, von dem Verlei-
her bezeichneten Orte. Wir zogen es jedoch vor, einen
77
Führer mitzunehmen, da wir des Weges unkundig waren,
eine Vorsicht, die wir um so weniger bereuten, als wir
die Straße häufig mit hölzernen Gattern versperrt fanden,
die immer auf- und zugemacht werden mußten.
Der Preis für ein Maulthier betrug 12 Milreis.
Da wir schon um 2 Uhr in Porto Sampaj0 ange-
kommen waren, beschloffen wir nach Ponte do Pinheiro
(4 Leguas) zu reiten. Der Weg führte größtentheils durch
Thäler, die mit baumartigem Gestrippe bedeckt und von
niederen Gebirgen umgeben waren. Im Ganzen erschien
die Gegend sehr wild, und nur hier und da waren magere
Weideplätze und armselige Hütten zu sehen.
Das Städtchen Ponte de Cairas, das wir pafirten, be-
steht aus einigen Kaufläden und Venden, mehreren kleineren
Häusern, einem Kirchlein und einer Apotheke; der Haupt-
platz glich einer Weide. – Ponte do Pinheiro ist etwas
größer. Wir fanden da eine sehr gute Unterkunft, eintreff-
liches Abendmahl, bestehend aus Hühnern mit Reis ge-
dünstet, Weißbrod, Maniokmehl und portugiesischem Weine,
gute Betten und ein Frühstück; bezahlten dafür aber
auch 4 Milreis. -
3. Oktober. Erst um 7 Uhr kamen wir zum Auf-
bruche; wie überall, ist auch hier zu Lande des Morgens
kein Weiterkommen.
Die Gegend behielt denselben Anstrich wie Tages
vorher, nur näherten wir uns mehr den höheren Gebir-
gen. Der Weg war ziemlich gut, desto schlechter aber wa-
ren die Brücken über die Bäche und Pfützen; wir priesen uns
stets glücklich, wenn wir eine solche ohne Anstand passiert hatten.
Nach ungefähr drei Stunden (2 Leguas) erreichten wir
78
die große Zucker-Fazenda *) de Collegio, die in ihrer An-
lage vollkommen einem großen Landsitze gleicht. An das
geräumige Wohnhaus schließt sich eine Kapelle, umher lie-
gen die Wirthschaftsgebäude und das Ganze ist von einer
hohen Mauer umgeben.
Weithin waren die Ebenen und niederen Anhöhen
mit Zuckerrohr bepflanzt. Leider konnten wir die Berei-
tung des Zuckers nicht sehen, da das Rohr noch nicht reif
WAT.
Der Reichthum eines Plantagenbesitzers wird in Bra-
filien nach der Anzahl der Sclaven bemeffen. – Diese
Pflanzung besaß 800 Sclaven – ein bedeutender Reich-
thum, da jeder männliche Sclave 6–700 Milreis kostet.
Unweit dieser Fazenda, rechts von der Straße, liegt
die ebenfalls ziemlich bedeutende Fazenda Papagais; au-
ßerdem sahen wir noch mehrere kleinere Pflanzungen, die
in die einförmige Gegend etwas Leben brachten.
St. Anna (4 Leguas) ist ein unbedeutender Ort,
der nur aus einigen Häusern, einem Kirchlein und einer
Apotheke besteht. Letztere darf in keinem brasilianischen
Orte fehlen, und zählte er auch nur 12–15 Häuschen. Wir
nahmen hier bei einem etwas prellerischen Wirth, Hrn.
Gebhart, eine Eierspeise und eine Flasche Wein, ließen
unsern Maulthieren etwas Mil geben und bezahlten dafür
3 Milreis.
Wir ritten diesen Tag nur noch nach Mendoza (3
Leguas), einem noch unbedeutenderen Orte als St. Anna.
Ein Kramladen und eine Venda waren die einzigen Ge-
*) Fazenda heißt so viel wie: Plantage, Pflanzung.
79
bäude, die an der Straße lagen; doch entdeckten wir im
Hintergrunde eine Maniok-Fazenda. Wir besuchten sie,
und der Besitzer war so gefällig, uns erst mit schwarzem
Kaffee zu bewirthen (eine in Brasilien übliche Sitte) und
dann in seiner Pflanzung umher zu führen.
Die Maniokpflanze treibt Stengel von 4 bis 6 Fuß
Höhe hervor, die oben mehrere große Blätter haben. Der
wichtige Theil dieser Pflanze ist die knollenartige Wurzel,
die oft 2 – 3 Pfund wiegt und in ganz Brasilien die
Stelle des Getreides vertritt. Sie wird gewaschen, ge-
schält und an die äußere rauhe Rundung eines Mühlsteines,
der durch Neger gedreht wird, so lange gehalten, bis sie
zerrieben ist. Die Maffe wird hierauf in einen Korb gege-
ben, fleißig abgewäffert und dann mittelsteiner Presse voll-
kommen ausgedrückt. Zuletzt schüttet man sie auf große Ei-
fenplatten, auf welchen sie durch gelind unterhaltene Hitze
langsam getrocknet wird. Sie gleicht nun ganz einem gro-
ben Mehle und wird statt des Brodes auf zweierlei Art
gebraucht – naß und trocken. Im ersten Falle macht man
sie mit heißem Waffer an, so daß sie die Form eines Breies
hat; im zweiten Falle erscheint sie als grobes Mehl
in kleinen Körbchen, woraus sich bei Tische jeder nach
Belieben nimmt und über die Speisen freut.
4. Oktbr. Die Gebirge ziehen sich immer enger und
enger zusammen und die Waldungen werden dichter und
üppiger. Ueber alle Beschreibung schön machen sich die
Schlingpflanzen, die nicht nur den Grund ganz überdecken,
sondern derart mit den Bäumen verzweigt sind, daß ihre
herrlichen Blumen an den höchsten Aesten hängen und als
wunderbare Blüthen der Bäume erscheinen. Aber auch
80
Bäume gibt es, deren gelbe und rothe Blüthen den schön-
sten Blumen gleichen und andere mit großen weißlichen
Blättern, die wie Silber aus dem grünen, blüthenreichen
Blättermeere hervor leuchten. Solche Wälder könnte man
wahrlich die Riesengärten der Welt nennen. – Die Pal-
men haben beinahe gänzlich aufgehört. -
Bald hatten wir das Gebirge erreicht, das nun über-
stiegen werden mußte. Wir kamen manchmal auf so hohe,
freie Punkte, daß wir bis auf die Hauptstadt zurücksehen
konnten. Auf der Spitze des Gebirges (Alta da Serra,
4 Leguas von Mendoza) fanden wir eine Venda. Von die-
fem Punkte sind noch 4 Leguas nach Morroqueimado, die
wir sehr langsam zurücklegten, da der Weg immer Berg
auf und ab führte. Die herrlichsten Waldungen umgaben
uns fortwährend von allen Seiten, und nur selten erinnerte
uns eine kleine Pflanzung von Kabi *) oder Mil an die
Nähe der Menschen. Wir sahen das Städtchen erst, nach-
dem wir den letzten Hügel erstiegen hatten und schon ganz
nahe waren. Es liegt in einem großen malerischen Gebirgs-
keffel, 3200 Fuß über der Meeresfläche. Da die Nacht
schon heran rückte, waren wir für heute froh, unser Nacht-
quartier zu erreichen, das wir seitwärts des Städtchens bei
einem Deutschen, Herrn Lindenroth, vortrefflich, und wie
die Folge zeigte, sehr billig fanden, indem täglich die
Person für Wohnung und drei gute Mahlzeiten einen
Milreis bezahlte.
*) Kabi, afrikanisches Gras, wird in ganz Brasilien ge-
pflanzt, da nirgends Gras wächst. Es wächst sehr hoch
und schilfartig.
81
5. Oktbr. Das Städtchen Novo Friburgo oder Mor-
roqueimado wurde vor ungefähr 15 Jahren gegründet,
und zwar von französischen Schweizern und Deutschen. Es
zählt noch nicht ganz 100 gemauerte Häuser, die zum
größeren Theil eine ungemein breite Straße bilden, zum
Theil zerstreut umher liegen.
Schon in Rio de Janeiro hatte man uns sehr viel
von den Herren Beske und Freese erzählt und uns aufge-
fordert, es ja nicht zu unterlaffen, beide zu besuchen.
Herr Beske ist Naturforscher und lebt hier mit seiner
Frau, die beinah so unterrichtet ist, wie er selbst. Wir
unterhielten uns gar manche Stunde in ihrer lieben Ge-
fellschaft; sie zeigten uns intereffante Sammlungen von
vierfüßigen Thieren, Vögeln, Schlangen, Infekten u. f.w,
unter welch letzteren wir mehr des schönen und merk-
würdigen sahen, als im Museum zu Rio de Janeiro.
Herr Beske hat stets viele Bestellungen naturhistorischer Ge-
genstände nach Europa zu besorgen. – Herr Freese ist Vor-
steher und Eigenthümer einer Erziehungsanstalt für Knaben,
und zog es vor, sein Institut hier oben im kühleren Klima
zu errichten, als unten in der heißen Stadt. Er war
fo gefällig, uns die ganze Einrichtung der Anstalt zu
zeigen. Da wir ihn gegen Abend besuchten, waren die
Lehrstunden bereits geschloffen; doch führte er uns alle
feine Schüler vor, ließ sie einige Turnübungen machen
und gab ihnen verschiedene Fragen über Geschichte, Geo-
graphie, Arithmetik u. f. w., die alle recht überlegt und
richtig beantwortet wurden. Sein Institut zählt 60
Vlätze, welche sämmtlich besetzt waren, obwohl für jeden
jährlich 1000 Milreis bezahlt werden.
Pfeiffers Reise, 1. Th. 6
82
6. Oktober. Wir waren Willens gewesen, nur
einen Tag in Novo Friburgo zu verweilen und dann gleich
unsere Reise fortzusetzen. Leider hatte sich aber die
Wunde, die der Graf auf unserm Ausfluge nach Petropo-
lis in die Hand erhalten hatte, durch den angestrengten
Gebrauch der Hand und in Folge der großen Hitze sehr
verschlimmert; es kam eine Entzündung dazu, und so war
für ihn an eine Fortsetzung der Reise nicht zu denken.
Glücklicher war ich mit meinen Wunden, denn da sie sich
am Oberarm befanden, konnte ich sie hinlänglich schonen und
verwahren, – sie waren nun in voller Heilung begriffen
und mir weder gefährlich noch hinderlich. Es blieb mir
also nichts übrig, als entweder allein zu reisen, oder
die interessanteste Partie, den Besuch bei den Indianern,
aufzugeben. Zu letzterem konnte ich mich durchaus nicht
entschließen; – ich erkundigte mich daher, ob diese Reise
mit nur einiger Sicherheit zu machen sei, und da man
mich deffen so halb und halb versicherte, und Herr Linden-
roth mir überdieß einen zuverläßigen Führer verschaffte,
fo trat ich, bewaffnet mit einer guten Doppelpistole, furcht-
los meine Wanderung an. -
Wir blieben Anfangs zwischen Gebirgen und fliegen
wieder in die wärmere Region hinab. Die Thäler waren
meist schmal und die Einförmigkeit der Waldregionen häufig
durch Pflanzungen unterbrochen. Aber nicht alle Pflan-
zungen sahen schön aus. Die meisten sind so voll Unkraut,
daß man oft die eigentliche Pflanze, besonders wenn sie
noch jung und klein ist, gar nicht heraus findet. Auf die
Zucker- und Kaffee-Plantagen allein wird große Sorgfalt
verwendet,
83
Die Kaffeebäume stehen reihenweise auf ziemlich fenk-
rechten Hügeln. Sie erreichen eine Höhe von 6 bis 12 Fuß,
fangen schon im zweiten, längstens im dritten Jahre an Früchte
zu tragen und bleiben zehn Jahre fruchtbar. Ihr Blatt ist
länglich und schwach ausgezackt, die Blüthe weiß, die
Frucht setzt sich traubenförmig an und gleicht einer läng-
lichten Kirche, die erst grün ist, dann roth, braun und
endlich schwärzlich wird. Zur Zeit der rothen Farbe ist
die äußere Schale noch weich; zuletzt wird sie aber voll-
kommen hart und sieht wie eine hölzerne Kapsel aus.
Man findet auf den Bäumen zu gleicher Zeit Blüthen,
und ganz gereifte Früchte und erntet daher beinah das
ganze Jahr. Die Ernte selbst geschieht auf zweierlei Art:
entweder pflückt man die Früchte ab, oder man breitet
große Strohmatten unter und schüttelt die Bäume. Die
erstere Art ist die mühsamere, aber ungleich beffere.
Ein neues Schauspiel, das mir hier zum erstenmal
vorkam, waren häufige Waldbrände, die gelegt werden
um das Land urbar zu machen. Meist fah ich nur von
ferne ungeheure Rauchwolken empor wirbeln und wünschte
nichts fehnlicher, als solch einem Brande recht nahe zu
kommen. Mein Wunsch sollte noch an diesem Tage er-
füllt werden, indem der Weg zwischen einem brennenden
Walde und einem brennenden Rote *) mitten hindurch
führte. Der Raum zwischen beiden betrug höchstens 50
Schritte und war ganz vom Rauche überdeckt. Man hörte
das Knistern des Feuers und sah durch die Rauchwolken
*) Unter Rost versteht man theils eine Strecke niedrigen
Gebüsches, theils auch die Stellen so eben ausgebrannter
Wälder,
6*
84
mächtige Flammensäulen aufzüngeln. Dazwischen tönten
Knalle, gleich Kanonenschüffen, die von dem Falle der
großen Bäume herrührten. Als mein Führer diesem
Höllenpfuhle zuritt, ward mir doch etwas Angst; ich be-
dachte aber, daß er sein Leben gewiß nicht leichtsinnig aufs
Spiel setzen würde und daher schon die Erfahrung haben
müffe, daß solche Stellen zu passieren seien.
Am Eingange saßen zwei Neger, um den Wanderer
über die Richtung, die er einzuschlagen habe, zu belehren,
und ihm die größte Eile zu empfehlen. Mein Führer
übersetzte mir dieß, gab seinem Pferde die Sporen, ich
folgte seinem Beispiele, und fo sprengten wir mit ver-
hängten Zügel in die dampfende Schlucht.
Glühende Asche flog um uns her, und beklemmender
noch als die vom Brande ausgehende Hitze war der er-
fickende Qualm des Rauches; auch unsern Thieren schien der
Athem zu fehlen und wir hatten viel Mühe sie im Galoppe
zu erhalten. Zum Glücke war die ganze Strecke nur fünf-
bis sechshundert Schritte lang, und so gelangten wir ohne
Unfall hindurch. -
Solch' ein Brand gewinnt in Brasilien nie eine
große Ausdehnung, da die Vegetation zu frisch ist und
dem Feuer zu sehr entgegen arbeitet. Man muß den Wald
an vielen Orten anzünden, und selbst da erlischt das Feuer
häufig, und man findet mitten in dem abgebrannten Walde
unversehrte Stellen. – Bald, nachdem wir diesen gefähr-
lichen Weg paffiert hatten, kamen wir an herrliche Fel-
fen, deren beinahe fenkrechte Wände eine Höhe von
600 – 800 Fuß haben mochten. Viele abgelöste Fels-
stücke lagen an dem Wege und bildeten hübsche Gruppen.
85
Zu meinem Erstaunen vernahm ich von meinem
Führer, daß unser heutiges Nachtquartier schon ganz nahe
fei. Wir hatten kaum 5 Leguas zurückgelegt; doch sollte
nach seiner Behauptung eine weitere Venda, wo wir über
Nacht bleiben könnten, gar zu entfernt sein. In der Folge
fah ich wohl, daß es ihm nur um die Verlängerung der
Reise zu thun war, die ihm ein hübsches Geld einbrachte,
da er, außer sehr guter Kost und Futter für die beiden
Maulthiere, täglich vier Milreis bekam.
Wir blieben also in einer einzeln liegenden Venda,
mitten im dichten Walde, bei Herrn Molaß über Nacht.
Von der Hitze hatten wir unter Tages sehr viel
gelitten – der Thermometer wies in der Sonne auf 39
Grade.
Was einem Reisenden an den Kolonisten und Be-
wohnern Brasiliens am meisten auffallen muß, sind die
Kontraste von Furcht und Muth. Einerseits ist. Jeder-
mann, den man auf der Straße sieht, mit Pistolen und
langen Meffern bewaffnet, als wäre das ganze Land voll
Räuber und Mörder, – andrerseits haufen die Planta-
gen-Besitzer forglos ganz allein in Mitte ihrer Maffe von
Sclaven, und der Reisende übernachtet furchtlos mitten in
den undurchdringlichsten Waldungen in einsamen Venden,
die weder Gitter vor den Fenstern, noch feste Thüren mit
guten Schlöffern besitzen. Das Wohnzimmer der Eigen-
thümer ist noch überdieß von den Gastzimmern weit ge-
trennt und abfeit gelegen, und von den Hausleuten
(lauter Sclaven) könnte man schon gar keine Hilfe erlan-
gen, da sie in irgend einer Ecke des Stalles oder der
Scheuer wohnen. Anfangs bangte mir sehr, so umgeben
86
von der wilden, finstern Waldung, abgeschnitten von jeder
Hilfe, allein in einem nur leicht geschloffenen Zimmer
die Nächte zuzubringen. Da man mir aber überall ver-
sicherte, gar nie von einem Einbruche gehört zu haben,
verabschiedete ich bald die überflüffige Furcht und schlief
vollkommen ruhig.
In Europa kenne ich nur wenig Länder, wo ich
wagen möchte, bloß in Begleitung eines gedungenen Füh-
rers durch dichte Wälder zu reisen und in so schauerlich
einsamen Häuschen die Nächte zuzubringen.
Am 7. Oktober machten wir ebenfalls nur eine
kleine Tagreise von 5 Leguas nach dem Städtchen Canto
Gallo. Die Gegend blieb sich gleich, enge Thäler ohne
Aussichten, und Gebirge, bedeckt mit unübersehbaren
Waldungen. Erinnerten nicht hin und wieder kleine Fa-
zenden oder gelegte Waldbrände an die Hand des Men-
fchen, so könnte man vermeinen, in einem noch unent-
deckten Theile Brasiliens umherzustreifen.
Eine abenteuerliche Abwechslung in dieses Einerlei
brachte ein kurzes Abkommen vom Wege. Wir mußten,
um die rechte Straße wieder zu erreichen, mitten durch
den Wald über ungebahnte Fährten dringen, – eine Auf-
gabe, von der sich ein Europäer kaum einen Begriff machen
kann. Wir stiegen von den Thieren, der Führer hieb
rechts und links die tief hängenden Baumzweige ab und
durchschnitt das dichte Gewebe der Schlingpflanzen. Bald
mußten wir über abgebrochene Stämme klettern, zwischen
anderen uns durchzwängen, bald versanken wir bis an
die Kniee in das Geflechte der zahllosen Schlingpflanzen.
Ich begann fast an der Möglichkeit des Durchdringens zu
87
zweifeln und begreife noch heute nicht, wie es uns gelang,
diesem unentwirrbaren Dickicht zu entkommen.
Das Städtchen Canto Gallo liegt in einem engen
Thale und zählt ungefähr 80 Häuser. Die Venda steht abseit,
und man sieht das Städtchen von ihr aus gar nicht. – Die
Temperatur ist hier so heiß wie jene von Rio de Janeiro.
Von einem kurzen Spaziergange nach dem Städt-
chen in die Venda zurückgekehrt, setzte ich mich zu meiner
Wirthin, um einmal so recht in der Nähe eine brasiliani-
sche Haushaltung zu sehen. Die liebe Wirthin beküm-
merte sich jedoch wenig um Wirthschaft und Küche, –
wie in Italien, war dieß die Sache des Mannes. Das
Kochen besorgte eine Negerin mit zwei Negerjungen, und
die Einrichtung der Küche war im höchsten Grade einfach.
Das Salz wurde mit einer Flasche zerdrückt, die gekoch-
ten Kartoffeln desgleichen; hieraufpreßte man letztere mittelst
eines Tellers in die Pfanne, um ihnen dadurch die Form
eines Kuchens zu geben – ein spitziges Holz diente zur Gabel
u.fw. Für jedes Gericht brannte ein eigenes großes Feuer.
An der Tafel nahm alles Platz, was von weißer
Farbe war. Sämmtliche Gerichte, bestehend aus kaltem
Rinderbraten, schwarzen Bohnen mit gekochtem Carna
secca *), Kartoffeln, Reis, Maniokmehl und gekochten
Maniokwurzeln, wurden zugleich auf den Tisch gestellt und
jeder langte nach Belieben zu. Zum Schluffe kam schwar-
*) Carna sccca ist in ganz Brasilien ein Hauptnahrungs-
artikel für Weiße und Schwarze; er kommt von Buenos-
Ayres und besteht aus Ochsenfleisch in lange, flache und
breite Streifen geschnitten, eingefalzt und in der Luft
getrocknet.
88
zer Kaffee. Die Sclaven wurden mit Bohnen, Carna
secca und Maniokmehl abgespeist.
8. Oktober. Die Fazenda Boa Esperanza, 6 Le-
guas entfernt, war unser heutiges Ziel. Eine Legua hin-
ter Canto Gallo kamen wir an einem kleinen Wafferfalle
vorüber, und dann ging es durch die herrlichsten Urwälder,
die ich bisher noch gesehen. Ein schmaler Steig, am
Saume eines Bächleins führte hindurch. Palmen mit
ihren majestätischen Kronen erhoben sich stolz über die
Blätterbäume, die sich traulich unter ihnen wölbten und
herrliche Boskette bildeten – Orchideen wucherten auf den
Zweigen und Aesten – Schlingpflanzen und Farrenkräuter
schoffen, an den Bäumen auf, verzweigten sich mit den
Aesten und bildeten dichte Blumen- und Blüthenmauern,
die mit den prachtvollsten Farben prangten und einen bal-
jamischen Duft aushauchten – zarte Kolibris schwirrten
umher – scheu flog der schön gefärbte Pfeffervogel empor,
– Papageien und Parakite wiegten sich in den Aleten,
und noch viele andere herrlich gefärbte Vögel, die ich nur
aus dem Museum kannte, belebten diesen Zauberhain.
Mir war's, als ritt ich in einem Feenparke, und jeden
Augenblick meinte ich, Sylphen und Nymphen erscheinen
zu sehen.
Ich war überglücklich und fühlte die Anstrengung
meiner Reise reichlich belohnt. Nur ein Gedanke trübte
den Sonnenschein dieses entzückenden Bildes, der Gedanke,
daß der schwache Mensch es wagt, mit dieser Riesennatur
in Kampf zu treten, um sie einem Willen zu beugen. Wie
bald mag vielleicht diese tiefe, heilige Ruhe durch die
89
Artschläge kühner Ansiedler gestört werden, um Raum
zu geben für die Bedürfniffe des Lebens.
Von gefährlichen Thieren sah ich nur einige dunkel-
grün gefärbte Schlangen von 5 bis 7 Fuß Länge, eine
getödtete Unze, der man das Fell abgezogen hatte, und
eine 3 Fuß lange Eidechse, die ängstlich über den Weg
lief. – Affen erblickte ich gar nicht. Die scheinen sich
noch tiefer in den Waldungen zu bergen, wo so leicht
kein menschlicher Fußtritt sie in ihren Sprüngen und
Spielen stört.
Auf dem ganzen Wege von Canto Gallo bis zu dem
kleinen Dörfchen St. Ritta (4 Leguas) sahen wir auch
nur an einigen Kaffeepflanzungen, daß die Gegend nicht
ganz von Menschen vergeffen ist.
Bei St. Ritta gibt es einige Goldwäschereien im
Fluffe gleichen Namens, und nicht weit davon werden
auch Diamanten gefunden. Seit das Diamanten-Suchen
oder Graben kein kaiserliches Monopol mehr ist, kann
sich jedermann diesem Geschäfte unterziehen, und dennoch
wird es so viel als möglich insgeheim betrieben. Niemand
will bekennen, darnach zu suchen, um dem Staat den ge-
fetzlichen Antheil zu entziehen. – Die Edelsteine werden
an gewissen Stellen in von Regengüssen herbei geschwemm-
tem Sand- und Steingerölle und Erdreiche sorgfältig
aufgesucht und ausgegraben.
Zu Canto Gallo hatte ich vergangene Nacht zum
letzten Male in einer Venda Unterkunft gefunden. Von
nun an war ich auf die Gastfreundschaft der Fazendenbe-
fizer gewiesen. Erreicht man eine Fazenda, in der man
über Mittag oder über Nacht bleiben will, so erfordert
96)
es die Sitte, an der Außenseite des Gehöftes anzuhalten
und durch den Diener um die Erlaubniß anfragen zu
laffen. Erst wenn die Bitte gewährt ist, was beinahe
durchgehends geschieht, steigt man vom Maulthiere und
begibt sich in das Gehöft.
Ich wurde in der Fazenda Boa Esperanza äußerst
freundlich aufgenommen, und da ich gerade zum Mittag-
mahle kam (es war zwischen 3 und 4 Uhr), stellte man
augenblicklich für mich und meinen Diener Gedecke auf
den Tisch. Die Gerichte waren zahlreich und so ziemlich
nach europäischer Art bereitet.
In jeder Venda und in jeder Fazenda verwunderte
man sich ungemein, wenn man mich, eine Frau, mit einem
einzigen Diener herankommen sah. Die erste Frage war
stets, ob ich mich nicht fürchte, die Wälder so allein zu
durchstreifen; – mein Führer wurde überall bei Seite
genommen und gefragt, warum ich denn reife. – Da
ich nun häufig Blumen und Insekten sammelte, hielt er
mich für eine Naturforscherin und gab die Wiffenschaft für
den Zweck meiner Reise aus.
Als die Tafel vorüber war, schlug mir die freund-
liche Hausfrau vor, die Kaffeepflanzungen, Magazine u.fw.
zu besuchen. Gerne nahm ich diesen Vorschlag an, der
mir Gelegenheit bot, die Bereitung des Kaffees von An-
fang bis zu Ende zu sehen.
Die Art und Weise des Pflückens habe ich bereits
erzählt. – Ist dieß geschehen, so wird der Kaffee auf
großen Plätzen ausgebreitet, die eigens festgestampft und
von niedern, kaum fußhohen, gemauerten Wänden um-
geben sind. Letztere haben kleine Abzugslöcher, damit im
91
Falle eines Regens das Waffer ablaufen kann. Auf
diesen Plätzen wird der Kaffee von der glühenden Son-
nenhitze getrocknet und dann in große, steinerne Mörser
geschüttet, deren 10 – 20 unter einem hölzernen Sparr-
werke aufgestellt sind, von welchem hölzerne Hämmer in
die Mörfer fallen und die Hülse leicht zerdrücken. Die
Hämmer werden durch Wafferkraft in Bewegung gesetzt.
Die gequetschte Maffe kommt hierauf in hölzerne Kasten,
die in Mitte einer langen Tafel befestiget sind und an
beiden Seiten kleine Oeffnungen haben, aus welchen der
Kaffee sammt der Spreu langsam heraus fällt. An der
Tafel selbst sitzen Neger, die den Kaffee von der Spreu
sondern und ihn dann in flache, kupferne, leicht erhitzte
Keffel bringen. Hier wird er fleißig umgewendet und
bleibt so lange, bis er vollkommen getrocknet ist. Diese
letzte Arbeit fordert einige Aufmerksamkeit, da von dem
Grade der Hitze die Farbe des Kaffees abhängt; wird er
zu schnell getrocknet, so bekömmt er statt der grünlichen eine
gelbliche Farbe.
Im Ganzen ist die Bearbeitung des Kaffees nicht
anstrengend, und selbst die Ernte desselben ist bei weitem
nicht so beschwerlich als bei uns der Getreidesschnitt. Der
Neger pflückt den Kaffee in aufrechter Stellung und ist
durch das Bäumchen selbst vor der großen Sonnenhitze
geschützt. Die einzige Gefahr ist, von giftigen Schlangen
gestochen zu werden, ein Fall, der sich glücklicherweise
höchst selten ereignet.
Dagegen sollen die Arbeiten auf einer Zuckerplan-
tage höchst anstrengend sein, worunter besonders das Aus-
jäten des Unkrautes und das Schneiden des Rohres ge-
hören – Ich habe noch keiner Zuckerernte beigewohnt;
vielleicht werde ich noch im Laufe der Reise dazu
kommen.
Mit Sonnenuntergang endet die Arbeit; dann
stellen die Neger sich vor dem Herrenhause auf und werden
gezählt. Nach einem kurzen Gebete wird ihnen die Abend-
mahlzeit gereicht, die aus gekochten Bohnen mit Speck,
Carna secca und Maniokmehl besteht. Mit Sonnenauf-
gang versammeln sie sich wieder, werden abermals gezählt
und gehen nach abgehaltenem Gebete und Frühstücke an
die Arbeit.
Ich hatte in dieser, wie in vielen andern Fazenden,
Venden und Privathäusern Gelegenheit zu beobachten, daß
man mit den Sclaven bei weitem nicht so hart umgeht,
als wir Europäer es meinen. Sie werden mit Arbeit
nicht überladen, gehen allen ihren Geschäften sehr gemäch-
lich nach und werden gut genährt. Ihre Kinder sind
häufig die Gespielen der Kinder ihrer Herren und bal-
gen sich mit jenen herum wie mit ihres gleichen. Es
mag auch Fälle geben, daß der eine oder der andere
Sclave hart und unverschuldet gezüchtiget wird; aber
haben dergleichen Ungerechtigkeiten nicht auch in Europa
statt?
Ich bin gewiß eine große Gegnerin der Sclaverei,
und ihre Abschaffung würde ich mit unendlicher Seelen-
freude begrüßen. Deffenungeachtet wiederhole ich meine
Behauptung, daß der Negerclave unter Gesetzen ein befe-
ures Loos habe, als der freie Fellah in Egypten und als
viele Bauern in Europa, die noch unter der Last der
Robot seufzen. – Die Hauptursache des beffern Looses
93
eines Sclaven gegenüber dem robotpflichtigen Bauer mag
zum Theil hierin liegen, daß der Ankauf und Unterhalt
des ersteren kostspielig ist, während man für den letzteren
nichts auszulegen hat.
Die Einrichtung der Herrenhäuser auf den Fazenden
ist höchst einfach. Die Fenster sind ohne Glas und wer-
den des Nachts mit hölzernen Laden geschloffen. Oft
wölbt sich über alle Zimmer das Dach als gemeinschaft-
liche Decke, und die einzelnen Zimmer sind nur durch
niedere Wände von einander getrennt, so daß man jedes
Wort des Nachbars, ja beinahe den Althemzug jedes
Schlafenden deutlich vernimmt. Die Möbels sind eben
so einfach – ein großer Speisetisch, einige Divans mit Stroh
durchflochten und einige Stühle. Die Kleider hängen ge-
wöhnlich an den Wänden, und nur die Wäsche wird in
blecherne Koffer gelegt, um sie vor dem Benagen der Amei-
fen und Baraten zu bewahren. - -
Die Kinder, selbst der reichen Leute, gehen auf dem
Lande häufig ohne Schuhe und Strümpfe. Vor dem Schla-
fengehen untersucht man ihre Füßchen, ob sich Sandflöhe
eingenistet haben, die dann mittelst einer Stecknadel von
den ältern schwarzen Kindern herausgenommen werden.
9. Oktober. Zeitlich des Morgens nahm ich
von meinen gütigen Wirthen Abschied. Die sorgsame
Hausfrau packte mir noch ein gebratenes Huhn, Maniok-
mehl und Käse ein, und so trat ich wohl ausgerüstet die
fernere Reife an.
Die nächste Station, Aldea do Pedro, an dem Ufer
des Parahyby, war vier Leguas entfernt. Man reitet
durch herrliche Waldungen und kommt bereits auf hal-
94
bem Wege zu dem Strome Parahyby, der einer der größe-
ren Brasiliens ist und sich außerdem durch fein höchst
originelles Flußbett auszeichnet. Er ist nämlich mit un-
zähligen Klippen und Felsen übersäet, die, da er gerade
nicht sehr wafferreich war, um so mehr hervortraten;
allerorts erhoben sich kleine, mit Bäumchen oder Gebüsch
bewachsene Inselchen, die ihm einen zauberhaften Reiz
verliehen. In der Regenzeit sollen wohl die meisten
Felsen und Klippen vom Waffer überspült fein und der
Strom selbst erscheint, dann noch um vieles größer und
majestätischer; doch ist er dieser zahllosen Klippen und
Felsen wegen nur immer mit Booten und kleinen Flößen
zu befahren.
Wie man den Ufern des Fluffes entlang reitet, än-
dert sich die Landschaft; die Vordergebirge laufen in nie-
dere Hügel aus, die Berge treten zurück, und je mehr
man sich Aldea do Pedro nähert, desto freier und weiter
wird das Thal. Nur im Hintergrunde erheben sich wie-
der schöne Gebirge, darunter ein ziemlich freistehender,
hoher, etwas kahler Berg. Auf diesen wies mein Füh-
rer und bedeutete mir, daß dahin unser Weg führe, um
die Puris, die hinter jenen Bergen wohnten, aufzusuchen.
Ich kam gegen Mittag und fand in Aldea do Pedro
ein Dörfchen mit einer gemauerten Kirche, die über 200
Menschen faffen mochte. Ich war Willens gewesen, noch
denselben Tag meine Wanderung zu den Puris fortzusetzen;
allein mein Führer hatte Schmerzen am Knie bekommen
und konnte nicht weiter reiten. Es blieb mir nichts übrig,
als bei dem Geistlichen abzusteigen, der mich auch gerne
95
aufnahm. Er hatte eine ziemlich gute Wohnung, die mit
der Kirche unmittelbar in Verbindung fand.
10. Oktober. Da sich das Uebel meines Füh-
rers verschlimmert hatte, bot mir der Geistliche feinen
Neger an dessen Stelle an. Ich nahm diesen Antrag
dankbar an, konnte aber dennoch vor 1 Uhr nicht fort-
kommen. Einerseits that mir dieß nicht leid, da gerade
Sonntag war und ich eine Menge Landleute zur Meffe
herbeiströmen zu sehen hoffte. Dem war aber nicht so.
Obwohl der Tag wunderschön war, kamen kaum 30 Men-
fchen in die Kirche. Die Männer waren ganz nach Euro-
päischer Art gekleidet; die Weiber trugen lange Mäntel
mit Krägen und hatten um den Kopf weiße Tücher ge-
schlagen, von welchen ein Theil auch das Gesicht bedeckte,
das sie jedoch in der Kirche entblößten. Beide Geschlech-
ter gingen barfuß.
Der Zufall fügte es, daß ich einem Begräbnisse und
einer Taufe beiwohnte. Schon vor Anfang der Meffe
kam ein Boot über den Parahyby gefahren, und am Ufer
angelangt, hob man eine Hängematte heraus, in welcher
sich der Verstorbene befand. Man legte ihn in einen
offenen Sarg, der in einem Hause nächst dem Friedhofe
ausgestellt wurde. Der Leichnam war mit einem weißen
Tuche überdeckt, doch sahen die Füße und der halbe Kopf
heraus. Letzterer steckte in einer spitzen Kappe von glän-
zend schwarzem Zeuge. -
Vor der Todtenfeier fand noch die Taufe statt. Der
Täufling, ein 15jähriger Negerjunge, stand mit feiner
Mutter an der Pforte der Kirche. Als der Priester in
die Kirche ging, um die Messe zu lesen, stempelte er ihn
96
im Vorübergehen zum Christen, ohne viele Ceremonien
und Erbauung, ja ohne Zeugen. Der gute Junge schien
auch von der ganzen Handlung so wenig ergriffen wie
ein neugeborenes Kind; ich glaube kaum, daß er, fammt
feiner Mutter, einen Begriff von der Wichtigkeit dieser
Handlung hatte. -
Der Priester las hierauf im Fluge die Meffe und
fegnete dann den Todten ein, der, nebenbei gesagt, einer
etwas wohlhabenden Familie angehörte und daher eine
ordentliche Bestattung bekam. – Aber, o Unglück! Als
man den Todten in ein kaltes Ruhebett legen wollte,
fand man es zu kurz und zu schmal. Der Arme wurde
nun fammt seinem Sarge hin und her gestoßen, so daß ich
jeden Augenblick erwartete, ihn aus selbem herauskollern
zu sehen. Das half aber Alles nichts: nach vielen nutz-
losen Anstrengungen blieb den Leuten doch nichts ande-
res übrig, als den Sarg bei Seite zu stellen und das
Grab größer zu machen, was sie unter beständigem Schim-
pfen und Schmollen thaten.
Diese erschöpfenden Handlungen waren endlich alle
vorüber. Ich kehrte nach Hause zurück, nahm in Gefell-
fchaft des Priesters ein gutes Gabelfrühstück und machte
mich dann mit meinem schwarzen Begleiter auf die Reise.
Wir ritten lange in einem großen Thale zwischen
herrlichen Waldungen und mußten zwei Ströme, den Para-
hyby und den Pomba, in ausgehöhlten Baumstämmen
übersetzen. Für jede dieser erbärmlichen Ueberfahrten mußte
1 Milreis bezahlt werden, und dabei war noch große
Gefahr, nicht sowohl des Stromes und des kleinen Fahr-
zeuges halber, als wegen der Thiere, die an der Halfter
97
gehalten, neben dem Kahne schwimmen mußten und dem-
selben häufig so nahe kamen, daß ich jeden Augenblick
besorgte, er würde umgestürzt werden.
Nachdem wir an 3 Leguas zurückgelegt hatten, er-
reichten wir die letzte Niederlaffung der Weißen*). Auf
einem freien Platze, der mit Mühe dem Urwald abgerun-
gen war, stand ein ziemlich großes, hölzernes Haus, um-
geben von einigen elenden Hütten; das Haus diente den
Weißen, die Hütten ihren Sclaven zum Aufenthalte. Ein
Brief, den ich vom Pfarrer mitbrachte, verschaffte mir
gute Aufnahme.
Die Wirthschaft in dieser Ansiedlung war der Art,
daß ich schon hier wähnte, mich unter Wilden zu be-
finden.
Das große Haus enthielt eine Vorhalle, von wel-
cher man in vier Zimmer gelangte, deren jedes von einer
weißen Familie bewohnt war. Die ganze Einrichtung die-
fer Zimmer bestand aus einigen Hängmatten und Stroh-
decken. Die Inwohner kauerten auf dem Boden und spiel-
ten mit den Kindern oder halfen sich gegenseitig vom Un-
geziefer befreien. Die Küche stieß unmittelbar an das Haus
und glich einer sehr großen, durchlöcherten Scheuer; auf
einem Herde, der beinahe die Länge der Scheuer einnahm,
brannten viele Feuer; darüber hingen kleine Keffel und
an den Seiten waren hölzerne Spieße befestiget, an wel-
chen einige Stücke Fleisch theils vom Feuer, theils vom
*) Unter den „Weißen“ versteht man nicht nur neu ein-
gewanderte Europäer, sondern auch die seit Jahrhunderten
angesiedelten Portugiesen.
Pfeiffers Reise, I Th. 7
98
Rauche gar gemacht wurden. Die Küche war voll Men-
fchen; da gab es Weiße, Puris und Neger, Kinder
von Weißen und Puris oder von Puris und Negern,–
kurz eine wahre Musterkarte von den verschiedensten Ver-
zweigungen dieser drei Hauptracen.
Im Hofe wimmelte es von Hühnern, schön gefärbten
Enten und Gänsen; auch fah ich ungeheuer gemästete
Schweine und fürchterlich häßliche Hunde. Unter einigen
Cocospalmen und Tamarinden-Bäumen, die mit herrli-
chen Früchten überladen waren, faßen Weiße und Far-
bige, einzeln oder in Gruppen, größtentheils damit be-
schäftiget, ihren Hunger zu stillen. Die einen hatten zer-
brochene Töpfe oder Kürbisschalen vor sich, worin sie mit
den Händen gekochte Bohnen und Maniokmehl vermeng-
ten, welch dicke, unappetitlich aussehende Maffe sie mit
großer Begierde verspeisten. Andere verzehrten Stücke
Fleisch, die sie ebenfalls mit den Händen auseinander
riffen und abwechselnd mit einer handvoll Maniokmehl
in den Mund warfen. Auch die Kinder hatten ihre Scha-
len vor sich, deren Inhalt sie jedoch tapfer vertheidigen
mußten, denn bald pickte ein Huhn etwas heraus, bald er-
haschte ein Hund einen Biffen, oder es kam wohl gar ein
Ferkelchen heran gewackelt, das dann immer ganz fröhlich
grunzte, wenn es den Gang nicht vergebens gemacht
hatte.
Während ich noch meine Beobachtungen verfolgte,
erhob sich plötzlich außer dem Hofe ein lustiges Geschrei;
ich ging dahin und sah zwei Jungen eine große, gewiß
über 7 Fuß lange schwarzbraune Schlange an einer Baf-
schnur einherschleppen. Sie war bereits todt; so viel ich
99 -
aus den Erklärungen der Leute entnehmen konnte, ist ihr
Biß so gefährlich, daß man nach ihm sogleich ganz auf-
schwillt und stirbt.
Diese Beschreibung flößte mir denn doch etwas Angst
ein; ich wollte wenigstens nicht bei anbrechender Dunkel-
heit durch die Wälder ziehen, wobei ich vielleicht unter irgend
einem Baume ein Nachtlager hätte aufschlagen müffen, und
verschob daher meinen Besuch bei den Wilden auf den
nächsten Morgen. Die guten Leute meinten, ich fürchte
mich vor den Wilden und versicherten mir beständig, daß
es harmlose Menschen seien, von denen ich durchaus nichts zu
besorgen hätte. Da sich meine ganze Kenntniß der portu-
giesischen Sprache nur auf wenige Worte beschränkte, wurde
es mir ein Bischen schwer, mich ihnen verständlich zu ma-
chen, und nur mit Hilfe von Gesticulationen und mitunter
auch durch Zeichnungen gelang es mir, ihnen den eigent-
lichen Grund meiner Furcht zu erklären.
Ich blieb also über Nacht bei diesen Halbwilden,
die mir fortwährend die größte Achtung erwiesen und mich
mit Aufmerksamkeiten überhäuften. Eine Strohmatte, nach
meinem Wunsche unter einem Dache im Hofe ausgebrei-
tet, war mein Lager. Zum Abendimbiffe brachte man mir
ein gebratenes Huhn, Reis, hartgekochte Eier und zum
Nachtische Orangen und Tamarinden-Schoten, welch letz-
tere ein braunes, äußerst schmackhaftes, süß-säuerliches
Fleisch enthalten. Die Weiber lagerten sich um mich und
ich verständigte mich nach und nach mit ihnen zum Ver-
wundern gut.
Ich wies ihnen die verschiedenen Blumen und In-
fecten, die ich während des Tages gesammelt hatte. Sie
100
mochten mich deshalb für eine gar gelehrte Person halten
und maßen mir als solcher auch medizinische Kenntniffe bei.
Sie erbaten sich meinen Rath für verschiedene Krankheits-
fälle – da gab es Ohrenstechen, Hautausschläge und bei
den Kindern bedeutende Scrophelanlagen u. f.w. Ich ver-
ordnete lauwarme Bäder, Waschungen, Oel- und Sei-
fen-Einreibungen – und wollte Gott, daß das alles wirk-
lich geholfen hat.
Am 11. Oktober ging ich, in Begleitung einer Ne-
gerin und eines Puri, in die Wälder, um die Indianer
aufzusuchen. Wir arbeiteten uns theilweise mit vieler
Mühe durch das Dickicht und fanden auch wieder schmale
Steige, auf welchen sich die Wanderung etwas leichter
fortsetzen ließ. Nach ungefähr 8 Stunden stießen wir auf
einige Puris, die uns zu ihren nahen Hütten führten.
Hier traf ich die größte Dürftigkeit, das größte
Elend! – Ich hatte auf meinen Reisen schon manche
Bilder der Armuth gesehen, doch nirgends in solcher
Weise.
Auf einem kleinen Raume unter hohen Bäumen
waren fünf Hütten oder eigentlich Laubdächer (bei 18
Fuß lang und 12 Fuß breit), aufgeschlagen. Vier Stan-
gen in die Erde gesteckt, daran eine Querstange, bildeten
das Gerippe,– große Palmblätter, zwischen welchen der
Regen ganz bequem eindringen konnte, das Dach. Auf
drei Seiten war die Laube ganz offen. Im Innern hin-
gen ein Paar Hängematten und auf der Erde glomm et-
was Feuer und Asche, in welcher einige Wurzeln, Mais-
kolben und Bananeu geröstet wurden. In einem Winkel-
chen unter dem Dache war ein kleiner Vorrath dieser Le-
101
bensmittel aufgespeichert und einige Kürbisschalen la-
gen herum, die den Wilden statt der Schüffeln, Töpfe,
Wafferkrüge u. fw.dienen. Die langen Bogen und Pfeile,
ihre einzige Waffe, lehnten im Hintergrunde an der Wand.
Ich fand die Indianer noch häßlicher als die Ne-
ger; – ihre Hautfarbe ist lichtbronce, ihre Statur gedrun-
gen und von mittlerer Größe. Sie haben breite, etwas
zusammengeschobene Gesichter und kohlschwarzes, straff
herabhängendes, dichtes Haar, welches die Weiber zum
Theil in Flechten tragen, die sie am Hinterkopfe befestigen,
zum Theil ungeflochten herabhängen lassen. Die Stirn
ist breit und nieder, die Nase etwas gequetscht, die Au-
gen klein geschlitzt, beinahe nach Art der Chinesen, der
Mund sehr groß mit etwas dicken Lippen. Um all diese
Schönheiten noch mehr hervorzuheben, ist über das ganze
Gesicht ein eigner Zug von Dummheit gelagert, der sich
besonders durch den beständig offen stehenden Mund aus-
drückt.
Die meisten, sowohl Männer als Weiber, waren
mit röthlicher oder blauer Farbe tätowiert, jedoch nur um
den Mund in Form eines Schnurbartes. Beide Geschlech-
ter rauchen leidenschaftlich Tabak und lieben den Brannt-
wein über alles. Ihre Bekleidung bestand aus einigen
Lumpen, die sie um die Lenden geschlagen hatten.
Ich hatte schon über die Puris in Novo Friburgo
einige nicht uninteressante Notizen erhalten, die ich daher
folgendermaßen mittheile.
Die Zahl der noch übrig gebliebenen Indianer
von Brasilien soll sich nur mehr gegen 500.000 be-
laufen, die tief in das Land hinein zerstreut in den Wäl-
102
dern leben. Nie laffen sich mehr als 6–7 Familien an
einem und demselben Orte nieder, und jeden Ort verlaffen
sie wieder, sobald sie das Wild umher getödtet, die Früchte
und Wurzeln aufgezehrt haben. Viele dieser Indianer
haben die Taufe erhalten. Für etwas Branntwein und
Tabak sind sie augenblicklich bereit, diese Feierlichkeit an
sich ergehen zu laffen, und bedauern nur, daß sie nicht
öfter wiederholt werden kann, um so mehr, da die Cere-
monie schnell abgethan ist. Der Priester glaubt durch diese
heilige Handlung allein schon dem Himmel eine Seele ge-
wonnen zu haben und kümmert sich ferner weder um
Unterricht noch um Sitten und Gebräuche seiner Täuf-
linge. Sie heißen zwar nun Christen oder gezähmte
Wilde, leben aber wie früher nach heidnischer Art.
So schließen sie z. B. Ehen auf unbestimmte Zeit, erwäh-
len sich Kaziken (Häuptlinge), die sie aus den größten und
stärksten Männern nehmen und üben alle ihre Gebräuche
bei Schließung der Ehen, Todesfällen u. f. w. vor wie
nach der Taufe aus.
Ihre Sprache ist höchst arm. So sollen sie z. B.
nur 1 und 2 zählen können und müffen daher diese bei-
den Zahlen immer wiederholen, wenn sie eine größere
Zahl ausdrücken wollen. Ferner haben sie für heute,
morgen und gestern nur das Wort Tag; die nähere
Bedeutung drücken sie durch Zeichen aus. Für heute fa-
gen sie Tag und fühlen sich dabei auf den Kopf oder deuten
gerade in die Höhe, – für morgen, ebenfalls Tag,
wobei sie mit dem Finger nach vorwärts zeigen, und für
gestern wieder Tag, wobei sie hinter sich deuten.
Die Puris sollen ganz vorzüglich zum Aufspüren
103
entflohener Neger zu gebrauchen sein, da ihre Geruchs-
organe besonders ausgebildet sind. Sie riechen die Spur
des Entflohenen an den Blättern der Bäume, und gelingt
es dem Neger nicht, einen Strom zu erreichen, in welchem
er eine große Strecke gehen oder schwimmen kann, so soll
er dem ihm nachspürenden Indianer nur äußerst selten
entkommen. Auch zu schweren Arbeiten, zum Holzfällen,
zu Mais- und Maniok-Anbau u.fw. hat man diese Wil-
den gern, da sie fleißig sind und mit etwas Tabak, Brannt-
wein oder farbigem Zeuge leicht abgelohnt werden. Doch
darf man sich ihrer durchaus nicht mit Gewalt bemächti-
gen – sie sind freie Menschen. Sie kommen gewöhnlich
nur zur Arbeit, wenn sie schon halb verhungert sind. –
Ich besuchte alle Hütten dieser Wilden, und da
meine Begleiter mich als eine Frau von gar vielen Kennt-
niffen ausposaunten, so wurde ich auch hier von allen Kran-
ken zu Rathe gezogen.
In einer der Hütten fand ich ein altes Weib ächzend
in einer Hängematte liegen. Als ich näher trat, deckte man
die Arme auf und ich sah die ganze Brust vom Krebse zer-
freffen. Die Unglückliche schien keinen Verband, kein lin-
derndes Mittel zu kennen. Ich rieth ihr, die Wunde häufig mit
abgekochtem Malva*)-Thee zu reinigen und überdies abge-
kochte Malvablätter darüber zu schlagen. – Möchte dieser
Rath nur einigermaßen Erleichterung verschafft haben.
Dieses schreckliche Uebel scheint bei den Puris leider
nicht selten zu sein, denn ich sah noch mehrere unter den
Weibern, die theils starke Erhärtungen, theils schon kleine
Geschwüre an den Brüsten hatten.
*) Diese heilsame Pflanze wächst sehr häufig in Brasilien.
104
– Nachdem ich in den Hütten alles genugfam betrach-
tet, ging ich mit einigen der Wilden auf eine Papageien-
und Affenjagd. Wir durften nicht weit suchen, um beides
zu finden, und ich hatte nun Gelegenheit, die Geschicklich-
keit zu bewundern, mit welcher diese Leute ihre Bogen
handhabten. Sie schoffen die Vögel auch im Flug und
verfehlten selten ihr Ziel. Nachdem wir drei Papageien
und einen Affen erlegt hatten, kehrten wir zu den Hütten
zurück.
Die guten Menschen boten mir die beste ihrer Hütten
zum Obdache und luden mich ein, die Nacht bei ihnen
zuzubringen. Ich nahm ihr Anerbieten gerne an, da ich
von der angestrengten Fußreise, von der Hitze und von
der Jagd etwas ermüdet war; auch neigte sich der Tag
seinem Ende zu und ich würde heute nicht mehr bis zur
Ansiedlung der Weißen gekommen sein. Ich breitete also
meinen Mantel auf der Erde aus, richtete ein Stück Holz
statt eines Kiffens zurecht und setzte mich vorläufig auf
mein herrliches Lager. Meine Wirthe bereiteten den Affen
und die Papageien, indem sie dieselben auf hölzerne Spieße
steckten und am Feuer rösteten. Um das Mahl recht lecker zu
machen, gaben sie auch noch einige Maiskolben und Knol-
lengewächse in die Asche. Sie brachten dann große
frische Baumblätter herbei, riffen den gebratenen Affen
mit den Händen in mehrere Theile, legten eine tüchtige
Portion davon auf die Blätter, so wie auch einen Papa-
gei, Mais und Knollengewächse und stellten es vor mich
hin. – Mein Appetit war grenzenlos, da ich seit Mor-
gens nichts genoffen hatte; ich fing also gleich mit dem
Affenbraten an, den ich überaus köstlich fand; – bei
105
weitem nicht so zart und schmackhaft war das Fleisch des
Papageies.
Nach Beendigung der Tafel bat ich die Indianer, mir
einen ihrer Tänze aufzuführen und sie willfahrten gerne mei-
nem Begehren. – Da es schon dunkel war, so brachten
fie viel Holz herbei, errichteten eine Art Scheiterhaufen
und zündeten ihn an; die Männer schloffen einen Kreis
herum und begannen den Tanz. Sie warfen ihre Körper
mit merkwürdiger Plumpheit von einer Seite zur andern
und bewegten dabei den Kopf nach vorwärts; hierauftra-
ten auch die Weiber hinzu, blieben jedoch etwas hinter
dem Männerkreise zurück und machten dieselben plumpen
Bewegungen. Die Männer stimmten noch überdieß ein
höllisches Geplärr an, das einen Gesang vorstellen sollte,
und alle verzerrten dazu die Gesichter ganz abscheulich.
Einer der Wilden stand daneben und spielte auf einer
Art von Saiten-Instrument. Es war aus dem Rohre
einer Kohlpalme gemacht und ungefähr 2 bis 2%, Fuß
lang; ein Loch hatte man über quer geschnitten,
6 Fasern des Rohres aufgehoben und an beiden Enden
durch einen kleinen Sattel in der Höhe erhalten. Es
wurde darauf wie auf einer Guitarre mit den Fingern
gespielt, die Töne klangen sehr leise, widrig und heiser.
Diese erste Aufführung nannten sie einen Friedens-
oder Freudentanz. Einen viel wilderen führten die Män-
ner allein auf. Nachdem sie sich hierzu mit Bogen, Pfei-
len und tüchtigen Knitteln bewaffnet, schloffen sie eben-
falls wieder einen Kreis, nur waren ihre Bewegungen
viel lebhafter und wilder als beim ersten Tanze; auch
schlugen sie dabei mit den Knitteln schauderhaft um sich
- -
-
TIO6
herum. Dann stoben sie plötzlich auseinander, spannten
die Bogen, legten die Pfeile auf und machten die Panto-
mine, als schöffen sie dem fliehenden Feinde nach; dabei
stießen sie fürchterlich durchdringende Töne aus, die im
ganzen Walde wiederhallten; ich fuhr erschrocken empor
denn ich glaubte wirklich von Feinden umzingelt, und
ohne die geringste Hilfe und Stütze in ihre Gewalt ge-
rathen zu sein; – ich war herzlich froh, daß dieser gräß-
liche Siegestanz bald ein Ende hatte.
Als ich mich dann zur Ruhe begab und nach und
nach alles stille um mich ward, befiel mich eine Angst
anderer Art; ich dachte der vielen wilden Thiere, der
schrecklichen Schlangen, die vielleicht ganz nahe um uns
haufen möchten und des offnen, schutzlosen Obdaches,
unter welchem ich die Nacht zubringen mußte. Lange hielt
mich diese Furcht wach und oft vermeinte ich, die Blätter
rauschen zu hören, wie wenn sich eines der gefürchteten
Thiere Bahn bräche. Endlich aber forderte der ermüdete
Körper dennoch seine Rechte, ich stützte den Kopf auf
den hölzernen Block und tröstete mich mit dem Gedanken,
daß es mit der Gefahr doch nicht so arg beschaffen sein
möge, als uns manche Reisende glauben machen wollen;
– wie wäre es denn sonst möglich, daß die Wilden so
unbekümmert und so ganz ohne Vorkehrungen in ihren
offnen Hütten wohnten.
Am 12. Oktober. Morgens nahm ich Abschied
von den Wilden und beschenkte sie mit verschiedenem
Bronce-Schmuck, über welchen sie so entzückt waren, daß
sie mir alles anboten, was sie besaßen. Ich nahm einen
107
Bogen und zwei Pfeile zum Andenken an diesen Besuch
mit mir, kehrte dann zu dem hölzernen Hause zurück,
und nachdem ich auch da ähnliche Geschenke ausgetheilt
hatte, bestieg ich mein Maulthier und traf noch spät
Abends zu Aldea do Pedro ein.
Am 13. Oktober Morgens sagte ich dem gefälli-
gen Geistlichen Lebewohl und trat mit meinem bereits ge-
nesenen Diener die Rückreise nach Novo Friburgo an, die
ich auf demselben Wege, statt wie früher in vier, nun
in drei Tagen machte. Ich fand noch den Grafen
Berchtold, der sich nun recht wohl befand. Wir be-
schloffen daher, vor der Rückkehr nach Rio de Janeiro noch
einen Ausflug zu einem schönen Wafferfalle zu machen,
der ungefähr 3 Leguas von Novo Friburgo entfernt ist.
Zufällig erfuhren wir aber, daß die Taufe der Prinzessin
Isabella am 19. Oktober statt haben sollte. Da wir die-
fes intereffante Fest nicht versäumen wollten, zogen wir
es vor, unsere Rückreise gleich anzutreten. Wir nahmen
denselben Weg, den wir auf der Herreise gemacht hatten,
bis ungefähr eine Legua vor Ponte de Pinheiro; – hier
schlugen wir einen andern Weg ein, und zwar nach Porto
de Praja. Diese Tour war zu Lande um 8 Leguas län-
ger, dagegen aber zur See um so kürzer, da man von
Porto de Praja nach Rio de Janeiro mit dem Dampf-
schiffe in einer halben Stunde fährt.
Die Gegend von Pinheiro an war größtentheils
traurig und langweilig, eine förmliche Wüste, deren Ein-
förmigkeit nur selten durch ärmliche Waldungen oder
niedere Hügel unterbrochen wurde. Des Anblickes der
TIO8
hohen Gebirge erfreuten wir uns erst wieder, als wir der
Hauptstadt näher kamen.
Noch muß ich eines komischen Irrthums des Herrn
Beske aus Novo Friburgo erwähnen, den wir Anfangs
nicht begreifen konnten und der uns dann viel Stoff zum
Lachen gab. Herr Beske hatte uns einen Führer empfohlen,
den er uns als ein wahres Auskunfts-Comptoir beschrieb;
jede unserer Fragen nach Bäumen, Pflanzen, Gegen-
den u. f. w. sollte er auf das vollkommenste beantworten
können. Wir schätzten uns glücklich, solch einen Phönix
unter den Führern zu haben und benützten auch gleich jede
Gelegenheit, ihn auf die Probe zu stellen. Er wußte uns
aber über nichts Bescheid zu geben; frugen wir ihm um
den Namen eines Fluffes, so meinte er, dieser sei zu klein,
er habe gar keinen Namen; die Bäume waren ihm zu
unbedeutend, die Pflanzen zu gemein. – Diese Unwiffen-
heit war doch gar zu arg; wir forschten nach, und da kam
es heraus, daß Herr Beske nicht unsern Führer, sondern
deffen Bruder gemeint hatte, der aber leider schon vor
sechs Monaten gestorben war, welche Begebenheit. Herr
Beske vergeffen haben mußte.
Am 18. Oktober Abends kamen wir glücklich in Rio
de Janeiro an. Wir erkundigten uns gleich nach der
Taufe und erfuhren, daß sie auf den 15. November ver-
schoben sei, und daß am 19. Oktober nur das Namens-
fest des Kaisers gefeiert werde. Wir hatten daher umsonst
unsere Rückreise so übereilt und hätten den schönen Waf-
erfall bei Novo Friburgo mit großer Muße betrachten
können.
T109)
Die Entfernungen dieses Ausfluges betrugen:
Von Rio de Janeiro nach Sampajo . . 8 Leguas.
Von Sampajo nach Novo Friburgo . . 20 „
Von Novo Friburgo zu den Indianern 25 ,
53 Leguas.
Zurück machten wir nur 2 Leguas Umwege.
Abreise von Rio de Janeiro. Santos und St.
Paulo. Umschiffung des Cap Horn. Ankunft
in Valparaiso.
8. Dezember 1846 bis 2. März 1847.
Als ich den Platz auf der schönen englischen Barke
„John Renwick, Kapitän Bell, zu 25 Pfund Sterling
erhandelte, versprach mir letzterer spätestens am 25. No-
. vember zur Abfahrt bereit zu sein und in keinem Zwi-
fchenhafen einzulaufen, sondern direkt nach Valparaiso zu
fegeln. – Ersteres glaubte ich, weil er mir versicherte,
daß ihn jeder Tag Aufenthalt sieben Pfund Sterling koste,
– letzteres, weil ich überhaupt gerne allen Menschen
glaube, und sollten es selbst Schiffkapitäne fein – In
beiden Punkten ward ich getäuscht, denn erst am 8. De-
zember bekam ich die Weisung, mich des Abends an Bord
zu begeben, und da erst eröffnete mir der Kapitän, daß
er in Santos einlaufen müffe, um sich mit Lebensmitteln
zu versorgen, die dort bedeutend billiger zu bekommen
wären als in Rio de Janeiro. Daß er bei dieser Gele-
genheit auch eine Ladung Steinkohlen ausschiffen und eine
Ladung Zucker einnehmen würde, verschwieg er bis zur
T 1
Ankunft in Santos selbst, – er versicherte zwar, mit all
diesen Geschäften in 3 – 4 Tagen fertig zu werden.
Ich nahm Abschied von meinen Freunden und begab
mich Abends an Bord, wohin mich Graf Berchthold und
die Herren Geiger und Ritter begleiteten.
Am 9. Dezember früh Morgens wurden die
Anker gelichtet; doch war der Wind so ungünstig, daß
wir den ganzen Tag lavieren mußten, um die hohe See zu
erreichen; – erst am 10. gegen Mittag verloren wir das
Land aus dem Gesichte.
Außer mir waren noch 8 Reisende auf dem Schiffe, 5
Franzosen, l Belgier und 2 Mailänder. Letztere konnte ich
als halbe Landsleute betrachten, und wir schloffen uns auch
bald einander an.
Die beiden Italiener machten die Reise um das
Kap Horn in diesem Jahre nun schon zum zweiten Male.
Ihre erste Reise war nicht glücklich gewesen; sie erreichten
das Kap Horn in der Winterzeit, die in dieser südlich
kalten Gegend von April bis gegen November währt *).
Stewaren nicht im Stande das Kap zu umsegeln; heftige Ge-
genwinde und Stürme warfen sie zurück und vierzehn ewig
lange Tage kämpften sie dagegen, ohne von der Stelle zu
kommen. Da verlor die Schiffsmannschaft den Muth und
äußerte, es wäre beffer zurückzukehren und günstigere
Winde abzuwarten. Allein der Kapitän theilte diese
Meinung nicht und wußte den Ehrgeiz seiner Leute der Art
*) Auf der südlichen Hemisphäre stehen die Jahreszeiten zur
nördlichen gerade im entgegengesetzten Falle; wenn also
auf der einen Seite des Aequators Winter ist, so ist auf
der andern Sommer u. f. w. -
112
anzufachen, daß sie nochmals den Kampf mit den Elemen-
ten versuchten. – Es war der letzte. Noch dieselbe
Nacht ging eine fürchterliche Woge über das Schiff, zer-
trümmerte den ganzen Obertheil desselben und riß den
Kapitän und sechs Matrosen mit sich in die Tiefe des
Meeres. Das Waffer drang fromweise in die Kajüten
und jagte alle aus den Betten. Der große Maft mußte
gekappt werden, die Brüstung des Schiffes, die Böte, der
Steuerkasten, alles war vom Waffer hinweggeschwemmt.
Die Steuerleute lenkten das Schiff zurück und nach einer
langen, gefahrvollen Reise gelang es ihnen mit ihrem
halbentmateten Schiffe den Hafen von Rio de Janeiro
zu erreichen.
Diese Erzählung stellte uns zwar kein gutes Progno-
stikon, – doch die schöne Jahreszeit und unser gutes
Schiff benahmen uns jede Furcht. Mit letzterem hatten
wir es in jeder Hinsicht herrlich getroffen; – es besaß
bequeme, große Cabinen, einen äußerst gutmüthigen und
gefälligen Kapitän und eine Kost, die selbst jeden Fein-
schmecker hätte befriedigen müffen. Täglich gab es gebratene
oder gedämpfte Hühner, Enten oder Gänse, frisches Schöp-
fen - und Schweinefleisch, Eierspeisen, Plumppuddings
und Pasteten; dazu Nebenschüffeln mit Schinken, Reis,
Kartoffeln und Gemüse und zum Nachtische getrocknete
Früchte, Nüffe, Mandeln, Käse u. f. w. Auch fehlte es
keinen Tag an frisch gebackenem Brode und gutem Weine.
Wir alle bekannten einig, noch auf keinem Segelschiffe so
vortrefflich behandelt und bewirthet worden zu sein, und
so konnten wir auch in dieser Hinsicht mit frohem Muthe
unserer Reise entgegen sehen.
TITIZ
Bereits am 12. Dezember sahen wir die Gebirge
von Santos, und um 9 Uhr Nachts gelangten wir an eine
Bucht, die der Kapitän für jene von Santos hielt. Wie-
derholt angezündete Fackellichter, weit über Bord hinaus
gehalten, riefen den Looten an unser Schiff; es erschien
aber keiner, und wir waren gezwungen, am Eingange der
Bai auf gut Glück die Anker auszuwerfen.
Am 13. Dezember Morgens kam ein Lootse an
Bord und überraschte uns mit der Erklärung, daß wir in
einer unrechten Bucht vor Anker lägen. Mit Mühe
arbeiteten wir uns wieder heraus, und erst gegen Mittag
kamen wir in die rechte Bucht. Ein nettes Schlößchen
fiel uns da gleich in die Augen. Wir hielten es für ein
Vorgebäude der Stadt und waren sehr erfreut, unser vor-
läufiges Ziel so schnell erreicht zu haben. Als wir jedoch
näher kamen, sahen wir noch immer keine Stadt und er-
fuhren nun, daß das Schlößchen eine kleine Festung sei,
und daß Santos an einer zweiten Bucht liege, die mit
dieser durch einen schmalen Arm des Meeres verbunden
sei. Leider hatte sich der Wind gelegt, wir mußten den
ganzen Tag vor Anker liegen bleiben, und erst am 14. De-
zember gegen Mittag erhob sich eine leichte Brise und
blies uns in den Hafen der Stadt.
Santos liegt überaus reizend an dem Eingange eines
großen Thales. Artige Hügel, mit Kapellen und einzelnen
Häuschen geziert, erheben sich auf beiden Seiten, und
bedeutende Gebirge, die einen weiten Halbkreis um das
Thal ziehen, schließen sich an diese an, während eine
liebliche Insel einen schönen Vordergrund bildet.
Kaum angelandet, machte uns der Kapitän bekannt,
Pfeiffers Reise, 1. Th. 8
_114
daß wir wenigstens 5 Tage verweilen würden. Die bei-
den Mailänder, einer der Franzosen und ich beschloffen
diese Zeit zu einem Ausfluge nach St. Paulo zu benützen,
um diese größte Binnenstadt *) Brasiliens zu sehen, die zehn
Leguas von Santos entfernt liegt. Wir mietheten noch den-
selben Abend Maulthiere (das Thier zu 5 Milreis) und
traten unsere Reise an.
15. Dezember früh Morgens. Wir bewaffneten
uns mit scharf geladenen Doppelpistolen, denn man machte
uns sehr viel Angst vor den Marron-Negern *), deren
sich gegenwärtig bei hundert in den Gebirgen aufhalten
sollten, und deren Verwegenheit so groß sei, daß sie ihre
Streifzüge sogar bis in die Nähe von Santos ausdehnten.
Die beiden ersten Leguas führten durch das Tha
dem hohen Gebirge zu, das wir zu übersteigen hatten.
Die Straße war sehr gut und so belebt, wie ich noch
keine in Brasilien gesehen hatte. Ueber die Flüffe Vicente
und Cubatao führen hübsche hölzerne Brücken, von denen
die eine sogar gedeckt ist, – dafür mußte aber auch ein
artiges Brückengeld bezahlt werden.
In einer der Venden am Fuße der Gebirge stärkten
wir uns an einem guten Eierkuchen, versorgten uns mit
*) Binnenstadt nennt man eine Stadt, die im Innern eines
Landes, entfernt von der See liegt.
*) Unter Marron-Neger versteht man jene, die ihren Herren
entlaufen find. Sie gesellen sich gewöhnlich in grö-
ßeren Haufen zusammen und ziehen sich in die Urwälder
zurück, wagen sich aber auch häufig hervor, um zu
fehlen und zu rauben, wobei es nicht immer ohne Mord
abgeht.
115
Zuckerrohr, defen Saft in der großen Hitze eine wahre
Erquickung beut, und dann ging es an die Ersteigung
der 3400 Fuß hohen Serra. Der Weg da hinauf war
schrecklich, – steil, voll Löcher, Gräben und Kothlacken,
in welche unsere armen Thiere oft bis über die Knie
versanken. Wir mußten an Abgründen und Schluch-
ten vorüber, in deren Tiefe Waldbäche fürchterlich
toseten, welch letztere wir aber nie zu sehen bekamen,
da sie überall von üppigen Gesträuchen überwachen
waren. Auch durch Urwaldungen ging unser Weg; doch
waren sie bei weiten nicht so schön und dicht, wie ich deren
auf meiner Reise zu den Puris durchzogen hatte.
Palmen fehlten beinahe ganz, und die wenigen, die wir
fahen, erinnerten vermöge des dünnen Stammes und der
magern Blätterkrone, an die kältere Region.
Die Aussicht von der Serra war überraschend: das
ganze Thal mit seinen Wäldern und Auen lag weithin
bis zu den Buchten des Meeres vor uns ausgebreitet, die
einzelnen kleinen Hütten entschwanden unseren Augen und
nur ein Theil der Stadt und einige Masten von Schiffen
tauchten in weiter Ferne auf
. Bald entzog uns eine Wendung des Weges dies
reizende Bild, wir verließen die Serra und betraten ein
waldiges Hügelland, das theilweise mit ausgedehnten
Grasplätzen wechselte, die mit niedrigem Gestrippe und
zahllosen, zwei Fuß hohen Maulwurfshaufen bedeckt waren.
Auf der Hälfte des Weges von Santos nach St.
Paulo liegt der Ort Rio Grande, defen Häuser nach
brasilianischer Art so weit von einander liegen, daß man
fie gar nicht für zusammengehörend hält. Hier wohnt der
116
Eigenthümer der Maulthiere, deren man sich zu dieser
Reise bedient und hier wird auch die Bezahlung entrich-
tet. Die Maulthiere werden, will man die Reise augen-
blicklich fortsetzen, gegen frische gewechselt; zieht man es
aber vor, über Mittag oder über Nacht zu bleiben, so
bekömmt man sehr gutes Effen und reinliche Zimmer und
hat dafür nichts zu bezahlen, da es in dem Preise der 5
Milreis bereits mitgerechnet ist.
Wir ließen uns nur schnell einige Gerichte geben
und eilten weiter, um noch vor Sonnenuntergang die zweite
Hälfte des Weges zurückzulegen. Je näher man der Stadt
kommt, desto ausgebreiteter wird die Ebene. Die
Schönheit der Gegend nimmt sehr ab, und hier fah ich
zum erstenmal, seit ich Europa verlaffen, Sandfelder und
Sandhügel. Die Stadt selbst, auf einem Hügel liegend,
nimmt sich ziemlich gut aus; sie zählt an 22,000 Ein-
wohner und ist ein bedeutender Handelsplatz für den in-
nern Verkehr des Landes. Trotzdem besitzt sie weder einen
Gasthof noch sonst einen Ort, wo Fremde Unterkunft finden
können.
Als wir uns nach einer Herberge erkundigten, be-
zeichnete man uns nach langem Fragen einen Deutschen
und einen Franzosen, mit dem Bemerken, daß beide aus
Gefälligkeit Gäste aufnehmen. Wir gingen erst zu dem
Deutschen, – der wies uns ganz kurz mit dem Bemerken
ab, daß er keinen Platz mehr habe. Von ihm wander-
ten wir zu dem Franzosen,– der schickte uns zu einem Por-
tugiesen, und als wir zu diesem kamen, erhielten wir
dieselbe Antwort wie von dem Deutschen.
Nun waren wir in der größten Verlegenheit, um so
J 17
mehr, da den Franzosen die angestrengte Reise so ange-
griffen hatte, daß er sich kaum mehr auf dem Sattel er-
halten konnte.
In dieser kritischen Lage gedachte ich meines Em-
pfehlungsbriefes, den mir Herr Geiger aus Rio de Ja-
neiro an einen hier ansäßigen Deutschen, Herrn Loskiel,
mitgegeben hatte. Ich war Willens gewesen, den Brief
erst am nächsten Tage abzugeben, doch: „Noth kennt kein
Gebot“, und so suchte ich ihn noch denselben Abend auf
Er war so gütig, sich unserer auf das wärmste an-
zunehmen. Mich und einen der Herren behielt er bei sich,
die beiden andern brachte er bei seinem Nachbar unter;
zu Tische waren wir Alle bei ihm geladen. – Wir er-
fuhren nun, daß in St. Paulo Niemand, selbst kein
Wirth einen Fremden aufnähme, der nicht einen Empfeh-
lungsbrief mitbringe – ein Glück für Reisende, daß
diese komische Sitte nicht überall herrscht.
16. Dezember. Nachdem wir vollkommen ausgeruht
von den Beschwerden des gestrigen Rittes, war unser erstes
Vornehmen, die Merkwürdigkeiten der Stadt zu besehen.
Wir fragten unsern freundschaftlichen Wirthdarnach; allein
dieser zuckte die Achseln und meinte, er wüßte von keinen,
wenn wir nicht etwa den botanischen Garten als solche
betrachten wollten.
Wir gingen also nach dem Frühstücke aus, um
vorerst die Stadt zu besehen und fanden mehr große und
niedlich gebaute Häuser, als deren im Verhältniffe zu
seiner Größe Rio de Janeiro besitzt. Von Geschmack oder
von Eigenthümlichkeit der Bauart war aber auch hier
nichts zu sehen. Die Straßen sind ziemlich breit, aber
I 18
ganz merkwürdig menschenleer, und die allgemeine Stille
wird nur durch das unausstehliche Knarren der Bauern-
karren unterbrochen. Diese Karren ruhen auf zwei Rädern,
oder, besser gesagt, auf zwei hölzernen Scheiben, die oft
nicht einmal durch einen eisernen Reifzusammengehalten
find. Die Achsen, ebenfalls von Holz, werden nicht
geschmiert, und davon rührt diese höllische Musik her.
Eine sonderbare Mode herrscht in diesem heißen
Klima in der Kleidertracht: alle Männer, die Sclaven
ausgenommen, tragen große Tuchmäntel, deren eine Hälfte
fie um die Achsel schlagen, selbst viele Frauen sah ich in
weite, lange Tuchkrägen gehüllt. -
In St. Paulo ist auch eine hohe Schule; doch tritt
für Studierende, die vom Lande oder von kleineren Städ-
ten kommen, der unangenehme Fall ein, daß sie Niemand
aufnimmt. Sie sind gezwungen, Wohnungen zu miethen,
felbe einzurichten und einen eigenen Haushalt zu führen.
Noch besuchten wir einige Kirchen, die in ihrem
Aeußeren und Inneren wenig sehenswerthes boten, und
dann zum Schluffe den botanischen Garten, welcher außer
einer Pflanzung chinesischen Thees auch nichts intereffan-
tes enthielt.
Alles dies war in einigen Stunden abgethan, und
wir hätten füglich die Reise nach Santos am folgenden
Morgen wieder antreten können. Allein der Franzose,
der uns in Folge seiner übergroßen Ermüdung auf dem
Spaziergange nicht begleitet hatte, ersuchte uns, die Heim-
kehr noch um einen halben Tag zu verzögern und es so
einzurichten, daß wir in Rio Grande über Nacht blieben.
119
Wir erwiesen ihm gern diese Gefälligkeit und mach-
ten uns am 17. Dezember des Nachmittags auf den Weg,
nachdem wir unserm gütigen Wirth auf das herzlichste für
seine gastfreie Aufnahme gedankt hatten. In Rio Grande
fanden wir ein ausgezeichnetes Abendeffen, bequeme Schlaf-
gemächer und des andern Tages ein gutes Frühstück.
Am 18. Dezember Mittags trafen wir glücklich
in Santos ein, und nun erst gestand uns der Franzose,
daß er sich von dem starken Ritte (10 Leguas) in St.
Paulo so erschöpft fühlte, daß er eine Krankheit befürch-
tete. Er erholte sich übrigens nach einigen Tagen vollkom-
men; doch versicherte er, in unserer Gesellschaft nicht so
leicht mehr eine Partie machen zu wollen.
Unsere erste Frage an den Kapitän war; „Wann
werden die Anker gelichtet?", worauf er uns sehr höflich
erwiederte, daß, sobald er 200 Tonnen Steinkohlen aus-
geladen und 6000 Säcke Zucker eingenommen habe, er
augenblicklich zur Abreise bereit sein werde. So kam es, daß
wir drei ewig lange Wochen in Santos blieben.
Der Herren einziges Vergnügen während dieser Zeit
war die Jagd, – das meinige: spazieren gehen und Insek-
ten sammeln.
Den Neujahrstag des Jahres 1847 feierten wir
noch in Santos, und endlich am 2. Jänner waren wir so
glücklich, der Stadt Lebewohl zu sagen; jedoch kamen wir nicht
weit, denn schon in der ersten Bucht verließ uns der Wind
und erhob sich erst nach Mitternacht. Da war eben Sonn-
tag, und an einem Sonntage geht kein ächter Engländer
unter Segel,– wir blieben daher den ganzen 3. Januar
vor Anker liegen und sahen mit großer Wehmuth zweien
T120
Schiffen nach, deren Kapitäne, trotz der Sonntagsfeier, die
frische Brise *) benutzten und lustig an uns vorüber
segelten.
Denselben Abend lief ein Schiff in der Bucht ein, das
unser Kapitän für ein Negerschiff erklärte. Es hielt sich
so weit als möglich von der Festung entfernt und warf
an der äußersten Spitze der Bucht die Anker aus. Da
die Nacht sehr mondhell war, gingen wir noch spät auf
dem Decke spazieren und sahen richtig kleine Böte, mit Ne-
gern beladen, an die Küste führen. Es kam zwar ein
Offizier von der Festung, um das Treiben dieses verdäch-
tigeu Schiffes zu untersuchen; der Eigner desselben schien
ihm aber genügende Erklärung gegeben zu haben, denn
er verließ das Schiff bald wieder und die Schmuggelei der
Sclaven ging ruhig und ungestört die ganze Nacht vor
sich. Als wir am
4. Januar Morgens an diesem Schiffe vorüber fe-
gelten, sahen wir noch viele der Unglücklichen auf dem
Decke stehen. Unser Kapitän fragte den Negerhändler,
wie viele Sclaven er an Bord gehabt habe, und mit Ex-
staunen vernahmen wir die Zahl von 670. – Genug ist
schon über diesen abscheulichen Handel gesprochen und ge-
schrieben worden, allgemein wird er verabscheut, als ein
Schandfleck des Menschengeschlechtes betrachtet, und den-
noch dauert er fort und fort.
Dieser Tag ließ sich überhaupt sehr traurig an.
Kaum hatten wir das Sclavenschiff aus den Augen, so
*) Brise nennt man einen leichten Wind, der vom Land
weht.
121
wäre bald an unserm Bord ein Selbstmord geschehen,
Der Stewart (Aufwärter) des Schiffes, ein junger Mu-
latte, hatte die üble Gewohnheit, den starken Getränken in
übergroßem Maße zuzusprechen. Der Kapitän drohte ihm
mehrmals mit ernstlichen Strafen; doch es half nichts, und
heute Morgens war er derart betrunken, daß ihn die Ma-
trosen in irgend einen Winkel auf dem Vordertheile des
Schiffes tragen mußten, damit er sich nüchtern schlafen
solle. Plötzlich sprang er aber auf, kletterte auf den
Vorderbug des Schiffes und stürzte sich in die See. Zum
Glück hatten wir beinahe Windstille, das Meer war voll-
kommen ruhig, und man konnte hoffen, ihn zu retten.
Er kam auch bald an der Wand des Schiffes zum Vor-
schein, und fogleich warf man ihm von allen Seiten Taue
zu. Die Liebe zum Leben erwachte und ließ ihn unwill-
kürlich nach den Tauen haschen; doch hatte er nicht Kraft
genug, sich fest daran zu halten. Er sank neuerdings, und
erst nach vielen Bemühungen gelang es den wackern Ma-
troffen, ihn dem Waffertode zu entreißen. Kaum zu sich
gekommen wollte er sich abermals in die See stürzen, in-
dem er schrie, er wolle nicht leben. Der Mensch raste
und der Kapitän war gezwungen, ihn an Händen und Fü-
ßen feffeln uud an den Mastbaum ketten zu laffen. Am
folgenden Tage wurde er seines Dienstes entsetzt und zum
Gehilfen eines neu ernannten Aufwärters degradiert.
5. Januar. Meistens Windstille. – Unser
Koch fing heute einen 3 Fuß langen Fisch, der seines Far-
benwechsels wegen merkwürdig ist. Als er aus dem Waf-
fer kam, war er goldgelb, welcher Farbe er auch seinen
Namen Dorado verdankt. Aber schon nach 1–2 Minu-
122
ten ging das glänzende Gelb in ein helles Himmelblau
über, und nach seinem Tode ward der Bauch wieder schön
hellgelb, der Rücken aber bräunlich grün. Man rechnet
ihn zu den edelsten Fischen,– ich fand jedoch sein Fleisch
etwas trocken.
- Am 9. Januar befanden wir uns auf der Höhe
des Stromes Rio Grande. Abends sahen wir einem hefti-
gen Sturm entgegen; der Kapitän ging alle Augenblicke
nach dem Barometer und ließ darnach die Anstalten tref-
fen. Bald stürmten schwarze Wolken heran und der Wind
nahm dermaßen zu, daß der Kapitän alle Lucken sorgfäl-
tig schließen und die Mannschaft zur schnellen Einreffung
der Segel bereit halten ließ. – Nach 8 Uhr brach das
Unwetter los. Blitze über Blitze durchkreuzten den Ho-
rizont nach allen Seiten und leuchteten den Matrosen zur
Arbeit, die aufgeregte See erschien im hellsten Feuerglanze,
das majestätische Rollen des Donners machte die Stimme
des Kapitäns verstummen und die weißschäumenden Wo-
gen stürzten mit so mächtiger Gewalt über das Deck,
als wollten sie alles mit sich in die Tiefe reißen. Wä-
ren nicht längs des Oberdeckes Taue gespannt gewesen,
an die sich die Matrosen anklammern konnten, so würden
letztere unfehlbar die Beute dieser Waffermaffen geworden sein.
– Es ist fürwahr eine eigene Sache um solch einen Sturm,
– man ist allein auf der unermeßlichen See, weit ent-
fernt von jeder menschlichen Hilfe, und fühlt mehr als
je, daß man nur in der Hand Gottes steht. Wer auch in
solch einem fürchterlich erhabenen Augenblicke noch an keinen
Gott glaubt, der ist wohl für immer mit geistiger Blind-
heit geschlagen. – Eine stille Heiterkeit bemächtiget sich
123
bei diesen Natur-Ergebnissen meines Gemüthes ; ich ließ
mich nicht selten in der Nähe des Steuerkastens festbinden,
die fürchterlichen Wogen über mich ergehen, um dies
Schauspiel recht in mich aufzunehmen und empfand
keine Furcht, sondern Vertrauen und Ergebung.
Nach vier Stunden hatte der Sturm ausgetobt und
es trat gänzliche Windstille ein. ------- ***
Am 10. Januar bekamen wir einige große Seeschild-
kröten und einen Wallfisch zu Gesicht. Letzterer war noch
jung und ungefähr 40 Fuß lang.
11. Januar. Wir waren nun auf der Höhe des
Rio Plato *) und fanden die Temperatur bereits ziemlich
abgekühlt.
Von Seetangen und Mollusken war uns bisher noch
nichts vorgekommen; nur heute Nacht sahen wir manchmal
in der Tiefe des Meeres Mollusken, die wie Sterne herauf
leuchteten. - -
In diesen Gegenden nun erglänzt das Sternenbild
„d es füdlichen Kreuzes immer heller und schö-
ner, doch lange nicht so wunderbar, als man es beschreibt.
Die Sterne, vier an der Zahl und ungefähr diese
Form . ". " bildend, sind zwar groß und glänzend; sie
flößten aber weder mir noch irgend jemanden aus unserer
Gesellschaft viel mehr Erhebung oder Begeisterung ein, als
die übrigen Sternbilder. Ueberhaupt pflegen viele Rei-
fende in ihren Erzählungen sehr zu übertreiben; einerseits
beschreiben sie oft Sachen, die sie selbst gar nicht gesehen
haben und nur vom Hören-Sagen kennen, andrerseits
*) Der Rio Plato ist einer der größten Ströme Brasiliens.
124
statten sie die Erscheinungen, die ihnen wirklich vorkom-
men, mit etwas gar zu viel Phantasie aus.
16. Januar. Unter dem 37. Breitengrade kamen
wir in eine heftige Strömung, die von Süd nach Nord
ging und in ihrer Mitte einen gelben Streif enthielt.
Der Kapitän meinte, daß dieser Streif von einem Zuge
kleiner Fische herrühre. Ich ließ mir in einer Tonne
Waffer herauf ziehen und fand wirklich einige Dutzend
lebender Geschöpfe darinnen, die jedoch nach meiner An-
ficht zum Mollusken-, nicht aber zum Fisch-Geschlechte ge-
hörten. Sie waren bei 9% Zoll lang und durchsichtig wie
die feinsten Wafferbläschen; vorne hatten sie weiße und
hellgelbe Punkte und am Untertheile einige Fühlfäden.
In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar überfiel
uns ein sehr heftiger Sturm und beschädigte unseren gro-
ßen Mast der Art, daß der Kapitän beabsichtigte, sobald als
möglich in einen Hafen einzulaufen, um einen neuen Mast
auffetzen zu laffen. Vor der Hand wurde er mit Tauen,
eisernen Ketten und Klammern zusammen geschnürt.
Unter dem 43. Breitengrade kam uns die erste See-
tange zu Gesicht. Die Wärme nahm schon fühlbar ab;
wir hatten oft kaum 12 bis 14 Grad.
23. Januar. Patagonien lag uns so nahe, daß
wir die Umriffe des Landes sehr gut ausnehmen konnten.
26. Januar. Wir hielten uns beständig nahe der
Küste. Unter dem 50. Breitengrade sahen wir die Krei-
denberge von Patagonien. – Heute kamen wir an den
Falklands-Inseln vorüber, die sich vom 51. bis 52. Brei-
tengrad erstrecken. Wir sahen sie jedoch nicht, da wir
uns so nah als möglich dem festen Lande zu hielten, um
125
nicht an der Magellanstraße vorüber zu fahren. Der Ka-
pitän fudierte nämlich seit mehreren Tagen in einem
englischen Buche, welches, seiner Meinung nach, deutlich
bewies, daß die Fahrt durch die Magellanstraße weniger
gefährlich und bedeutend kürzer wäre, als jene um das
Kap Horn. Ich frug ihn, wie es denn käme, daß die
andern Seefahrer von diesem wichtigen Buche nichts wüß-
ten, und warum alle nach der Westseite Amerikas segelnden
Schiffe um das Kap Horn gingen. Er wußte mir darauf
nichts zu antworten, als daß das Buch sehr theuer sei und
es sich daher niemand anschaffe *).
Mir war dieser kühne Gedanke des Kapitäns sehr
willkommen. Ich fah bereits die sechs Fuß hohen Pata-
gonier in ihren Böten daher schiffen, ich tauschte schon
von ihnen Muscheln, Pflanzen, Schmuck und Waffen ge-
gen färbige Bänder und Tüchelchen, – ja, um meiner
Freude die Krone aufzusetzen, sollte in Port Famine
(Hafen in Patagonien) gelandet werden, um den beschä-
digten obern Theil unseres großen Mastes neu aufzusetzen.
– Wie war ich in geheim dem Sturm so dankbar, unser
Schiff in diesen Zustand versetzt zu haben.
Aber nur zu bald ward ich diesen schönen Hoffnun-
gen und Träumen entriffen. Am 27. Januar wurde die
Länge und Breite genommen, und da fand es sich, daß
*) Andere Kapitäne sagten mir, daß die Fahrt durch die Ma-
gellanstraße nur für Kriegsschiffe möglich sei, indem diese
Fahrt eine große Anzahl Matrosen fordere. Jeden Abend
muß vor Anker gegangen werden und beständig müffen
Matrosen in Bereitschaft sein, um bei den fehr häufig
eintretenden Winden die Segel zu stellen oder einzureffen.
126
die Magellanstraße bereits 27 Minuten (oder Seemeilen)
hinter uns lag. Da jedoch Windstille war, so versprach
der Kapitän, für den Fall eines eintretenden günstigen
Windes, einen Versuch zu machen, um die Höhe der
Straße wieder zu gewinnen.
Ich glaubte nicht mehr daran, und hatte Recht. Eine
kaum merkliche Brise erhob sich gegen Mittag, und freude-
strahlend erklärte sie der Kapitän für günstig – – zur
Umschiffung des Kap Horn. Wäre es ihm mit dem
Durchfahren der Magellanstraße Ernst gewesen, so hätte er
nur einige Stunden kreuzen dürfen, denn bald sprang der
Wind um und blies gerade in die beabsichtigte Einfahrt.
29. Januar. Wir waren dem Feuerlande stets so
nahe, daß wir mit unbewaffnetem Auge jeden Strauch
ausnehmen konnten. In einer Stunde wären wir am
Lande gewesen und zwar ohne die Reise deshalb zu ver-
zögern, da uns häufige Windstillen gefeffelt hielten; allein
der Kapitän mochte es nicht erlauben, denn der Wind
konnte sich ja alle Augenblicke erheben.
Die Ufer erscheinen ziemlich steil aber nicht hoch; im
Vordergrunde wechseln magere Wiesen mit Sandflächen
und im Hintergrunde erheben sich bewaldete Hügelketten
und darüber hinaus schneebedeckte Berge. Im Ganzen
kam mir das Land viel wohnlicher vor als die Insel Is-
land, die ich anderthalb Jahre vorher besucht hatte. Auch
die Wärme hier mag bedeutender sein, da wir selbst auf
der See 10 und 12 Grad hatten.
Ich fah drei Gattungen Tangen; konnte aber
nur ein Exemplar erhaschen. Es glich ziemlich jenem,
das ich unter dem 44. Breitengrade gesehen hatte. Die
127
zweite Gattung war auch wenig verschieden, und nur die
dritte hatte zugespitzte Blätter, deren immer mehrere zu-
sammen Fächer von einigen Fuß Höhe und Breite bil-
deten.
Am 30. Januar kamen wir den Staatenland-Inseln
ganz nahe. Sie liegen zwischen dem 56. und 57. Breiten-
grade, bestehen aus kahlen, hohen Gebirgen und sind von
dem Feuerlande durch eine nur 7 Meilen breite und un-
gefähr eben so lange Meerenge, die Straße „le Maire“,
getrennt.
Der Kapitän erzählte uns nach Seemanns-Art, daß,
als er einst durch diese Meerenge gefahren sei, sein Schiff
in Folge einer starken Strömung ordentlich getanzt und
sich während der Fahrt wohl taufendmal, sage tau-
fendmal umgedreht habe. Des Kapitäns Erzählungen
hatten zwar bei mir bereits sehr viel an Glauben verloren,
dennoch verwendete ich von einer, zufällig vor uns segeln-
den Hamburger Brigg kein Auge und wollte sie mit Ge-
walt tanzen sehen, – weder sie noch unsere Barke that
mir diesen Gefallen. Keines der beiden Schiffe drehte
sich auch nur einmal um, und die einzige Merkwürdig-
keit war die wogende und schäumende Straße, an deren
beiden Enden die See voll ruhiger Majestät vor unseren
Augen lag. Wir hatten die Meerenge in einer Stunde
paffiert, und ich nahm mir nun die Freiheit, den Kapitän
zu fragen, warum unser Schiff nicht getanzt habe. Er er-
wiederte, weil Wind und Strömung mit uns gewesen
fei. – Möglich, daß sich das Schiff im entgegengesetzten
Falle einige Mal gedreht hätte, aber tausend Mal ge-
wiß nicht.
128
Uebrigens war dieß die Lieblingszahl unseres guten
Kapitäns. So frug ihn einst ein Herr aus unserer Ge-
sellschaft um die ersten Gasthöfe Londons und erhielt zur
Antwort, es sei unmöglich deren Namen zu wissen, da es
daselbst über 1000 Gasthöfe der ersten Klaffe gäbe.
Bei der Straße „le Maire“ fängt nach der Meinung
der Seefahrer die gefährliche Fahrt um das Kap Horn an
und endet erst an der Westseite Amerikas auf der Höhe
der Magellanstraße. Gleich anfangs begrüßten uns zwei
äußerst heftige Windstöße, deren jeder ungefähr eine halbe
Stunde anhielt; sie kamen aus den eisigen Gebirgsschluch-
ten des nahen Feuerlandes, zerriffen uns zwei Segel
und brachen die Railstange vom großen Unterraa egel, ob-
wohl die Matrosen flink und zahlreich gewesen waren. –
Man rechnet von den Ausgange der Straße le Maire bis
an die äußerste Spitze des Kap nur 60 Minuten, und
zu dieser unbedeutenden Fahrt benöthigten wir drei Tage.
Erst am 3. Februar waren wir so glücklich, die von
allen Seefahrern gefürchtete Südspitze Amerikas zu errei-
chen. Kahle, spitze Berge, von welchen einer einem ein-
gesunkenen Krater gleicht, bilden den Schluß der mächtigen
Gebirgskette, und eine herrliche Gruppe schwarzer Fels-
koloffe (Basalte?) in allen Formen und Gestalten lagern
davor und sind nur durch einen ganz schmalen Meeresstreif
getrennt. Die äußerste Spitze des Kap Horn ist 600 Fuß
hoch. An dieser Stelle wechselt der Geographie nach,
der atlantische Ocean den Namen und heißt nun
das stille Weltmeer. Die Seefahrer aber geben
ihm diesen Namen erst auf der Höhe der Magellanstraße,
da bis zu dieser Gegend die See immerwährend stürmisch
I 29
bewegt sein soll. Auch wir machten diese Erfahrung;
heftige Stürme trieben uns bis auf den 60. Breitengrad
hinab, brachen den Topmast, der trotz der hochgehen-
den See aufgesetzt werden mußte, und warfen das Schiff
der Art herum, daß wir oft nicht am Tische speisen konn-
ten, sondern uns auf den Boden kauern und den Teller
mit der Hand festhalten mußten. An einem dieser schönen
Tage stürzte der Aufwärter mit der Kaffeekanne auf mich
und übergoß mich mit ihrem heißen Inhalte; glücklicher-
weise kam nur ein ganz kleiner Theil auf meine Hände,
- und so war das Unglück nicht sehr groß.
Nach 14tägigem Kampfe mit Stürmen und Wogen,
mit Regen und Kälte *) erreichten wir endlich die Höhe
der Magellanstraße an der Westküste und hatten somit den
gefährlichsten Theil der Reise hinter uns.
Wallfische und Albatroffe sahen wir während die-
fer 14 Tage sehr selten, schwimmende Eisberge gar
nicht.
Wir dachten, nun ruhig auf der stillen See dahin zu
schiffen, in festem Vertrauen auf ihren friedlichen Namen,
es ging auch recht gut durch volle 3 Tage; dann aber in
der Nacht vom 19. auf den 20. Februar überfiel uns ein
Sturm, der des atlantischen Oceans würdig gewesen wäre.
Er hielt beinahe 24 Stunden an und raubte uns 4Segel.
Der größte Schaden erwuchs uns durch die fürchterlichen
Wogen, die mit solcher Gewalt über das Schiff gingen,
daß sich am Oberdecke ein Bret löste und Waffer in die
4) Der Thermometer sank bei Tage auf 6 – 7, bei
Nacht auf 1 – 2 Grad über Null.
Pfeiffers Reise I. Th. 9
130
Zuckerladung drang. Das Verdeck glich einem See, man
mußte die großen Lucken am Bollwerke öffnen, um das
Waffer schneller abzuleiten, und das Schiff selbst ließ in
der Stunde bei zwei Zoll Waffer ein. Feuer konnte gar
nicht angemacht werden: wir mußten uns mit Brod, Käse
und rohem Schinken begnügen, welche Lebensmittel wir,
auf der Erde kauernd, mit vieler Mühe zum Munde
brachten.
Das letzte Fäßchen Brennöl ward auch ein Opfer
dieses Sturmes – es hatte sich losgeriffen und brach in
Stücke. Der Kapitän war in großer Angst, daß wir
mit der Beleuchtung des Kompaffes nicht bis Valparaiso
auslangen würden; alle Lampen im Schiffe wurden durch
Kerzenlicht ersetzt und der kleine noch vorhandene Rest des
Oeles für den Kompaß bewahrt. – Trotz all diesen Un-
annehmlichkeiten blieben wir guten Muthes, und während
des Sturmes selbst konnten wir uns kaum des Lachens
enthalten über die komischen Stellungen, die jeder unwill-
kürlich annahm, wenn er einen Versuch machte, sich zu
erheben.
Die weitere Fahrt bis Valparaiso war ruhig, aber
höchst unangenehm. Unser Kapitän wollte in Valparaiso
einen glänzenden Einzug halten und den guten Leuten
daselbst glauben machen, daß Sturm und Wogen seinem
schönen Schiffe nichts anhaben konnten. Er ließ daher
das ganze Schiff von oben bis unten mit Oelfarbe antrei-
chen, sogar die schmalen Thüren in den Kabinen blieben
von dieser schrecklichen Malerei nicht verschont. – Der
Zimmermann hantierte nicht nur ganz mörderisch über
unsern Köpfen, ach! er kam auch in die Kabinen und
T131
machte all unsere Sachen voll Staub und Sägespäne Wir
armen Reisenden hatten auf dem ganzen Schiffe kein trocke-
nes und ruhiges Plätzchen. So artig Kapitän Bell wäh-
rend der ganzen Reise gegen uns war, so sehr erbitterte
uns dies ein Benehmen in den letzten 5 – 6 Tagen.
Da war aber nichts zu sagen und zu machen, denn ein
Kapitän ist auf seinem Schiffe Alleinherrscher, – er kennt
weder Konstitution noch sonst eine Einschränkung seiner
despotischen Macht.
Am 2. März 1847 um 6 Uhr Morgens liefen wir
im Hafen von Valparaiso ein.
9
Ankunft und Aufenthalt in Valparaiso.
Ansicht der Stadt. Oeffentliche Gebäude. Einiges über die Sitten und
Gebräuche des Volkes. Die Garküche zu Polanka. Das Engelchen
(Angelito). Die Eisenbahn. Gold- und Silberminen.
Der Anblick von Valparaiso ist traurig und ein-
förmig: die Stadt zieht sich in zwei langen Straßen am
Fuße unwirthbarer Hügel hin, die wie riesenmäßige Sand-
haufen aussehen, in der That aber mit dünnen Erd- und
Sandschichten überkleidete Felsmaffen sind. Auf mehreren
dieser Hügel stehen Häuser, auf einem liegt der Friedhof,
und dies im Verein mit den hölzernen Kirchthürmen, die
im spanischen Geschmacke gebaut sind, verschönert wenigstens
einigermaßen die langweilige, einförmige Ansicht. Nicht
minder überraschend als der öde Anblick des Hafens war
mir der höchst erbärmliche Landungsplatz. Ein hölzerner,
hoher Quai, bei 100 F. lang, erstreckt sich in die See
hinaus; steile, schmale Treppen, die wie Leitern ange-
lehnt sind, führen hinauf. Es war stets ein bedauerns-
würdiger Anblick, wenn man da eine Dame hinauf oder
hinab klettern sah; – Leute, die nur einigermaßen ge-
brechlich oder unbehülflich waren, mußten an Seilen hinab
gelaffen werden.
133
Die beiden Hauptstraßen sind ziemlich breit und sehr
belebt, besonders von Reitern. Jeder Chilese ist ein ge-
borner Reiter, und unter den Pferden sieht man oft so
schöne Thiere, daß man bewundernd stehen bleibt und
ihren edlen Gang, die stolze Haltung und das Ebenmaß
ihres Körperbaues nicht genug anstaunen kann.
Sonderbar geformt sind die Steigbügel; sie bestehen
aus hohen, schweren Holzstücken mit einer Höhlung, in
welche der Reiter die Spitze des Fußes setzt. Die Räder
an den Spornen sind auffallend groß und haben oft bei
4 Zoll im Durchmeffer.
Die Häuser erscheinen ganz im europäischen Style ge-
halten, mit flachen, italienischen Dächern. Die ältern Bauten
haben nur ein Erdgeschoß und sind klein und häßlich; doch
findet man unter den neuern Häusern die Mehrzahl mit einem
Stockwerke, geräumig und hübsch. Das Innere dieser neuen
Häuser ist gewöhnlich sehr geschmackvoll. Auf breiten Trep-
pen das Stockwerk hinansteigend, kömmt man erst in eine
hohe, luftige Vorhalle, von welcher große Glasthüren in
die Empfangssäle und die verschiedenen Wohngemächer
führen. Der Empfangsaal ist der Stolz nicht nur jedes
dort angesiedelten Europäers, sondern auch des Chilesen,
und auf seine Ausstattung werden oft große Summen ver-
wendet. – Schwere Teppiche bedecken den ganzen Bo-
den, reiche Tapeten überkleiden die Wände, die kostbarsten
Möbel und Spiegel sind aus Europa herbeigeschafft, und
auf den Tischen liegen prachtvolle Albums, die kunstvoll-
ften Kupferstiche enthaltend. Zierliche Kamine verriethen
mir, daß der Winter doch nicht so gelinde fein müffe,
als manche der Einwohner mir glauben machen wollten.
134
Von den öffentlichen Gebäuden find das Theater und
die Börse die schönsten. Ersteres sieht auch im Innern sehr
zierlich aus; es enthält ein geräumiges Parterre nebst
zwei Galerien, die in Logen abgetheilt sind. Die Städter
besuchen es gerne; aber nicht so sehr wegen der italieni-
fchen Oper, sondern als gemeinschaftlichen Unterhaltungs-
ort. Die Damen erscheinen da im größten Putze, man
macht sich gegenseitig Besuche in den Logen, welche alle
sehr geräumig und mit Teppichen, Spiegeln, Kanapees
und Stühlen allerliebst eingerichtet sind.
Das zweite schöne Gebäude, die Börse, hat einen
ziemlich großen, freundlichen Saal nebst hübschen Neben-
gemächern. Die Aussicht vom Saale gewährt einen in-
tereffanten Ueberblick über einen Theil der Stadt und See.
– Das Haus des „deutschen Vereins enthält
schöne Säle, Spiel- und Lesezimmer.
An den Kirchen gefielen mir nur die Thürme, die
aus 2 oder 3 sich übereinander erhebenden Achtecken be-
stehen, welche von je acht Säulen getragen werden. Sie
find von Holz, so wie auch die Altäre und Säulen im
Schiffe der Kirche. Dieses sieht überhaupt etwas arm-
felig und nackt aus, wozu der Mangel an Stühlen viel
beiträgt. Die Männer stehen und die Frauen brin-
gen kleine Teppiche mit, breiten sie vor sich aus und
knieen oder sitzen darauf. Reichere Frauen laffen sich
felbe von ihren Mägden nachtragen. – Die Kathedrale
heißt La Matriza.
Die Spazierorte in Valparaiso find nicht sehr ange-
nehm, da die meisten Fahr- und Gehwege mit feinem,
bei dem leichtesten Winde in großen Wolken emporwirbeln-
135
-
dem Sand und Staub beinahfußhoch überdeckt sind. Nach 10
Uhr Morgens, zu welcher Zeit sich gewöhnlich die Seebrise
erhebt, ist oft die ganze Stadt in solche Wolken eingehüllt.
Viele Leute sollen auch hier an Brust- und Lungenkrank-
heiten sterben. – Die besuchtesten Orte sind Polanka
und der Leuchtthurm. Besonders bei letzterem ist die
Aussicht sehr schön, da man bei vollkommen klarem Wetter
einige der majestätischen, schneebedeckten Ausläufer der
Anden erblickt.
Die Straßen sind, wie ich bereits erwähnte, ziemlich
belebt und werden häufig von Gesellschaftswägen (Tivola)
und Cabriolets (Berlogen) durchkreuzt, in welchen man
für einen Real*) von einem Ende der Stadt zum andern
fahren kann. Auch sieht man viele Esel, die meist zum
Tragen von Waffer oder Lebensmitteln verwendet werden.
Das gemeine Volk fand ich von ausnehmender Häßlich-
keit. Die Chilesen haben eine gelblich-braune Gesichtsfarbe,
dichtes schwarzes Haar, höchst unangenehme Gesichtszüge
und im Gesichte einen so eigenen widerlichen Ausdruck,
daß jeder Phrenologe sie ungesäumt für Räuber oder
doch wenigstens für Diebe erklären würde. – Kapitain
Bell hatte zwar oft von der ausgezeichneten Ehrlichkeit
dieser Leute gesprochen und uns in seiner stets übertrie-
benen Weise versichert, daß man einen Beutel mit Gold
auf die Straße legen könnte, mit der Gewißheit ihn des
andern Tages noch an derselben Stelle zu finden; trotz
dem muß ich aber gestehen, daß ich Angst gehabt hätte, diesen
*) Ein Real ist der achte Theil eines spanischen Thalers, nach
österreichischen Gelde 15%, Kreuzer.
136
ehrlichen Leuten bei Tage an einsamen Orten mit
dem Gelde in der Tafche zu begegnen.
In der Folge hatte ich Gelegenheit, mich von der
irrigen Meinung des Kapitäns zu überzeugen, als ich an
vielen Orten Gefangene sah, die an Ketten gelegt und
bei öffentlichen Bauten, Straßenkehren, u. f. w. verwendet
wurden. Auch sind die Fenster und Thüren mit Gittern
und Balken verwahrt, wie kaum in irgend einer Stadt
Europas. Des Nachts stehen in allen Straßen, auf allen
bewohnten Hügeln Polizeiposten, die sich fortwährend
anrufen, wie die Vorposten im Kriege; reitende Polizei
durchstreift überdies die Stadt nach allen Richtungen, und
einzelne Menschen, die aus dem Theater oder aus Gesellschaf-
ten heimkehren, laffen sich häufig von solch berittenen
Soldaten begleiten. – Auf gewaltsamen Einbruch ist
Todesstrafe gesetzt.
Alle diese Maßregeln sprechen doch sicher nicht für
die große Ehrlichkeit des Volkes?!
Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einer
kleinen Scene zu erwähnen, deren Zeuge ich war, da sie
vor meinem Fenster statt hatte. Ein kleiner Junge trug
auf einem Brette mehrere Teller und Schüffeln; unglück-
licherweise entfiel ihm das Brett – und das Geschirr lag in
Trümmern zu feinen Füßen. Im ersten Augenblicke war
der arme Knabe so erschrocken, daß er, gleich einer Bild-
fäule, mit starrem Blicke auf das zerbrochene Geschirr nie-
dersah, worauf er dann bitterlich zu weinen anfing. Die
Vorübergehenden blieben zwar stehen und betrachteten den
armen Jungen; aber niemand nahm Theil an seinem
Unglücke; sie lachten – und gingen weiter. – An
137
andern Orten würde man gewiß gleich eine Sammlung
veranstaltet, oder den Armen wenigstens bedauert und
getröstet haben; zum Lachen hätte gewiß niemand Ursache
gefunden. Es ist dieß zwar nur eine kleine Begebenheit;
aber gerade in solchen Kleinigkeiten lernt man oft auch
den Charakter der Menschen kennen. -
Während meiner Anwesenheit in Valparaiso trug
sich übrigens noch eine ganz andere, wahrhaft grauen-
volle Geschichte zu.
Wie bereits bemerkt so ist es auch hier, wie in
manchen Ländern Europa's, gebräuchlich, die Verbrecher
zu öffentlichen Arbeiten zu verwenden. – Einer dieser
Sträflinge nun suchte den Wärter durch Bestechung für
feine Befreiung zu gewinnen, was ihm auch in so weit
gelang, als sich der Wärter verbindlich machte, ihm gegen
Bezahlung einer Onze (17 spanische Thaler) Gelegenheit
zur Flucht zu verschaffen. Da nun die Gefangenen
täglich des Morgens und des Mittags von ihren Ver-
wandten und Freunden besucht werden und auch von
diesen Lebensmittel empfangen dürfen, so brachte ihm
seine Frau bei einer solchen Gelegenheit das Geld, nach
deffen Empfange der Wärter es einzurichten wußte, daß
der Verbrecher am nächsten Morgen nicht, wie es ge-
wöhnlich geschah, mit einem andern an dieselbe Kette
gefeffelt wurde; er konnte allein gehen und auf diese
Art leichter entfliehen, um so mehr, als der Ort der
Arbeit in einer ziemlich einsamen Gegend lag.
Der Plan war sehr schlau angelegt; – aber mochte
der Wärter sich anders besonnen haben, oder lag es schon
138
zum Voraus in seinem Plane, – er schoß dem Flücht-
linge nach und streckte ihn todt zu Boden.
Höchst selten sieht man noch unvermischte Abkömm-
linge der Ureinwohner *); mir kamen deren nur zwei zu
Gesichte. Ich fand sie den Puris in Brasilien ziemlich
ähnlich, nur daß sie nicht so kleine und häßlich geschlitzte
Augen hatten. – Sclaven gibt es in diesem Lande nicht.
Die Kleidung der Chilesen ist ganz europäisch, be-
sonders die der Frauen. Die Männer tragen nur statt
des Rockes häufig den Poncho, der aus zwei Tuch- oder
Merinostreifen besteht, deren jeder ungefähr eine Elle
breit und zwei Ellen lang ist. Diese werden zusammen
genäht und man läßt nur in der Mitte eine Oeffnung, um
den Kopf hindurch zu stecken. Das ganze Kleidungsstück
reicht bis an die Hüften und hat ungefähr die Form eines
viereckigen Mantelkragens. Man trägt diese Ponchos
in allen Farben, grün, blau, hochroth u. f. w. Sie
laffen sehr schön, besonders wenn sie, wie dieß bei Rei-
chen und Wohlhabenden der Fall ist, ringsum mit Sticke-
reien in farbiger Seide geziert sind.
Die Frauen tragen auf der Straße stets große Um-
schlagetücher, die sie in der Kirche über den Kopf ziehen.
Ich war nach Chili mit der Absicht gekommen, einige
Wochen da zu verweilen, um auch nach der Hauptstadt
des Landes Santiago einen Ausflug machen zu können,
und wollte dann erst meine Reise weiter nach China fort-
etzen.
*) So wie die jetzigen Brasilianer von den Portugiesen, flam-
men die Chilesen von den Spaniern.
139
In Rio de Janeiro hatte man mir gesagt, daß von
Valparaiso jeden Monat Schiffe nach China abgingen. Lei-
der war dem nicht so. Ich erfuhr hier, daß Gelegenheiten
dahin äußerst selten vorkämen, daß aber gerade jetzt ein
Schiff bereit läge, welches in 5 – 6 Tagen unter
Segel ginge. Allgemein rieth man mir, diese Gelegenheit
nicht zu versäumen und lieber auf den Besuch Santiago's
zu verzichten. Nach kurzen Besinnen that ich es, aber mit
schweren Herzen und ging, um fernere Bedenklichkeiten
zu verhüten, augenblicklich zu dem Kapitän, der sich für
die Summe von 200, spanischen Thalern bereit erklärte,
mich mitzunehmen. Ich schloß ab, und hatte nun nur
über 5 Tage zu gebieten, die ich zur fleißigen Besichtigung
Valparaiso"s und seiner Umgebungen zu benützen gedachte.
Wohl hätte diese Zeit hingereicht, Santiago im Fluge zu
besuchen, da diese Stadt nur 32 Leguas von Valparaiso
entfernt ist; es wäre aber dieser Ausflug mit großen
Kosten verbunden gewesen, indem keine öffentliche Post-
kutsche dahin geht und man eine eigene Gelegenheit mie-
then muß. Auch würde es mir wenig Vergnügen geboten
haben, von beiden Städten nur flüchtige Eindrücke zu
erhalten.
Ich begnügte mich also mit Valparaiso, stieg fleißig
auf die umliegenden Hügel und Berge, besuchte die Hüt-
ten der niedern Volksklaffe, ließ mir ihre Nationaltänze
aufführen u. f. w. – ich wollte wenigstens hier alles
vollkommen kennen lernen.
Auf einigen der Hügel, besonders auf der Serra
Allegri stehen äußerst niedliche Landhäuser in zierlichen
Gärten mit schönen Fernsichten auf die See. Weniger
140
anziehend ist die Ansicht des Landes, da sich hinter diesen
Hügeln, höhere, kahle und häßliche Bergketten erheben
die jede weitere Aussicht beschränken. -
Die Hütten der armen Leute sind ganz erbärmlich
schlecht, meist aus Lehm und Holz zusammen geklebt, und
dem Einsturze nahe. Kaum wagte ich es einzutreten;
ich dachte mir das Innere dem Aeußeren entsprechend
und war daher sehr erstaunt, nicht nur gute Betten, Tische
und Stühle, sondern auch häufig kleine, ganz nett mit
Blumen geschmückte Hausaltäre vorzufinden. Auch die
Bewohner waren nicht gar so schlecht gekleidet und die
Wäsche, die vor vielen solchen Baracken hing, schien mir
beffer als manche, die ich in den belebtesten Straßen der
Städte Siciliens vor den Fenstern eleganter Gebäude fah.
Das Leben und Treiben des Volkes kann man auch
sehr gut kennen lernen, wenn man an Sonn- und Fest-
tagen in der Gegend Polanka's umherstreift und die Gar-
küchen besucht.
Ich will meine Leser in solch eine Garküche einfüh-
ren. In einer Ecke auf dem Boden glimmt ein derbes
Feuer, umstellt von vielen Töpfen, dazwischen hölzerne
Spießelehnend, an welchen Rind- und Schweinefleisch steckt.
Es fiedet, kocht und röstet da, daß man sich ein gar lecke-
res Mahl verspricht. Ein plumpes, hölzernes Gestell,
worauf ein langes, breites Brett liegt, steht in der Mitte
des Gemaches und ist mit einem Tuche überdeckt, dessen
ursprüngliche Farbe zu erforschen wohl zu den Unmög-
lichkeiten gehörte. Dieß ist die Tafel, um welche sich die
Gäste reihen. Beim Effen selbst herrschen die alten pa-
triarchalischen Sitten, nur mit dem Unterschiede, daß nicht
141
blos alle Gäste aus einer Schüffel effen, sondern daß
auch alle Gerichte in einer Schüffel aufgetischt wer-
den. Da liegen Bohnen und Reis, Kartoffeln und Rin-
derbraten, Paradiesäpfel und Zwiebeln u. f.w. ganz fried-
lich neben einander und werden mit großem Appetite bei
tiefster Stille verzehrt. Am Ende der Mahlzeit kömmt
der Humpen an die Reihe, der von Hand zu Hand geht
und mit Wein oder auch nur mit Waffer gefüllt ist. Dann
erst fängt die Gesellschaft an zu sprechen. – Des Abends
wird in diesen Lokalen bei einer Guitarre auch fleißig ge-
tanzt. Leider war gerade Fastenzeit, während wel-
cher alle öffentlichen Unterhaltungen verboten sind. Die
Leute nahmen es jedoch nicht so genau und waren für
einige Reaux gleich bereit, mir in einem Hinterstübchen
eine Aufführung ihrer Nationaltänze, der Sammaquecca
und Refolosa zum besten zu geben. Ich hatte bald genug,
fo über alle Maßen unanständig waren die Geberden und
Bewegungen der Tänzer, und mich dauerte nur die Ju-
gend, deren angeborenes Zartgefühl durch Anschauung
dieser Tänze schon im ersten Keime erstickt wird.
Nicht minder mißfiel mir eine hier herrschende fon-
derbare Sitte, in Folge welcher der Tod eines kleinen
Kindes von den Eltern als Freudenfest gefeiert wird.
Sie nennen das verstorbene Kind einen Angelito (Engel-
chen) und schmücken es auf alle Weise aus. Die Augen
werden ihm nicht geschloffen, sondern im Gegentheil so
weit als möglich geöffnet, die Backen roth gefärbt, es
wird mit den schönsten Kleidern angethan, mit Blumen
bekränzt und auf einem kleinen Stuhle in eine Art Nische
gesetzt, die ebenfalls mit Blumen ausgeschmückt ist. Nun
T142
kommen die Verwandten und Nachbarsleute und wünschen
den Aeltern Glück zum Besitze eines solchen Engelchens,
– ja in der ersten Nacht werden von den Eltern, Ver-
wandten und Freunden vor dem Angelito die tollsten
Tänze aufgeführt, die fröhlichsten Mahlzeiten begangen.
Auf dem Lande soll es nicht ungewöhnlich sein, daß die
Eltern selbst den kleinen Sarg nach dem Kirchhofe tragen
und die Verwandten mit der Branntweinflasche in der
Hand, jubelnd und lärmend nachströmen.
Ein hiesiger Kaufmann erzählte mir, erst kürzlich
habe einer feiner Freunde, der bei der Regierung angestellt
ist, eine fonderbare Klage zu entscheiden gehabt. Ein
Todtengräber trug nämlich solch ein verstorbenes Engelchen
nach dem Kirchhofe und trat unterwegs in eine Schenke,
um in der Eile ein Gläschen zu trinken. Der Wirth
frug ihn, was er unter dem Poncho trage, und als er
erfuhr, daß es ein Angelito fei, ersuchte er den Mann,
ihm felbes für zwei Reaux zu überlaffen. Dieser war
dazu bereit, und der Wirth errichtete nun eilig in der
Trinkstube eine kleine Blumenmische, setzte das erhandelte
Engelchen hinein und theilte der ganzen Nachbarschaft
mit, welch Kleinod er besäße. Alles kam herbei, besah
das liebe Engelchen und trank und schmauste zu seinen
Ehren. Bald erfuhren es aber auch die Eltern, die also-
gleich in die Schenke eilten, ihr Kind wegnahmen und den
Wirth beim Richter verklagten. Der konnte sich des La-
chens bei Anhörung der Klage kaum enthalten und legte
die Sache friedlich bei, da in dem Gesetzbuche eines sol-
chen Vergehens nicht gedacht war.
Sonderbar ist die Art und Weise, wie Kranke nach
143
dem Spitale geschafft werden. Man setzt sie auf ganz
einfache, hölzerne Armstühle, an welchen vorne ein Strick
befestiget ist, der sie vor dem Herabstürzen schützt, und
unten ein zweiter, auf welchen sie die Füße stellen – ein
schrecklicher Anblick, wenn der Kranke schon so schwach ist,
daß er sich nicht mehr in sitzender Stellung aufrecht halten
kann. -
Nicht wenig war ich erstaunt, in diesem Lande, wo
noch keine Postbeförderung eingerichtet ist und überhaupt
mit keinem Orte eine regelmäßige Verbindung statt hat,
von der Anlegung einer Eisenbahn zu hören, die von
hier nach Santiago geführt werden soll. Eine Gesellschaft
von Engländern unternimmt dieses Werk, und die Meffun-
gen haben bereits begonnen. Da die Gegend sehr gebirgig
ist, müffen bedeutende Umwege gemacht werden, um Ebenen
zu gewinnen. Hieraus erwachsen sehr große Kosten, die
mit dem jetzigen Stande des Handels und des Personen-
verkehrs nicht im geringsten in Vergleich gebracht werden
können. Gegenwärtig fahren kaum des Tages einige
Wagen, und wenn ja einmal 10 oder 15 Reisende von
Santiago nach Valparaiso kommen, so spricht die ganze
Stadt davon. Man glaubt daher auch, daß der Bau der
Eisenbahn den Unternehmern nur zum Vorwande dient,
um in allen Richtungen des Landes ungehindert nach Gold
und Silber suchen zu können.
Die Entdecker von Minen werden hier sehr begün-
ftigt; sie haben auf ihre Entdeckung volles Eigenthums-
recht und brauchen nur deren Besitznahme der Regierung
anzuzeigen. Das Ding geht so weit, daß, wenn z. B.
jemand mit irgend scheinbaren Gründen behaupten kann,
144
hier oder dort, vielleicht unter einem Hause, einer
Kirche u. f. w. sei eine Mine zu finden, er ermächtiget
wird, eines wie das andere wegreißen zu laffen, voraus-
gesetzt, daß er im Stande ist, den Schaden zu vergüten.
Vor ungefähr 15 Jahren entdeckte ein Eseltreiber
auf eine sehr zufällige Weise eine ergiebige Silbermine.
Er trieb mehrere Esel über die Gebirge, von welchen ihm
eines Morgens einer entlief. Als er einen Stein aufhob,
um ihn dem Thiere nachzuwerfen, strauchelte er und fiel
zu Boden; der Stein entglitt ihm und rollte fort. Mit
Ungestüm riß er einen zweiten aus der Erde, sprang auf
und wollte eben zum Wurfe ausholen, als ihm der Stein
durch eine ungewöhnliche Schwere auffiel; er besah ihn
genauer und fand ihn von reinen, reichen Silberadern
durchzogen. Wie einen Schatz verwahrte er den Stein,
bezeichnete den Ort, zog mit seinen Eseln heim und
theilte alsbald einem seiner Freunde, einem Berg-
manne, die wichtige Entdeckung mit. Beide gingen nun
zur Stelle, die der Bergmann untersuchte und für sehr
reichhaltig erklärte. Jetzt fehlte ihnen nichts als ein Ve-
triebskapital; aber auch dieses fand sich, indem sie den
Herrn des Bergmannes in Gesellschaft nahmen, – und
in wenig Jahren waren alle drei reiche Leute.
Die sechs Tage waren verfloffen und der Kapitän ließ
mir sagen, daß ich am folgenden Tag mit Sack und Pack
an Bord kommen möge, da er Abends in See zu gehen
gedächte. Aber am selben Tage Morgens führte mein
böser Dämon ein französisches Kriegsschiff herbei, dessen
145
Bestimmung Olahiti war. Ich dachte nicht im entfernte-
ften daran, daß dieses Schiff meine Pläne durchkreuzen
könnte und begab mich ganz ruhig nach dem Landungs-
platze. Da eilte mir der Kapitän entgegen und erzählte
mir eine lange Geschichte von seiner halben Ladung, von
dem französischen Kapitän, und daß er die Ladung mit Le-
bensmitteln für den Bedarf der französischen Besatzung zu
Otahiti löschen werde u.fw. – kurz das Ende der Ge-
schichte war: – noch 5 Tage Aufschub.
In meinem Unmuthe besuchte ich den fardinischen
Konsul, Herrn Bayerbach, und klagte ihm meine Noth.
Der gute Herr tröstete mich, so gut er es vermochte, und
als er erfuhr, daß ich bereits an Bord wohne, drang er
in mich, ein Zimmer feines Landhauses auf der Serra
Allegri zu beziehen. Außerdem führte er mich in meh-
rere Häuser, wo ich manche angenehme Stunde verbrachte
und Gelegenheit hatte, einige ausgezeichnete Sammlungen
von Muscheln und Insekten zu besehen.
Die Abreise wurde nach den 5 Tagen abermals von
Tag zu Tag verschoben, und obwohl ich auf diese Art 15
Tage in Chili zugebracht habe, sah ich doch nichts weiter
als Valparaiso und die nächste Umgebung.
Da Valparaiso südlich der Linie liegt, und, wie be-
kannt, die Jahreszeiten der südlichen Hemisphäre jenen der
nördlichen entgegen sind, so hatten wir hier den Herbst. –
Ich fand (34. Breitengrad) von Früchten und Ge-
müsen beinah dieselben Gattungen, wie wir sie in Deutsch-
land haben, vorzüglich Trauben und Melonen. Aepfel
und Birnen waren weniger gut und auch nicht fo viel-
fältig wie bei uns.
Pfeiffers Reise, 1 Th. 10
146
Schließlich für Reisende die Preise einiger Gegen-
fände:
Ein nur einigermaßen anständiges Zimmer in einem
Privathause kostet täglich 4 bis 5 Reaux, die Table
d'hôte einen Piaster, eine Flasche spanischen Weins einen
Piafter. – Am theuerten aber kömmt das Waschen
der Wäsche, (hieran ist der große Waffermangel Ursache)
da für jedes Stück, groß oder klein, ein Real gefordert
wird. – Auch der Reisepaß kostet sehr viel, man muß
dafür 8 spanische Thaler bezahlen. -
Statistische Notiz über Chili.
Der Flächen-Inhalt der Republik Chili ist 6600
O.Meilen, auf welchen etwa 1%, Million Einwohnerver-
theilt sind. Unter letzteren befinden sich 125,000 Creo-
len, 125,000 Mestizen und Mulatten und einige tausend
Neger. Der Rest besteht aus Indianern (Ur-Einwoh-
nern) und den Nachkommen der eingewanderten Spanier.
Chili war, bevor es sich unabhängig machte und die
republikanische Verfaffung annahm, eine spanische Gene-
ral-Capitanerie. – Die herrschende Sprache ist spanisch,
die Religion des größten Theils der Einwohner die katho-
iche – Die Hauptstadt des Landes, Santiago, hat
6 000 Einwohner und viele öffentliche Gebäude und
a e . Valparaiso (mit 50.000 Einwohnern) ist
der größte Hafen und Handels-Platz Chilis, und einer
der wichtigsten des stillen Meeres.
Die Haupt-Produkte des Landes bestehen in außer-
ordentlich zahlreichen, zum Theil wilden Rinderhorden,
147
-
vortrefflichen Pferden, aus Obst, Wein, Tabak, Oliven,
Flachs, Waizen und allen Früchten der gemäßigten Zone,
ferner aus Kupfer, Silber, Gold, Eisen, Blei und an-
dern Metallen.
Münz- und Meilenmaß.
Goldmünzen: ganze, halbe und viertel Onzen.
Silbermünzen: Piaster, auch Pesos oder „harte Thaler
genannt, ferner: Reaux, Medios und Quadrillos. Ku-
pfermünzen: Centavos.
Eine Onze hat 17 Piaster, – ein Piaster 8 Reaux,
– ein Real 2 Medios oder 4 Quadrillos und ein Qua-
drillo 4 Centavos.
Der Werth eines Piasters ist 2fl. 5 kr. C.M. nach
österreichischem Gelde oder 5 Franken 9 Cent.
18 Leguas machen 15 deutsche Meilen.
p 0*
Reise von Valparaiso über Caiti nach Canton.
Abreise von Valparaiso. Taiti. Sitten und Gebräuche des Volkes. Fest
und Ball zur Namensfeier Louis Philipps. Ausflüge. Ein taitisches
Mahl. Der Binnensee Vaihiria. Der Engpaß von Fautaua und
das Diadem. Abreise. Ankunft in China.
Am 17. März ließ mich Kapitän van Wyk Ju-
riante benachrichtigen, daß sein Schiff fegelfertig sei,
und daß er am nächsten Morgen in See gehen werde.
Diese Nachricht kam mir sehr ungelegen, indem ich
seit zwei Tagen an einer anhaltenden Diarrhöe litt, einem
Uebel, das auf einem Schiffe, wo man weder Fleischbrühe
noch sonst ein leichtes Gericht bekömmt und den Wechsel-
fällen der Witterung doch immer mehr ausgesetzt ist als
auf dem Lande, leicht gefährlich werden kann. Anderer-
seits wollte ich die seltene Gelegenheit nach China, so wie
die für die Ueberfahrt bereits erlegten 200 Dollars nicht
verlieren; ich ging daher an Bord, vertrauend auf mein
Glück, das mich noch auf keiner meiner Reisen verlaffen hatte.
Ich suchte in den ersten Tagen mein Uebel durch
strenge Diät zu bekämpfen und enthielt mich beinahe aller
Nahrung, – vergebens – ich litt fortwährend, bis mir
der glückliche Gedanke kam, kalte Seebäder zu gebrauchen.
Ich nahm sie in einer Tonne, blieb immer eine Viertel-
stunde im Waffer, und fühlte schon nach dem zweiten Bade
149
bedeutende Befferung, – nach dem sechsten war ich her-
gestellt. Dieses Uebels, dem ich in heißen Ländern sehr unter-
worfen war, erwähne ich nur, um bemerken zu können, daß
Seebäder oder kühlende Getränke als: Buttermilch, saure
Milch, Sherbet, Orangeade u. dgl. sehr zweckmäßige Mittel
dagegen find.
Das Schiff, auf welchem ich diese Reise machte,
war die holländische Barke Lootpuit, ein starkes und
schönes Schiff, auf welchem große Reinlichkeit herrschte
und ziemlich gute Kost, einige holländische Speisen und
den Ueberfluß an Zwiebeln abgerechnet. Mit letzteren,
die bei allen Gerichten eine hervorragende Rolle spielten,
konnte ich mich durchaus nicht befreunden; zu meinem
Glücke verdarb im Verlaufe der Reise ein großer Theil
dieses edeln Produktes.
Der Kapitän war ein artiger, freundlicher Mann,
und auch die Steuerleute und Matrosen waren gut und
gefällig. Ueberhaupt fand ich auf den Schiffen, die ich
kennen lernte, die Seeleute durchaus nicht so grob als
man sie häufig von Reisenden schildern hört. Feinen
Ton besitzen sie freilich nicht, und besondere Aufmerksam-
keiten und Rücksichten erweisen sie dem Reisenden auch
nicht; aber natürliche Gutmüthigkeit und Herzlichkeit trifft
man bei den meisten.
Schon nach drei Tagen, am 21. März, fahen wir
das Eiland St. Felix, und des folgenden Morgens St.
Ambrosio. Beide bestehen aus kahlen, unwirthbaren
Felsenmaffen und dienen höchstens einigen Möven zum
Aufenthalte.
Wir traten nun in die Tropenkreise, fanden aber
150
die Hitze durch den Passatwind gemäßigt und nur in der
Kajüte lästig.
Beinahe einen Monat schifften wir in der größten
Gleichmäßigkeit dahin, ohne Sturm und Gewitter, im
einförmigen Anblicke von Himmel und Waffer, bis wir
am 19. April den Archipel der „niedrigen Infeln
erreichten. Diesen Archipel, der sich vom 36. bis zu
dem 14. Längengrade erstreckt, ist den Schiffern sehr ge-
fährlich, da die meisten Inseln kaum einige Fuß über die
Meeresfläche ragen, – ja, um David Clark's Eiland
darunter zu fehen, von dem wir nur 12 Meilen entfernt
waren, mußte der Kapitän in den Mastkorb steigen.
In der Nacht vom 21. auf den 22. April hatten
wir ein tüchtiges Donnerwetter in Begleitung eines
plötzlichen und heftigen Sturmes, den unser Kapitain,
weil er von Donner begleitet war, eine Donner-Bö
nannte. Während dieser Donnerbö bildeten sich wiederholt
an der Spitze des Topmastes sogenannte Valentins-
Feuer. Es sind dies electriche Flämmchen, die gewöhnlich
die höchsten Spitzen eines Gegenstandes umspielen und
nach zwei bis drei Minuten wieder verlöschen.
Die Nacht vom 22. auf den 23. April war eine
gefährliche; der Kapitain selbst nannte sie so. Wir hat-
ten mehrere der niedern Eilande zu paffiren und dabei
düsteres Regenwetter, welches uns den Mond gänzlich ver-
hüllte. Gegen Mitternacht wurde unsere Lage noch durch
einen heftigen Wind verschlimmert, und dieser, so wie
auch ein unaufhörliches Wetterleuchten machten uns auf
eine starke Bö gefaßt; glücklich aber kam der Morgen
heran, und wir entgingen dem Sturm und den Eilanden.
151
Im Laufe des Tages schifften wir an den Vogel-
eilanden vorüber, und zwei Tage darauf, am 25. April
fahen wir schon eine der Gesellschafts-Inseln, Maihia.
Am folgenden Morgen, am 39. Tage unserer Reise,
befanden wir uns im Angesichte Taitis und der gegenüber
liegenden Insel Emao, auch Moreo genannt. Die Einfahrt
in den Hafen Taitis, Papeiti, ist eine der gefährlichsten;
Corallenriffe umgeben ihn gleich einer Festung; wild zi-
schend und brausend schlägt die Brandung von allen Seiten
auf, und für die Einfahrt bleibt nur ein schmaler Raum
offen.
Ein Lootse kam uns entgegen, und obwohl der Wind
fo ungünstig war, daß die Segel alle Augenblicke umge-
stellt werden mußten, führte er uns doch glücklich in den
Hafen ein. Als wir später an's Land gestiegen waren,
wünschte man uns herzlich Glück dazu; man hatte unsere
Einfahrt mit Angst verfolgt und bei der letzten Wendung
des Schiffes schon sehr gefürchtet, es auf eine Corallen-
bank laufen zu sehen. Dies Unglück wiederfuhr einem der
französischen Kriegsschiffe, das nun schon seit mehreren
Monaten hier vor Anker liegt und mit der Ausbefferung
des Schadens beschäftiget ist.
Noch war der Anker nicht gefallen, so umgaben uns
schon ein halb Dutzend Piroguen (Kähne) mit Indianern,
die von allen Seiten auf das Deck kletterten und uns
Früchte und Muscheln anboten, aber nicht wie einst, gegen
rothe Lappen oder Glasperlen, – diese goldenen Zeiten
für die Reisenden sind vorüber – sie verlangten Geld und
waren in ihrem Handel so gewinnsüchtig und geschickt
wie die civilisiertesten Europäer. Ich bot einem der India-
152
ner ein Ringelchen von Bronce; er nahm es, beroch es,
schüttelte den Kopf und gab mir sogleich zu verstehen,
daß es nicht von Gold sei. Er bemerkte einen Ring an
meinem Finger, faßte nach meiner Hand, beroch eben-
falls den Ring, verzerrte das Gesicht in ein freundliches
Lächeln und deutete mir an, ihm diesen zu geben. – Ich
hatte späterhin mehrfache Gelegenheit zu bemerken, daß
diese Insulaner das echte Gold vom falschen durch den
Geruch zu unterscheiden verstehn.
Die Insel Taiti fand vor mehreren Jahren unter
englischen Schutze, genießt aber jetzt den französichen. Lange
war sie ein Zankapfel zwischen beiden Nationen, bis im
November 1846 Friede geschloffen wurde. Die Königin
Pomare, die sich nach einer andern Insel geflüchtet hatte,
war vor fünf Wochen nach Papeiti zurückgekommen. Sie
bewohnt hier ein Häuschen von vier Zimmern und speist
täglich fammt Familie beim Gouverneur. Die französische
Regierung läßt ihr ein anständiges Haus bauen und gibt
ihr jährlich eine Pension von 25 000 Franken. Sie darf
keinen Fremdenbesuch ohne Bewilligung der französischen
Behörde empfangen; man erhält aber diese Bewilligung
sehr leicht.
Papeiti war voll französischen Militairs, und mehrere
Kriegsschiffe lagen im Hafen.
Der Ort hat 3–400 Einwohner, und besteht aus
einer Reihe kleiner hölzerner Häuschen längs des Hafens,
die durch Gärtchen getrennt sind. Im Hintergrunde schließt
sich unmittelbar ein schöner Wald an, in welchem noch
viele Hütten zerstreut liegen.
Die vorzüglichsten Gebäude sind: das Haus des Gou-
153
verneurs, die französischen Magazine, das Militär-Back-
haus, die Kaserne und das Haus der Königin, das aber
noch nicht ganz fertig war. Uebrigens wurden überall
viele kleine hölzerne Häuser, häufig nur aus einem Zim-
mer bestehend, gebaut, um dem Mangel an Wohnungen
so schnell als möglich abzuhelfen, der zur Zeit meiner An-
wesenheit so groß war, daß selbst höhere Offiziere mit
den erbärmlichsten indianischen Hütten vorlieb nehmen
mußten.
Ich suchte vergebens irgend ein Kämmerchen zur
Miethe zu bekommen und ging von Hütte zu Hütte; aber
alles war besetzt. Ich mußte mich endlich mit einem
Fleckchen in einer Hütte begnügen. Dies fand ich bei
einem Zimmermanne, in dessen Gemache bereits vier Per-
fonen wohnten. „Man wies mir einen Platz hinter der
Thüre an, der gerade sechs Fuß lang und vier Fuß breit
war. Der Boden war nicht gedielt – die Wände be-
fanden aus Staketen – von einem Bettgestelle oder einem
Stuhle war keine Rede, und dennoch mußte ich pr. Woche
1 fl. 30 kr. C. M. bezahlen.
Die Wohnung oder Hütte eines Indianers besteht
entweder aus einem Palmblätterdache, das auf mehreren
Pfählen ruht, oder auch aus Wänden von Staketen. Jede
Hütte bildet nur ein Gemach, das von 20 bis 50 Fuß
lang, von 10 bis 30 Fuß breit ist, und oft mehrere
Familien zugleich beherbergt. Die Einrichtung bilden
schön geflochtene Strohmatten, einige Decken, ein Paar
hölzerne Kisten und einige Schemel; letztere gehören
aber schon zum Ueberfluffe. Der Kochgeschirre bedürfen
die Indianer nicht, ihre Gerichte sind ohne Suppen und
Saucen, und werden ganz einfach zwischen glühenden Stel-
nen gebraten. Ihr ganzes Bedürfniß besteht aus einem
Meffer und einer Cocuschale als Gefäß für das Waffer.
Vor den Hütten oder am Strande liegen ihre Piro-
gen (ausgehöhlte Baumstämme), die so schmal, feicht und
klein sind, daß sie stets umstürzen würden, wenn nicht an
einer der Seiten oben und unten fünf bis sechs Fuß lange
Stangen befestiget wären, die durch eine Querstange ver-
bunden sind und so das Gleichgewicht erhalten. Deffen
ungeachtet schlägt ein solcher Kahn, wenn man nicht äu-
ßerst vorsichtig einsteigt, sehr leicht um, und als ich einmal
damit an unser Schiff gefahren kam, erschrack der gute
Kapitän fehr, zankte mich sogar in seiner Gutmüthigkeit
aus und beschwor mich, es ein zweites Mal nicht mehr zu
versuchen.
Der Anzug der Indianer ist seit der Niederlaffung
der Miffionäre (ungefähr 50 Jahre) ziemlich anständig,
besonders in der Nähe Papeili's. Männer und Weiber
tragen eine Art Schürze aus farbigem Zeuge, Pareo ge-
nannt, die sie um die Lenden schlagen. Bei den Weibern
reicht dieser Pareo bis an die Knöchel, bei den Männern
bis über die Schenkel. Die Männer haben darüber ein
kurzes farbiges Hemd und darunter auch häufig eine weite
Hose – die Weiber eine Art langer, faltenreicher Blouse.
Beide Geschlechter tragen Blumen in den Ohrläppchen,
welch letztere so stark durchstochen sind, daß der Stängel
jeder Blume leicht durchgezogen werden kann. Die In-
dianerinnen, alt und jung, schmücken sich außerdem mit
Blätter- und Blumenkränzen, welche die höchst kunstvoll
155
und zierlich zu verfertigen verstehen. Auch Männer fah
ich häufig Blätterkränze tragen.
Bei festlichen Gelegenheiten werfen sie über den ge-
wöhnlichen Anzug noch ein Oberkleid, Tiputa genannt,
deffen Stoff sie selbst verfertigen, und zwar von der Rinde
des Brod- und Cocusbaumes. Die Rinde wird, wenn
sie noch zart ist, mit Steinen so lange geklopft, bis sie
dünn wie Papier ist, und hierauf gelb und braun gefärbt.
Eines Sonntags ging ich in das hölzerne Bethaus,
um das Volk versammelt zu sehen*). Vor dem Eintritte
in das Gotteshaus legten alle ihre Blumen ab, mit denen
sie sich beim Herausgange wieder schmückten. Einige der
Indianerinnen hatten schwarze Atlas-Blousen an und euro-
päische, höchst altmodische Damenhüte auf. Man konnte
nicht leicht etwas häßlicheres sehen, als diese plumpen
Köpfe und Gesichter unter den Damenhüten.
Während die Psalmen gesungen wurden, herrschte
einige Aufmerksamkeit, und viele vom Volke fangen ganz
artig mit. Beim Vortrage des Geistlichen aber bemerkte
ich auch nicht die geringste Andacht – die Kinder spiel-
ten, schäkerten und aßen, die Erwachsenen schwatzten oder
schliefen, und obwohl man mich versicherte, daß viele der
Eingebornen lesen und sogar schreiben könnten, sah ich
doch nur zwei Greise von ihren Bibeln Gebrauch machen.
Der Menschenschlag ist ausgezeichnet kräftig und
stark. Männer von sechs Fuß Höhe gehören nicht zu den
Seltenheiten. Die Weiber sind ebenfalls sehr groß, aber
*) Alle Indianer find Christen (Protestanten), aber wohl
nur dem Namen nach. -
T156
gar zu kräftig – man könnte sie plump nennen. Die Ge-
sichtszüge der Männer sind hübscher als jene der Frauen.
Sie haben sehr schöne Zähne und dunkle schöne Augen,
aber meist einen großen Mund, dicke Lippen und häßliche
Nasen. Man drückt den neugebornen Kindern den Nasen-
knorpel ein wenig ein, wodurch die Nase flach und breit
wird. Diese Mode scheint beim weiblichen Geschlechte
besonders beliebt zu sein, denn bei ihnen sieht man die
häßlichsten Nasen. Das Haar ist kohlschwarz und dicht,
aber grob; Weiber und Mädchen tragen es gewöhnlich
in einen oder zwei Zöpfe geflochten. Die Hautfarbe ist
kupferbraun. Tätowirt sind alle, meist von den Hüften
bis über die halben Schenkel; selten erstreckt sich diese
Zierde auf Hände, Füße, oder andere Theile des Körpers.
Die Zeichnungen erscheinen arabeskenartig, sehr regelmäßig,
kunstvoll zusammengesetzt und geschmackvoll ausgeführt.
Daß die Menschen hier so kräftig und schön gebaut
find, ist um so wunderbarer, wenn man weiß, wie ausge-
laffen und sittenlos die leben. Mädchen von sieben bis acht
Jahren haben ihre kleinen Liebhaber von zwölf bis dreizehn
Jahren, worüber sich die Eltern sehr freuen. Je größer
die Zahl der Liebhaber, desto mehr Ehre für das Mäd-
chen. So lange ein Mädchen nicht verheirathet ist, lebt
sie so ungebunden als nur immer ein Wüstling zu leben
vermag – selbst als Weiber sollen sie nicht die getreuesten
Gattinnen fein.
Ich hatte mehrmals Gelegenheit ihren Tänzen bei-
zuwohnen. Es sind dies die unanständigsten, die ich je
gesehen. Und dennoch würde mich jeder Maler um solch
eine Scene beneiden. Man denke ich einen Hain von
157
prächtigen Palmen und andern Riesenbäumen der heißen
Zone, darunter offene Palmenhütten und eine Schaar fröh-
licher Indianer, die sich versammeln, um den herrlich her-
annahenden Abend nach ihrer Art zu feiern. Sie bilden
vor einer der Hütten einen Kreis, in defen Mitte zwei
herkulische, halbnackte Indianer sitzen, die auf kleine
Trommeln nach dem Takte tapfer schlagen. Fünf ähnliche
Koloffe sitzen vor ihnen und machen mit dem Oberkörper
die schrecklichsten und heftigsten Bewegungen – ganz be-
fonders mit den Armen, Händen und Fingern; von letz-
teren wissen sie jedes Glied einzeln zu bewegen. Es schien
mir, als wollten sie durch diese Geberden vorstellen, wie
sie den Feind verjagen, seiner Feigheit spotten, sich ihres
errungenen Sieges freuen u. f. w. Dabei stoßen sie fort-
während ein mißtönendes Geheul aus und verzerren die
Gesichter auf das gräßlichste. Im Anfange wüthen die
Männer ganz allein auf dem Schauplatze, bald aber für-
zen zwei weibliche Gestalten aus den Reihen der Zuseher
hervor und tanzen und toben wie Beseffene; – je un-
anständiger, frecher und ausgelaffener ihre Geberden und
Bewegungen sind, desto stürmischer fallen die Veifallsbe-
zeigungen aus. – Die ganze Vorstellung währt höchstens
zwei Minuten, die Pause der Ruhe nicht viel länger, wor-
auf sie wieder aufs neue beginnen. Eine solche Unter-
haltung dauert oft Stunden lang fort. Jünglinge neh-
men selten Theil am Tanze.
Eine große Frage ist, ob der Unsittlichkeit der In-
dianer durch das Benehmen der gebildeten Franzosen ge-
steuert wird?! So viel ich beobachtete oder auch von er-
fahrenen Leuten vernahm, mag vor der Hand wenig zu
158
hoffen sein. – Im Gegentheile lernen die Eingebornen jetzt
eine Menge unnöthiger Bedürfniffe kennen, in Folge deren
die Begierde nach Geld in ihnen schrecklich erwacht ist. Da
sie nun von Natur aus sehr träge sind und durchaus nicht
arbeiten wollen, so haben sie das weibliche Geschlecht zum
Mittel des Erwerbes ausersehen. Eltern, Geschwister, ja
Ehemänner führen ihre Angehörigen den Fremdlingen zu.
Die Weiber sind es auch zufrieden, indem sie so auf leichte
Art Putz für sich und Geld für die Ihrigen erlangen.
Jedes Haus eines Offiziers ist das Stelldichein mehrerer
eingeborner Schönen, die da zu jeder Stunde des Tages
aus- und eingehen. Selbst außer dem Hause nehmen
sie es nicht sehr genau, sie begleiten gleich jeden Mann,
und keiner der Herren entzieht sich solch einer Begleiterin.
Als Frau in vorgerücktem Alter ist es mir wohl er-
laubt, über derlei Gegenstände Bemerkungen zu machen,
und ich muß offen gestehen, daß, obwohl ich viel in der
Welt herum gereist bin und viel gesehen habe, mir noch
nie so ein öffentlich schamloses Betragen vorgekommen ist.
Ich will nur einer kleinen Scene erwähnen, welche
sich einst vor meiner Hütte zutrug und als Beleg meiner
Behauptung dienen mag.
Vier dicke Grazien kauerten in gar anmuthigen Stel-
lungen beisammen auf dem Boden und rauchten Tabak.
Da kam ein Offizier vorüber, erblickte das reizende Bild
und siehe – er eilte im Sturmschritte darauf zu und er-
faßte eine der Holden an der Schulter. Anfangs sprach
er in sanften Worten zu ihr, die sich aber bald unter stei-
gendem Zorne in ein gewaltiges Schreien und Schimpfen
verwandelten. Doch weder Bitten noch Drohungen mach-
159
ten den geringsten Eindruck auf das zartfinnige Wesen; es
blieb ruhig in seiner Stellung, rauchte gemüthlich fort und
würdigte den wuthentbrannten Seladon keines Blickes,
viel weniger eines Wortes. Der erboste Geliebte vergaß
sich so weit, dem Mädchen die goldenen Reifen aus den
Ohren zu lösen und ihr zu drohen, die all' des Putzes zu
berauben, den er ihr geschenkt habe. Auch dies war
nicht vermögend, das Mädchen aus ihrem stumpfen Gleich-
muth zu bringen, und der tapfere Offizier sah sich am Ende
gezwungen das Feld zu räumen.
Aus den Reden, die er halb in französischer, halb
in der Landessprache hielt, entnahm ich, daß ihn das
Mädchen in Zeit von drei Monaten an vier hundert Fran-
ken gekostet, die er für Putz und Geschmeide ausgegeben
hatte. Ihre Wünsche waren nun erfüllt, und sie ließ ihn
ohne weiters laufen.
Ich hörte sehr häufig das Gefühl, die Anhänglichkeit
und Güte dieses indianischen Völkleins rühmen; kann aber
hierin nicht unbedingt beistimmen. Ihre Güte will ich
gerade nicht bestreiten: Sie laden den Fremdling bereit-
willig zum Mahle, schlachten wohl auch seinetwegen ein
Schweinchen, theilen ihr Lager mit ihm u. f. w.; allein
das sind Dinge, die ihnen keine Mühe machen, – und bietet
man ihnen Geld dafür, so nehmen sie es ziemlich gierig,
ohne sich auch nur dafür zu bedanken. Gefühl und An-
hänglichkeit aber möchte ich ihnen beinahe ganz absprechen;
ich fah nur Sinnlichkeit und keine der edlen Leidenschaf-
ten. Im Verlaufe meiner Reifen auf dieser Insel werde
ich wiederholt darauf zu sprechen kommen.
Am 1. Mai ward ich Zeuge einer äußerst interes-
16(!)
fanten Scene. Es wurde das Namensfest des französischen
Königs Louis Philipp gefeiert, und der Gouverneur,
Herr Bruat, bot alles auf, das taitische Völkchen aufs
befte zu unterhalten. Des Vormittags führten die
französischen Matrosen ein kleines Kampfspiel zur See
aus. Mehrere Boote, mit tüchtigen Ruderern versehen,
stachen in die See. Am Vordertheile jedes Bootes war
eine Art Treppe oder Leiter errichtet, auf welcher ein
Kämpfer, mit einem Stocke versehen, fand. Die Boote
wurden ganz nahe zusammen gelenkt, und die Kämpfer
versuchten einer den andern von seinem Standpunkte in
die See zu stoßen. – Ferner war ein Maibaum errichtet,
an dessen Spitze farbige Hemden, Bänder und andere Klei-
nigkeiten flatterten, die jedem, der hinaufklettern wollte, zu
Gebote standen. – Mittags wurden die Chefs und Vorneh-
men des Volkes bewirthet. Auf dem Wiesenplatze vor
des Gouverneurs Hause wurden Lebensmittel, als: ge-
falzenes Fleisch, Speck, Brod, gebratene Schweine, Früchte
u. d. g. in vielen Haufen aufgeschichtet. Aber statt daß
sich die Gäste herumlagerten, wie man vermuthet hatte,
fo theilten die Chefs alles in Portionen, und jeder trug
feinen Theil nach Hause. – Abends war Feuerwerk und
Ball.
Nichts fand ich interessanter als diesen Ball. Hier fah
man die schroffen Gegensätze von Kunst und Natur –
die elegante französische Dame neben der plumpen, brau-
nen Indianerin, den Stabsoffizier in voller Uniform neben
dem halbnackten Insulaner. Viele der Eingebornen hat-
ten zwar diesen Abend weite, weiße Hosen an und ein
Hemd darüber; doch gab es auch andere, die außer dem
T6U
Pareo und dem kurzen Hemde keine weiteren Kleider auf
dem Körper hatten. Einen häßlichen Anblick gewährte in
diesem Anzuge einer der Chefs, der mit der Elephan-
tiafis *) behaftet war.
Ich sah diesen Abend die Königin Pomare zum
erftenmal. Sie ist eine Frau von 36 Jahren, groß und
plump gebaut, doch noch ziemlich gut erhalten. (Ueberhaupt
fand ich, daß die Weiber hier weniger schnell verblühen
als unter andern heißen Himmelstrichen.) Das Gesicht
ist nicht übel und ein äußerst gutmüthiger Zug spielt
um Mund und Kinn. Sie war in ein Kleid oder viel-
mehr in eine Art Blouse von himmelblauem Atlas ge-
hüllt, um welche kostbare schwarze Blonden in doppelten
Reihen genäht waren. In den Ohren trug sie große
Jasminblüthen, im Haare einen Blumenkranz – in der
Hand hielt die höchst zierlich ein feines Taschentuch, das
schön gestickt und mit breiten Spitzen besetzt war. Für
diesen Abend hatte sie ihre Füße in Strümpfe und Schuhe
gezwungen (sonst geht sie barfuß). Der ganze Anzug
war ein Geschenk des Königs von Frankreich.
Der Königin Gemahl, jünger als sie, ist der schönste
Mann auf Taiti. Die Franzosen nennen ihn scherzweife:
Prinz Albert von Taiti, nicht nur seiner Schön-
heit wegen, sondern auch, weil er, wie Prinz Albert in
England, nicht König, sondern nur „Gemahl der
*) Die Elephantiafis äußert sich auch hier gewöhnlich an den
Füßen bis an die Schenkel hinauf. Diese Theile des Kör-
pers find dann hoch angeschwollen, voll Schuppen und Fin-
nen, so daß man fie wahrlich für Elephanten-Füße halten
könnte. -
Pfeiffers Reise, 1. Th. 1 1
162
Königin“ genannt wird. Er hatte eine französische
Generalsuniform an, die ihm sehr gut ließ, um so mehr
da er sich recht gut darein zu schicken wußte; nur durfte
man seine Füße nicht beobachten, sie waren gar zu plump
und häßlich geformt.
Außer diesen beiden hohen Personen befand sich noch
ein königliches Haupt in der Gesellschaft, der König
Otoume, Besitzer einer der benachbarten Inseln. Dieser
fah höchst komisch aus: er hatte über weite, aber kurze
weiße Beinkleider einen Männer-Rock von schwefelgelbem
Kattun, der ganz gewiß von keinem Pariser Künstler ge-
macht war, denn er erschien als eine wahre Musterkarte
von lauter Fehlern. Dieser König ging barfuß.
Die Gesellschafts-Damen der Königin, vier an der
Zahl, die Frauen und Töchter der Chefs waren meist in
Blousen von weißem Mouslin gekleidet. Sie hatten auch
Blumen in den Ohren und Kränze in den Haaren. Ihr
Benehmen, ihre Haltung war im Durchschnitt zum Erstau-
nen gut. Ja, drei der jungen Damen tanzten sogar mit
Offizieren die französische Quadrille, ohne die Figuren
zu verfehlen. Nur war ich stets für ihre Füße bange,
denn außer dem königlichen Ehepaar trug Niemand
Schuhe oder Strümpfe. – Einige alte Weiber erschie-
nen in europäischen Damenhüten. Junge Weiber brach-
ten ihre Kinder mit, sogar die ganz kleinen, denen
fie, um sie zur Ruhe zu bringen, ohne Umstände vor
aller Augen die Brust reichten. ---
Ehe man zu Tische ging, verlor sich die Königin
in ein Nebengemach, um einige Cigarren zu rauchen;
ihr Gemahl vertrieb sich die Zeit am Billard.
163
Bei Tische kam ich zwischen Prinz Albert von
Taiti und den kanariengelben König Otoume
zu sitzen. Beide waren in der Bildung schon so weit ge-
kommen, mir die gewöhnlichen Tisch-Aufmerksamkeiten zu
erweisen, als: das Glas mit Waffer oder Wein anzu-
füllen, die Speisen zu reichen, u. f. w. Man sah, daß sie
sich Mühe gaben, die europäischen Sitten so viel als mög-
lich zu erlernen. Nichts desto weniger fielen doch dann
und wann einige der Gäste aus ihrer Rolle; – so ver-
langte z. B. die Königin beim Deffert einen zweiten Tel-
ler, den sie mit Näschereien anfüllte und bei Seite stellen
ließ, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Andere mußte
man abhalten, dem edlen Champagnerwein nicht gar zu
sehr zuzusprechen; doch ging die Unterhaltung im ganzen
fröhlich und anständig zu Ende.
In der Folge speiste ich mehrmals in Gesellschaft
der königl. Familie beim Gouverneur. Die Königin erschien
dabei in ihrer Landestracht, mit dem farbigen Pareo und
dem Hemde, eben so der Gemahl, – beide gingen barfuß
Der künftige Thronerbe, ein Knäblein von neun Jahren,
ist mit der Tochter eines benachbarten Königs verlobt.
Die Braut, einige Jahre älter als der Prinz, lebt am
Hofe der Königin Pomare und wird in der christlichen Reli-
gion, in der taitischen und englischen Sprache unterrichtet.
Im Hause der Königin geht es höchst einfach zu.
Vor der Hand, bis das Steinhaus, das ihr von dem fran-
zösischen Gouvernement gebaut wird, fertig ist, bewohnt
fie ein hölzernes Häuschen von vier Zimmern, welche zum
Theil mit europäischen Möbeln versehen sind.
Da auf Taili Frieden geschloffen war, konnte man
11*
ungehindert die ganze Insel durchstreifen. Ich hatte von
meinem Kapitän vierzehn Tage Urlaub und wünschte diese
Zeit zum Theil auf Bereisung des Eilandes zu verwen-
den. Ich dachte, mich an einen der Offiziere anschließen
zu können, die häufig im Auftrage der Regierung die In-
fel bereisen mußten; fand aber zu meinem Befremden,
daß man mir immer ganz besondere Ursachen angab, war-
um man mich gerade diesmal nicht Theil an der Reise
nehmen laffen konnte. Ich wußte mir diese Ungefälligkeit
durchaus nicht zu erklären, bis mir endlich einer der Off-
ziere selbst das Räthel löste – jeder der Herren reiste
nämlich mit feinem Mädchen.
Herr ....*), der mir dies Geheimniß vertraute, bot
sich an, mich nach Papara, wo er wohnte, mit zu nehmen,
aber auch er sei nicht ohne Gesellschaft. Außer feiner
Freundin gehe Tati, der vornehmste Chef der Insel, fammt
Familie mit. Dieser letztere war nach Papeitigekommen,
um den Festen des ersten Mai beizuwohnen.
Wir gingen am 4. Mai in einem Boote zur See,
um längs der Küste nach Papara (36 Seemeilen) zu
fahren. Ich fand in dem Chef Tati einen beinah neun-
zigjährigen munteren Greis, der sich noch sehr gut der
zweiten Landung des berühmten Weltumseglers Cook zu
erinnern wußte. Sein Vater war damals erster Chef ge-
wesen, hatte Freundschaft mit Cook geschloffen, und, wie
es zur selben Zeit noch Sitte auf Taiti war, auch den
Namen mit ihm gewechselt.
Tati genießt von der französischen Regierung eine
*) Ich nenne auf Taiti absichtlich keinen Namen der Herren; ich
glaube nur, mir dadurch ihren Dank zu verdienen.
I65%
jährliche Pension von 6000 Franken, die nach seinem
Tode dem ältesten Sohne zufällt.
Er hatte ein junges Weib und fünf seiner Söhne mit;
erstere zählte 23, letztere 12 bis 18 Jahre. Die Kinderstamm-
ten von andern Ehen – die Frau war seine fünfte Gattin.
Da wir erst gegen Mittag Papeiti verlaffen hatten,
die Sonne bald nach sechs Uhr untergeht und die Fahrt
zwischen den unzähligen Klippen höchst gefährlich ist, so
landeten wir in Paya (22 Seemeilen), wo ein echter
Sohn Tati's als Chef herrsche.
Die Insel ist von allen Seiten von schönen Gebirgen
durchzogen, deren höchster Gipfel, der Oroena, 6200 Fuß
Höhe hat. In der Mitte der Insel theilen sich die Berge,
und ein ganz wunderbarer Felsstock steigt aus ihrer Mitte
hoch empor. Er hat die Form eines mit mehreren Spitzen
versehenen Diadems und führt auch deßhalb den Namen
„Diadem. Rund um die Gebirge schlingt sich ein vier-
bis sechshundert Schritte breiter Gürtel, der bewohnt ist
und in schönen Waldungen die köstlichsten Früchte birgt.
Nirgends aß ich die Brotfrucht, Mango, Orange, Guava,
so gut als hier. Mit der Cocosnuß geht man so ver-
schwenderisch um, daß man gewöhnlich nur das darin
enthaltene süße Waffer trinkt und Kern und Schaale weg-
wirft. Auf den Gebirgen und in den Schluchten gibt es
auch eine Menge Pifangs (eine Gattung großer Bananen
oder Fehlis), die man aber nur gebraten zu genießen pflegt.
Die Hütten der Eingebornen liegen nahe am Meeresstrande
zerstreut umher; selten fieht man ein Dutzend solcher Hüt-
ten beisammen. „.
Die Brotfrucht hat ungefähr die Form einer Waf-
166
fermelone und wiegt vier bis sechs Pfund. Die Schale
ist grün, etwas rauh und dünn. Die Indianer schaben
fie mit scharfen Muscheln ab, spalten sie der Länge nach
in zwei Theile nnd rösten sie zwischen glühenden Steinen.
Sie schmeckt köstlicher und feiner als Kartoffeln und dem
Brote so ähnlich, daß man letzteres sehr leicht entbehren
kann. Die Südsee-Inseln sind das eigentliche Vaterland
dieser Frucht, die zwar in andern Tropengegenden auch
vorkömmt, aber von der hiesigen gänzlich verschieden ist.
In Brasilien z. B., wo man die Affenbrot nennt, ist sie
von gelblichter Farbe, wiegt fünf- bis dreißig Pfund und
ist im Innern voller Kerne, die, wenn die Frucht ge-
braten ist, herausgenommen und verzehrt werden. Der
Geschmack dieser Kerne gleicht jenem der Kastanien.
Der Mango, eine apfelähnliche Frucht, ist von der
Größe einer Männerfaust; Schale und Fleisch find gelb.
Er schmeckt ein wenig nach Terpentin, verliert aber diesen
Beigeschmack, je reifer er wird. Diese Frucht gehört zu
einer der besten; sie ist fleischig und fafreich, schmeckt
sehr süß und hat einen länglich breiten Kern in der Mitte.
Die Brot- und Mangobäume wachsen hoch und umfangs-
reich. Die Blätter der ersteren sind an 3 Fuß lang, andert-
halb Fußbreit und sehr tiefeingezackt, die Blätter der letzte-
ren nicht bedeutend größer als jene unserer Apfelbäume.
Bevor wir Paya erreichten, kamen wir an einigen
intereffanten Orten vorüber, wie an Foar, einem kleinen
französischen Fort, auf einem Hügel gelegen. Bei Taipari
muß man zwischen zwei gefährlichen Brandungen durch-
schiffen, die man des „Teufels Einfahrt“ nennt. Die
zischenden Wogen schlagen so mächtig und hoch auf, daß
T67
man sie für Wälle halten könnte. – In der Ebene bei
Pumavia liegt ein großes Fort, das von mehreren Thür-
men, die auf nahe Hügel gebaut sind, unterstützt wird.
Bei diesem Punkte ist die Gegend reizend. Die Gebirge
öffnen sich und man kann weithin die Krümmungen einer
pittoresken Thallschlucht verfolgen, deren Hintergrund der
schwarze, hohe Felsberg Olofena bildet.
Nicht minder als die schöne Natur, beschäftigte mich
auch der Meeresgrund. Unser Boot glitt über zahllose
Untiefen, in welchen das Waffer durchsichtig wie Krystall
war, so daß man jedes Steinchen am Grunde sehen
konnte. Da gab es Gruppen und Zusammensetzungen
von farbigen Korallen und Madreporen, deren Schönheit
mit nichts zu vergleichen war. Mit Recht könnte man
behaupten, daß man in der Meerestiefe feenartige Blumen-
und Gemüsegärten erblicke. Ich fah riesige Blumen,
Blüthen und Blätter, und wieder Schwämme und Ge-
müse jeder Art wie durchbrochene Arabesken-Zeichnungen
und niedliche, farbige Felsgruppen. Wunderbare Muscheln
hingen daran, oder lagen daneben auf dem Grunde, und
kleine bunte Fische schwärmten dazwischen wie Schmetter-
linge und Kolibris. Diese zarten Fische waren kaum vier
Zoll lang und von einem Farbenspiele, wie ich noch nie
etwas ähnliches gesehen habe. Viele schimmerten vom
reinsten Himmelblau, andere lichtgelb, wieder andere
beinahe durchsichtig braun, grün u. f. w.
Als wir gegen sechs Uhr Abends zu Paya angekom-
men waren, ließ der junge Tati zu Ehren seines Vaters
ein 18 bis 20 Pfund fchweres Schweinchen schlachten und
auftaitische Weise zubereiten. In einer seichten Grube,
168
in welcher viele Steine lagen, wurde ein tüchtiges Feuer
gemacht. Man brachte hierauf eine Menge Brotfrüchte
(Majoré), die abgeschabt und mit einem sehr schneidigen,
hölzernen Beil in zwei Theile gespalten wurden. Nach-
dem das Feuer abgebrannt und die Steine gehörig erhitzt
waren, gab man das Schwein und die Früchte darauf,
legte noch einige der erhitzten Steine darüber und deckte
das Ganze mit grünen, belaubten Zweigen, mit dürrem
Blätterwerke und mit Erde zu.
Während die Speisen zwischen den Steinen schmor-
ten, machte man die Tafel zu recht. Eine Strohmatte
wurde auf den Boden gebreitet und mit großen Blättern
belegt. Für jeden Gast stellte man eine Cocoschale hin,
die halb mit Miti gefüllt war, einem säuerlichen Getränke,
das aus der Cocospalme gewonnen wird.
Nach anderthalb Stunden grub man die Speisen aus.
Das Schwein wurde zwar nicht kunstgerecht und auch
nicht sehr appetitlich, dafür aber mit Blitzesschnelle zer-
legt. Ein Meffer und die Hand zerriffen das Thier
in so viele Theile, als Gäste damit abzuspeisen waren.
Jedem wurde dann ein Antheil nebst einer halben Brot-
frucht auf einem großen Blatte gereicht. Außer dem Offizier,
seinem Mädchen, dem alten Tati, einer Frau und mir,
saß niemand an unserer ländlichen Tafel, da es gegen die
Landessitte ist, daß der Gastgeber mit dem Gaste ißt oder die
Kinder mit den Eltern speisen. Außer dieser Ceremonie fah
ich keinen weitern Beweis von Liebe oder Herzlichkeit zwischen
dem Vater und dem Sohne. So mußte z. B. der neunzig-
jährige Greis, der noch dazu, an einem heftigen Husten
litt, unter einem leichten, luftigen Dache die Nacht zu-
169
bringen, während der Sohn in der wohlgedeckten Hütte
schlief
Am 5. Mai verließen wir Teipari mit leerem Magen.
Der alte Tati wollte uns auf einer feiner Besitzungen, die
zwei Stunden von hier entfernt lag, bewirthen.
Als wir dort angekommen waren und die Steine
für unser Mahl erhitzt wurden, kamen mehrere der
Eingebornen aus den nahen Hütten herbei, um von die-
fer Kochgelegenheit Gebrauch zu machen. Sie brachten
Fische, Stücke von Schweinefleisch, Brotfrüchte, Pisang's
u. f. w. mit. . Fische und Fleisch waren in große Blätter
eingeschlagen. Für uns wurde nebst Brotfrucht und Fischen
eine Seeschildkröte von vielleicht mehr denn zwanzig Pfund
bereitet. Wir hielten die Mahlzeit in einer Hütte ab,
wohin alsbald die ganze Nachbarschaft kam, sich etwas
abseits von uns Hauptpersonen in verschiedenen Gruppen
formierte und die mitgebrachten Gerichte verspeiste. Jeder
hatte eine Cocosschaale voll Miti vor sich, worein er
jeden Biffen warf; derselbe wurde dann mit der Hand wieder
herausgefischt und am Ende des Mahles der Rest ausgetrun-
ken. Uns hatte man frisch gepflückte, angebohrte Cocosnüffe
vorgesetzt, deren jede gewiß über einen Schoppen reines,
süß schmeckendes Waffer enthielt. Man nennt dieses Waffer
bei uns fälschlich „Milch“; es wird aber erst dick und
milchweiß, wenn die Nuß schon ganz alt ist, in welchem
Zustande sie hier nicht mehr genoffen wird.
Der Tati fammt Familie blieb hier zurück und wir
setzten unsern Weg nach Papara (1 Stunde) zu Fuße fort.
Der Weg war allerliebst; er führte meist durch dichte
Haine von Fruchtbäumen, nur durfte man nicht waffer-
170
fcheu sein, denn mehr als ein halbes Dutzend Mal muß-
ten wir Flüffe und Bäche durchwaten.
Herr . . . . besaß zu Papara einige Ländereien nebst
einem hölzernen Häuschen von vier Zimmern. Er war
fo gefällig, mich in seiner Behausung aufzunehmen.
Wir erfuhren hier den Tod eines der Söhne Tati's
(welcher deren 21 gehabt hatte); der Sohn war schon seit 3
Tagen gestorben, und man erwartete nur den Vater, um jenem
die letzte Ehre zu erweisen. – Ich hatte zwar einen Ausflug
nach dem Binnensee Vaihiria vorgehabt, verschob denselben
aber, um den stattzufindenden Begräbnißfeierlichkeiten beizu-
wohnen. Am folgenden Morgen (6. Mai) besuchte ich die
Hütte des Verstorbenen. Herr.... gab mir ein neues Sack-
tuch mit, um es dem Todten als Geschenk zu überbringen –
ein Gebrauch, den das taitische Volk aus seinem alten Glau-
ben ins Christenthum mitgenommen hat. Diese Geschenke
sollen den Geist des Todten beruhigen. Der Leichnam
lag in einem schmalen Sarge auf einer niedern Bahre;
beide waren mit einem weißen Laken überdeckt. Vor der
Bahre hatte man zwei Strohmatten ausgebreitet, auf
deren einer die Kleidungsstücke, das Trinkgefäß, Meffer
u. f. w. des Verstorbenen lagen, während auf der andern
die Geschenke zur Schau gestellt waren. Letztere bildeten
einen ganzen Haufen von Hemden, Pareos, Stücken Zeu-
ges u. f. w. – alles so neu und hübsch, daß man einen
kleinen Kramladen ganz artig damit hätte ausstatten kön-
1NEN.
Der alte Tati kam alsbald in die Hütte, hielt sich
aber nur einige Augenblicke auf, da der Tode schon ganz
abscheulich roch, und kehrte ins Freie zurück. Er setzte
171
sich unter einen Baum und schwatzte mit den Nachbarn hei-
ter und ruhig, wie wenn nichts vorgefallen wäre. In
der Hütte faßen die weiblichen Verwandten und Nachba-
rinnen, die sich ebenfalls ganz gemüthlich unterhielten
und dabei aßen und rauchten. Ich mußte mir die Gattin,
die Kinder und Verwandten des Verstorbenen zeigen laffen;
– an ihrer Miene hätte ich sie nicht erkannt. Nach
einiger Zeit erhoben sich die Stiefmutter und die Gattin,
warfen sich über den Sarg und heulten eine halbe Stunde
lang; doch merkte man wohl, daß es nicht von Herzen
kam. Das Ding ging beständig aus einem und demselben
Tone. Beide kehrten hierauf mit freundlicher Miene, mit
trockenem Auge wieder an ihren Platz zurück und fähie-
nen das Gespräch dort fortzusetzen, wo sie es abgebrochen
hatten. – Am Strande wurde des Verstorbenen Piroge
verbrannt. -
Ich hatte genug gesehen und kehrte heim, um einige
kleine Vorkehrungen für die morgige Partie nach dem
Binnensee zu treffen. Man rechnet bis dahin 18 englische
Meilen, und die Reise ist daher in zwei Tagen bequem hin
und zurück zu machen. Ein Wegweiser begehrte nichts
destoweniger die unverschämte Summe von zehn Dollars.
Durch Vermittlung des alten Tati erhielt ich jedoch einen
solchen für drei Dollars.
Die Fußpartien auf Taiti sind höchst beschwerlich,
da man auf dieser unendlich wafferreichen Insel häufig
durch Sandstrecken und Flüffe waten muß. Ich war dazu
fehr zweckmäßig gekleidet; ich trug feste Männerschuhe,
keine Strümpfe, Beinkleider und eine Blouse, die ich
bis an die Hüften schürzte. So gerüstet trat ich am 7.
172
Mai meine kleine Reise in Begleitung des Führers an.
– Das erste Drittheil des Weges führte uns nahe an
der Küste fort, wobei ich an 32 Bäche zählte, die wir
durchschreiten mußten. Darauf ging es durch Schluchten
ins Innere der Insel; doch sprachen wir zuvor in einer
indianischen Hütte ein, um irgend eine Mahlzeit zu er-
halten. Man reichte uns freundlich einige Brotfrüchte
und kleine Fische, nahm aber sehr bereitwillig eine kleine
Gabe entgegen.
Im Innern der Insel hörten die edeln Fruchtbäume
bald auf und ihre Stelle vertraten Pisang, Tarro und
das neun bis zwölf Fuß hohe Gesträuch Oputu (Maran-
ta). Letzteres besonders wucherte in solcher Menge, daß
wir oft viele Mühe hatten durchzukommen. – Die Tarro,
welche gepflanzt wird, ist zwei bis drei Fuß hoch, hat
schöne, große Blätter und Knollenfrüchte, den Kartoffeln
ähnlich, die gebraten werden aber nicht sehr gut schmecken.
Der Piang oder die Banane ist ein zierliches Bäumchen
von 15 bis 20 Fuß Höhe mit Palmblättern, dessen Stamm
oft an acht Zoll im Durchmesser hat, aber nicht Holz,
sondern Rohr ist und unendlich leicht bricht. Die Ba-
nane gehört eigentlich zum Geschlechte der Graspflanzen
und wächst außerordentlich schnell. Im ersten Jahre hat
fie ihre Größe erreicht, im zweiten trägt die Früchte,
worauf sie abstirbt. Sie pflanzt sich durch Sprößlinge
fort, die gewöhnlich neben dem alten Stamme empor-
schießen.
Ein ziemlich breiter Gebirgsstrom, welcher sich der
Schlucht entlang über ein sehr steiniges Bett stürzt, an
vielen Stellen reißend, und in Folge des kürzlich stattge-
T73
habten Regens, oft auch über drei Fuß tief war, mußte
62 Mal durchwatet werden. Der Indianer faßte mich
bei gefährlichen Stellen an der Hand und zog mich,
oft halb schwimmend, nach sich. Das Waffer ging mir
häufig bis an die Hüften, und an ein Trockenwerden war
gar nicht zu denken. Auch der Fußpfad wurde stets müh-
famer und gefährlicher. Man hatte über Felsen und
Steine zu klettern, die noch dazu mit dem großen Laube
des Oputu derart bedeckt waren, daß man nie wußte, wohin
man den Fuß mit einiger Sicherheit setzen konnte. Ich
riß mir manche tüchtige Wunde an Händen und Füßen
und fiel oft zu Boden, wenn ich mich an dem verrätheri-
fchen Stamme eines Pifangs festhalten wollte, der unter
meinen Händen brach. Es war eine wahrhaft halsbreche-
rische, noch von wenig Offizieren ausgeführte Partie, die
von Frauen wohl nie wird unternommen werden.
An zwei Orten verengte sich die Schlucht dermaßen,
daß außer dem Strombette weiter kein Raum war. An
diesen Stellen hatten die Indianer während des Krieges
mit den Franzosen fünf Fuß hohe Steinwände aufgeführt,
um sich gegen den Feind zu vertheidigen, wenn er sie von
dieser Seite angegriffen hätte.
Nach acht Stunden hatten wir die achtzehn Meilen
zurückgelegt und eine Höhe von 1800 Fuß erstiegen. Den
See erblickten wir erst, als wir an einem Ufer fanden,
da er in einer kleinen Vertiefung liegt. Er mag höchstens
800 Fuß im Durchmesser haben. Am merkwürdigsten ist
feine Umgebung. Ein Kranz hoher, schroffer, grüner
Berge umfaßt ihn so enge, daß auch der schmalste Fuß-
pfad nicht Raum hat. Man könnte das Bett des Sees
I74
für einen ausgebrannten Krater halten, der sich mit Waffer
angefüllt hat – eine Vermuthung, welche durch die gro-
ßen Basaltmaffen, die im Vordergrunde liegen, verstärkt
wird. – Der See ist fischreich und soll eine ganz eigene
Art Fische besitzen, – ferner sagt man, er habe einen
unterirdischen Abzug, der bis jetzt noch nicht entdeckt ist.
Wer über den See fetzen will, muß entweder schwim-
men oder sich eines höchst schaudervollen Fahrzeuges be-
dienen, das jeder Indianer in Zeit einiger Minuten ver-
fertiget. Die Neugierde, eine solche Expedition zu ma-
chen, veranlaßte mich, meinem Führer zu bedeuten, daß ich
über den See wolle. Augenblicklich riß er einige Stämme
der Fehi (Piang) nieder, befestigte sie mittelst langer,
zäher Grasstängel aneinander, legte Blätter darauf, schob
sie ins Waffer und forderte mich auf, Besitz von diesem
Fragmente eines Fahrzeuges zu nehmen. Ich fühlte freilich
eine kleine Angst; würde mich aber geschämt haben, sie zu
äußern. Ich fetzte mich auf, und mein Führer, der mir
schwimmend folgte, stieß das Fahrzeug vor sich her. Glück-
lich kam ich hin und zurück; doch war mir während der
Fahrt, aufrichtig gestanden, nicht ganz gut zu Muthe.
Das Fahrzeug war klein, es ging mehr unter als über
dem Waffer – man konnte sich nirgends recht anklam-
mern und mußte jeden Augenblick befürchten über Bord
zu fallen. Ich möchte keinem Nicht-Schwimmer eine
ähnliche Fahrt anrathen.
Nachdem ich See und Umgegend sattsam betrachtet
hatte, kehrten wir auf demselben Pfade einige hundert
Schritte zurück, bis zu einer Stelle, wo wir ein Laubdach
fanden. Hier machte mein Führer sogleich ein munteres
T75
Feuer auf indianische Weise an. Er spitzte ein Stückchen
Holzfein zu und machte in ein zweites eine schmale, leichte
Rinne, worin er mit dem zugespitzten Holze so lange
rieb, bis die feinen Späne, die sich dabei ablösten, zu
rauchen begannen. Zuvor hatte er dürres Gras und Laub
bereitet, – in dieses warf er die rauchenden Späne,
nahm es dann in die Hand und schwang es mehrmals in
der Luft, worauf es alsbald lichterloh brannte. Die ganze
Operation währte kaum zwei Minuten.
Für unsere Abendmahlzeit pflückte er einige Fehi und
legte sie aufs Feuer. Dieses Element benützte ich noch
außerdem zum Trocknen meiner Kleider, indem ich mich
nahe daran setzte und von einer Seite zur andern wandte.
Halb durchnäßt und ziemlich ermüdet suchte ich nach dem
kärglichen Abendmahle gar bald mein Lager auf dürrem
Laube.
Es ist ein Glück, daß man in diesen wilden, ent-
legenen Gegenden weder Menschen noch Thiere zu fürchten
hat, – erstere sind höchst ruhig und friedliebend, und
von letzteren gibt es, außer einigen Wildschweinen keine
gefährlichen. Die Insel ist in dieser Hinsicht so bevorzugt,
daß sie weder giftige noch schädliche Reptilien oder Insek-
ten birgt. Es gibt höchstens Ratten und einige Skorpio-
nen, und letztere sind so klein und so unschädlich, daß
man sie in die Hand nehmen kann. Nur die Muskitos
fand ich hier, wie in allen südlichen Gegenden, sehr lästig.
8. Mai. In der Nacht fing es bedeutend zu regnen
an, und gegen Morgen war leider nicht die geringste Aus-
ficht auf besseres Wetter; – im Gegentheile, die Nebel-
wolken wurden immer undurchdringlicher, stürmten wie
böse Geister von allen Seiten daher und ergoffen sich in
Strömen über die schuldlose Gegend. Deffen ungeachtet
blieb uns nichts anderes übrig, als diesen üblen Launen
des Waffergottes kühnen Trotz entgegen zu fetzen und den
Weg wieder anzutreten. Schon nach der ersten halben
Stunde lief mir das Waffer überall durch, worauf ich
ruhig fortgehen konnte, da es nun nicht mehr möglich war,
noch näffer zu werden.
Als ich nach Papara zurückgekommen war, erfuhr
ich, daß Tati's Sohn noch nicht begraben sei. Die Feier-
lichkeit fand am folgenden Tage statt. – Der Priester
hielt am Grabe eine kurze Rede, und als der Sarg ein-
gesenkt war, warf man die Strohmatten, den Strohhut,
die Kleider des Verstorbenen, so wie auch einige der Ge-
fchenke ihm nach in die Grube. Die Verwandten waren
gegenwärtig, aber eben so gleichgültige Zuseher als ich.
Der Friedhof lag ganz nahe an einigen Murai. Es
find dieß die ehemaligen Begräbnißorte der Indianer, kleine
viereckichte Plätze von 3–4 Fuß hohen Steinwänden ein-
gefaßt. Man legte hier die Verstorbenen auf hölzerne
Gerüste, wo sie so lange blieben, bis das Fleisch von den
Knochen gefallen war. Letztere fammelte man dann, und
begrub sie an irgend einer einsamen Stelle.
Denselben Abend sah ich auf eine ganz merkwürdige
Art Fische fangen. Zwei Jungen gingen in die See, von
welchen der eine mit einem Stocke, der andere mit bren-
nenden Spänen bewaffnet war. Der mit dem Stocke jagte
die Fische zwischen den Steinen hervor und schlug dann
nach ihnen, zu welcher Arbeit ihm der andere leuchtete.
177
Die Jagd fiel jedoch sehr mager aus. Häufiger und er-
folgreicher wird mit Netzen gefangen.
Beinahe jeden Tag erhielt Herr . . . . Besuche von
reifenden Offizieren und deren Freundinnen. Daß es da
nicht immer am anständigsten zuging, bedarf wohl keiner
Erwähnung. Ich wollte durch meine Nähe die Herren
nicht in ihren geistreichen Gesprächen und Unterhaltungen
stören und zog es daher vor, mit meinem Buche im Zim-
mer der Dienstleute zu sitzen, die zwar auch scherzten und
lachten, bei deren Scherzen man aber doch wenigstens
nicht erröthen mußte.
Sehr komisch war es, wenn Hr. . . . . die Treue,
Anhänglichkeit und Dankbarkeit seiner Indianerin
rühmte. Hätte er doch das Benehmen seiner Schönen
in den Stunden seiner Abwesenheit gesehen! – Ich
konnte nicht umhin, einst gegen einen der Herren meine
Meinung zu äußern und mich zu wundern, wie es mög-
lich sei, diese geldgierigen, habsüchtigen Geschöpfe mit solch
unermüdeter Aufmerksamkeit und Hingebung zu behandeln,
sie so mit Geschenken zu überhäufen, jedem ihrer Wünsche
zuvorzukommen und ihre gröbsten Fehler zu entschuldigen
und zu ertragen. Man antwortete mir: daß diese Da-
men, wenn man sie nicht so behandle und beschenke,
gleich davon liefen, und daß selbst die beste Behandlung
fie nur auf kurze Zeit feßle.
Aus allem, was ich gesehen habe, kann ich nur
wieder auf meine frühere Behauptung zurückkommen, daß
das taitische Völkchen durchaus keiner edleren Gefühle fähig
ist und rein nur genießen will. Hierin wird es von
der Natur auch wunderbar unterstützt – es braucht sich
Pfeiffers Reise, 1 Th. U 2
178
feinen Unterhalt nicht im Schweiße des Angesichtes zu er-
werben. Die Insel ist überreich an köstlichen Früchten,
an Knollengewächsen, an zahmen Schweinen u. f. w.
Die Leute haben wahrlich nichts anderes zu thun, als die
Früchte zu pflücken und die Schweine zu schlachten. Deß-
halb ist es auch hier sehr schwer, jemanden zum Dienste
oder zur Arbeit zu bekommen. Der geringste Taglöhner
verdingt sich nicht unter einem Dollar per Tag; – für
zwölf Stücke Wäsche zahlt man als Waschlohn ebenfalls
einen Dollar und muß nebst dem noch die Seife dazu
kaufen. Ein Indianer, den ich in meine Dienste als
Begleiter auf meinen Ausflügen nehmen wollte, forderte
für den Tag anderthalb Dollars.
Die Rückreise von Papara nach Papeiti machte ich in
Gesellschaft eines Offiziers und seiner Freundin, – wir
legten die 36 Meilen in einem Tage zu Fuße zurück. Der
Weg führte uns an der Hütte der Mutter des uns beglei-
tenden Mädchens vorüber, wo selbst man uns mit einem
köstlichen Gerichte bewirthete. Es war aus Brodfrucht,
Mango und Bananen zusammengesetzt, wurde zu einem
Teige verarbeitet, auf heißen Steinen gar gemacht und
warm mit darüber gegoffenem Orangensafte verzehrt.
Als wir uns verabschiedeten, gab der Offizier seinem
Mädchen einen Dollar, um ihn der Mutter zu geben;
das Mädchen nahm das Geld so gleichgültig, als ob es
ohne Werth gewesen wäre, – ebenso die Mutter, beide
ohne zu danken oder die geringste Freude darüber zu
äußern. -
Hin und wieder fanden wir kleine Strecken trefflich
gebahnten Weges, die von den Sträflingen gemacht worden
T179
waren. Wenn nämlich ein Indianer ein Verbrechen be-
geht, wird er nicht in Ketten gelegt, sondern verurtheilt,
eine bestimmte Strecke am Wege zu bauen oder auszubes-
fern, und dieß wird so genau zugehalten, daß gar keine
Aufseher nöthig sind. Diese Art Strafe wurde unter König
Pomare dem Ersten eingeführt und ist eine Erfindung der
Indianer, – die Europäer setzten dieß System nur fort.
Zu Punavia kehrten wir im Fort ein, stärkten uns
nach Soldatenart mit Brot, Wein und Speck, und Abends
7 Uhr kamen wir glücklich nach Hause.
Außer Papara besuchte ich noch die Venus spitze,
eine kleine Erdzunge, auf welcher Cook den Durchgang
der Venus durch die Sonne beobachtete. Noch sieht man
den Stein, auf welchem die Instrumente hiezu aufgestellt
waren. Unterwegs kam ich an dem Grabe oder Murai
des Königs Pomare des Ersten, vorüber. Es besteht aus
einem kleinen, von Steinen ummauerten Platze, über
welchem sich ein Palmdach wölbt. Einige halb vermoderte
Reste von Stoffen und Kleidungsstücken lagen noch darinnen.
Einer der interessantesten Ausflüge war aber nach
Fautaua und dem Diadem. Fautaua ist der Punkt, welchen
die Indianer für uneinnehmbar hielten, und auf dem
sie in dem letzten Kriege von den Franzosen dennoch voll-
kommen besiegt wurden. – Herr Gouverneur Bruat war
so freundlich, mir zu dieser Partie seine Pferde zu leihen
und mir einen Unteroffizier mitzugeben, der jede Stel-
lung der Franzosen und Indianer zu erklären wußte, da
er selbst dabei gewesen war.
Länger als zwei Stunden führte uns der Weg zwischen
schauerlichen Schluchten, durch dichte Wälder und reißende
12*
180
Bergströme. Die Schluchten schloffen sich oft zu wahren
Engpäffen, und die sie umgebenden Berge waren schroff
und unerfteigbar, so daß hier, wie einst zu Termopylä,
eine kleine Schaar tapferer Krieger ganze Armeen zurück-
halten könnte. Der Eingang nach Faulaua wird auch als
der eigentliche Schlüffel der Insel betrachtet. Um ihn
einzunehmen, gab es kein anderes Mittel, als eine der
schroffen Bergkanten zu erklettern und auf dem schmalen
Bergrücken vorzudringen, um dem Feinde in den Rücken zu
kommen. Der Gouverneur, Herr Bruat ließ zu diesem hals-
brecherischen Unternehmen Freiwillige aufrufen, deren sich
mehr meldeten als nöthig waren. Man wählte aus ihnen
abermals, und zwar nur 62 Mann, die sich bis auf die
Schuhe und Unterbeinkleider entkleideten und bloß ihre
Gewehre und Patronen mitnahmen.
Nach zwölfstündigem, höchst gefahrvollem Klettern
gelangten sie mittelst Seile und des Einsetzens spitzer
Eisen und Bajonnette auf die Höhe eines der Bergrücken,
wo sie den Indianern so unerwartet erschienen, daß diese,
gänzlich entmuthigt, ihre Waffen von sich warfen und sich
ergaben. Sie meinten: „Menschen könnten hieher nicht
dringen, das müßten Geister sein, und gegen solche wären
sie nicht im Stande, sich zu vertheidigen."
Jetzt ist zu Fautaua ein kleines Fort erbaut, und
auf einer der höchsten Spitzen ein Wachthaus. Zu diesem
führt ein Fußsteig über eine schmale Bergkante, die an
beiden Seiten in unermeßliche Abgründe abfällt. Leute,
die dem Schwindel unterworfen sind, können schwer oder
gar nicht dahin gelangen, wodurch sie viel verlieren, indem
die Aussicht überaus großartig ist. Man übersieht
181
Thäler, Schluchten und Berge ohne Zahl (von letzteren
besonders den romantischen Felskoloß „Diadem), dichte
Wälder von Palmen und andern gigantischen Bäumen,
und darüber hinaus das gewaltige Meer, das sich an
den Klippen und Riffen tausendfältig bricht und in weiter
Entfernung in dem azurblauen Himmel verschwimmt.
In der Nähe des Fort stürzt ein Wafferfall zwischen
engen Schluchten über eine senkrechte Wand hinab; leider
ist aber der Ausgang des Sturzes von vorspringenden
Felsen und Hügeln verdeckt und die Waffermenge etwas
geringe, – sonst verdiente dieser Fall der Höhe des Stur-
zes nach (gewiß über 400 Fuß) zu den ausgezeichneten
gezählt zu werden.
Der Weg vom Fort zum Diadem ist höchst beschwer-
lich und währt volle drei Stunden. Die Aussicht ist
hier noch großartiger, da man auf zwei Seiten über die
Insel hinaus das Meer erblickt.
Dies war mein letzter Ausflug auf dieser schönen
Insel; den folgenden Tag, am 17. Mai, mußte ich an
Bord. Die Ladung war gelöscht und der Ballast einge-
nommen. Die europäischen Bedürfniffe für das französische
Militair als: Mehl, gesalzenes Fleisch, Kartoffeln, Hül-
senfrüchte, Wein u. f. w. müffen alle eingeführt werden,
denn keinen dieser Artikel liefert die Insel *).
Ich nahm ungern Abschied von diesem reizenden
*) Taiti erzeugt bisher keine Ausfuhrartikel, darum nimmt
man hier nur Ballast ein; die Insel ist für die Franzo-
fen als Anhaltspunkt für ihre Schiffe im Weltmeere
wichtig.
182
Eilande, und nur der Gedanke, jetzt unmittelbar nach
China, dem sonderbarsten aller Länder zu kommen, machte
mir die Abreise weniger schwer.
Wir verließen am Morgen des 17. Mai den Hafen
Papeiti mit dem günstigsten Winde, kamen schnell und
glücklich an all den gefährlichen Korallenriffen vorüber,
die das Eiland umgeben und schon nach sieben Stunden
hatten wir alles Land aus dem Gesichte verloren. Gegen
Abend erblickten wir die Gebirge der Insel Huaheme, an
welcher wir während der Nacht vorüber segelten.
Die ersten Tage unserer Reise waren höchst ange-
nehm. Nebst der dauernden günstigen Brite hatten wir
die Gesellschaft einer schönen belgischen Brigg (Rubens),
die mit uns zu gleicher Zeit ausgelaufen war. Wir
kamen wohl selten so nahe, um mündlich verkehren zu
können; allein wer mit langen Seereisen und deren unend-
licher Einförmigkeit nur einigermaßen bekannt ist, weiß
gar wohl zu ermeffen, welch Gefühl der Freude und des
Vergnügens es gewährt, menschliche Gesellschaft in der
Nähe zu wissen.
Bis zu den Philippinen sollte uns dieselbe Straße
führen; doch leider war schon am Morgen des dritten
Tages unsere Gefährtin verschwunden, ohne daß wir
wußten, ob sie uns, oder ob wir sie übersegelt hatten.
Wir waren nun wieder allein auf der unermeßlichen Was-
erwüste, allein in der langweiligen Einförmigkeit.
Den 23. Mai kamen wir dem niedrig gelegenen Ei-
lande Penrhyn sehr nahe. Einige Dutzend der Einwohner,
halb nackte Indianer, wollten uns mit einem Besuche be-
ehren und ruderten in sechs Canots wacker unterm Schiffe
183
zu. Wir segelten indeß so schnell, daß sie bald weit zu-
rückblieben. Unter unsern Matrosen behaupteten mehrere,
daß diese Wilden noch zu den echten Wilden gehörten, und
daß wir uns eigentlich Glückwünschen könnten, ihrem Besuche
entgangen zu sein. Auch der Kapitain schien diese Mei-
nung zu theilen, und ich blieb die einzige, die es be-
dauerte, ihre nähere Bekanntschaft nicht gemacht zu haben.
28. Mai. Schon seit einigen Tagen erfreuten uns
zeitweise heftige Regengüsse, – eine um diese Zeit außerge-
wöhnliche Erscheinung, da hier die Regenzeit in den ersten
drei Monaten des Jahres eintritt, und in den übrigen
der Himmel meist heiter und wolkenlos bleibt. Diese
Ausnahme kam uns um so mehr zu fatten, als wir gerade
unter der Linie waren und gewiß etwas mehr von der
Hitze zu leiden gehabt hätten. So wies der Thermometer
im Schatten nur 22 in der Sonne 29 Grad.
Heute Mittags auf dem 168. Längengrade überschifften
wir die Linie und befanden uns nun wieder auf der
nördlichen Hemisphäre. Ein otahitisches Schweinchen
wurde zu Ehren des glücklichen Ueberganges geschlachtet
und verzehrt, und mit echtem Rheinweine die heimathliche
Halbkugel begrüßt.
Am 4. Juni, unter dem 8. Breitengrade, gewahrten
wir zum ersten Male wieder den schönen Nordstern.
Am 17. Juni kamen wir Saypan, einer der größten
ladronischen Inseln, so nahe, daß wir ihre Gebirge ganz
gut ausnehmen konnten. Die Ladronen- und Marianen-
Inseln liegen zwischen dem 13. und 21. Breiten-, und
dem 145. und 146. Längengrad der östlichen Hemisphäre.
Am 1. Juli sahen wir abermals Land, und zwar die
184
Küste von Lucovia oder Luzon – der größten der Phi-
lippinen, welche Inseln zwischen dem 18. und 19. Brei-
ten-, und dem 125. bis 119. Längengrad liegen. Der
Hafen Manilla befindet sich an der Südküste der gleich-
namigen Insel.
Noch im Laufe des Tages kamen wir am Eilande
Babuan und an noch mehreren einzeln stehenden Felskoloffen
vorüber, die gleich Thürmen aus dem Meere stiegen. Vier
von ihnen standen ziemlich nahe beisammen und bildeten
eine malerische Gruppe – später kamen uns noch zwei
zu Gesichte.
In der Nacht auf den 2. Juli erreichten wir die
westliche Spitze von Luzon und segelten nun in die ge-
fährliche chinesische See. Ich war herzlich erfreut, dem
stillen Ocean endlich Lebewohl zu sagen, denn eine Fahrt
auf ihm gehört wohl zu den langweiligsten. Höchst selten
begegnet man einem Schiffe, und das Waffer ist gewöhn-
lich so ruhig, daß man meint auf einem Strome zu fahren.
Nicht selten schrack ich von meinem Schreibtische auf,– ich
wähnte in irgend einem winzigen Kämmerchen auf dem
Lande zu sitzen, welche Täuschung um so natürlicher ward,
da wir drei Pferde, einen Hund, einige Schweine, Hüh-
ner, Gänse und Kanarienvögel an Bord hatten. Das
wieherte, bellte, grunzte, gakerte und fang wie auf einem
Meierhofe.
6. Juli. Die ersten Tage glich unsere Fahrt auf
der chinesischen See so ziemlich jener im stillen Ocean –
wir trieben langsam und ruhig vorwärts. Heute erst wur-
den wir der Küste China's ansichtig, und gegen Abend
waren wir nur noch 28 Meilen von Macao entfernt. Mit
185
ziemlicher Ungeduld erwartete ich den folgenden Morgen.
Ich hoffe sicher den langersehnten chinesischen Boden
zu betreten, ich sah schon die Mandarine mit ihren hohen
Mützen, die Chinesinnen mit ihren kleinen Füßen –
da mitten in der Nacht, drehte sich der Wind, und –
wir waren am 7. Juli 100 Meilen weit verschlagen.
Zum Ueberfluffe fiel noch der Barometer so außerordent-
lich, daß wir einen Tai-foon befürchteten. Es ist dies ein
höchst gefährlicher Sturm oder vielmehr Orkan, der im
chinesischen Meere während der Sommermonate Juli,
August und September häufig losbricht. Eine schwarze
Wolke, welche an einem Rande dunkelroth, am andern
halbweiß ist, zeigt sich gewöhnlich als schrecklicher Bote
am Horizonte, und fürchterliche Regengüsse, Donner und
Blitz sind die Begleiter der heftigsten Winde, die von
allen Richtungen zu gleicher Zeit aufspringen und das
Meer thurmhoch aufwühlen. Alle Vorkehrungen wurden
an unserm Borde zum Empfange des gefährlichen Feindes
getroffen; aber diesmal umsonst – der Orkan brach ent-
weder gar nicht, oder in großer Entfernung los; wir ver-
spürten nur einen kleinen Sturm, der noch überdies von
kurzer Dauer war.
Am 8. Juli gelangten wir wieder in die Nähe von
Macao, in die Straße der Lema und fuhren nun fort-
während durch Buchten und Scheeren, die von den wun-
der vollsten Inselgruppen durchzogen waren und die schön-
ften und mannigfaltigsten Ansichten gewährten.
Am 9. Juli ankerten wir an der Rhede von Macao.
Die Stadt (den Portugiesen gehörig und 20.000 Einwohner
zählend) liegt äußerst reizend am Meeresufer und ist
186
von hübschen Hügel- und Bergketten umgeben. Vor allem
bemerkt man den Palast des portugiesischen Gouverneurs,
das katholische Kloster Guia, die Festungswerke und einige
hübsche Gebäude, die auf schönen Hügeln in malerischer
Unordnung durcheinander liegen.
Auf der Rhede waren, außer wenigen europäischen
Schiffen, auch einige Dschonken (größere chinesische Fahr-
zeuge) vor Anker, und viele kleine Boote, von Chinesen
geführt, umgaukelten unser Schiff
Die Insel Taiti hat 72 engliche Meilen im Umfange.
Religion: die anglikanische.
Sprache: die taitische.
Bevölkerung: Eingeborene zwischen 8–9000.
Geld: amerikanische und spanische Dollars, auch
Piaster genannt, und französisches Geld. Der Piafter
wird zu fünf Franken oder acht Reaux gerechnet.
Die Entfernung von Valparaiso bis Taiti beträgt
bei 5000 Seemeilen, von Taiti bis Macao ungefähr
eben so viel.
Von Macao bis Hong-Kong 60 Seemeilen.
Von Hong-Kong bis Canton 90 Seemeilen.
Inhalt des ersten Pandes.
Reise nach Brasilien.
Abreise von Wien. Aufenthalt in Hamburg. Dampfschiffe und Sege -
fchiffe. Abfahrt. Kurhaven. Der Kanal la Manche. Die fliegen-
den Fische. Die Philolide. Sternbilder. Das Ueberschreiten der
Linie. Die Vampero's. Die starke Brise und der Sturm. Kap
Frio. Einfahrt in den Hafen von Rio de Janeiro. . -
Ankunft und Aufenthalt in Rio de Janeiro.
Einleitung. Ankunft. Beschreibung der Stadt. Die Schwarzen und
ihre Verhältniffe zu den Weißen. Künfte und Wiffenschaften. Kir-
chenfeste. Taufe der kaiserlichen Prinzeffin. Feste in den Kasernen.
Klima und Vegetation. Sitten und Gebräuche. Einige Worte an
die Auswanderer. Statistische Notizen über Brasilien.
Vorzügliche Partieen um Rio de Janeiro.
Die Wafferfälle bei Teschuka. Boa Vista. Der botanische Garten und
deffen Umgebung. . - - - - - -
Partie auf den Berg Corcovado. . e -
Schlöffer der kaiserlichen Familie. . - - - e
Ausflug nach der neu angelegten deutschen Colonie Petropolis. Mord-
versuch eines Marron-Negers
29
59
63
65
67
Reise in das Innere von Brasilien.
Die Städtchen Morroqueimado (Novo Friburgo) und Aldea do Pedro.
Pflanzungen der Europäer. Waldbrände. Urwälder. Letzte An-
fiedlung der Weißen. Besuch bei den Indianern, auch Puris,
auch Kabocles genannt. Rückkehr nach Rio de Janeiro .
Abreise von Rio de Janeiro.
Santos und St. Paulo. Umschiffung des Cap Horn. Ankunft in
Valparaiso. - - - -
Ankunft und Aufenthalt in Valparaiso.
Ansicht der Stadt. Oeffentliche Gebäude. Einiges über die Sitten und
Gebräuche des Volkes. Die Garküche zu Polanka. Das Engelchen
(Angelito). Die Eisenbahn. Gold- und Silberminen.
Statistische Notiz über Chili
Reise von Valparaiso über Taiti nach Canton.
Abreise von Valparaiso. Tanti. Sitten und Gebräuche des Volkes. Fest
und Ball zur Namensfeier Louis Philipps. Ausflüge. Eintaitisches
Mahl. Der Binnensee Vaihiria. Der Engvaß von Fautaua und
das Diaden. Abreise. Ankunft in China.
76
110
132
146
148
(Fine
Fraserfahrt um die St.
, Reife von Wien
nach
Brasilien, Chili, Otahaiti, China, Ost-Indien,
Perfien und Kleinafien
VON
Ida Pfeiffer, geb. Meyer.
Verfasserin der „Reise einer Wienerin ins heilige Land“ und der „Reise
nach Island und Scandinavien.“
–ASO3–
Zweiter Band.
------------------------------------------(HH- - Ururuvvvvvvvvvvv". VV
Wien, 1850.
Verlag von Carl Gerold.
Druck von Carl Gerold und Sohn.
Inhalt des juriten Pandes.
C h i n a.
Macao. Hongkong. Victoria Fahrt auf einer chinesischen Dschonke.
Der Si-Kiang, auch „Tigerfluß“ genannt. Wham-poa. Canton
oder Huangtscheu-fu. Lebensweise der Europäer. Die Chinesen.
Sitten und Gebräuche. Verbrecher und Piraten. Ermordung des
Herrn Vauchée. Spaziergänge und Ausflüge -
O ft - I n d i e n.
Singapore.
Ankunft" in Hong-kong. Das englische Dampfboot. Singapore.
Pflanzungen. Eine Jagdpartie in den Jungles. Eine chinesische
Leichenfeier. Das Laternenfest. Temperatur und Clima.
Ceylon.
Abfahrt von Singapore. Die Insel Pinang. Ceylon. Pointe de
Galle. Ausflug nach dem Innern. Colombo. Kandy. Der
Tempel Dagoha Elephanten-Fang. Rückkehr nach Colombo
und Pointe die Galle. Abreise. - - - - -
61
87
B e n ga le n.
Madras und Calcutta.
Abfahrt von Ceylon, Madras. Calcutta. Lebensweise der Euro-
päer. Die Hindus. Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besuch bei
einem Babao. Religionsfeste der Hindu. Sterbehäuser und
Verbrennungsorte. Mohamedanische und europäische Hochzeits-
feier. - - - - - - - -
Benares.
Abreise von Calcutta. Einfahrt in den Ganges. Bajmahal. Gur.
Junghera. Monghyr Patna. Deinapoor. Gasipoor. Be-
nares. Religion der Hindus. Beschreibung der Stadt. Paläste
und Tempel. Die heiligen Stellen. Die heil. Affen. Die
Ruinen von Sarnath. Eine Indigo - Pflanzung. Besuch bei
dem Raja von Benares. Märtyrer und Fakire. Der indische
Bauer. Die Miffions-Anstalt. - - -
Allahabad, Agra und Delhi.
Allahabad. Caunipoor. Agra. Das Mausoleum des Sultans
--- Akbar. Tajh - Makal. Die Ruinenstadt Fatipoor - Sikri. Delhi,
Die Hauptstraße. Oeffentliche Aufzüge. Der Palast des Kaisers.
Paläste und Moscheen. Die Fürstin Bigem. Alt-Delhi.
Merkwürdige Ruinen. Die englische Militär-Station. .
187
Eine
frauenfahrt um die Welt.
w-->>------------------------
C h i n a.
Macao. Hong-kong. Victoria. Fahrt auf einer chinesischen Dschonke.
Der Si-Kiang, auch „Tigerfluß“ genannt. Wham-poa. Canton
oder Huangtscheu-fu. Lebensweise der Europäer. Die Chinesen.
- Sitten und Gebräuche. Verbrecher und Piraten. Ermordung des
Herrn Vauch ée. Spaziergange und Ausflüge
Wloch vor einem Jahre hätte ich kaum gedacht, daß
es mir gelingen würde, unter die kleine Zahl der Euro-
päer zu gehören, die dies merkwürdige Land nicht blos
aus Büchern, sondern auch durch eigene Anschauung ken-
nen lernten. Ich hätte nicht gedacht, je in Wirklichkeit
die Chinesen zu sehen, mit ihren geschornen Häuptern,
langen Zöpfen und den häßlichen, schmal geschlitzten, klei-
nen Augen, gerade so, wie sie auf den Bildern gezeich-
net sind, die wir in Europa haben.
Wir hatten kaum die Anker ausgeworfen, so klet-
terten schon mehrere Chinesen auf unser Deck, während
andere in ihren Booten eine Menge schöner Arbeiten,
Früchte und Backwerke auskramten, in hübscher Ordnung
aufstellten und so in einem Augenblicke rund um unser
Schiff einen ganzen Markt bildeten. Einige unter ihnen
priesen sogar in gebrochen englischer Sprache ihre Schätze
Pfeiffers Reise 11 Th J
2
an; doch machten sie insgesammt schlechte Geschäfte, da
unsere Mannschaft nur einige Cigarren und Früchte er-
handelte.
Kapitän Juriante miethete ein Boot, und wir fetz-
ten sogleich an's Land. Bei der Landung mußte für jeden
Kopf ein halber spanischer Thaler an den Mandarin ent-
richtet werden. Wie ich hörte, wurde bald darauf dieser
Mißbrauch abgeschafft. – Wir begaben uns in eines der
portugiesischen Handlungshäuser und kamen auf dem Wege
dahin durch einen großen Theil der Stadt. Die Euro-
päer, sowohl Männer als Frauen, können hier ungehin-
dert umher gehen, ohne, wie dieß in andern chinesischen
Städten häufig der Fall ist, der Gefahr eines Steinregens
ausgesetzt zu sein. In jenen Gaffen, die ausschließlich
nur von Chinesen bewohnt waren, ging es höchst lebhaft
zu. Die Männer saßen häufig in Gruppen, Domino
pielend in den Gaffen, und in den vielen Buden der
Schloffer, Tischler, Schuster u. f. w. wurde gearbeitet,
geschwatzt, gespielt und zu Mittag gespeist. Frauen fah
ich wenige, und nur von niedrem Stande. Nichts verur-
fachte mir mehr Vergnügen und Staunen als die Art des
Effens der Chinesen: sie bedienen sich zweier Stäbchen, mit-
telt welcher sie die Speisen ganz außerordentlich geschickt und
zierlich in den Mund führen; nur mit dem Reis geht es nicht
so gut, weil dieser nicht in Stücken zusammenhält. Sie neh-
men daher das mit Reis gefüllte Gefäß ganz nahe an den weit
geöffneten Mund und schieben große Portionen mittelt der
Stäbchen hinein, wobei aber gewöhnlich ein Theil auf sehr
unappetitliche Weise wieder in das Gefäß zurückfällt. Bei
flüffigen Speisen bedienen sie sich runder Porzellanlöffel.
Z
An der Bauart der Häuser fand ich nichts beson-
deres – die Fronte geht gewöhnlich in den Hof oder
Garten.
Ich besuchte unter anderem die Grotte, in welcher
der berühmte Portugiese Camoens eine herrliche Lu-
fiade gedichtet haben soll. Er wurde in Folge eines
fatirischen Gedichtes (Disperates no India) im Jahre
1556 nach Macao verwiesen, wo er mehrere Jahre bis zu
feiner Zurückberufung lebte. – Die Grotte liegt unfern
der Stadt auf einer reizenden Anhöhe.
Da in Handelsgeschäften nichts zu machen war, fo
beschloß der Kapitän den nächsten Morgen wieder in See
zu gehen. Er bot mir freundlichst an, mich nach Hong-
kong als Gast mitzunehmen; ich hatte nämlich die Ueber-
fahrt nur bis Macao ausbedungen. Seine Einladung war
mir um so angenehmer, als ich für Macao keinen einzigen
Empfehlungsbrief hatte, und überdies die Gelegenhei-
ten nach Hong-kong nicht fehr häufig find.
Unser Schiff lag, des leichten Fahrwaffers wegen,
ziemlich weit vom Lande, im Bereiche der Streifereien
der Piraten, die hier äußerst zahlreich und kühn sind. Es
wurden daher für diese Nacht alle Vorsichtsmaßregeln an-
geordnet und eine doppelte Wache ausgestellt.
Noch im Jahre 1842 überfielen die Piraten auf
der Rhede von Macao eine Brigg, tödteten die Mann-
schaft und plünderten das Schiff. Der Kapitän war auf
dem Lande geblieben, die Mannschaft hatte sich sorglos
dem Schlafe überlassen, uud nur einen Mann als Wache
ausgestellt. Da, mitten in der Nacht, kam ein Schampan
(kleineres Fahrzeug als eine Dschonke) heran gerudert,
1 *
4
deffen Anführer dem wachthabenden Manne ein Billet
übergab, mit dem Bedeuten, daß es vom Kapitän komme.
Während der Matrose damit an die Laterne trat, um es
zu lesen, versetzte ihm der Pirat einen Schlag auf den
Kopf, daß er lautlos zu Boden stürzte. Die auf dem
Schampan verborgene Mannschaft erkletterte schnell von
allen Seiten das Schiff und ward mit Leichtigkeit Mei-
fer der schlafenden Matrosen.
Am 10. Juli Morgens, nach ruhig vergangener
Nacht, gingen wir in Begleitung eines Looten nach Hong-
kong in See. Die Entfernung beträgt sechzig Seemeilen
und die Fahrt ist abwechselnd und unterhaltend, da man
fortwährend an Buchten, Scheeren und Inselgruppen vor-
übersegelt.
Die Engländer erhielten die Insel Hong-kong von
den Chinesen nach dem Kriege im Jahre 1842 und
gründeten darauf die Hafenstadt Victoria, die nun schon
viele palastähnliche, von Quadersteinen aufgeführte Ge-
bäude zählt.
Die Europäer, deren Zahl sich nur auf einige Hun-
dert beläuft, sind hier aber nicht sehr zufrieden, da der
Handel nicht halb so gut geht, als man anfangs ver-
muthete. Die Kaufleute bekommen von der englischen
Regierung unentgeldlich Bauplätze, mit der Bedingung,
Häuser darauf zu bauen. Viele führten, wie bereits be-
merkt, großartige Bauten auf, die sie nun um den halben
Preis verkaufen würden, ja manche gäben gerne den
Grund fammt den Fundamenten zurück, ohne den gering-
ften Ersatz dafür zu begehren.
Ich gedachte, nur einige Tage in Victoria zu ver-
5%
weilen, weil es mein Wunsch war, sobald als möglich
nach Canton zu kommen.
Kapitän Juriante fügte zu seinen vielen mir bereits
erwiesenen Gefälligkeiten auch noch die hinzu, daß ich
während der Zeit meines Aufenthaltes auf seinem Schiffe
wohnen und speisen konnte, wodurch ich täglich 4 bis 6
Dollars ersparte *). Eben so stand mir das Boot, welches
er zum täglichen Gebrauche gemiethet hatte, jederzeit zu
Diensten. – Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen,
daß ich noch auf keinem Schiffe so reines, gutes Waffer
fand, wie auf dem feinigen. Es ist dies ein Beweis,
daß weder die Tropenhitze noch die Zeit das Waffer so
leicht verdirbt. Es kömmt nur auf Reinlichkeit und Sorg-
falt an, die wohl nur bei Holländern in solcher Weise zu
finden sein mag. Nähme sich doch jeder Kapitän, wenig-
stens in diesem Punkte, die Holländer zum Muster! Es
ist wahrlich eine zu harte Aufgabe, sich mit übelriechendem
und ganz trüben Waffer den Durst stillen zu müffen.
Leider erfuhr ich diese Unannehmlichkeit auf allen Segel-
schiffen, auf welchen die Reise mehrere Monate währte.
Die Lage Victoria's ist nicht sehr reizend, da kahle
Gebirge die Umgebung bilden. Die Stadt selbst hat ein
europäisches Gepräge, und sähe man nicht chinesische Trä-
ger, Arbeiter, Kleinverkäufer u. f. w. auf den Straßen
und in den Buden, so würde man kaum glauben, sich auf
chinesischem Boden zu befinden. Auffallend war es mir,
auf den Straßen keine eingebornen Weiber zu sehen. Man
*) Die Preise in den Hôtels zu Macao, Victoria, Canton,
find per Tag von 4 bis 6 Dollars.
6
hätte denken sollen, daß es daher auch für eine Euro-
päerin gefährlich gewesen wäre, so allein herum zu
freifen; aber nie erfuhr ich die geringste Beleidigung oder
Beschimpfung von Chinesen; selbst ihre Neugierde war
hier nicht belästigend.
In Victoria ward mir das Vergnügen zu Theil,
den rühmlich bekannten Herrn Gützlaff kennen zu ler-
nen*). Auch vier andere deutsche Miffionäre traf ich da.
Sie fudieren die chinesische Sprache, kleiden sich chine-
sich, laffen sich die Köpfe scheeren gleich den Eingebornen
*) Karl Gützlaff ist am 8. Juli 1803 zu Pyritz in Pommern
geboren. Schon als Knabe zeigte er viel frommen Sinn
und ein ungewöhnliches Talent. Die Eltern ließen ihn
das Gürtlerhandwerk lernen. Er arbeitete fleißig; allein
es sagte ihm nicht zu. Im Jahre 1821 hatte er Gele-
genheit, dem Könige von Preußen ein Gedicht zu über-
reichen, in welchem er seine Empfindungen und Wünsche
aussprach. Der König erkannte darin das Talent des
aufstrebenden Jünglings, und man öffnete ihm eine feinen
Neigungen entsprechende Laufbahn. Im Jahre 1827 kam
er als Miffionär nach Batavia, später reiste er nach Bintang,
wo er die chinesische Sprache so fleißig studierte, daß er
fie in Zeit von zwei Jahren schon fertig genug sprach, um
darin predigen zu können. Im Dezember 1831 ging er
nach Macao, legte da Schulen für die chinesische Jugend
an und begann eine Uebersetzung der Bibel in das Chine-
fische. Er begründete mit Moriffon eine Gesellschaft für
Verbreitung nützlicher Kenntniffe in China und gab ein chinef.
monatl. Magazin heraus, in welchem er die Chinesen für
Geschichte, Geographie und Literatur zu intereffiren suchte.
– In den Jahren 1832 und 1833 kam er bis in die Pro-
vinz Fo-Kien.
-
7
und tragen Zöpfe ebenfalls wie jene. Das Lesen und
Schreiben ist in keiner Sprache so schwer wie in der chine-
fischen, die Schrift besteht aus Charakteren, deren es über
4000 geben soll, die Sprache aus lauter einsilbigen Wor-
ten. Man schreibt mit Pinseln, die in Tusch getaucht
werden, von der Rechten zur Linken nach der Länge des
Papieres herab.
Schon nach einigen Tagen fand ich eine Gelegenheit
nach Canton, und zwar auf einer kleinen chinesischen
Dschonke. Herr Puftau, ein hiesiger Kaufmann, der
sich meiner sehr freundlich angenommen hatte, rieth mir
zwar sehr ab, mich so ganz ohne allen Schutz dem chine-
fischen Volke anzuvertrauen und meinte, ich solle entweder
ein eigenes Boot oder einen Platz auf dem Dampfschiffe
miethen; aber für meine beschränkten Mittel war dies zu
theuer, da ein Platz auf dem Dampfschiffe oder ein
gemiethetes Boot zwölf Dollars gekostet hätte, während
der Fahrpreis in der Dschonke nur 3 Dollars war. Auch
muß ich gestehen, daß mir der Anblick und das Betragen
der Chinesen durchaus keine Furcht einflößte. Ich setzte
Die Reisen Gützlaffs haben zu wichtigen Beobachtungen
über die chines. Dialekte geführt, find auch in andrer wifen-
fchaftlicher Beziehung nicht ohne Ausbeute gewesen und
verhalfen besonders zur gesunden Kritik der neuerdings über
China erschienenen Werke.
Man muß in jeder Hinsicht fein seltenes Talent aner-
kennen, die unerschütterliche Festigkeit in der Verfolgung
seines Vorhabens preisen und seinen andauernden, wifen-
schaftlichen Eifer wie feinen festen Glaubensmuth bewun-
dern.
Siehe „Konversations-Lerikon der Gegenwart.“ –
8
meine Pistolen in Stand und begab mich am Abende des
12. Juli ganz ruhig an Bord.
Heftiger Regen und die einbrechende Dunkelheit
zwangen mich bald, den innern Raum des Fahrzeuges
aufzusuchen, wo ich zum Zeitvertreibe meine chinesischen
Reisegefährten beobachtete.
Die Gesellschaft war zwar keine gewählte, benahm
sich aber sehr anständig, so daß ich ohne Scheu unter ihnen
verweilen konnte. Einige spielten Domino, während an-
dere einer Art Mandoline, die mit drei Saiten bespannt
war, ganz jämmerliche Töne entrangen. Dabei wurde
geraucht und geschwatzt und ungezuckerter Thee aus klei-
nen Schälchen getrunken – auch mir bot man diesen
Göttertrank von allen Seiten an! Jeder Chinese, reich
oder arm, trinkt weder reines Waffer noch geistige Ge-
tränke, sondern immer ungezuckerten, schwachen Thee.
Spät des Abends begab ich mich in meine Kabine,
deren Oberdeck nicht ganz wafferdicht geschloffen war und
unwillkommene Boten des Regens hindurch ließ. Kaum
hatte dies der Schiffskapitän bemerkt, als er mir auch
gleich eine andere Stelle anwies. Ich befand mich da in
Gesellschaft zweier Chinesinnen, die im vollem Tabakrau-
chen begriffen waren. Sie dampften aus Pfeifchen, nicht
größer als Fingerhüte, konnten aber auch nicht mehr als
vier bis fünf Züge machen, ohne wieder zu stopfen.
Meine Nachbarinnen bemerkten bald, daß ich kein
Kopfschemelchen bei mir hatte; sie boten mir eines der
ihrigen an und ließen mit Bitten nicht nach, bis ich es
annahm. Man bedient sich nämlich in China statt der
Kopfkiffen kleiner Schemel von Bambus oder sehr
9
starkem Pappendeckel, die bei 8 Zoll hoch oben gewölbt,
nicht gepolstert sind, und eine Länge von ein bis drei
Fuß haben. Es liegt sich darauf beffer als man glau-
ben sollte.
13. Juli. Als ich am frühen Morgen aufs Deck
eilte, um die Einfahrt von der See in die Bocca des
- Si-kiang oder „Tiger - zu sehen, befanden wir uns
schon so hoch im Strome, daß von der Mündung keine
Spur mehr zu entdecken war. Ich sah sie jedoch später
auf der Rückreise von Canton nach Hong-kong. Der Si-
kiang, einer der größeren Ströme Chinas, der noch eine
kurze Strecke vor seinem Eintritte ins Meer, eine Breite
von beinahe acht Seemeilen hat, wird an der Mündung
von Bergen und Felsen dergestalt eingeengt, daß er die
Hälfte seiner Breite verliert. Die Gegend ist schön, und
einige Festungswerke auf den Spitzen der Berge verleihen
ihr einen romantischen Anstrich.
Bei „Hoo-mun, auch Whampoa“ genannt, theilt
sich der Strom in mehrere Arme, von welchen jener, der
nach Canton führt, Perlfluß heißt. – Whampoa,
als Ort zwar unbedeutend, verdient doch bemerkt zu wer-
den, da, wegen der vielen Untiefen des Perlfluffes, hier
alle tiefergehenden Schiffe ankern müffen.
An den Ufern des Perlfluffes ziehen sich ungeheure
Reispflanzungen hin, die mit Bananen und andern
Fruchtbäumen eingeräumt sind. Letztere bilden oft nied-
liche Alleen, werden aber weniger der Zierde als der
Nothwendigkeit wegen angelegt. Der Reis bedarf näm-
lich eines sehr naffen Bodens, und man pflanzt die Bäume
dazwischen, damit das Erdreich sich befestigt und
1(!)
durch die starke Bewäfferung nicht weggeschwemmt wird.
Artige Landhäuser in ächt chinesischem Style, mit den
ausgeschweiften, spitzigen und zackichten Dächern, mit den
eingelegten farbigen Ziegeln und Thonplatten, liegen unter
fchattigen Baumgruppen; verschiedenartig gebaute Pagoden
(Tas genannt) von drei bis zu neun Stockwerken erheben
sich auf kleinen Erdhügeln in der Nähe von Ortschaften
und ziehen schon von weiter Ferne die Aufmerksamkeit auf
fich. Viele Festungswerke, die aber mehr großen abge-
deckten Häusern gleichen, beschirmen aufwärts den Strom.
Mehrere Meilen vor Canton reihen sich Dörfer an
Dörfer, die alle aus höchst erbärmlichen und großen Theils
auf hohen Pfählen im Strome selbst sich befindenden Ba-
racken bestehen; unzählige Boote, die ebenfalls bewohnt sind,
liegen davor.
Je näher man Canton kömmt, desto mehr nimmt
die Lebhaftigkeit auf dem Fluße, die Zahl der Schiffe und
bewohnten Boote zu. Man sieht Fahrzeuge von den
wunderbarsten Formen –D fchonken, deren Hintertheil
zwei Stock hoch über das Waffer ragt und gleich einem
Hause mit hohen Fenstern und Galerien versehen und mit
einem Dache gedeckt ist. Diese Schiffe sind oft von erstaun-
licher Größe und laden bis zu tausend Tonnen. – Ferner
sieht man chinesische Kriegsfchiffe, flach, breit und
lang gebaut, mit 20 auch 30 Kanonen besetzt *), –
Mandarins boote, die mit ihren bemalten Außen-
*) Alle größeren Fahrzeuge haben am Vordertheile große, ein-
gelegte, gemalte Augensterne, mittelst welcher fie, wie die
Chinesen meinen, ihren Weg beffer finden.
TT
wänden, Thüren und Fenstern, mit ihren ausgeschnitzten
Galerien und den farbigen seidenen Flaggen den nied-
lichsten Häusern gleichen, und vor allem die herrlichen
Blumenboote, deren obere Galerien mit Blumen,
Guirlanden, Arabesken u. dgl. ausgeschmückt sind. Thüren
und Fenster, beinahe in gothischem Style gehalten, führen
in das Innere, das aus einem großen Saale und einigen
Cabinetten besteht. Spiegel, seidene Tapeten zieren die
Wände, Glaslustres und farbige Papierlampen, zwischen
welchen niedliche Körbchen mit frischen Blumen schweben,
vollenden den zauberhaften Anblick.
Diese Blumenboote bleiben immer vor Anker liegen
und dienen den Chinesen bei Tag und Nacht als Unterhal-
tungsorte. Da werden Comödien aufgeführt, Gaukler-
und Tanzkünste produziert u. f. w. Frauen sind, außer
den einer gewissen Claffe angehörigen, nicht gegenwärtig.
Europäern ist der Zutritt gerade nicht verwehrt; doch find
fie, besonders bei der jetzigen ungünstigen Stimmung,
immer mehr oder weniger Beleidigungen, ja sogar Miß-
handlungen ausgesetzt.
Zu diesen wunderlichen Fahrzeugen denke man sich
nun noch Tausende von kleinen Booten (Schampans), die
theils vor Anker liegen, theils überall durchkreuzen und
durchdrängen, – Fischer, die von allen Seiten ihre
Netze auswerfen, – Kinder und Erwachsene, die sich mit
Baden und Schwimmen belustigen. Man wendet oft
ängstlich den Blick hinweg, wenn man auf den kleinen,
schmalen Booten die Jungen sich balgen und spielen sieht, –
jeden Augenblick meint man, eines der Kleinen über Bord
fallen zu sehen. Vorsichtige Eltern binden den ein- bis
12
sechsjährigen Kindern ausgehöhlte Kürbisse oder mit
Luft gefüllte Ochsenblasen auf den Rücken, damit, wenn
sie in das Waffer fallen, sie nicht so bald zu Boden sinken.
Alle diese vielseitigen Beschäftigungen der Menschen,
dies unermüdete Leben und Treiben, gewähren Bilder,
von deren Eigenthümlichkeiten man sich wohl schwerlich,
ohne sie gesehen zu haben, einen richtigen Begriff machen
kann!
Seit einigen Jahren erst ist auch uns europäischen
Frauen der Eintritt und Aufenthalt in den Faktoreien zu
Canton gestattet; ich verließ daher ohne Zagen das Fahr-
zeug. Nur mußte zuvor noch überlegt werden, wie der
Weg nach dem Hause des Herrn Agassiz, an das ich
gewiesen war, zu finden sei. Da ich noch kein chinesisches
Wort sprechen konnte, so mußte ich meine Zuflucht zu
Zeichen nehmen. Ich machte meinem Kapitain begreiflich,
daß ich kein Geld bei mir habe, und daß er mich daher
in die Faktorei führen solle, wo ich ihn bezahlen würde.
Er verstand mich sehr bald, brachte mich dahin, die
daselbst anwesenden Europäer wiesen mir das Haus, und
so war ich geborgen.
Als mich Herr Agafiz ankommen sah und die Art
meiner Reise, die Fußpartie vom Schiffe in sein Haus
erfuhr, war er sehr verwundert und wollte kaum glauben,
daß ich unbeschädigt und ohne Anstand durchgekommen
sei. Nun wurde ich erst inne, wie höchst gewagt es für
mich als Frau gewesen war, allein mit einem chinesischen
Führer die Straßen Cantons betreten zu "haben. Es
war dies ein hier noch nie vorgekommener Fall, und Herr
Agafiz meinte, daß ich es meinem besondern Glücke zu
13
danken hätte, von dem Volke nicht gröblichst beleidigt,
ja wohl gar gesteinigt worden zu sein. In solch einem
Falle würde mein Führer die Flucht ergriffen und mich
meinem Schicksale überlaffen haben.
Wohl hatte ich auf dem Wege vom Schiffe bis zur
Faktorei bemerkt, daß Alt und Jung mir nachschrie und
nachsah, mit Fingern nach mir wies, daß die Leute aus
den Buden liefen und daß sich sogar nach und nach ein
mich begleitender Zug bildete. Was blieb mir wohl
übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, –
ich schritt furchtlos weiter, und vielleicht gerade weil ich
keine Furcht zeigte, geschah mir auch nichts.
Ich war ebenfalls Willens gewesen, nicht lange in
Canton zu verweilen, indem seit dem letzten Kriege der
Engländer mit den Chinesen die Europäer sich hier weniger
als je sehen lassen dürfen. Noch mehr gilt dieser Haß
den Frauen, da es in einer der chinesischen Prophezeihun-
gen heißt, daß einst eine Frau das himmlische Reich
erobern werde. Ich machte mir daher wenig Hoff-
nung, hier etwas zu sehen, und gedachte, meine Wanderung
nach dem Norden Chinas, nach dem Hafen Tschang-hai
fortzusetzen, wo es, wie man mir sagte, leichter sein soll
sich unter Volk und Adel Zutritt zu verschaffen.
Glücklicherweise lernte ich einen Deutschen, Herrn
v. Carlovitz kennen, der bereits einige Jahre in Canton
zugebracht hatte. Er nahm einiges Interesse an mir und
bot sich sogar zu meinem Mentor an, unter der Bedin-
gung, daß ich mich mit Geduld waffnen wolle, bis die
europäische Post, die in einigen Tagen erwartet werde*),
*) Die europäische Post kommt jeden Monat nur einmal.
14
angekommen sei. Es sind in dieser Zeit die Gemüther
der Kaufleute so aufgeregt und beschäftiget, daß sie keine
Muße haben, sich mit irgend etwas anderem als ihrer
Correspondenz zu befaffen. Ich mußte also warten bis
der Dampfer nicht nur angekommen, sondern auch wieder
abgegangen war, worüber acht Tage verfloffen. Herrn
Agafiz verdanke ich es, daß mir diese Zeit nicht lang
wurde; ich war über alle Maßen gut und herzlich aufge-
nommen und hatte dabei Gelegenheit, die Lebensweise der
hier angesiedelten Europäer kennen zu lernen.
Nur wenige Europäer nehmen ihre Familie mit nach
China, am allerwenigsten aber nach Canton, wo Frauen
und Kinder beinahe wie im Gefängniffe leben und ihr
Haus höchstens in einer wohl verschlossenen Sänfte ver-
laffen können. Ueberdies ist alles so theuer, daß man
dagegen in London noch billig lebt. Eine Wohnung von
sechs Zimmern sammt Küche kostet jährlich bei 7 bis 800
Dollars. Die Diener bekommen 4 bis 8 Dollars per
Monat, – ja Dienerinnen sogar 9 bis 10 Dollars, da
die Chinesinnen den Europäern nur dienen wollen, wenn
sie überzahlt werden. Zu diesem kommt noch die hier
herrschende Sitte, zu jeder Art Verrichtung eine eigene
Person zu haben, woraus das Bedürfniß einer großen
Anzahl von Dienern entspringt. s
Eine Familie von nur vier Köpfen benöthigt wenig-
stens zehn, zwölf und auch mehr Diener. Erst muß jedes
Glied der Familie einen Diener ausschließlich für sich
haben; dann hat man einen Koch, einige Kinderwärterinnen
und mehrere Cooli, die zu den gemeineren Arbeiten, als:
Zimmer reinigen, Holz und Waffer tragen u. f. w. ver-
15
wendet werden. Bei dieser großen Menge von Dienern
ist man dazu oft sehr schlecht bedient, denn geht der eine
oder der andere aus und man benöthigt seines Dienstes,
so muß man warten bis er wieder kömmt, da kein Diener
die Arbeit des andern verrichten würde.
Den ganzen Haushalt leitet der Comprador, eine
Art Haushofmeister. Ihm werden alle Silbergeräthe,
Möbel, Wäsche u. f. w. übergeben; er nimmt die Diener
auf, beköstiget sie, sorgt sonst für ihre Bedürfniffe und
steht für ihre Treue ein; zieht aber auch jedem dafür per
Monat zwei Dollars ab. Er besorgt alle Einkäufe, die
Küchenrechnungen – kurz alle Ausgaben und gibt am Ende
jedes Monats die Hauptfumme an, ohne sich viel in
Einzelnheiten einzulaffen. -
Der Comprador hat außer diesen häuslichen Geschäf-
ten auch noch die Kaffe des Handlungshauses über; durch
seine Hände gehen Hunderttausende von Dollars, für deren
Aechtheit er gut stehen muß; zum Auszahlen oder Ein-
kafiren des Geldes hat er eigene Gehülfen, die mit
einer beispiellosen Schnelligkeit jedes Stück besehen und
untersuchen. Sie nehmen eine ganze Hand voll Münzen,
schnellen sie einzeln mit dem Daumen und Mittelfinger in
die Luft, vernehmen so den Klang und besehen zugleich
die andere Seite der Münze, da sie gewendet auf die leere
Hand zurückfällt. In einigen Stunden sind viele Tausende
von Stücken gezählt. Diese genaue Untersuchung ist sehr
nothwendig wegen der vielen falschen Dollars, welche die
Chinesen verfertigen. Auf jedes Stück wird zum Beweise
der Aechtheit der Hausstempel geschlagen, wodurch am
Ende die Münzen ganz breit und dünn werden und oft
16
in mehrere Stücke zerfallen. Die einzelnen Stücke ver-
lieren aber nichts von ihrem Werthe, da die Summe nach
dem Gewichte bestimmt wird. – Außer den Dollars ist
auch reines, ungeprägtes Silber in kleinen Stangen ge-
bräuchlich; man schneidet, je nach dem Betrag der Summe,
kleinere oder größere Stücke davon herab.
Die Kaffe befindet sich im Erdgeschoße in dem
Zimmer des Compradors, und der Europäer hat mit
dem Gelde nichts zu schaffen, trägt auch nie welches
bei sich.
Der Comprador erhält keinen Gehalt, sondern hat
von jedem Handlungsgeschäfte Prozente, – von den
Hausrechnungen weiß er sich deren zu machen. Uebri-
gens sind diese Leute im allgemeinen verläßlich; sie er-
legen an die Mandarine (hohe Beamte, Minister) eine
Kaution, worauf diese für sie einstehen. -
Die tägliche Lebensweise der hier ansäßigen Europäer
ist ungefähr folgende: Nachdem man aufgestanden ist und
eine Taffe Thee auf seinem Zimmer getrunken hat, nimmt
man ein kaltes Bad. Nach neun Uhr ist das Frühstück,
welches aus gebratenen Fischen oder Cotelets, kaltem Bra-
ten, weichen Eiern, Butter, Brot und Thee besteht. –
Nun geht alles an seine Geschäfte bis zur Zeit des Mit-
tagmahles, welches gewöhnlich um vier Uhr eingenommen
wird. Da gibt es Schildkrötensuppe, Curri *) und Reis,
*) Ein sehr scharfes Gericht, das aus Ingwer, rothem Pfeffer,
Knoblauch und Zwiebeln besteht. Diese Ingredienzien wer-
den auf einer Steinplatte mittelst einer Steinwalze zu einer
feinen Salbe zerrieben; hieraus wird dann eine Sauce ge-
macht und diese mit Reis gegessen.
17
Braten, auch Ragouts und Mehlspeisen. Alle Speisen,
Curri und Reis ausgenommen, sind auf englische Weise
zubereitet und zwar von chinesischen Köchen. Zum Nach-
tiche nimmt man Käse und Früchte, als: Ananafe,
Long-yen, Mango, Lytschi u. f. w. Von letzterer
Frucht behaupten die Chinesen, sie sei die beste auf Erden.
Sie ist von der Größe einer Nuß, hat eine braunrothe,
etwas warzige Schaale, zartes und weißes Fleisch und
einen schwarzen Kern. Die Long-yen ist etwas kleiner,
hat auch weißes und zartes Fleisch, schmeckt aber etwas
wäfferig; ich fand beide Früchte nicht sehr gut. Die Ananas
schien mir nicht so süß und aromatisch schmackhaft wie die
in den europäischen Glashäusern, nur sind die hiesigen
bedeutend größer als jene in Europa.
Die Getränke bestehen aus portugiesischem Weine
und englischem Biere. Zu jedem Getränke wird Eis ge-
boten, das in kleine Stücke zersplittert und in ein Tuch
eingeschlagen ist. – Das Eis ist ein ziemlich kostbarer
Artikel, da es von Nordamerika gebracht wird. Abends
genießt man Thee.
Während der Mahlzeiten verbreitet eine große Punka
Kühlung und Luftzug über die ganze Gesellschaft. – Die
Punka ist ein 8 – 10 Fuß langer, 3 Fuß hoher Rah-
men, der mit weißem Perkal überzogen ist und an far-
ken Schnüren von der Zimmerdecke herab hängt. Eine
Schnur geht gleich einem Glockenzuge durch die Zimmer-
wand in ein Nebengemach oder in das Erdgeschoß, wo
ein Diener die gleichmäßig anzieht und dadurch den Rah-
men in steter langsamer Bewegung erhält, die den ange-
nehmsten Luftzug bewirkt.
Pfeiffers Reise 11. Th. 2
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Das Leben der Europäer kömmt, wie man sieht,
sehr theuer, – die Kosten einer Haushaltung kann man
des Jahres geringe auf 30 000 Franken (6000 Dollars)
anschlagen, – eine sehr bedeutende Summe, wenn man
bedenkt, wie wenig man dafür genießt: man hält weder
Pferde noch Wagen, es gibt keine Unterhaltungs- und
Versammlungsorte, nichts von alle dem; – das einzige
Vergnügen mancher Herren besteht darin, ein Boot zu
haben, für dessen Miethe sie den Monat sieben Dollars
zahlen, oder des Abends in etnem kleinen Garten zu luft-
wandeln, welchen die in Canton ansässigen Europäer zu
ihrem Vergnügen anlegen ließen. Er befindet sich der
Faktorei gegenüber und ist von drei Seiten mit Mauern
umgeben, die vierte wird vom Perlfluffe bespült.
Dagegen lebt das chinesische Volk ungemein billig;
ein Mann kann des Tages mit 60 Cash (1200 machen
einen Dollar) ganz gut auskommen. Der Arbeitslohn
ist daher auch sehr gering; man kann z. B. ein Boot den
Tag um einen halben Dollar miethen, von welchem Ein-
kommen oft eine Familie von sechs bis neun Köpfen lebt.
Freilich sind die Chinesen in der Auswahl der Lebens-
mittel nicht besonders lecker, – sie effen Hunde, Katzen,
Mäuse und Ratten, das Eingeweide des Geflügels, das
Blut jedes Thieres, ja sogar, wie man mir sagte, die
Seidenraupen, Regenwürmer und das gefallene Vieh.
Ihre Hauptnahrung ist Reis, der nicht nur als Speise,
sondern auch statt des Brotes dient. Er ist sehr wohl-
feil, – der Pikul (100 Wiener- oder 125 Hamburger
Pfund) kostet von 1% bis 2% Dollars.
Der Anzug beider Geschlechter des gemeinen Volkes be-
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steht aus weiten Hosen und langen Ueberkleidern und zeichnet
sich durch grenzenlose Unsauberkeit aus. Der Chinese ist ein
Feind der Bäder und Waschungen, er trägt kein Hemd, die
Hose aber so lange, bis sie am Körper zerreißt. Die
Ueberkleider reichen bei den Männern bis über die Kniee,
bei den Weibern noch etwas tiefer. Der Stoff ist Nanking
oder Seide, die Farbe dunkelblau, braun oder schwarz.
Während der kälteren Jahreszeit ziehen sie ein Sommer-
kleid über das andere und halten die Gewänder durch
Leibbinden zusammen; in der großen Hitze aber läßt man
letztere lose um den Körper flattern.
Das Haupt ist bei den Männern geschoren bis auf
einen kleinen Theil am Hinterkopf, wo die Haare sorgfältig
gepflegt und zu einem Zopfe geflochten werden. Je stärker
und länger der Zopf ist, desto stolzer ist der Besitzer
darauf; man flicht daher falsches Haar und schwarzes
Band ein, und so reicht ein solcher Zopf oft bis an den
Knöchel des Fußes. Während der Arbeit wird er um
den Hals geschlagen, beim Eintritte in ein Zimmer aber
hinabgelaffen, da es gegen den Anstand und die Artig-
keit wäre, mit umgewickelten Zopfe zu erscheinen. –
Die Frauen behalten ihr volles Haar. Sie kämmen felbes
ganz aus der Stirne zurück und flechten und stecken es
höchst kunstvoll am Haupte fest, wozu sie zwar viel Zeit
verwenden; doch währt so ein Haarputz auch eine ganze
Woche. Männer und Weiber gehen theils ohne Kopfbe-
deckung, theils tragen die Hüte von dünnem Bambus, die
oft gegen drei Fuß im Durchmesser haben, vor Sonne und
Regen schützen und dabei unendlich leicht und unverwüst-
lich sind.
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Die Fußbekleidung besteht aus genähten Strümpfen
und Schuhen von schwarzen Seiden- oder Wollstoffen,
die Sohle an den Schuhen, über einen Zoll hoch, ist von
dicker Pappe oder Filz, der mehrfach auf einander geklebt
ist. Die ärmeren Leute gehen ohne Fußbekleidung.
Die Häuser des Volkes, armselige Baracken, sind
von Ziegeln oder Holz erbaut, die innere Einrichtung ist
höchst erbärmlich: ein schlechter Tisch, einige Stühle, ein
Paar Bambusmatten, Kopfschemelchen und alte Decken
bilden den ganzen Hausrath; doch fehlen nirgends einige
Blumentöpfe.
Die billigste Art Wohnung ist der Besitz eines Bootes.
Der Mann geht auf das Land in die Arbeit, und das Weib
sucht unterdessen durch Spazier- oder Ueberfahrten eben-
falls zur Erhaltung der Familie beizutragen. Die eine
Hälfte des Bootes gehört der Familie, die andere
dem Miether, und obwohl der Raum außerordentlich be-
schränkt ist (das ganze Boot mißt kaum 25 Fuß in der
Länge), so herrscht doch die größte Reinlichkeit und Ord-
nung, denn jeden Morgen wird alles gescheuert und ge-
waschen. Jedes Fleckchen ist äußerst sinnreich benützt,
sogar zu einem winzigen Hausaltare findet sich Platz.
Unter Tages wird gekocht und gewaschen, wobei es nicht
an kleinen Kindern fehlt, und dennoch wird der Miether
nicht im geringsten belästigt; kein eklicher Anblick bietet
sich ihm dar, und er vernimmt nur höchst selten die wei-
nerliche Stimme eines der armen Kleinen. Während die
Mutter das Ruder führt, trägt sie ihr Jüngstes auf den
Rücken gebunden. Die größeren Kinder haben auch zu-
weilen dergleichen festgebundene Lasten; springen und
21
klettern aber damit herum, ohne im geringsten darauf
Rücksicht zu nehmen. Oft fah ich mit Wehmuth, wie das
Köpfchen eines kaum gebornen Kindes bei jedem Sprunge
des älteren von einer Seite auf die andere geworfen
wurde, oder wie die brennende Sonne so aufs unbedeckte
Hauptfach, daß das Kindchen kaum die Augen zu öffnen
vermochte. – Von der Armuth und Beschränktheit einer
chinesischen Bootfamilie ist es wahrlich schwer sich einen
Begriff zu machen.
Man beschuldigt die Chinesen, daß sie viele der
neugebornen oder schwächlichen Kinder tödten. Sie sollen
selbe entweder gleich nach der Geburt ersticken und in
den Fluß werfen oder in den Straßen aussetzen, welch
letzteres das grausamste ist, da es viele Schweine und
herrenlose Hunde gibt, die dann mit Heißhunger über die
gebotene Beute fallen. Am häufigsten mag dies mit Mäd-
chen geschehen, denn was die Knaben betrifft, so schätzt
sich jede Familie glücklich, deren zu haben, da es ihre
Pflicht ist, die Eltern in den alten Tagen zu ernähren, –
ja der älteste Sohn muß, Falls der Vater stirbt, defen
Stelle vertreten und für seine übrigen Geschwister sorgen,
wogegen diese ihm unbedingt zu folgen und in allem die
höchste Achtung zu erweisen haben. – Auf Erfüllung
dieser Gesetze wird sehr strenge gehalten und jeder dawi-
derhandelnde mit dem Tode bestraft.
Großvater zu fein betrachten die Chinesen als Ehre,
und um diesen Vorzug kenntlich zu machen, trägt jeder
so beglückte Mann einen Schnurrbart. Diese grauen,
magern Bärte fallen um so mehr in die Augen, da man
22
an den jungen Männern nicht nur keine Schnurrbärte,
sondern überhaupt gar keine Bärte sieht.
Was die Sitten und Gebräuche der Chinesen anbe-
langt, so bin ich nur im Stande einzelner zu erwähnen, in-
dem es für den Fremden schwer, ja beinahe unmöglich ist,
dieselben kennen zu lernen. Ich bemühte mich, so viel
als möglich davon zu sehen, begab mich bei allen sich dar-
bietenden Gelegenheiten unter das Volk und schrieb dann
getreulich nieder, was ich alles bemerkt hatte.
Als ich eines Morgens ausging, begegneten mir
mehr denn fünfzehn Verbrecher, die alle in das hölzerne
Joch (Can-gue) gesperrt waren und zur Schau in den
Straßen umher geführt wurden. Es besteht dieses Joch
aus zwei großen Stücken Holz, die sich ineinander fügen
und eine bis drei Oeffnungen haben, durch welche, je nach
der Größe des Vergehens, der Kopf und eine oder beide
Hände gesteckt werden. Ein solcher Block wiegt 50 bis
100 Pfund und drückt so schwer auf Achseln und Schul-
tern, daß der arme Verbrecher nie die Nahrung selbst zum
Munde führen kann, sondern warten muß, bis ihn irgend
eine mitleidige Seele füttert. – Solche Strafen währen
von einigen Tagen bis zu mehreren Monaten; im letz-
teren Falle erliegt der Verbrecher fast immer.
Eine andere Strafe ist das Prügeln mit dem Bam-
busrohre, welches, wenn es auf zarte Theile des Körpers
geschieht, das Opfer oft schon nach dem fünfzehnten
Streiche seiner irdischen Leiden für immer enthebt. –
Weitere Strafen, die jenen der christlichen Inquisition
nichts nachgeben, sind: Haut abziehen, Glieder einquet-
fchen, Sehnen aus den Füßen lösen u. f. w. Die Todes-
23
urtheile erscheinen dagegen milde – sie lauten auf Er-
würgen und Köpfen; doch sagte man mir, daß in einzel-
nen, ganz besondern Fällen noch das Zersägen und das
Verhungernlaffen stattfinde. Bei ersterem wird das arme
Opfer zwischen zwei Bretter gepreßt und von oben durch-
gesägt, bei letzterem entweder bis an den Kopf in die
Erde gegraben und so dem Hungertode überlaffen, oder
es wird ihm das hölzerne Joch umgelegt und von Tag
zu Tag weniger Nahrung gegeben, bis es am Ende nur
einige Reiskörner bekömmt. Ungeachtet der harten, grau-
famen Strafen und Todesarten soll man indessen doch
Leute finden, die gegen Bezahlung sich für andere strafen,
ja tödten laffen.
Im Jahre 1846 wurden in Canton 4000 Menschen
geköpft. Es waren zwar die Verbrecher von zwei Provin-
zen, die zusammen neunzehn Mill. Einwohner zählen; defen
ungeachtet ist dies aber doch eine furchtbare Menge. Sollte
die Zahl der Verbrecher wirklich so groß sein – oder
verhängt man die Todesstrafe so leicht – oder ist viel-
leicht beides der Fall?!
Ich kam einmal zufällig in die Nähe des Richtplatzes
und sah zu meinem Entsetzen eine große Reihe noch blu-
tender Köpfe auf hohen Stangen zur Schau ausgestellt.
Die Körper dürfen die Verwandten hinwegnehmen und
begraben.
In China gibt es verschiedene Religionen; die aus-
gebreiteste ist der Buddhismus. Er enthält sehr vielen
Aberglauben und Götzendienst und ist gewöhnlich die Re-
ligion des niederen Volkes. Die natürlichste ist jene
des weiten Con-fut-zee, welche auch die Religion des
24
Hofes, der Beamten, der Gelehrten und der gebildeten
Stände sein soll.
Die Bevölkerung China’s besteht aus vielen und
sehr verschiedenen Stämmen, deren Charakteristik zu geben
ich leider unvermögend bin, da die Zeit meines Aufent-
haltes in China viel zu kurz hiezu war. Das Volk, wel-
ches ich in Canton, Hong-kong und Macao gesehen habe,
ist von mittlerer Größe. Die Farbe der Haut ist, je nach
der Beschäftigung, verschieden; der Landmann, der Träger
ist ziemlich sonnenverbrannt, der Reiche, die vornehme
Frau weiß. Die Gesichtsbildung ist breitgedrückt und
häßlich; die Augen sind schmal, etwas schiefgeschlitzt und
stehen weit auseinander, die Nase ist breit und der Mund
groß. Die Finger an den Händen fand ich bei vielen
ungewöhnlich lang und mager. Die Nägel daran laffen
nur die Reichen (beiderlei Geschlechtes) zum Beweise,
daß sie nicht, gleich den Geringeren, nöthig haben, durch
Händearbeit ihr Brod zu verdienen, übermäßig lang
wachsen; gewöhnlich find dergleichen aristokratische Nägel
einen halben Zoll lang – bei einem einzigen Manne sah
ich sie von der Länge eines starken Zolles, und auch das
nur an der linken Hand. Mit dieser konnte er einen
flachen Gegenstand nicht aufheben, ohne die Hand flach
darauf zu legen und die Sache zwischen die Finger zu
klemmen.
Die Frauen der Vornehmen sind im Durchschnitte
zum Fettwerden geneigt – eine Beschaffenheit, die hier
nicht nur am weiblichen, sondern auch am männlichen
Geschlechte hoch geschätzt wird.
Obwohl ich viel über die kleinen Füße der Chine-
25
finnen gelesen hatte, überraschte mich doch deren Anblick
im höchsten Grade. Durch Vermittlung einer Miffionärs-
Frau (Mad. Balt) gelang es mir, solch ein Füßchen in
natura zu sehen. Die vier Zehen waren unter die
Fußsohle gebogen, an dieselbe fest gepreßt und schienen
mit ihr wie verwachsen, nur die große Zehe ließ man
ungestört auswachsen. Der Vordertheil des Fußes war mit
starken, breiten Bändern so zusammengeschnürt, daß er,
statt in die Breite und Länge, in die Höhe ging und sich
mit dem Rohre des Fußes vereinte; an der Stelle des
Knöchels bildete sich daher ein dicker Klumpen, der sich
an das Bein anschloß. Der Untertheil hatte kaum vier
Zoll Länge und anderthalb Zoll Breite. Der Fuß wird
stets in weißes Linnen oder in Seide gewickelt, mit starken
breiten Seidenbändern umwunden und in niedliche Schuhe
mit sehr hohen Absätzen gesteckt. -
Zu meiner Verwunderung trippelten diese verfüm-
melten Geschöpfe trotz uns breitfüßigen Wesen, ziemlich
schnell einher, nur mit dem Unterschiede, daß sie dabei
gleich Gänsen wackelten; sie stiegen sogar Trepp auf und
ab ohne Hilfe eines Stockes.
Von dieser chinesischen Verschönerung sind nur die
Mädchen der ärmsten Klaffe, das ist jener, die in Booten
wohnt, ausgenommen; in den vornehmen Familien trifft
alle das Loos, in den geringeren gewöhnlich die erstge-
borne Tochter.
Der Werth der Bräute wird nach der Kleinheit der
Füße bestimmt.
Man nimmt diese Verstümmlung nicht an dem neu-
gebornen Kinde vor, sondern wartet damit bis zum voll-
26
endeten ersten, manchmal auch bis zum dritten Jahre.
Auch wird der Fuß nach der Operation nicht, wie manche
behaupten, in einen eisernen Schuh gezwengt, sondern nur
mit festen Bändern zusammengeschnürt.
Die Chinesen dürfen, ihrer Religion gemäß, viele
Frauen halten; doch stehen sie in diesem Punkte den Mu-
hamedanern weit nach. Die Reichsten haben selten mehr
als sechs bis zwölf Frauen, die Armen begnügen sich mit
einer einzigen.
Ich besuchte in Canton, so viel mir möglich war,
die Werkstätten verschiedenartiger Künstler. Mein erster
Gang galt den vorzüglichsten Malern, und ich muß ge-
stehen, daß mich die Lebhaftigkeit und der Glanz ihrer
Farben wirklich frappierte. Man schreibt ihn hauptsäch-
lich dem Reispapiere zu, worauf sie malen, und welches
von ausgezeichneter Feinheit und Milchweiße ist.
Die Arbeiten auf Leinwand oder Elfenbein unter-
scheiden sich in Betreff der Farben sehr wenig von denen
unserer europäischen Künstler, desto mehr aber in Betreff
der Composition und der Perspektive, worin die Chinesen
noch in der ersten Anfangsperiode stehen. Ganz beson-
ders gilt dies von der Perspektive. Die Figuren oder
Gegenstände des Hintergrundes wetteifern an Größe und
Lebhaftigkeit der Farben mit jenen des Vordergrundes,
und Flüffe oder Seen schweben gar oft in der Höhe an
der Stelle der Wolken. Dagegen wissen sie sehr gut zu
kopiren*) und sogar zu porträtieren. Ich sah Porträts,
*) Wenn sie ein Bild kopieren, theilen sie es, wie unsere
Künstler, in Quadrate ein.
27
so richtig getroffen und gezeichnet, so herrlich in Farben
- ausgeführt, daß sich tüchtige, europäische Künstler der Ar-
beit nicht zu schämen gebraucht hätten.
Von ausgezeichneter Geschicklichkeit sind die Chinesen
in Schnitzereien in Elfenbein, Schildkröte und Holz.
Besonders trifft man unter den Arbeiten in schwarzem, fei-
nem Lack mit flachen oder erhabenen Goldzeichnungen oft
Gegenstände, die jeder Schatzkammer als große Zierde
dienen könnten. Ich fah kleine Damen-Nähtischchen bis
zum Werthe von 600 Dollars. – Eben so ausgezeichnet
schön sind die Körbchen, Tapeten u. d. g., die sie aus
Bambus verfertigen.
Weit weniger leisten sie in Gold- und Silberarbei-
ten, die alle meist plump und geschmacklos sind. Dagegen
haben sie in der Fabrikation des Porzellans einen großen
Ruf erlangt. Ihre Fabrikate zeichnen sich sowohl durch
Größe als Durchsichtigkeit aus. Vasen und andere Ge-
fäße von vier Fuß Höhe waren zwar weder durchsich-
tig noch leicht; aber Taffen und kleine Gegenstände
zeichneten sich durch eine Feinheit und Durchsichtigkeit
aus, die nur dem Glase zu vergleichen war. Die
Farben der Malereien sind sehr lebhaft, die Zeichnungen
aber steif und schlecht.
In Verfertigung von Seidenstoffen und Crepontüchern
fand ich sie unübertrefflich; die letzteren besonders find
an Schönheit, Geschmack und Dichte des Stoffes bei wei-
tem den französischen und englischen vorzuziehen.
Die Musik steht hingegen auf einer so niedrigen
Stufe, daß die guten Chinesen hierin beinahe den wilden
Völkern zu vergleichen sind. Es fehlt ihnen zwar nicht
28
an Instrumenten, wohl aber an der Kunst, felbe zu be-
handeln. Sie haben Violinen, Guitarren, Lauten (alle
mit Saiten oder Eisendraht bezogen), Hackbrette, Blas-
instrumente, Trommeln, Pauken und Becken, kennen aber
weder Composition noch Melodie oder Vortrag: sie schar-
ren, kratzen und schlagen auf ihre Instrumente der Art,
daß sie den vollkommenen Effekt einer Katzenmusik her-
vorbringen. Ich hatte auf meinen Fahrten auf dem Perl-
fluffe mehrmals Gelegenheit, solch kunstvolle Aufführun-
gen auf Mandarins- und Blumenbooten zu hören.
Im Betrügen sind sie viel geschickter, und überlisten
ganz gewiß jeden Europäer. Auch haben sie dabei gar
kein Ehrgefühl; kömmt ihr Betrug an den Tag, so sagen
fie höchstens: „Der war geschickter oder schlauer als ich.
– Man erzählte mir, daß, wenn sie lebende Thiere als,
Kälber, Schweine u. dgl. verkaufen, die dieselben, da
ihr Werth nach dem Gewichte bestimmt wird, zwingen,
Steine oder große Quantitäten Waffer zu verschlucken.
Auch das Fleisch des getödten Geflügels, wissen sie so
aufzublasen und herzurichten, daß es vollkommen frisch,
voll und fett aussieht.
Aber nicht nur das gemeine Volk ist so schlecht und
betrügerisch, – diese schönen Eigenschaften erstrecken sich
bis auf die höchsten Beamten. So weiß man, daß es
nirgends mehr Piraten gibt als in der chinesischen See,
und ganz besonders in der Umgebung Cantons; dennoch
geschieht nichts zu ihrer Bestrafung oder Vertreibung,
indem es die Mandarinen nicht unter ihrer Würde finden,
mit jenen in heimlicher Verbindung zu stehen.
Der Opiumhandel z. B. ist verboten, – trotzdem
29
wird jährlich so viel eingeschmuggelt, daß der Werth
dieser Einfuhr jenen der Ausfuhr des Thees übersteigen
soll*) Die Kaufleute verstehen sich mit den Beamten
und Mandarinen, man bedingt eine Summe für jeden
Pikul, und nicht selten bringt der Mandarin selbst ganze "
Schiffsladungen unter einer Flagge ans Land.
So soll sich auf einer der Inseln unweit Hong-kong
eine ausgebreitete Falschmünzerei befinden, die ganz unge-
stört arbeitet, da sie an die Beamten und den Mandarin
einen Tribut bezahlt. Kürzlich wurden einige Räuber-
schiffe, die sich gar zu nahe an Canton gewagt hatten, in
den Grund geschoffen, wobei die Mannschaft verunglückte
und der Anführer gefangen genommen wurde. Die Pira-
tengesellschaft ersuchte in einem Schreiben die Regierung
um Freigebung des Anführers und drohte im Verwei-
gerungsfalle mit großen Brandlegungen. Jedermann war
überzeugt, daß diesem Drohbriefe noch eine Summe Gel-
des beigefügt war, denn nach kurzem hieß es, der Ver-
brecher sei entschlüpft.
Ich erlebte in Canton einen Fall, der mir große
Angst verursachte, und der die Ohnmacht oder Willenlosig-
keit der chinesischen Regierung genügend beweiset.
Am 8. August fuhr Herr Agafiz mit einem Freunde
nach Whampoa, gedachte aber noch des Abends zurück-
zukehren. Ich blieb mit den chinesischen Dienern allein
im Hause. Herr Agafiz kam nicht; – endlich in der
Nacht gegen ein Uhr vernahm ich plötzlich laute Stimmen,
und man schlug mit Heftigkeit an das Hausthor. Anfangs
*) Der Pikul unpräparierten Opiums kömmt auf 600 Dollars.
dachte ich, es sei Herr Agafiz und wunderte mich sehr
über die laute Nachhausekunft; bald aber gewahrte ich,
daß der Lärm nicht in unserm, sondern im gegenüber-
liegenden Hause statt hatte. Es ist ein solcher Irrthum
sehr leicht, da die Häuser sich ganz nahe stehen und die
Fenster Tag und Nacht offen sind. – Ich hörte rufen:
Stehen Sie auf, kleiden Sie sich an! – und da-
zwischen wieder: Es ist fürchterlich! es ist entsetzlich!
Gott! wo, wo ist es geschehen? – – Ich sprang aus
dem Bette und warf eilig ein Kleid um, mit dem Gedanken,
es müffe entweder Feuer oder ein Aufstand ausgebrochen
sein*).
Als ich einen der Herren in der Nähe eines Fensters
gewahrte, rief ich hinüber und bat ihn, mir zu sagen,
was so schreckliches vorgefallen sei. Er erzählte mir in
Eile, man habe so eben die Nachricht gebracht, daß zwei
seiner Freunde, die nach Hong-kong fahren wollten (Wham-
poa lag auf dem Wege) von Piraten überfallen und der
eine ermordet, der andere verwundet worden sei. – Er
verließ gleich darauf das Fenster, so daß ich ihn nicht um
den Namen des Unglücklichen fragen konnte und so während
der ganzen Nacht in Angst schwebte, ob man diese Unthat
nicht an Hrn. Agafiz verübt habe.
Glücklicherweise war wenigstens dies nicht der Fall,
*) Besonders letzteres war täglich zu erwarten, und das Volk
ließ sich verlauten, daß spätestens am 12. oder 13. August
eine Revolution ausbrechen werde, in welcher alle Euro-
päer ihr Leben verlieren sollten. – Man denke ich meine
Lage, – ich war mir ganz allein überlaffen und nur von
Chinesen umgeben,
ZI
denn Herr Agafiz kam des Morgens um fünf Uhr nach
Haufe.
Ich erfuhr nun, daß dieses Unglück Herrn Vauchée,
einen Schweizer getroffen hatte, der manchen Abend bei
uns gewesen war. Noch am Tage seiner Abreise sah ich
ihn bei unserm Nachbar, wo es munter und lustig her-
ging und bis nach acht Uhr Abends die schönsten Lieder
und Quartette gefungen wurden. Um 9 Uhr begab er
sich in das Boot, um 10 Uhr wurde abgefahren und eine
Viertelstunde darauf, mitten unter tausenden von Scham-
pans und andern Fahrzeugen, fand er ein trauriges Ende.
Herr Vauchée hatte die Absicht gehabt, nach Hong-
kong zu fahren und sich daselbst auf einem größeren Schiffe
nach Tschang-hai *) einzuschiffen; er führte Schweizer-
Uhren im Werthe von 40 000 Franken mit sich und er-
zählte noch einen Freunden, wie vorsichtig er felbe ein-
gepackt, ohne daß seine Diener etwas davon gesehen
hätten. Dieß scheint aber doch nicht der Fall gewesen zu
sein, und da die Piraten in jedem Hause unter der Die-
nerschaft Spione haben, so waren sie von allem leider nur
zu gut unterrichtet.
Während meines Aufenthaltes zu Canton wurde
das Haus eines Europäers von dem Volke zerstört, weil
es auf einem Grunde stand, der zwar von Europäern
bewohnt werden durfte, bisher aber noch nicht bewohnt
worden war.
So vergingen selten Tage, ohne daß man von Un-
*) Einer der neueren Hafenorte, der den Engländern im Jahre
1842 eröffnet wurde.
32
fügen oder Gewaltthätigkeiten hörte, und man lebte in
immerwährender Angst, besonders da sich das Gerücht
einer nahe bevorstehenden Revolution verbreitet hatte, in
welcher alle Europäer getödtet werden sollten. Gar viele
Kaufleute waren zu augenblicklicher Flucht bereit, und
in den meisten Comptoirs waren Musketen, Pistolen
und Säbel in zierlicher Ordnung aufgestellt. – Glück-
licherweise ging die für den Ausbruch der Revolution be-
stimmte Zeit vorüber, ohne daß das Volk seine Drohung
erfüllte.
Die Chinesen sind im höchsten Grade feige, – sie
sprechen groß, wenn sie sicher sind, selbst keinen Schaden zu
leiden, z. B. wenn es gilt, einzelne zu steinigen, auch wohl
zu tödten. Wo sie aber auf Widerstand zu rechnen haben,
da greifen sie sicher nicht an. Ich glaube, daß ein Dutzend
guter europäischer Soldaten wohl hundert chinesische in die
Flucht schlüge. Mir ist noch kein feigeres, falscheres und
dabei grausameres Volk vorgekommen als das chinesische.
Ein Beweis dafür ist unter anderen, daß ihr größtes
Vergnügen darin besteht, Thiere zu quälen.
Trotz der ungünstigen Stimmung des Volkes wagte
ich viele Gänge. Herr von Carlovitz hatte viel Güte
und Geduld, mich überall hin zu begleiten, und setzte sich
meinetwegen gar manchen Gefahren aus. Er ertrug es
mit Gelaffenheit, wenn das Volk hinter uns nach stürmte
und seinen Zorn über die Kühnheit der europäischen Frau,
sich öffentlich zu zeigen, in Worten Luft machte. – Durch
feine Verwendung fah ich mehr, als je eine Frau in China
gesehen hatte.
33
Unser erster Ausflug ging nach dem berühmten Tem-
pel Hon an, welcher zu den schönsten in China gehören soll.
Der Tempel ist mit feinen ausgedehnten Nebenge-
bäuden und großen Gärten von einer hohen Mauer um-
geben. Man betritt zuerst einen großen Vorhof, an dessen
Ende ein kolossales Portal in die innern Höfe führt.
Unter dem Bogen dieses Portals sind zwei Kriegsgötter
angebracht, jeder von 18 Fuß Höhe, in drohender
Stellung und mit fürchterlich verzerrtem Gesichte. Sie
sollen bösen Geistern den Eingang verwehren. Ein zwei-
tes ähnliches Portal, unter welchem die vier himmlischen
Könige aufgestellt sind, führt in den innersten Hof, in
welchem sich der Haupttempel befindet. Das Innere die-
fes Tempels ist hundert Fuß Jang und eben so breit. Die
flache Decke, von welcher eine Menge Glaslustres, Lampen,
künstlich verfertigte Blumen und farbige Seidenbänder
herabhängen, ruht auf einigen Reihen hölzerner Säulen.
Viele Statuen, Altäre, Blumen- und Räuchergefäße,
Kandelaber, Leuchter und andere Zierathen erinnern un-
willkürlich an die Ausschmückung einer katholischen Kirche.
Im Vordergrunde stehen drei Altäre, hinter diesen
drei Statuen, welche den Gott Buddha in dreierlei Ge-
falten, in jener der Vergangenheit, der Gegenwart und
der Zukunft darstellen. Die Figuren sind kolossal und in
fitzender Stellung. -
Zufällig hielt man gerade Gottesdienst, als wir den
Tempel besuchten – es war eine Art Todtenmeffe, welche
ein Mandarin für eine seiner verstorbenen Gattinen halten
ließ. – Am rechten und linken Altare befanden sich die Prie-
fer, deren Gewänder und sogar Ceremonien ebenfalls jenen
Pfeiffers Reise, II. Th. Z
34
der katholischen Priester glichen. Am Mittelaltare be-
fand sich der Mandarin, andächtig betend und sich dabei
von zwei Dienern mittelst großer Fächer Luft zuwehen las-
fend*). Er küßte sehr häufig den Boden, worauf ihm
jedesmal drei Rauchkerzchen gereicht wurden, die er
erst in die Höhe hob und dann einem Priester gab,
der sie vor einer der Buddha-Statuen aufpflanzte,
jedoch ohne sie anzuzünden. – Die Musikkapelle war
aus drei Männern gebildet, von welchen einer auf
einem Saiteninstrumente scharrte, während der zweite auf
eine metallenen Kugel schlug und der dritte auf einer
Flöte blies.
Außer diesem Haupttempel gibt es noch verschiedene
Hallen und Tempelchen, die mit Statuen von Göttern
ausgeschmückt sind. Eine besondere Verehrung genießen
die 24 Götter der Barmherzigkeit und Kwanfoote, ein
Halbgott des Krieges. Von ersteren haben manche vier,
sechs, ja auch acht Arme. Alle Gottheiten, Buddha
nicht ausgenommen, find von Holz, vergoldet und meist
mit schreienden Farben bemalt.
*) Seine Kleidung bestand aus einem weiten Oberkleide, das
bis an die Kniee reichte und mit offen flatternden Aermeln
versehen war; darunter sah man ein weißseidenes Bein-
kleid. Das Oberkleid war von Brokat in lebhaften Farben
und bizarren Mustern. Auf der Brust hatte er zwei Vö-
gel als Abzeichen des Ranges, nebst einem Halsbande von
schönen Steinen. Die Stiefel, von schwarzem Seidenstoff,
gingen vorne in gebogene Spitzen aus. Als Kopfbe-
deckung trug er einen fammtenen Hut von konischer Form
mit einem vergoldeten Knopfe“
35
In dem Tempel der Barmherzigkeit wäre uns bald
ein etwas unangenehmes Abentheuer begegnet. Ein Prie-
fer oder Bonze reichte uns kleine Rauchkerzchen, die wir
anzünden und seiner Gottheit weihen sollten. Herr von
Carlowitz und ich hielten die Kerzchen schon in der Hand
und wollten ihm gerne diese Freude machen; allein ein
amerikanischer Miffionär, der uns begleitete, ließ es nicht
zu, sondern riß uns die Kerzchen aus der Hand und gab
fie erzürnt dem Priester zurück, indem er diese Hand-
lung für Götzendienst erklärte. Der Priester nahm die
Sache sehr ernsthaft, schloß augenblicklich den Ausgang,
rief nach seinen Kameraden, die bald von verschiedenen
Seiten herbeikamen, ganz jämmerlich schimpften und
schrien, und dabei immer näher auf uns eindrangen. Nur
mit vieler Mühe gelang es uns, den Ausgang zu er-
kämpfen und uns so der Gefahr zu entziehen.
Unser Führer geleitete uns nach diesem überstande-
nen Strauß in die Behausung der geheiligten – –
Schweine*). Eine schöne steinerne Halle ist ihnen zur
Wohnung eingeräumt; doch verbreiten diese sonderbaren
Heiligen, trotz aller Sorgfalt, die auf sie verwendet wird,
einen so abscheulichen Geruch, daß man ihnen nur mit
verhaltener Nase nahen kann. Sie werden gepflegt und
gefüttert bis ein natürlicher Tod sie in’s beffere Leben
*) Man muß wissen, daß den Chinesen dieses Thier besonders
heilig ist, aber doch nicht so heilig, daß es nicht mit
gutem Appetite verspeist würde. Die heiligen, wie die
unheiligen chinesischen Schweine find klein, sehr kurzbeinig,
von graulichter Farbe und mit einem langen Rüffel ver-
fehen.
3”
führt. Gegenwärtig befand sich nur ein so glückliches
Pärchen hier – selten soll ihre Zahl drei Paare über-
schreiten.
Beffer als dieser heilige Ort gefiel mir die daran-
foßende Wohnung eines Bonzen. Sie befand zwar nur
aus einem Wohn- und Schlafstübchen, hatte aber eine
bequeme und nette Einrichtung. In dem Wohnzimmer
waren die Wände mit Holzschnitzwerk geziert, die Möbel
antik und zierlich gearbeitet; an der Hinterwand befand
sich ein kleiner Altar, und den Fußboden bedeckten große
Steinplatten.
Wir fanden hier einen Opium-Raucher. Er lag
auf dem Boden auf einer Matte ausgestreckt, und hatte
zur Seite eine gefüllte Theetaffe, einige Früchte, ein Lämp-
ichen und mehrere Pfeifen, deren Köpfe kleiner als Finger-
hüte waren; aus der einen fog er eben die berauschenden
Dämpfe. (Man sagt, daß es in China Opiumraucher
gibt, die 20 bis 30 Gran*) täglich vertragen.) Da er
bei unserm Eintritte noch nicht ganz in bewußtlosem Zu-
fande war, raffte er sich mühsam auf, legte die Pfeife zur
Seite und schleppte sich zu einem Stuhle. Seine Augen
sahen fier, und Todtenbläffe bedeckte sein Gesicht – es war
ein höchst trauriger, bedauernswürdiger Anblick.
Zum Schluffe führte man uns noch in den Garten,
in welchem die Bonzen nach dem Tode verbrannt werden
– eine besondere Auszeichnung, denn die andern Leute
werden nur begraben. Ein einfaches Mausoleum, viel-
leicht von dreißig Fuß im Gevierte und einige kleine Pri-
*) 240 Gran gehen auf ein Loth.
37
vatmonumente ist alles, was da zu sehen ist. Weder das
eine noch die andern sind hübsch; sie bestehen aus ganz
einfachen Mauerwerken. Im ersteren werden die Gebeine
der Verbrannten bewahrt, unter letzteren sind reiche Chi-
nesen begraben, deren Erben tüchtig bezahlten, um solch
einen Platz zu erringen. – Unweit davon steht ein
Thürmchen von acht Fuß im Durchmesser und achtzehn in
der Höhe, an defen Boden eine kleine Vertiefung ist,
in welcher ein Feuer angemacht wird. Ueber dieser Ver-
tiefung steht der Lehnstuhl, auf dem der verstorbene Bonze
in vollem Ornate angebunden ist. Rund umher wird
noch Holz und dürres Reis gelegt, dieses angezündet und
die Thüre verschloffen. Nach einer Stunde öffnet man
fie wieder, zerstreut die Asche um den Thurm, und be-
wahrt die Gebeine auf bis zur Zeit der Eröffnung des
Mausoleums, die alljährlich nur einmal fatt hat.
Eine Merkwürdigkeit dieses Gartens ist die schöne
Wafferrose oder Lotosblume (Nymphea Nelumbo), deren
eigentliches Vaterland China ist. Die Chinesen sind
solche Liebhaber dieser Blume, daß sie ihretwegen in
jedem Garten Teiche anlegen. Die Blume mag an sechs
Zoll im Durchmesser haben und ist gewöhnlich von wei-
ßer Farbe, höchst selten blaßröthlich. Die Samen-
körner gleichen an Größe und Geschmack jenen der Ha-
selnüffe; die Wurzeln sollen gekocht wie Artischocken
schmecken.
Im Tempel Honan leben über hundert Bonzen, die
sich in ihrem Hausanzuge durch nichts von den gemeinen
Chinesen unterscheiden; man erkennt sie allein an ihrem
ganz geschornen Haupte. Weder diese Priester noch an-
38
dere sollen sich der geringsten Achtung des Volkes zu er-
freuen haben.
Unser zweiter Ausflug galt der Halfway-Pagode,
von den Engländern so genannt, weil sie auf dem halben
Wege von Canton nach Whampoa liegt. Wir fuhren auf
dem Perlfluffe dahin. Die Pagode steht auf einem kleinen
Erdhügel, nahe an einem Dorfe, inmitten ungeheurer
Reisfelder; sie hat neun Stockwerke und eine Höhe von
170 Fuß. Ihr Umfang ist nicht sehr bedeutend und bis zur
Spitze hinauf ziemlich gleich, so daß sie dadurch das An-
sehen eines Thurmes bekömmt. Diese Pagode gehörte,
wie man mir sagte, zu einer der berühmteren in China.
Nun ist sie aber schon lange nicht mehr im Gebrauche.
Der innere Raum war ganz leer; man fah weder Statuen
noch andere Ausschmückungen, und keine Zwischendecke
hinderte den Blick, sich bis an die Spitze des Gebäudes
zu verlieren. Von außen umgeben schmale Gänge ohne
Geländer jedes Stockwerk, und schroffe, schwer zu erstei-
gende Treppen führen hinan. Einen sehr schönen Effekt
machen diese vorspringenden Gänge, da sie von farbigen
Ziegeln kunstvoll zusammengesetzt und mit bunten Thon-
platten eingelegt sind. Die Spitzen der Ziegel, schief
nach Außen gekehrt, liegen reihenweise übereinander, so
daß jede Spitze bei vier Zoll über die andere ragt. Von
Ferne gesehen gleicht dies einer halb durchbrochenen Ar-
beit, und durch die schönen Farben und die Feinheit der
Thonplatten kann man sich leicht verführen laffen, die
ganze Maffe für Porzellan zu halten.
Während wir die Pagode untersuchten, hatte sich
die Dorfgemeinde um uns versammelt, und da sich die
39
guten Leute ziemlich ruhig verhielten, brachte uns dies
auf den Gedanken, auch ihr Dörfchen zu besehen. Wir fan-
den kleine, aus Backsteinen zusammengesetzte Häuser, oder
beffer gesagt Hütten, die außer flachen Dächern nichts
eigenthümliches an sich hatten. Ueber dem Stübchen war
keine besondere Decke; man fah bis an das Hausdach;
der Fußboden war gestampfte Erde und die Scheidewände
bestanden zum Theil aus Bambusmatten. An Möbeln
war wenig vorhanden und alles unrein gehalten. Unge-
fähr in der Mitte des Dorfes standen kleine Tempelchen,
und vor dem Hauptgotte brannten einige düstere Lämpchen.
Ich wunderte mich am meisten über das viele Feder-
vieh, das man in und außer den Hütten fah – man
mußte sich ordentlich in Acht nehmen, die junge Brut
nicht zu zertreten. – Das Geflügel wird hier wie in
Egypten durch künstliche Wärme ausgebrütet.
Als wir wieder vom Dorfe zur Pagode zurückge-
kehrt waren, sahen wir zwei Schampans landen, aus wel-
chen viele braune, halbnakte und größtentheils bewaffnete
Männer sprangen, die eilig die Reisfelder durchschritten
und gerade auf uns losgingen. Wir hielten sie für
Piraten und erwarteten mit einiger Angst die Dinge,
die da kommen würden. Waren es wirklich Piraten,
fo sahen wir uns auch rettungslos verloren, denn hier,
weit von Canton entfernt und umgeben von lauter Chine-
sen, die ihnen noch hilfreiche Hand geleistet hätten, wäre
es ihnen doppelt leicht gewesen, mit uns fertig zu wer-
den. An ein Entkommen, an eine Rettung war daher
gar nicht zu denken.
Unterdessen kamen die Leute immer näher und
4(!)
der Anführer stellte sich uns in gebrochenem Englisch als
den Kapitän eines Siamesischen Kriegsschiffes vor. Er
erzählte uns, daß er erst kürzlich angekommen sei und den
Gouverneur von Bangkok hieher gebracht habe, der sich
zu Lande weiter nach Peking begäbe. – Unsere Angst
verlor sich nach und nach, und wir nahmen sogar die
freundliche Einladung des Kapitäns an, bei der Rückfahrt
an seinem Schiffe anzulegen, um es zu besehen. Er setzte sich
zu uns ins Boot, fuhr uns selbst an sein Schiff und zeigte
uns da alles persönlich; doch war der Anblick nicht be-
sonders reizend. Die Mannschaft fah roh und sehr ver-
wildert aus, und alle waren gleich lumpig und schmutzig
gekleidet, so daß man weder Offiziere noch Matrosen aus-
einander finden konnte. Das Schiff zählte zwölf Kanonen
und 68 Köpfe.
Der Kapitän bewirthete uns mit portugiesischem
Weine und englischem Biere – erst spät des Abends kamen
wir nach Hause. -
Der weiteste Ausflug, den man von Canton machen
kann, erstreckt sich 20 Meilen den Perlfluß aufwärts.
Herr Agafiz war so gütig, mir den Genuß dieser Fahrt
zu verschaffen. Er miethete ein schönes Boot, versah uns
reichlich mit Speise und Trank und bat einen Miffionär,
der diese Fahrt schon einigemal gemacht hatte, Herrn von
Carlowitz und mich zu begleiten. – Die Begleitung
eines Miffionärs ist auf den Reifen in China noch die
sicherste Eskorte. Diese Herren sprechen die Sprache des
Landes, sie machen sich nach und nach mit dem Volke be-
kannt und freifen ziemlich ungehindert in den nahen Ge-
genden umher.
41
Ungefähr eine Woche früher als unsere Partie zu
Stande kam, hatten einige junge Leute versucht, diese Fahrt
zu machen; sie waren aber durch Schüffe aus einer der
Festungen, die längs des Fluffes liegen, gezwungen, auf
halbem Wege umzukehren. Als wir in die Nähe dieser
Festung kamen, wollten unsere Fahrleute nicht weiter fahren,
bis wir sie beinahe mit Gewalt dazu zwangen. Da wurde
denn auch auf uns gefeuert, aber glücklicher Weise als
wir bei der Festung schon halb vorüber waren. Wir ent-
gingen der Gefahr und fetzten unsere Reise ohne weitere
Störung fort, landeten bei manchen Dörfchen, betraten
die sogenannte „Herrenpagode und sahen uns über-
all wacker um. Die Gegend war reizend und bot große
Ebenen mit Reis-, Zuckerrohr- und Theepflanzungen,
schöne Baumgruppen, artige Hügel und in der Ferne hö-
here Gebirge. An den Abhängen der Hügel sahen wir
viele Grabmäler, die durch einzelne, aufrecht stehende
Steine bezeichnet waren.
Die Herren pagode besteht aus drei Stockwerken,
ist mit einem spitzauslaufenden Dache gedeckt und zeichnet
sich durch ihre äußere Sculptur aus. Sie hat keine Gänge
von außen; dagegen windet sich um jedes Stockwerk ein
dreifacher Blätterkranz. Im ersten und zweiten Stocke,
zu welchen ganz besonders schmale Treppen führen, befin-
den sich kleine Altäre mit geschnitzten Götzenbildern. In
den dritten Stock ließ man uns nicht gehen, unter dem
Vorwande, daß da nichts zu sehen sei.
Die Dörfer, welche wir besuchten, glichen mehr oder
weniger demjenigen, das wir bei der Halfway-Pagode
gesehen hatten.
42
Auf dieser Partie bekam ich Gelegenheit zu beobach-
ten, auf welche Art sich die Missionäre der religiösen Bü-
cher entledigen. Der Miffionär, welcher so gefällig war,
uns zu begleiten, benützte diese Fahrt dazu, einigen frucht-
bringenden Samen unter das Volk auszustreuen. Er
packte 500 kleine Broschüren auf unser Boot, und so oft
ein anderes Boot in unsere Nähe kam, was sehr häufig
geschah, neigte sich der Mann so weit als möglich vor,
hielt ein halb Dutzend solcher Bücher in die Höhe und
schrie und winkte den Leuten, herbei zu kommen, um die-
selben in Empfang zu nehmen. Kamen die Leute nicht zu
uns, so ruderten wir auf sie los, der Missionär beglückte
fie Dutzendweise mit seinen Broschüren und war schon im
voraus entzückt über den segensreichen Erfolg, den sie
zweifelsohne bewirken würden.
Noch ärger war das Ding, wenn wir in ein Dorf
kamen. Da mußte der Diener ganze Päcke nachschleppen.
In einem Augenblicke umgaben uns viele Neugierige, und
eben so schnell waren die Bücher unter die verheilt.
Jeder Chinese nahm, was man ihm bot,– es kostete ja
nichts, und wenn er auch nicht lesen konnte (die Bücher
waren in chinesischer Sprache geschrieben), so hatte er doch
wenigstens einiges Papier. Unser Miffionär kehrte feelen-
vergnügt-heim, – er hatte alle 500 Exemplare richtig
an den Mann gebracht. Welch herrlichen Bericht gab
das nicht für die Missionsgesellschaft, welch glänzenden
Artikel für die geistliche Zeitung!
Diesen Ausflug, dem Perlfluffe entlang, machten
drei Monate später sechs junge Engländer Auch sie hiel-
ten an einem der Dörfer an und begaben sich unter das
43
Landvolk. Leider aber fielen sie alle als Opfer des chine-
fischen Fanatismus, – sie wurden auf die grausamste
Weise ermordet.
Von größeren Ausflügen blieb mir nun nur noch
ein Gang um die Mauern der eigentlichen Stadt Canton*)
übrig. Auch dieser Wunsch wurde bald erfüllt, denn der
gute Miffionär trug sich mir und Hrn. v. Carlowitz als Be-
gleiter und Beschützer an, doch unter der Bedingung, daß
ich mich verkleide. Bisher hatte noch keine Frau diesen
Gang gewagt, und auch ich, meinte er, dürfte es in mei-
ner Kleidung nicht thun. Ich nahm meine Zuflucht zur
Männerkleidung, und eines frühen Morgens machten wir
uns auf den Weg.
Lange gingen wir durch enge Gäßchen, die mit brei-
ten Steinen gepflastert waren. An jedem Hause fahen
wir in irgend einer Nische kleine Altäre von ein bis zwei
Fuß Höhe, vor welchen noch, da es zeitlich des Morgens
war, die Nachtlämpchen brannten. Eine unendliche Maffe
Oels wird dieses Religionsgebrauches wegen unnütz ver-
brannt. – Nach und nach wurden die Kaufläden geöffnet,
welche niedlichen Hallen gleichen, da die vordern Wände
hinweggenommen sind. Die Waaren werden theils in
offenen Fächerkasten aufgestellt, theils auf Tischen, hinter
*) Die Stadt hat an 9 englische Meilen im Umfange. Sie
ist der Sitz eines Vice - Königs, in die Tartaren - und
Chinesenstadt abgetheilt und durch Mauern geschieden. Die
Bevölkerung der Stadt wird auf 400.000 Seelen geschätzt,
die auf den Booten und Schampans auf 60.000, jene der
nächsten Umgebung Canton’s auf 200.000. Die Zahl der
hier ansäßigen Europäer ist etwa 200.
44
welchen die Chinesen sitzen und arbeiten, ausgebreitet.
Von einer Ecke der Halle führt eine schmale Treppe in
das obere Stockwerk in des Kaufmanns Wohnung.
Auch hier besteht, wie in den türkischen Städten, die
Einrichtung, daß jede Profession ihre besondere Straße
hat, so daß man in einer Gaffe nichts als Glaswaaren, in
einer andern Seidenstoffe u. f. w. sieht. In den Gaffen,
wo die Aerzte wohnen, sind auch alle Apotheken, da die
Aerzte zugleich dies Geschäft mit versehen – Die Lebens-
mittel, die meist recht zierlich aufgestellt sind, haben
ebenfalls ihre eigenen Gaffen. Zwischen den Häusern stehen
viele kleine Tempel, die sich aber im Style von den übri-
gen Gebäuden gar nicht unterscheiden; auch wohnen nur
im Untergeschoße die Götter, in den oberen Stockwerken
ganz gewöhnliche Menschen. -
Die Lebhaftigkeit in den Gaffen war auffallend stark,
besonders in jenen, wo die Lebensmittel aufgespeichert
lagen. Weiber und Mädchen der geringeren Klaffen gin-
gen umher, ihre Einkäufe zu besorgen, so gut wie in Eu-
ropa. Sie erschienen alle unverschleiert, und viele von
ihnen wackelten gleich Gänsen, da, wie ich schon bemerkt
habe, in jeder Klaffe des Volkes der Gebrauch stattfindet,
die Füße zu verkrüppeln. Das Gedränge wird durch die
vielen Lastträger ungemein vermehrt, die mit großen Kör-
ben voll Lebensmittel, die sie auf den Schultern tragen,
durch die Gaffen laufen und dabei mit lauter Stimme
bald ihre Waaren anpreisen, bald die Leute aus dem
Wege gehen heißen. Auch sperren nicht selten die Sänf-
ten, in welchen sich die Reichen und Vornehmen zu ihren
Geschäftslokalen tragen laffen, die ganze Breite eines Gäß-
45
chens und hemmen den Strom des geschäftigen Volkes.
Das schrecklichste aber sind die zahllosen Träger, die ge-
wiffe übelriechende Gegenstände in größen Kübeln davon
schleppen und einem auf jedem Schritte und in jeder
Straße begegnen.
Man muß wissen, daß vielleicht kein Volk auf Erden
an Fleiß und Industrie den Chinesen gleicht, daß keines
fo sorgfältig wie sie jedes Fleckchen Erde benützt und
bepflanzt. Da sie nun wenig Vieh und folglich auch wenig
Dünger haben, so suchen sie diesen auf andere Art zu er-
setzen, und daher ihre große Sorgfalt und Aufmerksamkeit
auf jedes Ercrement lebender Wesen. -
All diese kleinen Gäßchen sind an die Stadtmauer
angebaut, so daß wir schon lange um sie herum gegangen
waren, ehe wir sie bemerkten. Unbedeutende Thore oder
Eingangspförtchen, die des Abends geschloffen werden,
führen in das Innere der Stadt, deren Betretung jedem
Fremden auf das strengste verwehrt wird.
Manchem Matrosen oder sonstigen Fremdlingen soll
es schon geschehen sein, daß sie auf ihren Streifzügen durch
solch ein Pförtchen in die Stadt geriethen ohne es zu
wiffen und ihres Irrthums erst gewahr wurden, als man
anfing Steine nach ihnen zu werfen.
Nachdem wir wenigstens zwei Meilen gemacht hat-
ten, fortwährend durch enge Gäßchen uns drängend, ge-
langten wir ins Freie. Hier hatten wir eine vollkom-
mene Ansicht der Stadtmauern, und von einem kleinen
Hügel, der nahe an der Mauer lag, selbst einen ziemlich
weiten Ueberblick über die Stadt. Die Stadtmauer ist unge-
fähr sechzig Fuß hoch und an den meisten Stellen mit
46
Gras, Schlingpflanzen und Gesträuchen der Art überwach-
fen, daß sie einer herrlichen lebendigen Gartenwand gleicht.
Die Stadt erscheint wie ein Chaos kleiner Häuser, zwi-
schen welchen mitunter einzelne Bäume stehen. Weder
schöne Straßen und Plätze, noch ausgezeichnete Gebäude,
Tempel und Pagoden feffelten unsern Blick. Eine ein-
zige Pagode von fünf Stockwerken erinnerte an China's
Bauart.
Der Weg führte uns ferner über fruchtbares Hügel-
land, über gut gehaltene Wiesen und Felder. Viele der
Hügel dienen zu Grabesstätten und sind mit kleinen Erd-
haufen überdeckt, an welchen zwei Fuß hohe Steinplatten,
oder auch unbehauene Steine lehnen. Manche darunter
waren mit Inschriften bedeckt. Auch Familien-Grüfte
lagen dazwischen, die man in die Hügel hineingegraben,
und mit niedern Mauern in Hufeisenform umgeben hatte;
die Eingänge der Gräber waren ebenfalls vermauert.
Die Chinesen begraben aber nicht alle ihre Todten;
fie haben noch eine andere, eigenthümliche Art, sie aufzube-
wahren, und zwar in kleinen gemauerten Hallen, die aus
zwei Wänden und einem Dache bestehen, und deren an-
dere zwei Seiten offen sind. Hier werden höchstens zwei
bis vier Särge auf zwei Fuß hohen hölzernen Bänken auf-
gestellt. Die Särge sind aus massiven ausgehöhlten
Baumstämmen.
Die Ortschaften, die wir paffierten, waren alle sehr
belebt, sahen aber höchst armselig und unrein aus. Bei
dem Durchgange mancher Gäßchen und Plätze mußten
wir uns die Nase verhalten, und gerne hätten wir oft auch
die Augen geschloffen vor dem häufigen Anblicke eckelhafter
47
Kranken, deren Körper mit Hautausschlägen, Geschwüren
und Beulen überdeckt waren.
In all den Ortschaften sah ich viel Geflügel und
Schweine, aber nicht mehr als drei Pferde und eine Büf-
felkuh; Pferde und Kuh waren von ganz besonders klei-
ner Race.
Beinahe am Ende unserer Wanderung begegneten
wir einem Leichenzuge. Eine jämmerliche Musik kündete
uns etwas besonderes an; doch blieb uns kaum Zeit auf
zuschauen und aus dem Wege zu treten, denn eilig, wie
auf der Flucht begriffen, kam ein Zug daher. Voran liefen
die edlen Musikanten, dann folgten einige Chinesen, ferner zwei
leere Sänften, von Trägern geschleppt, hierauf ein ausge-
höhlter Baumstamm, der den Sarg vorstellte, an einer
Stange hing und ebenfalls getragen wurde, und zum .
Schluffe einige Priester und Volk.
Der Hauptpriester hatte eine Art weißer*) Narren-
kappe mit drei Spitzen auf, die nachfolgenden Leute (nur
Männer) trugen jeder einen weißen Lappen entweder um
den Arm oder um den Kopf gewickelt.
Ich war auch so glücklich, einige der Sommerpaläste
und Gärten der Vornehmen zu sehen.
Vor allen zeichnete sich jener des Mandarins Hau-
qua aus. Das Haus war von ziemlichem Umfange, ein-
stöckig und mit sehr breiten, herrlichen Terraffen versehen.
Die Fenster gingen nach Innen, und die Dachung glich
der europäischen, nur war sie viel flacher. Die ausge-
*) Weiß ist bei den Chinesen die Farbe der Trauer.
48
schweiften Dächer mit den vielen Zacken und Spitzen, mit
den Glöckchen und den eingelegten bunten Ziegeln und
Thonplatten sieht man auch hier nur an Tempeln, Luft-
und Gartenhäusern, nicht aber an den großen Wohngebäu-
den. An die Eingangspforte waren zwei Götter gemalt,
die, nach der Meinung der Chinesen, jedem bösen Geiste
den Eintritt verwehren. -
Der vordere Theil des Hauses bestand aus mehreren
Empfangssälen; sie hatten keine Vorderwände *) – im
Erdgeschoße schloffen sich niedliche Blumengärtchen unmit-
telbar daran, im ersten Stockwerke großartige Terraffen,
die ebenfalls mit Blumen geschmückt waren und herrliche
Uebersichten des belebten Fluffes, der reizenden Gegend
und der Häusermaffe der um Canton's Mauern gelegenen
Orte darboten.
Niedliche Kabinetchen umgaben die Säle, von
welchen sie nur durchsichtige, oft aus den kunstvollsten
Gemälden bestehende Wände schieden. Unter diesen
zeichnen sich besonders jene von Bambus aus, die fein
und zart wie Schleier und mit gemalten Blumen oder
zierlich geschriebenen Sittensprüchen reichlich überdeckt sind.
Eine Unzahl von Stühlen und viele Kanapees stan-
den an den Wänden, woraus man schließen konnte,
daß auch die Chinesen an große Gesellschaften gewöhnt
sind. Man sah da Armstühle, die aus einem einzi-
gen Stücke Holz kunstvoll geschnitzt waren – andere,
deren Sitze aus schönen Marmorplatten bestanden, und
-
*) Im Winter werden die offenen Seiten der Säle durch
Bambusmatten verhängt.
49
wieder andere aus feinem farbigen Thon oder Porzellan.
Von europäischem Hausrath fanden wir schöne Spiegel,
Stockuhren, Vasen, Tischplatten von florentiner Mosaik
oder buntem Marmor. Auffallend war die Menge von
Lampen und Laternen, die von den Decken herabhingen;
sie waren von Glas, von durchsichtigem Horn, von farbi-
ger Gaze und Papier, und mit Glasperlen, Fransen und
Quasten besetzt. Auch an den Wänden fehlte es an Lam-
pen nicht, und bei voller Beleuchtung mögen diese Ge-
mächer wirklich einen zauberhaften Anblick gewähren.
Da wir so glücklich gewesen waren, dies Haus zu er-
reichen, ohne gesteinigt worden zu sein, machte uns dies
Muth, auch die großen Ziergärten Herrn Hauquau's zu
besuchen, die ungefähr dreiviertel Meilen vom Hause ent-
fernt an einem Kanale des Perlfluffes lagen. Kaum hat-
ten wir aber in jenen Kanal eingelenkt, als unsere Fahr-
leute auch schon wieder umkehren wollten; sie sahen darin
ein Mandarinen-Schiff liegen, an welchem alle Flaggen
aufgehißt waren – ein Zeichen, daß sich der Mandarin
darinnen befand. Die Fahrleute wollten es nicht wagen,
uns Europäer daran vorüber zu führen; sie fürchteten zur
Strafe gezogen oder fammt uns vom Volke gesteinigt zu
werden. Wir ließen sie aber nicht umwenden, sondern
fuhren ganz nahe an dem Mandarinschiff vorüber, stiegen
dann aus und setzten unsere Wanderung zu Fuß fort. Bald
hatten wir einen großen Volkshaufen hinter uns, man fing
an, Kinder auf uns zu stoßen, um unsern Zorn zu erre-
regen; allein wir waffneten uns mit Geduld, gingen ruhig
weiter und erreichten glücklich den Garten, dessen Thore
alsogleich hinter uns geschloffen wurden.
Pfeiffers Reise, 11. Th. 4
50
Der Garten war in vollkommen guten Stande, aber
durchaus nicht geschmackvoll. Allerorts hatte man Som-
merhäuschen, Kioske, Brücken u. f. w. angebracht, und
alle Wege und Plätze waren mit großen und kleinen Töpfen
eingefaßt, in welchen Blumen und verkrüppelte Frucht-
bäume aller Gattungen wuchsen.
Im Verkleinern oder vielmehr Verkrüppeln der
Bäume sind die Chinesen vollkommen Meister; manche
dieser Gewächse erreichen oft kaum eine Höhe von drei
Fuß. Man liebt diese Zwergbäume sehr und zieht sie
in den Gärten den schönsten und schattenreichsten Bäumen
vor. Geschmackvoll kann man zwar diese liliputanischen
Alleen nicht nennen; aber merkwürdig ist es zu sehen, wie
voll, und mit welch schönen Früchten die winzigen Zweig-
lein behangen sind.
Nebst diesen Spielereien fanden wir auch Figuren
aller Art, als : Schiffe, Vögel, Fische, Pagoden
u. . w. aus zarten Blättergewächsen gebildet. In den
Köpfen der Thiere facken Eier, die vorne mit schwarzen
Sternen bemalt waren und die Augen vorstellen sollten.
Auch an einzelnen Felsstücken und Felsgruppen
fehlte es nicht, die noch dazu mit Blumentöpfchen, mit
Figürchen und Thierchen reich besetzt waren; letztere konnte
man nach Belieben versetzen, und damit verschiedenartige
Gruppen bilden, – welches ein besonders beliebter Zeit-
vertreib der chinesischen Damen sein soll. – Eine andere,
nicht minder beliebte Unterhaltung, sowohl für Frauen
als Herren, ist das Steigen laffen der Drachen. Stun-
denlang vermögen sie zu sitzen und solch einem Papier-
Ungeheuer nachzusehen. Jeder Garten eines vornehmen
51
Chinesen enthält zu diesem Zwecke große, freie Wiesen-
plätze.
An fließendem Waffer und Teichen war ebenfalls
kein Mangel, – Wafferkünste sahen wir aber nicht.
Da uns heute alles geglückt war, schlug mir Herr
v.Carlowitz vor, auch noch den Garten des Mandarinen Pun-
tingqua zu besehen. Mich interessierte der Gang dahin
um so mehr, als daselbst auf Befehl des Mandarinen ein
Dampfboot und zwar von einem Chinesen gebaut wurde.
Derselbe hatte sich dreizehn Jahre in Nordamerika aufge-
halten und dort eine Studien gemacht.
Der Bau war schon so weit gediehen, daß das Schiff
in wenig Wochen vom Stapel laufen sollte. Mit großem
Behagen wies uns der Meister sein Werk; er war sichtlich
erfreut, sein Lob aus unsern Munde zu vernehmen. Einen
besondern Werth legte er auch auf die Kenntniß der eng-
lischen Sprache, denn als ihn Herr v. Carlowitz auf chinesisch
ansprach, antwortete er englisch und ersuchte uns, in die-
ser Sprache fortzufahren. – Das Maschinenwerk schien
uns nicht mit chinesischer Nettigkeit gearbeit zu sein, auch
kam uns die Maschine für das kleine Schiff viel zu groß
vor. Weder ich noch mein Gefährte hätten Muth gehabt,
die Probefahrt mitzumachen.
Der Mandarin, der dieß Schiff bauen ließ, war
nach Peking gegangen, um sich als Belohnung einen
Knopf *) zu holen, denn auf sein Gebot läuft das erste
Dampfboot im chinesischen Reiche vom Stapel. Der Ex-
*) Ein solcher Knopf, der auf den Hut gesteckt wird, hat bei
den Chinesen denselben Werth wie bei uns ein Orden.
+“
52
bauer selbst wird sich wahrscheinlich mit dem Bewußtsein
seiner Geschicklichkeit begnügen müssen.
Von dem Schiffswerfte gingen wir in den Garten,
der fehr groß, aber äußerst vernachläßt war. Da gab es
weder Alleen noch Fruchtbäumchen, weder Felsen noch
Figürchen; dagegen aber eine lästige Menge von Lusthäus-
chen, Brücken, Galerien, Tempelchen und Pagoden.
Das Wohnhaus bestand aus einem großen Saale
und vielen kleinen Gemächern. In- und Außenwände
waren mit Holzschnitzwerk verziert und das Dach reichlich
mit Spitzen und Zacken versehen.
In dem großen Saale gibt man zeitweise Komödien
und andere Spiele zur Belustigung der Frauen, deren
Unterhaltungen sich durchgehends auf ihre Häuser und
Gärten beschränken*). Letztere können von Fremden auch
nur in Abwesenheit der Damen besucht werden.
In diesen Gärten wurden mehrere Pfauen, Silber-
fasanen, Mandarins-Enten und Dammhirsche unterhalten.
– In einer Ecke befand sich ein kleiner, finsterer Bam-
bus-Hain, der einige Familiengräber barg. Unweit dieses
Hains war ein kleiner Erdhügel aufgeworfen, mit einer
hölzernen Tafel, auf der ein langes Lobgedicht zu Ehren
der hier begrabenen Lieblingschlange des Mandarins
stand.
*) Die vornehmen chinesischen Frauen leben noch viel einge-
zogener als die Orientalinnen. Sie dürfen sich sehr selten
besuchen, und das nur in wohlverschloffenen Sänften oder
Booten. Sie haben weder öffentliche Bäder noch Gärten,
um welchen fie. Zusammenkünfte veranstalten könnten.
53
Nachdem wir alles mit Muße besichtiget hatten,
machten wir uns auf den Rückweg und gelangten unange-
fochten nach Hause.
Nicht so gut ging es mir einige Tage später bei dem
Besuche einer Theefabrik. Der Eigenthümer selbst führte
mich in die Arbeitslokale, die aus großen, hohen Hallen
bestanden, worin an 600 Leute, darunter viel alte Wei-
ber und Kinder, beschäftiget waren. Mein Eintritt er-
regte eine vollkommene Revolte. Alt und Jung stand
von der Arbeit auf, die Großen hoben die Kleinen in die
Höhe und wiesen mit Fingern nach mir; bald drängte das
ganze Volk auf mich ein und erhob ein so fürchterliches
Geschrei, daß mir beinahe anfing bange zu werden. Der
Fabriksherr und die Aufseher hatten gewaltig zu thun,
den Schwarm von mir abzuhalten, und man bat mich,
nur alles in Eile anzusehen und dann das Gebäude gleich
zu verlaffen.
Ich konnte daher nur oberflächlich beobachten, daß
die Theeblätter auf einige Augenblicke in kochendes Was-
fer gegeben werden, darauf kommen sie in eiserne, schief
eingemauerte, flache Pfannen, werden bei geringer Wärme
etwas geröstet und dabei stets mit der Hand aufgemischt.
Wenn sie anfangen sich ein wenig zu krausen, wirft man
sie auf große Bretter und rollt jedes einzelne Blatt zu-
sammen. Diese Arbeit geht so schnell vor sich, daß man
sehr genau aufpaffen muß, um zu sehen, wie auch wirklich
nur ein Blättchen genommen wird. Die ganze Maffe
kommt hierauf wieder in die Pfanne. Der sogenannte
„fchwarze Thee“ wird länger geröstet und der „grü-
ne Thee“ häufig mit Berlinerblau gefärbt, indem man
54
beim zweiten Rösten eine ganz geringe Quantität der
Farbe den Blättern beigibt. Zuletzt schüttet man den
Thee wieder auf die hölzernen Platten, um ihn genau
durchzusehen und rollt die nicht ganz geschloffenen Blätter
nochmals zusammen.
Bevor ich das Haus verließ, führte mich der Eigen-
thümer in seine Wohnung und bewirthete mich mit einer
Taffe Thee auf die Art und Weise, wie ihn die reichen
und vornehmen Chinesen zu nehmen pflegen. In eine
feine Porzellan-Taffe wurde etwas Thee gegeben, kochen-
des Waffer darauf gegoffen und die Taffe dann mit einem
Deckel, der genau darauf paßte, zugedeckt. Nach wenigen
Minuten trinkt man den heißen Thee von den Blättern
herab. Die Chinesen geben weder Zucker, Rum noch
Milch zum Thee; sie sagen, daß durch jeden Zusatz, ja
selbst durch das Aufrühren das Aroma des Thees ver-
loren gehe. In meine Taffe erhielt ich mit den Blät-
tern zugleich etwas Zucker.
Der Strauch der Theepflanze hatte in den Pflanzun-
gen, die ich in der Umgebung Cantons fah, höchstens die
Höhe von sechs Fuß; man läßt ihn nicht höher wachsen
und beschneidet ihn daher zeitweise. Er wird vom 3. bis
zum 8. Jahre benützt, worauf man ihn abhaut, damit er
wieder treibe, oder ganz ausrottet. Man kann des Jah-
res drei Ernten halten, und zwar die erste im März, die
zweite im April und die dritte, die durch zwei Monate
währt, im Mai. Die Blätter der ersten Ernte sind so
überaus zart und fein, daß man sie leicht für Blüthen
nehmen könnte, und daher mag wohl auch der Irrthum
entstehen, daß man den sogenannten „Blumen- oder Kai-
55
ferthee nicht für die Blätter, sondern für die Blüthen
des Theestrauches hält *). Diese erste Ernte ist dem
Strauche so nachtheilig, daß sie für gewöhnlich ganz un-
terbleibt.
Man sagte mir, der Thee aus der Umgebung Can-
ton's sei der schlechteste, und der beste komme aus den
etwas nördlicher gelegenen Provinzen. Die Theefabrikanten
in Canton sollen auch häufig gebrauchtem Thee oder den
durch Regen verdorbenen Theeblättern das Ansehen von
gutem Thee zu geben verstehen. Sie trocknen und rösten
die Blätter, färben sie mit pulverisiertem Kurkumni gelb-
lich, oder mit Berlinerblau hellgrün und rollen sie dicht
zusammen.
Die Preise des Thees, der nach Europa gesandt
wird, sind pr. Pikul (100 Pfund österr. Gewicht) 15
bis 60 Dollars. Die Gattung pr. 60 Dollars findet we-
nig Abgang und diesen meist nur nach England. Der
sogenannte „Blüthenthee 4 kommt im Handel gar
nicht vor.
Noch muß ich eines Schauspiels erwähnen, das ich
zufällig eines Abends auf dem Perlfluffe fah – es war,
wie ich später erfuhr, ein Dankfest, den Göttern darge-
bracht von den Eigenthümern zweier Dschonken, die eine
etwas größere Seereise gemacht hatten, ohne weder von
Piraten beraubt, noch von dem gefährlichen Orkan Tai-
foon überfallen worden zu sein.
*) Die Blätter dieser Ernte werden mit der größten Behut-
famkeit gepflückt, und zwar von Kindern und jungen Leu-
ten, die mit Handschuhen versehen find und jedes Blättchen
einzeln mit größter Sorgfalt abnehmen müffen.
56
-
Zwei der größten Blumenboote, herrlich beleuchtet,
schwammen langsam den Strom herab, drei Reihen Lam-
pen umgaben die obersten Theile der Schiffe und bildeten
wahre Feuergalerien, alle Zimmer hingen voll Kron-
leuchter und Lampen, und am Vorderdecke brannten große
Feuer, aus welchen zeitweise Raketen aufstiegen, zwar
tüchtig knallend, aber nur einige Fußhochfliegend. Auf dem
vorderen Schiffe hatte man eine große Stange aufgepflanzt,
die ebenfalls bis an die höchste Spitze mit zahllosen farbi-
gen Papierlampen erleuchtet war und eine schöne Pyra-
mide bildete. – Vor diesen beiden Feuerkörpern zogen
zwei reichlich mit Fackeln versehene Boote mit lärmender
Musik.
Langsam schwebten die Feuermaffen durch die finstere
Nacht – man hätte sie für Zauberwerke ansehen können.
Zeitweise hielten fiel ein, und dann loderten in den klei-
nen Booten hohe Feuer auf, die von heiligem und wohl-
riechendem Papiere genährt wurden.
Geräuchertes Papier, welches man von den Priestern
kaufen muß, wird bei jeder Gelegenheit, ja sogar häufig
vor und nach jedem Gebete verbrannt. Dieser Papier-
handel bildet den größten Theil der Einkünfte der Priester.
Einige Mal machte ich in Begleitung des Herrn v.
Carlowitz kleine Spaziergänge in den der Faktorei nahe
gelegenen Straßen. Es gewährte mir viel Vergnügen,
all die schönen chinesischen Waaren anzusehen, um so mehr,
als man dies hier mit Muße thun konnte, da die Buden
nicht so offen waren wie jene, die ich zu sehen bekam, als
57
ich um die Stadtmauern Canton's ging. Sie hatten Thü-
ren und Fenster wie die unsrigen; wir konnten hinein-
gehen und waren dadurch vor den Zudringlichkeiten des
Volkes geschützt. – Auch die Straßen fand ich hier etwas
breiter, gut gepflastert und mit Matten oder Brettern über-
deckt, um die brennenden Sonnenstrahlen abzuhalten.
Man kann in der Umgegend der Factorei, nament-
lich in Fousch-an, dem Ort der meisten Fabriken, viele
Wege zu Waffer machen, da Kanäle, wie in Venedig, die
Gaffen durchschneiden. Uebrigens ist aber diese Seite
Canton’s nicht die schönste, weil an den Kanälen alle Ma-
gazine liegen und die Fabriksarbeiter und Taglöhner eben-
falls hier ihre Wohnungen aufgeschlagen haben in ärmlichen
Baracken, die halb auf der festen Erde, halb auf morschen
Pfeilern ruhen und weit in die Kanäle hinausragen.
Ein abscheulicher Anblick ward uns einst zu Theil,
als wir aus den Kanälen in den Perlfluß einlenkten. Ein
Neger mußte auf irgend einem Schiffe gestorben und über
Bord geworfen worden sein, denn der nackte Körper trieb
auf dem Waffer umher. Jedes Boot stieß ihn so weit
als möglich von sich, und auch dem unsrigen kam er nur
gar zu nahe.
Ich hatte im ganzen über fünf Wochen in Canton
zugebracht, vom 13. Juli bis 20. August. Diese Zeit
gehörte zur heißesten im Jahre, und die Hitze war auch
wirklich unleidlich. In den Zimmern hatten wir bis zu
27% Grad, im Freien im Schatten bis zu 30 Grad.
Man hat hier gegen diesen lästigen Gast, außer den Pun-
58
kas in den Zimmern, noch sehr zweckmäßige Vorkehrungen
an den Thüren und Fenstern, ja auf den Dächern und für
ganze Wände der Häuser. Es sind dies Geflechte von
Bambus, die Vorsprünge vor Thüren und Fenstern bil-
den oder als zweites Dach jene Stellen des wirklichen
Daches überschatten, unter welchen sich die Arbeitslokale
befinden, oder endlich als ganze Wände, die acht bis zehn
Schuh von den eigentlichen Wänden des Hauses ab-
stehen, mit Eingängen, Fensteröffnungen und Dachung ver-
sehen sind, und das Haus ordentlich einkleiden.
Ich trat meine Rückreise nach Hong-kong wieder
auf einer chinesischen Dschonke an, aber nicht so furchtlos
wie das erste Mal – die traurige Begebenheit mit Hrn.
Vauchée lag mir noch zu frisch im Gedächtniffe. Ich ge-
brauchte daher auch die Vorsicht, meine wenigen Kleider
und meine Wäsche im Angesichte der Dienerschaft einzu-
packen, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß die
Mühe der Piraten schlecht belohnt würde, wenn sie sich
meinetwegen die geringste Ungelegenheit machten.
Am 20. August sieben Uhr Abends sagte ich Canton
und meinen Freunden ein herzliches Lebewohl, und um
neun Uhr schwamm ich bereits wieder auf dem mächtigen,
berühmten und berüchtigten Perl- oder Sikiang-Strome.
Ueber die Geographie und Statistik von China sind
die Angaben so verschieden und die Schwierigkeiten der
genaueren Erforschung so groß, daß man nur ungefähre,
sich auf einige Wahrscheinlichkeit gründende Annahmen er-
wähnen kann. Nach diesen soll die Größe des chinesi-
59
schen Reiches mit seinen Schutzländern etwa 180.000
O. M., die Einwohnerzahl gegen 400 Millionen betra-
gen. Die Maffe der Landes-Produkte ist der ungeheuern
Ausdehnung dieses Reiches angemeffen: Gold, Silber
und fast alle andern Metalle, Edelsteine, Salz, Alaun,
Vitriol, Salpeter, Thee, Reis und alle möglichen Pro-
dukte der südlichen Zone. – Die Einwohner sind Chi-
nefen, Mandfchu (die Eroberer des Reiches, aus
denen die kaiserliche Familie stammt), Sifanen, Lolos,
Mieo-fe. Die Staatsreligion ist der Glaube des Con-
fu-te; außerdem bekennen sich noch viele zur Reli-
gion des Lao und zum Buddhismus, dem auch der Kaiser
als Mandschu angehört. – China ist eine in der Familie
der Tai-thing erbliche Monarchie, deren Haupt – der
Kaiser – unumschränkt regiert und sich den Beherrscher
des himmlischen Reiches nennt. Die Hauptstadt Peking
soll gegen 2 Millionen Einwohner zählen; außerdem gibt
es noch viele Städte mit sehr zahlreicher Bevölkerung,
worunter Hong-tscheu, Canton, Nanking u. f. w. die ersten.
Der Handel in China ist sehr bedeutend, feine In-
dustrie auf einer hohen Stufe.
Eines der wichtigsten Ereigniffe in der Geschichte
Chinas, deren Anfänge natürlich sehr dunkel sind, ist der
im Jahre 1840 mit England ausgebrochene Krieg, durch
deffen rasche, siegreiche Beendigung es den Engländern ge-
lang, das seit Jahrtausenden in China geübte Absper-
rungs-System etwas zu lockern und den Europäern meh-
rere Häfen zu erschließen. Die Folge dieser Concession
ist eine größere Handels-Freiheit, ein stets lebhafterer
Verkehr mit den Chinesen, und es dürfte die Zeit nicht
60
mehr sehr fern sein, in welcher es der siegenden Kultur
des Abendlandes gelingen wird, sich der Strecken dieses
ungeheueren Reiches nach und nach zu bemeistern.
1200 Cash gehen auf einen spanischen Thaler.
Ein Tael hat 1409 Cash.
Ein Mace hat 141 Cash.
zehn Candarini gehen auf eine Mace.
Außer den Cash's eritiert keine der genannten Geld-
forten; sie sind nur in der Handelsprache gebräuchlich. Die
Cashs haben in der Mitte ein Loch und werden zu 100
oder 50 Stücken an Bambusfasern gereiht.
China hat keine geprägten Münzen von Gold oder
Silber und auch kein Papiergeld. Die Zahlungen wer-
den in spanischen oder amerikanischen Thalern, oder in
ungeprägtem Gold und Silber geleistet.
Oft - Indien.
Singapore.
Ankunft in Hongkong Das englische Dampfboot. Singapore. Pflan-
zungen. Eine Jagdpartie in den Jungles. Eine chinesische Leichen-
feier. Das Laternenfest. Temperatur und Clima.
Die Fahrt von Canton nach Hong-kong ging, des
beständigen Gegenwindes halber, langsam, aber glück-
lich von statten. In der ersten Nacht weckten uns zwar
einige Schüffe aus dem Schlummer; doch mußten
diese uns nicht gegolten haben, da wir nicht weiter beun-
ruhiget wurden. Die Chinesen, meine Reisegefährten,
betrugen sich auch diesmal höchst gefällig und anständig,
und ich hätte gerne, wäre mir ein Blick in die Zukunft
möglich gewesen, auf den englischen Dampfer Verzicht ge-
leistet und meine Reise nach Singapore auf einer chinesi-
schen Dschonke fortgesetzt. Leider war dies nicht der Fall,
und ich mußte mich entschließen, das englische Dampfboot
Pekin von 450 Pferdekraft, Kapitän Fronson, zu benützen,
welches jeden Monat nach Calcutta fährt.
Da die Preise über alle Maßen hoch sind *), rieth
*) Erster Platz von Hongkong nach Singapore 173 Dollars.
Zweiter „ „ r p 117 „
Entfernung 1100 Seemeilen.
62
man mir, den dritten Platz zu nehmen und eine Cabine
von einem Maschinisten oder Unteroffiziere zu miethen.
Ich war ganz beglückt durch diesen Rath und eilte ihn
auszuführen. Man denke ich mein Erstaunen, als ich
kein Billet für den dritten Platz erhielt. Es wurde mir
bemerkt, daß da schlechte Gesellschaft, daß der Mond des
Nachts den Passagieren des dritten Platzes, die auf dem
Decke schlafen müffen, höchst gefährlich wäre, u. f. w.
Vergebens wandte ich ein, zu wissen, was ich thue und
wolle. Das half alles nicht; ich war, wenn ich nicht zu-
rückbleiben wollte, gezwungen, den zweiten Platz zu neh-
men. Ich konnte nicht umhin, von der englischen Wil-
lensfreiheit einen ganz sonderbaren Begriff zu bekommen.
Am 25. August Mittags 1 Uhr begab ich mich an
Bord.
Als ich auf dem Schiffe ankam, fand sich auf dem
zweiten Platze keinen Diener, und ich mußte einen Matrosen
ansprechen, mein Gepäck in die Kajütte zu schaffen. In
dieser sah es nicht im geringsten confortable aus; die
Möbel waren höchst einfach, der Tisch voll Flecken und
Schmutz und die Unordnung sehr groß. Ich sah nach der
Schlafcabine und fand für Herren und Frauen nur ein
Gemach. Doch sagte man mir, ich solle mich an einen der
Vorgesetzten wenden, der würde mir gewiß einen andern
Platz zum schlafen anweisen. Ich that es und erhielt
auch eine niedliche Cabine. Der Steward*) war so ge-
fällig, mir anzutragen, mit seiner Frau zu speisen. – Dies
*) Der Steward hat den Rang eines Unteroffiziers; er be-
sorgt die Einkäufe der Lebensmittel und Getränke.
63
nahm ich nicht an; ich wollte für meintheueres Geld nicht
alles aus besonderer Gnade haben. Auch war dies das
erste englische Dampfschiff, auf welchem ich fuhr, und ich
war neugierig zu sehen, wie die Reisenden der zweiten
Klaffe behandelt werden.
Die Tischgesellschaft bestand nicht nur aus den Rei-
fenden, deren es außer mir nur noch drei gab, sondern
auch aus den Köchen und Aufwärtern des ersten Platzes,
aus dem Schlächter, kurz aus jedem von dem Dienstper-
sonale, der gelaunt war, mit unserem Tische vorlieb zu
nehmen. Dabei wurde in der Toilette nicht die geringste
Etikette beobachtet. Der eine erschien ohne Rock oder Jacke,
der Schlächter vergaß gewöhnlich Schuhe und Strümpfe –
es gehörte wahrlich ein kräftiger Appetit dazu, um in
dieser Gesellschaft effen zu können.
Die Kost war wohl dem englischen Schiffspersonale
und ihrem Anzuge entsprechend, nicht aber den Reisenden,
von welchen jeder 13 Dollars für den Tag bezahlen
mußte.
Das Tischtuch war voll Flecken und statt der Ser-
vietten konnte jeder Gast sein Sacktuch benützen. Die Eß-
bestecke waren theils in schwarzes, theils in weißes Horn
gefaßt, die Meffer schartig, die Gabelspitzen abgebrochen.
Löffel gab man uns am ersten Tage gar nicht, am zweiten
erschien ein einziger, der auch während der ganzen Reise
ohne Gesellschaft blieb. Gläser waren zwei von der ordi-
närsten Sorte vorhanden, die von Mund zu Mund wan-
derten; mir als Frau gab man zur besondern Auszeich-
nung statt des Glases eine alte Theetafe mit abgebroche-
nem Henkel.
64
Der erste Koch, welcher die Honeurs machte, ent-
schuldigte jede Unordnung mit der Ausrede: „daß dies-
mal der Diener fehle. Diese Ausrede schien mir doch
gar zu naiv, denn wenn ich bezahle, bezahle ich für das,
was ich wirklich bekomme, und nicht für das, was ich
vielleicht ein andermal bekommen könnte.
Die Kost war, wie gesagt, sehr schlecht, – was
am ersten Tische übrig blieb, wurde uns Armen gesandt.
Zwei, drei Gerichte lagen oft in brüderlicher Eintracht
auf einer Schüffel, selbst wenn ihre Charaktere nicht in
der geringsten Harmonie fanden, – darauf wurde nicht
gesehen, eben so wenig, ob die Gerichte kalt oder warm
auf den Tisch kamen.
Einst war der Hauptkoch während unsers Theezirkels
bei besonders guter Laune und sagte: „Ich gebe mir alle
Mühe, Sie gut zu nähren, ich hoffe, daß es an nichts
gebricht.“ – Von den Gästen antworteten zwei Eng-
länder: „O yes, that's true,“ der dritte, ein Portugiese,
hatte die inhaltsschwere Rede nicht verstanden, – ich als
Deutsche, die ich keinen englischen Patriotismus besaß,
würde anders geantwortet haben, wäre ich nicht Frau ge-
wesen und hätte ich es dadurch beffer gemacht.
Die Beleuchtung bestand aus einem Stückchen Un-
schlittkerze, das oft schon um acht Uhr zu Ende ging.
Man war dann gezwungen, entweder im finstern zu sitzen
oder zu Bette zu gehen.
Des Morgens diente die Cajüte noch überdieß zur
Barbierstube, des Nachmittags zur Schlafkammer, in der
sich die todmüden Köche und Diener auf den Bänken aus-
streckten.
65
Um den Comfort noch vollkommener zu machen,
quartierte einer der Schiffsoffiziere zwei junge Hunde, die
immerwährend heulten, auch in unsere Cajüte ein; in jene
der Matrosen wagte er es nicht zu thun, weil man sie da
ohne Umstände hinaus geworfen hätte.
Man wird meine Schilderung vielleicht für übertrie-
ben halten, um so mehr, da man gerade bei den Englän-
dern alles höchst bequem und ordentlich zu finden vermeint;
ich kann aber versichern, daß ich vollkommene Wahrheit
gesprochen habe, ja ich füge noch hinzu, daß, obschon ich
viele Reisen auf Dampfschiffen gemacht, und zwar immer
auf den zweiten Plätzen, mir nirgends ein so hoher Preis
und eine so elende, empörende Behandlung vorgekommen
ist. Nie in meinem Leben wurde ich noch auf infamere
Weise um mein Geld geprellt. Das einzige angenehme
auf diesem Schiffe war das Betragen der Offiziere, die
alle sehr artig und gefällig waren.
Ich bewunderte nur die merkwürdige Geduld, mit
welcher meine Reisegefährten alles ertrugen. Ich möchte
wiffen, was ein Engländer, der die Worte Comfort und
comfortable stets im Munde führt, sagen würde, wenn
ihm folch eine Behandlung auf einem einer andern Na-
tion angehörigen Dampfer zu Theil würde?!
Die ersten Tage der Reise hielten wir uns beständig
auf hoher See, und erst am 28. August Abends erblickten
wir die gebirgige Küste Cochinchina’s. Während des 29.
August blieben wir der Küste stets ganz nahe. Wir
sahen aber außer reich bewaldeten Gebirgsketten weder
Pfeiffers Reise II. Th. 5
G6
Wohnungen noch Menschen; nur des Abends verriethen
einige Feuer, die man für Lichter von Leuchtthürmen hätte
halten können, daß die Gegend nicht ganz menschen-
leer sei.
Im Laufe des folgenden Tages sahen wir nichts als
einen einzeln stehenden großen Fels, „ der Schuh“ ge-
nannt. Mir kam es vor, als gliche er vollkommen dem
Kopfe eines Schäferhundes.
Am 2. September näherten wir uns Malacca. Be-
waldete, ziemlich hohe Gebirge ziehen sich längs der Küste,
in welchen viele Tiger hausen sollen, die das Reisen auf
dieser Halbinsel sehr gefährlich machen.
Am 3. September erreichten wir den Hafen von
Singapore, aber so spät des Abends, daß wir nicht mehr
ausgeschifft werden konnten.
Am folgenden Morgen suchte ich das Handlungshaus
„Behn-Mayer auf, an welches ich Briefe hatte. Ich
fand in Mad. Behn, seit ich Hamburg verlaffen hatte, die
erste deutsche Frau. Meine Freude darüber vermag ich
gar nicht zu schildern; nun konnte ich wieder einmal in
meiner Muttersprache so recht nach Herzenslust mich aus-
sprechen. Mad. Behn ließ nicht zu, daß ich in einen
Gasthof ging – ich mußte gleich bei dieser liebenswür-
digen Familie bleiben.
Mein Plan war eigentlich, nur kurze Zeit in Sin-
gapore zu verweilen und meine Reise nach Calcutta auf
einem Segelschiffe fortzusetzen, da ich vor den englischen
Dampfern zu großen Abscheu hatte. Man sagte mir, daß
selten eine Woche verginge, in der sich nicht solche Ge-
legenheit fände. Ich wartete aber eine Woche um die
67
andere, und am Ende war ich doch wieder gezwungen,
mich eines comfortablen englischen Dampfers zu bedienen“).
Die Europäer führen auf Singapore so ziemlich das-
felbe Leben wie in Canton, jedoch mit dem Unterschiede, daß
die Familien auf dem Lande wohnen und nur die Herren
täglich in die Stadt fahren. Jede Familie muß eine
große Dienerschaft halten, und die Hausfrau kann nur
wenig in die Wirthschaft eingreifen, da diese gewöhnlich
ganz dem ersten Diener übergeben ist.
Die Diener sind Chinesen, mit Ausnahme der Seis,
(Kutscher oder Pferdewärter), welche Bengalen sind. Je-
des Frühjahr kommen ganze Schiffsladungen chinesischer
Knaben im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren, die sich
hier verdingen. Gewöhnlich sind sie so arm, daß sie die
Ueberfahrt nicht bezahlen können; in diesem Falle nimmt
sie der Kapitän für seine Rechnung mit, und empfängt
dafür den Lohn des ersten Dienstjahres, der von dem
Aufnehmer des Dieners gleich im voraus bezahlt wird.
Diese Jungen leben höchst sparsam und kehren, wenn
sie sich einiges Geld verdient haben, wieder in ihr
Vaterland zurück; manche jedoch etablieren sich als Hand-
werker und siedeln sich ganz an.
Die Insel Singapore hat eine Bevölkerung von
55,000 Seelen, darunter 40,000 Chinesen, 10.000 Ma-
laien (d. f. Eingeborne) und 150 Europäer. Die Zahl
der weiblichen Individuen soll sehr gering sein, da aus
China und Indien nur Männer und Knaben einwandern.
*) Es sind dieß englische Packet-Dampfschiffe, die jeden Monat
einmal von Canton nach Calcutta fahren und auf dieser
Fahrt Singapore berühren.
5
68
Die Stadt Singapore zählt jammt der nahen Um-
gebung über 20.000 Einwohner. Die Straßen fand ich
breit und luftig, die Häuser aber nicht schön – sie sind
einstöckig, und da die Dächer knapp über den Fenstern
fitzen, sehen sie dadurch ganz gedrückt aus. An den Fen-
ferstöcken find , der immerwährend gleichmäßig heißen
Temperatur wegen, keine Glasscheiben, sondern nur Ja-
loufieen angebracht.
Jeder Artikel hat hier wie in Canton, wenn gerade
nicht seine Gaffe, so doch eine Seite davon. Sehr schön
und hoch, gleich einem Tempel, ist die Halle, in welcher
Fleisch und Gemüse verkauft wird.
Da es auf dieser Insel so vielerlei Nationen gibt,
so sieht man auch verschiedene Tempel, von welchen aber
außer dem chinesischen keiner sehenswerth ist. Letzterer
hat die Form eines Hauses; das Dach aber ist vollkom-
men nach chinesischer Art ausgeschmückt, nur etwas zu
fehr überladen. Da gibt es Spitzen und Zacken, Räder
und Bogen ohne Zahl, alle aus farbigen Ziegeln, Thon
oder Porzellan zusammengesetzt und mit Blumen, Arabes-
ken, Drachen und andern Ungethümen reichlich verziert.
Ueber dem Haupteingange sind kleine Basreliefs, in Stein
gehauen, angebracht, und an hölzernen, reich vergoldeten
Schnitzwerken fehlt es weder in noch außer dem Tempel.
Auf dem Altare der Göttin der Barmherzigkeit waren
einige Erfrischungen aufgestellt, welche aus Früchten und
Backwerk aller Art bestanden, nebst einer ganz kleinen
Portion gekochten Reises. Diese Gerichte werden jeden
Abend erneuert – die Reste, die der Göttin nicht mun-
den, kommen den Bonzen zu gut. – Auf demselben
69
Altare lagen zwei kleine, oval geschnitzte, zierliche Hölz-
chen. Diese werden von den Chinesen in die Höhe ge-
worfen und bedeuten, wenn sie auf die inwendige Seite
fallen, Unglück, im entgegengesetzten Falle Glück. Die
guten Leute werfen sie aber gewöhnlich so oft, bis sie nach
Wunsch fallen.
Eine zweite Art, das Schicksal zu erforschen, besteht
darin, mehrere dünne, hölzerne Stäbchen in einen Becher
zu stecken, und diesen so lange zu schütteln, bis eines her-
aus fällt. Jedes dieser Stäbchen ist mit einer Zahl be-
schrieben, die eine Stelle in den Büchern der Sittensprüche
bezeichnet. – Dieser Tempel war vom Volke mehr be-
sucht als jener in Canton; die Hölzchen und Stäbchen
fcheinen auf die Menschen eine größere Gewalt auszuüben,
als der eigentliche Gottesdienst, denn nur um jene fah
man die Leute sich drängen.
In der Stadt selbst ist weiter nichts zu sehen; aber
entzückend schön ist die Umgebung oder beffer gesagt, das
ganze Inselchen. Man kann seine Lage zwar nicht groß-
artig oder erhaben nennen, da sie des Hauptschmuckes,
schöner Gebirge, entbehrt (der höchste Hügel, auf welchem
das Haus des Gouverneurs und der Schiffstelegraph
stehen, mag kaum über 200 Fuß hoch sein); allein das
üppig frische Grün, die freundlichen, in schönen Gärten
liegenden Wohnhäuser der Europäer, die großen Pflan-
zungen der kostbarsten Gewürze, die zierlichen Areka- und
Feder-Palmen, deren überaus schlanke Stämme bis zur
Höhe von hundert Fuß emporschießen und in eine dichte,
federartige, durch frisches Grün sich von allen andern
Palmen-Gattungen unterscheidende Blätterkrone auslau-
70
fen, – endlich die Dschongles (Jungles, Urwälder) in
Hintergrunde, bilden die anmuthigste Landschaft, deren
Reiz noch mehr gewinnt, wenn man, wie ich, aus dem
Kerker „Canton oder aus der öden Umgebung der Stadt
Victoria kömmt.
Die ganze Insel ist mit schönen Fahrwegen durch-
schnitten, von welchen jene, die sich an der Meeresküste
fortschlängeln, die besuchtesten sind. Man sieht hier hüb-
sche Equipagen, Pferde von Neuholland, von Java und
sogar von England*). Außer den schönen europäischen
Wagen sind auch viele hier fabrizierte sogenannte Palan-
kine im Gebrauche, die ganz gedeckt und von allen Sei-
ten mit Jalousieen umgeben sind. Gewöhnlich ist nur
ein Pferd daran gespannt, und der Kutscher so wie der
Diener laufen neben dem Pferde her. Ich konnte mein
Mißfallen über diese barbarische Sitte nicht verhehlen.
Man sagte mir, man habe sie abschaffen wollen, daß
aber die Diener selbst wieder gebeten hätten, lieber neben
dem Wagen laufen zu dürfen, als darauf zu sitzen oder
zu stehen. Sie hängen sich am Pferde oder am Wagen
an und laffen sich mit fortreißen. -
Es verging selten ein Tag, an welchem wir nicht
spazieren fuhren. Zwei Mal in der Woche hörten wir
auf der Esplanade, dicht am Meere, herrliche Militär-
Musik*). Dahin fuhr, ritt und ging die ganze elegante
Welt. Wagen reihten sich an Wagen, junge Herren zu
*) Die Pferde pflanzen sich hier nicht fort, sie müffen stets
eingeführt werden.
**) Die ostindische Compagnie, der die Insel gehört, hat hier
einen Gouverneur und englisches Militär.
71
Pferd und zu Fuß umschwärmten diese von allen Seiten,–
man hätte sich beinahe einbilden können, mitten in Europa
zu fein. Mir machte es aber mehr Vergnügen, Pflan-
zungen oder andere Orte zu befuchen, als das alte euro-
päische Leben hier wieder zu sehen.
Häufig ging ich nach den Muskatnuß- und Gewürz-
melken-Plantagen und erquickte mich an den balsami-
fchen Düften. Die Bäume der ersten sind von unten bis
oben dicht belaubt, von der Größe schöner Aprikosenbäume,
und die Aeste brechen weit unten am Stamme hervor;
das Blatt ist glänzend, wie wenn es mit Lack überfirnist
wäre. Die Frucht gleicht vollkommen einer gelb-braun
gesprengelten Aprikose. Wenn sie reif ist, platzt sie von
selbst, und man sieht einen runden Kern von der Größe
einer Nuß, der mit einem netzartigen Gewebe von schöner,
dunkelrother Farbe umsponnen ist; dieses Gewebe ist die
sogenannte Muskatblüthe. Sie wird von der Nuß sorg-
fältig geschieden, im Schatten getrocknet und während des
Trocknens mit Seewaffer mehrmals besprengt, da sich
sonst die rothe Farbe statt in die gelbe in eine schwarze
verwandeln würde. Außer diesem Gewebe ist die Mus-
katnuß noch mit einer leichten, zarten Schale umgeben.
Die Nuß wird ebenfalls getrocknet, hierauf etwas geräu-
chert und dann öfter in Seewaffer, das mit einer leichten
Kalkauflösung gemischt ist, getaucht, um sie gegen das
Ranzigwerden zu schützen. Man findet auf Singapore
auch wildwachsende Muskat-Bäume.
Ein Pikul gepflanzter Muskatnüffe kostet 60 Dollars.
„, dto. Muskatblüthe . . . . . 200 „
, dto. wildwachsender Muskatnüffe 6 „
72
Der Gewürznelkenbaum ist etwas kleiner, nicht so
schön belaubt und auch nicht mit so schönen, fetten Blät-
tern versehen wie der Muskatbaum. Die Gewürznelken
find die ungeöffneten Blüthenknospen des Baumes. Sie
werden in diesem Zustande abgenommen, zuerst im Rau-
che getrocknet und dann auf kurze Zeit in die Sonne gelegt.
Ein anderes Gewürz ist die Arekanuß, die unter der
Krone der gleichnamigen Palme in Trauben von zehn bis
zwanzig Stücken wächst. Die Frucht ist etwas größer
als die Muskatnuß; ihre äußere Schale scheint so schön
glänzend goldgelb, daß sie den vergoldeten Nüffen gleicht,
welche man den Kindern an die Weihnachtsbäumchen
hängt. Ihr Kern ist an Farbe dem der Muskatnuß ähn-
lich, nur ist er mit keinem Netze umsponnen. Sie wird
im Schatten getrocknet.
Diese Nuß wird nebst Betelblatt und aus Muscheln
gebranntem Kalke von den Chinesen und Eingebornen
gekaut. Sie bestreichen ein Betelblatt ganz wenig mit
Kalk, geben ein kleines Stückchen der Nuß dazu und ma-
chen daraus ein Päckchen, welches sie in den Mund neh-
men. Wenn sie noch Tabakblätter hinzufügen, so wird
der sich bildende Saft blutroth, und sperrt dann solch ein
Kauer den Mund auf, so meint man eine kleine Hölle
zu sehen, um so mehr, wenn er, wie dies die Chi-
nesen hier häufig thun, die Zähne abgefeilt und schwarz
gefärbt hat. Als mir solch ein Anblick zum ersten Male
zu Theil wurde, erschrack ich sehr – ich glaubte, der arme
Mann habe sich beschädigt und sein Mund sei voll Blut.
Ein andermal besuchte ich eine Sago-Fabrik. Der
unzubereitete Sago kömmt von der nahen Insel Boromeo
73
und besteht aus dem Marke einer kurzen, dickstämmigen
Palmenart. Um ihn zu gewinnen, wird der Baum im fie-
benten Jahre umgehauen, der Stamm der Länge nach ge-
spalten, und das Mark, das in sehr reichlichem Maße
darin sitzt, gesammelt, von den Fasern gereiniger, in große
Formen gedrückt und an der Sonne oder am Feuer ge-
trocknet. Es sieht in diesem Zustande noch etwas gelb-
lich aus. In den Fabriken macht man es zu Grütze
und zwar auf folgende Weise: Das Mehl oder Mark
wird durch mehrere Tage abgewäffert, bis es schön weiß
ist, dann nochmals an der Luft oder am Feuer getrocknet
und hierauf mittelsteines Stückes runden Holzes zerdrückt
und durch ein Haarsieb gelaffen. Dieses feine und weiße
Mehl kömmt dann in eine leinene Schwinge, die vorher
auf eine ganz eigene Art befeuchtet wird. Der Arbeiter
nimmt Waffer in den Mund und spritzt es, gleich einem
feinen Regen, darüber. In dieser Schwinge wird das
Mehl von zwei Arbeitern so lange hin- und hergeschüttelt
und zeitweise von solch einem Sprühregen befeuchtet, bis
es sich zu kleinen Kügelchen gestaltet, die in großen fla-
chen Keffeln, unter beständigem Aufmischen, langsam über
dem Feuer getrocknet werden. Zu Ende schüttet man sie
nochmals durch ein etwas weiteres Sieb, in welchem die
gröberen Kügelchen zurückbleiben.
Das Gebäude, in welchem diese Arbeit verrichtet
wurde, war ein großer Schuppen ohne Wände, defen
Dach auf Baumstämmen ruhte.
Der Güte der Herren Behn-Meyer hatte ich eine
sehr interessante Partie nach den Dschongels zu danken.
Die Herren, vier an der Zahl, waren mit Kugelflinten
74
versehen, da sie sich vorgenommen hatten, nach der Fährte
eines Tigers zu suchen; auch mußte man nebenbei auf
Bären, Wildschweine oder große Schlangen gefaßt sein. –
Wir fuhren in Wagen bis zu dem Fluffe Gallon, wo zwei
Boote für uns bereit lagen. Bevor wir sie bestiegen, be-
sahen wir noch eine Zuckersiederei, die am Fluffe lag.
Das Zuckerrohr stand vor dem Gebäude in Haufen
aufgeschichtet; es war aber nur so viel geschnitten worden,
als man in einem Tage verarbeiten konnte, da es bei der
großen Hitze gleich sauer wird. Das Rohr wird durch
Metallwalzen durchgezogen, deren Druck allen Saft
herauspreßt. Letzterer läuft in große Keffel, wo er ge-
kocht und abgekühlt wird. Zur gänzlichen Trocknung
schüttet man ihn in irdene Gefäße. -
Die Gebäude waren jenen der Sagofabrik ähnlich.
Nachdem wir dies gesehen, bestiegen wir die Boote
und fuhren stromaufwärts. Bald befanden wir uns mit-
ten im Urwalde, und die Fahrt wurde mit jedem Ruder-
schlage beschwerlicher, da viele gefallene Baumstämme in
und über dem Waffer lagen. Oft mußten wir aussteigen
und die Boote über Baumstämme schieben oder heben,
oft wieder uns flach in das Boot legen, um unter den
Stämmen durchzukommen, die sich gleich Brücken über den
Fluß legten. Gesträuche, mit Dornen und Stacheln ver-
sehen, neigten sich von allen Seiten über uns, ja sogar
einzelne Riesenblätter versuchten uns den Weg zu ver-
sperren. Diese Blätter gehören einer Gattung Graspalme
an, die Mungkuang genannt wird; sie sind nahe dem
Stengel an fünf Zoll breit, dagegen aber bei zwölf Fuß
75
lang, und da der Fluß kaum über neun Fuß breit sein
mochte, reichten sie bis an das jenseitige Ufer.
Doch gab es der Naturschönheiten so viele, daß diese
zeitweisen Beschwerden leicht zu ertragen waren, ja sogar
den Reiz des Ganzen noch hoben. Der Wald war dicht
und üppig an Untergehölzen, Schlingpflanzen, Palmen,
Laub- und Farrenbäumen; letztere, bis zu sechzehn Fuß
hoch, bildeten nicht minder ein Schattendach gegen die
glühenden Sonnenstrahlen als die Palmen und andere
Bäume.
Gesteigert wurde meine Freude, als ich in den höch-
ften Spitzen der Bäume einige Affen von Zweig zu Zweig
springen sah und mehrere in der Nähe kreischen hörte.
Ich erblickte zum ersten Male diese Thiere in ihrem Na-
turzustande, und innig vergnügte es mich, daß es keinen
der Herren gelang, einen der kleinen Schelme zu treffen.
Sie schoffen dafür einige herrliche Loris (eine Gattung
kleiner Papageien vom "schönsten Gefieder und Farbenspiel)
und Eichhörnchen. Bald aber wurde unsere Aufmerksam-
keit auf einen wichtigeren Gegenstand geleitet: wir be-
merkten zwischen den Aesten auf einem der Bäume einen
dunkeln Körper und erkannten bei näherer Beschauung
eine große Schlange. Sie ruhte da mehrfach zusammen-
gerollt und lauerte vermuthlich auf Beute. Wir wagten
uns ziemlich in ihre Nähe; sie blieb unbeweglich und
fierte mit ihren glänzenden Augen unverwandt nach uns,
nicht ahnend, wie nahe ihr der Tod war. – Man schoß
nach ihr und traf sie in die Seite. Wüthend und pfeil-
schnell schoß sie vom Baume, doch so, daß sie mit dem
Schwanze am Aste hängen blieb. Sie schnellte sich und
76
züngelte stets nach uns, doch in ohnmächtiger Wuth, da
wir uns in gehöriger Entfernung hielten. Mehrere nach-
folgende Schüffe machten ihrem Leben ein Ende, worauf
wir unter den Aft fuhren, an welchem sie hing. Einer
unserer Bootführer, ein Malaie, machte eine kleine
Schlinge von starkem, zähem Gras, befestigte sie an einem
Stocke, warf sie der Schlange um den Kopf und zog diese
fo in das Boot. Er fagte uns auch, daß wir gewiß eine
zweite in der Nähe finden würden, da sich diese Schlan-
gen immer paarweise zusammen halten. Die Herren im
zweiten Boote hatten sie auch gefunden und geschoffen,
und zwar ebenfalls auf den Aleten eines großen Baumes.
Die Schlange war dunkelgrün mit schönen gelben
Streifen und an zwölf Fuß lang; man sagte mir, daß
sie zum Geschlechte der Boa's gehöre.
Nachdem wir acht englische Meilen in vier Stunden
zurückgelegt hatten, verließen wir die Boote und verfolg-
ten einen schmalen Fußpfad, der uns bald auf einige aus-
gerodete Plätze führte, die mit hübschen Pfeffer - und
Gambir-Pflanzungen bebaut waren.
Die Pfefferstaude ist ein schlankes, strauchartiges
Gewächs, das sich an Stützen fünfzehn bis achtzehn Fuß
hoch empor rankt. Die Frucht setzt sich in kleinen trauben-
förmigen Büschelchen an. Diese sind anfänglich roth,
dann grün und endlich schwärzlich. Der Strauch fängt
schon im zweiten Jahre zu tragen an.
Der weiße Pfeffer ist kein Naturprodukt, sondern
wird durch Kunst geschaffen. Man taucht nämlich den
schwarzen Pfeffer mehrmals in Seewaffer, wodurch er feine
Farbe verliert und weißlich wird. – Vom weißen Pfeffer
77
kostet der Pikul fechs Dollars, vom schwarzen dagegen nur
drei Dollars.
Die Gambirftaude wird höchstens acht Fuß hoch;
man benützt von ihr nur die Blätter, die abgestreift und
in großen Keffeln ausgekocht werden. Der dicke Saft
kömmt in hölzerne, breite Gefäße, wird an der Sonne
getrocknet, dann in drei Zoll lange Stückchen geschnitten
und verpackt. Der Gambir ist ziemlich wichtig für die
Gerber und wird daher auch häufig nach Europa ausge-
führt. Gambir- und Pfefferpflanzen stehen immer beisam-
men, da die letzteren mit den ausgekochten Gambirblättern
gedüngt werden.
Obwohl die Pflanzungen, wie überhaupt alle Arbei-
ten auf Singapore, durch freie Menschen besorgt werden,
versicherte man mir doch, daß sie billiger kämen als durch
Sclaven, Der Arbeitslohn ist über alle Maßen gering:
ein gemeiner Arbeiter erhält monatlich drei Dollars,
weder Kost noch Wohnung, und dennoch können die Leute
dabei bestehen und sogar eine Familie erhalten. – Die
Wohnung, Laubhütten, bauen sie sich selbst, die Nahrung
besteht aus kleinen Fischen, Knollengewächsen und etwas
Gemüse, und die Kleidung macht ihnen ebenfalls keine
starke Auslage, denn entfernter von der Stadt, wo sich
all die Plantagen befinden, gehen die Kinder ganz nackt,
die Männer tragen außer einem handbreiten Schürzchen,
das zwischen die Beine gezogen ist, auch weiter keine Klei-
dungsstücke, und nur die Weiber sind anständig bedeckt.
Diese Plantagen, bei welchen wir gegen zehn Uhr
angekommen waren, wurden von Chinesen bearbeitet. Sie
hatten neben ihren Laubhütten ein kleines Tempelchen von
78
Holz errichtet, das sie uns als Absteigequartier anwiesen.
Der Altar wurde sogleich mit einigen Speisen zierlich
ausgestattet, die uns die sorgliche Hausfrau, Mad. Behn,
mitgegeben hatte; allein, statt wie die Chinesen, die den
Göttern zu opfern, machten wir fündige Menschen uns
darüber und verspeisten sie mit wahrem Heißhunger.
Als der Appetit gestillt war, wurde der mitgebrach-
ten Schlange die Haut abgezogen und das Thier den Chi-
nesen geschenkt. Diese gaben zu verstehen, daß sie selbe
nicht berühren würden, worüber ich mich sehr wunderte,
da die Chinesen alles effen. Später überzeugte ich mich
aber, daß sie sich nur zum Schein so gestellt hatten, denn
als wir nach mehreren Stunden von unserer Jagdpartie
zurückkehrten, und ich die Laubhütten der Chinesen be-
suchte, fand ich sie in einer solchen vereint, vor einer gro-
ßen Schüffel sitzend, in welcher gebratene Stücke Fleisch
lagen, die ganz die runde Form der Schlange hatten. Die
Leute wollten sie eilig verbergen; allein ich trat rasch hinzu,
gab ihnen einiges Geld und bat sie, mich diese Speise
kosten zu laffen. Ich fand das Fleisch außerordentlich
zart und fein, sogar zarter als das Fleisch junger Hühner.
Doch ich bin voraus geeilt und habe vergeffen, von
unserer Jagdpartie zu erzählen. – Wir frugen die
Arbeitsleute, ob sie uns nicht die Spur eines Tigers an-
zugeben wüßten. Sie beschrieben uns eine Gegend im
Walde, wo noch vor wenig Tagen solch ein Ungeheuer
residiert haben sollte. Wir machten uns sogleich auf
den Weg dahin. Das Vordringen im Walde war sehr
beschwerlich: wir mußten viel über gefallene Baumstämme
klettern, durch Gestrippe kriechen und Sümpfe überschrei-
79)
ten; aber wenigstens ging es vorwärts, während man in
Brasiliens Urwäldern an solch ein Unternehmen gar nicht
hätte denken können. Wohl waren auch hier Schling-
pflanzen und Orchidäen, aber bei weiten nicht in solcher
Menge, wie in Brasilien, und auch die Bäume standen
hier weniger dicht beisammen als dort. Von letzteren
sahen wir mitunter wahre Prachtexemplare, die zu einer
Höhe von mehr denn hundert Fuß emporstiegen. Mich
interessierten am meisten die Ebenholz- und Kolim-Bäume.
Erstere haben zweierlei Holzgattungen. Eine bräunlich
gelbe Schichte umgibt den Kernstamm, der viel härter ist,
und eine schwärzliche Farbe hat. Dieser liefert das eigent-
liche Ebenholz.
Der Kolimbaum verbreitet einen außerordentlich star-
ken Geruch von Knoblauch, durch welchen er sich schon
von einiger Entfernung bemerkbar macht. Die Frucht
schmeckt ebenfalls ganz nach Knoblauch und wird vom
Volke häufig genoffen; dem Europäer ist ihr Geruch und
Geschmack zu stark. Ich berührte nur ein Stück frischer
Baumrinde, und noch am folgenden Morgen roch meine
Hand darnach.
Mehrere Stunden trieben wir uns im Walde umher,
ohne auf das gehoffte Wild zu stoßen. Einmal wollte
man schon das Lager entdeckt haben; aber man fah her-
nach, daß man sich getäuscht hatte. Eben so behauptete
einer der Herren, das Gebrumme eines Bären gehört zu
haben; es mußte aber sehr leise gewesen sein, denn außer
ihm hörte es niemand, obwohl wir uns immer nahe zu-
sammenhielten.
Wir kehrten nach Hause zurück, zwar ohne wei-
80
teres Wild, aber vollkommen zufrieden mit dem herrlichen
Ausfluge.
Obwohl Singapore eine kleine Insel ist und man
alle möglichen Versuche und Aufmunterungen angewendet
hat, die Tiger zu vertilgen, so gelang dies doch nie. Das
Gouvernement gibt für jeden erlegten Tiger eine Prämie
von fünfzig Dollars, und eine gleiche Summe der Verein
der Singaporer Kaufleute. Das schöne Fell gehört über-
dies noch dem glücklichen Jäger, und selbst das Fleisch
schafft Gewinn, da es die Chinesen gerne kaufen und ver-
zehren. Die Tiger kommen aber von dem nahen Ma-
lacca, das nur durch eine ganz schmale Wafferstraße von
Singapore getrennt ist, herüber geschwommen, und man wird
sie daher nie ganz ausrotten können.
Zahlreich und ausgezeichnet sind auf Singapore die
Früchte. Eine der besten ist die Mangustin, die
außer hier und in Java nirgends vorkommen soll. Sie
hat die Größe eines mittleren Apfels; die Schale ist über
- eine Linie dick, außen dunkelbraun, inwendig hochroth und
enthält eine weiße Frucht, die sich in vier oder fünf Spal-
ten zerheilt. Sie zerfließt beinahe im Munde und schmeckt
außerordentlich fein. Die Ananas ist hier viel saftiger,
süßer und bedeutend größer als in Canton; ich fah
einige, die an vier Pfund wiegen mochten. Ganze Fel-
der werden damit bepflanzt und zur Zeit der Hauptreife
bekömmt man drei- bis vierhundert Stücke um einen Dol-
lar. Man ißt sie häufig mit Salz. Eine andere Frucht
Sauerop, die ebenfalls oft mehrere Pfund wiegt, ist von
außen grün und enthält ein weißliches oder sehr blaßgel-
bes Fleisch, welches sehr stark nach Erdbeeren schmeckt,
81
und auch wie diese mit Zucker und Wein genoffen wird.
Die Gumaloh gleicht einer blaßgelben Orange, ist in meh-
rere Scheiben getheilt, schmeckt aber weniger süß und ist
nicht so fafreich. Doch gibt es viele, die sie den Oran-
gen vorziehen; sie ist wenigstens fünfmal so groß als eine
Orange. Den Preis aber verdient, wenigstens nach mei-
nem Geschmacke*), der Custod-apple, der grün und mit
kleinem Schuppen überdeckt ist. Das Fleisch, in welchem
schwarze Kerne sitzen, ist sehr weiß, weich wie Butter und
von unübertrefflichem Geschmacke. Man ißt diese Frucht
mit kleinen Löffeln. -
Einige Tage vor meiner Abreise von Singapore
hatte ich Gelegenheit, der Leichenfeier eines wohlhabenden
Chinesen beizuwohnen. Der Zug ging an unserem Hause
vorüber, und trotz der Hitze von 36 Grad schloß ich mich
an und begleitete ihn bis an das Grab, das eine Stunde
weit entfernt war. Am Grabe währte die Feierlichkeit bei
zwei Stunden; ich wich aber nicht vom Platze, da mich
die Ceremonie zu sehr interessierte.
Den Zug eröffnete ein Priester, welchem zur Seite
ein Chinese mit einer zwei Fuß hohen Laterne ging, die
mit weißem Kammertuch überzogen war. Hierauf folgten
zwei Spielleute, von denen der eine zuweilen auf einer
kleinen Trommelwirbelte, der andere auf zwei Meffing-
becken (Cymbeln) schlug. Nun kam der Sarg, über def-
den Obertheil, wo der Kopf des Todten lag, ein Diener
einen großen aufgespannten Sonnenschirm hielt. Zur
*) Einstimmig schätzt man die Mangustin als die feinste Frucht
der Welt.
Pfeiffers Reise II. Th. (6
Seite ging der älteste Sohn oder der nächste männliche
Sprößling mit aufgelösten Haaren und ein weißes Fähn-
lein tragend. Die Verwandten waren in tiefer Trauer, das
heißt, sie waren ganz weiß gekleidet, ja die Männer tru-
gen sogar weiße Mützen auf dem Kopfe, und die Weiber
waren mit weißen Tüchern so überdeckt, daß man nicht
einmal ihr Gesicht fah. Von den übrigen Begleitern,
die in beliebigen Gruppen dem Sarge folgten, hatte jeder
einen weißen Streifen Kammertuches entweder um den
Kopf, um den Leib oder um den Arm geschlagen. Als
man bemerkte, daß ich den Zug begleitete, näherte sich
mir ein Mann, der mit vielen solchen Streifen versehen
war und reichte mir einen derselben – ich schlang ihn
um den Arm.
Der Sarg, ein massiver Baumstamm, war mit
einem dunklen Tuche überdeckt; einige Blumengewinde
hingen daran, und Reis, in ein Tuch gebunden, lag dar-
auf. Vier und zwanzig Männer trugen diese schwere
Last auf ungeheuren Stangen. Bei dem Wechseln der
Träger ging es stets sehr lebhaft zu – bald lachten sie
und bald zankten sie sich. Auch im übrigen Publikum
herrschte weder Trauer noch Andacht. Man unterhielt
sich, man rauchte, man aß, und einige Männer trugen in
Eimergefäßen kalten Thee nach, um die Durstigen zu
laben. Nur der Sohn enthielt sich von allem: der ging,
der Sitte gemäß, tief bekümmert neben dem Sarge.
Als der Zug an der Straße ankam, die zu
dem Orte der Ruhe führte, warf sich der Sohn zur
Erde, verhüllte sich das Gesicht und schluchzte ziem-
lich hörbar. Nach einiger Zeit fand er wieder auf
83
und wankte dem Sarge nach; zwei Männer mußten ihn
führen; er schien tief ergriffen und höchst leidend. Später
erfuhr ich freilich, daß dies Benehmen meist erheuchelt
sei, indem die Sitte gebeut, daß der Hauptleidtragende
aus Schmerz schwach und krank werde, oder doch wenig-
stens sich so stelle. -
Am Grabe angekommen, das an dem Abhange eines
Hügels sieben Fuß tief gemacht war, legten die Leute das
Bahrtuch, die Blumen und den Reis zur Seite, freuten
eine Menge Gold- und Silberpapier in die Grube und
senkten den Sarg, der, wie ich jetzt erst sah, schön aus-
gearbeitet, lackiert und hermetisch geschloffen war, hinein.
Ueber dieser Handlung verging wenigstens eine halbe
Stunde. Die Verwandten warfen sich Anfangs zur
Erde, verhüllten sich die Gesichter und heulten jämmerlich.
Da ihnen aber die Grablegung gar zu lange dauerte, fetz-
ten sie sich im Kreise herum, ließen sich ihre Körbchen mit
Betel, Kalk und Arekanüffen reichen und fingen ganz ge-
müthlich zu kauen an.
Nachdem der Sarg eingelenkt war, begab sich einer
der Chinesen an den obern Theil des Grabes, öffnete das
Bündelchen mit Reis und stellte eine Art Compaß darauf
Man reichte ihm eine Schnur, die er über die Mitte des
Compaß zog und so lange hin und her schob, bis
sie mit der Nadel desselben in gleicher Richtung lag.
Eine zweite Schnur, woran ein Senkblei hing, wurde
dann an die erste gehalten und in die Grube gesenkt.
Nach der Lage dieser Schnur schob man nun den
Sarg so lange hin und her, bis seine Mitte mit der
6
81
Compaßnadel in gleicher Richtung stand – zu dieser Ar-
beit benöthigten sie wenigstens eine Viertelstunde.
Der Sarg wurde hierauf mit großen Bogen weißen
Papieres mehrfach überdeckt, und der Chinese, der sich mit
den Messungen befaßt hatte, hielt eine kurze Rede, wäh-
rend welcher sich die Kinder des Verstorbenen am Grabe
zur Erde warfen. Nach geendeter Rede streute der Red-
ner einige Hände voll Reiskörner über den Sarg und bis
an die Kinder hin. Diese hielten die Ecken der Ober-
kleider auf, um von den Körnern so viel als möglich zu
erhaschen; da sie aber nur wenige bekamen, gab ihnen der
Redner noch ein Paar Fingerhüte voll dazu. Sie ban-
den sie sorgfältig in die Ecken der Oberkleider und nah-
men sie mit sich.
Das Grab wurde endlich mit Erde angefüllt, wobei
die Verwandten ein fürchterliches Geheul erhoben; so
viel ich aber bemerkte, blieb jedes Auge trocken.
Nach dieser Ceremonie setzte man gekochte Hühner,
Enten, Schweinefleisch, Früchte, Backwerk und ein Dutzend
gefüllter Theetaffen nebst der Kanne, in zwei Reihen auf
das Grab. Man zündete sechs bemalte Wachskerzen an
und steckte sie neben den Speisen in die Erde. Darauf
brannte man beständig Gold- und Silberpapier an, bis
große Haufen solchen Papieres vom Feuer verzehrt waren.
Der älteste Sohn trat nun wieder ans Grab, warf
sich mehrmals davor nieder und berührte jedesmal mit der
Stirne die Erde. Man reichte ihm sechs glimmende, wohl-
riechende Papierkerzchen, die er einigemal in die Luft
schwang und dann zurückgab – auch sie wurden in die
85
Erde gepflanzt. Dieselbe Ceremonie ahmten die Ver-
wandten nach.
Während dieser ganzen langen Zeit hatte der Prie-
fer, vom Grabe entfernt, ganz theilnahmslos unter dem
Schatten eines mächtigen Sonnenschirmes geseffen. Nun
aber kam er herbei, hielt ein kurzes Gebet, schellte dazwi-
fchen mehrmals mit einer Glocke, und sein Dienst war be-
endet. – Die Speisen wurden hinweg genommen, der
Thee über das Grab gegoffen und der Zug kehrte munter
und fröhlich, unter Begleitung der Musik, die auch zeit-
weise am Grabe gespielt hatte, heim. – Die Speisen
wurden, wie man mir sagte, an Arme vertheilt.
Am darauf folgenden Tage fah ich das berühmte La-
ternenfest der Chinesen. An allen Häusern, an den Ecken
der Dächer, an hohen Pfählen u. f. w. hingen zahllose
Laternen von farbiger Gaze und Papier, die auf das ge-
schmackvollste geschmückt und mit Göttern, Kriegern und
Thieren bemalt waren. In den Höfen und Gärten der
Häuser, oder in Ermangelung derselben, auf den Straßen
vor den Häusern waren auf großen Tischen halb pyrami-
denförmig Speisen und Früchte zwischen Blumen, Lichter-
und Lampen aufgestellt. Das Volk wogte in den Stra-
ßen, Höfen und Gärten bis gegen Mitternacht umher,
und dann erst wurden die eßbaren Pyramiden von den
Eigenthümern und deren Verwandten angegriffen. – Mir
gefiel dieses Fest fehr gut, und nichts bewunderte ich so
fehr, als das bescheidene und anständige Benehmen des
Volkes – es betrachtete all die Vorräthe von Eßwaaren
mit prüfenden Blicken; allein niemand berührte das ge-
ringste davon.
86
Singapore liegt 58 Minuten (Seemeilen) nördlich
der Linie, auf dem 104. östlichen Längengrade. Das
Klima ist im Vergleiche zu andern südlicher gelegenen
Gegenden sehr angenehm. Während meines Aufenthaltes
vom 3. September bis 8. Oktober stieg die Hitze in den
Zimmern selten über 23, in der Sonne über 38 Grad,
und selbst diese Hitze war ziemlich erträglich, da sich jeden
Morgen angenehme Seebrisen erhoben. Die Temperatur
wechselt im Laufe des Jahres unbedeutend, eine Folge
der nahen Lage an der Linie. Sonnen-Auf- und Unter-
gang ist stets um sechs Uhr, worauf gleich volles Tages-
licht oder Finsterniß folgt; die Dämmerung währt kaum
zehn Minuten.
Zum Schluffe muß ich noch bemerken, daß Singapore
in kurzem der Mittelplatz Indiens für die Dampfschiffe
sein wird. Die Schiffe von Hong-kong, Ceylon, Ma-
dras, Calcutta und Europa kommen regelmäßig jeden Mo-
nat, eben so ein holländisches Kriegs-Dampfschiff von
Batavia, und nächstens werden Dampfschiffe nach Manilla
und Sidney gehen und gleichfalls hier anlaufen.
Oft - Indien.
Ceylon.
Abfahrt von Singapore. Die Insel Pinang. Ceylon. Pointe de Galle.
Ausflug nach dem Innern. Colombo. Handy. Der Tempel Dagoha-
Elephanten-Fang. Rückkehr nach Colombo und Pointe de Galle.
Abreise.
Wieder fuhr ich mit einem englischen Dampfer,
auf dem Braganza von 350 Pferdekraft, Kapitän Boz,
der am 7. Oktober von Singapore nach Ceylon abging.
Die Entfernung beträgt 1500 Seemeilen.
Die Behandlung auf diesem Schiffe war zwar von der
auf dem vorigen ein wenig verschieden, aber beinahe eben
so schlecht. Wir Reisende, vier *) an der Zahl, speisten
allein und hatten sogar einen Mulatten zum Aufwärter,
*) Einer davon war vom ersten Platze abgesetzt worden, weil
er, wie man behauptete, etwas verwirrt war, und nicht
immer wußte, was er that oder sprach. Da nun die Leute
des ersten Platzes dies immer genau wifen, so war ihnen
der Arme ein Stein des Anstoßes, und ein Machtspruch
des Kapitäns verwies ihn zu uns; dabei muß ich aber be-
merken, daß man die Bezahlung für den ersten Platz be-
hielt.
88
der aber leider mit der Elephantiasis behaftet war, – eine
Krankheit deren Anblick gerade nicht dazu diente, den Ap-
petit zu erhöhen.
Wir segelten in der Straße von Malacca, welche
Sumatra von der Halbinsel Malacca trennt und verloren
während des 7. und 8. Oktober das Land nicht aus dem
Gesichte. Der Vordergrund Malaccas besteht aus Hügel-
Land, das sich erst tiefer im Innern zu einer schönen Ge-
birgskette erhebt. Auf der linken Seite lagen mehrere
gebirgige Inseln, die uns den Anblick von Sumatra gänz-
lich verbargen.
Mehr als außen in der Natur gab es auf unterm
Schiffe zu sehen. Die Mannschaft bestand aus 79 Köpfen,
unter welchen Chinesen, Malaien, Cingalesen, Bengalen,
Hindostaner und Europäer waren. Bei den Mahlzeiten hiel-
ten sich gewöhnlich die Landsleute zusammen. Sie hatten
alle ungeheure Schüffeln mit Reis und kleine Näpfchen
mit Curri vor sich; einige Stückchen getrockneten Fisches
dienten statt des Brotes. Den Currigoffen sie über den
Reis, machten ihn mit den Händen durcheinander und
bildeten kleine Ballen, die sie nebst einem Stückchen Fisch
in den Mund schoben. Die Hälfte der Portion fiel
meistens wieder in die Schüffel zurück.
Die Trachten dieser Menschen waren höchst einfach.
Viele hatten außer kurzen Beinkleidern nichts am Körper.
Den Kopf deckte gewöhnlich ein schmutziger, ärmlicher
Turban, und in Ermangelung dessen einfärbiger Lappen
oder eine alte Matrosenkappe. Die Malaien hatten lange
Tücher um den Körper gewickelt, von welchen ein Theil
über die Achsel geschlagen wurde. Die Chinesen wichen
89
in nichts von ihrer Landestracht und Lebensweise, und nur
die farbigen Diener der Schiffsoffiziere waren mitunter
fehr zierlich und geschmackvoll gekleidet. Sie trugen
weiße Beinkleider, weite, weiße Ueberkleider mit weißen
Binden, bunte, seidene Jäckchen und kleine gestickte,
weiße Käppchen oder schöne Turbane.
Die Art und Weise, mit welcher all diese farbigen
Menschen behandelt wurden, fand ich durchaus nicht
chriften gemäß; es fehlte nie an rauhen Worten, an
Stößen, Puffen und Fußtritten, ja der geringste europäi-
sche Matrosenbube erlaubte sich die gröbsten Handlungen,
die gemeinten Späße gegen jene. – Arme Geschöpfe! wie
ist es möglich, daß die Liebe und Achtung für die Christen
fühlen sollen!
Am 9. Oktober landeten wir auf dem Eiländchen
Pinang. Das Städtchen gleichen Namens liegt in einer
kleinen Ebene, die zur Hälfte eine Erdzunge bildet. Un-
fern des Städtchens erheben sich hübsche Gebirge, welche
dieser kleinen Insel ein reizendes Aussehen verleihen.
Ich erhielt fünf Stunden Urlaub, die ich dazu be-
nutzte, in einem Palankine kreuz und quer durch das
Städtchen, ja sogar ein wenig ins Land hinein zu fahren.
Alles was ich sah, könnte ich mit Singapore vergleichen.
Das Städtchen selbst ist nicht hübsch, dagegen sind es aber
die Landhäuser, die alle in herrlichen Gärten liegen.
Viele gebahnte Wege durchschneiden auch dies Inselchen.
Auf einem der nahen Berge soll man einen schönen
Ueberblick über Pinang, einen Theil von Malacca und
die See haben; auf dem Wege dahin soll auch ein Waffer-
90
fall sein, – leider reichten die wenigen Stunden nicht
aus, alles zu besehen.
Der größte Theil der Bevölkerung dieser Insel be-
steht aus Chinesen. Handwerke und Kleinhandel liegen
fast ausschließend in ihren Händen.
Am 11. Oktober sahen wir das Inselchen Pulo-
Rondo, zu Sumatra gehörig. Nun segelten wir den
bengalischen Meerbusen von Osten nach Westen auf der
geradesten Linie durch, und bekamen bis Ceylon kein
Land mehr zu Gesicht.
Am 17. Oktober Nachmittags näherten wir uns der
Küste von Ceylon. Mit neugierigen Blicken wandte ich
mich dahin, denn Ceylon wird als ein Eden, als ein
Paradies geschildert, – ja man behauptet sogar, daß
Adam, unser Stammvater, in diesem Lande seinen Wohn-
ort genommen habe, nachdem er aus dem Paradiese ge-
trieben worden war, was man dadurch beweisen will, daß
noch jetzt einige Orte auf der Insel seinen Namen führen,
wie der „Adamspic“, die „Adamsbrücke u. f. w. –
Auch die Luft sog ich begierig ein,– ich hoffte, gleich an-
dern Reisenden, die balsamischen Düfte der reichen Ge-
würzpflanzungen einzuathmen.
Wunderbar schön entstieg die Insel den Fluthen,
und immer herrlicher entwirrte sich die große Gebirgswelt,
die Ceylon so vielfach durchkreuzt. Die höchsten Gipfel
der Berge wurden von den Strahlen der sich neigenden
Sonne noch magisch erleuchtet, während die dichten Kokos-
wälder, die Hügel und Ebenen im schwarzen Dunkel la-
gen. Die aromatischen Düfte aber blieben aus, und es
91
-
roch auf unterm Schiffe wie zuvor nur nach Theer,
Steinkohlen, Dampf und Oel.
Gegen neun Uhr Nachts befanden wir uns vor dem
Hafen Pointe de Galle. Da die Einfahrt höchst gefähr-
lich ist, blieben wir die Nacht ruhig davor liegen. Am
folgenden Morgen kamen zwei Looten, die uns glücklich
in dem schmalen Raum des tiefen Fahrwaffers nach dem
Hafen brachten.
Kaum ans Land gestiegen, wurden wir von Schaa-
ren von Verkäufern umringt, die uns geschliffene Edel-
feine, Perlen und Arbeiten von Schildkröte und Elfen-
bein zum Kaufe anboten. Der Kenner mag hier vielleicht
gute Geschäfte machen können; dem Laien aber ist zu ra-
then, sich nicht von der Größe und dem Glanze der Edel-
feine und Perlen blenden zu laffen, da die Eingebornen,
wie man mir sagte, den schlauen Europäern die Kunst,
bei günstigen Gelegenheiten großen Nutzen zu ziehen, be-
reits abgelernt haben.
Die Lage von Pointe de Galle ist höchst anmuthig:
im Vordergrunde erheben sich schöne Felsgruppen und im
Hintergrunde schließen sich stolze Palmenwälder an das
durch einige Festungswerke beschützte Städtchen. Die
Häuser sind nett, niedrig und häufig von Bäumen be-
schattet, die in manchen der reinlichen Gaffen Alleen
bilden.
Pointe de Galle ist der Punkt, auf welchem die
Dampfschiffe von China, Bombay, Calcutta und Suez
zusammen treffen. Die Reisenden, die von Calcutta,
Bombay und Suez kommen, verweilen hier nur 12, höch-
stens 24 Stunden; dagegen müffen aber jene, die von
92
China nach Calcutta sich begeben, zehn, auch vierzehn Tage
auf den Dampfer warten, der sie weiter befördern soll.
Mir war dieser Aufenthalt sehr erwünscht, – ich benützte
ihn zu einer Reise nach Kandy.
Von Pointe de Galle nach Colombo gehen zwei Ge-
legenheiten: die Mail (königl. englische Post) täglich, und
eine Privatgelegenheit dreimal in der Woche. Die Ent-
fernung beträgt 73 englische Meilen, welche in zehn Stun-
den zurückgelegt werden. Der Platz in der Mail kostet
zwei und ein halb Pfund Sterling, in der Privatkutsche
zwölf Schillinge. Die Kürze der Zeit zwang mich zur
ersteren meine Zuflucht zu nehmen. Die Straße ist herr-
lich, kein Hügel, kein Steinchen hemmt den Lauf der
flüchtigen Roffe, die überdies noch alle acht Meilen ge-
wechselt werden.
Der größte Theil des Weges führte unweit des
Meeresstrandes durch dichte Cocoswaldungen. Die Straße
war so belebt und bewohnt, wie mir selbst in Europa
nichts ähnliches vorgekommen ist. Ortschaften stießen an
Ortschaften, und der einzelnen Hütten lagen so viele da-
zwischen, daß man keine Minute fuhr, ohne an einer solchen
vorüber zu kommen. Auch kleine Städtchen sahen wir, von
welchen mir aber nur Calluri durch einige hübsche, von
Europäern bewohnte Häuser auffiel. Nahe dabei auf
einem felsigen Hügel an der See lag eine kleine Citadelle.
Längs der Straße fanden unter kleinen Palmdächern
große irdene Gefäße mit Waffer gefüllt; Cocoschalen
lagen daneben, als Trinkgefäße dienend. Eine nicht min-
der lobenswürdige Einrichtung für die Bequemlichkeit des
Wanderers sind kleine gemauerte, auf den Seiten offene
93
Hallen, mit einem Dache überdeckt und mit Bänken ver-
sehen. Manche Reisende bringen darunter die Nächte zu.
Die stets auf- und niederwogende Menge von Men-
fchen und Wagen machte die Reise höchst kurzweilig. Man
konnte da alle Racen studieren, aus welchen die Bevöl-
kerung Ceylons zusammengesetzt ist. Die größte Zahl
bilden die eigentlichen Bewohner, die Cingalesen; außer-
dem gibt es Indier, Mohamedaner, Malaien, Malabaren,
Juden, Mohren, ja sogar Hottentotten. Unter den drei
erstgenannten Stämmen sah ich viele mit schöner, ange-
nehmer Gesichtsbildung; besonders schön sind die einga-
lesischen Knaben und Jünglinge. Sie haben zarte, wohl-
gebildete Gesichtszüge und sind so schlank und fein ge-
baut, daß man leicht in den Irrthum fallen könnte, sie
für Mädchen zu halten, wozu auch viel die Art und Weise
beiträgt, wie sie die Haare stecken: sie gehen nämlich ohne
Kopfbedeckung, kämmen die Haare alle nach hinten und
drehen sie in einen Knoten, der mittelst eines Kammes,
deffen Schild flach, breit und vier Zoll hoch ist, am Hin-
terkopfe befestiget wird. Die Männer kleidet dieser Kopf-
putz gerade nicht am besten. Die Mahomedaner und Ju-
den haben etwas kräftigere Gesichtszüge,– letztere sehen den
Arabern ziemlich ähnlich; sie haben, gleich ihnen, edle
Physiognomien. Auch erkennt man die Mohamedaner
und Juden leicht an ihren geschorenen Häuptern und den
langen Bärten; sie tragen kleine weiße Käppchen oder
Turbane. Auch viele Indier schmücken sich mit Turbanen;
die meisten aber haben nur einfache Tücher, die sie über
den Kopf schlagen. Letzteres ist auch bei den Malabaren
und Malaien Sitte. Die Hottentotten laffen ihr pech-
94
schwarzes Haar in struppichter Unordnung über den Vor-
derkopf und den halben Nacken hängen. Die Kleidung
macht, mit Ausnahme der Mohamedaner und Juden, kei-
ner von diesen Nationen große Sorge. Außer einer klei-
nen Leibbinde oder einem handbreiten Lappen, der zwi-
fchen die Beine gezogen wird, gehen sie nackt. Jene, die
gekleidet sind, tragen kurze Hosen und ein Oberkleid.
Vom weiblichen Geschlechte sah ich sehr wenige, und
diese nur nahe an ihren Hütten. Es scheint, daß sie hier
feltner als irgendwo ihre Wohnungen verlaffen. Auch
ihre Tracht war sehr einfach. Eine Schürze um die Len-
den gebunden, ein kurzes Jäckchen, das den Oberkörper
mehr entblößte als deckte, und ein Lappen, der über den
Kopf hing, bildeten den ganzen Anzug. Viele waren in
große Tücher eingeschlagen, die sie ziemlich lose trugen.
Die Kanten der Ohren, so wie die Ohrläppchen hatten sie
durchstochen und mit Ohrgehängen geschmückt. An den
Füßen, Armen und am Halse trugen die Ketten und Span-
gen von Silber oder anderem Metalle, und an einer der
Fußzehen einen großen, sehr massiven Ring.
Man sollte meinen, daß das weibliche Geschlecht in
einem Lande, wo es sich so wenig zeigen darf, immer
strenge verhüllt sein müffe; dies war aber hier gerade
nicht der Fall. Manche hatten Jäckchen und Kopftuch
vergeffen, und besonders schien diese Vergeffenheit den
alten Weibern eigen zu sein, die in dieser Blöße wahr-
haft widerlich aussahen. Unter den jüngern gab es manch
schönes ausdrucksvolles Gesichtchen; nur mußte man sie
ebenfalls nicht ohne Jäckchen sehen, da ihre Brüste bis
an die Lenden hinab hingen.
95
Die Hautfarbe der Bewohner varirt von licht-
bis dunkelbraun, röthlichbraun und kupferroth. Die
Hottentotten sind schwarz, aber nicht von dem glänzenden
Schwarz der Neger.
Merkwürdig ist die Scheu, die all diese halbnackten
Leute vor dem Regen und vor naffen Stellen haben. Zu-
fällig fing es an ein wenig zu regnen; augenblicklich
sprangen sie wie Seiltänzer über jede kleine Pfütze und
eilten den Hütten und Häusern zu, um sich darunter zu
bergen. Jene, welche gezwungen waren, ihren Weg fort-
zusetzen, hielten statt der Regenschirme die Blätter der
Schirmpalme (Corypha umbraculifera), auch Talibot
genannt, über sich. Diese Blätter haben bei vier Fuß im
Durchmeffer und laffen sich leicht zusammenhalten wie
Fächer. Ein solches Riesenblatt ist groß genug zwei
Menschen vor dem Regen zu schützen.
Viel weniger als den Regen fürchten sie die glühen-
den Sonnenstrahlen. Man sagt, daß die Sonne den Ein-
gebornen nicht gefährlich sei, indem diese ihre dicke Hirn-
fchale und das darunter liegende Fett vor dem Sonnen-
fiche schütze.
Ganz eigener Art fand ich die Fuhrwerke, die ich
hier sah: es waren hölzerne zweiräderige Karren mit
Palmendächern, die vorne und hinten bei vier Fuß
über den Karren hinaus reichten. Diese Vorsprünge die-
nen dem Fuhrmanne als Schutz gegen Regen und Sonne,
fie mögen kommen von welcher Seite sie wollen. Die
Ochsen, stets zwei, waren so weit vom Wagen gespannt,
daß der Kutscher ganz bequem zwischen ihnen und dem
Wagen gehen konnte.
96
Die Frühstückszeit, eine halbe Stunde, benützte ich,
an den Meeresstrand zu gehen, wo ich auf gefährlichen
Klippen, mitten in den schauerlichsten Brandungen, viele
Menschen emsig beschäftigt sah. Die einen lösten mittelst
langen Stangen Schaalthiere von den Felsen, die andern
stürzten sich in den Meeresgrund, sie herauf zu holen. Ich
dachte, in den Schalen müßten Perlen enthalten sein, da
sich meiner Meinung nach die Menschen blos der Austern
wegen nicht solchen Gefahren aussetzen würden. Dennoch
war letzteres der Fall, denn später erfuhr ich, daß der
Perlfang wohl auf dieselbe Art betrieben wird, aber an
der Ostküste Ceylon's und nur in den Monaten Februar
und März
Die Boote, deren sich die Leute bedienten, waren
von zweierlei Art, die größeren, die an vierzig Mann faßten,
sehr breit, von Brettern zusammengefügt und mit Stricken
von Cocosfasern verbunden – die kleineren glichen jenen,
die ich in Taiti gesehen hatte; nur kamen sie mir noch
gefährlicher vor. Ein ganz feichter, äußerst schmaler, aus-
gehöhlter Baumstamm bildete die Grundlage; die Seiten-
wände waren durch Bretter erhöht und mit Seiten- und
Querstangen versehen. Das Fahrzeug ragte kaum andert-
halb Fuß hoch aus dem Waffer und die obere Breite be-
trug keinen ganzen Fuß. Ein Brettchen zum sitzen lag
darüber; die Kniee aber mußten aus Mangel an Raum
über einander gelegt werden.
Der größte Theil des Weges ging, wie gesagt, durch
Cocoswaldungen, in welchen der Boden sehr sandig, von
Schlingpflanzen und Untergehölzen ganz frei war; wo
aber Laubbäume fanden, fand ich das Erdreich fett und
97
Baumstämme und Boden von üppig wuchernden Schling-
pflanzen überdeckt. Von Orchidäen gab es sehr wenige.
Wir setzten über vier Flüffe, den Tindureh, Ben-
tock, Cattura und Pandura. Zwei überfuhren wir in
Booten, über die andern gelangten wir auf schönen, hölzernen
Brücken. Zehn englische Meilen von Colombo fingen die
Zimmtpflanzungen an. Auf dieser Seite Colombos lie-
gen auch alle Landhäuser der Europäer; sie sind sehr ein-
fach, von Cocospalmen umschattet und mit Mauern um-
geben. Nachmittags drei Uhr rollte unser Wagen über zwei
Zugbrücken, durch zwei Festungsthore in die Stadt. Die
Lage Colombos ist bei weitem anmuthiger als jene von
Pointe de Galle, da man den schönen Gebirgen bereits
um vieles näher ist,
Ich hielt mich hier nur über Nacht auf und ging
schon am folgenden Morgen mit der Post weiter nach der
72 englische Meilen entfernten Stadt Kandy.
Am 20. Oktober um fünf Uhr wurde abgereist.
Colombo ist eine sehr ausgedehnte Stadt. Wir fuhren
durch unendlich lange, breite Straßen, zwischen hübschen
Häusern, die alle mit Veranden und Säulengängen um-
geben waren. Einen schauerlichen Eindruck machten auf
mich die vielen Menschen, die unter diesen Veranden oder
Vorsprüngen der Häuser ausgestreckt lagen und mit wei-
ßen Laken überdeckt waren. Anfangs dachte ich, es
feien Todte; dann aber wurde mir die Zahl zu groß, und
ich fah wohl, daß es nur Schläfer waren. Auch fing
mancher an sich zu bewegen und das Leichentuch von
Anmerkung. Die Entfernungen der Landreise rechne ich nach
englischen Meilen, deren 4 etwa eine deutsche Meile machen.
Pfeiffers Reise, 11. Th. 7
98
sich zu streifen. Auf mein Befragen erfuhr ich, daß die
Eingeborenen es angenehmer finden, vor als in den Häu-
fern zu schlafen.
Eine lange Schiffbrücke führt über den bedeutenden
Fluß Calanyganga, und der Weg wendet sich nun immer
mehr von dem Meere ab; auch die Landschaft ändert sich
bald. Schöne Reispflanzungen erstrecken sich über große
Ebenen, deren faftiges Grün mich an unsere Waizensaaten
erinnerte, wenn sie im Frühlinge hervortreten. Die
Waldpartien bestehen aus Laubholz, und die Palmen wer-
den seltener; nur hie und da fehlen sie sich in die fremden
Waldungen, aus welchen sie gleich Riesen emporragen
und alles überschatten. Nichts war schöner, als wenn
die zarten Schlinggewächse sich auch an die Palmen wag-
ten, den langen Stamm umrankten und bis an die hohe
Blätterkrone reichten.
Nachdem wir bei sechzehn englische Meilen zurückge-
legt hatten, fingen die Anhöhen und Hügel an, und bald
umgaben uns die Gebirge von allen Seiten. Am Fuße
jedes Berges fanden Vorspannpferde bereit die uns eilig
über Berg und Höhe brachten. Auch diese 72 Meilen,
obwohl wir bis Kandy bei 2000 Fuß emporstiegen, wur-
den in eilf Stunden gemacht.
Je näher wir dem Gebiete Kandys kamen, desto
vielfältiger und abwechselnder wurden die Gebirgssce-
nerien. Bald war man enge von ihnen umschloffen, bald
thürmten sich Berge auf Berge, und eine Kuppe suchte die
andere an Höhe und Schönheit der Form zu überbieten.
Bis zur Höhe von einigen tausend Fuß waren die üppig
bewachsen, dann kämpfte sich aber meistens das Felsengebiet
99
durch. – Nicht minder interessant als die Gegend waren
mir die seltsamen Gespanne, die uns zeitweise begegneten.
Ceylon ist, wie man weiß, reich an Elephanten, deren
viele gefangen und zu verschiedenen Arbeiten verwendet
werden. Hier waren sie zu zwei bis drei vor große Wa-
gen gespannt, um Steine zur Ausbefferung der Straßen
herbei zu fahren. -
Vier Meilen vor Kandy kamen wir an den Fluß
Mahavilaganga, über welchen sich eine meisterhafte Brücke
aus einem einzigen Bogen wölbt. Brücke und Sparrenwerk
sind aus dem kostbaren Satin Wood (Atlas-Holz). An
diese Brücke knüpft sich folgende Sage:
Als die Eingebornen von den Engländern besiegt
wurden, gaben sie die Hoffnung, ihre Freiheit wieder zu
erringen, nicht auf, weil eines ihrer Orakel prophezeit
hatte, so unmöglich es sei, durch einen Weg die beiden
Ufer des Mahavilaganga zu verbinden, eben so unmög-
lich werde es einem Feinde sein, eine dauernde Herrschaft
über sie zu erringen. Anfangs lächelten sie, als der Bau
der Brücke begonnen wurde, und meinten, er werde nie ge-
lingen. Nun denken sie, wie man mir sagt., an keine
Befreiung mehr.
Nahe an der Brücke befindet sich ein botanischer
Garten, welchen ich des folgenden Tages besuchte. Mich
überraschte die schöne Ordnung, so wie der Reichthum an
Blumen, Pflanzen und Bäumen. -
Diesem Garten gegenüber liegt eine der größten
Zuckerplantagen; in der Umgebung find mehrere Kaffee-
pflanzungen.
Die Lage Kandys ist, nach meinem Geschmacke,
7
100
überaus reizend. Viele behaupten zwar, daß die Berge
gar zu nahe seien, und daß Kandy eigentlich in einem
Keffel liege. Jedenfalls ist aber dieser Keffel reizend, um
so mehr, als er in der üppigsten Vegetation erblüht. Das
Städtchen ist klein und häßlich: man sieht nichts als einen
Haufen kleiner Kramläden, vor welchen sich die Einge-
bornen umhertreiben. Die wenigen Häuser der Europäer,
die Geschäftslokale und Kasernen, liegen außer der Stadt
auf kleinen Hügeln. Große, künstlich angelegte Waffer-
becken, von herrlichem, durchbrochen gearbeitetem Mauer-
werke umgeben und von Alleen der mächtigen Tulpenbäume
beschattet, füllen einen Theil des Thales aus. An einem
dieser künstlichen Teiche liegt der berühmte Buddha-Tempel
Dagoha, der im maurisch-hindostanischen Style aufgeführt
und reichlich mit Verzierungen ausgestattet ist.
Als ich die Postkutsche verließ, empfahl mir einer
der Reisenden einen guten Gasthof und hatte noch die
Güte, einen Eingebornen herbei zu rufen und ihm den
Ort zu erklären, wohin er mich zu führen habe. Als ich am
Gasthofe ankam, bedauerte man sehr, kein leeres Zimmer
mehr zu haben. Ich bat die Leute, meinem Führer ein
anderes Haus anzuzeigen, was sie auch thaten. Der
Bursche führte mich hierauf von dem Städchen weg, wies
nach einem nahen Hügel, und bedeutete mir, daß hinter
diesem das Gasthaus liege. Ich glaubte es ihm, da ich
sah, daß alle Gebäude weit von einander lagen. Als ich
aber auf dem Hügel ankam, sah ich statt des Hauses eine
etwas entlegene Gegend und einen Wald. Ich wollte
zurück; doch der Kerl merkte nicht auf mich und schritt dem
Walde zu. Ich riß ihm mein Felleisen von der Schulter
(01
und wich nicht von der Stelle. Er wollte es mit Gewalt
wieder nehmen; da sah ich aber glücklicherweise in einiger
Ferne zwei englische Soldaten, denen ich zuschrie und zu-
winkte, herbei zu kommen. Als der Bursche dies sah, lief
er davon. – Ich erzählte den Soldaten mein Abentheuer;
fie wünschten mir Glück zur Rettung meines Gepäckes und
führten mich hierauf zur Kaserne, wo einer der Offiziere
fo gefällig war, mich in einen andern Gasthof führen
zu laffen. -
Mein erster Besuch galt dem Tempel Dagoha, der
eine große Reliquie der Gottheit Buddha: einen ihrer
Zähne enthält. Der Tempel fammt den Nebengebäuden
ist von Mauern umgeben. Der Umfang des Haupttempels
erschien sehr unbedeutend, und das Allerheiligste, welches
den Zahn enthält, ist ein kleines Gemach von kaum zwan-
zig Fuß im Durchmeffer. Tiefe Finsterniß herrscht darin-
nen, da es keine Fenster hat, und innerhalb der Thüre
ein Vorhang hängt, um das einfallende Licht abzuhalten.
Die Wände und die Decke find mit seidenen Teppichen
ausgelegt, die aber kein anderes Verdienst als jenes des
Alters haben. Sie waren zwar mit Goldfäden durchwirkt,
fcheinen jedoch nie allzureich gewesen zu sein, und ich
konnte mir durchaus nicht vorstellen, daß sie je einen so gro-
ßen, blendenden Effekt hervorgebracht haben, wie manche
Reiseberichte melden. Das halbe Gemach nimmt eine
große Tafel (eine Art Altar) ein, die mit Silberplatten
ausgetäfelt und an den Kanten mit Edelsteinen besetzt ist.
Auf dieser Tafel steht ein glockenartiger Sturz, der an dem
unteren Ende einen Durchmeffer von wenigstens drei Fuß,
und eine gleiche Höhe hat. Er ist von stark vergoldetem
102
Silber und mit vielen kostbaren Edelsteinen ausge-
schmückt. Ein Pfau in der Mitte ist blos aus Edelsteinen
zusammengesetzt; doch machen all' diese vielen und großen
Edelsteine keinen besondern Effekt, da sie sehr plump und
unvortheilhaft gefaßt sind.
Unter dem Riesensturze befinden sich sechs kleinere,
die von reinem Golde fein sollen, – der letzte deckt den
Zahn der allmächtigen Gottheit. Den äußeren Sturz ver-
sperren drei Schlöffer, zu welchem zwei der Schlüffel bei
dem englischen Gouverneur liegen, während der dritte bei
dem Oberpriester des Tempels bleibt. Vor kurzem hat
aber das Gouvernement die beiden Schlüffel unter großen
Feierlichkeiten den Eingebornen zurückgegeben, und sie be-
finden sich jetzt bei einem der Radscha's (Prinzen) der Insel.
Die Reliquie selbst wird höchstens einem Prinzen oder
sonst einem Mächtigen der Erde gezeigt, andere Leute
müffen sich mit den Worten des Priesters begnügen, der
gegen eine kleine Belohnung die Gefälligkeit hat, die
Größe und Schönheit des Zahnes zu beschreiben. Seine
blendend weiße Farbe soll das Elfenbein beschämen, seine
Form, alles der Art bisher Gesehene übertreffen, und
feine Größe der eines mächtigen Ochsenzahnes ent-
sprechen.
Unzählige Menschen wallfahrten jährlich hieher, um
dem göttlichen Zahne ihre Verehrung darzubringen.
Der Glauben macht selig; – gibt es doch unter
den christlichen Sekten viele Menschen, die Dinge für wahr
halten, wozu kein minder fester Glaube gehört. So
erinnere ich mich noch aus meiner Jugendzeit einst einem
Feste beigewohnt zu haben, das zu Calvaria, einem Wall-
T103
fahrtsorte in Galizien, noch jetzt alljährlich gefeiert wird.
Eine große Anzahl Pilger kommen dahin, um Splitter-
chen vom Kreuze des Heilandes zu holen. Die Priester
machten ganz kleine Kreuzchen von Wachs, worauf sie,
wie sie dem gläubigen Volke versicherten, Splitterchen
vom wahren Kreuze Christi klebten. Diese Kreuzchen
waren in Papier gewickelt und fanden in vollen Körben
zur Austheilung, das heißt zum Verkaufe bereit. Jeder
Bauer pflegte wenigstens drei Stücke zu nehmen, von
welchen er eines in die Stube, das zweite in den Stall
und das dritte in die Scheune legte. Das sonderbarste
dabei war, daß dieser Kauf alle Jahre wiederholt werden
mußte – die alten Kreuzchen hatten nach Verlauf dieser
Zeit ihre heilige Kraft verloren.
Doch kehren wir wieder nach Kandy zurück. In einem
zweiten Tempel, der sich an das Heiligthum anschließt,
sind zwei riesige Statuen des Gottes Buddha in fitzen-
der Stellung, – beide sollen vom feinsten Golde fein
(inwendig hohl). Vor diesen koloffalen Figuren stehen
ganze Reihen kleiner Buddha's, die aus Crystall, Glas,
Silber, Kupfer oder anderen Materialien verfertigt sind.
Auch in der Vorhalle sieht man mehrere aus Stein ge-
hauene Statuen von Göttern, nebst andern Fragmenten,
die aber alle ziemlich roh und steif gearbeitet sind. Mitten
darunter steht ein kleines Monument von einfachem Mauer-
werke, einer umgestürzten Glocke gleichend; es soll das
Grab eines Braminen enthalten.
An den Außenwänden des Haupttempels sieht man die
ewigen Strafen in jämmerlichen Fresken gemalt. Letztere
stellen Menschen dar, die geröstet, oder mit glühenden
1(!)4
Zangen gezwickt, oder theilweise gebraten wurden, oder
Feuer verschlucken mußten. Dann sah man solche, die
zwischen Felsen eingezwängt waren, andere, welchen
Fleisch aus dem Körper geschnitten wurde, u. f.w. Doch
scheint bei den Buddhisten auch das Feuer bei den ewigen
Strafen die Hauptrolle zu spielen.
Die Pforten des Haupttempels sind von Metall, die
Thürstöcke von Elfenbein. Auf ersteren sind in erhabe-
ner, auf letzteren in eingelegter Arbeit die herrlichsten
Arabesken, Blumen und andere Verzierungen angebracht.
Vor dem Eingange der Hauptpforte stehen als Zierde vier
der größten Elephantenzähne, die je gefunden wurden.
Im Hofe rings umher sind die Zelte der Priester.
Diese letzteren gehen stets mit entblößtem, ganz geschor-
nem Haupte, und ihre Tracht besteht in lichtgelben Ober-
kleidern, die den Körper so ziemlich bedecken. Einst soll
dieser Tempel fünfhundert diensthuende Priester gehabt
haben,– jetzt muß sich die Gottheit mit einigen Dutzenden
begnügen. -
Die Andachtsbezeigungen der Buddhisten bestehen
hauptsächlich in Blumen- und Geldspenden. Täglich wird
des Morgens und des Abends vor der Pforte des Tem-
pels eine ohrenzerreißende Musik, Tam-tam genannt, mit
einigen weithin schallenden Trommeln und Pfeifen aus-
geführt. Bald darauf sieht man Leute von allen Seiten
herbeikommen, welche die schönsten Blumen in Körben
bringen. Die Priester schmücken damit die Altäre aus,
und zwar mit solcher Zierlichkeit und solchem Geschmacke,
daß sie hierin gewiß nicht zu übertreffen find.
Außer diesem Tempel gibt es noch einige andere in
T (D5%
Kandy, von welchen jedoch nur noch einer merkwürdig
ist. Dieser liegt am Fuße eines Felshügels, in welchen
eine sechsunddreißig Fuß hohe Buddha-Statue ausgehauen
ist. Ein kleiner, niedlicher Tempel wölbt sich darüber.
Der Gott ist mit den buntesten Farben bemalt. Die
Wände des Tempels, mit schönem, röthlichem Cement
überkleidet, sind in kleine Felder geheilt, in welchen
überall der Gott Buddha al fresco erscheint. Einige
Bildniffe Wischnus, einer andern Gottheit, findet man
jedoch darunter. Besonders schön und frisch haben sich
die Farben an der südlich gelegenen Wand des Tempels
erhalten.
Ein Grabesmonument, gleich jenem im Tempel
Dagoha, steht ebenfalls hier, aber nicht eingeschloffen im
Tempel, sondern unter Gottes freiem Himmel, beschattet
von ehrwürdigen Bäumen.
Neben den Tempeln gibt es häufig Schulen, in wel-
chen die Priester das Lehramt versehen. Bei diesem
Tempel fanden wir ein Dutzend Jungen (Mädchen dürfen
keine Schule besuchen), die sich gerade mit schreiben be-
fchäftigten. Die Vorschriften waren mittelst eines Griffels
auf schmale Palmblätter sehr schön geschrieben. Die
Knaben schrieben auf demselben Materiale.
Höchst lohnend ist ein Spaziergang nach dem großen
Thale, das von dem Mahavilaganga durchschnitten wird.
Es ist von zahllosen, wellenförmigen Hügeln durchzogen,
deren viele in regelmäßige Teraffen getheilt und mit Reis
oder Kaffee bepflanzt sind. Die Natur ist hier jung und
kräftig und belohnt reich den Fleiß des Pflanzers. Die
Schlagschatten dieses Bildes bilden dunkle Haine von
106
Palmen oder Laubbäumen, den Hintergrund theils hohe
Gebirge in fammtgrünem Festkleide, theils wildromanti-
fche Fels-Koloffe in düster-grauer Nacktheit.
Ich sah viele der höchsten Berge Ceylon's, Riesen
von 8000 Fuß Höhe, leider aber nicht den berühmtesten,
den Adams pic. Dieser Berg, 6500 Fuß hoch, soll
auf der letzten Spitze so steil sein, daß man, um das Er-
steigen möglich zu machen, kleine Stufen in den Fels ge-
hauen und eine eiserne Kette gezogen hat. Die Mühe
des kühnen Kletterers wird aber reichlich belohnt. Oben
auf der Platte ist die zarte Spur eines fünf Fuß langen
Füßchens abgedrückt. Die Muhamedaner legen dies
übernatürliche Zeichen unserm kräftigen Stammvater Adam
bei, die "Buddhisten ihrem großzahnigen Gotte Buddha.
Von beiden Völkern wallen jährlich viele Tausende hin,
ihre Andacht darzubringen.
Zu Kandy ist noch der Palast des ehemaligen Kö-
nigs oder Kaisers von Ceylon zu sehen – ein schönes
gemauertes Gebäude, das aber wenig eigenthümliches
hat; ich würde es für ein von Europäern aufgeführtes
Werk gehalten haben. Es besteht aus einem etwas er-
höhten Erdgeschoffe mit großen Fenstern und schönen Vor-
hallen, die auf Säulen ruhen. Das einzige merkwürdige
ist im Innern ein großer Saal, defen Wände mit einigen
grob und feif ausgearbeiteten Reliefs, Thiere darstellend,
ausgeschmückt sind. Seit der eingeborne Monarch von
Ceylon durch die nimmersatten Engländer in Ruhestand
versetzt wurde, bewohnt der englische Resident oder Gou-
verneur diesen Palast.
Wäre ich vierzehn Tage früher nach Kandy gekom-
107
men, so hätte ich einer Elephanten-Jagd oder, besser ge-
sagt, einem Elephanten-Fange beiwohnen können. Man
sucht zu diesem Zwecke an den Ufern eines Fluffes den
Ort auf, wohin diese Thiere gewöhnlich zur Tränke gehen.
Da wird dann ein großer Raum mit Pfählen umgeben, zu
welchem, verzweigte enge Wege, ebenfalls von starken
Pfählen umzäunt, führen. Ein abgerichteter Elephant,
in der Mitte dieses Raumes angebunden, lockt durch sein
Geschrei die durstigen Thiere an sich, die sorglos in die
Irrwege gehen, aus welchen sie nicht mehr hinaus können,
da die Jäger und Treiber hinter ihnen her sind, durch
Lärmen sie in Schrecken setzen und dem großen Raume zu
treiben. Die ausgezeichnet großen Thiere werden lebend
gefangen, indem man sie etwas Hunger leiden läßt, wo-
durch die fofolgsam werden, daß sie sich ruhig eine Schlinge
umwerfen laffen und ohne Wiederstand dem gezähmten
Elephanten folgen. Die übrigen werden entweder getödtet
oder frei gelaffen, je nachdem sie schöne Hauer (Zähne)
haben oder nicht.
Die Vorbereitungen zu folch einem Fange währen
oft mehrere Wochen, da außer der Einzäunung des Platzes
auch viele Treiber die Elephanten weit und breit aufsuchen
und nach und nach dem Wafferplatze zutreiben müffen.
Manchmal geht man auch, nur mit Gewehren ver-
fehen, auf die Elephanten-Jagd; doch ist dies gefährlich.
Der Elephant hat nämlich, wie bekannt, nur eine leicht
verwundbare Stelle: die Mitte der Hirnschale. Trifft
man diese, so erlegt man das Ungeheuer auf den ersten
Schuß; fehlt man sie aber, dann wehe dem Jäger – er
wird von den Füßen des wüthenden Thieres zermalmt.–
TIOZ
Sonst ist der Elephant sehr friedliebend und greift nicht
leicht den Menschen an.
Die Europäer richten die Elephanten zum ziehen und
Lasttragen ab, (ein Elephant trägt bis vierzig Centner)
die Eingebornen halten sie mehr zur Zierde und zum
reiten.
Nach drei Tagen verließ ich Kandy und ging wieder
nach Colombo zurück. Hier mußte ich mich einen Tag
aufhalten, weil gerade Sonntag war, während defen
keine Mail geht.
Ich benutzte diese Zeit, die Stadt, die von einem
starken Fort beschützt wird, zu besehen. Sie ist sehr aus-
gedehnt, hat hübsche breite Straßen und nette, einstöckige
Häuser, die mit Veranden und Säulengängen umgeben
find. Die Bevölkerung wird auf 80,000 Seelen gerech-
net, darunter (ohne Militär) ungefähr 100 Europäer
und 200 Abkömmlinge von Portugiesen, welch letztere
schon vor Jahrhunderten hier eine Ansiedlung gegründet
hatten. Ihre Gesichtsfarbe ist so braun wie jene der Ein-
gebornen.
Des Morgens besuchte ich den katholischen Gottes-
dienst. Die Kirche war voll von irländischem Militär
und Portugiesen. Die Portugiesinnen erschienen sehr
reich gekleidet: sie trugen gefaltete Röcke und kurze Jäck-
chen von Seidenstoffen, Ohrgehänge von Perlen und Edel-
feinen und um den Hals, um die Arme, ja sogar um die
Füße Gold- und Silberketten.
Nachmittags ging ich nach einigen Zimmtpflanzun-
gen, deren viele um Colombo liegen. Der Zimmt-Baum
oder Strauch ist in Reihen gepflanzt, höchstens neun Fuß
109
hoch, und trägt weiße, geruchlose Blüthen. Aus der Frucht,
die kleiner als eine Eichel ist, wird Oel gewonnen, wel-
ches, wenn man die Frucht zerquetscht und kocht, obenauf
schwimmt. Man mengt es mit Cocosöl und verbraucht
es bei der Beleuchtung. -
Die Zimmternte hat zweimal im Jahre statt: die
erste (große) von April bis Juli, die zweite (kleine) von
November bis Januar. Die Rinde wird mittelst eines
Meffers von den dünnen Aesten geschält und an der
Sonne getrocknet, wodurch sie eine gelbliche oder bräun-
liche Farbe bekömmt. Der feinste Zimmt ist lichtgelb
und höchstens von der Dicke eines Kartenpapieres.
Das feine Zimmtöl, das man als Arznei gebraucht,
wird aus dem Zimmt selbst gezogen. Man schüttet ihn
in ein hölzernes, mit Waffer angefülltes Gefäß und läßt
ihn acht bis zehn Tage darin liegen. Die ganze Maffe
wird hierauf in einen Destillierkolben gegeben und über
einem kleinen Feuer destilliert. Auf dem daraus gewon-
nenen Waffer sammelt sich nach kurzer Zeit Oel, welches
man mit der größten Sorgfalt abschöpft.
Unter den Thieren Ceylon's fielen mir außer den
Elephanten noch besonders die Raben auf, und zwar durch
ihre Menge und ihre Zahmheit. In jedem Städtchen und
Dörfchen sieht man eine Unzahl dieser Vögel, die an die
Thüren und Fenster kommen und alles aufpicken. Sie sind
dem Lande das, was die Hunde der Türkei – sie zehren
allen Unrath auf. Das Hornvieh ist etwas klein und hat zwi-
schen den Schulterblättern Höcker, die aus Fleisch bestehen
und für Leckerbissen gehalten werden.
In Colombo und Pointe de Galle sieht man auch
110
viele große weiße Büffel, die dem englischen Gouvernement
gehören und von Bengalen hierher gebracht werden. Man
gebraucht sie zum schweren Zuge.
Unter den Früchten war die Ananas von vorzüg-
licher Größe und Güte.
Die Temperatur fand ich ziemlich gemäßigt, beson-
ders in dem hochgelegenen Kandy, wo es bei vielem Re-
gen beinahe kalt wurde. Des Abends und Morgens fiel
der Thermometer bis auf 13 Grad, des Mittags in der
Sonne stieg er höchstens auf 21 Grad. In Colombo und
Pointe de Galle war die Witterung schön und die Tem-
peratur um 7 Grad wärmer.
Am 26. Oktober kam ich wieder nach Pointe de Galle,
und am folgenden Tage schwamm ich, und zwar abermals
auf einem englischen Dampfer, Indien zu.
Die Größe der Insel Ceylon: 1800 Quad-Meilen.
Einwohner-Zahl: 980,000.
Hauptstadt: Colombo mit 80.000 Einwohnern.
Religion der Eingeborenen: der Buddhismus.
Geldsorten: englische.
B e n g a l e n.
Madras und Calcutta.
Abfahrt von Ceylon. Madras. Calentta. Lebensweise der Europäer
Die Hindus. Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besuch bei einem Baboo.
Religionsfeste der Hindu. Sterbehäufer und Verbrennungsorte.
Muhamedanische und europäische Hochzeitsfeier.
Am 27. Oktober Mittags begab ich mich an Bord
des Dampfers Bentink von 500 Pferdekraft. Die Anker
wurden erst gegen Abend gelichtet. -
Unter den Reisenden befand sich ein indischer Prinz,
Namens Shadathan, der von den Engländern gefangen
genommen worden war, weil er den mit ihnen geschloffe-
nen Frieden gebrochen hatte. Er wurde seinem Stande
gemäß behandelt, und man hatte ihm seine beiden Gesell-
schafter, seinen Mundschi (Sekretär) so wie sechs seiner
Diener gelaffen. Alle waren orientalisch gekleidet; nur
statt der Turbane hatten sie hohe, runde Mützen von ge-
steifter Pappe, mit Gold oder Silberstoff überzogen.
Sie trugen reiche schwarze Locken und Bärte.
Die Gesellschafter speisten mit den Dienern gemein-
schaftlich. Ein Teppich wurde auf dem Decke ausgebreitet
und zwei große Schüffeln darauf gestellt, deren eine ge-
112
kochte Hühner, die andere Pillav enthielt; – die Leute
aßen mit den Händen.
28. Oktober. Stets hatten wir die schöne Linie
der dunkeln Gebirgskette Ceylons im Auge. Auch fehlte
es nicht an einzelnen Felskoloffen, die aus dem Meere
emportauchten. A
Am 29. Oktober sahen wir kein Land. – Einige
Wallfische verriethen ihr Dasein durch sprühenden Thau-
regen, und mächtige Schwärme fliegender Fische wurden
durch das Getöse unseres Dampfers aufgeschreckt.
Am 30. Oktober Morgens überraschte uns der An-
blick des Festlandes von Indien. Bald kamen wir den
Ufern so nahe, um unterscheiden zu können, daß sie eben
nicht zu den reizendsten gehörten: sie waren flach und
theilweise mit gelbem Sande bedeckt; niedrige Hügelketten
zeigten sich im Hintergrunde.
Um ein Uhr Nachmittags ließen wir in ziemlicher
Entfernung von der Stadt Madras (5 Seemeilen) die
Anker fallen. Kein Ankerplatz bietet so viele Gefahren
wie der vor Madras. Die Brandung ist so stark, daß man
der Stadt zu keiner Zeit mit einem größeren Schiffe nahen
kann, – oft vergehen Wochen, während der nicht einmal
Boote zukommen. Die Schiffe legen daher auch nur auf
ganz kurze Zeit an, und man sieht selten mehr als ein
halbes Dutzend vor Anker liegen. Große Boote, mit zehn,
auch zwölf Ruderern bemannt, kommen an die Schiffe, um
in Eile die Reisenden, die Post und die Waaren ab-
zuholen.
Das Dampfschiff hält hier acht Stunden an, und
man kann diese Zeit benützen, die Stadt zu besehen,
T 13
jedoch läuft man, da die Winde hier oft plötzlich um-
springen, Gefahr, auf das Schiff nicht mehr zurückzukom-
men. Ich verließ mich auf das gute Glück, das mich -
stets auf meinen Reifen begleitet, und machte die Expe-
dition der Ausschiffung mit. – Aber schon auf halben
Wege dahin wurde meine Neugierde bestraft. Ein ab-
scheulich schwerer Regen fiel nieder und durchnäßte uns
gänzlich, noch ehe wir das Land erreicht hatten. Wir
flüchteten in das erste Kaffeehaus, das am Strande lag.
Der Regen verwandelte sich in einen tropischen, und es
ward uns zur Unmöglichkeit das Asyl zu verlaffen. Als
das Unwetter nachgelaffen hatte, hieß es: schnell wieder
zurückkehren, da man nicht wissen könnte, was noch nach-
käme.
Ein spekulativer Zuckerbäcker von Madras war mit
dem ersten Boote an unsern Dampfer gekommen und führte
Eis und Backwerk mit, die er mit großem Gewinne ab-
fetzte.
Der erzürnte Himmel hatte Mitleid mit uns, klärte
sich noch vor Sonnenuntergang auf, und wir sahen längs
des Strandes in schöner Beleuchtung die palastartigen
Wohnungen der Europäer. Sie sind halb in griechischem
halb in italienischem Style aufgeführt, und liegen theils
in der Stadt, theils nahe an dem Meeresufer in prachtvollen
Gärten.
Bevor wir noch abfuhren, wagten sich mehrere Ein-
geborne in kleinen Booten herbei, um uns Früchte, Fische
und andere Kleinigkeiten zum Verkaufe anzubieten. Ihre
Fahrzeuge bestanden aus vier kleinen Baumstämmen, die
mit dünnen Stricken aus Kokosfasern leicht zusammen ge-
Pfeiffers Reise, 11. Th. 8
II 4
bunden waren. Ein langes Stück Holz diente als Ruder.
Die Wogen schlugen so hoch darüber, daß man jeden
Augenblick dachte, Boot und Menschen seien verloren.
Die guten Leute gingen beinahe im Naturzustande,
nur für ihre Köpfe trugen die Sorge: die waren mit den
verschiedenartigsten Gegenständen, mit Lappen, Turbanen,
Tuch- oder Strohkäppchen, oder sehr hohen, ganz spitzen
Strohmützen bedeckt. Die Wohlhabenderen (die Boot-
führer, welche die Post und die Reisenden brachten) wa-
ren mitunter recht geschmackvoll gekleidet: sie hatten nied-
liche Jäckchen an und lange, große Tücher um den Körper
geschlagen; Jäckchen und Tücher waren von weißem Zeuge
und mit blauen Streifen eingefaßt. Auf dem Kopfe tru-
gen sie fest anschließende weiße Hauben, von welchen ein
Lappen bis an die Schulter reichte. Auch die Haube war
mit blauen Streifen besetzt.
Die Farbe der Eingebornen war sehr dunkel bronze
oder kaffeebraun.
Spät Abends kam noch eine Eingeborne mit zwei
Kindern an Bord; sie hatte für den zweiten Platz bezahlt,
und man wies ihr eine kleine, finstere Cabine unweit des
ersten Platzes an. Ihr jüngeres Kind war unglücklicher-
weise mit einem starken Husten belästiget, wodurch eine
reiche, vornehme Engländerin, die ebenfalls einen Jungen
bei sich hatte, im Schlafe gestört wurde. Die Dame
mochte bei der übertriebenen Zärtlichkeit, die sie für ihr
Söhnchen hegte, noch überdieß meinen, daß der Husten an-
steckend sein könnte. Ihr erstes Geschäft am folgenden Mor-
gen war daher, den Kommandanten zu bitten, die Mutter
fammt den Kindern aufs Deck zu weisen, was der hoch-
I 15%
herzige, menschenfreundliche Mann auch sogleich that.
– Weder die Dame noch der Kommandant bekümmerten
sich darum, ob die arme Mutter auch eine warme Decke
für das kranke Kind bei sich habe, um es vor den kalten
Nächten und vor dem häufigen und starken Regen zu
schützen.
Wäre doch der Engländerin Kind krank geworden,
und sie selbst hinaus gestoßen worden in Nacht und Nebel,
damit auch die erprobt hätte, wie solch eine Behandlung
thut! – Sollte man sich nicht beinahe schämen, einer
Menschenklaffe anzugehören, die an Humanität und Her-
zensgüte von den sogenannten Wilden und Heiden weit
übertroffen wird? Kein Wilder hätte je eine Mutter
mit einem kranken Kinde verjagt; er würde im Ge-
gentheil noch Sorge für beide getragen haben. Nur
die christlich gebildeten Europäer nehmen sich das
Recht heraus, mit den farbigen Menschen nach Willkür
und Laune zu verfahren.
Am 1. und 2. November sahen wir von Zeit zu
Zeit das Festland oder kleine Inselchen, – alles flach
und fandig, ohne die geringste Naturschönheit. Zehn
bis zwölf Schiffe, darunter die größten Ostindien-Fah-
rer, fegelten gleich uns dem reichen Calcutta zu.
-
Am 3. November Morgens hatte die See schon ihre
schöne Farbe verloren und jene des schmutzig gelblichen
Ganges angenommen. – Gegen Abend näherten wir
uns den Mündungen dieses Riesenstromes. Einige Meilen
vor der Einfahrt schmeckte das Waffer schon süß. Ich
füllte ein Glas aus des heiligen Ganges Fluthen und
8*
116
leerte es auf das Wohl all meiner Lieben im Vater-
lande.
Um 5 Uhr Abends warfen wir zu Kadscheri (an
der Einfahrt des Ganges) Anker. Es war zu spät um
bis Calcutta (60 Seemeilen) zu segeln. Der Strom war
hier viele Meilen breit, so daß man nur auf einer Seite
den dunklen Saum des Ufers sah.
4. November. Des Morgens segelten wir in den
Hugly – so heißt eine der sieben Mündungen des Gan-
ges. Endlose, unübersehbare Ebenen erstreckten sich an
beiden Ufern dieses Stromes. Reisfelder wechselten mit
Zuckerpflanzungen, Palmen-, Bambus- und Laubbäume
standen dazwischen, die üppigste Vegetation zog sich bis
an des Ufers Gestade; nur Dörfer und Menschen fehlten.
Erst als wir nur mehr fünf und zwanzig Meilen von
Calcutta entfernt waren, tauchten hin und wieder ärmliche
Dörfer auf, und man sah halb nackte Menschen sich bewe-
gen. Die Hütten waren aus Lehm, Bambus oder Palm-
zweigen errichtet und mit Ziegeln, Reisstroh oder Palm-
blättern gedeckt. Merkwürdig und ganz verschieden von
jenen, die ich bei Madras fah, fand ich die größeren Fahr-
zeuge der Eingebornen. Das Vordertheil des Bootes
endigte beinahe flach, so daß es kaum einen halben Fuß
über das Waffer ragte, während das Hintertheil bei sieben
Fuß hoch war.
Das erste palastähnliche Gebäude, eine Kottonspin-
nerei, zeigte sich fünfzehn Meilen vor Calcutta, und ein
freundliches Wohnhaus schloß sich daran. Von da an
sah man an beiden Seiten des Hugly viele Paläste, die
alle in griechisch-italienischem Style gebaut und reichlich
T1 17
mit Säulen, Hallen, Terraffen u. f. w. versehen waren.
Wir flogen leider zu schnell vorbei, um mehr als einen
Ueberblick erhaschen zu können. -
Große und viele Schiffe zogen an uns vorüber oder
fegelten uns zur Seite, mehrere Dampfer glitten auf und
nieder und führten Schiffe im Schlepptau, das Lebens-
gewühl, das Fremdartige nahm immer mehr zu, und es
war leicht zu errathen, daß wir uns einer asiatischen Welt-
stadt näherten. -
Bei Gardenrich, vier Meilen vor Calcutta, legten
wir uns vor Anker.
Nichts fiel mir so schwer als eine Unterkunft in einem
Hafenorte zu finden, da es durch Zeichen und Deuten nicht
immer möglich war, den Eingebornen begreiflich zu machen,
wohin sie mich bringen sollten. Hier nahm sich einer der
Maschinisten unseres Schiffes meiner in so ferne an, daß
er mich ans Land brachte, daselbst für mich einen Pa-
lankin miethete und den Leuten den Ort bezeichnete, wo-
hin fie mich zu bringen hatten.
Eine höchst unangenehme Empfindung bemächtigte sich
meiner, als ich das erste Mal Gebrauch von einem Trag-
Palankin machte. Es kam mir für die Menschen gar
zu entwürdigend vor, sie statt der Thiere zu benützen.
Die Palankine sind fünf Fuß lang, drei Fuß hoch,
haben Schubthüren und Jalusien und sind mit Matrazen
und Kiffen versehen, so daß man darin wie in einem Bette
liegt. Vier Träger genügen für die Stadt, acht für wei-
tere Ausflüge. Sie wechseln beständig mit einander ab,
und laufen so schnell, daß sie vier englische Meilen in einer
Stunde, ja sogar in drei Viertelstunden zurücklegen. –
TTI R
Da diese Palankine alle von außen schwarz angestrichen
sind, fo kam es mir vor, als sähe ich lauter Sterbende in
das Hospital, oder Todte auf den Friedhof tragen.
Auf dem Wege nach der Stadt fielen mir vor allem
am Ufer des Hugly die herrlichen Säulenhallen (Gauths)
auf, von welchen breite Treppen bis an den Fluß führen.
An diesen Gauths liegen viele Boote, theils zum Ueber-
fahren, theils zu Lustpartien. -
Die herrlichsten Paläste lagen in großen Gärten, und
bald lenkten auch meine Träger in einen niedlichen Garten
und setzten mich unter einem schönen Portale ab. – Hier
wohnte die Familie Heilgers, an die ich Empfehlungsbriefe
hatte. Die liebenswürdige junge Frau begrüßte mich als
Sprachverwandte (sie war aus Nord-, ich aus Süd-Deutsch-
land), und nahm mich auf das Herzlichste auf. Ich ward
hier mit indischem Luxus einquartiert, hatte einen Em-
pfangssalon, ein Schlafgemach, ein Badezimmer und eine
Garderobe,
Meine Ankunft zu Calcutta fiel in eine der ungün-
figsten Epochen, die je über diese Stadt gekommen waren.
Drei unfruchtbare Jahre in beinahe ganz Europa hatten
eine Handelskrisis zur Folge, die Calcutta zu Grunde zu
richten drohte. Jede Nachricht aus Europa brachte Nach-
richten bedeutender Fallimente, die hier den Ruin der
reichsten Häuser nach sich zogen. Kein Kaufmann wagte
mehr zu sagen: „Ich besitze etwas,“ – die nächste Post
konnte ihn zum Bettler machen. Ein banges Gefühl, ein
zitterndes Erwarten hatte jede Familie ergriffen. Auf
dreißig Millionen Pfund Sterling berechnete man bereits
die Verluste in England und hier, und noch immer fand
das Unglück keine Grenzen.
Solche Unglücksfälle treffen viel schwerer gerade die
Menschen, welche, so wie hier, an übermäßige Bequemlich-
keit, an den höchsten Lurus gewöhnt sind. Bei uns macht
man sich keinen Begriff von dem Haushalte eines Europäers
in Indien. Jede Familie bewohnt für sich allein einen Pa-
last, wofür den Monat zweihundert Rupien *) und
auch noch mehr gezahlt wird. Außerdem beschäftigt sie
25 bis 30 Dienstleute, und zwar: zwei Köche, einen
Schüffelwascher, zwei Wafferträger, vier Tischbediente,
vier Zimmeraufräumer, einen Lampenputzer, ein halb
Dutzend Seis (Stallknechte). Man hält wenigstens sechs
Pferde (jedes Pferd muß einen eigenen Wärter haben), ein
paar Kutscher, zwei Gärtner, für jedes Kind eine Wärte-
rin nebst einem Diener, eine Magd für die Frau, eine
gemeine Magd, um die Wärterinnen zu bedienen, zwei
Hausschneider, zwei Punkazieher und einen Thorwächter.
Der Lohn steigt von 4 bis 11 Rupien den Monat. Die
Leute erhalten keine Kost, und nur wenige schlafen im
Hause. Kost und Wohnung ist im Lohne mit gerechnet;
die meisten sind verheirathet und gehen zum Effen und
Schlafen täglich nach Hause. – An Kleidung gibt man
ihnen höchstens die Turbane und Leibgürtel, – das
übrige müffen sie sich selbst anschaffen und auch selbst
die Wäsche waschen laffen. Die Wäsche der Herrenleute
wird trotz der großen Dienerschaft nicht im Hause ge-
waschen; man zahlt dafür, und zwar für 100 Stücke drei
*) Eine Rupie gleich 58 kr. C.M.
120
Rupien. Der Wäschewechsel ist außerordentlich: alles
trägt sich weiß, und man wechselt gewöhnlich zweimal des
Tages die ganzen Anzüge.
Die Lebensmittel sind nicht theuer, wohl aber die
Anschaffung von Pferden, Wagen, Möbeln und Klei-
dungsstücken. Die drei letzten Artikel kommen aus Euro-
pa, die Pferde entweder auch aus Europa oder aus Neu-
holland oder aus Java.
Ich habe europäische Häuser besucht, in welchen man
60, auch 70 Diener und 15 bis 20 Pferde hielt.
Nach meiner Meinung sind an diesem kostspieligen
Aufwande mit Dienern die Europäer wohl selbst Schuld.
Sie sahen die Rajas und Reichen des Landes von großen
Schwärmen müßiger Leute umgeben und wollten als Eu-
ropäer darin nicht zurück bleiben. Nach und nach ward
dies zur Sitte, und jetzt würde es sehr schwer sein, eine
andere Einrichtung zu treffen.
Man sagte mir zwar auch, daß diese Einrichtung
nicht anders sein könne, so lange die Hindus in Kasten
getheilt seien. Der Hindu, welcher die Zimmer rein
macht, würde um keinen Preis bei Tische bedienen, die
Kinderwärterin dünkt sich viel zu vornehm, das Waschbecken
des Kleinen mit eigenen Händen zu säubern. Es mag
wohl allerdings viel wahres daran sein; aber jede Fami-
lie kann ja doch nicht 20, 30 und noch mehr Diener hal-
ten?! – Schon in China und Singapore fielen mir die
vielen Diener auf,– hier kann man aber die doppelte und
dreifache Zahl annehmen.
Die Hindus sind, wie bekannt, in vier Kasten ein-
geheilt: Braminen, Katris, Bhises oder Banians und
12]
Soudras. – Sie entspringen alle aus dem Körper des
Gottes Brama, und zwar die erste Kaste aus feinem
Munde, die zweite aus den Schultern, die dritte aus dem
Leibe und den Schenkeln, die vierte aus den Füßen. Aus
der ersten Kaste werden die höchsten Beamten, die Priester
und die Lehrer des Volkes gewählt. Sie allein dürfen
die heiligen Bücher lesen und genießen die höchste Achtung,
ja, wenn sie ein Verbrechen begehen, werden sie viel ge-
ringer bestraft als jene aus andern Kasten. Die zweite
Kafe liefert die niedern Beamten und die Krieger, die
dritte die Handelsleute, Handwerker und Bauern, die
vierte endlich die Diener für die drei ersten Klaffen.
Jedoch dienen die Hindus aus allen Kasten, wenn sie
Armuth dazu zwingt; nur scheiden sie sich im Dienste ge-
nau von einander, da den höheren Kasten nur die rein-
licheren Dienstleistungen erlaubt sind.
Von einer Kaste in eine andere aufgenommen zu
werden oder hinein zu heirathen, ist unmöglich. Wenn
fich ein Hindu vom Vaterlande entfernt oder von einem
Paria eine Nahrung annimmt, so wird er aus seiner Kaste
gestoßen und so lange als unwürdig betrachtet, bis er sich
mit großen Kosten wieder einkauft.
Außer diesen Kasten gibt es noch eine Volksabthei-
lung: die Parias. Diese sind die unglücklichsten Men-
fchen, da sie von allen Kasten so tief verabscheut werden,
daß kein Mensch mit ihnen die geringste Gemeinschaft
macht. Wenn zufällig ein Hindu an einen Paria streift,
fo hält er sich für verunreinigt und muß sich alsogleich
baden. -
Die Parias dürfen keine Tempel besuchen, haben
122
ihre eigenen Wohnplätze u. f. w. Sie sind über alle Be-
griffe arm, wohnen in den erbärmlichsten Hütten, nähren
sich von allem Unrath, ja sogar von gefallenem Vieh; auch
gehen sie beinahe nackt oder höchstens mit einigen Lumpen
bedeckt. Sie sind es auch, welche die schmutzigsten und
härtesten Arbeiten verrichten.
Die vier Kasten zerfallen wieder in eine Menge Ab-
theilungen, von welchen 70 Fleisch genießen dürfen, 18
aber sich deffen gänzlich enthalten müffen. Eigentlich
verbietet die Religion den Hindus das Blutvergießen und
daher auch den Genuß des Fleisches; doch machen jene
70 Secten eine Ausnahme davon, auch werden bei
einigen Religionsfesten Thiere geopfert. Eine Kuh
aber darf durchaus nicht geschlachtet werden. – Die
Hauptnahrung der Hindus besteht in Reis, Früchten,
Fischen und Vegetabilien. Sie leben äußerst mäßig und
halten täglich nur zwei einfache Mahlzeiten, die eine des
Morgens, die andere des Abends. Ihr gewöhnliches
Getränk ist Waffer oder Milch und zeitweise Cocoswein.
Die Hindus sind von mittlerer Größe, schlank und
zart gebaut. Ihre Gesichtsbildung fand ich höchst angenehm
und gutmüthig. Das Gesicht ist oval, die Nase erhaben
und fein gezeichnet, die Lippe nicht wulstig, das Auge
schön und sanft, das Haar glatt und schwarz. Die Haut-
farbe ist verschieden, je nach der Gegend, – sie geht vom
Dunkelbraun bis in das helle Lichtbraun, ja in den höhern
Ständen findet man selbst ziemlich weiße Menschen, beson-
ders unter dem weiblichen Geschlechte.
In Indien sind sehr viele Mohamedaner, in deren
Händen, da sie sehr geschickt und thätig sind, ein großer
123
Theil des Handels und der Gewerbe sich befindet. Auch
verdingen sie sich bei den Europäern gerne als Dienst-
leute.
Die Männer verrichten hier auch jene Arbeiten, die
wir gewöhnt sind vom weiblichen Geschlechte gethan zu
sehen. Sie sticken in weißer Wolle, in farbiger Seide
und Gold, sie machen Damenkopfputz, waschen und glätten,
beffern die Wäsche aus und laffen sich sogar statt der Wär-
terinnen bei kleinen Kindern gebrauchen. – Auch einige
Chinesen leben hier, die meistens das Schusterhandwerk
betreiben.
Calcutta, die Hauptstadt von Bengalen, liegt am
Hugly, der hier so breit und tief ist, daß die größ-
ten Kriegsschiffe und Ostindienfahrer längs der Stadt vor
Anker liegen können. Die Bevölkerung beträgt bei
600,000 Seelen, worunter, ohne das englische Militär,
nur wenig mehr als 2000 Europäer und Amerikaner.
Die Stadt ist in mehrere Theile getheilt: in die Ge-
fchäftsstadt, in die sogenannte schwarze Stadt und in
das europäische Quartier. Die Geschäftsstadt und die
„schwarze Stadt find häßlich, die Straßen enge und
krumm und mit schlechten Häusern und erbärmlichen Hüt-
ten überfüllt, zwischen welchen Magazine, Geschäftslocale
und mitunter auch einzelne Paläste liegen. Schmale,
gemauerte Kanäle durchziehen alle Straßen, da die Hin-
dus sehr viel Waffer gebrauchen, um ihre täglichen häufi-
gen Waschungen vorzunehmen. – In der Geschäftsstadt
und in der schwarzen Stadt ist alles von Menschen der Art
überfüllt, daß, wenn eine Equipage durchfährt, die Diener
124
vom Wagen feigen, vor demselben herlaufen und die
Menschenmaffen anrufen oder auseinander jagen müffen.
Schön ist dagegen das europäische Quartier oder
Viertel, welches auch sehr häufig die „Stadt der Pa-
läften genannt wird, ein Name, der ihm zum Theile
gebührt. Nur heißt hier, wie in Venedig, jedes ein
wenig größere Haus: Palast. Die meisten dieser Paläste
stehen in Gärten, die mit hohen Mauern umgeben sind,
– selten reihen sie sich an einander; daher gibt es wenig
imposante Plätze und Straßen.
An ausgezeichneter Bauart, an Kunst und Reich-
thum kann, außer dem Palaste des Gouverneurs, wohl
keiner mit den großen Palästen von Rom, Florenz und
Venedig in die Schranken treten. Die meisten unter-
fcheiden sich blos durch einen hübschen Porticus, der auf
gemauerten Säulen ruht, und durch terraffenförmige
Dächer von gewöhnlichen Häusern.
Im Innern sind die Zimmer sehr groß und hoch,
die Treppen von graulichtem Marmor oder wohl auch von
Holz, das Stiegenhaus ist einfach. Von schönen Statuen
oder Sculpturen in oder außer den Palästen ist nichts zu
fehen. -
Der Palast des Gouverneurs erscheint, wie gesagt,
von außen als ein herrliches Gebäude, das der größten
Weltstadt zur Zierde gereichen würde. Er ist in Form
eines Hufeisens gebaut, in dessen Mitte sich eine schöne
Kuppel erhebt; – der Porticus, wie auch die beiden
Seitenflügel ruhen auf vielen Säulen. Die innere Ein-
richtung ist fo ungeschickt als möglich. So muß man
3. B. von dem Tanz- in den Speisesaal eine Treppe höher
125
steigen. In diesen beiden Sälen stehen auf den Seiten
zwei Reihen von Säulen. Der Fußboden des letzteren
ist mit Agra-Marmor getäfelt. Die Säulen und
die Wände sind mit feinem, weißem Cement überkleidet,
welcher an Glanz dem Marmor gleicht. Die Wohnzim-
mer lohnen nicht die Mühe, sie zu besehen; höchstens
bieten sie Gelegenheit, den Eintheilungssinn des Bau-
meisters zu bewundern, der in dem großen Raume so
wenig als möglich geschaffen hat.
Weitere sehenswerthe Bauten find: die Townhall,
das Hofpital, das Museum, Ochterlony"s Monument,
das Münzgebäude, die englische Cathedrale u. f. w.
Die Townhall ist groß und schön; die Halle geht
durch ein Stockwerk. Es stehen hier einige Monumente
von weißem Marmor, die dem Andenken ausgezeichneter
Männer neuerer Zeit gewidmet sind. In dieser Halle
haben Zusammenkünfte aller Art statt, hier werden alle
großen Geschäfte und Unternehmungen besprochen, Kon-
zerte, Bälle und Festmahle abgehalten.
Das Hofpital besteht aus mehreren kleinen von
Wiesenplätzen eingeschloffenen Häusern. Das Ganze ist mit
einer Mauer umgeben. „Die Kranken sind der Art abgetheilt,
daß die Männer in einem, die Weiber und Kinder in
einem zweiten, und die Narren in einem dritten Häus-
chen wohnen. Die Säle fand ich groß, luftig und sehr
rein gehalten. In dies Spital kommen nur Christen.
Das Hofpital für die Eingeborenen ist in
derselben Art, nur bedeutend kleiner. Die Kranken wer-
den unentgeldlich aufgenommen, und vielen werden auch
außerhalb der Anstalt Arzneien gespendet.
126
Das Mufe um, erst im Jahre 1836 gegründet,
ist für diese kurze Zeit ziemlich reichhaltig, besonders an
vierfüßigen Thieren und Skeletten; nur der Insekten gibt
es wenige, und von diesen sind die meisten beschädigt.
In einem der Säle steht ein aus Elfenbein fleißig und
schön gearbeitetes Modell des berühmten Tatsch in Agra;
mehrere Skulpturen und Reliefs liegen umher. Die Fi-
guren daran schienen mir sehr plump, die Architektur ist
ungleich beffer. – Das Museum ist täglich offen. – Ich
ging mehrmals hin und fand zu meinem Erstaunen jeder-
zeit mehrere Eingeborne, die alles recht emsig und genau
betrachteten.
Ochterlony"s Monument ist eine einfache,
gemauerte Säule von 165 Fuß Höhe, die, wie ein Aus-
rufungszeichen, mitten auf einem leeren, großen Wiesen-
platze steht. Sie ist dem Angedenken des Generals Ochter-
lony errichtet, der sich als Staatsmann und Krieger
gleich rühmlich ausgezeichnet hat. Wer die Mühe des
Ersteigens von 222 Stufen nicht scheut, wird durch eine
weite Uebersicht über Stadt, Fluß und Umgebung erfreut;
letztere ist jedoch sehr einförmig, da sie aus einer end-
losen Ebene besteht, die nur vom Horizonte begrenzt
wird.
Unweit der Säule steht eine gar niedliche Moschee,
deren zahllose Thürmchen und Kuppeln mit metallenen,
vergoldeten Kugeln geziert sind, die in der Sonne glänzen
und flimmern wie die Sterne am Firmamente. – Ein
netter Vorhof umgibt die Moschee. Wer sie betreten will,
muß sich schon am Eingange des Hofes der Schuhe ent-
ledigen. Ich unterzog mich diesem Gesetze, fand aber
127
meine Unterwürfigkeit nicht belohnt, denn ich sah nichts
als einen kleinen, leeren Saal, defen Decke auf einigen
gemauerten Säulen ruhte. An der Decke und an den
Wänden hingen Glaslampen, und der Boden war mit
grauem Agra-Marmor getäfelt. Dieser Marmor ist in
Calcutta sehr gewöhnlich, da er von Agra auf dem Gan-
ges dahin gebracht wird. -
Das Münzgebäude präsentiert sich sehr schön.
Es ist im reinen griechischen Style gebaut, doch mit der
Ausnahme, daß es nicht von allen vier Seiten von Säu-
len umgeben ist. – Die innere Einrichtung an Maschine-
rieen soll ganz vorzüglich fein und selbst Europa der
Art nichts ähnliches aufzuweisen haben. Ich kann darüber
nicht urtheilen und bemerke nur, daß alles, was ich sah,
mir höchst sinnreich und vollkommen vorkam. Das Me-
tall wird durch Hitze erweicht, durch Walzen in Platten
verwandelt, die Platten werden in Streifen geschnitten
und geprägt. Die Säle, in welchen dies alles vor sich geht,
sind groß, hoch und luftig. Der Betrieb geschieht meistens
mit Dampfmaschinen.
Unter den christlichen Kirchen zeichnet sich vor allen
die englische Kathedrale aus. Ihre Bauart ist gothisch,
und der schöne Hauptthurm überragt ein halbes Dutzend
kleinerer Thürmchen. – Außer dieser Kirche gibt es noch
einige andere, ebenfalls mit gothischen Thürmen versehene
Im Innern sind die Kirchen alle sehr einfach, mit Aus-
nahme der armenischen, in welcher die Wand des Altares
mit goldberahmten Bildern überfüllt ist.
Das berüchtigte „schwarze Loch, in welches der
Raja Suraja Dowla im Jahre 1756, als er Calcutta
T128
eroberte, 150 der vornehmsten Gefangenen werfen und
da verhungern ließ, ist jetzt in ein Magazin verwandelt.
Am Eingange steht ein 50 Fuß hoher Obelisk, auf wel-
chem die Namen der Unglücklichen verzeichnet sind.
Der botanische Garten liegt fünf englische Meilen
von der Stadt entfernt. Er wurde im Jahre 1743 unter
Lord Kyd's Anleitung angelegt; gleicht aber mehr einem
natürlichen Parke, da er nur wenig Blumen und Pflan-
zen, aber desto mehr Bäume und Strauchgewächse enthält,
die in gefälliger Unordnung auf großen Wiesenplätzen ver-
theilt stehen. Ein niedliches Monument mit der mar-
mornen Büste des Gründers, verewigt deffen Andenken.
Das sehenswerthefte in diesem Garten sind zwei Bananen-
Bäume. Sie gehören zum Geschlechte der Feigenbäume,
und erreichen mitunter eine Höhe von 40 Fuß. Die
Früchte find ganz klein, rund und von dunkelrother
Farbe; sie werden gebrannt und liefern Oel. Wenn der
Stamm ungefähr eine Höhe von funfzehn Fuß erreicht hat,
breiten sich viele seiner Aefte in horizontaler Richtung
nach allen Seiten aus, und an ihren untern Theilen
fproffen fadenähnliche Wurzeln oder Geflechte hervor, die
sich senkrecht zur Erde neigen und bald fest in dem Boden
wurzeln. Wenn sie stark geworden sind treiben sie wie
der Hauptstamm dieselben Zweige. Und so geht es immer
fort; es ist daher leicht zu begreifen, daß ein einziger
Urstamm am Ende einen ganzen Hain bildet, in wel-
chem Tausende von Menschen kühlenden Schatten fin-
den. Den Hindus ist dieser Baum heilig. Sie setzen
dem Gotte Rama Altäre darunter, und der Bramine ver-
sammelt hier feine Schüler zum Unterrichte.
129
Der älteste dieser beiden Bäume beschreibt bereits
mit feiner Familie einen Umkreis von mehr denn 600 Fuß;
der Hauptstamm mißt bei 50 Fuß im Umfange.
An den botanischen Garten schließt sich das Bi-
fchofs-Collegium an, in welchem die Eingebornen
zu Miffionären gebildet werden. Nach dem Palaste des Gou-
verneurs ist dies das schönste Gebäude in Calcutta. Es
besteht aus zwei Mittel- und drei Flügel-Gebäuden in
gothischer Bauart. Eine überaus niedliche Kapelle nimmt
eines der Mittelgebäude ein. Die Bibliothek, in einem
imposanten Saale aufgestellt, ist sehr reich an den besten
Autoren; sie steht der wißbegierigen Jugend zu Gebote,
deren Fleiß aber der großartigen Einrichtung nicht zu ent-
sprechen scheint, denn als ich einen Folianten aus einem
der Büchergestelle nahm, ließ ich ihn augenblicklich aus
den Händen fallen und floh an das andere Ende des
Saales – ein Schwarm von Bienen stürzte aus dem
Büchergestelle auf mich ein.
Speisesäle, Wohnzimmer u. f. w. find so reich und
bequem eingerichtet, daß man meinen sollte, diese Anstalt …
fei für die Söhne der reichsten englischen Familien be-
stimmt, die, an Comfort von zartester Jugend gewöhnt,
denselben in alle Welttheile zu verpflanzen hätten, – aber
nicht für „Arbeiter im Weingarten des Herrn.
Ich betrachtete diese kostbare Anstalt mit betrübtem
Herzen, um so mehr, da sie für Eingeborne errichtet war.
Diese müffen hier erst ihre einfache Lebensweise abstreifen
und sich in Ueberfluß und Bequemlichkeit hineinstudieren.
Dann sollen sie hinaus in Wildniffe und Wälder, um unter
Heiden und Barbaren ihr Lehramt zu beginnen.
Pfeiffers Reise II. Th. 9
130
Zu den Sehenswürdigkeiten Calcuttas gehört auch
der Garten des Oberrichters, Herrn Lorenz Peel. Er
ist für den Botaniker und den Laien gleich interessant und
an seltenen Blumen, Pflanzen und Bäumen weit reicher
als der botanische Garten. Der großartig und mit wifen-
fchaftlichem Sinne angelegte Park, die üppigen Rasenplätze,
von Blumen und Pflanzen durchwebt und umsäumt, die
krystallklaren Teiche, die dunklen Laubgänge mit Bos-
ketten und gigantischen Bäumen bilden ein wahrhaftes
Paradies, in dessen Mitte der schöne Palast des benei-
denswerthen Eigenthümers steht.
Diesem Parke gegenüber in dem großen Dorfe Ali-
faughur liegt ein gar bescheidenes Häuschen, aus welchem
viel des Guten hervorgeht. Es wird von einem Einge-
bornen bewohnt, der die Arzneikunst studiert hat, und ent-
hält eine kleine Apotheke. Arzt und Apotheke stehen den
Dorfbewohnern unentgeldlich zu Gebote. Diese schöne
Stiftung rührt von Lady Julia Cameron, Gattin des ge-
fetzgebenden Mitgliedes des Rathes von Indien, Charles
Henry Cameron, her.
Ich hatte das Vergnügen, diese Dame kennen zu
lernen und fand in ihr in jeder Hinsicht eine der ausge-
zeichnetsten ihres Geschlechtes. Wo es sich um gute Werke
handelt, steht sie gewiß an der Spitze. In den Jahren
1846 und 1847 veranstaltete die Sammlungen für die
von der großen Hungersnoth hart heimgesuchten Irlän-
der. Sie schrieb zu diesem Zwecke in die fernsten Pro-
vinzen Indiens, forderte jeden Engländer auf, sein
Schärflein beizutragen und brachte die bedeutende Summe
von 80.000 Rupien zusammen. --
131
Auch im Felde der Wiffenschaften leistet Lady Ca-
meron Schönes. Unseres Bürger „Leonoren fand an ihr
eine würdige Uebersetzerin.
Außerdem ist sie die zärtlichste Gattin und Mutter,
lebt nur ihrer Familie, kümmert sich wenig um die
Außenwelt und wird deshalb von der großen Menge ein
Original genannt. Gäbe es doch nur viele solche Ori-
ginale! –
Ich hatte keinen Brief an diese liebenswürdige Dame;
fie hörte aber zufällig von meinen Reisen und fuchte mich
auf. Ueberhaupt fand ich hier wahre Gastfreundschaft –
ich wurde in den besten Cirkeln mit. Zuvorkommenheit
und Herzlichkeit empfangen, und jedermann bemühte sich,
mir gefällig zu fein. Unwillkürlich gedachte ich des öfter-
reichischen Ministers in Rio de Janeiro, Grafen Reh-
berg, der schon meinte, mich sehr auszuzeichnen, daß er
mich zu einem einfachen Male in seine Villa lud. Diese
Ehre mußte ich entweder mit einem stundenlangen Gange
in der glühenden Sonnenhitze oder mit sechs Milreis
(sechs Gulden 42 kr. C. M.) für den Wagen erkaufen.
In Calcutta ließ man mich stets im Wagen abholen. Noch
viel könnte ich von diesem Herrn Grafen erzählen, defen
Benehmen mir fühlen ließ, wie ungeschickt es von mir
fei, daß ich nicht einer reichen, aristokratischen Fa-
milie entstammte. Anders war der Minister, Herr Ca-
meron, anders der Justizminister, Herr Peel, – diese
ehrten mich meiner felbst willen, ohne sich um meine Ah-
nen zu kümmern.
Bei Herrn Peel war während meiner Anwesenheit
zu Calcutta ein großes Fest zur Feier feines Geburts-
9
132
tages. Auch ich erhielt eine Einladung, die ich des Putzes
wegen nicht annehmen wollte. Man ließ diese Entschul-
digung aber nicht gelten, und so kam ich mit Lady Cameron
im schlichten, farbigen Muffelinkleide in eine Gesellschaft,
in der alle Damen in Atlas und Sammt gekleidet, mit
Spitzen und Schmuck überladen waren. Doch schämte
sich niemand meiner; im Gegentheile, alle sprachen mit
mir und erwiesen mir jede mögliche Ehre.
Eine höchst interessante Spazierfahrt für den Frem-
den ist die am „Strand, auch „Maytown“ genannt.
Diese Straße wird auf einer Seite von den Ufern des
Hugly, auf der andern von schönen Wiesenplätzen begrenzt,
an deren entgegengesetztem Ende die großartige Straße
Chaudrini liegt. In dieser reihen sich Paläste an Pa-
läste; sie wird als der schönste Theil Calcuttas betrachtet.
Außerdem hat man die Ansicht des Palastes des Gouver-
neurs, der Cathedrale, des Ochterlony Monumentes, der
schönen Wafferbehälter auf den Wiesenplätzen, des Fort
William, das ein prachtvolles Fünfeck bildet und bedeu-
tende Außenwerke hat, u. f. w.
Alle Abende vor Sonnenuntergang frömt die schöne
Welt Calcutta's hieher. Der geldstolze Europäer, der
aufgeblasene Baboo (Nabob), der entthronte Raja fahren
in schönen europäischen Wagen*), gefolgt von vielen Die-
nern in orientalischer Tracht, die theils hinter dem Wa-
gen stehen, theils neben demselben laufen. Die Rajas
und Baboos find in Gold gestickte Seidenkleider gehüllt,
*) Der Zudrang war oft so stark, daß fünf Reihen von
Wagen neben einander auf und abfuhren.
133
über welche sie die kostbarsten indischen Shawls werfen.
Auf den Wiesen galoppieren Damen und Herren auf eng-
lichen Rennern, und daneben ziehen. Schaaren von Ein-
gebornen, die unter Lachen und Scherzen von der Arbeit
heimkehren. Auch auf dem Hugly herrscht reges Leben;
die größten Ostindienfahrer liegen vor Anker, werden
ausgeladen oder klar gemacht, und viele Boote fahren
fortwährend hin und her.
Man hatte mir gesagt, daß das Volk hier sehr an
der Elephantiasis leide, und daß man vielen solchen Un-
glücklichen mit schrecklich angeschwollenen Füßen begegne.
Dem ist aber nicht so. Ich sah hier in fünf Wochen
nicht so viele als an einem Tage in Rio de Janeiro.
Einst besuchte ich einen reichen Baboo. Man schätzte
das Vermögen der Familie, die aus drei Brüdern be-
fand, auf 150,000 Pf. Sterl. Der Hausherr empfing
mich an dem Thore und geleitete mich in das Empfangs-
zimmer. Er war in ein großes Stück weißen Muffelins ge-
hüllt, worüber er einen prächtigen indischen Shawl ge-
worfen hatte, der dem durchsichtigen Muffelin zu Hülfe
kam und den Körper von den Hüften bis an die Füße an-
ständig deckte. Einen Theil des Shawls hatte er recht
malerisch über eine der Schultern drapiert.
Der Empfangsaal war nach europäischer Weise ein-
gerichtet. Eine große Spielorgel stand in einer der
Ecken, in einer andern ein großer Bücherschrank mit den
Werken der vorzüglichsten englischen Dichter und Philo-
sophen. Es schien mir jedoch, daß all diese Bücher mehr
zur Schau als zum Gebrauche dienten, denn bei Byron's
Werken war ein Theil nach oben, der andere nach unten
134
gekehrt, und Young's Nachtgedanken facken dazwischen.
Einige Kupferstiche und Gemälde, die nach des guten
Baboo Meinung, die Wände zieren sollten, waren weni-
ger werth als die sie umgebenden Rahmen.
Der reiche Mann ließ seine beiden Söhne kommen
– hübsche Jungen von sieben und vier Jahren, die er
mir vorstellte. Ich frug, obwohl der Sitte ganz entge-
gen, nach feiner Frau und feinen Töchtern. Unser armes
Geschlecht steht in der Meinung der Hindus so tief, daß
eine Frage nach ihm schon einer halben Beleidigung
gleicht. Er nahm es jedoch mit mir Europäerin nicht so
frenge und ließ sogleich eine Mädchen kommen. Das
jüngste, ein allerliebstes Kindchen von sechs Monaten,
war ziemlich weiß und hatte große, schöne Augen, deren
Feuer durch die schwarzblauen, feinen Ränder, die um
jene gemalt waren, sehr gesteigert wurde. Die älteste
Tochter (9 Jahre alt) hatte ein etwas gemeines, plumpes
Gesicht. Der Vater *) stellte sie mir als Braut vor
und lud mich zur Hochzeit ein, die in sechs Wochen statt
haben sollte. Ich war über diese zeitliche Heirath so
fehr erstaunt, daß ich fagte, er werde wohl Verlobung
und nicht Hochzeit meinen; er versicherte mir aber,
daß das Mädchen dem Manne vermählt und ihm über-
geben werde.
Als ich frug, ob das Mädchen den Bräutigam auch
liebe, erfuhr ich, daß beide sich zum ersten Male bei der
Hochzeit zu sehen bekämen. Der Baboo erzählte mir
weiter, daß sich bei seinem Volke jeder Vater so zeitlich
*) Der Mann sprach ziemlich verständlich die englische Sprache.
135
als möglich um einen Schwiegersohn umsehe, da jedes
Mädchen heirathen müffe, und zwar je jünger desto ehren-
voller, – eine unverheirathete Tochter wäre des Vaters
Schande, und man würde ihn für lieblos halten. Hat er
einen Schwiegersohn gefunden, so beschreibt er feiner
Frau defen geistige und körperliche Beschaffenheit, die
Vermögensumstände u. f. w. Sie muß sich mit dieser
Beschreibung begnügen, denn sie bekömmt ihren Schwie-
gersohn weder als Bräutigam noch als Gemahl ihrer
Tochter zu sehen. Er wird nie als zur Familie der
Braut gehörend betrachtet, sondern die junge Frau geht
in jene des Mannes über. Die männlichen Verwandten
ihres Gemahls zu sehen und mit ihnen zu sprechen, ist ihr
nicht verwehrt, eben so darf sie vor der männlichen Die-
nerschaft im Hause unverschleiert erscheinen; will sie aber
ihre Mutter besuchen, so muß sie sich in einem fest ver-
schloffenen Palankine dahin tragen laffen.
Ich sah auch des Baboo Frau und eine feiner
Schwägerinnen. Erstere war 25 Jahre alt und fehr wohl
beleibt, letztere zählte 15 Jahre und hatte eine schlanke,
liebliche Gestalt. Die Ursache hievon ward mir alsbald
erklärt. Die Mädchen, obwohl so jung verheirathet, wer-
den selten vor dem 14ten Jahre Mütter und bis dahin be-
halten sie gewöhnlich ihre schlanke Gestalt. Nach der
ersten Geburt bringen sie sechs oder acht Wochen in ihrem
Zimmer wie eingeschloffen zu, machen keine Bewegung
und effen reichlich von den leckersten Speisen und Nasch-
werken. Diese Mästung schlägt gewöhnlich gut an. Man
muß wissen, daß die Hindus wie die Mohamedaner
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nur Geschmack an korpulenten Damen finden. – Unter
dem gemeinen Volke sah ich keine derartige Schönheit.
Die beiden Frauen waren eben nicht sehr decent ge-
kleidet. Große Stücke Muffelin von blauer und weißer
Farbe, mit Gold gestickt und mit handbreiten Goldtreffen
besetzt, hüllten den Körper sammt dem Kopfe ein. Allein
dies zarte Gewebe *) war zu ätherisch und man konnte
alle Umriffe des Körpers darunter sehen. Auch fiel der
Muffelin, wenn sie einen Arm bewegten, so weit auseinan-
der, daß nicht nur der Arm, sondern auch ein Theil der
Brust und des Körpers entblößt wurde. Mehr Sorge
trugen sie für die Bedeckung des Haares; ihr erstes Be-
streben war, stets den Muffelin wieder über den Kopf zu
ziehen. So lange die Mädchen sind, dürfen sie ohne Kopf-
bedeckung gehen.
Sie waren mit Gold, Perlen und Edelsteinen
so reich überladen, daß sie wahrlich wie Lastthiere zu
tragen hatten. Große Perlen, gemischt mit durchbohrten
Edelsteinen, deckten Hals und Brust, dazwischen hingen
schwere Goldketten und eingefaßte Goldmünzen. Die Oh-
ren, ganz durchstochen, (ich zählte an einer Ohrkante und
dem Ohrläppchen 12 Löcher) waren von ähnlichem
Schmucke so sehr bedeckt, daß man sie selbst gar nicht
herausfinden konnte, – man sah nur Gold, Perlen und
Edelsteine. An jedem Arme waren acht bis zehn kostbare,
schwere Armbänder angebracht, darunter das Hauptstück
vier Zoll breit, von massivem Golde mit 6 Reihen kleiner
*) Der feinste und kostbarste Muffelin wird in der Provinz
Dacca erzeugt; die Elle kostet 2 auch 2%, Rupien.
137
Brillanten. Man gab es mir in die Hand – es wog
gewiß ein halbes Pfund. Um die Lenden hatten sie schwere
Goldketten dreimal geschlungen. Auch die Knöchel der
Füße waren mit Goldspangen und Ketten umfaßt, die
Füße selbst mit Henne rothbraun gefärbt.
Die Frauen brachten ihre Schmuckkästchen herbei und
zeigten mir noch viel andere Kostbarkeiten. Der Hindu
muß in Schmuck, in Gold- und Silbergesticktem Daccaer
Muffelin viel verschwenden, da jede reiche Frau die andere
darin überbieten will.
Die beiden Frauen waren im höchsten Staate; sie
hatten meinen Besuch erwartet und wollten sich mir in
voller indischer Pracht zeigen.
Der Baboo führte mich auch in die innern Gemächer,
deren Fenster nach dem Hofe zu lagen. Einige Zimmer
waren nur mit Teppichen und Polstern belegt, da der
Hindu im allgemeinen Stühle und Betten nicht liebt; in
andern standen einige europäische Möbel, als: Tische,
Stühle, Schränke, sogar Bettstellen. Mit besonderer
Freude wurde mir ein Gläserkasten gezeigt, der Puppen,
Wagen, Pferdchen und anderes Spielwerk enthielt, an
welchem sich die Kinder und Frauen gar sehr erlustigten;
letztere jedoch spielen noch leidenschaftlicher mit Karten.
In die Zimmer, deren Fenster nach der Straße
gehen, darf keine Frau treten, denn sie könnte aus den
gegenüberliegenden Fenstern von einem Manne erblickt
werden. Die jugendliche Braut benützte noch ihre Frei-
heit: sie hüpfte fchnell vor uns hinein ans offne Fenster,
um einen Blick auf die belebten Straßen zu werfen.
Die Weiber der reichen Hindus oder der höhern
T138
Kasten sind eben so sehr an ihre Wohnungen gefeffelt wie
die Chinesinnen. Das einzige Vergnügen, das der strenge
Gemahl seiner Gattin von Zeit zu Zeit erlaubt, ist, daß
sie sich in einem dicht verschloffenen Palankin zu einer
Freundin oder Verwandten begeben darf. Nur während
der kurzen Mädchenzeit haben sie ein wenig mehr Freiheit.
Ein Hindu kann mehrere Frauen nehmen ; doch
sollen davon nur wenige Beispiele vorkommen.
Die Verwandten des Mannes wohnen wo möglich
in demselben Hause; jede Familie führt jedoch ihren
eigenen Haushalt. Die größeren Knaben dürfen mit den
Vätern speisen; den Weibern, Töchtern und kleineren
Kindern ist es verboten, bei der Mahlzeit der Männer
gegenwärtig zu sein.
Beide Geschlechter lieben das Tabakrauchen sehr.
Das Gefäß, woraus sie rauchen, ist eine Wafferpfeife und
heißt Huka.
Zu Ende des Besuches wartete man mir mit vielen
Süßigkeiten, Früchten, Rosinen u. dgl. auf. Die Sü-
ßigkeiten bestanden meist aus Zucker, Mandeln und Fett,
schmeckten aber nicht sehr gut, da das Fett zu sehr die
Oberhand hatte.
Bevor ich das Haus verließ, besah ich noch im un-
tern Geschoffe den Saal, in welchem jährlich einmal der
häusliche Gottesdienst, Natsch genannt, abgehalten wird.
Dieses Fest, das größte der Hindus, fällt zu Anfang des
Monats Oktober und währt 14 Tage. Während dieser
Zeit verrichtet der reichte wie der ärmste kein Geschäft,
keine Arbeit. Der Herr schließt seine Buden und Maga-
zine, der Diener schafft Stellvertreter, die er gewöhnlich
139
unter den Mohamedanern findet, und Herr und Diener
bringen ihre Zeit, wenn auch nicht immer mit Faften
und Beten, so doch gewiß mit Nichtsthun dahin.
Der Baboo erzählte mir, daß zu diesem Feste fein
Saal reich ausgeschmückt und die zehnarmige Göttin Durga
darin aufgestellt werde. Sie ist aus Thon oder Holz ge-
formt, mit den grellsten Farben bemalt, mit Gold oder
Silberflitter, mit Blumen und Bändern, ja oft gar mit
ächtem Schmucke überladen. Im Saale, im Hofe, an
der Außenseite des Hauses flimmern zwischen Vasen und
Blumenguirlanden Hunderte von Lichtern und Lampen.
Viele Thiere werden als Opfer dargebracht, jedoch nicht
im Angesichte der Göttin, sondern in irgend einem Winkel
des Hauses getödtet. Priester warten der Göttin auf, und
Tänzerinnen entfalten vor ihr unter schallender Musik
(Tam-tam) ihre Kunst. Priester und Tänzerinnen wer-
den sehr hoch bezahlt. Der letzteren gibt es, wie in
Europa Elsler's und Taglionis, die gleich diesen große
Summen verdienen. Zur Zeit meiner Anwesenheit be-
fand sich hier eine persische Tänzerin, die keinen Abend
für weniger als 500 Rupien auftrat. – Schwärme von
Besuchern, worunter auch viele Europäer, wandern von
Tempel zu Tempel. Die vornehmeren Gäste werden mit
Süßigkeiten und Früchten bedient.
Am letzten Tage des Festes wird die Göttin unter
Musik im größtem Pompe nach dem Hugly getragen, auf
ein Boot gesetzt, in die Mitte des Stromes gefahren und
unter Jubel und Geschrei des am Ufer stehenden entzück-
ten Volkes in den Fluß gestürzt. In früheren Zeiten
wurde der ächte Schmuck mit der Göttin den Fluthen
40
übergeben, jedoch Nachts von den Priestern wieder sorg-
fältig herausgesucht; jetzt ersetzt man am letzten Tage des
Festes den echten Schmuck durch einen falschen, oder der,
Festgeber bringt ihn während der Ueberfahrt bei Seite.
Er muß dies aber mit vieler Vorsicht thun, um von dem
Volke nicht bemerkt zu werden.
Ein solcher Natsch kömmt oft auf viele tausend
Rupien zu stehen und ist eine der bedeutendsten Ausgaben
der Reichen und Vornehmen.
Die Hochzeiten sollen ebenfalls große Summen
kosten. Die Braminen (Priester) machen Beobachtungen
in den Sternen, nach welchen sie den glücklichsten Tag,
ja sogar die Stunde berechnen, in welcher die Feier abge-
halten werden soll. Gewöhnlich wird die Hochzeit noch
im letzten Augenblicke um einige Stunden verschoben, da
der Priester abermals gerechnet und eine noch glücklichere
Stunde herausgefunden hat. Natürlich muß eine solche
Entdeckung neuerdings mit Gold aufgewogen werden.
Feste zu Ehren der vierarmigen Göttin Kally finden
mehrmals im Jahre statt, und zwar besonders in dem
Dorfe Kallighat, nahe bei Calcutta.
Während meiner Anwesenheit gab es zwei solcher
Feste. Da sah man beinahe vor jeder Hütte eine Menge
kleiner Götzenbilder, die aus Thon geformt, bunt bemalt
waren und die schrecklichsten Gestalten vorstellten. Sie
waren zum Verkaufe bestimmt. – Die Göttin Kally, in
Lebensgröße, streckte die Zunge so weit als möglich aus
dem weit geöffneten Rachen; sie stand entweder vor oder
in den Hütten und war mit Blumenkränzen reich be-
hangen. -
141
Der Kalytempel ist ein erbärmliches Gebäude oder
beffer gesagt: ein finsteres Loch, auf defen kuppelartigem
Dächlein einige Thürmchen angebracht sind. Die hier
befindliche Statue zeichnete sich besonders durch einen un-
geheuren Kopf und eine fürchterlich lange Zunge aus.
Ihr Gesicht war hochroth, gelb und himmelblau ange-
strichen. – Ich durfte dies. Götterloch nicht betreten,
weil ich zum Frauengeschlechte gehörte, welches nicht für
würdig geachtet wird, ein so großes Heiligthum wie
Kally's Tempel zu besuchen. Ich sah mit den Weibern
der Hindus bei der Thüre hinein, womit ich mich voll-
kommen begnügte. -
Schauerliche und ergreifende Bilder gewähren di
Sterbehäuser und Verbrennungsorte der Hindus. Jene,
welche ich fah, liegen an dem Ufer des Hugly, nahe der
Stadt, – ihnen gegenüber ist der Holzmarkt. Das
Sterbehaus war klein und enthielt blos ein Gemach mit
vier nackten Bettstellen. Die Sterbenden werden von
ihren Verwandten hieher gebracht und entweder auf eine
der Bettstellen, oder wenn diese besetzt sind, auf den Bo-
den, ja im Nothfalle selbst vor das Häuschen in die
glühende Sonnenhitze gelegt. Ich fand fünf Sterbende
in dem Häuschen und zwei außer demselben. Letztere
waren ganz in Stroh- und Wolldecken gehüllt und ich
dachte sie seien schon todt; als ich mich aber darnach er-
kundigte, schlug man die Decken auf, und ich sah die
Armen sich noch bewegen. Ich glaube, daß sie unter den
Decken halb ersticken müffen. Im Häuschen lag ein stein-
altes Mütterchen auf dem Boden, das schwer der letzten
Stunde entgegen röchelte. Die vier Bettstellen waren
ebenfalls besetzt. – Ich bemerkte nicht, daß Mund und
Nafe der Sterbenden mit Gangeschlamm angestopft wa-
ren; dies mag vielleicht in andern Gegenden Sitte fein.
Die Verwandten saßen um die Sterbenden herum und
erwarteten still und ruhig deren letzte Athenzüge. Auf
meine Frage, ob ihnen nichts gereicht werde, antwortete
man mir, daß man ihnen, wenn sie nicht gleich sterben,
von Zeit zu Zeit einen Schluck Gangeswaffer gebe, aber
immer weniger und in größeren Zwischenräumen, da fie,
einmal hieher gebracht, schlechterdings sterben müßten.
Nach dem Tode, oft wenn sie kaum erkaltet sind,
trägt man sie nach dem Verbrennungsorte, der von der
Fahrstraße durch eine Mauer geschieden ist.
Dort fah ich einen Todten und einen Sterbenden
liegen, und auf sechs Scheiterhaufen sechs Leichen, die
von hochauflodernden Flammen verzehrt wurden. Vögel,
größer als Truthühner, hier Philosophen*) genannt, kleine
Geier und Raben faßen in großer Menge um die Schei-
terhaufen herum, auf nahen Dächern und Bäumen und
harrten begierig der halbverbrannten Leichen. Mich
fchauerte, – ich eilte fort und konnte lange nicht den Ein-
druck dieses Bildes aus meinem Gedächtniffe bringen.
Bei Reichen kosten diese Verbrennungen oft über
1000 Rupien, da die theuersten Holzgattungen als San-
del-, Rosenholz u. a. dazu verwendet werden. Außer-
dem hat man zu den Ceremonien einen Braminen, Kla-
geweiber und Musik nöthig.
Die Gebeine werden nach der Verbrennung gesam-
*) Hurgila, eine Art Storch, frißt Leichen und ist an Indiens
Flüffen häufig zu sehen.
143
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melt, in eine Vase gelegt und entweder vergraben oder
in den Ganges oder sonst einem heiligen Fluß gesenkt.–
Der nächste Verwandte muß den Scheiterhaufen anzünden.
Bei armen Leuten fällt natürlich dies alles weg.
Sie verbrennen ihre Todten ganz einfach auf Holz oder
Kuhdung, und sind sie so arm, daß sie kein Brennmate-
rial kaufen können, so befestigen sie an der Leiche einen
Stein und werfen sie in den Fluß.
Ich will hier eine kleine Anekdote beifügen, die ich
aus dem Munde eines sehr glaubwürdigen Mannes ver-
nahm. Sie mag als Beweis dienen, zu welchen Grausam-
keiten oft irrige Religionsbegriffe führen.
Herr N. befand sich einst auf einer Reise unfern des
Ganges und hatte nebst einigen Dienern einen Hund bei
fich. Plötzlich war dieser verschwunden und kein Rufen
konnte ihn herbei locken. Man fand ihn endlich am Ufer
des Ganges an der Seite eines menschlichen Körpers, den
er beständig leckte. Herr N. ging hinzu und fand einen
zum Sterben ausgesetzten Mann, in welchem noch einige
Lebensspur glomm. Er rief seine Leute herbei, ließ dem
Armen den Schlamm und Schmutz vom Gesichte waschen,
ihn in eine wollene Decke schlagen und pflegen. Nach
wenig Tagen war er vollkommen hergestellt. Als ihn
nun aber Herr N. entlaffen wollte, bat der Mann flehent-
lich, dies nicht zu thun, da er seine Kaste verloren habe,
von keinem seiner Verwandten mehr anerkannt würde, mit
einem Worte, aus dem Leben gestrichen sei. – Herr N.
behielt ihn in seinen Diensten und der Mann befindet sich
noch in bester Gesundheit, obwohl sich diese Geschichte
schon vor mehreren Jahren zugetragen hat.
Die Hindus selbst bekennen, daß durch die Art und
14.1
Weise, wie sie mit den Sterbenden verfahren, mancher
Mord stattfindet; allein ihre Religion sagt, wenn der
Arzt erklärt habe, daß keine Hülfe mehr sei, so müffe der
Kranke sterben.
Von den Sitten und Gebräuchen der Hindus lernte
ich in Calcutta, außer den bereits beschriebenen, keine
weiteren kennen; wohl aber fah ich einiges von den ma-
homedanischen Hochzeiten. Am Tage der Hochzeit wird
das schön geschmückte Brautbett unter Sang und Klang
nach der Wohnung des Bräutigams geschafft. Spät des
Abends kömmt die Braut in einem festverschloffenen Pa-
lankine unter Musik und Fackelschein und großer Beglei-
tung ebenfalls dahin. Viele der Verwandten tragen ganze
Pyramiden von Lichtern, und auch das wunderschöne,
hellblaue Feuer, bei uns unter dem Namen des „Benga-
lischen bekannt, darf dabei nicht fehlen. -
Bei der Ankunft am Hause des Bräutigams wird nur
dem Brautpaar der Eintritt gestattet; die Begleitung
bleibt vor dem Hause und musiziert, schreit und fingt oft
bis zum hellen Morgen.
Häufig hörte ich die Europäer sagen, daß sie den
Zug mit dem Brautbette höchst unanständig fänden.
Aber wie das Sprichwort sagt: „Der Mensch sieht den
Splitter im Auge des Nächsten, während er den Balken
im eigenen nicht gewahrt,“ – so fand ich gerade, daß
die Ehen unter den hier lebenden Europäern auf weit un-
anständigere Weise geschloffen werden. Bei den Englän-
dern darf am Tage der Vermählung, die gegen Abend
statt hat, der Bräutigam die Braut erst am Altare
fehen, – ein Verstoß dagegen wäre fürchterlich. – Im
145
Falle daß sich das Brautpaar noch etwas zu sagen hätte,
muß es zur Feder seine Zuflucht nehmen. Kaum aber ist
der priesterliche Segen ausgesprochen, so werden die Neu-
vermählten in einen Wagen gepackt und auf acht Tage in
irgend einen Gasthof in der Nähe der Stadt geschickt.
Hierzu sind gewöhnlich entweder der Gasthof zu Barrakpore
oder einige Häuser zu Gardenrich ausersehen. Im Falle
daß alle Plätze vergeben wären, was sich nicht selten
ereignet, da beinahe alle Hochzeiten in den Monaten No-
vember und December geschloffen werden, miethet man
Boote mit einem oder zwei Cabinchen, und die jungen
Eheleute sind verurtheilt, die ersten acht Tage ganz abge-
sperrt von den Ihrigen zu verbringen. Selbst den Aeltern
ist der Zutritt zu ihren Kindern untersagt.
Ich glaube, daß das Zartgefühl eines Mädchens
unter diesen groben Sitten unendlich leiden muß. Wie
mag das arme Geschöpferröthen, wenn es die Orte be-
tritt, die zu diesen Einsperrungen bestimmt sind, und
wie mag jeder Blick, jede lächelnde Miene der Wirths-
leute, Aufwärter oder Bootführer es verwunden. -
Die guten Deutschen, die leider alles schön finden,
was nicht von ihnen ausgeht, ahmen diese Sitte höchst
gewiffenhaft nach.
Pfeiffers Reise 11. Th. 10
LBS nanres.
Abreise von Calcutta. Einfahrt in den Ganges. Rajmahal. Gur. Junghera.
Monghyr. Patna. Deinapoor. Gasipoor. Benares. Religion der
Hindus. Beschreibung der Stadt. Paläste und Tempel. Die heiligen
Stellen. Die heil. Affen. Die Ruinen von Sarnath. Eine Indigo-
Pflanzung. Besuch bei dem Raja von Benares. Märtyrer und Fakire.
Der indische Bauer. Die Missions-Anstalt.
DAm 10. December, nach einem Aufenthalte von
mehr denn fünf Wochen, verließ ich Calcutta, um nach
Benares zu gehen. Die Reise dahin kann man entweder
zu Land, oder zu Waffer auf dem Ganges machen. Zu
Land beträgt die Entfernung 470 engl. Meilen, zu Waffer
in der Regenzeit 685, in der trockenen Jahreszeit aber
400 Meilen mehr, da man ungeheure Umwege machen
muß, um vom Hugly durch die Sunderbunds in den
Hauptstrom zu gelangen.
Die Reise zu Land macht man in Postpalankinen,
von Menschen getragen, die gleich den Pferden alle vier
bis sechs Meilen abgelöst werden. Man reist Tag und
Nacht, und auf jeder Station find die Menschen schon
147
bereit, da ein Lauf- oder Meldzettel den Reisenden ein
bis zwei Tage in vorhinein ankündiget. Bei Nacht gesellt
sich noch ein Fackelträger zum Zuge, um durch die Helle
der Flamme die wilden Thiere zu verscheuchen. Die Reise-
spesen betragen für eine Person ungefähr 200 Rupien.
Für das Gepäck wird besonders bezahlt.
Die Reise zu Waffer kann man in Dampfbooten
machen, deren beinah jede Woche eines bis Allahabad
(115 Meilen über Benares) geht. Die Fahrt währt
vierzehn bis zwanzig Tage; man kann nämlich, der vielen
Sandbänke halber, nur bei Tage weiter kommen, und hat
deffen ohngeachtet häufig das Unglück aufzufahren, be-
sonders bei niederem Wafferstande. Die Preise bis
Benares betragen für den ersten Platz 257 Rup., für
den zweiten 216 Rup. Die Kost ohne Getränke wird
mit drei Rup. täglich vergütet.
Da ich von des Ganges schönen Ufern, von den be-
deutenden Städten an demselben so viel gehört hatte,
wählte ich die Wafferfahrt.
Am 8. Dec. sollte, der Ankündigung gemäß, das
Dampfboot „General Macleod, 140 Pferdekraft, unter
Kapitän Kellar abgehen. An Bord angelangt erhielt
ich die erfreuliche Nachricht einer vierundzwanzigstündigen
Verzögerung, die dann noch um vierundzwanzig Stunden
verlängert wurde, so daß wir erst am 10ten um eilf Uhr
Morgens fortkamen. Die Reise ging den Strom abwärts
in die See bis Katscherie. Am folgenden Tage lenkten wir
bei Mudpointe in die Sunderbunds ein, in welchen Ge-
wäffern wir uns bis Culna umhertrieben. Von da
10
148
benutzten wir den Gurie, einen bedeutenden Nebenfluß
des Ganges, der unterhalb Rumpurbolea in den Haupt-
from mündet. Die ersten Tage der Reise waren höchst
einförmig: man sah weder Städte noch Dörfer, die Ufer
blieben ewig flach, und die Gegend war weit und breit
mit hohem, dichtem Gebüsch überdeckt, das die Eng-
länder Jungles (Dschungels) das ist: „Urwald nennen.
Ich konnte da keinen Urwald sehen, denn ich verstehe
unter dieser Benennung einen Wald von mächtigen
Väumen. Des Nachts hörten wir mitunter einige Tiger
brüllen, die in diesen Gegenden ziemlich heimisch sind
und sich manchmal sogar über einzelne Eingeborne wagen,
wenn sich selbe Abends mit Holzauflesen verspäten. Man
wies uns an einem Gesträuche den aufgesteckten Lappen
eines Kleides, der zur Erinnerung dienen soll, daß an
dieser Stelle ein Eingeborner von einem solchen Thiere
zerriffen wurde. Aber nicht nur diese Thiere allein sind
des Menschen Feinde, auch der Ganges enthält deren
höchst gefährliche – die gefräßigen Crocodile. Zu sechs
bis acht sieht man sie häufig sich sonnen am fundigen,
schlammigen Ufer oder auf Sandbänken. Sie haben eine
Länge von sechs bis fünfzehn Fuß. Bei Annäherung
unseres lärmenden Dampfers glitten sie eilig in die
schmutzig gelben Fluthen des Stromes.
Die Canäle in den Sunderbunds und im Gurie sind
oft so schmal, daß man kaum einem Schiffe auszuweichen,
vermag, und oft breiten sie sich wieder zu meilenweiten
Becken aus. Trotzdem, daß wegen der Sandbänke und
Untiefen nur bei Tage gefahren wird, sind größere oder
149
geringere Unglücksfälle nicht selten. Auch wir blieben
nicht ganz verschont. In einem der engen Canäle mußte
unser Schiff angehalten werden, um ein anderes vorüber-
fegeln zu laffen. Bei dieser Gelegenheit stieß eines der
beiden Schiffe, die wir im Schlepptau führten, so ge-
waltig an unsern Dampfer, daß die Wand einer Cabine
eingedrückt wurde,– glücklicherweise ward Niemand dabei
beschädiget. /
In einem andern Canale lagen zwei Schiffe von
Eingebornen vor Anker. Die Leute gewahrten uns etwas
spät und waren mit der Hebung des Ankers noch nicht zu
Stande gekommen, als wir schon daher brausten. Der
Kapitän ließ nicht anhalten, da er noch vorbei zu kommen
gedachte, lenkte aber zu fehr ab und fuhr dermaßen in
das Gesträuch, daß einige der hölzernen Jalusien der
Cabinenfenster als Trophäen, daran hängen blieben. Ueber
diesen Unfall entrüstet, sandte er in Eile ein Boot zurück"
und ließ den Armen die Anker kappen *). Diese That
war doch wieder eines Europäers würdig! –
Bei Culna (308 Meilen von der See) fuhren wir
in den bedeutenden Nebenfluß des Ganges: Gurie, der
unterhalb Rumpurbolea in den Ganges mündet. Hier
treten die Jungles zurück, und schöne Reis-, Reps- und
andere Pflanzungen nehmen ihre Stelle ein. An Dörfern
war kein Mangel; nur waren die Hütten, die meist aus
Stroh- oder Palmblättern bestanden, elend und klein.
*) Das heißt die Taue abhauen, an welchen die Anker be-
festiget find; natürlich find dann die Anker verloren.
15 (!)
Unser Dampfer lockte die Bewohner herbei; sie verließen
Hütte und Feld und lautes Jubelgeschrei tönte uns
überall nach.
15. Dec. Diesen Abend saßen wir zum erstenmal
auf einer Sandbank auf, und es kostete uns einige Mühe
wieder flott zu werden. --
16. Dec. Schon gestern hatten wir in den Ganges
gelenkt. Heute hielten wir spät des Abends bei dem
Dörfchen Commercolly. Die Einwohner brachten Lebens-
mittel aller Art herbei, und wir hatten Gelegenheit ihre
Preise zu erfahren. Ein schöner Schöps kostete vier Ru-
pien, achtzehn junge Hühner eine Rup., ein Fisch von
mehreren Pfunden eine Annas (vier Kreuzer); acht
Eier eine Annas; zwanzig Apfelsinen, zwei Annas;
ein Pfund weißes Brod drei Beis (drei Kreuzer). –
Und bei diesen Spottpreisen nahm der Kapitän den Rei-
senden täglich drei Rup. für die Kost ab. » Aber wäre sie
nur noch gut gewesen! – Einige der Reisenden kauften
sich hier Eier, frisches Brod und Apfelsinen, und der
Kapitän schämte sich nicht, dergleichen selbstgekaufte Artikel
bei seiner theuren Tafel erscheinen zu laffen.
18. Dec. Bealeah, ein bedeutender Ort mit vielen
Gefängniffen. Hier ist ein Depositum von Verbrechern*),
welche von nah und ferne hieher gebracht werden. Diese
Leute müffen nicht so gerne entfliehen wie unsere Europäer,
denn ich sah sie ganz leicht gefeffelt, einzeln oder zu meh-
reren im Orte und in der Umgebung umher gehen, ohne
daß die Aufseher begleiteten. Sie werden gehörig
*) Gegenwärtig belief sich die Zahl auf 782.
151
verpflegt und zu leichten Arbeiten verwendet. Eine Pa-
pier-Fabrik wird meist von ihnen beschickt.
In diesem Orte scheinen die Bewohner zu den sehr
fanatischen zu gehören. Ich ging in Gesellschaft eines
Reisenden, Herrn Lau, im Städtchen spazieren, und wir
wollten in ein Gäßchen einbiegen, in welchem ein kleiner
Hindu-Tempel stand. Als die Leute unsere Absicht ge-
wahrten, fingen sie ein jämmerliches Geschrei an und
drängten sich an uns, so daß wir es für gerathen hielten,
unsere Neugierde zu bezähmen und umzukehren.
19. Dec. Heute zeigten sich niedrige Gebirgsketten,
Rajmahal-HilIs, die ersten seit Madras. Abends saßen
wir ganz fest auf einer Sandbank auf. Wir brachten die
Nacht ziemlich ruhig zu; am Morgen wurde aber alles
angewandt, uns flott zu machen. Die Schleppschiffe wur-
den losgehängt, die Maschinen bis auf den höchsten Grad
geheizt, die Matrosen arbeiteten unermüdet, und gegen
Mittag – saßen wir noch so fest wie Abends zuvor.
Da kam ein Dampfer, von Allahabed nach Calcutta
fegelnd, heran. Unser Kapitän zog keine Nothflagge auf,
– er war in übelster Laune, von einem Cameraden in
dieser Lage gesehen zu werden. Der Kapitän des andern
Schiffes bot ihm defen ohngeachtet eine Hülfe an; wurde
aber mit kurzen, trockenen Worten abgefertigt. – Erst
nach vielen Stunden unsäglicher Mühe gelang es uns,
von dem Sande ab in freies Fahrwaffer zu kommen.
Im Laufe des Tages berührten wir Radschmahal
(Rajmahal) *), ein ausgebreitetes Dorf, das der dichten
*) Radschmahal war um das 17. Jahrhundert die Hauptstadt
Bengalens. -
",
152
Waldungen, der vielen Sümpfe und Moräfte wegen, die
es umgeben, als höchst ungesund geschildert wird.
Einst stand hier „Gur, eine der größten Städte
Indiens, die zwanzig Quadratmeilen und bei zwei
Millionen Einwohner gezählt haben soll. Noch sind, wie
neuere Reisende versichern, zahlreiche und ausgezeichnet
schöne Ruinen zu finden, darunter die vorzüglichte, die
sogenannte „goldene Moschee, ein Prachtgebäude mit
Marmor belegt, – die Thore berühmt wegen ihrer großen
Bogen und der Festigkeit ihrer Seitenmauern.
Da glücklicherweise hier eine Kohlenstation war,
gestattete man uns einige Stunden zur freien Verfügung.
Die jungen Leute benützten selbe zu einer Jagdpartie,
wozu die herrlichen Waldungen, die schönsten die ich
bisher in Indien sah, sehr einluden. Man sagte freilich,
fie feyen reich belebt von Tigern; das hielt jedoch Nie-
manden zurück.
Ich meinerseits ging auch auf die Jagd, aber au
eine andere: ich durchtrich weit und breit die Waldungen
und Sümpfe, um die Ruinen zu suchen. Ich fand sie
auch; aber wie wenige! und die wenigen wie erbärmlich!
Die ansehnlichsten waren zwei einfache Stadtthore, von
Sandsteinen aufgeführt und mit einigen hübschen Sculp-
turen verziert, jedoch ohne hohe Wölbungen und ohne
Kuppeln. An einem unbedeutenden Tempel mit vier Eck-
thürmchen fah ich hin und wieder Stellen mit feinem
Mörtel bekleidet. Außerdem lagen noch einige Ruinen
oder einzelne Bruchstücke von Gebäuden, Säulen u. f. w.
umher; – alle Ruinen zusammen nehmen aber nicht den
Flächeninhalt zweier englischen Quadrat-Meilen ein.
153
An dem Saume des Waldes oder einige hundert
Schritte weiter darinnen lagen viele Hütten der Einge-
bornen, zu welchen die niedlichsten Wege unter dunklen
Schattengängen führten.
In Bealeah waren die Leute sehr fanatisch, hier die
Männer sehr eifersüchtig. Zu Ende meiner Ercursion
hatte sich einer der Reisenden zu mir gesellt, und wir
strichen nahe den Wohnungen der Leute umher. Sobald
die Männer meinen Begleiter gewahrten, schrieen sie
alsogleich ihren Weibern zu, in die Hütten zu fliehen.
Diese liefen auch rechts und links nach denselben; blieben
aber ganz ruhig unter der Thüre stehen, um nns vorüber
gehen zu sehen, und vergaßen ganz, ihre Gesichter zu
bedecken.
In diesen Gegenden gibt es ganze Waldungen von
Cocospalmen. Indien ist das eigentliche Vaterland dieses
Baumes, der hier eine Höhe von achtzig Fuß erreicht
und schon im sechsten Jahre Früchte trägt. In andern
Ländern wird er kaum fünfzig Fuß hoch und trägt erst
nach zwölf bis fünfzehn Jahren Früchte. Dieser Baum
ist vielleicht der nützlichste der Welt: er liefert eine große,
nahrhafte Frucht, eine köstliche Milch, große Blätter zur
Deckung und Einfaffung der Hütten, die stärksten Taue,
das reinste Brennöhl, Matten, gewobene Zeuge, Färbe-
stoff und sogar ein Getränk, das Surr, Toddy oder
Palmbrantwein genannt und durch Einschnitte in die
Krone des Baumes gewonnen wird. Während eines
ganzen Monats steigen die Hindus Morgens und Abends
bis unter die Krone des Baumes, machen einige Ein-
schnitte in den Stamm und hängen Töpfe darunter, um
154
den tröpfelnden Saft aufzufangen. Das Hinaufklettern
wird dadurch erleichtert, daß die Rinde sehr wulstig ist.
Der Hindu erfaßt mit einer starken Schlinge den Stamm
und die Mitte seines eigenen Körpers, mit einer zweiten
die Füße, die er gegen den Baum stemmt; er schwingt
sich dann in die Höhe und zieht die obere Schlinge mit
der Hand, die untere mit den Fußspitzen nach sich. Ich
sah die Leute auf diese Art die höchsten Bäume mit
Leichtigkeit in höchstens zwei Minuten ersteigen. Um den
Leib haben sie einen Riemen geschnallt, an welchem ein
Meffer und ein oder zwei Töpfe hängen.
Der frisch gewonnene Saft sieht ganz klar aus und
schmeckt angenehm süßlich; fängt aber schon nach sechs bis
acht Stunden zu gähren an und bekommt dann eine weiß-
liche Farbe und einen scharfen, etwas unangenehmen Ge-
schmack. Man kann daraus mit Zusatz von Reis starken
Arac machen. Ein guter Baum liefert in vierundzwanzig
Stunden über zwei Maß solchen Saftes; er trägt jedoch
in dem Jahre, in welchem der Toddy gewonnen wird,
keine Früchte.
21. Dec. Ungefähr 70 Meilen unterhalb Radsch-
mahal kommt man an drei ziemlich steilen Felsen vorüber,
die dem Ganges entsteigen. Der größte mag an 60 Fuß
Höhe haben; der mittlere, mit einigem Gebüsche be-
wachsen, ist der Aufenthalts- Ort eines Fakirs, den
gläubige Menschen mit Lebensmitteln versehen. Wir fahen
diesen heiligen Mann nicht, da es schon dunkelte, als
wir vorüberfuhren. Mehr bedauerten wir, daß wir den
botanischen Garten zu Bogulpore, welcher der schönste in
Indien sein soll, nicht besuchen konnten; da aber zu
155
Bogulpore keine Kohlenstation war, so wurde auch nicht
angehalten. -
Der 22. Dec. führte uns an der wundervollen Fels-
partie Junghera vorüber, die gleich einer Feeninsel dem
majestätischen Ganges entsteigt. Diese Stelle ward in
früheren Zeiten als die heiligste im Ganges verehrt.
Tausende von Booten und Schiffen durchfurchten stets den
schönen Strom, kein Hindu dachte ruhig sterben zu können,
ohne hier gewesen zu sein. Viele Fakire trieben da ihr
Wesen, stärkten die armen Pilger mit salbungsvollen
Reden und nahmen ihnen dafür fromme Gaben ab.
Jetzt hat die Gegend ihren Heiligenschein verloren, und
die eingehenden milden Gaben genügen kaum, zwei bis
drei Fakiren das Leben zu fristen.
Abends hielten wir bei Monghyr*), einer ziemlich
großen Stadt mit alten Festungswerken. Ein Friedhof
mit Monumenten überfüllt, fällt vor allem in die Augen.
Die Monumente sind so eigenthümlich, daß, wenn ich deren
nicht schon auf den Friedhöfen zu Calcutta gesehen hätte,
ich sie nimmermehr einer christlichen Glaubensecte zuge-
muthet haben würde. Es gab da Tempel, Pyramiden,
mächtige Katafalke, Kioske u. f. w., alle von Ziegeln
massiv aufgeführt. Die Größe dieses Friedhofes steht mit
der geringen Anzahl der in Monghyr wohnenden Europäer
in gar keinem Verhältniffe; allein dieser Ort soll der
ungesundeste in ganz Indien sein, so daß ein Europäer,
*) Monghyr wird das indische Birmingham genannt, wegen
der vielen Stahl- und Waffenfabriken und Mefferschmieden.
Bevölkerung bei 30,000 Seelen.
- 156
wenn er für mehrere Jahre dahin beordert wird, gewöhn-
lich für immer Abschied von den Seinigen nimmt.
Fünf Meilen von da gibt es heiße Quellen, die
von den Eingebornen für heilig gehalten werden.
Die Ansicht der Radschmahal Hills hatten wir schon
bei Bogulpore verloren, – eine ununterbrochene Ebene
breitete sich wieder auf beiden Seiten des Stromes aus.
24. Dec. Patna“), eine der größten und ältesten
Städte Bengalens, mit einer Bevölkerung von ungefähr
300,000*) Seelen, besteht aus einer acht engl. Meilen
langen, sehr breiten Straße, in welche viele kurze Gäß-
chen einmünden. Die Häuser fand ich meist von Lehm,
über alle Maßen klein und erbärmlich. Unter den Vor-
dächern derselben sind Waaren und Lebensmittel der ein-
fachsten Gattung ausgekramt. Der Theil der Straße,
in welchem sich die meisten dieser ärmlichen Lager befinden,
wird mit dem stolzen Namen „Bazar 4 belegt. Die
wenigen beffern Häuser hätte man ohne große Mühe zählen
können; sie waren von Ziegeln gebaut und mit zierlichen,
in Holz geschnitzten Galerien und Säulen umgeben. In
*) Patna ist die Hauptstadt der Provinz »Bechar,« und
war einst seiner vielen Buddha-Tempel wegen sehr berühmt.
In der Nähe von Patna lag die berühmteste Stadt
des indischen Alterthumes, »Parlibohra.« Patna hat
viele Baumwollen - Manufacturen und einige Opium-
Fabriken.
**) In allen indischen, mahomedanischen, man kann sagen,
in allen nicht christlichen Ländern ist es höchst schwierig.
die Einwohnerzahl einer Stadt genau anzugeben, da das
Volk nichts mehr verabscheuet als ähnliche Zählungen.
157
diesen Häusern mußte man auch die hübschen und kost-
baren Waarenlager suchen.
Die Tempel der Hindus, die Gauths (Treppen,
Hallen, Thorwege) nach dem Ganges versprechen, wie
die Moscheen der Mohamedaner, immer von der Ferne
unendlich mehr, als sie bei näherer Besichtigung ge-
währen. Das einzige sehenswerthe, was ich hier fand,
waren einige Mausoleen in Glockenform, wie jene auf
Ceylon, zwar nicht kunstvoller, doch bei weitem größer:
ihr Umfang mochte wohl zweihundert, ihre Höhe achtzig
Fuß überschreiten. Ganz schmale Eingänge mit einfachen
Thüren führten ins Innere. Von außen leiteten an
zwei Seiten schmale Treppen, einen Halbkreis bil-
dend, bis an die Spitze. Man schloß die Thüre nicht
auf, und wir mußten uns mit der Versicherung begnügen,
daß außer einem einfachen Sarkophage nichts darinnen
enthalten fey.
Patna ist ein höchst wichtiger Platz für den Opium-
handel, dessen Betrieb viele der Eingebornen bereichert.
Ihren Reichthum zeigen sie für gewöhnlich weder in
Kleidern noch in sonstigem öffentlichen Lurus. Es gibt
nur zwei Trachten, die des Bemittelten, der orientalischen
ähnlich, und die des ganz Armen, aus einem Tuche be-
stehend, das um die Lenden geschlagen wird.
Die Hauptstraße der Stadt ist höchst belebt, sowohl
von Fahrenden als von Fußgängern. Der Hindu ist, wie
der Jude, ein so abgesagter Feind des Gehens, daß er
den schlechtesten Platz auf dem erbärmlichsten Karren nicht
verachtet.
Das gebräuchlichste Fuhrwerk besteht in einem
158
schmalen, hölzernen Karren auf zwei Rädern, der mit
vier Pfählen und Querstangen umgeben ist. Diese sind mit
farbigem Wollstoff umhangen, und oben schützt eine Art
Baldachin gegen die Sonne. Platz ist hier eigentlich
nur für zwei Personen; doch sah ich drei bis vier darauf
zusammengedrängt. Ich gedachte dabei der Italiener,
deren oft so viele in einem Wagen sitzen und stehen, daß
nicht einmal die Fußtritte leer bleiben. Diese Karren
heißen Baili; sie werden dicht verhängt, wenn Frauen
darin fahren.
Ich erwartete hier die Straßen von Kamehlen und
Elephanten belebt zu sehen, da ich in einigen Beschreibun-
gen so viel davon gelesen hatte; ich fah aber nur von
Ochsen gezogene Bailis und einzelne Reiter, jedoch weder
Kamehle noch Elephanten.
Gegen Abend fuhren wir nach Deinapore, das acht
engl. Meilen von Palma entfernt ist*). Eine herrliche
Poststraße, mit schönen Bäumen besetzt, führt zwischen
üppigen Feldern dahin.
Deinapore ist eine der größten englischen Militär-
stationen und besitzt ausgedehnte Casernen, die beinahe
für sich eine Stadt bilden. Die Stadt Deinapore liegt
von den Casernen nicht weit entfernt. Unter den Ein-
wohnern gibt es viele Mohamedaner, die sich durch Fleiß
und Betriebsamkeit vor den Hindus auszeichnen.
Ich sah hier in einem außerhalb der Stadt gelegenen
*) Ich ließ mich mit zwei Reisenden zu Patna an's Land
fetzen und fuhr gegen Abend zu Wagen nach Deinapore,
wo unser Dampfer für die Nacht vor Anker ging.
T159
Serai*) zum ersten Male auf dem Festlande Indiens
Elephanten; es waren acht große, herrliche Thiere.
Als wir des Abends auf unser Schiff zurückkehrten,
fanden wir da ein Leben wie in einem Lager: alle mög-
lichen Artikel waren herbei gebracht und ausgekramt wor-
den; besonders, aber thaten sich die Schuster hervor, deren
Arbeiten schön und dauerhaft aussahen und dabei merk-
würdig billig waren. Ein Paar Männerstiefel z. B. koste-
ten anderthalb bis zwei Rup., wurden aber freilich immer
um das doppelte angeboten. Ich sah bei dieser Gele-
genheit, wie die europäischen Seeleute den Handel mit
den Eingebornen betrieben. Einer der Maschinisten wollte
ein Paar Schuhe erhandeln und bot den vierten Theil des
geforderten Betrags. Der Verkäufer damit nicht einverstan-
den, nahm die Waare zurück; allein der Maschinist riß ihm
felbe aus der Hand, warf ihm einige Beis über die ge-
botene Summe zu und eilte in seine Cabine. Der Schuster
lief ihm nach und forderte die Schuhe; statt deren ertheilte
man ihm aber einige tüchtige Püffe mit der Drohung,
daß er augenblicklich vom Schiff müffe, wenn er sich nicht
ruhig verhalte. Halb weinend ging der arme Teufel zu
seinem Waarenpacke zurück.
Ein anderer Fall ereignete sich an demselben Abend:
ein Hindüknabe brachte eine Schachtel für einen der Rei-
fenden und bat um eine kleine Gabe für seine Mühe, –
man hörte nicht darauf. Der Junge blieb stehen und
*) Serai find große, schöne Höfe, mit kleinen Hallen und
Kämmerchen umgeben, die den Reisenden aller Nationen
zur Benützung offen stehen.
T60
erneuerte zeitweise feine Bitte. Da jagte man ihn fort,
und als er nicht gleich gehen wollte, gab man ihm
Schläge. Zufällig kam der Kapitän herbei und frug, was
es gäbe. Der Knabe erzählte schluchzend sein Anliegen
und seine Abfertigung, – der Kapitän zuckte die Achseln,
und der Knabe wurde aus dem Schiffe gebracht.
Wie viel ähnliche und noch ärgere Begebenheiten
habe ich nicht gesehen! Wenn uns die sogenannten
„barbarischen und heidnischen Völker verabscheuen und
haffen, haben sie vollkommen Recht. Wo der Europäer
hinkommt, will er nicht belohnen, sondern nur herrschen
und gebieten, und gewöhnlich ist feine Herrschaft viel
drückender als jene der Eingebornen.
26. Dec. Die Aussetzungen der Sterbenden an den
Ufern des Ganges scheinen doch nicht so häufig zu feyn,
wie viele Reisende erzählen. Wir fuhren nun schon vier-
zehn Tage auf dem Strome, waren an vielen reichbe-
völkerten Städten und Ortschaften vorüber gekommen,
und erst heute kam mir ein solches Schauspiel zu Gesichte:
der Sterbende lag knapp am Waffer, um ihn herum
saßen mehrere Menschen, wahrscheinlich eine Verwandten,
und harrten seiner Sterbestunde entgegen. Einer schöpfte
mit der Hand Waffer oder Schlamm aus dem Fluffe und
berührte damit des Sterbenden Nase und Mund. Der
Hindu glaubt, daß, wenn er mit dem Mund voll heiligen
Waffers am Fluffe selbst stirbt, er ganz gewiß in den
Himmel kommt. Die Verwandten oder Freunde bleiben
nur bis Sonnenuntergang bei dem Verscheidenden; dann
gehen sie heim und überlaffen ihn feinem Schicksale. Ge-
wöhnlich wird er die Beute eines Crocodiles.
161
Schwimmende Leichen bekam ich auch nur sehr fel-
ten zu Gesichte; auf der ganzen Reise sah ich nicht mehr
als zwei. Die meisten Leichen werden verbrannt.
27. Dec. Ghazipur ist ein bedeutender Ort, der sich
schon von ferne durch schöne Gauths bemerkbar macht.
Hier steht ein artiges Monument, dem Andenken des
Grafen von Cornwallis errichtet, der im Jahre 1790
Tippo-Saib besiegte. – In der Nähe ist ein großes
Pferdegestüt, welches ausgezeichnet schöne Pferde liefern
foll. Am merkwürdigsten aber ist Ghazipur durch seine
ungeheuren Rosenfelder und durch das hier bereitete
Rosenwaffer und Rosenöl. Letzteres wird auf folgende
Art gewonnen: -
Auf vierzig Pfund mit dem Kelche versehene Rosen
werden sechzig Pfund Waffer gegoffen und über lang-
famem Feuer destilliert. Man bekömmt davon dreißig
Pfund Rosenwaffer. Mit diesem werden abermals vierzig
Pfund frische Rosen überschüttet und davon höchstens
zwanzig Pfund Waffer destilliert. Dieses wird sodann in
Schüffeln eine Nacht hindurch der kühlen Luft ausgesetzt,
worauf man am Morgen das Oel auf der Oberfläche
des Waffers geronnen findet und abnimmt. Von achtzig
Pfund Rosen (200.000 Stück) soll man höchstens andert-
halb Loth Oel erhalten. Ein Loth ächtes Rosenöl kostet
zu Ghazipur selbst vierzig Rupien. - - . . ."
Am 28. Dec. zehn Uhr Morgens erreichten wir
endlich die heilige Stadt Benares. Wir gingen bei
Radschgaht vor Anker, wo schon Culli (Träger) und
Kamehle bereit standen um uns in Empfang zu nehmen."
Ehe ich von dem Ganges scheide, muß ich bemerken,
Pfeiffers Reise, 11. Th. 1 l
T162
daß ich auf der ganzen Reise von ungefähr tausend Meilen
nicht eine einzige Stelle gefunden habe, die sich durch beson-
dere Naturschönheit ausgezeichnet oder eine pittoreske An-
ficht gewährt hätte. Die Ufer sind flach oder mit zehn bis
zwanzig Fuß hohen Erdschichten umsäumt, und mehr land-
einwärts wechseln Sandflächen mit Pflanzungen oder aus-
getrockneten Wiesenplätzen oder erbärmlichen Dschungels.
Städte und Ortschaften sieht man zwar in großer Anzahl;
aber einzelne schöne Gebäude und die Gauths ausge-
nommen, bieten sie nichts als Hütten und Baraken. Der
Strom selbst ist oft in mehrere Arme getheilt, oft wie-
der so ausgebreitet, daß er mehr einem See als einem
Fluffe gleicht, und daß das Auge kaum die fernen Ufer
erblickt.
Benares ist die heiligste Stadt Indiens. Sie ist
dem Hindu was Mecca dem Mohamedaner, Rom dem
Katholiken. Der Glaube des Hindu an ihre Heiligkeit
ist so groß, daß nach seiner Meinung jeder Mensch ohne
Unterschied der Religion der Seligkeit theilhaftig wird,
wenn er vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt ver-
weilt hat. Einer der schönsten Züge in der Religion
und dem Charakter dieses Volkes ist jene edle Toleranz,
die den einseitigen Glauben gar mancher Christen-Secten
tief beschämt.
Die Zahl der Pilger steigt alljährlich auf 3 bis
400,000, durch deren Verkehr, Opfer und Gaben die
Stadt die reichte im Lande wurde. -
Es mag hier nicht am unrechten Orte sein, einige
- 163
Bemerkungen über die Religion dieses interessanten Volkes .
einzuschalten, die ich aus Zimmermanns „Taschenbuch
der Reifen entlehne:
„Die Grundlage des hindostanischen Glaubens ist:
„ein über alles erhabenes Urwesen, eine Unsterblichkeit,
„eine Belohnung der Tugend. Die Haupt-Idee von
„Gott ist so groß und schön, ihre Moral fo rein und
„erhaben, wie man sie bei keinem andern Volke gefun-
„den hat.“
„Ihre Glaubenslehre ist: das höchste Wesen an-
„beten, seine Schutzgötter anrufen, freundlich gegen feine
„Mitmenschen sein, sich der Unglücklichen erbarmen, und
„sie unterstützen, geduldig die Beschwerlichkeiten des Le-
„bens ertragen, nicht lügen, nicht ehebrechen, die gött-
„liche Geschichte lesen und lesend anhören, wenig reden,
„fasten, beten, zur bestimmten Zeit sich baden. – Dieß
„find die allgemeinen Pflichten, zu welchem die heiligen
„Bücher alle Indier ohne Ausnahme irgend eines Stammes
„oder einer Zunft insgesammt verbinden.“
„Ihr wahrer, einziger Gott heißt „Brahm,
„wohl zu unterscheiden von dem durch ihn geschaffenen
„Brahma.“ Er ist das wahre, ewige, felige, unwan-
„delbare Licht aller Zeiten und Räume. – Das Böse
„wird bestraft, das Gute belohnt.“
„Aus des Unsterblichen Wesen ging die Göttin
„Bhavani (d. i. die Natur) und ein Heer von 1180
„Millionen Geister hervor. Unter diesen gibt es drei
„Halbgötter oder Obergeister: Brahma, Vifchnu
„und Schiwa, die Dreieinigkeit der Hindus, bei ihnen
„Trim urti genannt.“
1 13
T61. "
„Unter den Geistern herrschte lange Zeit Eintracht
„und Glückseligkeit; aber darauf brach eine Empörung
„aus, viele versagten den Gehorsam. Die Rebellen wurden
„von der großen Höhe in den Abgrund der Finsterniß
„gestürzt. Hierauf erfolgte die Seelenwanderung, jedes
„Thier, jede Pflanze war von einem gefallenen Engel be-
„feelt; von diesem Glauben schreibt sich die unendliche
„Gutmüthigkeit der Hindus gegen die Thiere her. Sie
„betrachten sie als ihre Mitbrüder und wollen keines
„tödten.“
„In der lautersten, religiösesten Absicht verehrt
„der Hindu den großen Zweck der Natur, die Er-
„zeugung organisierter Körper. Ihm sind alle dazu
„wirkenden Theile verehrungswerth und heilig, und in
„dieser Absicht allein beweist er dem Lingam göttliche
„Verehrung.“ -
„Man dürfte behaupten, daß nur nach und nach
„das Abenteuerliche dieser Religion durch Verfälschung
„und Unverständlichkeit im Munde des Volkes ein fast
„wahnsinniges Gaukelspiel geworden ist."
„Es wird hinreichen, die Bilder nur einiger der
„vornehmsten Gottheiten anzugeben, um hieraus auf den
„jetzigen Zustand ihrer Religion schließen zu können.“
„Brahma als Erschaffer der Welt wird mit
„vier Menschenköpfen und acht Händen abgebildet, in der
„einen Hand hält er das Gesetzbuch, in den übrigen
„andere Sinnbilder. Er wird in keinem Tempel
„ (Pagode) verehrt, er verlor dieses Vorrecht seines
„Stolzes wegen, er wollte das allerhöchste Wesen er-
forschen. Jedoch nach Bereuung feiner Thorheit ward
165
„es ihm zugestanden, daß die Brahminen ihm zu Ehren
„eigene feierliche Feste, Poutsché genannt, anstellen
„durften. -
„Vifchnu als Erhalter der Welt wird in einund-
„zwanzig verschiedenen Gestalten dargestellt. Halb Fisch
„halb Mensch, als Schildkröte, halb Löwe halb Mensch,
„Buddha, Zwerg u. f. w. - Die Gemahlin des Vichnu
„wird als die Göttin der Fruchtbarkeit, des Reichthums,
„der Schönheit u. f. w. verehrt. Ihr zu Ehren wird die
„Kuh heilig gehalten.“
„Schiwa ist der Zerstörer, Rächer, Umwandler,
„der Sieger des Todes, er hat daher einen doppelten
„Charakter, wohlthuend oder furchtbar, er belohnt und
„bestraft. Gewöhnlich wird er gräßlich dargestellt, ganz
„von Blitzen umgeben, mit drei Augen, wovon das
„größte auf der Stirne ist; nebst dem hat er acht Arme,
„in deren jedem er etwas hält.“
„Obwohl diese drei Gottheiten gleich hoch stehen,
„so theilt sich die Religion der Hindus doch eigentlich
„nur in zwei Seeten, nämlich in die der Vichnu - und
„Schiwa-Verehrer. Brahma hat keine eigene Seete,
„weil ihm Tempel und Pagoden versagt sind; man
„könnte jedoch die ganze Priester-Kaste, die Brahminen,
„für seine Verehrer betrachten, da sie behaupten, aus
„seinem Kopfe entsprungen zu sein.“
„Die Vishnu-Verehrer haben auf der Stirn oder
„Brust ein röthlich oder gelblich gemaltes Zeichen der
„Jani. Die Schiwa-Verehrer tragen an der Stirn das
„Zeichen des Lingam, oder eines Obelisken, Dreieckes,
„oder der Sonne.“
166
„Unter - Gottheiten werden 333 Millionen ange-
„nommen; sie sind die Götter der Elemente, Natur - Er-
„fcheinungen, Leidenschaften, Künste, Krankheiten u.fw.
„Sie werden in verschiedenen Gestalten und mit allerlei
„Attributen dargestellt.
„Ferner gibt es Genien, gute und böse Dämone.
„Die Zahl der guten übersteigt die schlechten um drei
„Millionen.
„Auch andere Dinge sind dem Hindu heilig, als:
„Flüffe, darunter vorzüglich der Ganges; er soll aus
„dem Schweiße des Schiwa entstanden sein. Das Ganges-
„Waffer wird so hoch gehalten, daß man viele Meilen
„landeinwärts Handel damit treibt."
„Von Thieren verehren sie besonders die Kuh, den
„Ochsen, Elephanten, Affen, Adler, Schwan, Pfau
„und die Schlange.
„Von Pflanzen: den Lotos, den Bananien - und
„den Mango-Baum.
„Eine ganz besondere Verehrung bezeigen die Brah-
„minen einem Stein, nach Sonnerat ein Ammonshorn
„in Schiefer versteinert.
„Höchst merkwürdig ist es, daß in ganz Hindostan
„keine Abbildung des höchsten Wesens zu finden ist.
„Es scheint ihnen zu groß, sie halten die gesammte Erde
„für feinen Tempel und beten es unter allen Ge-
nfalten an.“
„Die Anhänger des Schiwa beerdigen ihre Todten,
„die andern verbrennen oder werfen sie in den Fluß.
TI (57
Wer nur nach Calcutta und nicht weiter kam, kann
sich kaum einen richtigen Begriff von Indien machen.
Calcutta ist beinahe europäisch geworden. - Die Paläste,
die Equipagen sind europäisch, es gibt da Gesellschaften,
Bälle, Concerte, Promenaden, beinahe wie in Paris
und London, und sähe man nicht den gelbbraunen Ein-
gebornen auf der Straße, den Hindu als Diener im
Hause, so könnte man wahrlich oft leicht vergeffen, daß
man sich in einem fremden Welttheile befindet.
Anders ist es in Benares. Da steht der Europäer
vereinzelt; fremdartige Sitten und Gebräuche umgeben
ihn überall und erinnern ihn bei jedem Schritte, daß er
der geduldete Eindringling ist. Benares zählt bei 300.000
Einwohner, worunter kaum 150 Europäer.
Die Stadt ist schön, besonders von der Wafferseite
aus gesehen, wo man ihre Mängel nicht bemerkt. Pracht-
volle Treppen-Reihen, aus koloffalen Steinen gebaut,
führen das Ufer hinan zu den Häusern und Palästen, zu
den kunstvoll gebauten Stadtthoren. In dem schönen
Stadttheile reihen sie sich ununterbrochen aneinander und
bilden eine zwei engl. Meilen lange Kette. Diese Trep-
pen kosteten unermeßliche Summen, und aus den dazu
verwendeten Steinen hätte man eine große Stadt erbauen
können.
Der schöne Stadttheil enthält sehr viele alterthüm-
liche Paläste im maurischen, gothischen oder hindostanischen
Style, deren manche eine Höhe bis zu sechs Stockwerken
haben. Die Portale sind großartig, die Fronten der
Paläste und Häuser mit meisterhaft gearbeiteten Arabesken,
Basreliefs und Bildhauerarbeiten bedeckt, die Stockwerke
e
T168
reich mit schönen Säulengängen, vorspringenden Pfeilern,
Veranden, Balkonen und Friesen ausgeschmückt. Nur
die Fenster gefielen mir nicht: sie sind niedrig, schmal
und felten regelmäßig angebracht. Alle Paläste und
Häuser haben sehr breite, geneigte Dächer oder auch nur
Teraffen.
Unzählige Tempel geben einen Beweis von dem
Reichthum und der Religiosität der Einwohner dieser Stadt.
Jeder wohlhabende Hindu hat an seinem Hause einen
Tempel, d. h. ein Thürmchen erbaut, das oft kaum die
Höhe von zwanzig Fuß erreicht.
Der Hindu-Tempel besteht eigentlich aus einem
dreißig bis sechzig Fuß hohen Thurme ohne Fenster mit
einem kleinen Eingange. Er nimmt sich, besonders von
der Ferne gesehen, sehr schön und originell aus, da er
entweder höchst kunst- und geschmackvoll ausgehauen, oder
mit hervorragenden Verzierungen als: Spitzen, kleinen
Säulen, Pyramidchen, Blättern, Nischen u. f. w. reich-
lich bedeckt ist.
Leider gibt es unter diesen schönen Bauten auch viele
Ruinen. Der Ganges unterwühlt hin und wieder das
Erdreich, und Paläste und Tempel sinken in dem lockern
Boden ein, oder stürzen wohl ganz und gar zusammen.
Kleine, ärmliche Häuser sind theilweise darauf gebaut,
die das schöne Bild der Stadt noch mehr verunzieren als
die Ruinen, die selbst als solche noch schön sind.
Wenn man mit Sonnenaufgang an den Fluß kommt,
sieht man ein Schauspiel, das mit keinem andern in der
Welt verglichen werden kann. Der religiöse Hindu kommt
hieher um eine Andacht zu verrichten; er steigt in den
T69
Fluß, wendet sich gegen die Sonne, begießt sich drei-
mal den Kopf mit Waffer, das er mit der Hand geschöpft
hat, und murmelt dabei seine Gebete. Bei der großen
Bevölkerung, die Benares auch ohne Pilger besitzt, wird
man es nicht übertrieben finden, wenn man die tägliche
Anzahl der Betenden durchschnittlich auf 50,000 angibt.
Viele Brahminen sitzen in kleinen Kiosken oder auf Stein-
blöcken auf den Treppen knapp am Waffer, um die Spen-
den der Wohlhabenden und Pilger in Empfang zu nehmen
und ihnen dagegen die Absolution ihrer Sünden zu
ertheilen.
Jeder Hindu soll sich des Tages wenigstens einmal,
und zwar des Morgens baden; gehört er zu den sehr an-
dächtigen, und erlaubt es ihm die Zeit, so verrichtet er
dieselbe Ceremonie auch des Abends. – Das weibliche
Geschlecht übergießt sich zu Hause mit Waffer.
In den Zeiten der Feste, Mela genannt, wo der Zu-
drang der Pilger nach Benares unberechenbar ist, sollen
die Treppen kaum die Menschenmenge faffen können, und
der Strom soll von den Köpfen der Badenden wie mit
schwarzen Punkten übersäet sein.
Die innere Stadt ist bei weitem nicht so schön als
jener Theil, der sich längs des Ganges ausbreitet. Es
gibt zwar da auch noch viele Paläste; doch fehlen ihnen
die schönen Portale, Säulen, Veranden u. d. m. Viele
der Gebäude sind mit feinem Cement überkleidet und
andere mit erbärmlichen Fresken bemalt. -
Die Straßen sind größtentheils schmutzig, häßlich,
und manche darunter so enge, daß man mit einem Pa-
lankine gar nicht durchkommen kann. In allen Ecken,
beinahe vor jedem Hause steht das Sinnbild des Gottes
Schiwa.
Von den Tempeln in der Stadt ist der schönste der
„Vis vishas : er hat zwei durch Säulengänge ver-
bundene Thürme, deren Spitzen mit Goldplatten belegt
sind. Eine Mauer umgibt den Tempel. Wir durften
den Vorhof betreten und bis an die Eingangshüren
gehen. Darinnen sahen wir einige Sinnbilder des
Vichnu und Schiwa, die mit Blumen bekränzt und
mit Fruchtkörnern von Reis, Waizen u. dgl. überstreut
waren. In den Vorhallen fanden kleine Stiere von
Metall oder Stein, und lebende weiße Stiere (ich
zählte deren acht) gingen frei umher. Diese Letzteren
werden für heilig geachtet und dürfen sich ungehindert
überall hinbegeben, ja es ist ihnen sogar nicht verwehrt,
ihren Hunger mit den geopferten Blumen und Frucht-
körnern zu stillen.
Dergleichen heilige Thiere verweilen nicht nur in den
Tempeln, sie gehen auch in den Straßen umher. Die
Leute weichen ihnen ehrerbietig aus und werfen ihnen
mitunter auch Futter zu; doch laffen sie selbe nicht, wie
einst, von dem zum Kaufe ausgestellten Getreide naschen.
– Wenn einer der heiligen Stiere stirbt, so wird er in
den Fluß geworfen oder verbrannt; er genießt hierinnen
gleiche Ehre mit den Hindus.
In dem Tempel befanden sich Männer und Weiber,
die Blumen gebracht hatten, mit welchen sie die Sinnbilder
schmückten und bekränzten. Manche legten auch ein Stück
Geld unter die Blumen. Sie spritzten Gangeswaffer über
171
Sinnbilder und Blumen und freuten Reis - und andere
Getreide - Körner darüber aus.
Nahe am Tempel Visvishas befinden sich die heilig-
ften Stellen der Stadt, der sogenannte „heilige Brun-
nen, und die „Man karnika, ein großes Waffer-
becken. Von ersterem erzählt man folgendes:
Als die Engländer Benares erobert hatten, pflanzten
fie vor dem Eingange eines Tempels eine Kanone auf,
um den Gott Mahadeo zu zerstören. Die Brahminen,
darüber ganz entrüstet, suchten das Volk aufzuwiegeln,
das auch wirklich in zahlreichen Haufen zu dem Tempel
eilte. Die Engländer, um jeden Streit zu verhüten,
sagten zu dem Volke: „Wenn euer Gott stärker ist als
„der Christen Gott, so wird ihm die Kugel nichts an-
„haben; im andern Falle aber wird er zerschmettert nieder-
„stürzen. – Natürlich hatte letzteres statt. „Die Brah-
minen gaben aber ihre Sache nicht verloren und erklärten,
daß sie gesehen hätten, wie vor dem Schuffe der Geist
ihres Gottes das Steinbild verlaffen und sich in den nahen
Brunnen gestürzt habe. – Von dieser Zeit an wird der
Brunnen als heilig betrachtet.
Die Mankar nika ist ein tiefes, mit Steinen
ausgelegtes Wafferbecken von vielleicht sechzig Fuß Breite
und Länge; breite Treppen führen von den vier Seiten
zum Waffer. Man erzählt hier eine ähnliche Geschichte
von dem Gotte Schiwa. Beide Götter, der eine hier
wie der andere in dem Brunnen, halten sich noch heutigen
Tages da auf. Jeder Pilger, der Benares besucht, muß
sich bei seiner Ankunft in diesem heiligen Teiche baden
und dafür eine kleine Gabe entrichten. Zum Empfange
der Gaben sind stets einige Brahminen anwesend. Sie
unterscheiden sich in ihrer Kleidertracht durchaus nicht von
den etwas Wohlhabenderen unter dem Volke; nur ihre
Hautfarbe ist heller und mehrere unter ihnen hatten sehr
edle Gesichtszüge. -
Fünfzig Schritte von diesem Teiche, am Ufer des
Ganges, steht ein ausgezeichnet schöner Hindu-Tempel
mit drei Thürmen. Leider gab vor wenigen Jahren das
Erdreich nach, und die Thürme wurden aus ihrer Stellung
gebracht; der eine neigt sich links, der andere rechts und
der dritte ist beinahe in dem Ganges versunken.
Unter den übrigen tausend und tausend Tempeln und
Tempelchen gibt es zwar hin und wieder einige, die der
Mühe lohnen, im Vorübergehen gesehen zu werden; doch
würde ich Niemanden rathen, ihrethalben große Umwege
zu machen.
Der Verbrennungsplatz für die Todten ist ebenfalls
ganz nahe am heiligen Teiche. Als wir dahin kamen,
röstete man gerade einige Verstorbene, – anders kann
man die Art und Weise der Verbrennung nicht nennen:
die Feuer waren so klein, daß die Körper von allen Seiten
darüber hinaus ragten.
Unter den übrigen Bauten verdient vor allem die
Moschee „Aurang - Zeb die Aufmerksamkeit des
Reisenden. Sie ist ihrer beiden Minarete wegen berühmt,
die, an 150 Fuß hoch, die schlanksten in der Welt sein
sollen. Sie gleichen zweien Nadeln und verdienen diesen
Namen gewiß eher als jene der Cleopatra zu Alexandria
in Egypten. – Schmale Wendeltreppen im Innern
führen bis an die Spitze, auf welcher eine kleine Plattform
173
mit einem fußhohen Geländer angebracht ist. Glücklich
wer dem Schwindel nicht unterworfen ist! Er kann da
hinaustreten und das unendliche Häusermeer mit den zahl-
losen Hindu-Tempeln in Vogelperspective überschauen.
Auch der Ganges mit feinem meilenlangen Treppenquais
liegt aufgedeckt zu den Füßen. An recht heiteren, klaren
Tagen soll man sogar einer fernen Hügelkette ansichtig
werden, – der Tag war schön und heiter; aber die
Hügelkette konnte ich nicht erblicken.
Ein höchst merkwürdiger und kunstvoller Bau ist das Ob-
fervatorium, welches Dfcheifing unter dem geistvollen
Kaiser Akbar vor mehr denn zweihundert Jahren baute.
Man findet da keine gewöhnlichen Fernröhre und Teles-
kope, sondern alle Instrumente sind aus massiven Qua-
der feinen kunstvoll zusammengefügt. Auf einer erhöhten
Terraffe, zu welcher steinerne Treppen führen, stehen zirkel-
runde Tafeln, halb- und viertelzirkelförmige Bogen u.fw.,
die voll Zeichen, Schriften und Linien sind. Mit diesen In-
strumenten machten und machen noch heut zu Tage die Brah-
minen ihre Beobachtungen und Berechnungen in den Ge-
firnen. – Auch jetzt trafen wir mehrere Brahminen eifrig
mit Berechnungen und schriftlichen Aufsätzen beschäftigt.
Benares ist überhaupt auch der Hauptsitz der indi-
fchen Gelehrsamkeit. Unter den Brahminen, sechstausend
an der Zahl, soll es viele geben, die Unterricht in der
Astronomie, in der Sanskrit-Sprache und in andern
wiffenschaftlichen Gegenständen ertheilen.
Eine andere Merkwürdigkeit von Benares sind die
heiligen Affen, die ihren Hauptsitz auf einigen ungeheuren
Mango-Bäumen in der Vorstadt Durgakund haben. Als
174
wir unter den Bäumen anlangten, mochten die Thiere
wohl ahnen, daß wir uns ihretwegen da eingefunden
hatten, denn sie kamen ganz unbesorgt in unsere Nähe;
aber als der Diener, den wir um Futter für sie geschickt
hatten, zurückkehrte, ihnen zurief und sie höflicht zum
Fraße einlud, da mußte man erst sehen, wie das lustige
Völklein von Dächern und Bäumen, aus Häusern und
Gaffen gerannt und gesprungen kam. In einem Augen-
blicke waren wir in engem Kreise von einigen Hunderten
umschlossen, die sich auf die possierlichste Weise um die
ihnen vorgeworfenen Früchte und Körner balgten. Der
größte oder älteste unter ihnen spielte den Commandanten;
wo Streit und Hader war, sprang er hin, theilte Klapse
aus, drohte mit den Zähnen und gab murrende Laute
von sich, worauf die Zänker auch jedesmal gleich ausein-
ander sprangen – es war die größte und possierlichste
Affengesellschaft, die ich je gesehen. – Die Affen waren
über zwei Fuß hoch und von schmutziggelblicher Farbe.
Eines Tages führte mich mein gütiger Wirth, Herr
Luitpold *) nach Sarnath (fünf engl. Meilen von
Benares), wo man einige interessante Ruinen, drei un-
geheure massive Thürme findet. Sie sind nicht von sehr be-
deutender Höhe und liegen auf drei künstlich aufgemauerten
Hügeln, deren jeder eine Meile von dem andern entfernt
ist. Hügel und Thürme sind von großen Ziegeln aufge-
führt. Der größte dieser Thürme ist noch jetzt an vielen
*) Herr L., ein Deutscher, nahm mich hier fehr gastfreund-
lich auf. Er und seine liebenswürdige Gemahlin erwiesen
mir alle nur möglichen Gefälligkeiten und Aufmerksam-
keiten, wofür ich ihnen stets dankbar verbleibe.
175
Stellen mit Steinplatten überkleidet, an welchen man
hin und wieder Spuren schöner Arabesken entdeckt. Viele
Steinplatten liegen als Ruinen am Boden umher. An
den beiden andern Thürmen findet man keine Spur einer
derlei Ueberkleidung. In jedem Thurme ist eine kleine
Thüre und ein einziges Gemach *).
Das englische Gouvernement ließ in jedem Hügel
einen Eingang bis unter den Thurm durchbrechen, in der
Hoffnung, Entdeckungen zu machen, die einige Aufklärung
über diese Bauten geben sollten; man fand aber nichts
als ein leeres unterirdisches Gewölbe.
An einem dieser Thürme breitet sich ein See aus,
der durch Ausgrabung des Erdreiches künstlich geschaffen
ist und durch einen Canal von dem Ganges mit Waffer
versehen wird.
Von diesen Thürmen und von dem See gibt die Sage
eine sehr wahrscheinliche Geschichte an: „In den Zeiten
des grauen Alterthumes regierten hier drei Brüder, drei
Riefen, welche diese Bauten aufführen und den See aus-
graben ließen, und zwar geschah dies alles an einem Tage.
Man muß jedoch wissen, daß ein Tag jener Zeit nach
unserer gegenwärtigen Rechnung zwei Jahre betrug.
Die Riesen waren so groß (was die kleinen Thürme und
Gemächer sehr wahrscheinlich machen), daß sie mit einem
Schritte von einem Thurm zum andern gelangen konnten,
und sie bauten selbe fo nahe, weil sie sich ungemein
liebten und jeden Augenblick zu sehen wünschten.
*) Manche halten diese Thürme für Buddhisten-Tempel; –
die Höhe beträgt bei 70 – der Umfang bei 150 Fuß.
176
Nicht minder interessant als diese Thürme und ihre
merkwürdige Geschichte waren mir einige in der Nähe
angelegte Indigopflanzungen, die ersten die ich zu sehen
bekam.
Die Indigopflanze ist ein strauchartiges Gewächs
von ein bis drei Fuß Höhe, mit blaugrünen zarten Blätt-
chen. Die Ernte fällt gewöhnlich in den Monat August;
die Pflanze wird ziemlich tief am Hauptstamme abge-
fchnitten, in Bündel zusammen gebunden und in große
hölzerne Tonnen gegeben. Man legt Breter darauf, die
man mit großen Steinen beschwert und schüttet Waffer
darüber; nach sechzehn Stunden, oft auch erst in einigen
Tagen, je nach Beschaffenheit des Waffers, fängt das
Ding an zu gähren. In diesem Gährungsprozeffe besteht
die Hauptschwierigkeit, und alles kommt darauf an, ihn
nicht zu kurz oder zu lange währen zu laffen. Wenn das
Waffer eine dunkelgrüne Farbe hat, wird es in andere
hölzerne Kübel abgeleitet, mit Kalk versetzt und mit
hölzernen Schaufeln so lange gemischt, bis sich ein blauer
Satz vom Waffer scheidet. Hierauf läßt man die Maffe
sich setzen und das Waffer davon ablaufen; die zurück-
bleibende Substanz, d. i. der Indigo, wird in lange
leinene Beutel gegeben, durch welche die Feuchtigkeit
gänzlich durchsickert. Sobald der Indigo trocken und er-
härtet ist, wird er in Stücke gebrochen und verpackt.
Kurz vor meiner Abreise hatte ich durch die Ver-
mittlung meines Reisegefährten, Herrn Lau, das Ver-
gnügen, dem Rajah (Prinz) von Benares vorgestellt zu
werden. Er wohnt in der Citadelle Ramnaghur, die
am linken Ufer des Ganges oberhalb der Stadt liegt.
T77
An dem Ufer des Ganges erwartete uns ein herrlich
geschmücktes Boot, am jenseitigen Ufer ein Palankin.
Bald befanden wir uns am Eingange des Palastes, dessen
Thorweg hoch und majestätisch ist. Ich hoffte im In-
nern durch den Anblick großer Höfe, schöner Bauten über-
rascht zu werden, sah aber nur unregelmäßige Höfe und
kleine unsymmetrische Gebäude ohne allen Geschmack und
Lurus. In einem der Höfe befand sich zu ebener Erde
eine einfache Säulenhalle, welche als Empfangssaal diente.
Diese Halle war mit europäischen Möbeln, mit Glas-
lustres und Lampen ganz überfüllt, an den Wänden hingen
erbärmliche Bildchen in Glas und Rahmen. Im Hofe
wimmelte es von Dienerschaft, die uns mit großer Auf-
merksamkeit betrachtete. Nun erschien der Prinz in Be-
gleitung seines Bruders, einiger Gesellschafter und
Diener ; letztere waren von den Gesellschaftern kaum zu
unterscheiden.
Die beiden Prinzen waren sehr reich gekleidet; sie
hatten weite Hosen, lange Unter- und kurze Ober-Kleider,
alles von golddurchwirktem Atlas. Der Aeltere (35 Jahre
alt) trug ein golddurchwirktes Seidenkäppchen, dessen
Rand mit Diamanten besetzt war, an den Fingern hatte
er einige große Brillant-Ringe, seine seidenen Schuhe
waren mit schönen Goldstickereien überdeckt. Sein Bruder
ein Jüngling von neunzehn Jahren, den er an Kindes statt
angenommen hatte*), trug einen weißen Turban mit,
*) Wenn einem Hindu kein Knabe geboren wird, nimmt er
einen aus der Verwandtschaft an Kindes statt an, damit
dieser bei dem Leichenbegängniffe des Adoptiv-Vaters die
Pflichten eines Sohnes erfüllt.
Pfeiffers Reise 11. Th. 12
78
einer kostbaren Agraffe von Diamanten und Perlen, an
den Ohren hatte er große Perlen hängen und um die
Handgelenke reiche, schwere Armbänder. Der ältere Prinz
war ein schöner Mann mit überaus gutmüthigen und auch
geistvollen Gesichtszügen; der jüngere gefiel mir bei
weitem weniger.
Kaum hatten wir Platz genommen, als man große,
silberne Becken mit zierlich gearbeiteten Nargilehs brachte
und uns zu rauchen einlud. Wir dankten für diesen
Hochgenuß und der Prinz rauchte allein; er machte aus
ein und demselben Nargileh immer nur einige Züge,
hierauf ersetzte ein anderes, schöneres, das so eben
gebrauchte.
Das Benehmen des Prinzen war voll Anstand und
Lebhaftigkeit, – schade, daß wir nur mittelst eines
Dolmetschers mit ihm verkehren konnten. Er ließ mich
fragen, ob ich schon einen Natsch (Festtanz) gesehen habe.
Auf meine verneinende Antwort ertheilte er sogleich den
Befehl, einen solchen aufzuführen.
Nach einer halben Stunde erschienen zwei Tänzerin-
nen (Devedassi) und drei Musikanten. Die Tänzerinnen
waren in bunten, goldgestickten Muffelin gekleidet, hatten
seidene, golddurchwirkte, weite Beinkleider an, die bis
an den Boden reichten und die unbeschuhten Füße ganz
überdeckten. Von den Musikanten wirbelte der eine auf
zwei kleinen Trommeln, die beiden andern strichen vier-
faitige, unsern Violinen ähnliche Instrumente. Sie
fanden knapp hinter den Tänzerinnen und spielten ohne
Melodie und Harmonie; die Tänzerinnen machten dabei
fehr lebhafte Bewegungen mit den Armen, Händen und
179
Fingern, weniger mit den Füßen – an letztern trugen
sie silberne Schellen, die sie zeitweise ertönen ließen. Mit
den Oberkleidern machten sie schöne, graziöse Drapierun-
gen und Figuren. Diese Aufführung währte ungefähr
eine Viertelstunde, worauf sie den Tanz mit Gesang be-
gleiteten. Die beiden Sylphiden kreischten so erbärmlich,
daß mir für mein Gehör und Nervensystem bange
wurde.
- Während der Aufführung wurden uns Süßigkeiten,
Früchte und Sherbet (ein kühlendes, süßsäuerliches Ge-
tränk) geboten.
Nach Beendigung des Tanzes ließ mich der Prinz
fragen, ob ich einen Garten zu besuchen wünschte, der
eine Meile vom Palaste entfernt läge. Ich war so in-
diskret, auch diesen Antrag anzunehmen.
In Begleitung des jungen Prinzen begaben wir uns
auf den Vorplatz des Palastes, wo schön geschmückte Ele-
phanten bereit standen. Des älteren Prinzen Leib-Ele-
phant, ein Thier von seltener Größe und Schönheit, war
für mich und Herrn Lau bestimmt. Eine scharlachrothe
Decke mit Quasten, Fransen und golddurchwirkten Bor-
ten überdeckte beinahe das ganze Thier. Auf dem breiten
Rücken war ein bequemer Sitz angebracht, den ich mit
einem Phaeton ohne Räder vergleichen möchte. Der
Elephant mußte sich zur Erde legen, eine bequeme Stufen-
leiter wurde angelehnt und Herr Lau und ich nahmen auf
dem Unthiere Platz. Hinter uns saß ein Diener, der
einen ungeheuer großen Sonnenschirm über unsere Häupter
hielt. Der Treiber saß auf dem Halle des Thieres, und
- 12 k.
T180
fach dieses mit einem spitzigen Eisenstabe zeitweise zwi-
fchen die Ohren.
Der junge Prinz, feine Gesellschafter und Diener
verheilten sich auf die andern Elephanten. Einige Offi-
riere zu Pferde ritten uns zur Seite, zwei Soldaten mit
gezogenem Säbel liefen dem Zuge voran, um Platz zum
schaffen, und mehr denn ein Dutzend Soldaten zu Fuß,
ebenfalls mit gezogenem Säbel, umgaben uns; einige
reitende Soldaten schloffen den Zug.
Obwohl die Bewegung des Elephanten eben so er-
schütternd und unangenehm ist wie jene des Kamehles, so
machte mir diese ächt indische Partie dennoch eine unge-
meine Freude. -
An Ort und Stelle angekommen, schien des jungen
Prinzen stolzer Blick uns zu fragen, ob wir über die
Pracht des Gartens nicht höchst entzückt wären. Unser
Entzücken war leider nur ein erheucheltes, denn der Gar-
ten war gar zu einfach um viel Lob zu verdienen. –
Im Hintergrunde des Gartens fand ein etwas ruinen-
hafter königlicher Sommerpalast.
Als wir den Garten verlaffen wollten, brachten uns
die Gärtner schön gebundene Blumensträußchen und köst-
liche Früchte, – eine in ganz Indien übliche Sitte.
Außerhalb des Gartens liegt ein sehr großes Waffer-
becken, mit schönen Quadersteinen ausgelegt, breite Trep-
pen führen zu dem Waffer, und an den Ecken stehen
herrliche Kioske mit ziemlich gut gearbeiteten Reliefs.
Der Rajah von Benares erhält von der englischen
Regierung eine jährliche Pension von ein Lak, das ist
100.000 Rup. Eben so viel soll er von feinen Ländereien
181
beziehen und defen ohngeachtet ganz verschuldet sein.
Die Ursachen davon sind: der große Lurus in Klei-
dern und Schmuck, die vielen Frauen, die zahllose
Dienerschaft, die Menge von Pferden, Kamehlen und
Elephanten u. fw. Man erzählte mir, daß dieser Prinz
vierzig Frauen, bei tausend Diener und Soldaten, hun-
dert Pferde, fünfzig Kamehle und zwanzig Elephanten
besitze. –
Am folgenden Morgen ließ sich der Rajah erkundi-
gen, wie mir der Ausflug bekommen sei, und fandte
mir bei dieser Gelegenheit Backwerk, Süßigkeiten und die
auserlesensten Früchte, darunter Weintrauben und Granat-
äpfel, die in dieser Jahres eit unter die Seltenheiten
gehören, – sie kommen von Kabul, das bei sieben-
hundert engl. Meilen von hier entfernt ist.
Schließlich muß ich noch bemerken, daß in dem
Palaste, welchen der Rajah bewohnt, schon seit vielen
Jahren kein Mensch gestorben ist. Die Ursache hier-
von soll folgende sein: „Einer der Beherrscher dieses
Palastes frug einst einen Brahminen, was aus der Seele
desjenigen würde, der im Palaste stürbe. Der Brah-
mine antwortete, sie käme ins Himmelreich. Neunund-
neunzigmal wiederholte der Rajah dieselbe Frage und
erhielt immer dieselbe Antwort. Als er aber zum hun-
dertsten Male frug, da verlor der Brahmine die Geduld
und antwortete, sie würde in einen Esel fahren.“ –
Seit jener Zeit flieht Jedermann, vom Prinzen bis zum
geringsten Diener, den Palast, sobald er sich unwohl
fühlt. Keiner will nach dem Tode die Rolle fortspielen,
182
die er in diesem Leben vielleicht oft schon so meisterhaft
begonnen hat.
Ich hatte in Benares zweimal Gelegenheit, soge-
nannte Märtyrer unter den Fakiren (eine Priesterseete
der Hindus) zu sehen. Diese Märtyrer legen sich die
mannigfaltigsten Qualen auf: die laffen sich z. B. einen
eisernen Hacken durch das Fleisch stechen und bis zu einer
Höhe von zwanzig bis fünfundzwanzig Fuß aufziehen; sie
stehen mehrere Stunden des Tages auf einem Beine
und strecken die Arme dabei in die Lüfte oder sie halten
in verschiedenen Stellungen schwere Lasten oder drehen
sich stundenlang im Kreise, zerfleischen ihren Körper u.fw.
Oft quälen sie sich dermaßen, daß sie dem Tod bald erliegen.
Diese Märtyrer werden vom Volke noch so ziemlich ver-
ehrt; jedoch gibt es heut zu Tage nur wenige mehr.
Einer von den beiden, die ich sah, hielt eine schwere Hacke
über den Kopf und hatte dabei die gebückte Stellung
eines Arbeiters angenommen, der Holz spaltet. Ich
beobachtete ihn über eine Viertelstunde, er verharrte in
der gleichen Stellung so fest und ruhig, wie wenn er in
Stein verwandelt gewesen wäre, – er mochte wohl schon
jahrelang diese nützliche Beschäftigung geübt haben. –
Der andere hielt die Fußspitze an die Nase.
Eine andere Seite dieser Fakire legt sich die Buße
auf, wenig und nur die ekelhafteste Nahrung zu ge-
nießen: Fleisch von gefallenem Vieh, halbverfaulte Ve-
getabilien, Unrath jeder Art, ja sogar Schlamm und
Erde; sie sagen, es sei ganz gleich, mit was man den
Magen stopfe.
Die Fakire gehen alle so viel wie ganz entblößt,
183
bestreichen ihren Körper mit Kuhdung, das Gesicht nicht
ausgenommen, und überstreuen sich dann mit Asche ;
Brust und Stirne bemalen sie mit den Sinnbildern des
Schiwa und Vichnu, die struppigen Haare färben sie
dunkelrohbraun. Man kann nicht leicht etwas häßlicheres
und widerlicheres sehen als diese Priester. Sie gehen in
allen Straßen umher und predigen überall und was ihnen
einfällt; sie stehen aber bei weitem nicht in der Achtung
wie die Märtyrer.
Einer der Herren, die ich in Benares kennen lernte,
war so gütig, mir einige Bemerkungen über die Verhält-
niffe des Bauers zu der Regierung mitzutheilen. Der
Bauer hat keinen Grundbesitz, er ist nur Pächter. Alles
Land gehört entweder der englischen Regierung, der ost-
indischen Compagnie oder den eingebornen Fürsten. Die
Länder werden im Großen verpachtet, die Hauptpächter
zerstückeln sie in kleine Partien und überlaffen diese dem
Bauer. Das Schicksal des letzteren hängt gänzlich von
der Güte oder Härte des Oberpächters ab. Dieser macht
die Preise des Pachtschillings; er fordert die Summe oft
zu einer Zeit, wo die Frucht noch nicht geerndtet ist und
der Bauer nicht zahlen kann; der Arme ist dann gezwungen,
um den halben Preis die ungereifte Saat auf dem Felde
zu verkaufen, die der Pächter gewöhnlich unter dem
Namen eines andern an sich zu bringen weiß. Dem un-
glücklichen Bauer bleibt oft kaum so viel, um sich und den
Seinigen das Leben zu fristen.
Gesetze un Richter gibt es freilich im Lande, und
T84
wie ich überall sagen hörte, sollen die Gesetze gut, die
Richter gerecht sein; aber eine andere Frage ist, ob der
Arme auch immer bis zu dem Richter gelangt. Die Di-
strikte sind groß, der Bauer kann nicht eine Reise von
fiebzig bis achtzig oder noch mehr Meilen unternehmen.
Und selbst wenn er in der Nähe wohnt, dringt er nicht
immer bis zu des Richters Stuhl. Der Geschäfte sind so
viele, daß der Richter selbst sich nicht mit allen Einzeln-
heiten befaffen kann; und gewöhnlich ist er der einzige
Europäer im Amte, – das übrige Personale besteht aus
Hindus und Mohamedanern, deren Charakter – eine
traurige Wahrheit – immer schlechter wird, je mehr sie
mit Europäern verkehren oder in Verbindung stehen.
Wenn daher der Bauer der Gerichtshalle naht, ohne eine
Gabe zu bringen, wird er gewöhnlich abgewiesen, feine
Schrift oder Klage wird nicht angenommen, nicht ange-
hört; – und wo soll der von dem Pächter Ausgesogene
die Gabe hernehmen? Der Bauer weiß und kennt dies,
er geht daher selten klagen. -
Ein Engländer (leider entfiel mir ein Name), der
Indien wissenschaftlich bereist hat, bewies, daß die Bauern
jetzt mehr zu leisten haben als früher unter ihren einge-
bornen Fürsten.
Auch hier in Indien unter der sogenannten „frei-
finnigen englischen Regierung kam ich zur traurigen
Ueberzeugung, daß die Lage des Sclaven in Brasilien
beffer ist als die des freien Bauers hier. Der Sclave
dort hat für keine Bedürfniffe zu sorgen, auch wird ihm
nie zu viel Arbeit aufgebürdet, da der Nutzen des Herrn
darunter am meisten leiden würde, denn ein Sclave kostet
185
sieben bis achthundert Gulden und der Vortheil des Eigen-
thümers erfordert es daher, ihn gut zu behandeln, um
ihn lange zu erhalten. Daß es Fälle gibt, in welchen der
Sclave tyrannisch behandelt wird, ist nicht zu leugnen;
doch ereignet sich dies äußerst selten.
In der Umgebung von Benares wohnen mehrere
deutsche und englische Missionäre, die fleißig nach der
Stadt gehen, um da zu predigen. Bei einer dieser Missions-
anstalten ist sogar ein christliches Dörfchen, welches einige
zwanzig Hindusfamilien zählt. Deffen ohngeachtet macht
das Christenthum beinah gar keine Fortschritte*). Bei
jedem der Missionäre erkundigte ich mich angelegentlich
uach der Anzahl der Hindus oder Mohamedaner, die er
im Laufe seiner Missionszeit getauft habe, – gewöhnlich
hieß es „ Keinen – höchst selten. „Einen.“ Die
oben erwähnten einige zwanzig getauften Familien rühren
von 1831 her, als beinahe in ganz Indien die Cholera,
das Nervenfieber, die Hungersnoth wüthete, – die
Leute starben dahin, und viele Kinder blieben elternlos
und irrten umher ohne Dach und Fach zu finden. Dieser
nahmen sich die Missionäre an und erzogen sie in der christ-
lichen Religion. Sie wurden in allen Handwerken unterrich-
tet, bekamen ihre eigenen Wohnsitze, man verheirathete sie
*) Der Abscheu der Indier gegen die Europäer rührt größ-
tentheils daher, weil letztere keine Ehrfurcht vor den Kühen
haben, Rindfleisch effen, Branntwein trinken, daß sie in den
Häusern, ja sogar in den Tempeln ausspucken, den Mund
mit den Fingern waschen u. . w.; sie nennen die Europäer
„Parangi.“ Diese Verachtung soll dem Hindu auch die
christliche Religion verhaßt machen.
186
und sorgt noch jetzt für ihren Unterhalt. Die Abkömm-
linge dieser Familien werden von den Missionären fort-
während unterrichtet und streng beaufsichtiget; neu Hinzu-
kommende finden sich aber leider nicht.
Ich wohnte einigen Prüfungen bei; Knaben und
Mädchen waren im Lesen, Schreiben, Rechnen, in Reli-
gion, Geographie u. f. w. ganz gut unterrichtet. Die
Mädchen machten künstliche Stickereien, sie strickten sehr
gut und nähten Weißzeug aller Art, – die Knaben
und Männer verfertigten Teppiche, Tischler-, Buchbinder-,
Buchdrucker-Arbeiten u. a. m. Der Director und Pro-
feffor dieser schönen Anstalt ist der Missionär Herr Luit-
pold; seine Frau hat die Oberaufsicht über die Mädchen.
Alles ist höchst finnig und verständig eingerichtet und ge-
leitet, – Herr und Frau L. nehmen sich mit wahrer
Chriftenliebe ihrer Zöglinge an. Was sind aber einige
Tröpfchen im unermeßlichen Meere! –
Allahabad, Agra und Heikki.
Allahabad. Caunipoor. Agra. Das Mausoleum des Sultans Akbar,
Tajh - Mahal. Die Ruinenstadt Fatipoor - Sikri. Delhi. Die
Hauptstraße Oeffentliche Aufzüge. Der Palast des Kaisers. Pa-
läfte und Moscheen. Die Fürstin Bigem. Alt-Delhi. Merkwürdige
Ruinen. Die englische Militär-Station.
Won Benares fuhren wir, Herr Lau und ich, in
einem Postdock*) nach Allahabad; die Entfernung beträgt
76 engl. Meilen, die man in zwölf bis dreizehn Stun-
den bequem zurücklegt. Am 7. Jänner 1848 Abends
fechs Uhr verließen wir die heilige Stadt und am frühen
Morgen befanden wir uns schon in der Nähe von Alla-
habad an einer langen Schiffbrücke, die hier über den
Ganges führt.
Wir verließen den Postdock und ließen uns in Trag-
palankinen nach dem noch eine Meile entfernten Hôtel
bringen. Daselbst angekommen fanden wir es von den
Officieren eines auf dem Marsche befindlichen Regimentes
*) „Dock“ ist ein bequemer Palankin für zwei Personen,
der auf Räder gesetzt und von zwei Pferden gezogen wird.
188
so besetzt, daß man meinen Reisegefährten nur unter der
Bedingung annahm, sich mit einem Plätzchen im Speise-
zimmer zu begnügen. Unter diesen Umständen blieb mir
nichts anderes übrig, als von einem Empfehlungsbrief
an Dr. Angus Gebrauch zu machen.
Meine Ankunft setzte den guten alten Herrn nicht
wenig in Verlegenheit, auch sein Haus war bereits mit
Reisenden überfüllt; seine Schwester, Madame Spencer,
bot mir aber alsogleich mit großer Freundlichkeit die
Hälfte ihres eigenen Schlafgemaches an.
Allahabad, mit 25.000 Einwohnern, liegt theils
am Jumna (Dschumna), theils an dem Ganges. Die
Stadt gehört nicht zu den großen und schönen, obwohl
fie auch zu den heiligen Städten gezählt und von vielen
Pilgern besucht wird. Die Europäer wohnen außerhalb
der Stadt in schönen Gartenhäusern.
Unter den Merkwürdigkeiten zeichnet sich vor allem
das Fort mit dem Palaste aus, das unter Sultan Akbar
erbaut wurde. Es liegt an der Mündung des Jumna in
den Ganges.
Das Fort wurde von den Engländern durch neue
Werke sehr verstärkt,– es dient jetzt zum Hauptwaffenplatz
des britischen Indiens.
Der Palast ist ein ziemlich gewöhnliches Gebäude,
nur einige der Säle sind merkwürdig durch ihre innere
Eintheilung. So gibt es solche, die von drei Säulen-
gängen durchschnitten sind und drei in einander grei-
fende Arkadengänge bilden. In andern führen einige
Stufen in kleine Gemächer, die sich in dem Saale selbst
befinden und großen Theaterlogen gleichen.
189
Jetzt ist der Palast zur Rüstkammer verwendet, –
40.000 Mann können da vollkommen gerüstet werden,
und an schwerem Geschütze fehlt es auch nicht.
In einem der Höfe steht eine sechsunddreißig Fuß
hohe metallene Säule, Feroze – Schachs-Laht genannt,
die sehr gut erhalten, mit Schriftzeichen ganz bedeckt ist,
und auf deren Spitze ein Löwe steht.
Eine zweite Merkwürdigkeit in dem Fort ist ein ganz
kleines, unbedeutendes Tempelchen, – jetzt ziemlich ver-
fallen, – das von den Hindus für sehr heilig gehalten
wird; zu ihrem größten Leidwesen dürfen sie es nicht be-
suchen, da das Fort für sie verschloffen ist. Einer der
Officiere erzählte mir, daß vor kurzem ein sehr reicher
Hindu hierher gepilgert kam und dem Festungs-Com-
mandanten 20,000 Rup. anbieten ließ, wenn er ihm
erlaubte in diesem Tempelchen eine Andacht zu verrichten.
Der Commandant konnte es nicht gestatten.
Auch dieses Fort hat seine Sage: „Als Sultan Akbar
den Bau anfing, stürzte sogleich jede Wand wieder ein.
Ein Orakelspruch sagte, daß man mit dem Baue nicht
eher zu Stande kommen werde, als bis sich ein Mann
freiwillig dem Tode opfere. Ein solcher stellte sich und
machte die einzige Bedingniß, daß die Festung und Stadt
feinen Namen führen sollte. Der Mann hieß Brog, und
von den Hindus wird noch heut zu Tage die Stadt
häufiger „Brog“ als Allahabad genannt.
Dem Andenken des heldenmüthigen Mannes ward
ein Tempel nahe der Festung unter der Erde geweiht,
wo er auch begraben liegt. Viele Pilger kommen jährlich
dahin. Der Tempel if stockfinster, man muß mit Lichtern
190
oder Fackeln hinein gehen. Im Ganzen gleicht er einem
großen, schönen Keller, dessen Decke auf vielen einfachen
Steinpfeilern ruht. Die Wände sind voll Nischen, die
alle von Göttern oder deren Sinnbildern bewohnt sind.
Als größte Merkwürdigkeit wird ein blattloser Baum
gezeigt, der in dem Tempel wuchs und sich einen Durch-
gang durch die Steindecke schuf -
Noch besah ich einen großen, schönen Garten, in
welchem vier mohamedanische Mausoleen stehen. Das
größte enthält einen Sarcophag von weißem Marmor,
welcher mit hölzernen Galerien, höchst reich und zierlich
mit Perlmutter ausgelegt, umgeben ist. Hier ruht
Sultan Koshru, Sohn des Jehanpuira. In zwei kleineren
Sarcophagen ruhen Kinder des Sultans. Die Wände
sind mit steifen Blumen und erbärmlichen Bäumen be-
malt, zwischen welchen es auch Inschriften gibt.
Eine Stelle an einer der Wände ist von einem klei-
nen Vorhange überdeckt; der Führer schob ihn mit tiefer
Andacht zur Seite und zeigte mir den Abdruck einer
koloffalen flachen Hand. Er erzählte mir, daß einst ein
Ur-Ur-Enkel Mohameds hierher gekommen sei, seine
Andacht zu verrichten. Er war mächtig groß und schwer-
fällig; als er aufstand, stützte er sich an der Wand und
der Abdruck der heiligen Hand blieb zurück.
Diese vier Monumente sollen über 250 Jahre zählen;
sie sind von großen Quadersteinen aufgeführt und mit
Arabesken, Friesen, Reliefs u. . w. reichlich versehen.
Das Grabmahl Koshrus und der Abdruck der Hand wer-
den von den Mohamedanern sehr verehrt.
Mir gefiel der Garten beffer als die Monumente,
19
und zwar der ungeheuern Tamarinden - Bäume
halber. Ich dachte, in Brasilien die größten gesehen zu
haben; allein hier scheint das Erdreich oder vielleicht das
Klima dieser Baumgattung noch günstiger zu sein. Nicht
nur der Garten ist voll solcher Pracht-Exemplare, auch
um die Stadt ziehen sich herrliche Alleen. Die Tama-
rinden Allahabadºs werden selbst in geographischen Wer-
ken angeführt. - -
An einer Seite der hohen Mauer, die den Garten
umgibt, sind zwei Serais angebaut, die sich durch hohe,
schöne Portale, Größe und zweckmäßige Einrichtung aus-
zeichnen. Es war hier außerordentlich belebt: man sah
Menschen in allen Trachten, Pferde, Ochsen, Kamehle
und Elephanten, und eine große Menge Waaren in
Kisten, Ballen und Säcken.
10. Jänner. Um drei Uhr Nachmittags verließen
wir Allahabad und setzten unsere Reise im Postdock,
kleine Unterbrechungen abgerechnet, bis Agra fort. Die
Entfernung beträgt an dreihundert engl. Meilen.
In zweiundzwanzig Stunden hatten wir Caunipoor
(150 Meil.) am Ganges erreicht, ein Städtchen, das sich
durch europäische Niederlaffungen auszeichnet.
Die Reise bis hierher bot wenig Abwechslung: eine
ununterbrochene, reich bepflanzte Ebene und eine wenig
belebte Straße. Außer einigen Militärzügen begegneten
wir keinem Reisenden.
Ein Militärzug in Indien sieht einer kleinen Völker-
wanderung ähnlich, und leicht kann man sich, hat man
einen solchen gesehen, einen Begriff von den ungeheuren
Zügen der persischen oder anderer asiatischen Armeen
192
machen. Der größte Theil der eingebornen Soldaten ist
verheirathet, eben so die Officiere (Europäer); wenn sich
daher ein Regiment in Bewegung setzt, so gibt es beinahe
der Weiber und Kinder so viele als der Soldaten. Weiber
und Kinder reiten zu zweien bis dreien auf Pferden oder
Ochsen, oder sitzen auf Karren, oder wandern zu Fuß
neben her mit Bündeln auf dem Rücken. Sie haben all
ihr Hab und Gut auf Karren gepackt und treiben ihre
Ziegen und Kühe vor sich her. Die Officiere folgen mit
ihren Familien in kleinen Zwischenräumen in europäischen
Wagen, in Tragpalankin’s oder zu Pferde. Ihre Zelte,
Hauseinrichtung u..w. sind auf Kamehle und Elephanten
gepackt, die gewöhnlich den Zug schließen. Die Lager
werden an beiden Seiten des Weges aufgeschlagen, auf
der einen Seite sind die Leute, auf der andern die Thiere.
Caunipoor ist eine starke Militär - Station mit
vielen schönen Casernen; auch ist hier eine bedeutende
Missionsgesellschaft. Die Stadt besitzt einige schöne Schul-
und Privat-Gebäude und eine christliche Kirche in rein
gothischem Style. -
12. Jänner. Gegen Mittag erreichten wir das kleine
Dörfchen Beura. Wir fanden hier einen Bongolo, d.i.
ein Häuschen mit zwei bis vier Zimmern, die kaum mit
den nöthigsten, einfachsten Möbeln versehen sind. Diese
Bongolos liegen an den Poststraßen und dienen statt der
Gasthäuser. Sie sind vom Gouvernement errichtet. Eine
einzelne Person zahlt für ein Zimmerchen per Tag eine
Rup., eine Familie zwei Rupien. Die Bezahlung ist, ob
man vierundzwanzig Stunden oder eine halbe Stunde
verweilt, in den meisten Bongolos dieselbe, nur in
193
wenigen begnügt man sich bei kurzen Aufenthalten mit
dem halben Preis. Bei jedem Bongolo ist ein Einge-
borner als Aufseher aufgestellt, welcher die Reisenden
bedient, für sie kocht u. f. w. Die Controlle wird mittelst
eines Buches, in welches sich jeder Reisende einschreiben
muß, genau geführt. – Wenn es keine Reisenden gibt,
kann man bleiben so lange es einem gefällt, im entgegen-
gesetzten Falle aber muß man nach vierundzwanzig Stun-
den den Platz räumen. -
Die Ortschaften, die an dem Wege liegen, sind
klein und sehen sehr armselig und dürftig aus. Sie sind
von hohen Lehmwänden umgeben, was ihnen den Anstrich
einer Befestigung gibt.
Am 13. Jänner, nachdem wir im Ganzen drei
Nächte und zwei und einen halben Tag gefahren waren,
erreichten wir Agra, die einstige Residenz der Groß-
Mogule Indiens.
Die Vorstädte Agra's gleichen an Armseligkeit den
elenden Dörfern: hohe Erdwälle oder Lehmwände, da-
zwischen kleine baufällige Hütten und Baraken; anders
gestaltete es sich aber, als wir durch ein stattliches Thor
fuhren – wir befanden uns plötzlich auf einem großen,
offenen Platze, der mit Mauern umgeben war und von
welchem vier hohe Thore nach der Stadt, der Festung
und den Vorstädten führten.
Agra besitzt, wie die meisten Städte Indiens, keinen
Gasthof. Ein deutscher Missionär nahm mich liebreich
auf und fügte seiner Gastfreundschaft die für mich noch
werthvollere Gefälligkeit hinzu, mir persönlich die Sehens-
würdigkeiten der Stadt und Umgebung zu zeigen.
Pfeiffers Reise II. Th. 13
9.
Unser erster Besuch galt dem herrlichen Mausoleum
des Sultans „Akbar“ zu Secundra (vier engl. Meilen
von Agra). - -
Schon die Eingangspforte, durch welche man in den
Garten gelangt, ist ein Meisterwerk. Lange blieb ich
bewundernd davor stehen. Das mächtige Gebäude liegt
auf einer Steinterraffe, auf welche breite Treppen führen,
die Pforte ist hoch und ein imposanter Dom wölbt sich
darüber. An den vier Ecken stehen Minarete von weißem
Marmor, drei Stockwerke hoch; leider sind ihre obersten
Theile schon etwas eingesunken. An der vordern Seite
der Pforte sieht man noch Reste einer Steinwand, die
durchbrochen gearbeitet ist.
Das Mausoleum steht mitten im Garten; es bildet
ein Viereck von vier Stockwerken, die pyramidenartig
nach oben schmäler werden. Der erste Anblick dieses Mo-
numentes ist nicht sehr überraschend, denn man hat die
Schönheit der Eingangspforte noch zu sehr im Gedächt-
niffe; doch steigt die Bewunderung, je mehr man in die
Einzelheiten eingeht.
Das untere Stockwerk ist mit schönen Arkaden um-
geben, die Gemächer sind einfach, die Wände mit weißem,
glänzenden Cement überkleidet, der den Marmor ersetzen
foll; einige Sarcophage stehen darin.
Das zweite Stockwerk besteht aus einer großen Terraffe,
die das ganze untere Gebäude überdeckt, auf ihrer Mitte
erhebt sich ein offenes, luftiges Gemach, das von Säulen
getragen und mit einem leichten Dache überwölbt ist.
Viele kleine Kioske in den Ecken und Seiten der Terraffe
geben dem Ganzen ein etwas bizarres, aber geschmackvolles
/
195
Ansehen. Die niedlichen Kuppeln der Kioske mußten
einst sehr reich und glänzend gewesen sein, denn noch jetzt
sieht man an vielen schöne Reste von bunten Thonglasuren
und eingelegten weißen Marmorstreifen.
Das dritte Stockwerk gleicht dem zweiten.
Das vierte und oberste ist das schönste; es ist ganz
von weißem Marmor, während die drei unteren nur von
rothem Sandsteine sind. Breite, gedeckte Arkadengänge,
deren äußere Marmorgitter unnachahmlich schön gearbeitet
find, bilden ein offenes Viereck, über das sich die schönste
Decke – der blaue Himmel – wölbt. Hier steht der
Sarcophag, der die Gebeine des Sultans enthält. Ueber
den Bogen der Arkadengänge sind Sprüche aus dem Koran
in Schriftzügen von schwarzem Marmor eingelegt.
Ich glaube, daß dieses das einzige mohamedanische
Monument ist, in welchem der Sarcophag auf der Höhe
des Gebäudes in einem unüberdeckten Raume steht.
Der Palast der mongolischen Sultane befindet sich
in der Citadelle; er soll zu den vorzüglichsten Bauten
mongolischer Architectur gehören *).
Die Festungswerke haben einen Umfang von beinahe
zwei engl. Meilen und bestehen aus zwei- und dreifachen
Mauern, von welchen die äußere eine Höhe von fünfund-
siebenzig Fuß haben soll.
-
*) Viele der indischen Städte neuerer Zeit stammen von den
Mongolen her, oder sind von ihnen so verändert worden,
daß sie ihren ursprünglichen Charakter ganz verloren haben.
Indien wurde schon im zehnten Jahrhundert von den
Mongolen erobert.
13
196
Das Innere ist in drei Haupthöfe geheilt. In dem
ersten wohnten die Garden, in dem zweiten die Officiere
und hohen Beamten, in dem dritten, der die Seite gegen
den Jumna einnimmt, liegen die Paläste, die Bäder,
Harems und einige Gärten. In diesem Hofe ist alles
von weißem Marmor. Die Wände der Zimmer in den
Palästen sind mit Halbedelsteinen als: Achaten, Oniren,
Jaspiffen, Karniolen, Lapis-Lafolien u. f. w. mosaik-
artig eingelegt; sie stellen Blumengefäße, Vögel, Ara-
besken und andere Figuren dar. Zwei Gemächer ohne
Fenster sind ausschließend auf den Effect der Beleuchtung
berechnet. Die Wände, die gewölbten Decken sind mit
Glimmerschiefer in schmalen versilberten Rähmchen aus-
gelegt; Wafferfälle stürzen über Glaswände, hinter wel-
chen Lichter angebracht werden können, und Wafferstrahlen
steigen in Mitte der Gemächer auf. Schon ohne Be-
leuchtung flimmerte und schimmerte es gar wunderbar;
wie mochte es erst ein, als unzählige Lämpchen und
Lichter ihren Glanz tausendfältig zurückstrahlten. – Wenn
man ähnliches sieht, begreift man leicht die bilder-
reichen Schilderungen der Orientalen, die Erzählungen
von „Tausend und Einer Nacht. – Solche Paläste,
solche Gemächer könnte man wahrlich für Zauberwerke
halten.
Neben dem Palaste steht eine kleine Moschee, die
ebenfalls ganz von weißem Marmor aufgeführt und reich
und kunstvoll mit Arabesken, Reliefs u. f. w. ausge-
stattet ist.
Bevor wir die Festung verließen, führte man uns
in einen tiefen Unterraum, den ehemaligen Schauplatz
197
der heimlichen Hinrichtungen. – Wie viel unschuldiges
Blut mag da vergoffen worden sein! –
Die Jumna - Mof chee, von welcher Sachver-
ständige behaupten, daß sie die herrliche Solimans-Moschee
in Constantinopel übertreffen soll, liegt außerhalb der
Festung, nahe am Jumna, auf einer hohen Steinterraffe.
Sie ist aus rotbem Sandstein, besitzt drei wundervolle
Kuppeln und wurde von Sultan Akbar erbaut. In den
Wölbungen sieht man Reste kostbarer Malereien in licht-
und dunkelblauer Farbe, mit Goldstreifen durchzogen.
Schade, daß diese Moschee in einem etwas zerstörten
Zustande ist; hoffentlich aber wird dem bald abgeholfen
sein, da die englische Regierung bereits Ausbesserungen
vornehmen ließ.
Von der Moschee begaben wir uns zurück nach der
Stadt, die größtentheils von Schutt umgeben ist. Die
Hauptstraße „Sander ist breit und reinlich, in der Mitte
mit Quadersteinen, an den Seiten mit Ziegeln gepflastert.
An die beiden Ausgänge dieser Straße schließen sich maje-
fätische Stadtthore. Die Häuser der Stadt (ein bis vier
Stockwerke hoch) sind fast durchgehends von rothem Sand-
stein, die meisten klein, aber viele darunter mit Säulen,
Pfeilern und Galerien umgeben. Mehrere zeichnen sich
durch schöne Portale aus. Die Nebengaffen alle sind enge,
krumm und häßlich, die Bazare unbedeutend, – in In-
dien wie im Oriente muß man die kostbaren Waaren im
Innern der Häuser suchen. – Einst soll die Bevölkerung
dieser Stadt 800.000 Seelen betragen haben, jetzt rechnet
man sie kaum auf 60,000.
Die ganze Umgebung ist voll Ruinen. Dem, der
198
etwas zu bauen hat, kosten die Materialien nur die kleine
Mühe sie vom Boden aufzulesen. Manche Europäer be-
wohnen halbverfallene Ruinen, die sie mit wenig Mühe
und Kosten in niedliche Paläste verwandeln.
Agra ist der Hauptsitz zweier Miffions-Gesellschaften,
einer katholischen und einer protestantischen. Sie unter-
richten hier wie in Benares die Abkömmlinge der im
Jahre 1831 aufgefundenen Kinder. Man wies mir ein
kleines Mädchen, das erst kürzlich einer armen Mutter
um zwei Rup. abgekauft wurde. -
An der Spitze der katholischen Mission steht ein Bi-
schof; der jetzige, Herr Porgi, ist der Schöpfer einer
geschmackvoll gebauten Kirche und eines schönen Wohn-
hauses. In keiner ähnlichen Anstalt sah ich so viel Ord-
nung und die Eingebornen so gut gehalten wie hier. Des
Sonntags nach den Betstunden unterhalten sie sich mit
anständigen, munteren Spielen, während die in den pro-
testantischen Anstalten, nachdem sie die ganze Woche ge-
arbeitet haben, des Sonntags den ganzen Tag beten müffen
und zu ihrem Vergnügen höchstens einige Stunden mit
ruhiger, ernster Miene vor den Hausthüren sitzen dürfen.
Wenn man in diesem Lande unter ächten Protestanten
einen Sonntag zubringt, so sollte man wahrlich glauben,
Gott der Allgütige habe den Menschen auch die un-
fchuldigte Unterhaltung versagt.
Diese beiden gottgeweihten Gesellschaften stehen
sich leider etwas schroff entgegen und bekritteln und
verfolgen jede geringe Abweichung, wodurch sie den um
sie lebenden Eingebornen gerade kein fehr gutes Bei-
spiel geben.
199
Mein letzter Besuch galt dem bewunderten Kleinode
Agra's, ja ganz Indiens, dem weltberühmten Taj-Mahal
(Tatsch-Mahal).
Ich hatte in einem Buche gelesen, daß man dieses
Monument zuletzt besuchen solle, da man, wenn man es
gesehen habe, die andern nicht mehr bewundern könne.
– Kapitän Elliot sagt: „Es ist schwer eine Beschreibung
„dieses Monumentes zu geben; der Bau ist voll Kraft
„und Eleganz.“
Taj-Mahal wurde von dem Sultan Jehoe (Dschehoe)
dem Andenken seiner Favoritin Muntáza - Zemani
errichtet. Der Bau soll 750.000 Pf, Sterling gekostet
haben. Eigentlich ist des Sultans Andenken durch diesen
Bau mehr verewigt worden, als jenes der Favoritin,
denn Jeder, der dieses Werk sieht, wird unwillkürlich
nach dem Namen des Herrschers fragen, unter dessen
Machtspruche es hervorging. “ Die Namen der Architecten
und Baumeister gingen leider verloren. Manche wollen es
italienischen Meistern zuschreiben; wenn man aber so viel
andere vollkommene Werke mohamedanischer Baukunst
sieht, müßte man ihr entweder alle absprechen, oder auch
dieses zuerkennen.
Das Monument steht mitten in einem Garten, auf
einer zwölf Fuß hohen, freistehenden Terraffe von rothen
Sandsteinen. Es stellt eine Moschee vor, bildet ein Achteck
mit hochgewölbten Bogengängen und ist fammt den vier
Minareten, die an den Ecken der Terraffen stehen, ganz
aus weißem Marmor erbaut. Die Hauptkuppel erhebt
sich zur Höhe von zweihundert sechzig Fuß und ist von
vier kleineren Kuppeln umgeben. Ringsherum an den
200
Außenseiten der Moschee sind Sprüche aus dem Koran
in Schriftzügen von schwarzem Marmor eingelegt.
In dem Hauptgemache stehen zwei Sarcophage, wo-
von der eine die Reste der Favoritin, der andere die des
Sultans enthält. Die untern Theile der Wände dieses
Gemaches, so wie die beiden Sarcophage sind mit kost-
barer Mosaik in den schönsten Halbedelsteinen ausgelegt.
Ein großes Kunstwerk ist ein Marmorgitter von sechs Fuß
Höhe, das die beiden Sarcophage umgibt: es besteht aus
acht Theilen oder Wänden, die alle so zart, fein und
durchbrochen gearbeitet sind, daß man glaubt, sie seien
aus Elfenbein gedrechselt. Die niedlichen Säulen, die
schmalen Gesimse sind ebenfalls oben und unten mit
Halbedelsteinen ausgelegt; man wies uns darunter den
fogenannten „Goldstein, der eine vollkommen gold-
gelbe Farbe hat, und sehr kostbar sein soll, ja kostbarer
als Lapis-Lasoli.
Zwei Eingangspforten und zwei Moscheen stehen
in geringer Entfernung des Taj-Mahal; sie sind von
rothem Sandstein und weißem Marmor. – Stünden sie
allein, so würde man jedes als Meisterwerk betrachten;
fo aber verlieren sie durch die Nähe des Taj-Mahal, von
welchem ein Reisender mit vollem Rechte sagt: „Er ist
zu rein, zu heilig, zu vollkommen um von Menschen-
händen geschaffen zu sein, – Engel müffen ihn vom
Himmel gebracht haben, und einen Glassturz sollte man
darüber decken, um es gegen jeden Hauch, gegen jeden
Lufzug zu schirmen.“ –
Dieses Mausoleum, obwohl es schon über 250 Jahre
2)
feht, ist so vollkommen erhalten, als ob es erst beendet
worden wäre. –
Manche Reisende behaupten, daß der Taj-Mahal
bei Mondbeleuchtung einen zauberhaften Effect hervor-
bringe. Ich sah ihn bei vollem Mondscheine, war aber
fo wenig entzückt davon, daß ich es sehr bereute durch
diesen Anblick den ersten Eindruck etwas geschwächt zu
haben. Bei alten Ruinen oder gothischen Gebäuden macht
die Mondbeleuchtung einen magischen Effect; nicht so bei
einem Monumente, das ganz aus weißem, glänzendem
Marmor besteht. Letzteres verschwimmt bei Mondbe-
leuchtung in unsichere Maffen und erscheint theilweise wie
mit zartem Schnee überdeckt. Jener, der dies zuerst von
dem Taj-Mahal behauptete, hat ihn vielleicht in einer
Gesellschaft besucht, die ihn so sehr entzückte, daß er alles
um sich herum himmlisch und überirdisch fand; und andere
mögen es bequemer gefunden haben, statt selbst zu prü-
fen, das zu wiederholen, was ihre Vorgänger behauptet
haben.
Einer der interessantesten Ausflüge meiner ganzen
Reise war der nach der Ruinen-Stadt „Fattipoor-Sikri,
die achtzehn engl. Meilen von Agra entfernt liegt und
einen Umfang von sechs engl. Meilen hat.
Wir fuhren dahin und hatten unterlegte Pferde be-
stellt, um die Partie in einem Tage machen zu können.
Der Weg führt zeitweise durch ausgedehnte Haiden;
in einer derselben sahen wir eine kleine Heerde Antilo-
pen. – Die Antilopen, eine Art Rehe, sind etwas
202
kleiner als diese, äußerst zart und niedlich gebaut und
längs des Rückens mit schmalen, dunkelbraunen Streifen
gezeichnet. Sie setzten ohne große Scheu vor uns über
die Straße, über Gräben und Gebüsche, machten Sprünge
von mehr denn zwanzig Fuß und dabei waren ihre Be-
wegungen so anmuthig, daß es schien als ob sie durch
die Luft tanzten. Nicht minder erfreute mich der Anblick
eines wilden Pfauenpaares. Es gewährt ein ganz eigen-
thümliches Vergnügen, Thiere im freien Zustande zu
sehen, die wir Europäer gewohnt sind als Seltenheiten
gleich den erotischen Gewächsen in Käfigen und andern
engen Räumen zu bewahren.
Der Pfau ist hier im Naturzustande etwas größer
als ich ihn in Europa sah; auch kam mir das Farbenspiel,
der Glanz des Gefieders schöner und lebhafter vor.
Dieser Vogel wird von dem Indier beinahe so heilig
gehalten wie die Kuh. Die Thiere scheinen diese Humani-
tät ordentlich zu verstehen, denn man sieht sie wie das
Hausgeflügel in den Dörfern herum spazieren oder auf
den Dächern gemächlich der Ruhe pflegen. In manchen
Gegenden sind die Indier für diese Thiere so eingenom-
men, daß es kein Europäer wagen dürfte, nach ihnen zu
schießen, ohne sich den größten Beleidigungen auszusetzen.
Erst vor vier Monaten fielen zwei englische Soldaten als
Opfer dieser Nichtachtung der hindostanischen Gebräuche.
Sie tödteten einige Pfauen, das Volk fiel wuthentbrannt
über die Mörder und mißhandelte sie dermaßen, daß sie
kurze Zeit darnach starben.
Fattipoor-Sikri liegt auf einem Hügel, man sieht
daher die Festungsmauern, die Moscheen und andere
203
Gebäude schon von ferne. Die Ruinen beginnen schon
eine kleine Strecke außerhalb des Walles; an beiden Sei-
ten des Weges liegen Reste von Häusern oder einzelnen
Gemächern, Fragmente schöner Säulen u. f. w. Mit
großem Bedauern sah ich die Eingebornen viele der-
felben behauen und zu Baumaterialien für ihre Häuser
bearbeiten.
Ueber Gerölle und Trümmer ging es durch drei
schöne Thore in die Festung und Stadt. Der Anblick den
man hier hat, ist viel ergreifender als jener zu Pompeji
bei Neapel. Dort ist zwar auch alles zerstört, aber es
ist eine andere, eine geordnete Zerstörung, – – Gaffen
und Plätze sehen so reinlich aus, als wären sie gestern
erst verlaffen worden. Häuser, Paläste und Tempel sind
vom Schutte gesäubert, – ja die Geleise der Wagen
find sogar unversehrt geblieben. Auch liegt Pompeji in
einer Ebene, man übersieht es nicht mit einem Blicke
und feine Ausdehnung ist kaum halb so groß, wie die
Sikris; die Häuser sind kleiner, die Paläste nicht so zahl-
reich und bescheidener in Pracht und Größe. Hier aber
liegt ein großer, weiter Raum aufgedeckt, überfüllt mit
Prachtgebäuden, mit Moscheen und Kiosken, mit Pa-
lästen, Säulenhallen und Arkaden, mit Allem was die
Kunst zu schaffen vermochte, und kein einziges Stück ent-
ging unversehrt der nagenden Zeit, Alles zerfiel in Trüm-
mer und Schutt. Man kann sich des Gedankens eines
fürchterlichen Erdbebens kaum erwehren, und doch ist es
kaum mehr als zweihundert Jahre, daß die Stadt noch
in Pracht und Reichthum erglänzte. Freilich war sie
nicht von schützender Asche überdeckt wie Pompeji, sondern
2()
lag frei und offen allen Stürmen und Gewittern ausge-
fetzt. Wehmuth und Erstaunen wuchs bei jedem Schritte,
den ich vorwärts that – Wehmuth über den schrecklichen
Verfall, Erstaunen über die noch sichtbare Pracht, über
die Anhäufung von großartigen Gebäuden, über die herr-
lichen Sculpturen und die reiche Ausschmückung. Ich sah
Gebäude, deren Innen- und Außenseiten mit Sculpturen
fo überdeckt waren, daß auch nicht der kleinste Raum leer
blieb. Die Hauptmoschee übertrifft an Größe und kunst-
vollem Bau noch die Jumna-Moschee in Agra. Die Ein-
gangspforte in den Vorhof soll die höchste der Welt sein;
die innere Wölbung des Thores mißt zweiundsiebenzig
Fuß, die Höhe des Ganzen beträgt hundert und vierzig
Fuß. Der Vorhof der Moschee gehört ebenfalls zu den
größten, feine Länge beträgt vierhundert fechsunddreißig,
die Breite vierhundert acht Fuß; er ist mit schönen Arka-
dengängen und kleinen Zellen umgeben. Dieser Vorhof
wurde beinahe für so heilig gehalten wie die Moschee
selbst, und zwar weil an einer Stelle desselben Sultan
Akbar „der Gerechte - eine Andacht zu verrichten
pflegte*). Nach seinem Tode wurde diese Stelle durch
eine Art Altar bezeichnet, der in weißem Marmor wun-
der voll ausgearbeitet ist.
Die Moschee selbst, im Style der Jumna-Moschee
*) Akbar, der vortrefflichste Fürst seiner Zeit nicht nur in
Indien, sondern in ganz Afien, wurde im Jahre 1542
geberen und bestieg schon im vierzehnten Jahre den Thron
Seiner ausgezeichneten Güte und Gerechtigkeit, so wie
feines großen Verstandes wegen wurde er fast abgöttisch
verehrt und geliebt.
205
erbaut, hat wie jene drei mächtige Dome. Das Innere
ist voll von Sarcophagen, in welchen entweder Ver-
wandte oder bevorzugte Minister des Sultans Akbar
liegen. Auch in einem Nebenhofe fehlt es nicht an ähn-
lichen Grabmälern.
In der Halle der Gerechtigkeit, Dewanaum,
brachte Sultan Akbar täglich mehrere Stunden zu, er-
theilte darin dem geringsten wie dem vornehmsten seiner
Unterthanen Audienz. Eine in der Mitte der Halle
freistehende, oben abgeplattete Säule bildete den Divan
des Kaisers. Die Säule, deren Kapitol wundervoll
ausgehauen ist, wird nach oben zu breiter und ist von
einer fußhohen schön gearbeiteten Steingallerie umgeben.
Von dem Divan führten vier breite Steingänge oder
Brückchen in die anstoßenden Gemächer des Palastes.
Des Sultans Paläste zeichnen sich weniger durch
besondere Größe als durch Sculpturen, Säulen u. dgl.
aus. Alle sind reich, ja man könnte sagen, überreich
damit versehen.
Weniger fand ich an dem berühmten Elephanten-
Thore zu bewundern. Das Thor ist zwar hochgewölbt,
doch nicht so hoch als die Eingangspforte in den Vorhof
der Moschee; die beiden Elephanten davor, die vollkom-
men kunstgerecht in Stein ausgehauen waren, sind so
sehr verfallen, daß man kaum mehr erkennt, was, sie
vorstellen.
Beffer erhalten ist der sogenannte Elephanten-
Thurm, von welchem einige Beschreibungen erzählen,
daß er nur allein aus Elephantenzähnen zusammen ge-
etzt sei, und noch dazu blos aus den Zähnen jener
206
Elephanten, die unter Alkbar dem Feinde entrungen
oder vom Sultan auf Jagden erlegt worden seien. Dies
ist aber nicht der Fall; der Thurm, bei sechzig Fuß hoch,
ist von Steinen aufgemauert und die Zähne sind von oben
bis unten daran befestigt, so daß sie gleich Stacheln davon
abstehen.
Akbar soll häufig auf der Spitze dieses Thurmes
geseffen und nach Vögeln geschoffen haben.
Alle Gebäude, selbst der mächtig große und lange
Wall, sind von rohem Sandstein, aber nicht, wie eben-
falls. Viele behaupten, von rothem Marmor, erbaut.
In den Spalten und Löchern der Gebäude haben
viele hunderte kleiner, grüner Papageien ihre Nester
aufgeschlagen.
Am 19. Jänner verließ ich, und zwar abermals in
Gesellschaft Herrn Lau's, die berühmte Stadt Agra,
um die noch berühmtere Stadt Delhi zu besuchen, die 122
engl. Meilen von Agra entfernt ist. Auch bis Delhi führt
eine herrliche Poststraße.
Die Gegend zwischen Agra und Delhi bleibt ziemlich
unverändert; weit und breit ist kein Hügelchen zu erspähen;
angebautes Land wechselt mit Haide- und Sandstrecken
und die erbärmlichen Dörfchen oder Städtchen, die am
Wege liegen, erregten durchaus keinen Wunsch in uns,
die Fahrt auch nur auf Augenblicke zu unterbrechen.
In der Nähe des Städtchens Gassinager führt eine
lange, schöne Kettenbrücke über den Jumma.
Am 20. Jänner Nachmittags vier Uhr trafen wir in
Delhi ein. Ich fand hier an Dr. Sprenger einen gar
207“
lieben und freundlichen Landsmann. Hr. Dr. Sprenger,
ein geborner Tyroler, hat sich durch feine ausgezeichneten
Fähigkeiten und Kenntniffe nicht nur unter den Englän-
dern, sondern in der ganzen gelehrten Welt einen be-
deutenden Ruf erworben. Er ist als Direktor des hiesigen
Studien-Collegiums angestellt und erhielt vor Kurzem
von der englischen Regierung die Aufforderung, nach
Luknau zu gehen, um die dortige Bibliothek des indischen
Königs von Luknau zu untersuchen, die werthvollen Werke
bekannt zu machen und das Ganze zu ordnen. Der
Sanskrit-, der alt- und neuperfischen, der türkischen,
arabischen und hindostanischen Sprache vollkommen mäch-
tig, liefert er die fchwierigsten Uebersetzungen von diesen
in die englische und deutsche Sprache. Er beschenkte die
Literatur bereits mit werthvollen und geistreichen Aufsätzen
und wird noch viel des Interessanten liefern, da er
äußerst thätig und ein Mann von kaum vierunddreißig
Jahren ist. -
Obwohl die Abreise Herrn Sprenger's nach
Luknau ganz nahe war, so hatte er nichts desto weniger
die für mich unschätzbare Güte, meinen Mentor zu machen.
Wir fingen mit der großen Kaiserstadt Delhi an,
mit jener Stadt, auf welche einst alle Blicke nicht nur
Indiens, sondern fast ganz Asiens gerichtet waren. Sie
war ihrer Zeit für Indien was Athen für Griechenland,
Rom für Europa. Auch jetzt heilt sie deren Geschick, –
fie hat von all ihrer Größe nur den Namen behalten.
Das jetzige Delhi wird Neu-Delhi genannt, obwohl
es schon seit zwei Jahrhunderten steht; es ist eine Fort-
fetzung der alten Städte, deren es sieben gegeben haben
208
foll und von welchen jede Delhi hieß. So oft nämlich
die Paläste, Festungsmauern, Moscheen u. f. w. baufällig
wurden, ließ man sie in Ruinen zerfallen und führte neue
Bauten neben den alten auf. Auf diese Art häuften sich
hier Ruinen über Ruinen, welche über sechs engl. Meilen
in der Breite und achtzehn in der Länge einnehmen sollen.
Wenn nicht schon ein großer Theil davon mit einer dünnen
Erdschichte überdeckt wäre, würden diese Ruinen gewiß
die ausgebreitesten der Welt fein. - - -
Neu-Delhi liegt am Jumna; es hat nach Brückners
Erdbeschreibung eine Bevölkerung von 500.000 Seelen*);
soll aber in Wirklichkeit nur wenig über 100.000 zählen,
darunter hundert Europäer. Die Straßen sind so breit
und schön, wie ich deren noch in keiner indischen Stadt
gesehen habe. Die Hauptstraße, Tschandni-Tschauk,
würde jeder europäischen Stadt Ehre machen: sie ist bei
drei Viertel engl. Meilen lang und an hundert Fuß breit;
ein schmaler, wafferarmer, halb verschütteter Kanal durch-
schneidet sie der Länge nach. Die Häuser in der Haupt-
fraße zeichnen sich weder durch Größe noch Pracht aus,
sie sind höchstens fockhoch und unten mit erbärmlichen Vor-
dächern oder Arkaden versehen, unter welchen werthlose
Waaren ausgestellt sind. Von den kostbaren Waaren-
lagern, von den vielen Edelsteinen, die des Abends bei
Lampen und Lichtern, wie viele Reisende erzählen, so
unvergleichlich schimmern sollen, fah ich nichts. Die
hübschen Häuser und die reichen Waarenlager muß man
in den am Bazar gelegenen Seitengaffen suchen. Die
*) Zur Zeit der höchsten Blüthe hatte es zwei Millionen.
209
Kunstprodukte, welche ich da fah, befanden in Gold-
und Silberarbeiten, in Goldstoffen und Shawlen. Die
Gold- und Silberwaaren verfertigen die Eingebornen so
geschmack - und kunstvoll, daß man sie in Paris nicht
schöner finden kann. Die goldgewobenen Stoffe, die
Gold- und Seidenstickereien auf Stoffen und Kaschmir-
Shawlen sind höchst vollkommen. Die feinsten Kaschmir-
Shawle kosten hier an Ort und Stelle bis vier tausend
Rupien. Noch viel mehr ist die Geschicklichkeit der Hand-
werker zu bewundern, wenn man sieht, mit welch ein-
fachen Mitteln und Werkzeugen sie all die Kunstwerke
hervor zu bringen verstehen.
Aeußerst interessant ist es, sich des Abends in den
Hauptstraßen Delhis umher zu treiben. Da sieht man
so recht das Leben und Treiben der indischen Großen und
Reichen. In keiner Stadt gibt es so viele Prinzen und
Vornehme wie hier. Außer dem pensionierten Kaiser
jammt seinen Verwandten, deren Zahl sich auf mehrere
Tausend belaufen soll, leben noch andere abgesetzte
pensionierte Regenten und Minister hier. Diese bringen
viel Leben in die Stadt; sie zeigen sich gerne öffentlich,
veranstalten häufig größere und kleinere Partien, reiten
(stets auf Elephanten) entweder in nahe Gärten oder des
Abends in den Straßen auf und nieder. Bei Tagespar-
tien sind die Elephanten auf das kostbarste mit Teppichen
und schönen Stoffen, mit Goldtreffen und Troddeln ge-
schmückt, die Sitze, Hauda genannt, sind sogar mit
Kaschmir-Shawls ausgelegt, reich verbrämte Baldachine
schützen gegen die Sonne, oder Diener halten ungeheure
Schirme aufgespannt. Die Prinzen und Vornehmen fitzen,
Pfeiffers Reise II. Th. 14
21(!)
zu zwei bis vier in solch einer Hauda und sind sehr reich
orientalisch gekleidet. Diese Züge gewähren den schönsten
Anblick: und sind noch größer und reicher als jener des
Raja von Benares, den ich beschrieb. Ein Zug besteht
oft aus einem Dutzend oder mehr Elephanten, und fünfzig
bis sechzig Soldaten zu Fuß und zu Pferde, aus eben so
viel Dienern u. dgl. Des Abends dagegen machen diese
Herren ihre Partien mit wenig Pomp, – ein Elephant
nebst einigen Dienern genügt ihnen; sie reiten in den
Gaffen auf und nieder und cokettieren mit Mädchen einer
gewiffen Klaffe, die in großem Putze mit unverschleierten
Gesichtern an offenen Fenstern oder Galerien sitzen. An-
dere tummeln edle arabische Roffe, deren stolzes Ansehen
durch goldgestickte Decken, durch das mit Silber eingelegte
Zaumwerk, noch mehr gesteigert wird. Dazwischen schrei-
ten bedächtig hochbeladene Kamehle, von weit entfernten
Gegenden kommend, und auch an Baili"s fehlt es nicht,
die mit prachtvollen weißen Buckelochsen (Bison) bespannt
sind, deren sich die minder Reichen oder die obgenannten
Mädchen bedienen. Die Baili's, so wie die Ochsen, sind
mit scharlachrothen Decken überhangen; die Thiere haben
die Hörner und die untere Hälfte der Füße mit brauner
Farbe bemalt und um den Hals ein schönes Band, an
welchem Schellen oder Glocken befestigt sind. Die nied-
lichten Mädchen gucken höchst bescheiden aus den halb-
geöffneten Baili's. Wüßte man nicht, zu welcher Klaffe
in Indien unverschleierte Mädchen gehören, so würde
man, ihrem Benehmen nach, gewiß nicht ihren Stand
erkennen. Leider soll es dieser Geschöpfe in Indien mehr
als in irgend einem Lande geben; die Hauptursache hiervon
211
ist ein widernatürliches Gesetz, ein empörender Gebrauch.
Die Mädchen jeder Familie werden gewöhnlich als Kinder
von einigen Monaten verlobt; wenn nun der Bräutigam
zufällig gleich nach der Verlobung oder auch später stirbt,
wird das Kind oder Mädchen als Witwe betrachtet und
darf als solche nicht mehr heirathen. Sie werden dann
gewöhnlich Tänzerinnen. – Der Witwenstand wird für
ein großes Unglück angesehen, weil man glaubt, daß nur
jene Weiber in diesen Zustand versetzt werden, die es in
einem vorhergehenden Leben verdient hätten. Der Indier
darf nur ein Mädchen aus feinem Stamme heirathen.
Zu all den beschriebenen Sehenswürdigkeiten auf den
Straßen gehören noch die Gaukler, Taschenspieler und
Schlangenbändiger, die sich überall herumtreiben und
stets von Haufen. Neugieriger umgeben sind.
Von Gauklern sah ich einige Stücke, die mir wirk-
lich unbegreiflich schienen. Sie spien Feuer aus dem
Munde, wobei auch Rauch hervorging; sie mengten
weißes, rothes, gelbes und blaues Pulver durcheinander,
verschluckten es, und spien gleich darauf jedes trocken,
in abgesonderter Farbe aus; sie schlugen die Augen nieder
und als sie selbe wieder erhoben, erschien der Augenstern
wie von Gold, dann neigten sie den Kopf vor und als
fie ihn erhoben, hatte der Augenstern seine natürliche
Farbe, dagegen waren die Zähne von Gold. Andere
machten sich eine kleine Oeffnung in die Haut am Körper
und zogen daraus viele, viele Ellen Zwirn, Seidefaden
und schmale Bändchen heraus. Die Schlangenbezähmer
hielten die Thiere am Schwanze und ließen sich felbe um
Arme, Hals und Körper winden, – sie faßten große
14*
212
Scorpionen an und ließen sie über die Hand kriechen.
Auch einige Kämpfe sah ich zwischen großen Schlangen
und Jchneumons. Dieses Thierchen, wenig größer als
ein Wiesel, lebt bekanntlich von Schlangen und von den
Eiern der Crocodile, – erstere weiß es so geschickt am
Nacken zu faffen, daß sie stets unterliegen; die Eier der
Crocodile saugt es aus.
- Am Ende der Hauptstraße liegt der kaiserliche Palast,
der zu einem der schönsten Gebäude Asiens gerechnet wird.
Er nimmt mit seinen Nebengebäuden über zwei engl.
Meilen ein und ist mit einem vierzig Fuß hohen Walle
umgeben.
Einen schönen Anblick gewährt am Haupteingange
die Perspective durch mehrere aufeinander folgende Thore,
die weit im Hintergrunde durch eine niedliche Halle ge-
fchloffen wird. Diese Halle ist klein, von weißem Mar-
mor und mit Halbedelsteinen eingelegt, die Decke ist mit
Marienglas überwölbt, auf welches kleine Sternchen ge-
malt sind. Leider wird sie bald um all ihren schimmern-
den Glanz kommen, denn der größte Theil des Glases ist
bereits herausgefallen und der andere wird bald nach-
folgen. Im Hintergrunde der Halle befindet sich eine
Thüre von vergoldetem Metall, die mit eingeäzten Zeich-
mungen herrlich verziert ist. In dieser Halle pflegt sich
der Ermonarch dem Volke zu zeigen, das noch manchmal
aus angewohnter Achtung oder aus Neugierde den Palast
besucht, – auch die Besuche von Europäern empfängt
er hier.
Die schönsten Theile des kaiserlichen Palastes sind
der von jedermann bewunderte, prächtige Audienzsaal
213
(Divan) und die Moschee. Ersterer steht in der Mitte
eines freien Hofraumes, bildet ein längliches Viereck,
deffen Decke von dreißig Säulen getragen wird und ist
von allen Seiten offen; einige Stufen führen zu ihm
hinauf und eine zwei Fuß hohe, niedlich gearbeitete Mar-
morgallerie umgibt ihn.
Der jetzige Großmogul hat so wenig Sinn für Schön-
heit, daß er diesen Divan durch eine ganz erbärmliche
Breterwand in zwei Theile theilen ließ. Eine ähnliche
Wand schließt sich – zu welchem Zwecke konnte ich nicht
errathen – vorne an beiden Seiten des Saales an und
somit kann man von ihm fagen, daß er ganz in Breter
eingerahmt ist. Ein großer Schatz befindet sich in diesem
Divan: der größte Krystall der Welt. Es ist dieß ein
Block von ungefähr vier Fuß Länge, zwei ein halb Fuß
Breite und ein Fuß Dicke*); er ist sehr durchsichtig.
Dieses Cabinetstück diente den Kaisern als Thron oder
Sitz im Divan. Jetzt ist es hinter der graziösen Breter-
wand verborgen und wenn ich nicht aus Büchern feine
Existenz gewußt und es zu sehen begehrt hätte, würde
man es mir gar nicht gezeigt haben. -
Die Moschee ist zwar klein, aber gleich dem Ge-
richtssaal von weißem Marmor mit schönen Säulen und
Sculpturen.
Unmittelbar an die Moschee schließt sich der Garten
„Schalinaru an, der einst zu den schönsten in Indien ge-
hört haben soll, jetzt aber ganz im Verfalle ist.
*) Einige Schriftsteller geben diesen Krystall-Koloß gar auf
fünfundzwanzig Fuß Länge an.
214
In den Höfen lag viel Schmutz und Unrath, die
Gebäude glichen halben Ruinen und erbärmliche Baracken
stützten sich an schadhafte Mauern. Der kaiserlichen
Residenz wegen wäre es sehr nöthig, bald wieder ein
neues Delhi zu erbauen; dagegen fehlt es nicht an Be-
weglichkeit.
Schon bei meinem Eintritte in den Palast hatte ich
in einem der Höfe einen Kreis von Menschen versammelt
gesehen. Eine Stunde später, als wir von der Besich-
tigung des Palastes zurückkamen, saßen sie noch beisam-
men. Wir traten näher um zu sehen was ihre Aufmerk-
famkeit so fehr feßle: es waren einige Dutzend gezähmter
Vögelchen, die auf Stangen faßen und den Wärtern das
Futter aus den Händen nahmen oder sich darum streiten
mußten. Die Zuseher waren, wie man uns sagte, fast
durchgehends Prinzen. Mehrere saßen auf Stühlen, an-
dere fanden in Gemeinschaft mit ihrem Gefolge darneben.
In ihrem Hausanzuge unterscheiden sich die Prinzen von
ihrer Dienerschaft sehr wenig, auch an Bildung und Kennt-
niffen sollen sie wenig vor ihnen voraus haben.
Eine nicht viel beffere Spielerei belustigt den Kaiser;
es ist dies ein Militär, das aus Knaben von acht bis
vierzehn Jahren besteht. Sie tragen erbärmliche Uni-
formen, die an Schnitt und Farbe den englischen gleichen;
ihre Exercitien werden theils von alten Officieren, theils
von Knaben geleitet. Ich bedauerte die junge Krieger-
schaar von Herzen und begriff kaum, wie es ihnen möglich
war die schweren Gewehre und Fahnen zu handhaben.
Für gewöhnlich fitzt der Monarch täglich einige Stunden
in der kleinen Empfangshalle und unterhält sich an den
Maneuvres seiner jungen Krieger. Bei dieser Gelegenheit
ist es auch am leichtesten Sr. Majestät vorgestellt zu wer-
den. Der fünfundachtzigjährige Greis war aber gerade
unwohl und so wurde mir das Glück nicht zu Theil, ihn
zu sehen.
Der Kaiser bezieht von der englischen Regierung
eine jährliche Pension von 14 Luk (1,400,000 Rupien).
Die Einkünfte seiner Grundbesitzungen betragen die Hälfte;
jedoch mit alledem kommt er so wenig aus wie der Raja
von Benares. – Er hat eine zu große Menge Menschen
zu erhalten – allein über dreihundert Abkömmlinge der
kaiserl. Linie, über hundert Frauen und mehr denn zwei-
tausend Dienstleute. Rechnet man dazu die vielen Ele-
phanten, Kamehle, Pferde u. f. w., so wird man leicht
begreifen, daß seine Kaffe immer leer ist.
Jeden ersten des Monats erhält der Monarch feine
Pension, die unter dem Schutze des englischen Militärs
an die Kaffe gebracht werden muß, da sie sonst von den
Gläubigern gestürmt würde.
Der Kaiser soll sehr darauf bedacht sein, seine Ein-
künfte auf verschiedene Weise zu steigern. So ertheilt er
z. B. Ehrenstellen und Aemter, für welche er sich bedeu-
tende Summen Geldes geben läßt. Und – sollte man es
glauben! – stets finden sich Narren genug, die für der-
gleichen Albernheiten Geld ausgeben. Eltern kaufen sogar
Officierstellen für ihre Knaben. Der jetzige Comman-
dant der kaiserl. Truppen zählt kaum zehn Jahre. Das
Merkwürdigste aber ist, daß der Verzier (Minister), der
des Kaisers Einnahmen und Ausgaben besorgt, nicht nur
keinen Gehalt bezieht, sondern dem Kaiser für diese Stelle
216
noch jährlich 10.000 Rup. gibt. – Was mögen dafür
Summen unterschlagen werden! – -
Der Kaiser gibt in seinem Palaste eine eigene Zei-
tung heraus, die im höchsten Grade lächerlich und komisch
ist. Da wird nichts von Politik oder auswärtigen Be-
gebenheiten verhandelt, sondern ausschließend von den
häuslichen Vorfällen, Gesprächen und Verhältniffen. So
meldet das Blatt z. B. „daß des Sultans Gemahlin A. der
„Waschfrau B. drei Rup. schulde und die Waschfrau heute
oder gestern gekommen sei, die Schuld einzufordern; die
„hohe Frau habe zum kaiserlichen Gemahl gesandt, sich
„diese Summe zu erbitten. Der Kaiser habe sie an den
„Schatzmeister gewiesen, dieser habe aber versichert, daß,
„da der Monat zu Ende gehe, er über keinen Heller mehr
„befehlen könne; die Waschfrau sei daher auf den nächsten
„Monat zu verweisen. – Oder: „Der Prinz C. besuchte
„zu dieser und jener Stunde den Prinzen D. oder F., er
„wurde in diesem oder jenem Zimmer empfangen, ver-
„weilte so und so lange, – das Gespräch handelte von
„diesem oder jenem Gegenstandet u. f. w.
Unter den übrigen Palästen der Stadt ist jener, in
welchem sich das Collegium befindet, einer der schönsten.
Er ist in italienischem Style erbaut, wahrhaft majestätisch,
die Säulen sind von seltner Höhe, der Treppenaufgang
(halbes Erdgeschoß), die Säle und Zimmer sehr groß und
hoch. Ein schöner Garten umgibt die hintere Seite des
Palastes, ein großer Hof die Vorderseite und eine hohe
Festungsmauer das Ganze. – Dr. Sprenger, als
Director des Collegiums, hat darin eine wahrhaft fürst-
liche Wohnung zu seiner Benützung.
-
217
Der Palast der Fürstin Bigem, halb im italienischen,
halb im mongolischen Style, ist ziemlich groß und zeichnet
sich durch seine vorzüglich schönen Säle aus. Ein hübscher,
bisher noch gut unterhaltener Garten umgibt ihn von
allen Seiten.
Die Fürstin Bigem machte zur Zeit als Delhi noch
nicht unter englische Herrschaft gehörte, durch ihren Ver-
fand, ihren Unternehmungsgeist und ihre Tapferkeit viel
Aufsehen. Sie war von Geburt eine Hindu, lernte in
ihrer Jugend einen Deutschen, Herrn Sombar, ken-
nen, in welchen sie sich verliebte und ging zur christlichen
Religion über, um ihn zu heirathen. Herr Sombar
bildete aus Eingebornen einige Regimenter, die er, als sie
gut eingeübt waren, dem Kaiser zuführte. In der Folge
wußte er sich so sehr in die Gunst des Kaisers zu setzen,
daß dieser ihn mit großen Gütern beschenkte und zum
Fürsten erhob. Seine Frau soll ihm in Allem kräftig zur
Seite gestanden haben. Nach seinem Tode wurde sie zur
Befehlshaberin der Regimenter ernannt, welche Stelle sie
mehrere Jahre höchst ehrenvoll bekleidete. – Sie starb
erst kürzlich in einem Alter von achtzig Jahren.
Von den zahlreichen Moscheen Neu-Delhis besah
ich nur zwei, die Moschee Roshun-ud-dawla und die
Jumna-Moschee. Erstere liegt in der Hauptstraße; ihre
Spitzen und Kuppeln sind ächt vergoldet. Sie wurde
durch die Grausamkeit Schach Nadir's berühmt. Dieser
ausgezeichnete, aber fürchterlich grausame Monarch ließ,
als er Delhi im Jahre 1739 eroberte, 100 000 der
Einwohner niederhauen, bei welchem Schauspiele er auf
einem der Thürme dieser Moschee als Zuschauer geseffen
218
haben soll. Die Stadt wurde hierauf angezündet und
geplündert.
Die Jumna-Moschee, von Schach Djihan erbaut,
wird ebenfalls für ein Meisterwerk mohamedanischer Bau-
kunft betrachtet; sie erhebt sich auf einer ungeheuren Platt-
form, zu welcher vierzig Stufen hinaufführen und ragt
wahrhaft majestätisch aus der sie umgebenden Häusermaffe.
Ihre Symmetrie ist überraschend. Die drei Dome und
die kleinen Kuppeln an den Minareten sind von weißem
Marmor, alles übrige, selbst die großen Platten, mit
welchen der schöne Vorhof ausgelegt ist, von rothem
Sandstein. Die eingelegten Zierrathen und Streifen an
der Moschee sind ebenfalls von weißem Marmor.
Serais gibt es viele mit oft wunderschönen Por-
talen. Die Bäder sind unbedeutend.
Den entfernteren Denkmälern Alt-Delhis widmeten
wir einen Ausflug von zwei Tagen. Der erste Halt
wurde an der noch sehr gut erhaltenen „Purana-Kale“ ge-
macht. Alle großartigen, schönen Moscheen gleichen ein-
ander sehr. Diese zeichnet sich durch Zierlichkeit, durch
Reichthum und Correctheit an Sculpturen, durch ge-
schmackvolle Einlegungen und durch ihre Größe aus. Drei
leichtgewölbte hohe Kuppeln decken das Hauptgebäude,
kleine Thürmchen zieren die Ecken, zwei hohe Minarete
stehen an den Seiten. Die Innseiten der Dome und der
Eingangspforte sind mit Thonglasur eingelegt und auch
bemalt, die Farben zeichnen sich durch ihre Frische und
ihren Glanz aus. Im Innern ist jede Moschee leer;
219
eine kleine Tribune für den Redner oder Vorbeter und
einige Glaslufter und Lampen bilden die ganze Aus-
schmückung.
Das Mausoleum des Kaisers Humaione, ganz
in dem Style einer Moschee, wurde von diesem Monarchen
selbst zu bauen angefangen. Da er aber früher starb als
es beendet war, ließ es sein Sohn Akbar vollenden.
Der hochgewölbte Tempel, in dessen Mitte der Sarkophag
feht, ist mit einigen Mosaikarbeiten in Halbedelsteinen
eingelegt. Statt der Fensterscheiben sind die Oeffnungen
mit kunstvoll ausgehauenen Steingittern versehen. In
Nebenhallen ruhen unter einfachen Sarcophagen mehrere
Weiber und Kinder des Kaisers Humaione.
Unweit dieses Monumentes ist das Grabmal Nizam-
ul-d'in's, eines sehr verehrten und heiligen Moha-
medaners. Es steht in einem kleinen Hofe, dessen Boden
mit weißem Marmor ausgetäfelt ist. Ein viereckiger
Marmorchirm, mit vier niedlichen kleinen Thüren, um-
gibt den schönen Sarcophag. Dieser Schirm ist noch zarter
und feiner ausgearbeitet als jener im Taj-Mahal; man
begreift kaum, wie es möglich war, in Stein solch ein
Kunstwerk zu schaffen. Die Thüren, die Zwischenpfeiler,
die eleganten Verbindungsbogen, sind überdeckt mit den
reinsten Reliefs, wie ich deren in den kunstsinnigsten
Städten Italiens keine vollendeteren gesehen habe. Der
Marmor hierzu ist von ausgezeichneter Weiße und Rein-
heit, des großen Kunstwerkes würdig.
Mehrere hübsche Monumente, alle aus weißem Mar-
mar, reihen sich an dieses. Man geht ziemlich achtlos
220
an ihnen vorüber, wenn man das vollendetste zuerst be-
schaut hat.
Viel Rühmens macht man auch von einem großen,
gemauerten Wafferbecken. Es ist auf drei Seiten von
Zellen umgeben, die bereits sehr verfallen sind; die vierte
Seite ist frei und von dieser führt eine herrliche, vierzig
Fuß breite Steintreppe in das Wafferbecken, das fünfund-
fünfzig Fuß tief ist. Jeder Pilger würde eine Wallfahrt
für ungültig halten, wenn er nicht gleich bei seiner An-
kunft da hinein fiege.
Von den Terraffen der Zellen stürzen sich Taucher in
die Tiefe des Wafferbeckens und holen das kleinste Geld-
fück heraus, das man hinein wirft. Manche sollen so
behende sein, das Stück zu erhaschen, noch ehe es den
Grund berührt. Wir warfen manches Stück Geld hinein,
das sie auch jedesmal glücklich ans Tageslicht förderten,
ob sie es aber eher erhaschten als es den Grund berührte,
möchte ich kaum glauben. Sie blieben jederzeit lange
genug unter Waffer, um es nicht nur vom Grunde auf-
zuheben, sondern auch aufzusuchen. Die Sache war
allerdings bewundernswürdig, doch nicht, wie Reisende
behaupten, so außerordentlich, um ähnliches nicht auch
an andern Orten sehen zu können.
Unser letzter Besuch für diesen Tag galt dem herr-
lichen Monumente des Vezier Safdar-Dfchang,
das ebenfalls eine Moschee vorstellt. An diesem Monu-
mente fielen mir ganz vorzüglich die eingelegten Arbeiten
von weißem Marmor in rothem Sandstein an den vier
Minareten auf, sie waren so mannigfaltig und zart, fo
rein ausgeführt, daß der geübteste Zeichner sie nicht zarter
221
und richtiger auf dem Papier wiedergeben könnte. Das-
felbe läßt sich von dem Sarcophage im Haupttempel sagen,
der aus einem Blocke schönen, weißen Marmors ge-
hauen ist.
Ein ziemlich gut erhaltener Garten, ganz nach
europäischer Art angelegt, umgibt das Monument.
Am Ende des Gartens, dem Mausoleum gegenüber,
steht ein kleiner, niedlicher Palast, meist dem König von
Luknau gehörig. Jetzt wird er von den wenigen in Neu-
Delhi ansäßigen Europäern stets in gutem Zustande er-
halten. Er ist mit einigen Möbeln versehen und dient
zur Aufnahme der Besucher dieser Ruinen.
Wir blieben hier über Nacht und fanden, Dank der
herzlichen und lieben Hausfrau Madame Sprenger,
alle Bequemlichkeiten vom größten bis zum kleinsten. Das
erste und erfreulichste nach der langen Wanderung war
eine wohlbestellte Tafel. Doppelt dankenswerth sind solche
Aufmerksamkeiten, wenn man bedenkt, welch große Mühe
sie verursachen. Bei ähnlichen Partien bedarf man nicht
nur der Lebensmittel und des Koches, es muß auch für
Küchengeschirr, für Tafelservice, für Bettzeug, für Diener-
fchaft, kurz für einen kleinen Haushalt gesorgt werden.
Ein solcher Zug, der immer vorausgesandt wird, gleicht
einer kleinen Umsiedlung
Am folgenden Morgen ging die Reise nach Kotab-
Minar, einem der ältesten und prachtvollsten Baue der
Patanen (von diesem Völkerstamme leiten die Afghanen
ihren Ursprung her). Das merkwürdigste Stück an diesem
Denkmale ist die sogenannte „Riefenfäule,“ ein
Vieleck von siebenundzwanzig Seiten oder halbrunden
222
Kanten, mit fünf Stockwerken oder Gallerien, dessen
Durchmesser am Fundamente vierundfünfzig Fuß und defen
Höhe zweihundert sechsundzwanzig Fuß beträgt. Eine
Wendeltreppe von 386 Stufen führt hinauf. Dieser Bau
foll aus dem dreizehnten Jahrhundert von Kotab-ud-
dun stammen. Die Säule ist aus rothem Sandstein und
nur die oberste Abtheilung ist mit weißem Marmor aus-
gelegt; Verzierungen und wundervolle Sculpturen winden
sich in breiten Streifen rund um die Säule; sie sind so
fein und nett gemeifelt, daß sie einem geschmackvollen
Spitzenmuster gleichen. Jede Beschreibung von der Zart-
heit und dem Effekte dieser Arbeit wird weit durch die
Wirklichkeit übertroffen. Die Säule ist glücklicherweise
so gut erhalten, als wenn sie kaum hundert Jahre stünde.
Die oberste Abtheilung neigt sich etwas vor (ob künstlich
wie am Thurme zu Bologna ist nicht ermittelt), die endigt
flach, gleich einer Terraffe, was dem Baue nicht recht
anpaßt. Man weiß nicht ob früher etwas darauf stand.
Als die Engländer Delhi eroberten, war die Säule im
jetzigen Zustande.
Wir fliegen bis auf die höchste Spitze, – eine über-
raschende Ansicht der ganzen Trümmerwelt Neu-Delhis,
des Jumna, der unbegränzten Fläche that sich vor uns
auf. Hier in den stufenweise aufeinander gehäuften Ruinen
der Kaiserstädte könnte man die Geschichte der Völker fu-
diren, die einst Hindostan beherrschten, – es war ein
großer, ein ergreifender Anblick!! –
Viele Stellen, auf welchen einst prachtvolle Paläste
und Monumente fanden, sind jetzt mit Saaten überdeckt;
223
überall wo die Erde gelockert wird, stößt man auf Schutt
und Gerölle.
Dem Thurme oder der Säule Kotab-Minar gegen-
über steht ein ähnlicher unvollendeter Bau, defen untere
Basis bedeutend umfangreicher ist als jene des vollendeten.
Man vermuthet, daß beide Thürme zu einer prachtvollen
Moschee gehörten*), von welcher noch einige Höfe, Thore,
Säulen, Wände u. f. w. vorhanden sind.
Diese wenigen Reste der Moschee zeichnen sich durch
höchst vollendete Sculpturen aus, mit welchen Wände,
Thore u. f. w. von außen und innen überdeckt sind. Die
Eingangspforten haben eine bedeutende Höhe. Die Säulen
in den Höfen sind buddhistischen Ursprunges; man sieht
an ihnen die Glocke mit der langen Kette in Relief aus-
gehauen.
In dem Vorhofe der Moschee steht eine metallene
Säule, ähnlich jener zu Allahabad; nur hat sie auf der
Spitze keinen Löwen, auch beträgt ihre Höhe nicht über
fechsunddreißig Fuß. Man nennt sie „Feroze - Schachs-
Lath. Man sieht an ihr einige Eindrücke und leichte
Verletzungen, welche von den Mongolen herrühren sollen,
die, als sie Delhi eroberten, in ihrer Zerstörungswuth
auch diese Säule vernichten wollten. Sie versuchten sie
umzustürzen, die Säule fand aber zu fest und mit allen
Bemühungen gelang es ihnen nicht einmal, die daran
befindliche Inschrift zu zerstören.
-
*) Wenn diese beiden Thürme zu einer Moschee gehören soll-
ten, warum waren fic im Umfange des Baues fo un-
gleich? –
224
Die noch übrigen Patan- oder afghanischen Tempel
und Monumente, die zerstreut unter andern Ruinen
liegen, gleichen sich unter einander eben so sehr, als sie
von den hindostanischen und mohamedanischen Bauten ab-
weichen. Derlei Monumente bestehen gewöhnlich aus
einem kleinen runden Tempel mit einer nicht sehr hohen
Kuppel, welchen offene Arkaden, auf Säulen gestützt,
umgeben.
Auch hier, nahe bei Kotab-Minar, findet der Rei-
fende eine freundliche Wohnung. Die Ruine eines Ge-
bäudes wurde zu einem Wohnhause von drei Zimmern
umgeschaffen und mit einigen Möbeln versehen.
Auf dem Heimwege besuchten wir das Observatorium
des berühmten Astronomen Jey-Singh. Wenn man
jenes von Benares gesehen hat, so kann man dieses füglich
unbesucht laffen. Beide wurden von demselben Meister,
in demselben Style erbaut, – jenes in Benares ist aber
noch vollkommen gut erhalten, während dieses hier schon
zu sehr zur Ruine wurde. Manche Reisende betrachten
dies Denkmal als eines der größten Wunderwerke.
Nahe dem Observatorium liegt die alte Madrißa
(Schulhaus), ein großes Gebäude mit vielen Zimmer-
chen für Lehrer und Schüler, und mit offenen Galerien
und Hallen, in welchen die Lehrer im Kreise der Jünger
saßen und Unterricht ertheilten. Das Gebäude ist ziemlich
vernachläßigt, wird aber theilweise noch von Privatper-
fonen bewohnt.
Der Madrißa angereiht sind eine niedliche Moschee
und ein sehr schönes Monument, beide von weißem Mar-
mor. Letzteres ließ Aurang - Zeb seinem Vezier
Ghafy - al -dyn - Chan, dem Stifter der Madrißa,
setzen. Es ist eben so vollkommen gearbeitet wie jenes
des Heiligen Nizam-ul-din und scheint von demselben
Künstler geschaffen zu sein.
Der Palast des Feroze - Schach stößt an Neu-
Delhi, er liegt zwar ziemlich in Ruinen; allein die
Spuren des Walles sind doch noch stellenweise zu erkennen
und auch an den Resten der Gebäude ist noch manches
heraus zu finden. Der Vorhof der Moschee wurde vor
Kurzem durch den unermüdenden Eifer des hiesigen ge-
schätzten Redacteurs der englischen „Delhi-Zeitung,
Herrn Kolb, ans Tageslicht befördert. Er war von Schutt
und Steinmafen ganz bedeckt, so daß es unendlich viel
Mühe kostete, ihn davon zu befreien, – er ist sehr gut
erhalten. In diesem Palaste steht die dritte metallene
Säule, Feroze - Schachs-Lath; aus ihrer Inschrift er-
sieht man, daß sie schon hundert Jahre vor Chr. Geb.
existierte und so als eines der ältesten Monumente Indiens
betrachtet werden kann. Sie wurde zur Zeit, als man
diesen Palast baute, von Lahore hierher gebracht.
Die Purana-Killa oder das alte Fort, der Palast
der Babar ist sehr verfallen. Man sieht Bruchstücke von
Thorwegen und Mauern, aus deren Höhe und Bauart
man auf die Größe des Palastes schließen kann.
Die Ruinen von Toglukabad sind ebenfalls sehr in
der Auflösung begriffen, es lohnt nicht der Mühe eine
Fahrt von sieben Meilen dahin zu machen.
Die noch übrigen, unzähligen Ruinen sind theils
ganz verfallen oder Wiederholungen der bereits beschrie-
benen, mit welchen sie sich jedoch an Größe, Pracht und
Pfeiffers Reise, II. Th. 15
226
Schönheit nicht vergleichen laffen. Für Sachverständige,
Alterthumsforscher und Geschichtsschreiber mögen auch sie
von hohem Intereffe fein, – für mich, ich gestehe es auf-
richtig, hatten sie keinen so großen Werth.
Noch muß ich der englischen Militär-Station er-
wähnen, die nahe bei Neu-Delhi auf niederen Hügeln
liegt; die eigenthümliche Gestaltung des Bodens macht
eine Fahrt dahin äußerst interessant. Man befindet sich
plötzlich in einem Gebiete mächtiger Felsblöcke rothen
Sandsteines, zwischen welchen sich schöne Bäume hervor-
arbeiten. An Ruinen fehlt es, wie in ganz Delhi, na-
türlich auch hier nicht.
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