- -
- * =
-
-
Österreichische Nationalbibliothek
+Z227668905
Wiſgerbriefe
aus dem heiligen Tande.
Von
Dr. Anton Jerſch6aumer.
Wien, 1863.
Mechithariſten-Congregations- Buchdruckerei.
Uamensverzeichniſ
der
P. T. Protektoren, Mitglieder, Theilnehmer
und Pränumeranten
des
Vereines zur Verbreitung guter kath.
Bücher.
1 0 5 0 – B
--- - ----
-
-..--
-T-
- -
-T- -
-- - ---
-- --
--
- - - –
- * - - --- -
-
- -- -
--- -
S-- -
-
- - ----- ---
------ - ---
- - - -
-- -- --
- - - > - --
-
–---- ---- - - - - -3
- -
8. - - - - - - - - - - - - - - - -
---- -sº -----
- -- ---
-.--- -- - -
- ------
- -- - -- -
- - - -E-- - -
- - - - -
----- --"
- -
-- - - - - - -
- - - - -
--3-- - -- es
- --- - -- - - - - - -- --
-- - ---
- - - -- - --
- - . - -
- - - - - - ..--
- - - - -: . .---:------
- -- -z--
-----
--- - “
-- -----*-
--- -- s- - --
- - - - - - -- - - -
- ----- z-:: - ; sº
------. ---- - --» -
- -2:- -----
----- - --
- - 5 --
---- - :-- ------z» ---
e-- --- » --- -- -
- -- - - --z- -
- -- - - -
- ---- - -
----
-- ----- --«- . " -
- --
- -- - 23 - -
-- ---
----- -- --- =-- -
- - >– --
--- - ----- --- -
- ---sº - ------ -
- - T e.- - -
---- -- -
- - - - - -- -- - - - -
- “. . - - -
----- -
e - -- - - --
-* - ** -3. . .
- ---
- --
-
-----
- -
Seine kaiſerl. königl. apoſtoliſche Majeſtät
Franz Joseph I., Kaiſer von Beſterreich,
König von Alngarn u. Böhmen etc. etc. etc.
geruhten durch huldvolles Entgegennehmen der Vereinsſchriften dem
Vereine die allerhöchſte Gnade, wie früher Ihre Majeſtäten Kaiſer
Franz und Ferdinand I. zuzuwenden.
E b e n ſo:
Ihre Majeſtät Eliſabeth, Kaiſerin von Beſterreich, Kö-
nigin von Angarn und Böhmen etc. etc. etc.
Seine k. k. ap. Majeſtät Ferdinand I., Kaiſer von Beſter-
reich etc. etc. etc.
Ihre k. k. Majeſtät Maria Anna, Kaiſerin von Beſter-
reich etc. etc.
Ihre k. k. Majeſtät Caroline Auguſta, Kaiſerin v. Beſter-
reich etc. etc. etc.
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Franz Carl, etc. etc.
Ihre k. k. Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzherzogin
Sophie etc. etc.
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Karl Ludwig etc. etc.
Ihre k. k. Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzherzogin
Maria Annunziata etc. etc.
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Ludwig Viktor etc. etc. -
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Albrecht etc. etc.
Ihre k. k. Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzherzogin
Hildegarde etc. etc. -
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Carl Ferdinand etc. etc.
Ihre k. k. Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzherzogin
Eliſabeth etc. etc. * * -
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Wilhelm etc. etc. . . * »
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Sigmund Leopold etc. etc.
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
Rainer Ferdinand etc. etc. -
Ihre k. k. Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzherzogin
Maria etc. etc. - -
Seine k. k. Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
- - - - - -
Ludwig etc. etc.
Seine königliche Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzherzog
“Franz v. Oeſterreich-Eſte, Herzog v. Modena etc. etc.
Ihre königliche Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzher-
zogin Adelgunde von Oeſterreich-Eſte, Herzogin vo
Modena etc -
Seine königliche Hoheit der durchlauchtigſte Herr Erzher-
zog Maximilian von Oeſterreich-Eſte, etc. etc.
"Ihre königliche Hoheit die durchlauchtigſte Frau Erzher-
zogin Maria Beatrix von Deſterreich-Eſte, Infantin
von Spanien etc. etc. -
ºr . . . -
–=Sºss–
. . ? -
- -
-
Da von vielen der Hochw. Conſiſtorien die Pränumerations-
Liſten noch nicht eingelangt ſind, – wir jedoch mit der Veröffent-
lichung nicht länger warten können, ſo ſind hier blos die bis jetzt ein-
gelaufenen Pränumeranten verzeichnet und wird ſeiner Zeit von den
ferner eintreffenden Liſten ein Nachtrags-Verzeichniß ausgegeben werden.
-u«a«Nº e 2–
Erz-Diöeeſe Wien,
P. T. Mitglieder.
Abnehmer von 6 Eremplaren,
Se. Eminenz der Hochgeborne Hochwürdigſte Herr Herr Othmar Rit-
ter von Rauſcher Cardinal Fürſterzbiſchof von Wien etr.
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Dr. Helfersdorfer, Abt bei den Schot-
ten. etc.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Mislin Abt und Domherr.
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Domherr Stöger, Schulenoberaufſeher.
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Conſiſtorialrath Etzk. k. Hofcaplan u.
Pfarrer. - - - : --
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Dechant Willim, Pfarrer.
Se. Hochw. u. Gnaden Herr P. Georg Patiß, Provinzial der Geſell-
ſchaft Jeſu. -
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Ant. Krottenthaler, Pfarrer
f. e. b. Conſ. Rath und Rector bei den Piariſten.
Se. Hochwürden Herr P. Martin Derler, Superior der P. P. Lazza-
riſten. -
Se. Hochwürden Herr Dr. Anton Gruſcha, Domprediger bei St.
Stephan.
Se. Hochwürden Herr P. Urban Loritz, Pfarrer am Schottenfeld.
S. Hochwürden Herr Martin Tentſchert Pfarrer zu St. Ulrich.
Se. Hochw. der Hochgeborne Herr Ludwig Graf s odensee
Se. Hochwürden Herr Schloßraplan Seitl in Schönbrunn.
Hochwürdiges Barnabiten-Collegium zu St. Michael. -
Hochwürdiges Barnabiten-Collegium am Mariahilf.
Se. Hochgeboren Herr Graf von Fries. -
Se. Exzellenz Herr Baron von Buol. - -
Se. Hochwohlgeboren Herr k.k. Hofrath von Weber, -
Se. Hochwohlgeboren Herr k.k. Hofrath Friedr. Hurter, ,
Se. Hochwohlgeboren. Herr Georg von Schwarz, k.k. Conſul. ..
Se. Hochwohlgeboren. Herr Leopold von Hofmann, k. k. Legation
rath... . . . . . . -,
Se. Hochwohlgeboren. Herr Joſ. Aigner, Official beim k.k. Ju-
ſtizminiſterium.
Ihre Wohlgeboren, Frau Th. The her. - --
Herr Ignaz Mattis, Hauseigenthümer, Vorſtand und Mitglied
mehrerer k. Vereine. . . -
Herr Sebaſtian Gräff, Handelsmann, Vice Präſes und Ausſchußmit-
- glied mehrerer k. Vereine. . . . -
Lt, rº . . - -
f. T. Theiluehmer und Pränumeranten:
:
Se. Hochwohlg. Herr Prof. Dr. Ludw. Arndt, t. k. Regierungs-
rath.-t: - -
Ihre Durchlaucht Fürſtin Wilhelmine von Auersperg geb. Fürſtin
Colloredo-Mannsfeld.
Se. Wohlgeboren. Herr Joſ. Bauer, Hausinhaber in Lieſing, ..
Se. Hochwürden. Herr Michael Baweg, Pfarrer in Stixneuſiedl. -
Se. Hochwürden Herr Anton Berger, Pfarrer in Wipersdorf. -
Se. Hochwohlgeboren. Herr Baron von Biegeleben, k. k. Hofrath.
Se. Hochgeboren Herr Max- Graf von Biſſingen, - -
Se. Hochgeboren Herrn Ferdinand Graf von Biſſingen. - - -
Herren Blaſchka u. Comp.
Se. Hochwürden Herr Gerard Bäumel, Cooperator. - -
Seine Exzellenz Herr Graf von Blome, k.k. Geſandter.
Se. Hochwohlgeboren. Herr Herrmann von Born, k. k. Hofrath. -
Ihre Hochwohlgeboren Frau Freiin von Breuner, geb. Reichsfreiin
von Münch-Bellinghauſen, k. k. Hofrathswitwe. - -
Hochwürdige Pfarre in Buchberg, Poſt Neunkirchen. . .
Ihre Excellenz Frau Baronin von Buol.
.
-
Se. Hochwürden Herr Rupert Burger, Cooperator: r . .
Se. Hochwürden Herr Dr. Thomas Chriſt, Domherr...
Ihre Hochwürden Herren Chryſowon und Method, Prediger des
Kapuziner-Ordens. - - - -
Se. Wohlgeb. Herr Joſef Chwalla, Fabrikant... 3. - -
Se. Wohlgeb. Herr Joſef Colognati. - - - - - -
Se. Hochwürden Herr Carl Czernig: »
Se. Hochw. Herr Czernohorsky, fürſterzb. Curprieſter bei St. Stefan.
Löbliche Damen-Leihbibliothek am Bauernmarkt-3,2... ... sº
Se. Hochwürden Herr Joh. Dienſtl, Pfarrer in Pernegg...:
Se. Hochwürden Herr Carl Dietrich, Rector im fürſterzbiſchöfl-
Knabenſeminar. r
Ihre Excellenz Frau Sophie Gräfin von Dietrichſtein. -
Hochw. Herr Franz Fab. Dinghofer, Cooperator in Penzing. sº
Herr Döll Eduard 3 Exemplare. 73, ft
Herr Joſeph Effenberger, k.k, Bezirksarzt in Hietzing S 3
Se. Hochwürden Herr Johann Engel, Director der k.k. Oberreal-
ſchule am Schottenfeld.
Se. Hochwürden Herr Joh. Erkinger, Pfarrer in Hartmannsdorf.
Löbliches Erziehungs-Inſtitut der P. P. Jeſuiten in Kalcksburg.
Se. Hochwürden Herr Pet. Feltl, Pfarrer in Ottenthal.
Se. Wohlg. Herr Joſef Fichtner, Hausinhaber. ...n, sº
Herr Karl Fink, Bäckermeiſter in Lainz, Mitglied mehr.k: Vereine.
Se. Hochwürden Herr Joh. Evang. Fliedl, Cooperator. . . . .
Seine Erlaucht Herr Landgraf von Fürſtenberg - ſº
Seine Erlaucht Herr Landgraf Fürſtenberg-Auersperg.
Se. Wohlgeboren Herr Jac. Fuſſenegger in Pottendorf. - -
Ihre Hochwohlgeboren Frau Baronin Louiſe von Graebe.... 2
Se. Hochwürden Herr Carl Götz, Pfarrer in Hanfthal... 3
Se. Hochwürden Herr Jakob Hain, Katechet bei St. Anna. - -
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Hanauska in Ebenfurth. - -
Ihre Hochgeboren Frau Rudolfine Gräfin von Harrach, Stiftsdame
Se. Hochwürden Herr Moritz Heeg, Cooperator. - -
Ihre Wohlg. Frau Magdalena Helbig. - - - -
Ihre Hochgeboren Frau Gräfin Caroline von Henſenſtein.
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Herborn im deutſchen Hauſe.
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Herzog in Schwarzenbach.
Se. Wohlgeb. Herr Georg Hinterlechner, Realſchuldirector.
Se. Hochwohlgeb. Herr Sections-Rath v. Hirſch.
Herr Hofrath *** in Wien, Stadt. - - * -
Frau Barbara Höfner, Buchhalterswitwe.
Se. Wohlgeboren Herr Franz Holzinger, Armenvater u. Gemeinde-
Ausſchuß. - » - - -
Seine Excellenz Herr Baron von Hornſtein, k. k. Oberſt, r
Se. Hochwürd. u. Gnaden Herr v. Hurez, Superior der Barmherzigen.
Se. Excellenz Herr Graf von Huyn, k. k. General.
Ihre Wohlgeb. Frau Barbara Iro. -
Herr Joſef Jurſchitſchek. - -
Se. Hochwürden Herr G. Kaſtner Pfarrer in Höflein.
Se. Hochwürden Herr Adolf Kern Cooperator.
Ihre Durchlaucht Frau Wilhelmine Fürſtin von Kinski, geb. Gräfin
von Mannsfeld.
Se. Hochwürden Herr Math. Kittner, Canonicus an der Collegiat-
kirche zu St. Wenzel in Nicolsburg.
Se. Hochwohlgeb. Herr Klinkowſtröm, k.k. Archivsconcipiſt.
Se. Hochwürden Herr Mauritz Köhrer, Cooperator.
Se. Hochwürden Herr Joſeph Kopetzky, Pfarrer in Göttlesbrunn.
Se. Hochwürden Herr Kornheuſel, fürſterzbiſchöfl. Sekretair.
Ihre Wohlg. Fräulein Marie Kothmeier. -
Se. Wohlgeboren Herr Dr. Kraus, k. k. Sectionsrath.
Herr Anton Krowot, Sechshaus Nr. 156.
Se. Hochwohlg. Herr Joſef Krſowſki, Ritter v. Kroſowitz, Fabrikant.
Seine Biſchöfl. Gnaden der hochwürdigſte Herr Dr. Johann Kutſch-
ker, Weihbiſchof. etc. -
Se. Hochwürden Herr Wolfgang Lauer, Pfarrer in Vöſendorf.
Se. Wohlgeboren Herr Joſef Leange, Director d. mag. Conſeripti-
onsamtes und Hausinhaber. -
Se. Hochwürden Herr J. N. Leberl, Pfarrer in Dürnkrut.
Se. Hochwürden Herr J. N. Lechner, Pfarrer in Alt-Lichtenwörth.
Ihre Wohlg. Frau Libotzki, Inſtitutsvorſteherin. -
Ihre Durchlaucht Frau Franziska Fürſtin von Liechtenſtein 2 Expl.
Ihre Durchlaucht Frau Marie Fürſtin von Liechtenſtein.
Se. Hochwürden Herr Robert Lintner, Pfarrer in Pfaffſtätten.
Die Ehrwürdige Marie Ludovica, Oberin der Urſulinerinnen.
Herr Ferdinand Maier, Sechshaus Nr. 124. - -
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Canonicus Mayer, Alumnats-
Director. - - - - - - - - - - - - - -
Herren Mayer und Comp, Buchhändler.
Herr J. Mayr, Obercapitain der Donau-Dampfſchifffahrts-Geſellſchaft.
Hochw. Herr Michael Mechtler, Pfarr-Cooperator in Reindorf.
Se. Excellenz Herr Baron von Mecſery, k. k. Polizei-Miniſter.
Frau Franziska Merva, Untermeidling Nr. 336. - -
Ihre Hochg. Frau Gräfin von Merveldt geb. Gräfin Czernin.
Ihre Durchlaucht Frau Hermine Fürſtin von Metternich.
Se. Excellenz Herr Baron von Meyſenbug, Unterſtaats-Sekretär.
Herr J. A. Moshammer, k. k. Obercommiſſair.
Se. Hochwürden Herr Otto Mosmeyer, Cooperator.
Ihre Hochwohlg, Frau Baronin von Münch.
Se. Hochwürden Herr J. N. Nachtigall, Pfarrer in Leopoldsdorf.
Se. Hochwürden Herr Martin Neuwirth, Director der Zollerſchen
Hauptſchule. -
Ihre Durchlaucht Frau Leopoldine Fürſtin von Palm.
Herr von Patruban.
Se. Hochwürden Herr Don Joh. B. Peter, Senior u. Jubilarprie-
ſter zu St. Michael. - -
Herr Johann Petſch, k.k, Rechnungsrath, Mitglied mehr. k. Vereine
in Penzing. . . .
Se. Hochwürden Herr M. Poppenberger, geiſtlicher Rath und
Pfarrer. - - -
Hochwürdiger Wiener Prediger-Convent. - -
Herr Anton Prokſch, Braunhirſchen. ... -
Se. Hochwürden Herr Ant. Putz, Pfarrer in Hausbrunn. . . -
Se. Hochwürden Hrrr P. Alois Rakriſan, Subprior im Stift
Schotten. - -
Se. Hochgeboren. Herr Graf von Reiſchach, in Leopoldsdorf.
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Reisleithner in Jedenſpeigen.
Se. Hochwürden Herr P. Anſelm Ricker, Cooperator.
Se. Hochwürden Herr Carl Rofler, Pfarrer in Guntersdorf.
* -
Ihre Hochgeboren Frau Gräfin von Salm. -
Ihre Hochwohlg. Frau Baronin von Schloiſſnigg, geb. Baronin va
Pilgram. .
Se. Hochwohlgeboren. Herr Hofrath von Schmidt.
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Schnabel in Zemling. .
Se. Wohlgeboren Herr Ignaz Schör, Bürger. - - - -
Ihre Wohlg. Frau Marie Schreiber. - - - -
Se. Hochwürden Herr Chriſt. Schüller, Catechet bei St. Anna.
Ihre Wohlg. Frau Anna Schwackhöfer. -
Ihre Hochwohlg. Frau Anna Schwarz, Conſuls-Gattin.
Se. Hochwürden Herr Heinr. Schwarz, Cooperator in Oberlaa.
Ihre Wohlgeboren Frau Thereſia Seitz, Hausinhaberin.
Se. Hochwürden Herr Setzer, Domprediger bei St. Stefan.
Se. Hochwürden. Don Ludwig Siegl, Provinzial zu St. Michael
und Conſiſtorialrath.
Se. Hochwürden Herr Skrk anek, Seelſorger am Wiedner Spital.
Se. Hochwürden Herr Heinr. Smirnitzki, Provinzial der hochw.
Minoritten.
Se. Hochwohlg. Herr Baron Auguſt von Spens, Miniſterial-Sekretair
Se. Hochwürden Herr Norbert Stanko, Pfarrer.
Ihre Wohlgeboren Fräulein Joſefine Stefko. -
Se. Hochwürden Herr Cooperator Steiner.
Se. Wohlg. Herr Joh. Georg Stetter, Armenfonds-R ngs-Führer
und Chordirektor. - - -
Ihre Excellenz Frau Emilie Gräfin von Szechenyi.
Se. Hochwürden Herr Cooperator Vogl.
Sr. Hochgeboren Herrn Graf Teodoro de Volo.
Se. Hochwürden Herr Franz Wagner, Vice-Rector und Kirchen--
director im Piariſten-Pfarr-Collegium.
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Waiſer.
Se. Hochwürden HerrFranz Wald, Catechet am Blindeninſtitut. - -
Ihre Hochgeboren Frau Joſephine Gräfin von Wallis.
Ihre Hochgeboren Frau Gräfin von Wenkheim, geb. Gräfin
- Zichy. iz
Ihre Wohlg. Frau Anna Werner. -
Se. Hochwürden. Herr Ant. Wieſinger, f. e. b. Conſ. Rath, Pfarrer
in Hadres. - - - *
Se. Hochwürden Herr Wilfing, Pfarrer in Trumau. – -
Se. Hochwürden Herr Vinzenz Willim, Pfarrer in Oberwaltersdorf.
Se. Wohlgeb- Herr Ign. Witteck.
Se. Hochw. u. Gnaden. Herr Canonicus Zenner, k. k. Hofcaplan
Ehrendomherr 2c.
Herr Leopold Zehetgruber, Sechshaus Nr. 21.
Herr Eduard Zeilinger, Fünfhaus Nr. 94.
Ihre Excellenz Frau Molly Gräfin von Zichy-Ferrari.
Ihre Wohlg. Frau Carolina Zinsler, Fleiſchhauerin 2 Exemplare.
Ihre Wohlg. Frau Franziska Zinsler, Fleiſchhauerin, in Stockerau.
-g-G-ORSO-D-2-
cº -
: - --
' - - öe eſ eS - It .
- D o ce e S t. Pö k el.: 5, 3 ?
. . -an-« «. . . . . .“
.. P. T. Mitglieder: . . . . .
- T.
- -
Se. biſchöfliche Guaden der Hochw. Herr Dr. I. Geigerle
Biſchof von St. Pölten c.
is . .
* ! “ - «. . . « a. -- . . . . . . . .
rr. Teilnehmer und Frinneranten
Se. Hochwürden Herr Anton Erdinger, Vicerektor am Marianum in
Krems. . . . . . . . . . . . . . . . . . ?
Se. Hochwürden Herr Ignaz Humpel, Pfarrer in Zuggers.é:
Se. Hochwürden Herr Carl Metz, Canonicus Dechant und Stadtpfar-
rer in Tulln. . . . . . . . . un:
- -
. . . . . . .
. . . . . - 9 a . . . . . . . . .
D 0 c e e L in j: - - -
P. T. Theilnehmer und Prättumeranten: -
Se. Hochwürden Herr Ignaz Bauer, Pfarrer in Weichſtetten.
Se. Hochwürden. Herr Friedrich Baumgarten, Stadtpfarrer in Wels.
Se. Hochwürden Herr Breſelmaier, Pfarr-Vikar in Mehrnbach.
Se. Hochwürden Herr Simon Brunner, Caplan in Riegersburg.
Herr Vinc. Fink, Buchhändler in Linz. -
Se. Hochwürden Herr J. C. Haidler, Pfarrer in Viechtenſtein.
Se. Hochwürden Herr J. Höller, Cooperator in Urfahr-Linz.
Se. Hochwürden Herr Michael Krakowitzer, Pfarrer in Altenberg.
Se. Hochwürden. Herr P. Nivard Kohlendorfer, Pfarrvikar in
Kirchdorf.
Se. Hochwürden Herr Joſef Kratſchmer, Prieſterhaus-Direktor in
Mitterberg. - . . . es 4
Se. Hochwürden Herr Cöoperator Obertimpfler in Trais-
kirchen. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Joh. Ezelsberger, Ehrendomherr
Conſ. Rath, Dechant und Vorſtadtpfarrer in Wels...
Se. Hochwürden Herr Michael Pauspertl von Drachenthal Pfarrer in
Deſſelbrunn.
Se. Hochwürden Herr Johann Pauzenberger, Cooperator in Nie-
der Neukirchen.
Se. Hochwürden Herr Cooperator Georg Reiſinger, in Iſchl.
Se. Hochwürden Herr Johann Reſch, Pfarrer in Windhaag. -
Se. Hochwürden Herr Wenzel Richter, Pfarrer in Partſchendorf
Se. Hochwürden Herr P. Edmund Rogner, Pfarrer in Nusbach.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Nepom. Ign. Rotter, Abt von
Braunau.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Dechant Schiedmayr, in Linz.
Se. Hochwürden Herr Peter Schwarz, Pfarr-Adminiſtrator in Eitzing.
Se. Hochwürden Herr Simon Schwarz, Hauptpfarrer in Riegersburg.
Se. Hochwürden Herr Leopold Stimmböck, Pfarrer in Holzhauſen.
Se. Hochwürden Herr Franz Thaninger, Pfarrer in Pöſtlinberg.
Se. Hochwürden Herr Michael Ully, Pfarrer in Fehring. - -
Se. Hochwürden Herr Franz Weilgung, Pfarrer in Wolfern.
Se. Hochwürden Herr Fr. Weinmayr, Cooperator in Iſchl.
Erz-Diöe eſ e Salzburg.
P. T. Mitglieder:
Se. Gnaden Herr Dr. Albert Eder, Abt des Benediktiner-Stiftes in
Salzburg.
P. T. Theilnehmer und Prännmeranten:
Se. Wohlgeboren Herr Med. Dr. von Sauter in Salzburg.
Se. Hochwohlgeboren. Herr Baron von Stillfried in Salzburg.
Se. Hochwürden Herr Joſef Stadler, Vice-Dechant in Altmünſter.
- -- -
er; Di deeſe Prag
r. T. Mitglieder: .
- - - -
Se. Eminenz der Hochw. Herr Friedrich Fürſt von Schwarzen-
berg, Cardinal und Fürſt-Erzbiſchof in Prag. c. c.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Jacob Beer, Generalgroßmeiſter
des ritterl. Ordens der Kreuzherren mit dem rothen Sterne e.
in Prag. -
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Hieronymus Zeidler, Abt zu
Strahoff in Prag.
.
r. T. Theilnehmer nnd Pränumeranten:
Ihre Hochgeboren Frau Gräfin von Biſſingen, Stiftsdame im Da-
menſtift in Prag Hradſchin. - -
Se. Hochgeboren. Herr Graf von Biſſingen, Dienſtkämmerer Sr.
Majeſtät Kaiſer Ferdinand I. in Prag.
Se. Hochwürden Herr Vine. Bradac Domcapitular in Prag.
Se. Hochwürden Herr Herrmann Dichtl, k. k. Hofcaplan in Prag.
Se. Hochwürden Herr Fr. Dittrich, Domkuſtos in Prag.
Se. Hochwürden Herr Adalbert Hron, fürſterzbiſchöflicher Conſiſt.
Canzler in Prag. -
Se. Hochwürden Herr W. Houska, F. E. Secretair in Prag.
Se. Hochwürden Herr Anton Iandaurek, Domcapitular in Prag.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Joh. Jareſch, Prior des Johanniter-
Ritterordens c. , - - - - - -
Se. biſchöflichen Gnaden Herr Peter Fr. Krejci, Weihbiſchof in Prag
Se. Hochwürden Herr Albertus de Küffer, Domcapitular in Prag.
Se. Hochwürden Herr Dr. Joh. Marau, Domſcholaſticus in Prag.
Privatbibliothek Sr. Majeſtät Kaiſer Ferdinands in Prag.
Se. Hochwürden Herr Dr. Karl Prucha Domcapitular in Prag.
Se. Hochwürden Herr Fr. Plauzar Domcapitular in Prag.
Se. Hochwürden Herr Georg Sorger, Domcapitular in Prag.
Se. Hochwürden Herr Nicolaus Tomek Domcap. in Prag.
Se. Hochwürden Herr Dr. Adolf Würfel, Domcapitular in Prag.
Diöe eſ e Königgrätz.
P. T. Theilnehmer und Pränumeranten:
-
Seine biſchöflichen Gnaden der Hochwürdigſte Herr Dr. Karl Hanl, Bi-
ſchof von Königgrätz. c. - -
Se. Hochw. u.Gnaden Herr Johann Rais, infulirter Domdechant und
Präſes des biſchöfl. Conſiſtoriums und Ehegerichtes in Kö-
niggrätz.
Se. Hochw. Herr Franz Pelikán, inful. Archidiacon und Kanzlei-Di-
rektor des biſchöfl. Conſiſtoriums in Königgrätz. -
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Johann Janſa, Domſcholaſt in Königgrätz-
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Wenzel Hrdina. Domcapitular in König-
gräß.
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Anton Kukla, Domcapitular in König-
gräß. - - - - - - - - - -
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Leodegar Wacek, Ehrenkanonikus und
Rektor im biſchöfl. Alumnate in Königgrätz. . . .
Se, Hochw. u. Gnaden Herr Johann Klein, Spiritual des biſchöfl.
Alumnates in Königgräß. . . . . . . .
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Franz Grusz, Subrektor im biſchfl. Sem-
nar in Königgrätz. - - -
Se. Ehrw. Herr Joh. Gottſtein, Alumnus des I. Jahres in König-
gräß.
Se. Ehrw. Herr Joſef Kudrn àé, Alumn. des I. Jahres in Königgrätz
Se. Ehrw. Herr Anton Thim, Alumn, des I. Jahres in Königgrätz.
Se. Ehrw. Herr Libor Schaner, Alumn. des II, Jahres in Königgrätz.
Se. Ehrw. Herr Eduard Knopp, Alumnus des II. Jahres in Königgrätz.
Se. Ehrw. Herr Guſtav Schourek, Alumn. des III. Jahres in König-
gräb. . . . . . . . . . . .
Se. Ehrw. Herr Ignaz Lhota, Alumn. des IV. Jahres in Königgrätz.
Se. Ehrw. Herr Ferdinand Kutſcher, Alumn. des IV. Jahres in
Königgrätz.
Se. Ehrw. Herrn Wilhelm Helmich, Alumnus des IV. Jahres in Kö-
niggräß. - 4 : ,
Löbl. biſchöfliche Seminar-Bibliothek in Königgrä
Erz-D is eefe D m . .
– – «. . . . . .
r. 1. Mitglieder
Seine fürſtliche Gnaden der Hochw. Herr Friedrich Landgraf von Für-
ſtenberg, Fürſterzbiſchof von Olmüß. etc. etc. -
Se. biſchöfl. Gnaden Herr Rudolf Freiherr von Thyſebaert, Weih-
biſchof in Olmüß. -
Se. Hochgeboren. Herr Graf Auguſt Sylva Taroucca k.k. Kämmerer
und Herrſchaftsbeſitzer in Czech. *
P. T. Theilnehmer und Pränumeranten: -
Seine Erlaucht Herr Landgraf Ernſt von Fürſtenberg-Moſchtenitz
in Prerau. -
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Freiherr von Pete ani, Domprobſt
A in Olmütz.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Joh. Ritter von Wiedersperger,
infulirter Abt und Domcapitular in Olmütz.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Wilh. Freiherr von Schneeberg,
Domprälat in Olmütz. -
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Guſtav Graf von Belrupt, Dom-
capitular und Hausprälat Seiner Heiligkeit in Olmütz.
Se. Hochwürden Herr Freiherr von Weitterheim, Domcapitular in
Olmütz.
Se. Hochwürden Herr Heinrich Ritter von Spaun, Domcapitular in
Olmütz. -
Se. Hochwürden. Herr Dr. Joſ. Mikula Superior des Fürſt-Erz-
biſchöflichen Seminars in Olmütz. - -
Se. Hochwürden. Herr Joſ. Schebeſtik, Dompfarrer in Olmütz.
Se. Hochwürden Herr Eduard B. von Unkrechtsberg, Stadtpfarrer
und Probſt in Olmütz. " . . . . . . . .
Se. Hochwürden Herr H. Schön, Pfarrer zum heiligen Michael in
Olmütz. - - « . . . . . .
Se. Hochwürden Herr Dr. Joſ. David, Vieeſuperior des fürſterzb.
Seminars in Olmütz. - -
Se. Hochwürden Herr Ign. v. Haas, Spiritual d. Fürſt-Erzbiſchöft.
Seminars in Olmütz. - - -
Se. Hochwürden Herr Dr. A. Klug, Adjunct im fürſterbz. Seminar zu
Olmütz.
Se. Hochwohlgeboren. Herr Baron von Danckelmann, k. k. Kämme-
rer in Olmütz. -
Ihre Hochwohlgeboren Frau Baronin von Danckelmann, geborne
von Bartenſtein in Olmüß.
Se. Hochwohlgeb. Herr Joſef von Eichhoff, Gutsbeſitzer in Olmütz.
Ihre Hochwohlgeboren Frau Marie Baronin v. Eichhoff geb. Gräfin
Hohenwart-Gerlachſtein in Oimütz. . .
Se. Hochwohlgeboren Herr Joſef Jahn von Vonau, k. k. Bezirks-
hauptmann in Olmütz.
Se. Wohlgeboren Herrn J. Kreiml, Bürgermeiſter in Olmütz.
Se. Wohlgeboren Herr Dr. Oswald Trog her, in Olmütz.
Ihre Hochgeboren Frau Gräfin Agnes zu Stolberg-Stolberg in Czech.
Se. Hochwürden Herr Joſ. von Penka, Canonicus in Kremſier.
Herr Fr. Groſe, Buchhändler in Olmütz.
Di ö c eſ e Brünn.
r. T. Mitglieder -
Seine Cxcellenz der Hochw, Hochgeborme Herr Anton Ernſt Graf von
Schaafgotſche, gen. Freiherr auf Kynass und Greifenſtein,
Biſchof von Brünn, geh. Rath c. c.
P. T. Theilnehmer und Präuumeranten:
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Andreas von Hammermüller
Domdechant und erſter infulirter Prälat in Brünn. -
Se. Hochw. und Gnaden Herr Carl Nostig, Domcapitular in Brünn.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Auguſtin v. Kiowsky, Domca-
pitular in Brünn.
Se. Hochwürden nnd Gnaden Herr Dr. Franz v. Janitſchek, Dom-
capitular in Brünn.
Se. Hochwürden Herrn. Fr. v. Geißler, Alumnats Regens in Brünn.
Se. Hochwürden Herr Domcapitular Sim. v. Baar in Brünn.
Ihre Hochgeboren Frau Gräfin Anna von Canal, Stiftsdame in Brünn
Se. Hochwürden Herr Math. Privel, Pfarrer in Sedlnitz.
Ihre Hochgeboren Frau Thereſia von Vaſy, k.k.Majorsgattin in Brünn.
Hochwürd. Benediktinerſtift Raigern bei Brünn.
Diöeeſen Gran,Seckau, Fünfkirchen und Leitmeritz e.
r. T. Mitglieder: -
Seine Eminenz der Hochwürd. Herr Herr Johann Baptiſt Scitovszky
von Nagy-Kér, Cardinal-Fürſt-Primas von Ungarn c. inGran.
Seine fürſtlichen Gnaden der Hochwürd. Herr Herr Ottokar Maria Graf
von Attems, Fürſtbiſchof von Seckau.
r. T. Theilnehmer und Pränumerauten:
Se. biſchöfl. Graden der Hochw. Herr Dr. von Girk. Biſchof von Fünf-
kirchen.
Se Biſchöfl. Gnaden Herr Auguſtin Bartholom. sille, Biſchof
von Leitmeritz.
Se Hochw. Herr P. Othmar Berger, Hauptſchuldirector in Admont.
Se. Hochw. Herr P. Joh. Bouchal, Kaplan in Grulich.
Hochwürd. Braunauer-Vicariat in Böhm. Wernersdorf.
Se. Hochwürden Herr Ad. Breyer, in Hermanſeifen.
Se. Hochw. und Gnaden Herr Ben. Büchſe, Dechant in Schönlinde.
Se. Hochwürden Herr Caplan Anton Chriſten, in Gottsdorf.
Herren Damian und Sorge Buchhändler in Graz.
Se. Hochwürden Herr Fr. Demel, biſchöfl. Notar und Secretair in
Leitmeritz. . -
Se. Hochwürden Herr Joh. Do wič, Cooperator in Naſſenfuß.
Se. Hochwürden Herr Paul Duſilek, Pfarrer in Huttendorf.
Herr J. Feitzinger Buchhändler in Biala. r
Löbliche Ferſtl'ſche Buchhandlung in Gratz.
Se. Hochwürden Herr Anton von Glaſer, Pfarrer in Prieſen.
Se. Wohlgeb. Herr Bernhart Greiner, Verwalter in Königshof.
Se. Hochwürden Herr Al. Guttinger, Pfarrer in Paldau.
Se. Hochwürden. Herr Theodor Hampel, Dechant in Hotzenplotz 2 Expl.
Se. Hochw. u. Gnaden Herr Wenzel Hanuß, Dechant und Vizeerz-
prieſter in Wodnau.
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Joſef v. Herz um, Ehrencanonicus.
Bezirksvicair, Erzdechant und Pfarrer in Eidlitz.
Se. Hochwürden Herr Cooperator Fr. Hinke in Kamnetz.
Se. Hochw Herr Ignaz Holzmann, Dechant und Pfarrer in Fakert.
Se. Hochw. Herr Joſef Jerin, Cooperator in Niederdorf.
Se. Hochwürden Herr Pfarrer Anton Knoppek, in Kurzwald.
Se. Hochwürden Herr Johann Kohn, Pfarrer in Tragöß.
Se. Hochwürden Herr Joh. Kottas, Pfarrer in Zabrzeg.
Se. Hochwürden Herr Franz Kraczmann, Pfarrer in Czechowitz.
Se. Hochwürden Herr Vincenz Kröhn, Caplan in Hohenelbe.
Se. Hochwürden Herr S. Lendl, in St. Margarethen.
Se. Hochwürden. Herr P. Franz Mäuſel Dechant und biſchöfl.
Bezirksvicar in Rochlitz. -
Se. Hochwürden Herr Engelbert Müller, Pfarrer in Hörſching.
Se. Hochwürden Herr J. Friedr. Müller, Ehrendomherr und Pfar-
rer in Cobertz. . .
Se. Hochwürden Herr Blas. Neubauer, Dechant und Hauptpfar-
rer in Straden.
Se. Hochwürden Herr Anton Neukircher, Pfarrer in Schönberg,
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Dr. Joh. Nog àll, Domcapitular
in Großwardein. . - -
Se. Hochwürden Herr Carl Olah, Bibliothekar u. Lehrer für die
Elementar Ober-Claſſe in Baja.
Se. Hochwürden Herr Val. Prettner, Pfarrvicar in Heiligenkreuz.
Se. Hochwürden Herr Joſef Brückner, Cooperator in Proßnitz.
Se. Hochw. und Gnaden Herr Carl von Publa, Domherr in Gran.
Se. Hochwürden Herr Johann Türſch, Dechant in Proßnitz.
Herr Carl Rauch, Buchhändler in Innsbruck.
Se. Hochw. und Gnaden Herr P. Joſef Richter, Dechant in Oſchitz.
Se. Hochwürden Herr Joh. Roßmann, Pfarrer und Dechant in
Treffen, Krain. * -
Se. Hochwürden Herr Ignaz Richtarski, Local in Ellgott.
Ihre Hochgeb. Frau Gräfin von Saurau, in Graz.
Se. Hochwürden Herr P. Anton Sax, Pfarrer in Mithovitz.
Se. Hochwürden Herr Alois Seeling, Stadtpfarrer in Leoben.
Hochwürd. Römiſch-Katholiſche Seminar in Großwardein.
Se. Hochwürden Herr Fanz Speckbacher, Curat in Pfunds.
Se. Hochwürden. Herr P. Anton Swoboda, Kaplan in Garlitz.
Se. Hochwürden Herr Franz Vatix, biſchöfl. Vicair in Steinſchönau-
Se. Hochwürden und Gnaden Herr Anton Wagner Conſiſtorialrath-
und Dechant in Kralup.
Se. Hochwürden Herr Ferdinand Weidinger, Kaplan in Paſſail.
Se. Hochwürden. Herr Fr. Weiſs, Dechant in Auſſig.
Se. Hochwürden Herr P. J. Wichner, Cooperator in Lorenzen.
Se. Hochwürden Herr Bertram Zachenhofer, Cooperator in Friedberg.
: ,
#
- - - - - - - - *, -- -
- - - - - - - - - - - - - - 7 : *
-
:
-- -- - - - - - - - - -
-
---
, :
Ein Blick auf dieſes Namensverzeichniß zeigt, daß unter den
Ständen und Völkern unſerer Monarchie ein edler Wetteifer“ beſteht,
Europa's ſchönſtem Länderkranze den wohlverdienten Namen des
katholiſchen Oeſterreichs und den ruhmvollen Charakter eines „eon-
ſervativen Hortes für jedes Recht zu erhalten.
Dieſe ehrenhaften Namen erinnern an Männer, deren katholiſche
Geſinnung ſich allenthalben würdig ihrer großen Väter und würdig der
großen Aufgabe des Katholizismus – beſonders in unſerer Zeit – er-
weist, an Männer, deren aufrichtiger Patriotismus für die katholiſch-
conſervative Monarchie ſchon durch ihr Haus, durch ihre Geſchichte, In
tereſſen und Stellung außer allem Zweifel ſicher iſt."
Der Beitritt dieſer katholiſch-patriotiſchen Eminenzen bom aller-
höchſten Hofe bis zum entfernteſten Pränumeranten in Böhmen, Un-
garn, Tirol hat das Vereinsunternehmen in Ä gemein-
ſchaftlichen Landesfürſten mit einem ſehr erwünſchten Glanze umfaßt.
Dieſe höchſt intelligenten und ebenſo katholiſchen wie patriotiſchen
Männer haben das Vereinsunternehmen durch ihren Beitritt zu einem
katholiſchen und patriotiſchen erhoben: ihr Beiſpiel, ihre Stellung, ihre
Geſinnung fordert alle Andern Katholiken und Patrioten auf, die ſo
ehrenhaft erhobene Fahne aller edlen Völkerſchaften der Monarchie mit
vereinten Kräften zur Ehre Aller hoch zu erhalten. Alle ſind wir berufen,
dieſe Gelegenheit zu benützen, um ein eclatantes Zeugniß zu geben, daß
in Oeſterreich der Name des Katholizismus und des allerhöchſten Kaiſer-
hauſes noch zu großen Einigungen, Opfern und rühmlichen Thaten alle
Edlen zu begeiſtern vermag.
Schlecht iſt die entartete anti-katholiſche und anti-öſterreichiſche
Preſſe: aber was wird ſie vermögen, wenn die beſten Männer ſich um
die Fahne der guten Preſſe nach dem Vorgange des a. Hofes und der
Edelſten aus allen Kronländern ſchaaren!
Soll aber der Glanz, mit welchen die eben mitgetheilten hohen
Namen unſere Anfänge umgeben, immer mehr Glanzwürdiges verklären,
ſoll ein patriotiſches Unternehmen den Beifall, welchen ihm alle Katho-
liken und Freunde der Ordnungsmonarchie ſo gern entgegenbrachten,
verdienen: ſo bittet der Verein, daß Alle, die von der Wichtigkeit der
katholiſchen Preſſe überzeugt ſind, auch mit Geiſtesbeiträgen unſer Un-
ternehmen bereichern und heben mögen. Wer Beſſeres zu rathen weiß:
rathe uns, wir bitten darum; wer Gediegeneres zu ſchreiben vermag:
der ſende es ein, die katholiſche Fahne bedarf es; wer ſelbſt nicht mit-
rathen oder mitwirken kann: gebe den Arbeitern die Mittel an die
Hand, auch ſtatt ſeiner und für ihn arbeiten zu können, das geſchieht
durch den Beitritt und das Ausharren beim Vereine, worum wenigſtens
für das Jahr 1863 im Namen des Katholizismus und des Patriotis-
mus gebeten wird. -
Zur angenehmen Nachricht der P. T. Vereinsgenoſſen diene, daß
Alle, welche die erſchienenen Schriften geleſen und deren Zweck begriffen
haben, wieder auf die Fortſetzung derſelben pränumerirten. Es ſei uns
erlaubt, in dieſer Hinſicht nebſt den hochw. Episcopate und andern
angeſehenen einzelnen Mitgliedern, die geiſtlichen Corporationen, vor-
züglich die immer wiſſenſchaftlichen P. T. Schotten, Jeſuiten, Pia-
riſten, die Prämonſtratenſer in Strahof u. a. m. dankbar zu erwäh-
nen; ſie ſind auch für dieſes Jahr die Erſten geweſen, die ihr Ver-
bleiben beim Vereine als Mitglieder (6 Exemplare) zu wiſſen machten.
Möge dieſes auch jene Herren und Damen zum Ausharren einladen, die
anderwärtig zu ſehr in Anſpruch genommen, ſich ſelber von dem Inhalte
und der Tendenz der Vereinsſchriften zur ferneren Verbreitung derſelben
noch nicht beſtimmen laſſen konnten. .
Kommt, wie man ſpricht, in nächſten Jahren der Würzburger
Verein zur Förderung der katholiſchen Preſſe zu Stande, und gelingt es
dieſem, neben der Katholizität ſeines Gebotenen auch geographiſch-katho-
liſch, d. h. allgemein und ſomit auch den ſpeciellen Verhältniſſen der
Länder Oeſterreichs gerecht zu werden: ſo wird den Völkerſchaften unter
Oeſterreichs Monarchen immer noch die Ehre bleiben, in Wien früher
die Fahne angefertigt und, ſo weit möglich, Würzburg entgegengetragen
zu haben. Wir haben unitis viribus, ein Zeugniß von unſerem Katho-
lizismus und Patriotismus mit vereinten Händen und Stimmen gege-
ben, und können uns dann an Alles Katholiſche und Conſervativ-patrio-
tiſche mit Satisfaction und ruhmvoll anſchließen. Von Seite Böhmens,
Mährens, Ungarns . . . . iſt bereits die Idee angeregt, die Schriften des
Wiener Vereines auch in der Landesſprache aus der Metropole zu be-
ziehen. Die genannten Länder haben ſich durch zahlreiche Pränumera-
tionen dem Verein der Metropole in der Abſicht angeſchloſſen, durch
Hebung und Sicherſtellung derſelben behufs der Ausgaben in deutſcher
Sprache, dann dieſelben Schriften für der deutſchen Sprache Nichtkun-
dige auch in der Landesſprache beziehen zu können.
Es ſcheint faſt, als ob das katholiſche Beſtreben des Vereins
nebſtbei mit einem allgemein erſprießlichen Viribus unitis, belohnt
werden wollte. Gott lenke die Herzen! Geiſtige Intereſſen verbinden
frei, mit Liebe, für immer. -
Der Katholizismus iſt die Weltmacht, welche Alles in Wahrheit,
Rechtsachtung und Liebe einigt, ſtärkt, verewigt. Wer den Katholizis-
mus fördert, der fördert Oeſterreichs Größe durch freiheitliche, recht-
liche und liebreiche Einigung Aller zum Beſten Aller.
Jene Herrn, denen unſere Vorkämpfer etwas zudringlich
dünken, bittet der Verein um gütige Nachſicht. Auf dem Preßgebiete
iſt es den ſo vordringlichen Gegnern gegenüber nicht möglich, die Con-
currenz zu beſtehen, ohne an den Hochw. Clerus und die bekannt ent-
ſchiedenen katholiſchen Notabilitäten mit kühnen Erwartungen und Vor-
ausſetzungen hinanzutreten, die dann allerdings einige Kämpfer im
Feuereifer leicht nahe bis an Zudringlichkeit utriren. Auch uns iſt jeder
Schritt peinlich, der uns durch die Größe der Gefahr, durch den Vor-
ſprung der Gegner und deren rückſichtsloſe Eindringlichkeit, gegen
unſere Neigung, auch gegen die gewünſchte Schonung der von ſo vielen
Seiten in Anſpruch genommenen Repräſentanten katholiſchen Lebens,
abgedrungen wird. Aber wir bitten die Freunde der heiligen Intereſſen,
für die wir kämpfen müſſen, um Nachſicht, wir beten um richtige Füh-
rung, wir ringen und dulden, wir ermuthigen uns mit dem Spruche:
Viel für Religion und * – viel für Thron und Vaterland
L5 •
für
Alle!
Die noch immer einlaufenden Pränumeranten-Liſten werden
nachträglich bekannt gegeben.
Bezüglich jener P. T. Herrn die in neueſter Zeit dem Vereine
beitreten, bietet der Verein Alles auf, um dieſelben auch in den Beſitz
des Jahrganges 1862 der Vereinsſchriften zu ſetzen, da dieſelben ge-
wiß den neuen Cyclus der Schriften vollſtändig zu beſitzen wünſchen.
Es zeigt das ihrerſeits auf eine große Opferwilligkeit – Gott möge
auch den Lohn dafür gleich groß ſein laſſen !
Das Comité
des Vereines zur Verbreitung
guter, katholiſcher Bücher.
Vorwort.
Meine Pilgerbriefe, die ich vom heiligen Lande
aus ſchrieb, und die durch den Druck veröffentlicht wur-
den, erfreuten ſich einer beifälligen Aufnahme von Seite
des Publikums. Schon lange iſt die Auflage vergriffen,
und die Nachfrage darnach mehrt ſich von vielen Seiten.
Statt einer neuen unveränderten Auflage, zu der
ich aufgefordert wurde, entſchloß ich mich zu einer ganz
neuen Bearbeitung derſelben. Die während der Pilger-
reiſe geſchriebenen Briefe hatten zwar den Vorzug der
Unmittelbarkeit, aber den Nachtheil der Kürze. Oft war
ich darin gezwungen auf die mündliche Erzählung näherer
Details zu verweiſen, und unzählige Mal wurde ich
ſelbſt angegangen, die darin verſprochenen Schilderun-
gen nachzutragen.
In der hier vorliegenden ganz neuen und aus mei-
nem Pilgertagebuch geſchöpften Ueberarbeitung der ur-
ſprünglichen Pilgerbriefe hoffe ich den Erwartungen
1 :
IV
meiner vielen Freunde, welchen ich auch dieſes Buch wie
das frühere widme, entgegenzukommen.
Reiſeſchilderungen, insbeſondere authentiſche Be-
richte aus dem heiligen Lande, liest man ja ſtets gerne,
doppelt gerne, wenn man irgend ein Intereſſe für die
darin vorkommenden Perſonen hat. Und das iſt gerade
bei der Pilgerreiſe der Fall, welche hier beſchrieben wird.
Ich will von meiner Perſon abſehen – obwohl ich
weit und breit als „der Pilger aus Jeruſalem“ bekannt
bin –; wer aber kennt in der herrlichen Kaiſerſtadt zu
Wien nicht den frommen und gelehrten Stiftsherrn zu
St. Peter Joſeph Hubinger? wem ſind die lieben
Dichtungen eines Erneſt von Marinelli unbekannt?
wer hat nicht von dem biederen Tiroler Joſeph
Leonard Mayr gehört, der die erſte Pilgerkarawane
anregte, und den patriotiſchen Gedanken hegte, am Grabe
des Herrn für die glückliche Rettung unſeres Kaiſers aus
Mörderhand zu danken?
Zehn Jahre ſind ſeit jener ſo glücklich vollbrachten
Reiſe, welche den ſpäteren Karawanen nach Jeruſelem,
die der Severinusverein zu Wien organiſirte, den An-
ſtoß gab, verfloſſen.
Indem ich mein treu geführtes Pilgertagebuch zur
Hand nehme, um das vorliegende Buch zu Stande zu
bringen, tauchen all die großartigen und heiligen Erin-
nerungen mit inniger Lebendigkeit in meiner Seele auf.
Mein Herz iſt voll des Dankes gegen die göttliche Vor-
V
ſehung, welche die beſchwerliche und gefährliche Reiſe ſo
wunderbar beſchützte. Welch ein Glück iſt es, das
irdiſche Jeruſalem zu ſehen und den Boden des heiligen
Landes zu betreten! Ich hoffe und ahne es, daß mir dieſe
gnadenvolle Reiſe einſt die große Pilgerreiſe in's himm-
liſche Jeruſalem erleichtern wird.
Möge der freundliche Leſer fromme und beleh-
rende Eindrücke aus den Pilgerbriefen in ſich aufnehmen,
und die Reiſe ins heilige Land wenigſtens im Geiſte
machen. Für gebildete und der Sache auf den Grund ge-
hende Leute ſind im Anhange eigene Anmerkungen beige-
fügt worden.
St. Pölten, am 9. November 1862.
Der Verfaſſer.
Meinen Freunden.
I.
Abſchied von der Heimath.
– Anlaß zur Pilgerreiſe.– Entſchluß dazu. – Seelenjubel darüber. –
Befürchtungen wegen der ruſſiſch-türkiſchen Wirren. – Vorbereitungen
zur Reiſe. – Abſchiedsbeſuche. – Exercitien im Gebirge. – Ein
ſchöner Zug eines Holzknechtes. – Ein Talisman. – Die Reiſecolle-
gen. – Warum im Hochſommer nach dem Orient? – Die
Pilgerbriefe. –
Wien, 30. Juni 1853.
Lieber Freund!
Am Tage vor meiner Abreiſe in's heilige Land
drängt es mich Dir, lieber Freund, noch zu ſchreiben,
um von Dir Abſchied zu nehmen. Wie Du wohl geleſen
haben wirſt, hat Herr Leonard Mayr, ein Tiroler, vor
einigen Monaten in den Zeitungen angekündigt, daß er
entſchloſſen ſei, eine Pilgerreiſe i’ns heilige Land anzu-
treten, um dort am Grabe des Erlöſers für die glückliche
Rettung Sr. Majeſtät des Kaiſers aus Meuchelmörders
Hand zu danken. Sein Aufruf fand freudigen Wiederklang
in meiner Seele, worüber Du Dich nicht wundern wirſt,
denn Du kennſt mich.
Im Monat Mai – ich hatte eben über das Thema
gepredigt: „Des Menſchen Leben, eine Pilgerfahrt“ –
faßte ich den Gedanken, mich dieſer Pilgerreiſe anzuſchlie-
ßen. Drei Tage trug ich mich mit Pilgergedanken herum,
ſchwankend zwiſchen heißen Wünſchen und kaltblütigen
1()
Erwägungen. Die Gnade, Jeruſalem zu ſehen und
das heilige Land zu betreten, kam mir ſo großartig, ſo
außerordentlich vor, daß ich (Du ſchüttelſt vielleicht den
Kopf) ein Zeichen vom Himmel verlangte, gleichſam als
Fingerzeig, ob mein Vorhaben gut und heilig ſei, oder
nicht. Nun wartete ich zwar gerade nicht auf wirkliche
Zeichen und Wunder, aber es that mir wohl und be-
ſtärkte mich in meinem Vorhaben, daß ich bei allen mei-
nen Freunden und Bekannten die regſte Theilnahme und
Aufmunterung fand, überall Glückwünſche, nirgends
Neider. Alle Zweifel und Bedenklichkeiten ſchwan-
den vor mir wie leichte Nebelgebilde im Sonnenlichte.
Ich ſah keine Hinderniſſe, keine Schwierigkeiten, keine
Gefahren mehr, ſondern ich ſchaute in heiliger Vorfreude
nur das heilige Land und Jeruſalem.
Als endlich auch mein biſchöflicher Oberhirt mir
freudig ſeinen Segen ertheilte, da war es mir, als ſtünde
ich eine Stufe über dem gewöhnlichen irdiſchen Leben,
als ſchwebte ich in höhern Regionen der Seligkeit. Ich
konnte nicht eſſen, nicht ſchlafen, nicht ſtudiren, nur ju-
beln konnte ich im Stillen und mich freuen aus voller
Seele. Wie oft dachte ich in dieſer frommen Gemüths-
ſtimmung an die Kreuzritter des Mittelalters, die in hei-
liger Begeiſterung ſich das rothe Kreuz auf die muth-
volle Bruſt hefteten, und mit dem Jubelrufe: „Gott
will's“ das tapfere Schwert umgürteten, um mit wun-
derbarem Gottvertrauen ins heilige Land zu ziehen!
Dieſe ſtille Seelenfreude wurde jedoch in etwas
durch die täglich bedenklicher lautenden Nachrichten über
die Verwicklungen im Oriente getrübt. Wie Dir nämlich,
lieber Freund, bekannt iſt, hat der außerordentliche Ge-
ſandte Rußlands Fürſt Mentſchikoff jüngſt in auffallen-
11
der Weiſe Conſtantinopel verlaſſen, weil der türkiſche
Sultan in die ungeſtümen Forderungen Rußlands nicht
einwilligte. Alles wittert nun Krieg mit der hohen Pforte.
Wie oft ſagte ich mir im Stillen: Warum mußte
gerade jetzt dieſer Blitzſtrahl den heiteren Himmel durch-
furchen? Sollten meine ſchönen Pilgerpläne nur Fata
morgana ſein, die am roſigen Morgenhimmel entſtehen
und am nächtlichen Horizont verſchwinden, nachdem ſie
etwa einige Stunden uns durch ihre Täuſchung ergötzet?
Indeß wer ein großes Ziel vor Augen hat, läßt
ſich nicht leicht durch Hemmniſſe ſchrecken. Darum han-
delte ich ſo, als ob das Unterbleiben der Pilgerreiſe eine
Unmöglichkeit wäre. Die kurze Zeit vor dem Antritt der
Reiſe wurde zur nöthigen Vorbereitung benützt, und
ältere und neuere Werke über den Orient und insbeſon-
dere Jeruſalem wurden mit Gier verſchlungen.
Die letzte freie Woche verwendete ich zu Abſchieds-
beſuchen. Du weißt, mein Lieber, ich ſtehe ſo ziemlich
allein da in der Welt. Die Eltern ruhen ſchon lange im
Grabe – ihnen galt mein erſter Beſuch. – Meine ein-
zige Schweſter hätte mir faſt bange gemacht als ſie mit
Thränen im Auge ſprach: „Der Gedanke dich, lieber
Bruder, zu verlieren, iſt mir ſchrecklich.“ Ich tröſtete
ſie, daß ich ja überall unter Gottes allmächtigem Schutze
ſtehe, und daß das Sterben leichter ſein müſſe, wenn man
jene Stelle geküßt hat, wo der Tod überwunden wurde.
Der gütige Himmel hat mir, wie Du, mein Lieber,
öfter bemerkteſt, als Erſatz für den frühen Verluſt der
Eltern viele Freunde gegeben. Das fühlte ich nie mehr
als jetzt am Beginne meiner Pilgerreiſe. Wo ich hin-
kam, fand ich freundliche Theilnahme und überall erhielt
ich die herzlichſten Verſprechungen, daß fromme Gedan-
12
ken und Gebete auf der heiligen Pilgerreiſe mich und
meine Pilgerfreunde begleiten werden. Freilich lud ich
auch die Verpflichtung der Fürbitte an den heiligen Stät-
ten auf mich; doch dieſes Reiſegepäck kann und darf ja
einem Pilger nicht ſchwer fallen.
Auch meine bevorzugten Gebirgsfreunde beſuchte
ich nochmal. Am heiligen Aloyſiustage las ich in der
Schloßkapelle der edlen Gräfin Colloredo zu Greſten
die heilige Meſſe. Es war der ſchönſte Abſchied von den
frommen Schloßbewohnerinnen. „Gott mit Ihnen“, rief
mir die edle Gräfin noch vom Fenſter nach, als ich nach
Hauſe ging. -
Ergreifend war das Wiederſehen beim alten Pfar-
rer zu Lackenhof am Fuße des Oetſchers, das Du
ſcherzhafter Weiſe mein „la Trappe“ zu nennen beliebſt.
Du haſt recht, dieſer Ort, der einſt den Karthäuſern zu
Gaming gehörte, hat etwas eigenthümlich zur Andacht
Stimmendes in ſeiner imponirenden Einſamkeit. Ich
kann Dir, lieber Freund, gar nicht ſagen, wie wohl und
wehmüthig mir in jenen friedlichen Bergen und freundli-
chen Thälern zu Muthe war. Ich möchte die Paar Tage,
die ich daſelbſt zubrachte, meine geiſtlichen Exerzitien vor
der Pilgerreiſe nennen, denn ſo geſammelt dachte ich
über Mittel, Zweck und Erfolg der Reiſe nie nach,
als dort.
Das ganze Thal und Gebirge nahm übrigens war-
men Antheil an meiner Reiſe, denn Alles – Klein und
Groß – kennt mich dort. Einen ſchönen Zug muß ich
Dir doch mittheilen. Als ich dem Führer, der mir einen
näheren Fußweg zeigte und meine Reiſetaſche trug, zum
Dank für ſeine Mühe Geld geben wollte, nahm er unter
keiner Bedingung etwas an, ſondern bat nur um ein
13
Vater unſer und ein ganz kleines Andenken aus Jeruſa-
lem. Das war ein Holzknecht!
Du wirſt vielleicht glauben, daß ich von dem vie-
len Abſchiednehmen weich geſtimmt worden ſei? Doch da
irreſt Du. Ein einziges Mal traten Thränen in meine
Augen, als ich nämlich meinen Biſchof um ſeinen apoſto-
liſchen Segen zur Reiſe bat, und er in lateiniſcher
Sprache eben ſo ſchöne als fromme Worte, die auf den
Zweck der Reiſe Bezug hatten, ſprach; ja in dieſen hei-
ligen Augenblicken, wo ich die warme ſegnende Hand auf
mir ruhen fühlte, während ich auf den Knieen lag, da
weinte ich, ſonſt nirgends. Im Gegentheile, wenn Andere
weinten, ſo lachte ich, denn meine Seele jubelte ob des
bevorſtehenden Glückes. Manche ſchüttelten den Kopf da-
bei, daß ich meine Zukunft ſo leichtſinnig auf's Spiel
ſetze. Doch welch ſchönere Zukunft kann es geben als den
Boden zu küſſen, wo die Füſſe des Herrn geſtanden?
(Pſalm. 131, 7.) Das iſt das Herrliche eines großen
Unternehmens, daß alles Kleinliche davor verſchwindet.
Uebrigens nahm ich gerne das ſilberne Crucifix an, das
mir eine hohe Dame als Talisman während der Reiſe
verehrte, auf deſſen Kehrſeite die Worte ſtanden: „Er
geleite Sie.“ Dieſes Pilgerkreuz hing ich um, mit dem
Vorſatze es nie von meiner Bruſt wegzugeben, ſo lange
die Reiſe dauert.
Noch muß ich Dich mit meinen Reiſecollegen be-
kannt machen. Der älteſte unter uns iſt der eigentliche
Unternehmer der Pilgerreiſe Joſeph Leonard Mayr,
ein biederer Tiroler aus Lienz im Puſterthale, früher
Großhändler jetzt Privatier in St. Pölten, wo ich ihn
kennen lernte; ein erfahrner, vielgereister, geſchäftsge-
wandter und wahrhaft frommer Mann; er iſt der Papa
14
der Karawane. – Der zweite College iſt der hochwür-
dige Herr Joſeph Hubinger, Canonicus am Colle-
giatſtift zu St. Peter in Wien, ein fein und allſeitig ge-
bildeter Mann, hochgeachtet in hohen Kreiſen; er wollte
ſchon im vorigen Jahre nach dem heiligen Lande pilgern
und ſchloß ſich nun auf meine Einladung hin uns an. –
Als dritter Reiſebegleiter ſtellte ſich unvermuthet der
Chorherr vom Stifte St. Florian Ernſt von Mari-
nelli ein. Er hatte von unſerer vorhabenden Reiſe ge-
hört, und da ihm Plan und Leute zuſagten, ſo ward als-
bald Freundſchaft geſchloſſen. Marinelli iſt ein Dichter-
talent, er hat es in ſeinem „Chriſtnachtstraum" (Wien,
Beck, 1852) erprobt. Haltung und Rede thun an ihm
den Mann von guter Erziehung kund, und aus ſeinen
ſchwarzen Augen ſpricht das Feuer des einſtigen Solda-
ten. Obwohl ein Jahr jünger als ich ſieht er doch viel
kräftiger und männlicher aus, und trägt ſchon einen be-
deutenden Pilgerbart, der ihm gut ſteht. – Noch in der
letzten Stunde ſo zu ſagen kam ein vierter Reiſecollege zu
uns Namens Honorat San to Caſella. Mayr hatte
ihn als Jugend- und Geſchäftsfreund von dem Projecte
in Kenntniß geſetzt reſp. zur Reiſe eingeladen. Caſella iſt
ſeines Geſchäftes ein Kaufmann zu Augsburg, ſeiner
Geburt nach ein Comaske, alſo ein Italiener. Der erſte
Eindruck, den er auf mich machte, war eben nicht gewin-
nend. Denke Dir eine echte Kaufmannsnatur mit klug
berechnendem Auge, ſchlichtem Haar, ſchwadronirender
Zunge, unterſetzter Statur, mehr commandirend und
räſonirend als nachgiebig und ſchweigſam, und Du haſt
ein ſchwaches Bild von dem Manne, der halb Baier,
halb Oeſterreicher und halb Italiener iſt. Doch vielleicht
thue ich ihm unrecht, der Erfolg wird es lehren. Zwi-
15
ſchen Reiſenden knüpft ſich ja von ſelbſt ein eigenthümli-
ches Verhältniß freundſchaftlichen Vertrauens. – Noch
ein Fünfter hatte ſich zum Mitreiſen angemeldet, ein
Geiſtlicher aus Graz Namens Hoffmann; da wir je-
doch nicht über Rom die Reiſe machten, wie er wollte, ſo
gab er uns auf und ging allein.
Eines muß ich noch berühren. Du wirſt Dich wun-
dern, daß ich jetzt im hohen Sommer eine Reiſe in den
heißen Orient unternehme. Allerdings iſt die Zeit dazu
nicht die günſtigſte, indeß Noth bricht Eiſen. Du weißt
daß ich in meiner Stellung als Profeſſor nur über die
Ferialmonate gebieten kann, und meine Reiſecollegen
fügen ſich mit mir dem Drang der Verhältniſſe. Für
morgen den 1. Juli iſt die Abreiſe von Wien feſtgeſetzt.
Darum eile ich zum Schluße. Am Abend vor der
Pilgerreiſe iſt das Herz bewegt, und auch die Zeit zu
kurz, um länger ſchreiben zu können. Die Gefühle wech-
ſeln, und ich vermöchte nicht Dir Alles zu ſchildern, was
in meinem Inneren vorgeht. Nimm dieſe Zeilen gleich-
ſam als Einleitung zu den Pilgerbriefen (ich bin ſtolz
darauf dieſes deutſche Wort zuerſt zu gebrauchen), welche
ich Dir, ſo Gott will, während meiner Reiſe von Zeit
zu Zeit ſchreiben werde. Was ich ſchreibe, ſchreibe ich
Dir, und durch Dich meinen Freunden. Lebe wohl.
Morgen früh neun Uhr fahren wir mit dem Eil-
dampfſchiff von Wien directe nach Conſtantinopel. Wir
hoffen, daß die ruſſiſch-türkiſchen Wirren kein Hinderniß
in unſerm Reiſeplane bilden werden – hofft und ver-
langt ja ganz Europa den Frieden. An kleinen türkiſchen
Inſulten mag es wohl nicht fehlen. Immerhin! Was
wäre eine Pilgerreiſe ohne heilige Romantik! Gott be-
fohlen. Procedamus in pace. Mit treuer Liebe Dein 2c.
–<>HO->–
16
II.
Von Wien nach Galaz.
– Abreiſe von Wien. – Schutz- und Trutzbündniß. – Der Eildam-
pfer „ Franz Joſeph“. – Ein Empfehlungsſchreiben. – Lunch. –
Die einſtige Grenze des deutſchen Elementes. – Die Krönungsſtadt
Preßburg. – Die Feſtung Komorn. – Die Kathedrale des Primas zu
Gran. – Keine Gunſterwirkung. – Peſt und Ofen. – Ungariſche
Reminiscenzen. – Ein Bretterſarg als Liegeſtätte. – Ein kirchlicher
Morgengruß. – Mohacz. – Zuthunliche Magyaren. – Die Korn-
kammer Oeſterreichs. – Das Grabmal Capiſtrans. – Das öſterrei-
chiſche Gibraltar. – Das Militärgrenzland. – Die Zukunft Ungarns.
– Die Feſtung Belgrad. – Orientaliſche Liederlichkeit. – Türkiſche
Barbarei und europäiſche Civiliſation. – Die romantiſche Fahrt
durch's eiſerne Thor. – Ein curioſer Pope zu Altorſowa. – Ein Do-
mauſturm. – Die Wallachei. – Die erſten ruſſiſchen Soldaten. –
Ein humoriſtiſches Intermezzo. – Die Reiſegeſellſchaft. – Eine in-
tereſſante Dichterin. – Eine Nacht unter freiem Himmel. – Das
Einrücken der Ruſſen. – Die Ankunft in Galaz.
Am Bord des „Franz Joſeph“. 4. Juli.
Lieber Freund!
Aus meinem vorigen Briefe konnteſt Du erſehen,
mit welchen Gefühlen und Wünſchen ich meine Pilger-
reiſe angetreten habe. Nun iſt ein bedeutendes Stück be-
reits zurückgelegt, und es drängt mich Dir zu ſchreiben,
denn gewiß erwarteſt Du ſchon Nachrichten von mir. Ich
ſchreibe dieſe Zeilen am Bord des öſterreichiſchen Eil-
dampfers „Franz Joſeph.“
Mit inniger Freude begrüßte ich den Morgen der
Abreiſe, er war ſchön. In einem Fiaker fuhr ich zum
Landungsplatz der Dampfſchiffe im Prater, wo die fünf
17
Pilger zuſammentrafen. Jeder war von Verwandten und
Bekannten begleitet, nur ich ſtand alleine. That dieß ei-
nerſeits weh, ſo hatte es doch anderſeits das Gute, daß
ich leichter vom heimathlichen Boden ſchied als die an-
deren; während es bei dieſen Thränen gab, ſtrahlte ich
in Heiterkeit. Elternloſe Prieſter ſind geborne Miſſionäre.
Wir beſtiegen den ſchönen, faſt neuen Eildampfer
„Franz Joſeph“, der uns bis Galač bringen ſollte. Er
iſt prachtvoll eingerichtet. Auf dem erſten Platze iſt ein
reich ausgeſtatteter Salon, oberhalb welchem ſich eine
breite Terraſſe befindet, von der man die Gegend über-
ſieht. Unterhalb ſind die Schlafſtellen für die Paſſagiere,
je zwei übereinander. Ich hatte mit Marinelli den zwei-
ten Platz gewählt, wo wir jeder 40 fl. C. M. erſparten.
Man hatte uns zwar in Wien durchaus den erſten Platz
einreden wollen, es wäre aber wirklich Verſchwendung
geweſen. Wir erhielten die beſtgelegenen Schlafſtellen an-
gewieſen und wurden mit wahrer Auszeichnung be-
handelt.
Viel trug dazu ein Empfehlungsſchreiben an
ſämmtliche Inſpectoren, Agenten und Kapitäne der Do-
nau-Dampfſchifffahrts-Geſellſchaft bei, worin unter An-
derm ſtand: „Sie wollen dieſen Herrn mit aller Zuvor-
kommenheit begegnen, und bereitwilligſt jede Gelegenheit
wahrnehmen, jede gewünſchte Auskunft zu ertheilen, und
überhaupt ihnen allen und jeden Vorſchub angedeihen
zu laſſen.“
Auf dem zweiten Platze waren nur zwölf Paſſagiere,
beiläufig nochmal ſo viel auf dem erſten.
Um neun Uhr Morgens wurde zur Abfahrt ge-
läutet. Wir Pilger traten auf der hohen Terraſſe zuſam-
men, legten die Hände ineinander und ſchloſſen ein
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 2
18
Schutz- und Trutzbündniß für die ganze Pilgerreiſe. Alle
waren guter Dinge, und betrachteten es als eine gute
Vorbedeutung, daß das Schiff, welches uns mit Dam-
pfeseile dem Orient entgegen trug, den Namen Sr. Ma-
jeſtät unſers vielgeliebten Kaiſers führte.
Kaum waren die heimiſchen Ufer verlaſſen, ſo
flog das Eilboot ſtolz und hurtig dahin, der Stephans-
thurm entſchwand unſeren Augen und zwiſchen Auen und
geſegneten Fluren bei herrlich blauem Himmel ging es
ſtromabwärts. Das Eildampfboot unterſcheidet ſich von
den gewöhnlichen Paſſagierſchiffen, daß es nur wenige
Stationen macht, und faſt Tag und Nacht unausgeſetzt
fortrudert. Bald nach der Abfahrt war Luncheon d. h. Ga-
belfrühſtück, welches in zwei gut zubereiteten Fleiſchgat-
tungen ſammt Zubehör und Wein beſtand. Wir waren
bei gutem Appetit.
Mit Schnelligkeit fuhren wir an Petronell und
dem römiſchen Carnuntum vorüber, in deſſen Nähe
vor Kurzem ein großes Römergrab aufgefunden wurde,
das Baron Eduard v. Sacken in der Wiener Akademie der
Wiſſenſchaften ſo einläßlich beſchrieben hat. – Die
Hunnenburg Hainburg iſt lieblich gelegen; kecke Felſen-
formen drängen ſich ans Ufer vor, im Hintergrund er-
ſcheint die impoſante Schloßruine, vorne die Tabakfa-
brik, die Donau iſt wie ein See abgeſchloſſen. – Unter-
halb iſt das romantiſch gelegene Theben am Auslaufe
der kleinen Karpathen, die einſtige Grenzſtätte des deut-
ſchen Elementes.
Schon nach eilf Uhr fuhren wir durch die Schiffs-
brücke in Preßburg. Ich hätte mir dieſe Krönungs-
ſtadt ſchöner vorgeſtellt; viele Häuſer ſind verfallen. An
der Façade längs der Donau prangen wohl elegante
----
-
19
neugebaute Häuſer, und der grüne Bergmantel, der die
Stadt einhüllt, verleiht ihr ein freundliches Anſehen. Die
alte Schloßruine erinnert faſt an Heidelberg. – Von
Preßburg an verflachen ſich die Ufer immer mehr, ein-
zelne Bäume wechſeln mit Auen, grünen Inſeln, und
zahlloſen Schiffsmühlen. Weit und breit iſt kein Berg zu
ſchauen. Die ungariſchen Dörfer ſind unanſehnlich, das
Land aber iſt fruchtbar, ſo weit das Auge reicht.
Um drei Uhr fuhren wir an Komorn vorüber,
am Einfluße der Waag in die Donau. Trübe Erinnerun-
gen an den letzten ungariſchen Feldzug wurden im Ange-
ſichte dieſer nach Außen unanſehnlichen Feſtung wachge-
rufen. Wie viele Todte liegen hier begraben! Noch ſtan-
den etliche Häuſer ausgebrannt und zerſtört am Strande.
Am rechten Ufer wurde an der Errichtung eines neuen
Fortsgearbeitet.
Nun wurde das Diner ſervirt. Es beſtand aus
vier gut zubereiteten Speiſen, Wein, Erdbeeren und
Cafè; nur das Waſſer war abſcheulich lau – eine Vor-
probe des Orients. Den Cafè nahmen wir im Freien im
Angeſichte von Gr an, das ſich ſchon von Ferne in ſei-
ner Majeſtät präſentirte. Am rechten Ufer breiten ſich
die grünen Hügel des Bakonyerwaldes aus, beiläufig wie
bei Greifenſtein, und auf einer ſtattlichen Anhöhe er-
hebt ſich die neuerbaute Kathedrale des Primas von
Ungarn, an die prachtvolle Walhalla bei Regensburg
erinnernd. Die Glocken läuteten eben zum Abendſegen,
und ich gedachte des verſtorbenen Cardinals Rudnay
und ſeines raſtlos thätigen Vorfahrers zur Reforma-
tionszeit Cardinals Pazmann, deſſen Stiftungen noch ge-
genwärtig für Ungarn von großem Nutzen ſind. Die
2 :
20
Stadt iſt rings um eine Anhöhe gebaut, hat aber ein ſehr
idylliſches Ausſehen.
Während wir einem langen Train nachſahen, der
auf dem linken Ufer in der Richtung nach Wien dampfte,
kam der Kapitän des Schiffes auf uns zu, fragte um
unſere Namen, und erſuchte uns höflich ihm zu folgen.
Er führte uns auf den erſten Platz und meinte, wir
ſollten dort verbleiben und auch unſere Effecten dahin
bringen laſſen. Wir dankten verbindlich, und äußerten
nur den Wunſch mit den Reiſecollegen des Erſten Platzes
ungehindert verkehren zu können. – Der Augsburger-
Kaufmann Caſella ließ dabei das Wort „Gunſterwir-
kung“ fallen, das mir durch die Seele ſchnitt. Gnaden-
bezeugungen will ich von Niemand als von Solchen an-
nehmen, die über mir ſtehen; wer mir aber die erwie-
ſene Gnade fühlen läßt, der ſteht unter mir. Es gibt
einen Adel der Seele und des Geldes; jener erhebt,
dieſer erniedrigt. – Wir benützten ſofort den erſten
Platz, um mit unſeren Collegen auf der Terraſſe zu pro-
meniren und insbeſondere den Cafè miteinander zu
nehmen.
Von Gran abwärts engt ſich die Donau zwiſchen
Bergen ein, und die Ufer werden immer pittoresker.
Beſonders ſchön iſt Waitzen gelegen, mit der Kirche
auf dem Berge und den gut gebauten Häuſern. Vor der
Stadt ankerten drei Dampfer: Nador, Samſon und
Gönyö.
Um ſieben Uhr Abends erblickten wir die königliche
Burg und Feſtung Ofen mit der Stadt, die ſich ma-
leriſch an den Berg anlehnt. Die majeſtätiſche Ketten-
brücke erregte unſere volle Bewunderung. Da unſer Eil-
dampfer in Peſt zum erſten Mal Station hielt, ſo be-
21
nützten wir die freie Stunde, um die reiche Handelsſtadt
mit ihren prächtigen Neubauten zu beſichtigen. Die Stadt
hat etwas Wieneriſches, viel Eleganz und Militär. Ich
kaufte noch einige Utenſilien für die Reiſe ein, wie Feld-
flaſche, graue Brillen gegen die grellen Sonnenſtrahlen
und dgl. und eilte an den Hafen zurück, um die Abfahrt
unſeres Dampfers nicht zu verſäumen. Im Hafen lagen
acht Dampfer vor Anker.
Indeß war die Dämmerung eingebrochen, und die
vielen Lichter an den Ufergelanden ſpiegelten ſich in den
ſchnell laufenden Fluthen. Ich hüllte mich in meinen
grauen Radmantel, und ließ – auf der Schiffsterraſſe
promenirend – die ungariſche Geſchichte an meinem
Geiſte vorüberziehen. Von welch großen Ereigniſſen iſt
dieſer Schauplatz Zeuge geweſen! Türken hausten hier
hundert Jahre; reiche Magnaten lebten hier in fürſtlicher
Eleganz; Koſſuth und Conſorten revoltirten von hier aus
das edle aber leicht erregbare Volk der Magyaren, Graf
Lamberg fand hier den ſchauerlichen Tod durch meuchleri-
ſchen Verrath; Hentzi und Allnoch ſtarben hier den Hel-
dentod. Peſt machte in politiſcher Beziehung einen ähnli-
chen Eindruck auf mich wie Mailand im vorigen Jahre.
Glimmende Aſche!
Zehn Uhr Nachts ſtieß unſer Schiff von Ufer, ließ
ohne Rädergebrauch ſich längs der Häuſerreihe ſtromab-
wärts treiben, und durchfurchte dann die Wellen mächtig
wie früher. Sterne flimmerten am Firmamente und Blitze
wetterleuchteten am fernen Horizont. In der Kajüte ward
Thee ſammt Zubehör ſervirt, worauf wir uns zur Ruhe
begaben. Unſere Liegſtätte beſtand aus einer Art Bretter-
ſarg, gerade groß genug um die Glieder auszuſtre-
22
cken; das Bettzeug war reinlich und Vorhänge trennten
den Schlafenden von der übrigen Tiſchgenoſſenſchaft.
–––><><>--–
Du weißt, mein Lieber, daß ich gern früh aufſtehe.
Schon um halb vier Uhr war ich wach und begab mich
auf die Terraſſe, um das Brevier zu beten. Als ich eben
die Laudes begann, ſtieg die Sonne in prachtvoller Ma-
jeſtät über den Auen empor. Wie niemals fühlte ich den
Sinn des ſchönen Hymus in der Prim:
„Jam lucis orto sidere
Deum precemur supplices,
Ut in diurnis actibus
Nos serveta nocentibus.“
(Die Sonne ſteiget ſchon herauf.
So fleh'n wir denn zu Gottes Güte,
Daß er durch dieſes Tages Lauf
Vor jedem Schaden uns behüte).
Auch die anderen Reiſecollegen kamen nach und
nach auf die Terraſſe, nur Marinelli nicht, der ein Sie-
benſchläfer iſt. Der Morgen war mild und freundlich.
Die niedrigen Ufer ſind von Auen begränzt, die theilweiſe
unter Waſſer ſtanden. Links paſſirten wir eine Stadt, die
Baja zu ſein ſchien, rechts dehnten ſich Weinhügel aus,
im Hintergrunde erſchienen die Karpathen. Es begegneten
uns das Dampfboot „Hildegarde“, viele kleine Schiff-
chen, ſogenannte Einbäumer, und große Ruderſchiffe.
Man ſah auch viele Baracken aus Zweigen oder Schilf-
rohr in Zeltform, bei deren Anblick ich mich fragte: Sind
das Wohnungen?
23
Sechs Uhr früh landeten wir in Mohacs, die
zweite Station ſeit Wien. Die Stadt liegt flach und knapp
am Ufer, die Häuſer ſind einfach und mit Stroh gedeckt.
Am Ufer ſtanden Leute beiderlei Geſchlechtes im einfach-
ſten Coſtüm von der Welt: Hemd und breite Gattie. Die
Männer hatten verbrannte Geſichter, aber edle Phyſio-
gnomien. Ich ſchenkte einem ein elaſtiſches Cigarrenrohr,
worüber er große Freude bezeugte. Als ich ſeinem Nach-
bar auch eine Cigarre gab, da kamen alle her und ſchmun-
zelten, aber keiner bettelte. Das gefiel mir, und ich gab
was ich hatte. Leider konnten wir uns nur durch Zeichen
verſtändigen, denn ich wußte nur „jo róggel“ zu ſagen,
aber Zeichen ſprechen oft mehr als Worte. Als das
Schiff wegfuhr, ſchwenkten ſie die Hüte und grüßten noch,
als wir bereits in der Mitte der Stromes waren. –
Gleich außer der Stadt dehnt ſich die große Ebene aus,
auf welcher 1526 die unglückliche Schlacht geſchlagen
wurde, in welcher der zwanzigjährige letzte König Un-
garns Ludwig II. unter der Laſt ſeines in dem Sumpfe
geſtürzten Roſſes ſein Leben aushauchte, wodurch die
Türken Herren Ungarns wurden, das ſie durch andert-
halb Jahrhunderte mit Feuer und Schwert verheerten,
bis Wien herauf ſtreifend und die Fortſchritte der Civili-
ſation hemmend und dämmend. Auf der weiten fruchtba-
ren Ebene lagerten mehrere tauſend Stück Pferde, Och-
ſen und Schweine untereinander.
Landeinwärts beiläufig eine halbe Stunde erſchien
ſpäter Fünfkirchen, wo der jetzige Primas Scitovsky
früher Biſchof war. Auf den ungeheuren Kornfeldern
war eben der Schnitt, und golden leuchtete der Segen des
Himmels; das Banat iſt ja die Kornkammer von
Öſterreich.
24
Nachdem wir die Mündung der Drau in die Donau
bei Eſſek paſſirt hatten, wurde die Gegend wieder ſchö-
ner. Auf einem Hügel zeigten ſich die Ruinen des Stamm-
ſchloſſes der Grafen Palffy und Erdödi, ſpäter erſchien
das romantiſch gelegene Illok, eine Beſitzung des römi-
ſchen Fürſten Odescalchi, mit einer alten Franziskaner-
kirche, in der das Grabmal Capiſtrans ſich befindet. Die
Lage dieſes Ortes erinnerte mich an Aggſtein an der
oberen Donau. Die Gegend glich hier einem wohlgepfleg-
ten Parke. Der Dampfer „Donau“ fuhr mit ſechs eiſer-
nen Schleppſchiffen, in welchen ſich Schweine meldeten,
ſtrommaufwärts an uns vorüber.
Nun zeigte ſich Peterwardein, vom Peter Ere-
mita ſo genannt, das öſterreichiſche Gibraltar. Die rie-
ſige Feſtung liegt auf einem hohen Serpentinfelſen, um
deſſen Fuß ſich im Halbkreiſe die Stadt ſchlingt. Eine
Schiffsbrücke verbindet die Feſtung mit der Stadt Neu-
ſatz, die noch an Kirchen und Häuſern die Spuren des
letzten Krieges trug.
Bald darnach erreichten wir Carlowitz, die Reſi-
denz eines griechiſchen Erzbiſchofs. Hier beginnt bereits
das Militär-Gränzland. Die Donau theilt ſich in zwei
Arme. Wir fuhren in einer ſchmalen und ſchwerfälligen
Waſſerſtraſſe, und gelangten zur Mündung der Theiß, die
ſich durch weitgedehnte Sümpfe und hohes Schilf charak-
teriſirt. Es begreift ſich, daß dieſe Niederung fieberreich
iſt. Das Land ſtrotzt übrigens von Fruchtbarkeit, und die
Weinrebe gedeiht üppig wie in Italien. Ein reiches, und
doch ſo armes Land! Ungarn hat noch eine große Zukunft.
Gegen fünf Uhr Abends landeten wir in Semlin,
dritte Station ſeit Wien. Dieſe Stadt liegt an der Mün-
dung der Save in die Donau, gegenüber von Belgrad,
25
alſo an der Gränze Öſterreichs. Am Ufer lagen viele
Dampfſchiffe vor Anker, darunter Kübeck, Neptun, So-
phie, Gyulay. Ich ſtieg ans Land, das mir aber ebenſo
ſchmutzig vorkam wie die Leute, die am Ufer ſtanden. Die
Hitze war faſt unerträglich. Wie gerne hätte ich gebadet,
aber die Zeit war zu kurz. – Schon nach einer halben
Stunde fuhren wir wieder fort, und ergötzten uns an
dem erſten Anblick der ſerbiſchen Feſtung Belgrad. Je
näher wir jedoch den verfallenen Baſtionen kamen, deſto
mehr verlor ſich das Impoſante derſelben, und offenbarte
ſich die orientaliſche Liederlichkeit. Der Name Feſtung
klingt jetzt wie eine Ironie, denn man erzählte uns, daß
einige Mauern einſtürzten, als in deren Nähe zur
Begrüßung des Kaiſers Franz Joſeph im Jahre 1852
einige Kanonen gelöst wurden. Einſt jedoch muß die Fe-
ſtung Belgrad dieſen Namen mit Recht verdient haben,
denn ſie überſtand 40 Belagerungen. Hier ſiegten der
Heldenmuth und Heldenglaube eines Johann Hunyad
und Capiſtran (1456), hier fochten mit Glück ein Prinz
Eugen (1717), und Laudon (1789), und doch umſonſt –
denn im Friedensvertrage 1791 ging Belgrad für Öſter-
reich wieder verloren. Ob für immer? wird die Zukunft
lehren.
Es berührt das chriſtliche Gemüth keineswegs an-
genehm, daß die türkiſche Barbarei ſo weit in die euro-
päiſche Civiliſation hereinragt. Während am linken noch
zu Öſterreich gehörigen Ufer das chriſtliche Abendgeläute
ertönt, ruft am rechten Ufer der Muezin des Propheten
Lob von den ſtolzen Minarets herab. Auch im Äußern
zeigt ſich der ganze Verfall der türkiſchen Wirthſchaft.
Elende Baraken ſtehen am Ufer und auf der Anhöhe, und
hie und da lehnt eine türkiſche Schildwache unter einem
26
Sonnenſchirm einen Blauſtrumpf ſtrickend. Die zwiſchen
den Häuſern beſindlichen Bäume geben dem Ganzen in
der Ferne allerdings ein freundliches Ausſehen, allein ſie
können die gränzenloſe Armſeligkeit in der Nähe nicht
verhüllen. So ſtelle ich mir alle orientaliſchen Städte
vor; ſie bezaubern nur in der Ferne, die Natur thut Al-
les, der menſchliche Fleiß nichts.
Am linken Ufer, das ganz flach iſt, ſah man die
ärmlichen Häuschen der öſterreichiſchen Militärgränze,
oft näher, oft ferner. Darin zu leben, muß ein troſtloſes
Geſchäft ſein. Bei Pancſowa trafen wir die erſten
Segelſchiffe.
Die Sonne ging blutroth hinter ſchwarzem Ge-
wölk unter, und der emporwirbelnde Dampfſchiffrauch
bildete eine herrliche Strahlenbrechung. Siehe da das
Bild des ringenden Öſterreich, das ſiegend die Civiliſa-
tion nach dem Oſten trägt, während die türkiſche Barba-
rei in Europa ihrem Untergange nahe iſt. Matt und fahl
ſchimmert der Halbmond auf den türkiſchen Moſcheen,
der Abendhimmel umdüſtert ſich, und es ſcheint ein Ge-
witter zu drohen, dem wir jedoch mit Dampfesſchnelle
entkommen.
Ich muß mich darauf beſchränken nur die hervor-
ragenden Punkte unſerer Donaureiſe zu nennen und kurz
zu beſchreiben. Das türkiſche Semendria beſteht aus
einer Ruine im Viereck mit etlichen zwanzig ſtattlichen
Wartthürmen, die ſich ſchön präſentiren. Um neun Uhr
Abends legten wir bei Baſiaſch an, ein ganz einfacher
Statiousplatz mit etlichen Häuſern. Der Dampfer ver-
weilte hier die ganze Nacht, um die gefährliche Parthie
des eiſernen Thores mit Hilfe eines Lootſen beim Tages-
licht zu befahren.
27
Schon drei Uhr früh – am 3. Juli – wurden die
Anker gelichtet, und ich ſtieg aufs Verdeck, um von der ro-
mantiſchen Fahrt nichts zu verſäumen. Das früher ſo
breite Strombett verengte ſich nun zwiſchen Bergen und
ſenkrecht emporſteigenden Felſenwänden. Am Eingang der
Felſenſchlucht mitten im Waſſer ſteht ein altes Schloß
auf ſpitzigem Felskegel, Columbacz, berühmt wegen
der Mückenſchwärme, die hier hauſen ſollen, von denen
wir aber nichts wahrnahmen. Auf dem Schloße wehte die
öſterreichiſche Flagge. Die Gegend hat einige Ähnlichkeit
mit der ſächſiſchen Schweitz, dort wo ſie wildromantiſch
iſt. Die ſchroffen höhlendurchlöcherten Felſen ſind zumeiſt
bewachſen. Am linken Ufer ſchlängelt ſich die den Felſen
abgezwungene Kunſtſtraſſe hin, die in ihrer Kühnheit an die
Römerzeiten erinnert, ein Werk des edlen Grafen Ste-
phan Széchény.
Bei dem elenden Neſte Drenkowa beginnt eigent-
lich erſt recht das eiſerne Thor. Schneller und reißender
überſtürzen ſich die Wellen, brauſend und rauſchend toben
die zahlloſen Wirbel, ſo daß das rieſige Dampfſchiff ins
Schwanken kommt. Übrigens ſind dieſe einſt ſo verſchrie-
enen Donaukataracten nicht mehr ſo gefährlich wie ehe-
dem, ſeitdem die niedrigen Felsbänke größtentheils ge-
ſprengt worden ſind. Bei dem uns günſtigen hohen Waſ-
ſerſtande ſahen wir nicht einmal die verſteckten Klippen,
und ſicher brachte uns der Lootſe hinüber nach Altor-
ſova der letzten Gränzſtadt des Kaiſerthums Öſterreich
gegen Oſten.
Es war ein Sonntag. Die am Ufer ſtehenden Leute
waren leicht aber reinlich gekleidet. Sonnenverbrannte
Weiber mit kühn geſchlungener Kopfbedeckung, ſchlecht
verwahrtem Buſen und eigenthümlich ausgefranztem
28
Gürtel ſaßen ſtill und boten Kirſchen zum Verkauf. Ich
ſchenkte einem kleinen Mädchen einen Kreuzer, worauf
mich alle verwundert anſahen, als ich wieder fortging ohne
Kirſchen zu verlangen. Die großen Männergeſtalten ſtan-
den ernſt und finſter da mit verſchlungenen Armen. Das
Dampfboot hielt hier zwei Stunden an, während welcher
Zeit unſere Päſſe viſirt wurden.
Ich benützte die kurze Friſt, um das Gränzſtädt-
chen näher zu beſichtigen. Die Häuſer der Donau-Dampf-
ſchifffahrts-Geſellſchaft ſind ſolid gebaut, und wurde auch
in deren Nähe deutſch geſprochen. Einwärts biegend in
die hügelige Straſſe, traf ich eine Art Rebecca, die aus
einem Ziehbrunnen Waſſer ſchöpfte. Weniger aus Durſt
denn aus Neugierde, ob ſie den Fremdling tränken würde,
bat ich ſie pantomimiſch um einen Trunk Waſſer. Schwei-
gend reichte ſie mir den großen zinnernen Krug, und ging
dann fort.
In der Nähe war eine griechiſch ſchismatiſche
Kirche. Ich ging hinein und kam eben recht zu einem Tauf-
acte. Ein alter Geiſtlicher mit langem weißen Bart, im
ſchmutzigen Pluviale, verrichtete die heilige Handlung,
aber nicht ſehr erbaulich. Während er die Gebete mur-
melte, commandirte er mit den herumſtehenden Leuten
und zuſehenden Kindern. Als er mich und meinen Beglei-
ter ſah, rief er uns zu, daß er eben einen Chriſten mache.
Auf meine Frage, ob er ſchon damit fertig ſei? erklärte
er willig den griechiſchen Ritus des Untertauchens, und
ich glaube er hätte auf mein Verlangen den nackten Bu-
ben nochmal getauft. Die ſtädtiſch gekleidete Mutter des
Pathen, der noch ein Knabe war, lächelte, zeigte aber
keine Verlegenheit. Zuletzt ſchnitt er brillenbewaffnet dem
kleinen Erdenbürger an drei Stellen des Hauptes Haare
29
ab, wobei ich in ſteter Beſorgniß ſchwebte, daß er denſel-
ben verletze. Doch es geſchah ihm nichts, und triumphi-
rend führte er uns und die Mutter des Pathen zum Tauf-
protokolle, das neben einem rieſigen Tintenfaß ſich auf
einem Tiſch in der Kirche befand, und ſchrieb – nebenbei
plaudernd – das Nöthige ein. Dann legte er den Ves-
permantel ab, führte uns in redſeliger Heiterkeit in der
kleinen Kirche herum, und reichte zuletzt einen Teller mit
der Bitte um Almoſen für die Kirche. Der gute Mann
benahm ſich in der Kirche buchſtäblich wie zu Hauſe. Mit
den uns nachfolgenden Collegen machte er es ebenſo.
Die katholiſche Kirche iſt etwas entfernt und ſehr
einfach. Die Glocken riefen eben zum Gottesdienſte, dem
wir jedoch nicht beiwohnen konnten, denn die Schiffsglocke
läutete bereits zum zweiten Mal zur Weiterreiſe. Als
Andenken von Orſowa nahm ich mir ein Blatt von einem
prächtigen Lindenbaume mit.
Unterhalb Orſowa erſcheint die türkiſche Feſtung
Neuorſowa, die impoſant auf einer Inſel liegend, den
ganzen Strom beherrſcht. Kaiſer Leopld I. ließ ſie er-
bauen, um die Donau zu ſperren, denn gegenüber liegt
das Eliſabethfort mit maſſiven Baſtionen. Allein jetzt iſt
dieſe Miniaturausgabe einer Feſtung faſt verfallen, und
die weiß übertünchten Wälle bergen kaum die morſchen
Häuſer, die dahinter ſtecken.
Bei Turnſeverin umzog ſich plötzlich der Him-
mel und ein kalter Sturm blies mit ſolcher Heftigkeit, daß
man auf der Terraſſe kaum zu ſtehen vermochte. Das
Thermometer fiel von 26. R. auf 16, und ich hüllte mich
gleich den Anderen in den Reiſemantel. Die Wellen gin-
gen ungemein hoch, faſt wie im Meere, brachten auch die-
ſelbe Wirkung wie auf dem Meere hervor, denn trotz al-
Z()
les Sträubens unterlag ich zweimal der fatalen Seekrank-
heit mitten auf der ſonſt ſo heimiſchen Donau. Traurige
Ausſichten! Unſer Dampfer aber durchfurchte kühn und
kräftig die ſich ſtauenden Wogen und es war ganz gebüh-
rend, daß die türkiſchen Soldaten vor uns präſentirten, als
wir an ihren erbärmlichen Wachhäuschen vorüberfuhren.
Widdin am rechten Ufer der Donau ſcheint eine
anſehnliche Stadt aber eine unanſehnliche Feſtung zu ſein.
Über zwanzig Minarets ragen aus ihr empor. Hier hielt
ſich lange Zeit der flüchtige Koſſuth auf, und viele emi-
grirte Ungarn ſchwuren da den chriſtlichen Glauben ab,
um Mohamedaner zu werden. Ein Beamter der öſterrei-
chiſchen Diplomatie wollte in Widdin ausſchiffen, aber
der heftige Sturm machte es geradezu unmöglich, und ſo
fuhr er mit uns weiter bis Conſtantinopel. Einmal brach
ſogar die fauſtdicke Speiche im Räderkaſten unſeres
Schiffes, ſo daß wir mitten im Fluſſe Anker werfen muß-
ten, um die nöthigen Ausbeſſerungen vorzunehmen, was
über eine Stunde in Anſpruch nahm. – Bei hereinbre-
chender Nacht fuhren wir an Rahowa vorüber, wo we-
gen des nahen Bairamfeſtes die drei Minarets beleuchtet
waren – ein ſchöner Anblick. Während der Nacht lag
das Schiff vor Anker.
Als ich am 4. Juli vier Uhr Morgens erwachte,
war das Schiff bereits im beſten Gange. Die Sonne hatte
ſich eben über dem Waſſerſpiegel erhoben, der Sturm ſich
mehr gelegt, und es ſchien ein ſchöner Tag zu werden.
Zahlloſe Seevögel umſchwärmten uns: Schneehühner,
Möven, Waſſerenten, wilde Gänſe, Schwalben, Pelikane
31
etc. und Schaaren von wilden Schwänen erhoben ſich im
ſchweren Fluge über die meilenbreit mit Schilf bewachſe-
nen Pfützen. Das Waſſer war ſchmutziggrau, faſt ſchwärz-
lich. Ein Storch ſaß auf ſeinem Neſte und ſah uns ſtolz
an, als wir an ihm vorüberfuhren. Auf dem Schiffe be-
fand ſich ein gutes engliſches Fernrohr, durch welches
man die Einſamkeit auf dem Schiffe beleben konnte.
Am rechten Ufer liegt Bulgarien, links die Walla-
chei. Erſteres bietet mehr Abwechslung als letzteres. Die
türkiſche Feſtung Nicopoli, (ſo genannt wegen des
Sieges Kaiſer Trajans über die Dacier) ruht auf einem
Kreidefelſen, von dem herab die rothe Fahne des Prophe-
ten wehte. Große Segelſchiffe lagen im Hafen. Später er-
ſchien am ſelben Ufer Siſtowa. Die Berge ſind faſt
kahl, vieles Terrain liegt brach und unbebaut. Was könn-
ten hier chriſtliche Kolonien unter dem Schutze der Groß-
mächte alles wirken! Doch iſt auch auf dem linken (wal-
lachiſchen) Ufer noch viel zu civiliſiren. Die Häuſer da-
ſelbſt ſind nichts als ein pyramidenförmiges Strohdach
über einer Grube in der Erde. Überhaupt kündet ſich in
mancher Hinſicht der nahe Orient an.
Nun kamen wir in ein mehr kriegeriſch ausſehen-
des Bereich. Auf den Anhöhen bei Rusſchuk bivouakirte
die türkiſche Kavallerie unter grünen Zelten, während in
dem gegenüber liegenden Giurge wo die erſten ruſſiſchen
Soldaten (ſie hatten am 2. Juli den Pruth überſchritten)
Lager ſchlugen. Letztere trugen lange graue Röcke und ſa-
hen keineswegs kriegeriſch darein; ſie waren eben damit
beſchäftigt ſtehend ihr Mittagsmal unter freiem Himmel
aus gemeinſchaftlicher Schüſſel zu genießen. Wir landeten
auf einem Umwege in Giurgewo und ſtiegen ans Ufer,
um den walachiſchen Ort in Augenſchein zu nehmen. Die
32 -
Häuſer ſind unanſehnlich, doch meiſtens mit Ziegeln ge-
deckt. In einem Caféhaus, wo auch Billard geſpielt
wurde, ſahen wir die erſten Türken auf ihren Säbelbei-
nen kauern. Schachernde Juden machten ſich bemerkbar.
Auf dem großen Platze lag fußhoher Staub, und die
Schweine ſpazierten in holdſeliger Freiheit durch die
Straſſen. Nach den Zeitungen hätte hier Alles ſchon von
Ruſſen wimmeln ſollen; indeß ſahen wir, wie geſagt, nur
einen kleinen Vortrab und einige mit kleinen Pferden be-
ſpannte ruſſiſche Fuhrwerke. Das ſteigerte unſeren Muth.
Nach kurzem Aufenthalt ging es ohne alle Hinder-
niſſe weiter nach Turtukai, das wir um zwei Uhr paſ-
ſirten, ein türkiſcher Ort mit unanſehnlichen Lehmhäuſern
und dazwiſchen liegenden ſaftig grünen Bäumen, welche
dem Ganzen ein liebliches Ausſehen gaben. Sonſt war die
Gegend und auch die Fahrt monoton. Da brachte ein hu-
moriſtiſches Intermezzo eine kleine Abwechslung und Auf-
regung unter den Schiffspaſſagieren hervor, das ich Dir,
mein Lieber, doch auch mittheilen muß, ſelbſt auf die Ge-
fahr dahin, daß Du ſo etwas für einen Pilgerbrief nicht
ganz paſſend findeſt. Indeß Du biſt ja kein Feind eines
harmloſen Scherzes, und nur einen ſolchen will ich Dir
ſchildern.
Beim letzten Mittagstiſch auf dem Eildampfer
„Franz Joſeph“ wird den Paſſagieren gewöhnlich ein
Extrawein zum Deſſert credenzt. Wir Inhaber des zwei-
ten Platzes hatten einen feurigen Ungar, jene des erſten
Platzes dagegen Champagner. Es war gerade nicht Neid,
der uns verſtimmte, aber es war uns doch nicht ganz
recht, daß die Reiſecollegen gar ſo laut und luſtig wa-
ren, und uns arme Schlucker ordentlich zu bemitleiden ſchie-
nen. Marinelli und ich promenirten ſchon lange auf der
33
Terraſſe, die Cigarre zerbeißend, da kamen die Schlemmer
voller Späſſe zu uns herauf und neckten unſere Nächtern-
heit. Das verdiente Strafe. Ich redete Marinelli zu auf
die illuminirten Pilger eine Satyre zu dichten. Geſagt,
gethan. Er griff zur Bleifeder und in einigen Minuten
war das Gedicht fertig, das ich Dir mit ſeiner Erlaubniß
weiter unten mittheile.
Nun begann eine orginelle Szene. Die drei Pilger-
collegen des erſten Platzes ſaßen auf dem Mitteldivan
wie auf einer Anklageblank, während Marinelli und ich
mit verſchränkten Armen vor ihnen ſtanden. Wir geboten
Stille und der Dichter declamirte folgendermaſſen:
»Ihr Praſſer! Trinkt Waſſer und laßt uns den Wein!
Was frommt es euch Pilgern benebelt zu ſein?
Sagt, reist man von Augsburg ins heilige Land,
Und trinket ſich Räuſche im Pilgergewand ?
O Santo Caſella, du Stöpſelpatron,
Und du grauer Wiener, wie ſprecht ihr uns Hohn!
Auch der von Sankt Pölten ſoll mir's noch entgelten.
Vom Trinken, vom Trinken die Aeugelein blinken,
Und ach! die Gedanken, die hüpfen und ſchwanken
Und ſegeln daher durch's Champagnermeer.
»Potz tauſend, was treibt ihr? Der Neid zu euch ſpricht.
Da ſitz' ich verlaſſen – ein trockener Wicht –
Und euch, meine Brüder, euch kümmert Das nicht?
Trinkt Waſſer, trinkt Waſſer, oder ſchenkt uns vom Wein,
Denn Freiheit und Gleichheit für Alle muß ſein.
Drum löst eure Schulden mit etlichen Gulden,
Und zahlt auch uns Beiden, die neben euch leiden,
Im fröhlichen Tauſch den Champagnerrauſch;
Denn Gleichheit muß ſein auch beim perlenden Wein.
Und wenn ihr nicht wolltet (doch 's fällt euch nicht ein)
So ſolltet, ſo ſolltet ihr bruderlos ſein!
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 3
/“
34
„Und nun noch zum Ende die praktiſche Lehr':
Gebt Ihr den Champagner nicht gutwillig her,
So laß über's Jahr dieß Liedchen ich drucken,
Und Ihr müßt's mit meinen Papieren verſchlucken“.
Das Gedicht that vollſtändig ſeine Wirkung. Wäh-
rend Alle dem Dichter applaudirten, lief der zuerſt getrof-
fene Caſella fort, um eine Flaſche Champagner zu beſtel-
len. Weil wir inzwiſchen einen enormen Lärm vollbrach-
ten, ſo erſchien auch der erſte Schiffskapitän, und fragte
was es gebe? Auf ſeine Bitte wurde das Gedicht noch-
mal vorgeleſen, und es gefiel ihm – obwohl er nur ſehr
wenig deutſch ſprach – dergeſtalt, daß er uns gleichfalls
eine Champagnerbouteille bringen laſſen wollte. Das
wäre des Guten zu viel geweſen. Wir dankten höflich und
luden ihn zur Flaſche Caſella's. Der Stöpſel flog in die
Luft, und unter heiteren Späſſen wurden dem Dichter,
Kapitän, Geber etc. Toaſte gebracht. Eben ſank die
Sonne prachtvoll im Weſten hinab und ergoß ein roſiges
Licht über die begeiſterte Gruppe. – Das iſt die Macht
des Genie's, es ſchafft leicht und ſchnell, während das
Talent ſich abmüht im Schweiße des Angeſichtes; jenes
electriſirt und begeiſtert, dieſes erregt kalte Bewunderung.
Marinelli hat etwas vom Genie.
Für mich war dieſer Abend noch in anderer Bezie-
hung intereſſant und merkwürdig. Doch bevor ich Dir da-
von erzähle, will ich noch einige Perſonen unſerer bunten
Reiſegeſellſchaft ſkizziren, denn in dieſen vier Tagen wur-
den wir mit allen mehr oder weniger bekannt. Das weite
35
und ſchöne Ziel unſerer Pilgerfahrt erweckte allenthalben
Sympathie und Bewunderung.
Da war ein ſehr neugieriger und geſprächiger Ge-
fährte, der einen mit endloſen Fragen behelligte. Unter
andern fragte er auch, ob ich ledig ſei oder nicht? Man
ſagte mir ſpäter, daß er ein Iſraelite war. Zum Glück
verließ er das Schiff ſchon am erſten Tage.
Ebenſo verließen uns in Peſt zwei galante Damen,
die viel über Oper, Muſik und Bildung ſchwatzten, und
etwas zudringlich waren. Beim Ausſteigen bedauerten ſie
unſere angenehme Geſellſchaft ſchon verlaſſen zu müſſen,
was ich in der Rückantwort natürlich auch bedauerte, ob-
wohl ich im Herzen froh war, daß wir ihrer los gewor-
den. Aber ſo iſt unſere moderne Converſation. Wahrheit
findet man ſelten darin, die Lüge iſt privilegirt, wenn ſie
nur mit einem äſthetiſchen Firniß übertüncht iſt, und das
nennt man dann Bildung! Ich begreife, daß ſolche, die
die Welt kennen und deren Täuſchung genoſſen haben, ſich
nach der Einſamkeit ſehnen und darin glücklicher fühlen.
Unter den Kommenden und Gehenden auf den Mit-
telſtationen waren auch ungariſche Magnaten, die in die
Bäder Mehadia's reisten. Eine ungariſche Dame, deren
Gemal gut kaiſerlich geſinnt war, ſprach längere Zeit mit
mir, und beneidete mich um das Glück das heilige Land
zu betreten. Als ſie mich zufällig bei einer mir ſonſt frem-
den Manipulation traf, nämlich die Bänder an den
Strohhut zu befeſtigen, um ihn gegen den Wind zu ſichern,
bedauerte ſie, daß ich ihr nicht Gelegenheit gegeben habe,
einem Pilger einen kleinen Gefallen zu erweiſen.
Eine komiſche Figur iſt unſer Schiffsintendant, der
die Verköſtigung der Paſſagiere, welche im Fahrtarif
miteinbegriffen iſt, zu beſorgen hat. Er iſt ein redſeliger
Z ::
Z6
Hamburger und trinkt gerne. Manchmal erlaubt er ſich
an unſerem Tiſche an's Gemeine ſtreifende Späſſe. Als
ihm Marinelli auf eine unanſtändige Äußerung ein ernſt
rügendes „Pfui“ zurief, entſchuldigte er ſich artig und
ſagte: „Erwarten Sie denn von einem alten Schiffs-
manne einen anderen Ausdruck?“ Er wird faſt allge-
mein ignorirt, obwohl man mit der Verköſtigung zu-
frieden iſt.
Der zweite Schiffskapitän iſt ein Däne, ein gar jun-
ges Blut noch, war ſchon in Weſtindien und hat Vieles
mitgemacht. Wir ſprachen oft mitſammen, er zeichnete mir
auch etwas in mein Tagebuch als Andenken. Die engliſche
Romanliteratur kannte er ganz genau, aber ein Gebetbuch
mag er ſchon lange Zeit nicht in der Hand gehabt haben.
In meinem Brevier, das er durchblätterte, fand er ein
Bild mit der Unterſchrift: „Prèparation a la bonne
mort“ (Vorbereitung zu einem guten Tode). Es ſchien
ihn anzuſprechen, denn er betrachtete es lange. Vielleicht
hätte er es als Geſchenk angenommen, aber weil er Prote-
ſtant war, ſo wollte ich ihm nicht aufdringlich erſcheinen.
Wir ſprachen nebſt vielen weltlichen Dingen auch über
die göttliche Vorſehung und dgl. Der junge Mann hatte
ein gutes Herz, denn als wir Abends auseinander gin-
gen, fragte er: „Werden Sie an mich in Jeruſalem den-
ken?“ Blaſirte junge Leute, welche die Welt frühzeitig
ſatt genoßen, erwecken mir immer Bedauern, es ſind
frühreife Grabesblüthen.
- Auch mehrere vornehme und reiche Ruſſen waren
auf dem Schiffe. Eine geborne Wienerin, die ihre Ver-
wandten beſucht hatte, ſprach ſich ſehr zufrieden über das
Leben in Rußland aus; ſie iſt eine reiche Bäckermeiſterin
in Odeſſa.
37
Von dem Diplomaten habe ich ſchon oben geſpro-
chen, ich hoffe ihn noch beſſer kennen zu lernen.
Die intereſſanteſte Reiſebekanntſchaft war aber je-
denfalls eine adelige Dame aus Rußland, die während
der erſten Tage der Reiſe ganz theilnahmslos erſchien,
und erſt am letzten Tage aufzuthauen begann, beſonders
ſeitdem ſie von dem improviſirten Gedichte Marinelli's
gehört hatte. Nach den Berichten der Reiſecollegen des
erſten Platzes war ſie ſehr gebildet, jedoch total ungläu-
big, was meinen Wunſch ſie perſönlich kennen zu lernen
ſteigerte. Dieß machte keine Schwierigkeiten, und bald ent-
ſpann ſich zwiſchen uns beiden eine längere Converſation,
über welche ich Dir getreu referiren will, weil ich gewiß
bin, daß Du davon mit Theilnahme höreſt.
Obwohl ungläubig, lenkte ſie ſelbſt das Geſpräch
auf den Glauben. Sie geſtand, daß ſie auf ihren großen
Reiſen durch Frankreich, England und Deutſchland um
allen Glauben gekommen ſei. Ihr kindliches Gemüth
ſträubte ſich eigentlich gegen den Unglauben. In Folge
der geiſtigen Überbildung und in der Unbefriedigtheit ih-
rer Seele griff ſie nach dem Gott des Pantheismus und
ſchwärmte in den vagen Gefühlen einer Naturreligion.
Ich fand es begreiflich, daß ſie nur „ſchwarze Blätter"
dichtete, denn ungetrübter Frohſinn des Lebens gedeiht
nur bei dem Glauben an einen perſönlichen Gott. –
Wir ſprachen viel über Poeſie und deutſche Dichter, die
ſie alle kannte. Für unſere Pilgerreiſe zeigte ſie ein beſon-
deres Intereſſe und fand es poetiſch, daß wir jungen
Leute aus freiem Antriebe und aus religiöſen Motiven
miteinander zum heiligen Grabe pilgerten; ſie verhehlte
es nicht, daß ſie an einer ſolchen Pilgerfahrt gerne
theilnehmen möchte.
38
Daran knüpfte ich einen Gedanken, der wir zufällig
in den Sinn kam. Ich hatte ein nettes franzöſiſches Bild,
das einen jungen Pilger vom göttlichen Heiland geführt
darſtellt. Auf der Rückſeite ſtanden franzöſiſche Verſe,
deren erſte Strophe in deutſcher Überſetzung lautet:
„Wenn feſt entſchloſſen du die Wahl getroffen,
Denk zur Vergangenheit nicht mehr zurück.
An deinen Heiland, ohne Rückhalt, offen
Mit ganzem Herzen häng' nur deinen Blick.
Er iſt's, der dir den ſichern Weg bereitet,
Der dich zu ew'gen Himmelsfreuden leitet.“
Dieſes Bildchen verehrte ich ihr als Andenken an
uns Pilger und ſie nahm es mit unverholener Freude an.
Da ſie früher geſtanden, daß ſie einſt gedichtet habe, ſo
bat ich ſie als Andenken von ihrer Seite um etliche Verſe.
Nach vielem Entſchuldigen und Widerſtreben gab ſie end-
lich nach, und verfügte ſich in die Cajüte.
Nach dem Abendtiſch kam ſie wieder auf die Teraſſe
herauf uud händigte mir die verſprochenen Verſe ein.
Ich hielt es nicht für angezeigt ſie ſogleich zu leſen, ſon-
dern ſteckte das Blatt zu mir. Mich freute das Andenken
im Vorhinein, obwol ich das Fräulein nicht einmal dem
Namen nach kannte. – Wir ſpazierten noch anderthalb
Stunden auf der Teraſſe auf und ab, und ſprachen mit-
einander über den Glauben. Ich ſuchte der jungen Zweif-
lerin mehr Vertrauen auf Gott einzuflößen, und ihre
ſchwarzen Gedanken von Tod, Vergänglichkeit u. ſ. w.
zu berichtigen. Theilweiſe ſchien es mir zu gelingen, denn
öfters blieb ſie ſtehen, ſah mir ſtarr ins Angeſicht, und
lächelte dann ſo freundlich, als ob ſie eine frohe Nach-
richt empfangen hätte. In ſolchen Momenten war ſie
ſchön zu nennen, obwol eine tiefe Wehmuth auf ihren
39
zarten Zügen lagerte, ein Beweis, daß das Antlitz ein
Spiegel der Seele iſt. – Wer einmal einen kindlichen
Glauben beſaß, (und den hatte ſie im frommen Eltern-
hauſe) kann nie mehr radical ungläubig werden; ſolche
glauben mehr, als ſie ſich ſelber eingeſtehen. Wo ein
guter unverdorbener Kern in der Seele ſitzt, da iſt die
Willensſcheue und Nervenſchwäche bei vernünftig liebe-
voller Leitung leicht zu brechen.
Ich fragte ſie auch gar nicht, ob ſie eine Griechin,
Proteſtantin oder Katholikin ſei, denn bei Leuten dieſer
Gattung iſt die kirchliche Confeſſion weniger vom Be-
lange; ſondern ich bemerkte nur, daß es gewiß nicht Zu-
fall ſei, daß ſie nun am Schluße ihrer langen Reiſen
uns Pilger kennen gelernt habe, und daß Gott uns viel-
leicht als Werkzeug benütze, um ſie wieder zur Seligkeit
des kindlichen Glaubens zurück zu bringen. Als ſie ſich
äußerte, daß ſie als Kind ſo glücklich war, wo ſie noch
beten konnte, bat ich ſie wenigſtens Einmal die Worte am
Pilgerbilde „Confido in Domino Jesu" (ich vertraue
auf den Herrn Jeſus) mit dem kleinen Gebete zu ſpre-
chen. Das gelobte ſie denn auch von heute an zu thun
mit dem Geſtändniß, daß ſie ein angenehmes Gefühl bei
dem Gedanken durchdringe, wieder glauben und beten zu
können. Auch ich verſprach für ſie zu beten, und insbe-
ſondere im heiligen Lande ihrer zu gedenken. Sie meinte,
ich werde ihr Schutzgeiſt für die Zukunft ſein, und nie
könne ſie dieſe Stunde vergeſſen. Sie war zuletzt wie ein
gutes Kind – Gott gebe, daß es ſo bleibe. Mit einem
feſten Händedruck gaben wir einander gute Nacht, und
ſchieden. Es war ein wunderſchöner Sternenhimmel.
Die Neugierde nach dem mir als Andenken verehr-
ten Gedichte trieb mich bald in die Kajüte hinab. Das
40
Vlatt war mit Bleifeder beſchrieben, und enthüllte am
Ende auch den Namen der edlen Dichterin. Anknüpfend
an die Worte des Pilgerbildes begann das Gedicht, wie
folgt:
„Nicht mehr rückwärts ſoll ich ſchaueu
In des Schmerzes Schattenreich?
Wohl! Ich will dem Pilger trauen!
Dieſe Hand, die ich ihm reich' –
Sympathetiſch hingegeben –
Bürge für den neuen Bund."
„Darf ich dorthin auch nicht ziehen,
Wo das Grab der Chriſten ſteht,
Nie verſtummen Pſalmodien,
Gläub'ge nahen im Gebet:
O mir bleibt das ſüße Wähnen,
Lindernd meinen Seelenſchmerz,
Daß dem Heiland mich verſöhnen
Will ein edles Pilgerherz.“
„Dorthin will ich oft nun ſchauen,
Wo das Licht im Oſten tagt.
Solche Pilger, voll Vertrauen,
Ziehen gläubig, unverzagt.
Geiſtig dieſem ſchönen Bunde
Schließe ich mich freudig an,
Segmend dieſe Lebensſtunde,
Die mir ſolch ein Glück gewann.“
Eilſchiff Franz Joſef, 4. Juli 1853.
Baroneſſe Bertha . . . .
Das Gedicht freute mich ungemein, denn es galt
mir als Beweis, daß meine Worte nicht ſpurlos verhallt
waren, ſondern Wiederklang gefunden hatten in einer
ringenden Seele. Ich verſuchte zu ſchlafen, aber es ging
nicht. Das ſchwachgläubige unglückliche Kind ſtand immer
vor meinen Augen. Das iſt das Schöne und Großartige
41
im Prieſterleben, daß man mit einer Seele ringet und
leidet, als ob es uns ſelber gälte. So wenig kann der
Prieſter eine ihm anvertraute Seele vergeſſen, als er ſich
ſelbſt vergeſſen kann. Ich betete für Bertha um Glauben
und Vertrauen zu Gott. – Da alles Bemühen einzu-
ſchlafen vergebens war, und auch die Mücken abſcheulich
ſekirten, ſo pakte ich mich zuſammen, nahm meinen Man-
tel, legte mich auf eine hölzerne Bank auf dem Verdecke
und übernachtete unter freiem Himmel. Die Liegeſtätte
war zwar etwas hart, und um Mitternacht wurde es
empfindlich kalt. Doch ließ ich mich davon nicht anfechten,
ſondern ſchlief prächtig, bis mich die zahlloſen Vöglein
aus dem Schlummer ſangen.
Man glaubt ſich verzaubert, wenn man in ſolcher
Umgebung mitten auf dem Waſſer plötzlich erwacht. Wir
hatten nämlich ſpät Abends mitten im Fluße Anker ge-
worfen, nachdem wir vorher Siliſtria und die halb-
mondförmige Feſtung Hirſowa paſſirt hatten.
Um drei Uhr früh wurden ſchon die Anker gelich-
tet, und ich genoß, der Einzige unter den Paſſagieren, das
herrliche Schauſpiel des Sonnenaufgangs. – Im großen
Hafen von Ibraila, wo wir uns kurz aufhielten, erfuh-
ren wir, daß die Ruſſen in Jaſſy eingerückt ſeien. Neue
Bedenklichkeiten.
Doch nun iſt es Zeit, mein Lieber, daß ich dieſen
Brief ſchließe, denn wir nähern uns bereits dem erſten
Ziel der Reiſe, nämlich der Handelsſtadt Galacz. Zahl-
loſe Segelſchiffe liegen im Hafen, von den öſterreichiſchen
Dampfbooten: Friedrich, Peſt, Ferdinand und Perſia. –
Nun heißt es von dem lieb und heimiſch gewordenen Eil-
ſchiffe „Franz Joſeph", dem Kapitän und der Mehrzahl
42 V
der Mitreiſenden Abſchied nehmen, denn Viele gehen nach
Odeſſa, Wenige nach Conſtantinopel. Wir trennen uns
ſchwer, denn ſo bequem und angenehm werden wir kaum
wieder reiſen. Eben ſuchte ich die ruſſiſche Dame in der - -
Kajüte auf, gab ihr mein Billet mit der Adreſſe, und
erneuerte das Verſprechen nach der Pilgerreiſe zu ſchrei-
ben. Ein Händedruck, und wir ſchieden, um uns vielleicht
im Leben nie mehr zu ſehen.
Schon nach einer Stunde ſoll der bereit liegende
Lloyddampfer „Ferdinand" uach Conſtantinopel abfahren.
Daher lebe wohl, es grüßt Dich tauſendmal Dein :c.
–888–
III.
Von Galacz nach Conſtantinopel.
– Wechſel der Szene auf dem Lloyddampfer Ferdinando primo. –
Einrichtung auf dem Schiffe. – Ueberfüllung von Paſſagieren. –
Flucht der türkiſchen Frauen vor den heranrückenden Ruſſen in Tult-
ſcha. – Die geſährliche Fahrt durch die verſandete Sulinamündung. –
Erhebender Anblick des ſchwarzen Meeres. – Ruhige Fahrt. – Eine
romantiſche Dame. – Ein gewaltiger Streit mit den Türkinen, die
dafür abgeſperrt werden. – Feſtung Varna. – Soldatentransporte.
– Miſerables türkiſches Militär. – Ein unbeanſtändeter Gang durch
die Feſtung. – Ergötzliche Verwirrung auf dem Schiffe. – Ein ge-
müthlicher Conſtantinopolitaner. – Ein Onkel Tom. – Illumination
zu Burgas. – Seekrankheit beim Anblick des Bosporus. – Herrliche
Fahrt durch denſelben. – Landung im Hafen zu Conſtantinopel. –
Lieber Freund!
Am Bord des Lloydſchiffes „Ferdinand“ 7. Juli.
Der Aufenthalt in Galacz dauerte nicht lange, was
uns nicht unangenehm war, denn es begegneten uns aller-
43
hand unheimliche Geſichter. War das ein Herumbalgen
bei Viſirung des Paſſes! Wir hielten uns gar nicht län-
ger in den ſtaubigen Straßen auf, ſondern lenkten unſere
Schritte nach dem weiter unten liegenden Lloyddam-
pfer, wohin indeß auch unſer Reiſegepäck geſchafft wor-
den war.
Der Lloyddampfer, der uns gaſtlich an Bord
nahm, hieß „Ferdinando Primo." Er iſt viel höher
gebaut, aber bei weiten nicht ſo elegant wie das Eilſchiff
„Franz Joſeph." Auf dem Schiffe herrſchte eine große
Regſamkeit, wie ſie nur in Seehäfen getroffen wird, wo
man Schiffe zu einer weiteren Reiſe ausrüſtet. Alles
zeigte an, daß wir einer neuen uns unbekannten Welt
entgegenkamen, denn wir Pilger Öſterreichs galten hier
als Fremdlinge. Man ſah, hörte und roch den Orient.
Das war ein Wechſel der Szene und Reiſegeſell-
ſchaft! Da kauerten Türken auf Teppichen und ſchmauch-
ten ihren Tſchipuk, dort watſchelten Türkinen in gelben
Pantoffeln und mit verſchleierten Geſichtern, da ſäugten
Griechinen und Jüdinen ganz offen ihre Kinder, dort
feilſchten Wallachen und Serbier in ihren landesüblichen
Trachten. Auf dem zweiten Platz des Schiffes wäre es
nicht möglich geweſen zu bleiben, denn es dunſtete dort
wie in einer nicht gereinigten Kinderſtube. Wir bezahlten
daher die Billeten für den Erſten Platz, wo ſich nicht
mehr als zwanzig Paſſagiere befanden. Der Camariére
wies uns die Liegeſtätte an, deren je zwei eine Kabine
bilden.
Nun ſtiegen wir auf's Verdeck hinauf, um die Ab-
fahrt des Schiffes zu ſehen. Der Steuermann mußte eine
Viertelſtunde lavieren um fortzukommen, weil der Hafen
voll von Schiffen war. Welche Freude empfanden wir,
44
als wir auf dem Balkon eines nahen Hauſes den Kapi-
tän des Eilſchiffes „Franz Joſeph" und die rnſſiſche
Dame erblickten! Die weißen Tücher wehten noch lange
einander Abſchiedsgrüſſe zu, bis wir dieſelben wegen zu
großer Entfernung nicht mehr ſahen. Uns alle rührte
dieſe Aufmerkſamkeit.
Unſer Schiff ging etwas ſchwerfällig, man merkte
es ihm an, daß es ſchon manchen Seeſturm mitgemacht.
Die Einrichtung iſt ganz wie auf Seeſchiffen. Wenn die
Ablöſungsſtunde iſt, ſo läutet der Steuermann, und eine
Glocke am Vorderdeck telegraphirt das Zeichen zurück,
und mit militäriſcher Pünktlichkeit begeben ſich nach der
Ordnung die Kapitäne, der Steuermann, Maſchiniſt, die
Matroſen und Heitzer auf ihren Poſten. – Um zehn Uhr
war Collation, eine Art Gabelfrühſtück, beſtehend aus
Thee, Salami, Schinken, doppeltem Fleiſch, Eierſpeiſe,
Wein, Kaffee, Käſe, Mandeln. Es waren unſer zehn bei
Tiſch, der Kapitän präſidirte. Die Converſation ward in
italieniſcher Sprache geführt, deren Mayr und Caſella
vollſtändig mächtig ſind. Die Matroſen nannten uns
ni padroni“ (die Herren) des Schiffes.
Nach der Collation hielt ich eine Rundſchau auf
dem Schiffe, und ſtellte darüber meine Betrachtungen an.
Hinter einem Verſchlage in der Nähe des Steuerruders
hockten die verſchleierten Türkinen, lauter häßliche und
eckelhafte Geſtalten, die ganze Rauchwolken aus ihren
langen Pfeifen in die Luft dampften, einige ſchnupften
auch und zwar ganz entſchiedene Priſen. So viel ich
bemerken konnte, hatten die Weiber ſchwarzgefärbte
Augenbraunen, rothgefärbte Nägel, und ungeheure
Naſen, die wie ein Vorgebirge aus dem ſonſt ver-
ſchleierten Geſichte hervorragten. – Die erwachſenen
45
Türken kümmerten ſich nicht um die Weiber, von denen
ſie abgeſchloſſen waren, ſondern ſpielten apathiſch mit
gewaltigen Roſenkränzen. – Die kleinen Türken liefen
unter den Füſſen herum, oder vollbrachten ein Conzert in
allen möglichen Tonarten. – Der Kaffetier Achmed, ein
flinker Grieche, hatte für dieſe Gattung Reiſender eine
eigene Bude auf dem Verdecke, und war vollauf beſchäf-
tigt ſeine männlichen und weiblichen Kunden zu befrie-
digen.
Die Fahrt ging glücklich vorwärts in einem breiten
Donauarm, das Auge ſuchte jedoch umſonſt einen Ruhe-
punkt. Die Dörfer in der Moldau ſind ebenſo armſelig
wie in der Wallachei. Nur die Alexanderkirche, welche
der ruſſiſche Kaiſer dieſes Namens an der Stelle bauen
ließ, wo er über die Donau ging, iſt ein ſtattliches Ge-
bäude. Einige wollten auch die Reſte der Trajansmauer
bemerken, die der römiſche Kaiſer Trajan von der Donau
nach dem ſchwarzen Meere querhin ziehen ließ. Auf einem
Berge entdeckten wir ein türkiſches Kavallerielager mit
grünen Zelten und etwa hundert campirenden Pferden.
Die erſte Landung fand in dem türkiſchen Hafen
Tultſcha ſtatt, in den wir zwiſchen zahlloſen Segelſchif-
fen hineinfuhren, um eine Strecke vom Ufer entfernt
Anker zu werfen. Nun entfaltete ſich ein merkwürdiges
Schauſpiel. Von allen Seiten ruderten Schiffe herzu mit
einer Unzahl von neuen Paſſagieren. Ganze Rudel türki-
ſcher Frauen kamen mit Katzen, Eunuchen, Mohren und
Sclavinen, die eine Ladung von Decken und Teppichen
mit ſich ſchleppten. Das gab eine ergötzliche Verwirrung,
ein Keifen, Streiten und Schreien ohne Ende, es war
wie eine eilige Auswanderung in angſtvoller Beſtürzung
vor dem heranrückenden Feinde. Faſt ſchien es, als
46
wollten alle Paſcha und Unterpaſcha ihren Harem bei
Zeiten in Sicherheit bringen. So übertrieben waren die
kriegeriſchen Gerüchte, die den Ereigniſſen vorauszogen.
Etliche fünfzig Weiber nahmen die Hälfte des erſten
Platzes ein. Als wir die Fahrt nach einſtündigem Auf-
enthalt fortſetzten, herrſchte jedoch trotz der Menſchen-
menge eine unheimliche Stille, und wir waren faſt die
einzigen, die ſprachen.
Bald außer Tultſcha trennt ſich die Donau in
mehrere Arme, die nordwärts ziehen und ſich unanſehn-
lich in das Meer verlieren. Wir lenkten in die ſogenannte
Sulin amündung ein, die nichts als ein breiter zwi-
ſchen hohem Schilfrohr eingeengter Donauarm iſt. –
Um drei Uhr war Diner von ſechs Speiſen, die jedoch
nicht ſo ſchmackhaft zubereitet waren wie auf dem „Franz
Joſeph". Als wir vom Speiſen aufſtanden, kündete Alles
die Nähe des Meeres an. Es war eine leicht begreifliche
Spannung des Gemüthes auf dem gewaltigſten Strome
Deutſchlands ſich hinaustragen zu laſſen in das weite
Meer, das die Küſte Aſiens beſpült. Unzählige Schiffe,
gewiß etliche tauſend, benützten den günſtigen Wind und
ſteuerten mit vollgeblähten Segeln in die Donaumündung
herein, und unſere Kapitäne kommandirten mit wahren
Stentorſtimmen, um die entgegenlaufenden Schiffe zum
Ausweichen zu bewegen. Die Sulinamündung iſt nämlich
ſtark verſandet, und daher für die Schiffe ſehr gefährlich.
Wir ſahen etliche fünfzehn Wrack geſcheiteter Boote, von
denen nur mehr die hohen Maſten über dem Waſſerſpie-
gel emporſchauten. Die ſeichten Stellen waren mit rothen
Tonnen bezeichnet.
Unſer Dampfer glitt an allen gefährlichen Stellen
glücklich vorüber, und ſchon lachte uns der weite Spiegel
47
des Meeres entgegen, als plötzlich eine allſeitige Beſorg-
niß entſtand. Die Matroſen hielten krampfhaft die Anker-
ketten, andere liefen beſtürzt bald dahin bald dorthin, der
Kapitän war wüthend. Da lenkte der Steuermann, und
in günſtiger Wendung ſtach das Schiff in die volle See
hinaus. Es war, als hätte man uns eine ſchwere Laſt
von der Bruſt gewälzt, und wir athmeten wieder frei.
Ein ſtolzes Gefühl beſeelte uns, denn ſoweit das Auge
reicht, ſah man nichts als den dunklen Waſſerteppich
des ſchwarzen Meeres, auf den ſich der roſige Horizont
ſtützte.
Der Anblick des Meeres hat ſtets etwas Erheben-
des, denn das Unermeßliche und Majeſtätiſche mahnt an
die Gottheit. Ich hatte wohl das Meer bei Trieſt geſehen
und befahren, aber hier machte es auf mich einen weit
großartigeren Eindruck. Marinelli, der das Meer noch
nie geſehen, verherrlichte es durch ein Gedicht, das Du
vielleicht ſpäter einmal zu leſen bekommen wirſt. Es war
auch wirklich prachtvoll. Die Sonne ſank eben mit heili-
ger Ruhe in das naſſe Grab hinab, und hinterließ ein
herrliches Farbenſpiel in den Wolken. Es war zum Be-
ten ſchön. Die See ging ruhig, und alle Befürchtungen
wegen einer ſich einſtellenden Maretta erwieſen ſich als
grundlos. Ein leiſer Wind, der die dunklen Wellen ſanft
kräuſelte, war angenehm erfriſchend. Die Schwankungen
waren unbedeutend. Ich blieb bis nach acht Uhr auf dem
Verdecke, nahm dann etwas Thee, und legte mich in das
reinlich hergerichtete Bett ſchlafen, mich mit dem unver-
meidlichen Mantel bedeckend. Mit angenehmen Träumen
ſchlief ich ein, und zwar am beſten ſeit dem Antritt unſe-
rer Reiſe.
48
Nach drei Uhr wurde ich wach, und eilte auf das
Verdeck, um den Aufgang der Sonne nicht zu verſäumen.
Im Oſten graute es bereits, und langſam und würde-
voll erhob ſich das Tagesgeſtirn mitten aus dem Meere.
Schade, daß Marinelli ſo ein Siebenſchläfer iſt. Es war
nicht kalt und nicht windig, ſondern ſanft wie geſtern fuhr
unſer Dampfer durch die ſchwärzlichen Wogen.
Je mehr es Tag wurde, deſto lebendiger wurde es
auf dem Schiffe. Die untereinander kauernden Türkinen
(ſie mußten die ganze Nacht auf dem Verdecke zubringen)
erhoben ſich von ihren Pölſtern und zogen die über Nacht
zum Trocknen ausgehängten Windeln zu friſcher Benüt-
zung ein. – Eine häßliche alte Katzenmutter griff zuerſt
nach ihrer Tabakspfeife, und ſuzelte am großen Bern-
ſteinknopf, den ſie ganz in den zahnloſen Mund hinein-
ſteckte. Die Kinder erwachten und konzertirten wie geſtern.
– Ein gutmüthiger Mohr, eine Art Onkel Tom, nahm
ſich der Kleinen an, trug ſie auf ſeinen Armen, ſpielte,
lachte, tanzte und ſpazierte mit ihnen, und die Kleinen
herzten ihn; er kam auch öfter auf mich zu, um ſeinen
Klienten eine Abwechslung zu bieten. – Die Juden bete-
ten und ſangen mit ihren Riemen an den Händen; einige
Armenier laſen in den Gebetbüchern. – Endlich kamen
auch die Collegen herauf und Caſella antwortete auf die
Begrüßung: „Aber ſo lange ſchlafen!" mit ſeinem Lieb-
lingsſprichworte: „Hat vollſtändigen Grund."
Gegen acht Uhr Morgens ſahen wir rechts das
feſte Land und einen hohen Römerthurm; weiße Vögel
ließen ſich blicken, und das Waſſer war ſchön dunkelblau.
Wir näherten uns dem Vorgebirge Gilgard. Die Küſte
iſt weißlicher Kreidenfelſen, und die Uferwände ſind hoch
und ſteil, mit rothen Schichten durchzogen. Die Nähe des
49
Landes thut dem Binnenländler ſtets wohl, ein Zeichen,
daß er zu keinem Seemanne taugt.
Mittags entſtand ein gewaltiger Streit unter den
Türkinen. Einige beſchwerten ſich, daß der junge Schiffs-
lieutenant ſie immerfort anſehe, und beriefen ſich darauf,
daß ſie unter öſterreichiſchem Schutze reiſten. Sie keiften
ſelbſt untereinander, daß dieſe oder jene beſagten Schiffs-
lieutenant angeſehen habe, und eine ſchob es auf die
andere. Die Weiber hatten eine ſehr geläufige Zunge,
obwol ſie türkiſch ſprachen. Als der Kapitän davon hörte,
und die Weiber bei ihm ſich beklagten, ließ er den ganzen
Weiberplatz mit einem Segeltuch abſperren, ſo daß ſie
wie in einer großen Hühnerſteige ſaßen, in der ſie Nie-
mand mehr beläſtigen konnte. Die Jüngeren ſahen wohl
traurig drein, denn wahrſcheinlich war es nur Neid und
Eiferſucht der Alten, die zu dieſem Intermezzo Veranlaſ-
ſung gaben. Übrigens konnte faſt gar keine derſelben auch
nur beſcheidene Anſprüche auf Schönheit machen, und
ſelbſt die blendendſte Schönheit müßte in ſolch ſchmutzigem
Anzuge verlieren. Das Unäſthetiſche kann nie ſchön ſein.
Inzwiſchen näherten wir uns der hiſtoriſch und
ſtrategiſch wichtigen Feſtung Varna, und gegen Mittag
kollerte der Anker mit tüchtigem Gepolter auf den Mee-
resgrund. Eben landete auch das türkiſche Dampfboot
„Bosporus", welches Soldaten an Bord hatte, die hier
ausgeſchifft wurden. Das kriegeriſch bemannte Dampf-
ſchiff, an deſſen oberſtem Maſte die türkiſche Flagge mit
Stern und Halbmond wehte, bot einen impoſanten An-
blick. – Die Feſtung ſieht von der Ferne nicht übel aus;
ſie erhebt ſich auf einem ſanft vom Meere aufſteigenden
Hügel, und zeigt ein Häuſerlabyrinth mit emporragenden
Cypreſſen und Minarets.
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 4
50
Da wir einige Stunden in Varna anhielten, ſo
benützten wir die Zeit, und ſchifften mit dem Kapitän in
einer Barke ans Land, um die Stadt zu beſehen. In un-
ſerer Geſellſchaft befand ſich auch eine Frau, die einen
blendend weißen Beduinenmantel trug, und ſich von einem
Herrn am Arme führen ließ, worüber ſich die Türken
höchlich verwunderten, zumal ſie ganz unverſchleiert war;
denn niemals geht ein Türke auf öffentlicher Straße mit
einer Dame. Einigen ſchien jedoch dieſe abſonderliche Sitte
des fränkiſchen Barbaren zu gefallen, denn ſie lächelten
ganz beifällig.
Das Innere der Stadt iſt ſchmutzig, die Häuſer
ſind von Holz, die Straßen enge. Die Feſtungswerke
ſehen theilweiſe erbärmlich aus, doch ſind einige von
deutſchen und franzöſiſchen Ingenieuren ganz neu ange-
legt worden. Auf der Anhöhe, die den Hafen beherrſcht,
ſah man die grünen Zelte eines Lagers und viele Ver-
ſchanzungen. – Wir zogen über eine Stunde in der
Stadt herum, ohne daß uns jemand ein böſes Geſicht
zeigte. Man ſagte, es ſei dieß die Folge einer erſt kürzlich
ausgeführten Exekution, indem der Paſcha einigen über-
müthigen Türken, die einen Engländer halbtodt prügelten,
die Baſtonade geben ließ. – Wir beſuchten auch den
Bazar d. h. öffentliche Verkaufsbuden, die durch ihren
Schmutz ſich auszeichneten. In einem Kaffeehaus ſah es
ſo eckelhaft aus, daß wir wieder fortgingen ohne einen
Kaffee zu nehmen.
Als wir zum Hafen zurückkehrten, kamen uns die
inzwiſchen ausgeſchifften türkiſchen Soldaten entgegen,
lauter traurige abgelebte Figuren; auch die Offiziere
ſchleppten ſich mehr als ſie gingen. Vorne zog eine Mu-
ſikbande mit verſtimmten Horninſtrumenten, aus denen
51
ſie unisono einen ohrenzerreiſſenden Marſch blies, wor-
auf dann getrommelt und gepfiffen wurde. Es mögen im
Ganzen bei 400 Mann geweſen ſein. – Aber nicht nur
die Haltung der Mannſchaft war nachläſſig, auch ihre
Equipirung ließ manches zu wünſchen übrig. Auf dem
Kopfe trugen ſie den rothen Fes, der gar nicht gegen die
Sonne ſchützt, daher ſie auch alle bronceartig colorirte
Geſichter hatten; der blaue Rock mit einer Reihe Meſ-
ſingknöpfe zeigte rothe ſchäbige Aufſchläge; eine faden-
ſcheinige weiße Pantalon bedeckte die Säbelbeine; die
Fußbekleidung endlich war pantoffelartig, damit man ſie
leicht abſtreifen kann, weil der Türke nach mohamedani-
ſchen Grundſätzen bei dem viermaligen Gebete des Tages
unbeſchuht ſein ſoll. Wahrlich, dieſer erſte Anblick der
einſt ſo gefürchteten Türken war nicht imponirend. Welch
ein Abſtand gegen das öſterreichiſche Militär! Sowie in
dieſem die Kraft des Staates, ſo liegt im türkiſchen Mi-
litär das Siechthum der Türkei ausgeprägt.
Als wir für zwei Piaſter wieder zu unſerem
Dampfboote zurückſchifften, fanden wir dasſelbe von neu-
hinzugekommenen türkiſchen Frauen und Kindern ſo über-
füllt, daß man ſich kaum umdrehen konnte. Doch der Ka-
pitän ſchaffte bald Ordnung. Er kommandirte italieniſch,
und der Dragoman des Schiffes dolmetſchte es den Tür-
ken. Hier lernte ich auch das Geheimniß, wie man ſchelten
könne, daß es in allen Sprachen verſtändlich iſt. – Die
Sprache des Kapitäns imponirte. Er ließ den ſchon be-
ſtehenden Weibertrakt verlängern, ſo daß er die ganze
Hälfte des erſten Platzes der Länge nach einnahm. Frei-
lich war dieß den Weibern, die ſich's ſchon bequem ge-
macht hatten, unlieb; auch ein dicker Türke, der von ſeinem
Teppichdivan weichen mußte, nahm die Maßregel ſehr
4*
52
mißfällig, aber folgſam auf. Dieſe Umlagerung dauerte
ziemlich lange, und ging nicht ohne Keifen und Murren
ab. Endlich nach anderthalbſtündigem Aufenthalt war alles
in Ordnung, und wir verließen den Hafen.
In kurzer Zeit begegneten wir zwei türkiſchen
Dampffregatten, die voll Soldaten waren. Dieſer krie-
geriſche Anſtrich hat ſein Intereſſantes; zum Glück reiſen
wir jedoch dem allfälligen Kriegsſchauplatze davon. –
Beim Diner war es ganz heiter, wozu ein alter Kauf-
mann aus Conſtantinopel, Namens Vitalis, viel bei-
trug. Er theilte gaſtfrei ſeine aus Varna mitgenommene
Lieblingsſpeiſe unter uns aus, nämlich ſaure Milch mit
Zucker, die mir wohl nicht behagte, die der gute alte
Herr aber in ſtaunenswerthen Porzionen zu ſich nahm.
Er hatte offene und noble Manieren, redete in allen
Sprachen, und war ein guter Katholik.
An unſerm Tiſch befand ſich auch jene elegant ge-
kleidete Dame mit dem weißen Beduinenmantel, die ich
früher erwähnte; ſie war noch jung, aber ein auffallen-
der Zug wehmüthigen Ernſtes umſpielte ihre Lippen.
Von dem mitreiſenden Diplomaten, der über Alles in-
ſtruirt iſt und über alle Verhältniſſe bald mit einer
gewiſſen non chalance bald heimlich thuend, zu ſprechen
weiß, erfuhren wir ihre Lebensſchickſale. Sie iſt aus
guter Familie, wofür auch ihr Benehmen und die ferme
Kenntniß des Italieniſchen und Franzöſiſchen bürgt. Ein
revolutionärer Flüchtling lernte ſie im Hauſe ihrer
Eltern kennen, gewann ihr Herz und entführte ſie. Ein
Pope fand ſich, der ſie traute, und ſo lebten ſie eine kurze
Zeit miteinander. Als ſie über die Gränze kamen, gab
ſich der Schurke als Jude zu erkennen, und verließ die
ſchmählich Getäuſchte, deren Herz er geraubt, deren
53
Unſchuld er geknickt hatte. Die Unglückliche getraute ſich
nicht zu ihren Eltern zurück, ſondern irrte ſeitdem herum,
und fiel ſo in die Hände jenes Herrn, der ſie zu Varna
am Arme geführt. Bedauernswerthes Weſen! Die Fur-
chen in deinem noch ſo jungen und idealen Geſichte ſind
erklärlich. So iſt die Liebe die Quelle des Segens und
Fluches!
" Nach Tiſchtheilten wir unſeren Kaffee mit dem
gutmüthigen Mohren und dem dicken Türken, die darüber
hoch erfreut waren und mit rührenden Worten, die wir
leider nicht verſtanden, dankten. – Die Weiber auf
dem Schiffe ließen ſich's gut geſchehen, ſie rauchten und
ſchnupften was ſie konnten; einige, die Kinder hatten,
improviſirten für dieſe in der Luft ſchwebende Wiegen;
die Halberwachſenen kauten Citronen, oder aßen rohe
Gurken ohne allen Zubehör; ein Bub im Hemde und
mit Sporen an den Pantoffeln lief ſo lange trabend auf
und ab, bis es ihm der Kapitän unterſagte.
Abends gegen neun Uhr kamen wir in die Nähe
von Burgas, dem zweiten und letzten Landungsplatz am
ſchwarzen Meere. Ein Kanonenſchuß auf unſerem Schiffe
ſollte wahrſcheinlich als Warnungszeichen für die Schiffe
im Hafen dienen. Alle Minarets der Stadt waren be-
leuchtet, was ſich gut ausnahm, ſo daß die großen
und kleinen Türkinen laut ihre Freude äußerten. – In
Burgas wiederholten ſich dieſelben Auswanderungsſze-
nen; der Schreck vor den Ruſſen muß paniſch auf die
Leute gewirkt haben. Ich hatte die Sache bald ſatt, kroch
in meine Bettſtelle hinein, und hörte nichts mehr von
der Abfahrt des Schiffes.
54
Heute Morgens, mein Lieber, erwachte ich mit
hochgeſpannten Erwartungen, denn es ſollte uns das
Glück zu Theil werden die berühmte Hauptſtadt Con-
ſtantinopel, das alte Byzanz, zu ſehen. – In blauer
Ferne war die Meeresküſte ſichtbar; je näher wir jedoch
derſelben kamen, deſto ſtärker wurden in Folge der Bran-
dung die Schwankungen des Schiffes. Ein leichtes Un-
wohlſein nahm mir den Kopf ein, und ich verſuchte auf
einer Bank des Verdeckes zu ſchlafen, aber es wollte nicht
gehen, denn die türkiſchen Weiber ächzten und krächzten
bereits in der unanſtändigſten Weiſe. Das Unwohlſein
wurde immer ärger, der Brechreiz unwiderſtehlich. Zwei-
mal überwand ich den Anfall der Seekrankheit, das dritte
Mal aber mußte ich dem Meere den ſchuldigen Tribut
zahlen. Mich ärgerte dabei nur, daß ich erſt jetzt dem
Übel erlag, wo es faſt nicht mehr der Mühe werth war,
denn wir hatten den heimtückiſchen Pontus Euxinus be-
reits hinter uns, und fuhren eben in die Meerenge
des Bosporus ein, die aſiatiſche Küſte lag vor unſeren
Augen. Die Einfahrt dürfte kaum eine halbe Stunde
breit ſein. Es war zehn Uhr Morgens.
Nun begann eine himmliſch ſchöne Fahrt, die bei-
nahe zwei Stunden währte, nämlich durch die Meerenge
des Bosporus. Nicht leicht wird ſich irgendwo ſo viel
Reiz beiſammen finden, wie auf dieſer majeſtätiſchen Waſ-
ſerſtraße. Zu beiden Seiten erheben ſich ſanft gewölbte
Hügel, von reizenden Querthälern durchſchnitten, und
nur ein ſchmaler Raum iſt für die Ortſchaften, Paläſte
und Schlößer geblieben, die das beiderſeitige Ufer ſchmü-
cken. Man glaubt ſich in einen Zaubergarten verſetzt, in
dem die herrlichſten Bäume, vor allen Cypreſſen und
Palmen blühen. Es begreift ſich, wie ein Engländer eigens
55
hieher reiſen konnte, um etliche Mal den Bosporus auf-
und abzufahren, und dann mit dieſen Eindrücken heimzu-
kehren, ohne die Stadt Conſtantinopel betreten zu haben.
– Das Auge hat kaum Zeit zu ſehen, und viel zu ſchnell
fliegen die ſchönen Punkte vorüber, die man gar ſo gern
feſthalten möchte. Heute war noch dazu hoher Feſttag,
nämlich das Bairamfeſt, und alle Schiffe prangten daher
im Schmucke von vielen tauſend und tauſend vielfärbigen
Fahnen und Fähnlein. Da die Strömung ungeheuer
iſt, ſo fliegen die Burgen und Schiffe und Ufer am Auge
vdrüber, und da bei einer jeden neuen Krümmung der
Waſſerſtraſſe ein neues überraſchendes Bild erſcheint, ſo
iſt es als ob die Couliſſen einer Schaubühne langſam
und leiſe zurücktreten und eine Szene mit der anderen
wechſelt. Das tiefe Blau des ſüdlichen Himmels ſpiegelte
ſich in dem noch tieferen Lazur des eilig dahin wogenden
Meeres, und ein herrlicher Sommertag goß ſeine Be-
leuchtung über die unvergleichliche Landſchaft. Stelle dir
das, mein Lieber, nur ein bischen in deiner Phantaſie
vor, und Du wirſt mir glauben, daß ich ſchnellſtens auf
mein Unwohlſein vergaß, und alle meine Sinne auf das
paradieſiſche Schauſpiel conzentrirte.
Was ich mir in Eile von den Explicationen des
Conſtantinopolitaners Vitalis, der den freundlichen Cice-
rone machte, merken konnte, iſt folgendes: Der Eingang
in den Bosporus iſt mit Forts verſehen und vielen
Strandbatterien, ſo daß man glauben ſollte es ſei unmög-
lich von dieſer Seite Conſtantinopel zur See beizukom-
men. Ein Leuchtthurm, eine alte Genueſerfeſtung, zahlloſe
Kriegs- und Kauffahrteiſchiffe. Rechts in der innerſten
Bucht liegt Bujukdere, wo die europäiſchen Geſandten
ihre Landhäuſer haben. Auf der Anhöhe iſt ein Aquäduct
56
mit hohen Bogenſäulen ſichtbar, der das Trinkwaſſer
nach der Hauptſtadt leitet, ein Römerbau. Unzählige Pa-
läſte der Griechen und Armenier, der Miniſter und Sul-
tane, bald am aſiatiſchen bald am europäiſchen Ufer, bald
kleiner bald größer, ſtets in wunderſchöner Lage und mit
den obligaten Gitterfenſtern für die Sultansfrauen. Die
hölzernen Häuſer ſind meiſtens mit rothen Ziegeln ge-
deckt. Kleine weiß angeſtrichene türkiſche Paſſagierbote
fahren geſchäftig hin und her. Der Erdboden ſieht jetzt
zur Sommerszeit ausgebrannt aus, aber wie ſchön muß
es hier im Frühjahre ſein, wenn alles grün iſt! Rumeli-
Iſar und Anatoli - Iſar ſind einander correſpondi-
rende Feſtungen auf den verſchiedenen Ufern.
Endlich erblickten wir in der Ferne wie im blauen
Luftmeere ſchwebend die byzantiniſche Kaiſerſtadt und
jetzige Sultansreſidenz Conſtantinopel. Es war ein
freudiger Schreck, der die Seele beim erſten Anblick durch-
bebte, indem hier die geſchichtlichen Erinnerungen wie
vielleicht nirgends ſo die Phantaſie mit Bildern über-
füllen. Da erhob ſich aus dem amphitheatraliſchen Häu-
ſermeere das Serail des Großherrn mit den ſchlanken
Spitzthürmen der Sophienmoſchee; da zeigte ſich das
aſiatiſche Scutari mit der ungeheuren Kaſerne; da lag
der Leanderthurm mitten im Meere; da breitete ſich das
Marmarameer mit den Prinzeninſeln aus bis zum fernen
Horizont, den der ſchneebedeckte Olymp mit ſeiner kühn
geformten Gebirgskette beherrſcht. Wahrlich, ein Pracht-
anblick; meine Erwartungen waren nicht befriedigt, ſon-
dern übertroffen.
Nachdem wir an den Vorſtädten Pera, Galata
und Tophana vorübergefahren waren, und die neue Ka-
ſerne, die wie ein Belvedere von der Anhöhe niederblickt,
57
bewundert hatten, lenkte unſer Schiff, und im Angeſichte
des goldenen Horns fielen die Anker, – wir waren
in Conſtantinopel. Es war gerade zwölf Uhr Mittags.
Die unvergeßliche Fahrt durch den Bosporus hatte eine
Stunde und zwanzig Minuten gedauert. – Kaum ange-
kommen donnerten von allen Seiten die Kanonen. Faſt
hätte man ſich einbilden können, der feſtliche Empfang
gelte den angekommenen Fremden; indeß erfuhren wir
bald, daß heute der erſte Tag des Bairamfeſtes (türkiſche
Oſtern) ſei, der erſte Freudentag nach überſtandenem Ra-
mazan (Faſtenmonat). Zuerſt krachten die Strandbatte-
rien am Serail, dann die von Topchana, dann von allen
türkiſchen Schiffen, die im Hafen lagen, ſo daß es einer
ganzen Bataille glich. Der große weite Hafen mit dem
dicht gedrängten Maſtenwald und den leicht dahin flie-
genden Gondeln war in Pulverdampf gehüllt. – Das
öſterreichiſche Dampfboot „Wien" lag dicht neben uns. –
Unzählige Möven ſchaukelten ſich ungenirt in dem blau-
grünen Waſſer, das knapp bis an die Häuſer reicht.
Leute und Schiffe drängen ſich herzu, Kaiksführer tragen
ihre Dienſte an mit dem Zuruf: „siamo patrioti" (gut
Freund). Das Hafenleben iſt ungemein bewegt.
Nun beginnt die Ausſchiffung, wobei die Weiber
ebenſo viel Umſtände wie die Türken Lärm machen. Gerne
wäre ich auch ſogleich ans Land gefahren, aber Collega
Caſella fand es beſſer zuerſt allein an's Land zu fahren,
um ein für uns paſſendes Gaſthaus zu ſuchen. Ich war
über dieſe unpraktiſche Bevormundung etwas unwirſch,
denn es kommt mir gerade ſo vor, als ob jemand von
der Belvederelinie in Wien nach der Stadt führe, um den
„Matſchakerhof" oder die „Stadt Frankfurt" anzuſehen,
und dann die Reiſekollegen dahin abzuholen. Die Geduld-
58
probe iſt für mich umſo härter, weil mich in Folge der über-
ſtandenen Seekrankheit der Hunger plagt. – Doch das
Warten von zwei Stunden hat das Gute, daß ich dieſen
Brief an dich, mein Lieber, noch ſchreiben und ſchließen kann.
Eben kommt die Nachricht, daß wir ausſchiffen
und im erſten Hotel von Conſtantinopel logiren werden.
Gott zum Gruß. Bald mehr aus Conſtantinopel. Mit
Liebe Dein 2c.
–cBZ 8 –
IV.
Erſter Aufenthalt in Conſtantinopel.
– Unheimlicher Eintritt in das Innere der Stadt. – Schmutz und
Unrath. – Hotel de l'Europe. – Eine verbrauchte Schreckensfinte. –
Ein katholiſches Leichenbegängniß. – Ein türkiſches Todtengaſtmal. –
Die Hundepolizei. – Die Morgenkanonade am Bairamfeſte. – Ein
gewagter Blick in's Türkenviertel. – Ein Minneſänger auf der Straße.
– Die türkiſche Frauenwelt. – Der brave Führer Criſtofero. – Der
Sultan zu Bebek. – Eine luſtige Kaiksfahrt zu den himmliſchen Ge-
wäſſern. – Gefühle bei Betretung des aſiatiſchen Bodens. – Der
Plumpſack auf dem Spielplatz der Sultansfrauen. -– Als Giaur
in Scutari begrüßt. – Der große Cypreſſenhain. – Ein Grabmal für
ein Lieblingsroß. – Ein unſicheres Bad beim Leanderthurm. – Tolle
Bairamsluſt. – Die Herrlichkeit und Beſchwerlichkeit eines türkiſchen
Bades. – Schickſale eines kaiſerlichen Ferman. – Beſuch des Serail,
der Sophienmoſchee c. – Der Bazar. – Landsleute. – Ein Probe-
ritt. – Der katholiſche Erzbiſchof. – Die öſterreichiſche Geſandtſchafts-
kapelle. – Die tanzenden Derwiſche. – Das goldene Horn. – Die
ſüſſen Wäſſer Europas. – Blinde Kuh. – Rekruten. – Jardin des
fleurs. – Modifikation des Reiſeplanes. –
Lieber Freund!
Conſtantinopel, 11. Juli.
Nun iſt ein bedeutendes Stück unſerer Pilgerreiſe
bereits zurückgelegt. Ich ſchreibe Dir dieſe Zeilen aus der
59
alten Weltſtadt Conſtantinopel, wo ich mich bereits ſeit
vier Tagen befinde. Ach wie viel habe ich in dieſen Tagen
ſchon geſehen, gehört und erlebt; welch' bange und hoff-
nungsvolle Gefühle durchdringen hier das gläubige Herz.
Ich will Dir nach dem Leitfaden meines Tagebuches Alles
gerne und getreu mittheilen, und benütze dazu einige ru-
hige Stunden, um Dir im Anblick des zauberiſch ſchönen
Himmels, der ſich über das goldene Horn vor den Fen-
ſtern meiner Wohnung wölbt, zu ſchreiben.
Wir kamen, wie ich Dir letzthin ſchrieb, am erſten
Tage des Bairamfeſtes nach Conſtantinopel, und wir
ſahen vom Schiffe aus Alles im Prachtgewande und Feſt-
tagsſchmucke. Doch welche Enttäuſchung für das wonne-
trunkene Auge, als wir in einer Barke ans Ufer ſchifften
und den einſtigen byzantiniſchen Boden betraten! Schon
bei dem erſten Schritt ans Land zeigte ſich die ganze Er-
bärmlichkeit der türkiſchen Staatswirthſchaft. – Wir
landeten beim Zollamt, mit welchem der Beſitzer unſeres
Hotels, der uns eigens entgegengekommen war, im guten
Einvernehmen zu ſtehen ſchien; die Unterſuchung war –
bevor ſie begann – mit einem Bakſchiſch (Trinkgeld)
beendigt.
Nun begann eine andere Szene. Die zahlreich her-
umſtehenden Hamals (Laſtträger) fielen über unſer Ge-
päck her als ob es ihnen gehörte, und rauften ſich um den
Verdienſt etlicher Piaſter (beiläufig ein Silberſechſer).
Endlich waren vier robuſte Träger auserſehen, die ſich
kameelartig auf die Kniee niederließen, und auf ihre Schul-
terſättel unſere Koffer und Reiſeſäcke luden. – So ging
es durch ein kleines Thor (Tophana), wo vor etlichen
Stunden ein Doppelmord vorgefallen war. – Der erſte
Eintritt in die Stadt war etwas unheimlich, denn es
60
fehlte nicht an Geſichtern, in welchen ſich eine ſouveräne
Verachtung der fränkiſchen Giaurs ausſprach, die es
wagten am Bairamsfeſte die Chalifenſtadt zu betreten.
Wir gingen ſchweigend an Allen vorüber, und ließen uns
muſtern. Aber wie abſcheulich und eckelhaft war das In-
nere der Stadt, deren Anblick aus der Ferne ſo bezau-
berte! Die kothigen Straßen waren mit allerhand Miſt
und Unrath bedeckt, auf dem ſich mitunter räudige Hunde
ſonnten und zwar mit ſolcher Behäbigkeit, daß keiner ſich
rührte, ob auch zur Rechten und Linken die Leute im
bunten Gewimmel durcheinander wogten. Wir gingen
durch enge (nach der Vorſtadt Pera) bergan ziehende
Gäßchen auf erbärmlichem Pflaſter. Da hier kein Wagen
fahren kann, ſondern alles getragen werden muß, ſo
kamen uns alle Augenblicke ſchreiende Hamals und la-
mentirende Eſel entgegen, denen man ausweichen mußte,
indem man ſich an die Mauer drückte. Die größtentheils
hölzernen Häuſer waren buntfärbig angeſtrichen, ſchienen
baufällig, und machten mit den verſchleierten Gitterfen-
ſtern einen melancholiſchen Eindruck. Sofort kamen wir
über den Viktualienmarkt, wo die Hunde noch zahlreicher
herumlagen, und zogen an vielen ſchmutzigen Buden vor-
über, in denen verkauft und gearbeitet wurde, bis wir
nach einer guten Viertelſtunde beim erſehnten Gaſthauſe
anlangten, das den Namen führte: Hôtel de l'Europe.
Das Haus lächelte uns freundlich an, denn es war
groß, ſolid und im europäiſchen Geſchmacke neu gebaut.
Der Eingang und die Altanen waren mit Blumen ge-
ſchmückt, und der Hotelsinhaber, ein Italiener, führte
uns bewillkommend ſogleich in die bereits accordirten
Zimmer. Wir drei Geiſtlichen wohnten im zweiten Stock
in nobel eingerichteten Gemächern, die in einen gemein-
61
ſchaftlichen Saal ausmündeten, der von Spiegeln und
Tapeten ſtrotzte, und zugleich eine prachtvolle Ausſicht
auf den Bosporus, das Serail und einen Theil des gol-
denen Horns gewährte. Die eiſernen Betten waren mit
großen weißen Vorhängen zur Abwehr der Mücken ver-
ſehen. Mit dieſem Comfort an der Schwelle des Orients
waren wir alle höchlich zufrieden, und wollten uns eben
gemüthlich für den Aufenthalt einiger Tage einrichten.
Da erſchien plötzlich und unerwartet der alleswiſ-
ſende Diplomat, den ich Dir ſchon im letzten Briefe ſchil-
derte, und verſicherte mit geheimnißvoller Miene, daß der
türkiſche Fanatismus gegenwärtig ſehr groß ſei, daß man
heute einen Ausbruch der Feindſeligkeiten gegen die Chri-
ſten erwarte, daß wir gut thäten Conſtantinopel baldigſt
zu verlaſſen, er könne für nichts gut ſtehen u. d. gl Mir
eckelte bei dieſen Worten, denn ich durchſchaute die alte
ſchon tauſendmal verbrauchte Schreckensfinte des Bai-
ramfeſtes, und ſprach meine Überzeugung auch furchtlos
und entſchieden gegen den Diplomaten und die Collegen
aus. Dadurch gelang es die bangenden Gemüther zu
beſchwichtigen und den geſunkenen Muth zu heben; ſelbſt
der ſogenannte Diplomat fügte ſich. Du wirſt Dich lie-
ber Freund, über meine Courage wundern? Wundere
Dich immerhin, es iſt reine Wahrheit, auf Reiſen wächſt
mir der Muth.
Indeß war für uns Gäſte eine Collation im Gar-
tenſalon bereitet worden, der wir weidlich zuſprachen,
beſonders ich mit dem von der Seekrankheit hart mitge-
nommenen Magen. Wie köſtlich war eine Schaale Thee,
ein gebratenes Huhn, ein Glas Tenedoswein u. ſ. w. –
Weil ein Beſuch im Türkenviertel an dem erſten Tage
unſeres Aufenthaltes nicht gerathen war, ſo ſchlenderte
62
ich mit Marinelli in den engen und holperigen Gäſſen
des Frankenviertels Pera herum; es war ſehr belebt
darin, hie und da ſtanden ſtattliche Häuſer. Unter anderm
kamen wir auf einen freien Platz, wo der katholiſche
Friedhof war. Ein Europäer, den wir fragten, und der
zufällig ein deutſcher Arzt war, theilte uns mit, daß man
ſogleich die Leiche eines Katholiken hier beerdigen werde.
Richtig erſchien auch bald ein katholiſcher Prieſter im
Rochet mit Miniſtranten im Chorrock; aus dem Rauch-
faß qualmte der Weihrauch, und voran ward das Kreuz
getragen. Ein an und für ſich trauriger aber zugleich ein
wohlthuender Anblick am Bairamsfeſte zu Conſtantino-
pel. Ich hätte mir nicht gedacht, daß in der Türkei, noch
dazu in der Sultansſtadt, der katholiſche Cultus ſich ſo
öffentlich zeigen dürfe; denn ſolche Freiheit hat die Kirche
nicht einmal in manchen chriſtlichen Ländern! Später
erfuhr ich, daß auch die Frohnleichnamsprozeſſion öffent-
lich und feierlich in Conſtantinopel abgehalten werde.
Freilich liegt die Urſache dieſer Toleranz mitunter auch
in der jetzigen Apathie der Türken. Kurz – das Leichen-
begängniß erfreute uns. So berühren ſich oft die Kontraſte
des Lebens: Freude und Wehmuth.
Nun lenkten wir unſere Schritte wieder zurück und
gingen längs der großen türkiſchen Artilleriekaſerne, vor
welcher Kanonen aufgepflanzt waren, über einen türki-
ſchen Friedhof, auf welchem ſo eben zwölf luſtige Türken
ein Todtengaſtmaleinnahmen; ſie kauerten auf dem Grab-
hügel und ließen ſich's gut geſchehen. – Glücklich kamen
wir in unſer Hotel zurück, wo um 6 Uhr Abends das
Diner ſervirt wurde, an welchem nebſt uns zwölf Eng-
länder, größtentheils Kadeten und Offiziere aus der eng-
liſchen Marine theilnahmen. Die ſieben Speiſen waren
63
gut gekocht. – Nach Tiſch wären wir noch gerne fortge-
gangen, aber vorſichtshalber blieben wir zu Hauſe und
ergötzten uns an der abendlichen Bairamskanonade von
dem Balcone aus, auf weichgepolſterten Divans bis
9 Uhr plaudernd und ſchmauchend.
Nach einer überſtandenen Seefahrt hat man ſtets
das Gefühl, als dauerten die Schwankungen noch fort,
beſonders wenn man im Bette liegt. Deßungeachtet ſchlief
ich die erſte Nacht in Conſtantinopel ganz vortrefflich. So
eine Nacht am Bosporus hat aber auch etwas ſehr Ein-
lullendes. Nicht einmal einen Glockenſchlag vernimmt
man, nur die Beſtien von Hunden bellen und heulen zu-
weilen, beſonders wenn ein paßloſer Collega ſich in ein
anderes Viertel verirrt, was ſtets eine hundspolizeiliche
Verfolgung mit eclatantem Straßenlärm abſetzt.
Die Morgenkanonade des zweiten Bairamfeſtta-
ges weckte mich bald nach drei Uhr früh aus dem ſüßen
Schlummer. Ich eilte zur Altane und ſah in der Däm-
merung das Blitzen aus etlichen hundert erdröhnenden
Kanonen. Es war ein milder ſchöner Morgen, kein Wölk-
chen am Himmel. Ein ſanftes Säuſeln des Windes er-
friſchte die Luft und die Glieder, und die erſten Strahlen
der Sonne ſpiegelten ſich in den vergoldeten Halbmonden
der himmelanſtrebenden Minarets. Im Hafen unten ent-
faltete ſich ein luſtiges Leben, und Schiffe in zahlloſer
Menge fuhren den Bosporus hinauf und hinunter.
Nach genommenem Kaffee machten Marinelli und
ich uns auf, um die koſtbare Zeit zu benützen. Die Neu-
gierde trieb uns nach dem Türkenviertel, dem eigentlichen
Conſtantinopel, und zwar ohne Führer. Wir wollten nur
64
einen Blick hineinwerfen, und dann wieder umkehren.
Das wäre aber bald ſchlimm abgelaufen. – Als wir
nämlich durch viele lange Gäßchen bergab gegangen
waren, ſtanden wir auf einmal vor einer großen Brücke,
welche die Vorſtädte Pera und Galata mit dem eigentli-
chen Conſtantinopel verbindet. Viele Leute drängten ſich
auf derſelben hinüber und herüber. Unſerm Glücksſtern
vertrauend mengten wir uns ohne viel zu überlegen in
den Menſchenſchwall, als wir plötzlich angehalten wur-
den. Wir wußten nicht, warum ? verſtanden auch nicht
was der Mann ſagte, indeß erriethen wir bald, daß wir
ein Brückengeld zu bezahlen hätten. Wir gaben etliche
Piaſter, womit der Mann höchlich zufrieden war (denn
die Taxe iſt drei Para), und gingen weiter. – Die
Brücke iſt im ſchlechten Zuſtande und hat zwei Erhöhun-
gen, durch welche die Schiffe paſſiren. In dem Meerbu-
ſen des goldenen Horns war ein betäubendes Geſchrei,
überall wurde gehandelt, gekauft und verkauft wie an
Werktagen, und doch war das Bairamfeſt und zwar über-
dieß noch Freitag, alſo türkiſcher Sonntag! Türken ſaßen
in ihren Buden, denn die Koransexegeſe verbietet an
Feiertagen nur das Arbeiten, nicht das Verkaufen.
Bis jetzt ging Alles gut. Meinen Reiſeerfahrungen
zufolge ſtellte ich mich, als ob mir ohnehin ſchon Alles
gründlich bekannt wäre; aber Marinelli's Wißbegierde
hätte uns beiden bald übel bekommen. Er blickte forſchend
herum, ſo daß etliche Wichte unſere Schwäche erkannten
und mit impertinenter Zudringlichkeit ſich uns als Cice-
rone antrugen. Trotz aller Remonſtrationen ließen ſie ſich
nicht abwehren, ſondern folgten explizirend auf dem Fuße,
bis Marinelli einem ſolchen Zudringlichen einige rauhe
Worte entgegenſchleuderte, worauf dieſer wohl ſtehen
65
blieb, aber uns den für die jetzigen Zeitverhältniſſe ſehr be-
denklichen Schimpfnamen nachrief: „Russi, Moscov", als
ob wir Spione wären. Selbſt die Türken, an denen wir ſonſt
unangefochten vorübergingen, richteten jetzt ihr Augenmerk
auf uns, und wir lenkten deßhalb in eine Straße ab, wo eine
alterthümliche Moſchee ſtand, in deren Vorhof ſich gerade
viele Türken an den zahlreichen Waſſerbecken die Hände
und Füße wuſchen, wie dieß vor dem Gebete in der Mo-
ſchee bei ihnen üblich iſt. Hier war es womöglich unheim-
licher, und ich verſetzte meinem ſonſt ſo lieben Reiſekol-
legen, der einen Türken um den Namen dieſer Moſchee
frug, einen ſanften Rippenſtoß, und rieth ihm zum Rück-
zuge. Wie leicht hätte uns hier etwas geſchehen können,
ohne daß unſere Reiſefreunde etwas wußten.
So traten wir alſo den Rückzug an durch unzäh-
lige ſtinkende Handwerksbuden, in denen friſch gearbeitet
wurde, und Hunderte von herrenloſen Hunden gelbbrau-
ner Farbe neben Verreckten ihres Gleichen herumlagen,
bis wir glücklich zur oberen Brücke kamen, die ſchön und
neu iſt, beiläufig 630 Schritte lang, und auf welcher kein
Brückengeld zu bezahlen war. So waren wir wohlbehal-
ten wieder am anderen Ufer, in der Vorſtadt Galata und
trachteten nach Hauſe. In den Gäſſen herrſchte manchmal
ein unausſtehlicher Geruch. Die Häuſer trafen wir in
der Regel feſtgeſchloſſen und an der Pforte mit einem
Klopfer verſehen. Die Bauart iſt faſt überall gleich: die
höheren Stockwerke ſchieben ſich über die unteren heraus,
und ſind mit zahlreichen Erkern geſchmückt, die Fenſter
mit dichtem Holzflechtwerk vergittert. Hie und da produ-
zirte ſich vor etwa zwanzig Umſtehenden ein öffentlicher
Sänger, der mit monotoner Begleitung von Trommel
und Pfeife ein altes Heldengedicht zum Beſten gab. In
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 5
66
der einzigen breiteren Straße ſahen wir auch einſpännige,
ſtark vergoldete und äußerſt ſchwerfällige Räderkaſten, in
welchen türkiſche Frauen mit ihren Kindern ſich befanden.
Die Frauen trugen reiche, bunte Kleider, und ſchienen
ſehr vergnügt zu ſein, obwohl ſie auf dem holperigen Pfla-
ſter tüchtig herumgebeutelt wurden und der Wagen ent-
ſetzlich raſſelte und rumpelte. Wir ſchauten dieſe Frauen-
gebilde mit der vom Diplomaten uns eingeprägten Schüch-
ternheit und Eingezogenheit an, was nicht verhinderte,
daß die Weiber deſto kecker nach uns blickten. Alle trugen
den weißen Schleier (Jaſchmak), der das ganze Geſicht
mit Ausnahme der Naſe verhüllt; doch kam es mir vor,
als ob die ſchöneren Geſichter einen viel durchſichtigeren
Schleier hätten als die häßlichen. Einige Frauen waren
erſtaunlich beleibt und ſtrotzten im Fette – das ſoll in
der Türkei als Schönheit gelten.
Keine türkiſche Frau begegnete uns in Begleitung
eines Mannes, aber auch nicht allein, ſondern mit einer
Freundin oder Sclavin. Ihre Tracht iſt plump aber nicht
geſchmacklos. Alle tragen eine weite baumwollene oder
ſeidene Türkenhoſe und einen einfärbigen Mantel, der
den Schnitt eines Schlafrockes hat, und der mit dem
Kragen bis auf die Knie reicht, den Körper dergeſtalt
einhüllend, daß gar keine Formen zu errathen ſind. Auf-
fallend häßlich aber ſind die gelben kurzen Stiefel mit
weiten Schäften, die den Fuß (Strümpfe ſind ſelten)
bekleiden, und noch überdieß in gelben Pantoffeln ſtecken,
was wahrſcheinlich jenen watſchelnden Elephantengang
verurſacht, der an der türkiſchen Frauenwelt ſo abſcheu-
lich iſt. Schmuck tragen ſie ſelten; nur die Güte des Stof-
fes unterſcheidet die reiche von der ärmeren Klaſſe. Die
Haare flechten ſie in kleinen Zöpfen, die nach unten hinab-
67
fallen. Die Nägel und inneren Handflächen ſind roth
gefärbt, Augenbraunen geſchminkt, oft auch die Wangen;
die Finger voll von Ringen. Bei dieſem kurzen Ausflug
ſahen wir wenig Schönes, viel Häßliches, einige wahre
Vogelſcheuchen. Gegen zehn Uhr kamen wir von der ge-
wagten Excurſion glücklich in unſer Hotel zurück.
Während der Collation theilte der artige Hotels-
beſitzer, der die zudringlichen Fliegen mit einem eleganten
Wedel verſcheuchte, die Nachricht mit, daß an dieſem
Feiertage der Sultan in Gala nach der Moſchee in Be-
bek fahre. Wir beſchloſſen ſogleich uns dahin zu verfü-
gen und nahmen zu dieſem Behufe einen verläßlichen Füh-
rer, der uns empfohlen ward, zugleich als Dragoman mit.
Er hieß Criſtofero, war ein katholiſcher Grieche, aus
Athen gebürtig, und ſprach geläufig italieniſch, franzö-
ſiſch, griechiſch und türkiſch. Wir behielten ihn auch für
die folgenden Tage, und bezahlten ihm für jeden Tag nur
fünf Franken. Mit ihm gingen wir zum Meere hinab, wo
wir einen Kaik mit drei Ruderer mietheten, denen wir
für den ganzen Tag 6 fl. C. M. nebſt Bakſchiſch entrich-
teten. Die Kaiks ſind feingeſchnittene und leicht gebaute
Schiffe, lang und ſchmal, ſo daß ſie beim geringſten
Übergewichte umſchnappen. Die Ruderer waren robuſte,
ſchöne Leute, die mit faſt lautloſem Ruderſchlag pfeil-
ſchnell zwiſchen zahlloſen ihres Gleichen dahin fuhren,
ohne je anzuſtoßen oder auch nur einen Augenblick anzu-
halten; jeder Mann handhabte zwei Ruder. Bänke gibt
es keine in einem ſolchen Schiffe, ſondern man ſitzt tür-
kiſch auf der Erde d. h. auf der Bodenfläche des Schiffes.
Anfangs hat das Schwanken bei der geringſten Bewe-
gung etwas Unheimliches, aber man gewöhnt es ſehr
5
(58
bald; mir für meine Perſon war die ſchnelle Kaiksfahrt
ſtets lieber als in einer ſchwerfälligen Barke.
Luſtig ging es ſtromaufwärts an dem Sommerpa-
laſte des Sultan vorüber, wo die kaiſerlichen Kaiks mit
goldverbrämten Thronhimmel nebſt anderen eleganten
Schiffen und vieler Dienerſchaft in Bereitſchaft ſtanden.
Kaum waren wir an dem prachtvollen Gebäude vorüber,
als es zwölf Uhr ſchlug, und von allen Seiten die Kano-
nen erdröhnten, ſo daß unſer Schifflein ganz in Wolken
gehüllt war. Alsbald kam das Sultansſchiff mit ſeinen
vier Begleitungsſchiffen, die in großer Schnelligkeit da-
hinflogen, uns nach. Auf einem jeden dieſer Schiffe be-
fanden ſich 20 weißgekleidete und rothumgürtete Ruderer,
welche die Ruder dergeſtalt nach dem Takte handhabten,
daß man nur Einen Schlag hörte. In dem Mittelſchiffe
unter dem Thronhimmel ſaß der Sultan Abdul-Med-
ſchid, (geboren 1823), ihm gegenüber und etwas tiefer
vier Große des Reiches, darunter der ſchwarze Miniſter
für die inneren häuslichen Angelegenheiten und der Eu-
nuchengeneral (Kislar Aga) in Paſchauniform. Wir fuh-
ren ſo nahe, daß wir die Phyſiognomien ausnehmen konn-
ten. Die Geſtalt und Haltung des Sultan kam mir edel
vor, ſein Angeſicht war blaß aber ſchön, und ein mit
Sorgfalt gepflegter ſchwarzer Bart zierte dasſelbe. Sein
Anzug war einfach: dunkelblaue Uniform mit goldgeſtick-
tem Fes und Reiherbuſch. Ich weiß nicht, mir flößte ſein
Anblick faſt Erbarmen ein, und ich fragte mich: Iſt das
der Sprößling der einſt ſo mächtigen Osmanen? Mit
weicher Gutmüthigkeit blickte er auf uns Franken her-
über, worin zugleich ſein Gruß beſteht; man ſagt, er ſoll
die Franken lieb haben. Einige von uns nahmen die Hüte
ab, was aber in Conſtantinopel nicht üblich ſein ſoll.
69
Überhaupt kam es mir vor, als ob die Theilnahme des
Volkes an dieſer Feſtlichkeit gering ſei; nirgends war ein
Drängen der Leute bemerkbar, obwohl der Sultan nur
ſelten ſich dem Volke zeigt. – Am Ufer ſtand die kaiſer-
liche Garde in Doppelreihen aufgeſtellt und präſentirte
das Gewehr, während muſikaliſche Klagetöne von Schell-
bäumen begleitet erklangen. Die Garde trug die Bairams-
feſtkleidung, nämlich weiße Beinkleider, ſcharlachrothe
Jaken mit ſchwarzen Aufſchlägen und gelben Borden, ro-
then Fes; die Fußbekleidung war auch bei der Nobelgarde
ſchadhaft. Die Handgriffe bei den militäriſchen Exerzitien
waren ganz europäiſch, einige Commandoworte ſogar
deutſch.
Der Sultan kam natürlich früher nach Bebek als
wir, und wir hörten wohl den feierlichen Empfang da-
ſelbſt, ſahen ihn aber nicht. Nachdem wir bei der Moſchee
gelandet waren, gingen wir unbehelligt an der aufgeſtell-
ten Kaiſergarde und an vielen hohen Würdenträgern
vorüber, wendeten uns dann links um die Moſchee herum,
weil es hieß, daß der Sultan dort ſeinen Rückweg neh-
men werde, und warteten mit etlichen zwanzig Perſonen.
Man hörte den choralartigen Geſang aus der Moſchee,
während die herumlungernden Leibgardiſten und Solda-
ten ſich niederſetzten, ſchmauchten und Waſſer tranken. So
hielten wir anderthalb Stunden aus, obwohl die Sonnen-
ſtrahlen glühend heiß auf uns niederbrannten. – End-
lich hieß es: der Sultan kommt, und wirklich wurde ein
herrliches arabiſches Roß mit vergoldetem, diamantenbe-
ſetzten Geſchirr und perlengeſtickter rother Schabrake zur
Moſchee geführt. Der Sultan kam auch, aber leider nicht
auf der Seite, wo wir umſonſt ſo lange gewartet hatten.
Dafür hörten wir eine Art türkiſche Volkshymne, wäh-
7()
rend welcher die Soldaten etwas wie Vivat riefen, prä-
ſentirten und mit der rechten Hand ſalutirend den Fes
berührten; auch ſahen wir eine Menge Paſcha und Mini-
ſter in reichen militäriſchen Uniformen. - -
Etwas unbefriedigt über das lange Warten beſtie-
gen wir wieder unſer Schifflein, durchſchnitten quer den
Bosporus und fuhren nach Anatoli - Iſar d. h. nach
Aſien. Der Hotelsinhaber hatte uns nämlich für dieſen
Tag einen Ausflug zu den himmliſchen Gewäſſern
angerathen. Mit dieſem pompöſen Namen bezeichnen die
arabiſchen Dichter den kleinen aſiatiſchen Fluß Gökſu,
der ſich unterhalb der Feſtungsmauern Anatoli-Iſars in
den Bosporus ergießt. Bei dem Mangel an trinkbarem
Waſſer in dem heißem Klima Aſiens begreift ſich dieſe
Übertreibung, aber ſonſt fand ich weder am Bache, noch
an dem Thale viel Poetiſches, ſo zwar daß mir der Bach
zu Lackenhof am Fuße des Ötſchers, und das Helenenthal
bei Baden viel romantiſcher vorkommt. – Wir fuhren in
unſerem ſchmalen Kaik etwa eine Viertelſtunde im Fluße
aufwärts durch buſchige Ufer, bis wir einer großen von
Bergen umſäumten und mit ſchattigen Bäumen bepflanzten
Wieſe anſichtig wurden, auf welcher maleriſche Gruppen
türkiſcher Frauen ſaßen, während in einiger Entfernung
die Männer iſolirt nnd ſchweigſam ihren „Käff“ pflegten
d. h. in graziöſer Gedankenloſigkeit das dolce far niente
der Franken bei Tſchipuk oder Nargileh (Waſſerpfeife)
genoßen. – Wir ſtiegen unter einer ſtattlichen Eiche an's
Ufer, und ſpazierten in dem ſchönen Thale eine geraume
Zeit herum. Ein eigenes Gefühl durchbebte meine
Seele bei dem Gedanken einen neuen Welttheil zu betre-
ten, und zwar die Wiege des Menſchengeſchlechtes:
Aſien! – Auch wir pflegten eine kurze Zeit der Ruhe
71
auf dem von der Sonne ausgebrannten Wieſenplatze un-
ter dem gaſtlichen Schatten eines Baumes. – In der
Nähe befand ſich auf einer kleinen Erhöhung der ſchat-
tige Spiel- und Tummelplatz der Sultansfrauen, der
ganz abgeſchloſſen werden kann; gegenwärtig ſtand er frei
und Kinder ſpielten darauf mit dem ſogenannten Plump-
ſack in der Runde. Bei dieſer kindlichen Plumpſackexecu-
tion fiel mir ein, wie gut es wäre, wenn man die ganze
Türkenwirthſchaft wenigſtens aus Europa hinaus „maß-
regeln“ möchte. Aber man liebt auch europäiſcherſeits das
dolce far niente! – Im Hintergrunde ſah man die
Häuſer einer Waſſerleitung und den Hügel Bulguru, von
dem man eine prachtvolle Ausſicht genießen ſoll; leider
erlaubte die Hitze den Ausflug dahin nicht.
Nach kurzem Aufenthalt in einer nahen Töpferfa-
brik verfügten wir uns zu unſerem Kaik, und fuhren die
„himmliſchen Gewäſſer“ hinab und hinaus in die eiligen
Fluthen des Bosporus, die uns nach Scutari brachten,
das gleichfalls auf der aſiatiſchen Seite gegenüber von
Conſtantinopel liegt (das alte Chryſopolis, Chalcedo ?).
Als wir landeten, ſchrie und lärmte am Ufer eine große
Menge Volkes mit furchtbaren Geſten. Wir ſtiegen nicht
ohne Sorge aus dem Schiffe, weil man uns ſchon früher
geſagt hatte, daß die Türken von Scutari gegen die Chri-
ſten vorzüglich fanatiſirt wären. Ein Proletarier, welcher
das Kaik hielt, bekam ein Bakſchiſch, und unſer Drago-
man ging voran, um durch die dichtgedrängten Maſſen
Platz zu machen. Einige ſahen uns gleichgiltig an, An-
dere mit ſchnöder Verachtung, und etliche Male vernahm
ich den Schimpfnamen Giaur d. h. ungläubiger Chri-
ſtenhund, doch that uns niemand etwas zu Leide. Ohne
uns aufzuhalten gingen wir auf dem ſpitzigen Straſſen-
72
pflaſter aufwärts dem berühmten Cypreſſenhaine zu, der
anderthalb Stunden im Umfange hat und der beliebteſte
Begräbnißplatz der Moslim iſt. Man vergißt faſt auf
einem Friedhofe zu ſein, denn die durch den dunklen Hain
laufende Poſtſtraſſe iſt ſtets belebt von ſpazierenfahren-
den Frauen, Reitern, ſpielenden Kindern, und mitten un-
ter den Grabmälern erheben ſich Cafébuden, in und neben
welchen die Türken mit gekreuzten Beinen ſitzen und
ſchmauchen. Die Tauſende und abermal Tauſende von
Grabmälern beſtehen größtentheils aus Sandſtein, liegen
etwas ſchief und enden entweder in Pyramidalform oder
mit einem bunten Turban, alle ſind mit vergoldeten Ko-
ransverſen geſchmückt. Zahlloſe Steine liegen auf dem
Boden. – Beiſpielsweiſe will ich Dir, lieber Freund, die
Inſchrift eines türkiſchen Leichenſteines in Überſetzung
mittheilen; ſie lautet in Gebetsform: „Gott iſt unver-
gänglich. Verzeihe mir, o Herr, kraft des glänzenden Fir-
mamentes und der Leuchte des Korans. Tretet an mein
Grab, o Freunde, und gönnt meiner Seele ein Gebet. Die
in Gott verſchiedene N. N. Der Allmächtige erbarme ſich
ihrer Seele. Betet für ſie“.– Wenige Grabmäler ſind um-
gittert, und an den vergoldeten Spangen hängen eine
Maſſe kleiner buntfärbiger Lappen, eine Art Talisman.
Ein Paſcha ließ auch ſeinem Lieblingspferde einen ſieben-
ſäuligen Tempel errichten, und daneben ſein eigenes Grab
ſetzen – gar gemüthlich! Ich durchſtöberte dieſes Laby-
rinth von Leichenſteinen noch weiter, und mußte mich
manchmal durch ellenhoch wachſendes Unkraut hindurch-
arbeiten. – Am Ende des Waldes breitet ſich eine große
Ebene aus, auf der die Wallfahrer nach Mecca ſich ſam-
meln, um vom Sultan den letzten Gruß und vom Der-
wiſch den Segen zu empfangen. Mit der Fronte nach Con-
7Z
ſtantinopel erhebt ſich in der Nähe eine große Kaſerne.
Die Ausſicht iſt von dieſer Hochebene wahrhaft himmliſch.
Man überſieht ganz Conſtantinopel mit dem goldenen
Horn, das ſanft geglättete Marmarameer mit den Prin-
zeninſeln, den ſchneebedeckten Olymp u. ſ. w.
Da die Hitze furchtbar war, ſo fragte ich den Dra-
goman, ob man nirgends im Meere baden könne? Er ant-
wortete, daß in Conſtantinopel niemand im Meere bade,
es gebe nur warme Bäder; doch hätten ſich ſchon Manche
beim Leanderthurm gebadet, obwohl es dort wegen der
ſtarken Strömung und der vielen Haifiſche unſicher ſei.
Da ich glaubte vor Hitze verſchmachten zu müſſen und im
Schwimmen wie Du weißt, geübt bin, ſo vermochte ich
die Collegen mich dahin zu begleiten. Wir nahmen alſo
den Rückweg durch die offenen Buden und durch die lär-
mende Volksmenge hinab zum kleinen Hafen, wo unſer
Kaikſtand, das uns nach dem berühmten Leanderthurm
brachte. Derſelbe ſteht mitten im Meere an der Ausmün-
dung des Bosporus in das Marmarameer, und ſein
Name ſtammt von der bekannten Sage, die Schiller in
ſeinem „Hero und Leander“ verewigte. Der Thurm iſt
halbverfallen. An der Schattenſeite ſaßen etliche 30 Tür-
ken, die ſich bei Pfeife und Café gütlich thaten, und uns
mit Gleichgiltigkeit ankommen ſahen. Kaum war ich über
die Grundſteine hinausgeklettert und ſchwamm im erqui-
ckenden Waſſer, als wirklich in der Nähe ein Hai auf-
ſchlug, und mich zur ſchleunigſten Rückkehr mahnte. Ein
alter Türke breitete neben mir ſeinen Teppich aus, und
verrichtete der untergehenden Sonne zugewendet ſein
Abendgebet. Auch ich dankte Gott für die überſtandene
Gefahr. Wären die Türken in Conſtantinopel wirklich ſo
fanatiſirt geweſen, als man ſie ausgab, ſo hätten ſie auf
74
dieſer Felſeninſel uns leicht wegſchaffen können, und Nie-
mand hätte je etwas davon erfahren.
Herzlich froh beſtiegen wir unſer Schiff und ruder-
ten nach Conſtantinopel hinüber. In den Gäſſen herrſchte
tolle Bairamsluſt: Ringelſpiele, Schaukeln etc. wie im
Wienerprater, dabei ein ohrenzerreiſſender Lärm und Ju-
bel. Des Feſttages wegen war erſt um 7 Uhr Diner,
wozu auch der Diplomat kam. Er erzählte von einer Se-
renade, die dem amerikaniſchen Conſul hätte gebracht
werden ſollen, weil er Ungarn und Italien leben ließ, die
aber unterblieb. Es ſcheinen hier viele Emigranten und
politiſche Flüchtlinge zu ſein. Nach Beſichtigung de
Abendcanonade ſchlief ich im Geſpräche ein. -
Tags darauf war der dritte und letzte Tag des tür-
kiſchen Bairamfeſtes. Die Collegen hatten beſchloſſen ein
türkiſches Bad zu nehmen, und da ich über die Vorzüge
und Sonderbarkeiten desſelben ſchon viel geleſen hatte,
ſo ging ich aus Neugierde mit, und will Dir davon eine
anſchauliche Schilderung machen.– Es gibt in Conſtantino-
pel unzählige Bäder (Hamam), die alle einen beſtimmten
Namen haben, z. B. für Aſtronomen, Dichter, Derwiſche,
Banditen etc. Unſer Dragoman führte uns in das Ha-
mam für Pferdeliebhaber, das in Pera lag. Wir traten in
ein großes rundes Gebäude mit einer Gallerie. Ein Die-
ner führte uns hinauf und hieß uns unter luſtigen Freu-
denſprüngen die Kleider ablegen. Freute er ſich ſo ob des
anzuhoffenden Bakſchiſch, oder weil er einige Franken
recht ſtriegeln konnte? Ich weiß es nicht. Wir wurden
75
mit Tüchern behangen, dann abwärts geführt, wo wir
Holzpantoffeln erhielten, um auf dem heißen Marmor-
pflaſter gehen zu können. Aus einem engen Gemach, in
das wir traten, qualmten uns heiße Dämpfe entgegen;
doch nicht genug, – von da ging es noch in ein größeres
Loeale, wo eine drückende Hitze mir den Athem hemmte, ſo
daß ich glaubte es nicht aushalten zu können und einen
Schlaganfall befürchtete. Weil aber die Anderen blieben,
ſo blieb ich auch. – Jetzt bereitete der Hamamſchi (Ba-
dediener) eine Decke über eine Art mamornen Herd aus,
welcher durch unterirdiſches Feuer erwärmt wird, und
ließ uns alle der Reihe nach hinlegen, und etwa fünf Mi-
nuten braten bis der Schweiß aus allen Poren drang.
Nun kam zu einem Jeden aus uns ein ſeparater Hamam-
ſchi, und begann alle Glieder zu kneipen, zu kneten und zu
drücken. Ich meinte ſchon meine letzte Stunde ſei gekom-
men und hielt mich für ein geliefertes Schlachtopfer, die-
ſer türkiſchen Prozedur, denn je flehentlicher ich den Ha-
mamſchi anſah, deſto energiſcher erfüllte er ſeine ſchauer-
liche Pflicht. Dabei that mir nur leid, daß mein dicker
Nachbar Caſella einen jungen Hamamſchi hatte, der ihn
viel zu zart behandelte, während meinen Leichnam ein ro-
buſter Koloßmißhandelte.–Froh dieſe unheimliche Opera-
tion überſtanden zu haben, ſetzte man uns jeden abſonder-
lich in eine Ecke neben einem kleinen ſteinernen Baſſin,
in das aus Röhren warmes und kaltes Waſſer floß. Hier
kniete der Hamamſchi nieder, zog einen filzernen Fauſt-
handſchuh an, und begannn die zweite Operation, indem
er den ganzen Körper frottirte, rieb und bürſtete, beiläu-
fig ſo wie man ein Pferd ſtriegelt; dann begoß er ſein
Schlachtopfer fortwährend mit warmem Waſſer und
Seifenſchaum , – kurz eine Mißhandlung folgte
76
der andern.–Faſt athemlos ſteht man auf, wird in große
Decken gehüllt (überhaupt geſchieht alles ſehr dezent),
ſteigt in die mit Stelzen verſehenen Holzpantoffeln, und
wandert nach kurzer Raſt in die früheren Gemächer zu-
rück, wo man einem anderen bekleideten Hamamſchi über-
geben wird, der einen auf die Gallerie zurück begleitet.
Keuchend kommt man daſelbſt an, und wird auf einen der
vielen bereitſtehenden Divans gelegt und zugedeckt, und
um die Prozedur vollends türkiſch zu machen, wird einem
ein großer Turban um den Kopf gewunden. Nachdem man
etwas ausgeſchnauft hat, bringt ein Diener die lange
Pfeife (Tſchipuk) und eine Taſſe Café, und nun ſchmaucht
und trinkt und liegt man echt türkiſch. – So bleibt man
wohl eine Stunde liegen, um ſich in eine natürliche
Transſpiration zu bringen und die erſchrockenen Lebens-
geiſter wieder zu wecken; man bleibt auch gerne liegen,
weil man halbtodt müde iſt. Endlich kommen Buben mit
Kamm und Spiegel, helfen Dir Toilette machen, und dan-
ken mit herzlichem Ew-Allah für den erhaltenen Bak-
ſchiſch. Das iſt die Herrlichkeit und Beſchwerlichkeit eines
türkiſchen Bades. Nein, Einmal und nicht wieder. – Die
Collegen lobten die Wirkſamkeit des Bades mehr; ich
fühlte nur einen horrenden Appetit, und an dem fehlt es
mir ohnehin nicht. Viele Fremde ſollen ſich überdieß in
türkiſchen Bädern auch Krankheiten geholt haben.
––«- &«S>> >>–
Inzwiſchen hatte unſer Hotelsinhaber für uns und
ſeine Gäſte aus England einen kaiſerlichen Ferman be-
ſorgt, mit deſſen Behelf wir die Wohnung des Sultan,
77
die Sophienmoſchee und andere Merkwürdigkeiten des Se-
rail beſehen konnten. Freilich koſtete er 1000 Piaſter
(100 f.), aber unter 20 Perſonen vertheilte ſich die
Summe leicht. Unſer Dragoman mußte für dieſe Expe-
dition einem jeden aus uns Pantoffel kaufen, weil nach
orientaliſcher Sitte das Innere des Hauſes, notabene
das Heiligthum des Sultan, nicht mit den gewöhnlichen
Schuhen betreten werden darf.
Nach der Collation ſetzte ſich unſere Karawane in
Bewegung. Den Anführer machte mit dem Ferman in
der Hand unſer Hotelsinhaber, an ſeiner Seite hinkte ein
kaiſerlicher Gardeoffizier als Schutz- und Ehrenbeglei-
tung. In ſieben Kaiks fuhren wir zum Serail, jenem
berüchtigten Fleck Erde, der eine ſo großartige aber auch
ſo blutige Geſchichte erzählen könnte. Hier ſtand die Kai-
ſerburg des alten Byzanz, von der noch Überreſte vorhan-
den ſind; hier hausten in fluchwürdiger Weiſe die Nach-
folger des Propheten; wer wird noch hier Wohnung neh-
men? Mit einem ängſtlich pochenden Herzen nähert man
ſich dieſem hiſtoriſchen Schauplatze.
Wir ſtiegen bei den Strandbatterien in der Nähe
eines großen Kiosk (Luſthaus) an's Land, und wollten die
Wanderung weiter fortſetzen. Doch halt! da ſtellten ſich
uns eigenthümliche Hinderniſſe entgegen. Eben in der ver-
floſſenen Nacht erſt war das türkiſche Miniſterium geän-
dert worden, weil es mit den über den Pruth geſchritte-
nen Ruſſen pacifiziren wollte; und nun wurden gegen
unſern geſtern ausgeſtellten Ferman Zweifel erhoben, ſo
daß wir ſchon beſorgten zum zweiten Mal den Ferman
bezahlen zu müſſen. Nach etwa einer halben Stunde kam
der Hotelsdirektor mit der Nachricht zurück, daß uns der
78
Eintritt geſtattet ſei, denn das changirte Miniſterium ſei
inzwiſchen wieder dechangirt worden. Auch nicht übel!
Wir traten durch ein coloſſales Thor, an welchem
eine Art Burgwache paradirte, und befanden uns in
einem großen Hofraum mit ſchattigen Bäumen, Fontänen
und ausgebrannten Raſenplätzen. Nun hieß es das erſte
Mal die Schuhe ausziehen und die Pantoffel anſtecken,
was uns ſpäter noch ein Dutzendmal traf, ſo daß wir zu-
letzt die läſtige Manipulation vereinfachten, indem wir
die Pantoffeln ſogleich über die Schuhe anzogen und von
dieſen wieder abſtreiften. Was geht nicht alles in der
Türkei! – Das erſte Mal alſo legten wir die Schuhe ab,
um über eine breite Treppe in die Empfangsſäle des
Sultan zu gehen, die ich mir aber pompöſer vorgeſtellt
hätte. Es waren große Zimmer mit Tapeten, Vorhängen,
vergoldeten Möbeln, üppigen Divans etc.; der Zimmer-
boden war mit Strohmatten bedeckt. – Faſt altfränkiſch
war die Einrichtung in dem Tract, den die penſionirten
Sultansfrauen bewohnen, und deſſen Converſationsſäle
mit weißen Marmorbaſſins und daranſtoſſenden langen
Corridors zum Spazierengehen gegenwärtig leer ſtanden.
Es fiel mir auf, daß die vielen Bilder größtentheils Sze-
nen aus dem Leben des erſten Napoleon darſtellten; viel-
leicht zum Zeitvertreib. Wie viele Seufzer widerhallten
in dieſen Gemächern, wie viel Neid, Kabale und Intri-
gue mag in denſelben ſich entfaltet haben! Bayle mag
nicht unrecht haben, wenn er Conſtantinopel eines der
größten europäiſchen Klatſchneſter nennt. Mich ſtimmten
dieſe goldenen Kerker traurig. -
Auch in das Schlafzimmer des Sultan durften wir
gegen Entrichtung eines aparten Bakſchiſch einen Blick
werfen, betreten aber darf es niemand. Es iſt hoch und
79
mit ſchweren carmoiſinrothen Damaſt tapeziert, ſo daß
das ganze Bett davon eingehüllt iſt, oben läuft die Dra-
perie in eine Krone aus. – In der Nähe des kaiſerlichen
Schlafzimmers wird auch die berühmte Fahne des Pro-
pheten aufbewahrt, die nur bei großen Staatsbedräng-
niſſen enthüllt wird; wir ſahen ſie – im Futterale. –
Nach Beſichtigung der inneren Gemächer kamen wir zu
einem zweiten hohen Thore mit arabiſchen Inſchriften,
und auf einen freien Platz, der einſt buchſtäblich mit Blut
getränkt war, indem hier (1829) die Janitſcharen nieder-
gemetzelt wurden; an der öſtlichen Mauer ſteht ein ſteiner-
ner Stuhl, von dem aus Sultan Mahmud der Blutſzene
zuſah. – Daran ſchloß ſich der Stall mit Reitpferden,
worunter echt arabiſche Hengſte waren; mich intereſſirte
jedoch der Stall wenig, obwohl ich am Morgen im Bade
für Pferdeliebhaber geweſen. – Am meiſten gefielen mir
die Gärten des Serail, die von Blüthen: und Blumen
ſtrotzten, und mit vielem Geſchmack angelegt ſind. Duf-
tende Roſenbüſche wechſeln da ab mit ſchattigen Plätzen,
Rieſenplatanen mit ſchlanken Cypreſſen, Orangen, Lor-
beeren, Granaten, Citronen, wohlriechenden Geſträuchen,
und an den Teraſſen rankt ſich der Epheu ſo üppig empor,
daß das Auge faſt keinen Stein entdeckt. Ein Wienergärt-
ner ſoll das Ganze ſo rangirt und ſich viel dabei verdient
haben. Die friſche Luft vom weiten Becken des Marma-
rameeres ſtreift ſtets auf dieſen Gefilden, und es ließe
ſich auf der Serailsſpitze, die zugleich den ganzen Bos-
porus beherrſcht, wahrlich von einem irdiſchen Paradieſe
träumen. Doch – was iſt das für ein Paradies, wo man
auf Gräbern wandelt? Und ſo iſt es hier, denn unter
einem jeden der größeren Blumenbeete ruhet eine Favori-
tin des Sultan. – Auch den Gartenſalon mit erfriſchenden
80
Springbrunnen, Spiegeln und Luſtres ſahen wir noch,
und glaubten ein Märchen aus Tauſend und einer Nacht
zu ſchauen, ſo ſchön war alles hier.
Das Serail d. h. das Reſidenzſchloß, die Burg des
türkiſchen Kaiſers iſt ſo groß wie eine kleine Stadt und
hat mit den Gärten gewiß eine halbe Stunde im Umfang.
Manches iſt noch aus alter Zeit erhalten, daher der byzan-
tiniſche und mauriſche Stil zu ſehen iſt. – Wir gingen
wieder durch einen großen Hofraum, der zur Pagenſchule
gehört, und ſtanden vor dem vierzehneckigen Bibliothek-
gebäude, das viele Manuſcripte enthalten ſoll. Ich
zweifle, daß ſie viel benützt wird, denn es herrſcht großes
Dunkel darin. Die Engländer der Karawane, die ſich
überhaupt etwas dreiſt benahmen, wollten das Gebäude
gar keines Blickes würdigen; doch ſetzten wir Deutſchen
es durch, daß wir auf kurze Zeit hineingingen, indem einer
ſagte, er zahle ſonſt nichts, weil im kaiſerlichen Ferman
auch das Bibliothekgebäude zu beſehen geſtattet wurde.
Die Engländer fügten ſich vor dieſem Rechtstitel, ließen
ſich aber lieber von der Sonne braten, als daß ſie hinein-
gingen. Echt John Bull.
Weiter kamen wir in den ehemaligen Thronſaal
der Sultane, wo ſie die Geſandten unter vielen Demüthi-
gungen empfingen, wofür ſich dieſe jetzt in gehöriger In-
ſolenz an dem „kranken Manne“ rächen. Gegenwärtig
war Alles ſo mit Teppichen belegt und verhängt, daß man
faſt nichts ausnehmen konnte. – In der Nähe befindet
ſich die Wohnung der weißen Eunuchen. Es ſtanden etliche
20 herum, alte und junge, lauter fahle, geiſtloſe, mitun-
ter erbärmliche Geſtalten, die theils Mitleid, theils Ab-
ſcheu einflößten, nur einige Knaben hatten nette Geſich-
ter. Solch unglückliche Individuen gibt es viele in
81
der Türkei, und ihre traurige Exiſtenz hängt mit dem Ha-
remsleben zuſammen. Dieſe entmannte Palaſtgarniſon
beträgt in Conſtantinopel allein bei tauſend. Eine Fami-
lie in Conſtantinopel hat eine Art Monopol mit dieſem
Menſchenhandel, und die Waare wird im zarten Alter fa-
brizirt, oft ſo barbariſch, daß viele daran ſterben. In ih-
rer Anſtellung bilden die Eunuchen eine wichtige Rolle,
und manche beſitzen den Rang eines Generals. Welche
Entwürdigung! In der Regel ſind dieſe Leute voller In-
triguen, lieben Titel, Geld und glänzende Uniformen. –
Noch weiter trafen wir die ausgedehnte großherrliche
Küche, aus der ein angenehmer Speiſeduft uns entge-
genquoll; es ſollen hier täglich etliche hundert Hühner
und Schafe verarbeitet werden; die zahlloſen Kamine ha-
ben die Form von Kuppeln. – Endlich kamen wir noch
zu einem hohen Thor, an deſſen Zacken früher die Köpfe
der Paſcha ausgeſtellt wurden. Mir war ordentlich leich-
ter, als ich dieſe Localitäten des Fluches hinter mir hatte,
und ich athmete freier, als wir auf einen offenen Platz hin-
austraten, wo ein Rieſenbaum ſeine weiten Äſte ausbrei-
tete, ſo daß zehn Männer ſeinen Stamm nicht umfaſſen
konnten. Wenn dieſer Baum ſprechen könnte! – Sofort
führte man uns in das Arſenal, eine Art Zeughaus,
wo Gewehre, Waffen, und eroberte Chriſtenfahnen ge-
ſchmackvoll aufgeſtellt waren. Dieſes kriegeriſche Locale
war einſt eine Kirche der h. Irene, das Mittelſchiff iſt
noch zu erkennen. In den anſtoſſenden Gängen und Ge-
wölben waren ausgegrabene Antiquititäten, wie römiſche
Meilenſteine, altgriechiſche Köpfe und Rümpfe, Sarko-
phage und dgl. ohne alles Syſtem aufgeſtellt. Wie viel
müßte auf dieſem claſſiſchen Boden noch zu eruiren ſein!
Neben einem großen Haufen Feuerſteine aus Chalcedon
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 6
82
ſtand eine Wache; ich bat den Mann mimiſch mir einen
davon nehmen zu dürfen, was er ſogleich zuſagte. Wahr-
lich, dieſer Wachpoſten iſt ein Bild der ganzen Türkei!
Jetzt folgte das Merkwürdigſte, die Sophienmo-
ſchee (Agia Sophia). Plötzlich ſtanden wir vor dem Rie-
ſengebäude, bei deſſen Vollendung (538) Kaiſer Juſtinian
ausrief: „Salomo, ich habe dich übertroffen“. Die chriſt-
liche Kirche iſt durch ſpätere türkiſche Zubauten und be-
ſonders durch die viercoloſſalen unſymmetriſchen Minarets
ganz entſtellt worden; ſtatt des Kreuzes prangt auf dem
Gipfel der Kuppel ein vergoldeter Halbmond von 50 tür-
kiſchen Ellen im Durchmeſſer. Die Dimenſionen der Kirche
ſind ungeheuer.–Wir traten durch den ehemaligen Vorhof
der Büſſer zur Linken in einen Thurm der jetzigen Mo-
ſchee, in welcher ſich eine finſtere breite Steintreppe em-
porwindet, auf der man bequem hinaufreiten könnte.
Zuerſt gelangten wir auf eine große Gallerie, die das
Innere umläuft, und einen Überblick über den majeſtäti-
ſchen Tempel gewährt. Das Auge irrt mit Staunen durch
die rieſenhaften Räume und bewundert die kühne Span-
nung der gewölbten Kuppel. Alle chriſtlichen Abzeichen
ſind verſchwunden, nur über dem Hochaltar ſchimmert die
Geſtalt eines ſegnenden Salvators durch, denn die koſt-
baren Moſaikgemälde (ähnlich denen in der Marcuskirche
zu Venedig) wurden von den Türken übertüncht und
überklebt mit Ausnahme der vier Seraphs in der Kuppel-
wölbung, die man beließ aber durch einen Wirrwarr von
ſechs Flügeln und durch eine gemalte Sonne ſtatt des En-
gelantlitzes entſtellte. Die Wände ſind jetzt ſchmucklos,
größtentheils weiß. Auf großen grünen Tafeln ſteht mit
goldenen Buchſtaben öfters der Namenszug des Prophe-
ten. Selbſt von den herrlichen Säulen, deren manche von
8Z
Heliopolis, Athen und Epheſus ſtammen, ſind viele über-
tüncht, und der hie und da noch erhaltene Marmorboden
iſt mit Binſenmatten belegt.–Welche Pracht müßte es ſein
dieſe Kirche in ihrem vollen chriſtlichen Schmucke zu
ſchauen! 900 Jahre diente ſie zum chriſtlichen Gottes-
dienſte, nun ſind faſt alle Spuren des Kreuzes daraus
verſchwunden. Ob für immer? s' iſt faſt nicht möglich.
Wie die Sage erzählt, ritt Sultan Mahmud nach der Ero-
berung Conſtantinopels im Jahre 1453 auf den Köpfen
der in der Sophienkirche verſammelten Chriſten zum
Hochaltar, dem Patriarchen den Kopf zerſpaltend. „Venit
summa dies et ineluctabile fatum“. Es kommt für Alles
der Tag der Vergeltung. Nach der Prophezeiung eines grie-
chiſchen Mönches, ſollen die Türken nur 400 Jahre in
Conſtantinopel verbleiben und dann verjagt werden. Nun
da wäre jetzt gerade der günſtigſte Zeitpunkt. Doch die
Rathſchlüſſe Gottes ſind unerforſchlich! – Wir ſtiegen wie-
der die breite Steintreppe hinab, und zwar einige Stufen
tiefer als die Umgebung, und befanden uns in dem berühm-
teſten Kirchengebäude des ganzen Morgenlandes. Bettler
ſtanden an den Thüren. In den weiten Räumen waren
etliche hundert Moslims zerſtreut, einige knieten mit aus-
gebreiteten Armen und beteten, andere ſangen für ſich
oder küßten den Boden, noch andere ſaßen in Gruppen
beiſammen und plauderten, einige lagen auch ausgeſtreckt
auf dem Boden und ſchliefen; und dieß geſchah alles wäh-
rend ein Derwiſch auf der Kanzel ſtand und predigte.
Nur etwa 30–40 Perſonen umlagerten im weit geſpann-
ten Halbkreiſe den Prediger, ſchienen ſich aber in ih-
rer apathiſchen Ruhe nicht ſtören zu laſſen, obwohl der
alte Derwiſch öfter laut ſingend aufſchrie und tüchtig in
die Kanzel hineinſchlug. Ich verſtand wohl nicht was er
6
84
ſagte, aber ſo ſtelle ich mir einen Fanatiker vor. Vielleicht
war er es auch, denn als ein Engländer ſich in ſeine
Nähe ſchlich und ſtehen blieb, wendete er ſich ſogleich ge-
gen ihn, und wir thaten gut weiter zu gehen. Auch Freund
Marinelli hätte, wiewohl ohne ſeine Schuld, bald etwas
Übles angeſtellt, weil er ausſpukte – es war ihm ein
Barthaar in den Mund gekommen. Sogleich umringten
ihn einige Türken. Zum Glück war unſer Dragoman in
der Nähe, der den Vorfall dadurch gut machte, daß er mit
dem Sacktuche pro forma den Bodenreinigte. Wahr-
ſcheinlich hatten ſie geglaubt, man wolle die heilige Stätte
verunehren. Es liegt darin eine ernſte Lehre für laue
Chriſten. – Wir gingen in dem Inneren der Kirche ohne
Anſtand herum. Dort wo einſt der Hochaltar ſtand, iſt die
Symmetrie inſoferne geſtört, weil die Mihrab(Gebetsni-
ſche zur Aufbewahrung des Koran) nicht in der Mitte,
ſondern mehr rechts davon angebracht iſt, um die vorge-
ſchriebene Richtung nach Mecca (Südoſt) anzudeuten;
zwei hohe dicke Wachskerzen befanden ſich daneben; ober-
halb iſt die Sultansloge.–Wir wären gerne länger geblie-
ben, aber unſer Anführer mahnte zum Aufbruch, um die
Moslims am Bairamfeſte nicht zu reizen. Mit Wehmuth
ſchied ich aus dieſem entheiligten Prachttempel, und ich
ſuchte Troſt bei dem alten Monogramm Chriſti, das ich
beim Ausgang an einer Pforte aus Erz entdeckte. Es
wollte mir ahnen, daß hier noch das reine und wahre
Opfer Gott dargebracht werden wird, denn dort, wo das
Kreuz zuerſt geſiegt hat, kann das Chriſtenthum nicht
untergehen.
Von da beſuchten wir die Achmed smoſchee, einen
großen Kuppelbau mit ſechs Minarets. Es iſt charakteri-
ſtiſch, daß die meiſten Moſcheen Conſtantinopels ſchüler-
85
hafte Copien der Sophienkirche ſind, die hinwieder das ein-
zige chriſtliche Bauwerk iſt, das die Türken verſchonten.
Der Islam zerſtörte, ſchuf aber nichts. – Im Inneren
der Moſchee hing eine Unzahl kleiner Glaslampen, als
Symbol der Leuchter des rechten Weges, und Straußen-
eier als Symbol der Fortdauer und Auferſtehung. Auf
den Gallerien und in den Nebengemächern bemerkte ich
Tauſende von Koffern, welche von den nach Mecca Pil-
gernden hier zur Aufbewahrung hinterlegt werden; kehren
ſie nach fünf Jahren nicht zurück, ſo gehört der Geſammt-
inhalt jener Moſchee, bei welcher der Koffer aufbewahrt
iſt; daher ſoll auch der große Reichthum der türkiſchen
Moſcheen ſtammen.
Die glänzendſte Moſchee Canſtantinopels iſt die
Suleiman je, ein ſymmetriſch ſchöner Bau auf einem
freien Platze, welchen mildthätige Stiftungen umſchließen.
Im Vorhofe ſpielten und lärmten Knaben ohne ſich um
uns zu bekümmern. Große Säulenhallen laufen von au-
ßen herum, die den 28 ſich über- und untereinander erhe-
benden Kuppeln als Stützen dienen. Aus den Mauern
fließt in zahlreich angebrachten Röhren friſches Waſſer,
damit die Türken die vom Koran vorgeſchriebene Wa-
ſchung leicht vornehmen können. Sonderbar, daß die Tür-
ken ſich ſo viel waſchen, und doch ſo ſchmutzig ſind! –
Im Inneren ſind faſt alle Moſcheen gleich: unzählige
Lampen, Strohmatten, die Mihrab d. h. der Hochaltar
mit dem Manuſcript des Koran, die Mimber d. i. eine
hohe mit Siegestrophäen geſchmückte Kuppel, von wo
aus das Gebet für den Herrſcher vollzogen wird, die mei-
ſtens unſcheinbare Kanzel, auf der die gewöhnliche Frei-
tagspredigt gehalten wird; oft iſt auch ein doppeltver-
ſchlungenes Hu (Er) an den Wänden ſichtbar, eine Abkür-
86
zung des beliebten Ausdruckes: Allah hu Allah (Gott
iſt Gott). – An einer jeden Moſchee iſt wenigſtens Ein
pfefferbüchſenähnlicher Thurm (Minaret), an welchem
eine Gallerie herumläuft, von welcher der Gebetsausru-
fer fünfmal des Tages in langgedehnten dumpfen Lauten
zur Erfüllung der religiöſen Pflicht mahnt. Manchen ge-
fällt dieſe Mode beſſer als das chriſtliche Geläute, mich
jedoch hat das türkiſche Gebetsausrufen nie recht erbaut.
Wie erhebend iſt dagegen der metallene Klang der Glocken,
die mit ihren ehernen Zungen weithin das Lob Gottes
verkünden, und mit der menſchlichen Zunge im Gebete
wetteifern. “
Noch beſuchten wir die Moſchee mit den Gräbern
des zuletzt verſtorbenen Sultans und der jüngſt verſtorbe-
nen Sultanin Mutter Valide. Große, lange, mit koſtba-
ren Teppichen überhangene Särge ſtanden nebeneinander,
auf dem mittleren ſtrahlte ein Fes mit Diamanten. Es
war hier ſtill, wie ſich's für eine Gruft geziemt, und die
wachhabenden Diener imponirten mit ihrem Ernſte. Jede
Leiche erregt eine gewiſſe heilige Scheu, weil wir wiſſen,
daß das Gericht darüber nicht mehr uns, ſondern Gott
zuſteht. Der Sultan ſoll öfter hieher kommen, um am
Grabe ſeiner Mutter zu beten – das ehrt ihn. Zu die-
ſem Zwecke befanden ſich eigene Divans in dem Locale
und ſchön gemeißelte Sitze aus Marmor.
Damit war die ermüdende Beſichtigung geſchloſſen
und die Karawane ging auseinander. Auf dem Heimwege
ſahen wir noch die verbrannte Säule Conſtantins aus
Porphyr, die durch Erdbeben theilweiſe zertrümmert und
durch Feuersbrünſte entſtellt worden iſt. – Auch den be-
rühmten Bazar durchwanderten wir; er beſteht aus
überwölbten Straſſen, in welchen ſich zahlloſe Buden
87
nach allen Richtungen befinden, ſo daß man ſich leicht da-
rin verirren könnte. Es gab ſchöne und viele Waaren von
allen Gattungen. Hier bekam ich das erſte türkiſche Pa-
piergeld (Kaimes), das ſehr lumpig ausſieht. Fremde wer-
den beim Einkauf furchtbar geprellt z. B. ein Bernſtein-
ſpitz aus Wien koſtete 8 fl., ein einfaches Tſchipukrohr
7 fl., man läßt daher beſſer durch Unterhändler einkaufen.
Ich kaufte mir ein türkiſches Sacktuch mit Handſtickerei,
welch letztere einen gewiſſen Urzuſtand verräth.
Nachmittags machten wir dem öſterreichiſchen Ge-
neralconſul v. Michanovicz unſere Aufwartung. Wir
gingen durch die Kanzleien, in welchen etliche Herren uns
zuvorkommend als Landsleute begrüßten. Der General-
conſul nahm unſer Empfehlungsſchreiben entgegen und
trug in liebevoller Weiſe uns ſeine Dienſte an. Er be-
wohnt ein freundliches Haus, das eben großartig umge-
baut und reſtaurirt wird. Wir wollten auch dem k. k. In-
ternuntius v. Bruck unſer Kompliment machen, allein er
war auf ſeiner Villa in Bujukdere.
Der folgende Tag war ein Sonntag, an welchem
wir zu celebriren wünſchten. Es war daher in der Ord-
nung, daß wir uns dem katholiſchen Erzbiſchofe Hillernau
vorſtellten, um die Meßlicenz zu erhalten. Da er jedoch
weit vom Hotel wohnte und wir ſchon müde waren, ſo
wurden Pferde beſtellt. Das war mein erſter Ritt. Ach,
warum habe ich bei dem Exküraſſier Maxl in der Pfarre
Greſten nicht früher Lection genommen! Wie das ſchupfte
und beutelte, noch dazu auf ſo holperigem Pflaſter! ich
mußte mich an dem Sattelknopfe feſthalten, um nicht her-
abzufallen, und nebenbei über meine Unbehilflichkeit beim
erſten Studium der edlen Reitkunſt noch lachen. Das
fiel aber Niemanden auf, und glücklich kamen wir zum
88
erzbiſchöflichen Palaſte, der ziemlich groß und gutgelegen
iſt. Ein Bedienter führte uns in einen Salon, in welchem
uns der greiſe Erzbiſchof im ſchwarzen Talar mit der gol-
denen Bruſtkette empfing. Wir zeigten ihm unſere For-
maten, worauf er ſogleich eigenhändig die Meßlicenz un-
terfertigte. Nachdem er einiges über Öſterreich geſpro-
chen, und uns die Furcht vor dem Orient benommen
hatte, entließ er uns. Die Eonverſation war franzö-ſ
ſiſch. – Der Rückritt ging etwas ſchneller, und ich war
etliche Male nahe daran aus dem Gleichgewicht zukom-
men; doch ſaß ich ſchon viel ſicherer als anfangs. Was
man in der Noth alles lernen kann! – Abends hörte ich
noch einen Weiberzank in einem benachbarten Hauſe, wo-
gegen ein Wiener - Fratſchlerinnen-Conzert eine unwür-
dige Parallele iſt. Doch laſſen wir ſie ſtreiten, ich muß
ſchlafen.
- - -
– ºxº-+--
-
-
Am nächſten Sonntagsmorgen las ich um 7 Uhr
in der öſterreichiſchen Geſandtſchaftskapelle, die von
Franziskanern beſorgt wird, die h. Meſſe, bei welcher
Mehrere communizirten. Es waren ziemlich viele Leute
aus beſſeren Ständen in der Kirche; die Europäerinnen
gingen unverſchleiert, die Griechen behielten in der Kirche
den Fes auf. Später hörte ich in derſelben Kirche das Frag-
ment einer Predigt, die der Prieſter vom Altare aus hielt.
Es war mir recht ſonntäglich zu Muthe, und mich be-
ſchäftigte ſtets der Gedanke, daß wir in jener Stadt ſeien,
wo einſt der h. Chryſoſtomus predigte, wo ein h. Gregor
von Nazianz die h. Geheimniſſe feierte, ein Conſtantin,
89
eine Irene etc. lebten, und wo ſo großartige Kirchenver-
ſammlungen gehalten wurden. Und jetzt!
Nachmittags beſuchten wir die tanzenden Der-
wiſche (Mevlevi) in ihrem Kloſter zu Pera. Dieſe tür-
kiſchen Mönche, deren Andachtsübung zugleich Leibes-
übung iſt, ſtehen in des Sultans unmittelbarem Schutze
und beſitzen auch bei dem Volke großes Anſehen. Einige
aus ihnen ſind verheirathet, einige nicht. Ihre Tracht iſt
einfach: lange braune Kaftans und ein weißer Filzhut in
abgeſtumpfter Kegelform. Ihr Geſicht hat etwas Unheim-
liches. – In der Mitte des Kloſters auf einem erhöhten
Platze befand ſich ein Tempel aus Holz, reinlich, weiß ge-
tüncht, eine Art Circus mit geglättetem Boden. An den
inneren Barriéren des Circus ſaßen 27 Derwiſche; auf
dem Ehrenplatz unter dem Namenszug des Propheten be-
fand ſich der Vorſteher, ein junger faſt mädchenhaft aus-
ſehender Mann, der als Abkömmling Mohameds einen
grünen Turban trug; er verrichtete eben ein ſtilles Gebet,
wobei er ſeine Handflächen ganz nahe vor dem Munde
hielt. Unter den Derwiſchen waren alte und junge, von
18 bis 60 Jahre beſonders fiel mir einer im gelben
Kleide auf, vielleicht war er ein Novize –, jedenfalls war
er der jüngſte und tanzte am beſten.
Nun wurde von ſeitwärtspoſtirten Derwiſchen das
Loblied des Propheten angeſtimmt, und zugleich erſchall-
ten Tamburin und Schalmeien. Plötzlich warfen die Derwi-
ſche die braunen Mäntel weg und zeigten ſich in einem
weißen Weiberreifrock. Der junge Vorgeſetzte erhob ſich
mit vielem Anſtande und ging gemeſſenen Schrittes mit
gekreuzten Armen dreimal mit den Übrigen im Kreiſe
herum, einer hinter dem andern; ſo oft ſie zum Namens-
zuge des Propheten kamen, machten ſie eine tiefe Verbeu-
90
gung, und zwar nach dem Tacte. Endlich blieb der Vorge-
ſetzte ſtehen, und nun begann der eigentliche Tanz, wobei
jeder mit horizontal ausgeſtreckten Armen ſich um ſeine
eigene Are drehte, zuerſt langſam, dann immer ſchneller
und ſchneller. Sie bildeten zwei Ringe, zwiſchen welchen
ein paar ältere Derwiſche mit gekreuzten Armen ernſt und
blaß einherſchritten, um die Ordnung unter den Tänzern
aufrecht zu erhalten. Und wirklich berührte keiner den an-
dern, obwohl der Tanz eine halbe Stunde dauerte. Alle
waren barfuß, und der goldgelbe junge Derwiſch bewegte
ſich ſo ſchnell und leicht, daß man das Auftreten ſeiner
Füſſe kaum merkte; nach Marinelli's Berechnung machte
er in dieſer halben Stunde 5400 Umdrehungen.
Es trat eine kurze Pauſe ein, und jeder hockte an
der Stelle nieder, wo er ſich eben hingedreht hatte, ohne
die geringſte Spur von Schwindel zu zeigen; nur ſtarker
Schweiß bedeckte ihre erglühten Geſichter. Doch bald er-
hob ſich das Haupt der Derwiſche aufs Neue, die Gebete
und Umdrehungen wiederholten ſich wie früher, was nach
der Verſicherung des Dragoman noch 4–5 mal geſche-
hen ſollte. Wir hatten genug, und gingen fort. – Mich
ſtimmte das Geſehene mehr zum Mitleid als zum Lachen;
denn die Haltung dieſer Derwiſche hatte etwas Schwär-
meriſch-Andächtiges. Alle Mortification ohne den Hauch
des heiligen Geiſtes, ohne den Prüfſtein der Wahrheit
gleicht dem Herumtappen eines Blinden. Es gibt auch
chriſtliche Eiferer, die ſich in übel verſtandenen Strenghei-
ten überbieten und auf eigene Fauſt heilig werden wollen.
Sie leben ebenſo in beklagenswerther Täuſchung, wie die
eben geſchilderten und wie die ſchreienden Derwiſche
der Türken, welche ſich heulend und lärmend ſchlagen, ſte-
chen, peinigen, glühende Kugeln in den Händen bewegen
91
und allerlei Gaukeleien treiben. Letztere ſollen in Scutari
ein Kloſter haben, wo ſie jeden Donnerstag eine derartige
Produktion veranſtalten, der wir jedoch nicht beiwohnten.
Wie belehrend, oder wenn Du willſt, wie beſchämend iſt
dieſes Beiſpiel der Derwiſche! - -
- Um uns zu zerſtreuen, machten wir einen Ausflug
zu den ſüßen Wäſſern Europas d. h. einem Fluße, der
ſich in das goldene Horn ergießt und gleichfalls wegen
ſeiner ſchönen Umgebung ſehr geprieſen wird. In zwei
ſchwerfälligen Barken fuhren wir in anderthalb Stunden
dahin. Die Fahrt war jedoch ſehr angenehm, denn wir
durchſchnitten der Länge nach das goldene Horn (fo
heißt der eigentliche innere Hafen Conſtantinopels), über-
ſahen die ſieben Hügel, auf welchen das alte Byzanz er-
baut war, die uralten Feſtungen, das Arſenal, vor dem
ſich ſechs abgetakelte Kriegsſchiffe befanden u. ſ. w. An
den Ufern bemerkten wir zahlloſe Ziegelöfen.–Die Waſſer-
ſtraſſe wurde immer enger, bis wir endlich in das ſüße
Waſſer einlenkten, das aber noch lange den Meergeſchmack
beibehielt. Ich fand die Umgegend nicht beſonders ſchön,
ſolche Thäler gibt es viele. Die Berge und Wieſen wa-
ren von der Sonne ausgebrannt, nur hie und da ſtanden
vereinzelte Baumgruppen, in deren Schatten Zigeuner
und jüdiſche Familien maleriſch campirten, und in Be-
gleitung eines Inſtrumentes ſangen. Manche ſahen wir
ſehr nahe, denn ſie waren neugierig und unverſchleiert.
Die Jüdinnen hatten eine halbmondförmige Kopfbedeckung
und einen meßgewandähnlichen Überwurf. – Bei dem
Kiosk des Sultan, wo kleine Kinder „blinde Kuh“ ſpiel-
ten, und große Leute im Freien Cafè tranken, machten
wir Halt, und ſtiegen auf kurze Zeit ans Land. – Die
Rückfahrt war noch angenehmer, denn es wurde ſchon
92
Abend.–Als wir in Conſtantinopel ans Ufer traten, trafen
wir mehrere Tauſend eben aus dem Inneren Aſiens an-
gekommener Redifs (Rekruten), die wahrſcheinlich für den
bevorſtehenden Krieg in Anſpruch genommen werden; es
waren lumpige Kerle mit verſchmitzten Geſichtern, eine
Auswahl von Vagabunden. Wir beeilten uns durchzu-
kommen, was auch gelang.
Nach dem Diner gingen wir noch mitſammen in den
„Jardin des fleurs“, einen Garten in Pera, wo all-
abendlich die vornehme Welt Conſtantinopels, inſoweit
ſie fränkiſch iſt, ſich verſammelt, um ſich durch Converſa-
tion zu erheitern, mit Bier und Gefrornem zu erquicken,
und den harmoniſchen Klängen einer erſt jüngſt organiſir-
ten Muſikbande zu lauſchen. Ich glaubte mich nach Hie-
tzing verſetzt, als ich bekannte Walzer von Strauß und
Lanner hörte. – Es war ſchon ſpät, als wir aufbrachen
um nach Hauſe zu gehen. Da es in Conſtantinopelpoli-
zeiliche Vorſchrift iſt Nachts eine Laterne zu tragen, weil
es keine Straſſenbeleuchtung gibt, ſo kauften wir eine
ſolche und leuchteten uns ſelbſt nach Hauſe. Die Straſ-
ſen waren ziemlich belebt, denn wie in Italien beginnt
und endet der Abend hier ſpät.
----c (S-6 Q-D-2--- : . .
-
Bevor ich dieſen Brief ſchließe, muß ich Dir noch
von einer unliebſamen Modification unſeres Reiſeplanes
ſchreiben. Wir glaubten nämlich Conſtantinopel alsbald
verlaſſen zu können, um dem weiten Ziele unſerer Pilger-
reiſe näher zu kommen. Doch ſiehe! da brachten wir in
Erfahrung, daß erſt nach zwölf Tagen ein Lloydſchiff nach
93
dem Orient fahre, das wir benützen können. Es entſtand
nun eine Debatte, womit dieſe Zeitfriſt nützlich ausgefüllt
werden könne? Die älteren Pilgerfreunde ſprachen ſich
dafür aus in Conſtantinopel zu verbleiben. Allein mir
war der Gedanke unerträglich ſoviele Zeit zu verlieren,
und auf noblem Fuße zu leben ohne dabei etwas zu pro-
fitiren. Jeder Tag koſtete im Hotel für den Kopf wenig-
ſtens 12 Franken. Ich ſchlug daher vor dieſes Geld zu
einem Ausfluge nach Griechenland oder nach Bruſſa, wo
Abdel-Kader ſich aufhalte, zu verwenden. Zum Glück
hatte ich mir darüber einige Notaten gemacht, die ich vor-
las, und ſo wurde der Ausflug nach Brºſſa beſchloſſen,
den wir morgen antreten werden. Auch die Conſulats-
beamten riethen dazu, und der Conſul gab uns eine Em-
pfehlung an den dortigen ruſſiſchen Conſul und an einen
Hotelsbeſitzer mit. Die Paßbeſorgung und der nöthige Qua-
rantainezettel koſteten 86 Piaſter; der viertägige Aufent-
halt im Hotel für uns alle 24 Ducaten. Unſer braver
Dragoman Chriſtoferos macht die Reiſe als unſer Bedien-
ter mit. Die Koffer laſſen wir indeß im Hotel zurück,
denn wir nehmen nur das Nothwendigſte mit: Reiſeta-
ſche, Mantel und Waffen; aus Borſorge mußte Chriſto-
fero auch Sättel zum Reiten kaufen, die ziemlich theuer
zu ſtehen kamen. -
Heute haben wir nicht viel unternommen. Die Ka-
rawane wurde inſoferne geordnet, daß der rechnungs-
geübte Caſella zum Caſſier der Communkaſſa ernannt
wurde, in welche jeder vorläufig 100 fl. legte. Auf nob-
lem Fuße reiſen wir, das iſt wahr. Ich für meine Perſon
würde einfacher leben, aber da heißt es: mitgefangen mit-
gehangen. – Wir benützten die freie Zeit, um Briefe in
die liebe Heimat zu ſchreiben; ein einfacher Brief nach
94
Wien koſtet 21 kr. in Silber. – Beim Diner erſchien
unvermuthet noch unſer Freund, der Diplomat, der mor-
gen mit dem Dampfſchiffe nach Wien zurückreist. Faſt
möchte einen dabei etwas Heimweh anwandeln. Doch ſtill
davon. Wir denken und fühlen trotz der mitunter profa-
nen Erlebniſſe, die ich Dir, mein Lieber, bisher ſchilderte,
wie die frommen Pilger des Mittelalters, und ſingen be-
geiſtert mit ihnen:
„In Gottes Namen fahren wir,
Seiner Gnaden begehren wir.
Nun helf uns die göttliche Kraft
Und das heilige Grab.“
Es gedenkt Deiner in Liebe und Freundſchaft
Dein etc.
–-s5
V.
Ausflug nach Bruſſa.
Die Einrichtung eines türkiſchen Dampfers. – Fahrt über das Mar-
marameer. – Ein fechtender Exbei. – Das verfallene Nicäa. – Spe-
culanten zu Mudania. – Rittſtudien nach Bruſſa. – Wie einer zwei-
mal ſein Pferd verliert. – Ein piſtolenbewaffneter Kaffeeſieder. – Ho-
tel Loſchi. – Die Heilquellen zu Bruſſa. – Der ruſſiſche Conſul. –
Das Türkengebet. – Ein Chriſtenmord. – Eine Hexe. – Ein Nimrod.
– Elaſtiſche Bauten wegen drohender Erdbeben. – Die Gräber der
Osmanen. – Ein Mißverſtändniß. – Audienz beim berühmten Emir
Abdel Kader. – Sein Autograph. – Ein türkiſcher Feiertag. – Sei-
denfabriken und Sittlichkeit. – Aqua sancta. – Derwiſchkinder. –
Strapazierliche Beſteigung des myſiſchen Olymp. – Ein unpraktiſcher
aber eigenſinniger Reiſemarſchall. – Schwerer Abſchied vom paradieſi-
ſchen Bruſſa. – Die ſonntägliche Andacht in einer Nothkapelle. – Ein
95
fabelhaftes Weinetabliſſement. – Ein Geſchäft mit Olympier. – He-
bung einiger Bedenken über den Inhalt der Pilgerbriefe. –
Bruſſa, 17. Juli.
Lieber Freund!
Wie Du aus meinem letzten Briefe aus Conſtanti-
nopel erſehen haben wirſt, war unſer Vorhaben während
der unfreiwilligen Wartezeit von eilf Tagen einen Aus-
flug nach dem altberühmten Bruſſa zu machen. Dieſes
Vorhaben wurde auch ausgeführt, und ich will es Dir
beſchreiben.
Es war der wunderliebliche Morgen des 12. Juli,
an dem wir durch den belebten Hafen des goldenen Horns
zu dem Dampfboote ſteuerten, das um acht Uhr nach
Bruſſa fuhr. In dieſer kurzen Zeit begegneten uns fünf
türkiſche Paſſagierboote, deren Räderbewegung unſern
Kaik ſchaukelte. Drei Lloydſchiffe lagen vor Anker: Jmpe-
ratrice, Persia und Helena. Über Nacht waren zwei eng-
liſche Kriegsfregatten angekommen, die ſich im Angeſichte
Conſtantinopels mit imponirendem Stolze gelagert hat-
ten. – Das türkiſche Dampfboot, welches wir beſtiegen
hatte eigentlich keinen Namen, ſondern zeigte auf der Um-
ſchallung des Räderkaſtens nur den Namenszug des Sul-
tan in Sonnenſtrahlen; es hatte zwei Schornſteine, ſah
aber ſchon etwas abgenützt aus. – Die Einrichtung des
Schiffes war echt orientaliſch; es mangelte an Sitzen und
Bänken. Die Paſſagiere waren meiſtens Türken, die auf
ihren Säbelbeinen kauernd beſtändig mit dem türkiſchen
Roſenkranze (der aus 99 Kügelchen beſteht, die die Eigen-
ſchaften Gottes bezeichnen) ſpielten; man ſagte mir, daß
dieſes Spielen beten heiße. Bequem! Auch einige Tür-
kinnen waren auf dem Schiffe und eine unverſchleierte
96
Griechin, die mit Grazie eine Papiercigarre ſchmauchte
und ſich überhaupt mit edler Ungenirtheit benahm. Fran-
ken waren nur 6 oder 7 auf dem Schiffe. Die Fahrt ko-
ſtete für alle 240 Piaſter. – Acht Uhr Morgens fuhren
wir aus dem Hafen. Zur Rechten lag das Serail mit den
weitläufigen Gärten, und die Hauptfronte der Sophien-
moſchee. Die Stadt iſt mit hohen Mauern, die dem Ver-
falle nahe ſind, eingeſäumt, bis hinab zum Schloß der
ſieben Thürme, wo einſt die Geſandten der europäiſchen
Mächte bei ausbrechenden Kriegen eingeſperrt wurden.
Von da aus ſahen wir erſt die weite Ausdehnung Con-
ſtantinopels.
Wir ſteuerten in das Marmarameer hinaus, das
glatt wie ein Spiegel war (uaouaoao heißt glänzen). Das
Schiff ſchaukelte unbedeutend, von einer Seekrankheit
war keine Spur. Große Delphine ſchlugen aus den
Dampfſchiffwellen empor, machten Purzelbäume, und be-
gleiteten uns neugierig eine kurze Strecke. Die Fahrt war
ſehr angenehm. – Links erſchienen die Prinzeninſeln,
theils bewaldete theils felſige Eilande, wohin einſt miß-
liebige Prinzen verbannt wurden. Kaiſerin Irene verlebte
dort ihre letzten Tage in klöſterlicher Zurückgezogenheit.
Gegenwärtig ſollen gelehrte griechiſche Mönche daſelbſt
wohnen. – Während der Fahrt machte Marinelli Be-
kanntſchaft mit einem gutmüthigen, geſprächigen und
freundlichem Türken, der einſt die Stelle eines Bei beklei-
dete, ein dicker, kleiner Mann. Er bot gaſtfrei ſeinen Im-
biß an nämlich gekochten Reis, der ſich wurſtartig in
Weinblättern befand, und Dolma hieß. Auch eine Fecht-
übung nahm er zum Zeitvertreib vor, wobei er ſich wohl
geſchickt, Marinelli aber flinker bewies. Am meiſten be-
wunderte er einen Spazierſtock Collega Hubingers, in
97
welchem ein Paraplui ſteckte, und den ſchönen Soldaten-
ſäbel Marinelli's. – Die bewachſenen Vorgebirge Aſiens,
über die ein röthlicher Flor ausgegoßen ſchien, kamen uns
immer näher, und im Hintergrunde präſentirte ſich der
greiſe Olymp mit ſeinen felſigen noch mit Schnee bedeck-
ten Riffen und Spitzen. Das Meer war wunderſchön
blau und kräuſelte ſich ſanft im weißlichen Schaume. So
weit das Auge reichte, war die Waſſerfläche mit reizen-
den Bergformen eingeſäumt, ſo daß die Meeresfahrt einer
Fahrt auf einem großen Gebirgsſee glich. Zahlloſe Segel-
ſchiffe begegneten uns. – In der linken Meeresbucht, die
ſich weit ins Land hinein bildete, lag einſt das berühmte
Nicäa, wo die erſte allgemeine Kirchenverſammlung ab-
gehalten wurde (325); jetzt ſoll es ein armſeliges Neſt
ſein. Wie tief iſt doch dieſes Land geſunken, ſeitdem das
Kreuz von ihm gewichen iſt! Aber nicht blos die rohen
Sarazenen tragen die Schuld daran, ſondern vielleicht
mehr noch die abtrünnigen Diener der chriſtlichen Kirche,
die dem Gottesleugner Arius huldigten und die Ketzereien
beſchützten. Wann wird dieſes Land wieder chriſtlich wer-
den? Hier verſteht man die Worte der h. Schrift: „Der
Stein, den die Bauleute verworfen haben, der iſt zum
Eckſteine geworden. Vom Herrn iſt dieß geſchehen, und es
iſt wunderbar in unſern Augen. Darum ſage ich euch:
Das Reich Gottes wird von euch genommen, und einem
Volke gegeben werden, das die Früchte desſelben hervor-
bringt.“ (Matth. 21, 42). - -
So verſunken in religiöſe Betrachtungen langten wir
am Ziele unſerer Fahrt, Mudania, an; es war 2 Uhr
Nachmittags. Am Landungsplatze ſtanden geſchäftige Spe-
culanten, die von der Ankunft der Fremden Vortheil zie-
hen wollten; ſie führten uns die Pferde bis ins ſeichte
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 7
98
Meer entgegen. Während Criſtofero dieſelben auswählte,
nahmen wir in einer naheſtehenden hölzernen Barake
ſchwarzen Café, wobei wir von der außen harrenden
Menge wie Wunderthiere begafft wurden.
Nun begann der erſte ernſtliche Ritt nach Bruſſa.
Ich erhielt einen Braun mit hohem türkiſchen Sattel, der
einſt mit blauem Sammet überzogen war; nachdem ich
dem türkiſchen Braun einige gut gemeinte deutſche Worte
zugeſprochen hatte, ſchwang ich mich auf ihn, und es ging
vorwärts. Aber wie! So lange wir im Schritt ritten,
ging es noch; aber beim Trab war das Stoßen unerträg-
lich, und trotz aller Vortheilsverſuche mußte ich mich oft
am Sattel halten, um nicht herabzufallen. So iſt's, wenn
man die Gelegenheit zum Lernen verſäumt, man muß erſt
durch Schaden klug werden. Die Anderen ritten vortreff-
lich, beſonders Marinelli, der wie ein Offizier feſt im
Sattel ſaß und ſein Pferd gehörig tummelte. Unſere Ka-
rawane beſtand aus acht Perſonen, nämlich 5 Pilger,
1 Dragoman, und 2 Türkeu. – Da Alle wegen der Un-
ſicherheit des Weges ſtark bewaffnet waren, ſo bat ich
Marinelli um eines ſeiner Mordinſtrumente, denn er be-
ſaß nebſt dem Säbel noch zwei Piſtolen. Gefällig überließ
er mir ſeine Lieblingspiſtole, die ich in Ermanglung eines
Gürtels in die Seitentaſche meiner Blouſe ſteckte. Dieſes
kriegeriſche Koſtüm fällt hier gar nicht auf, weil die Ein-
gebornen faſt alle wenigſtens mit Piſtolen bewaffnet ſind.
Gott ſei Dank, wir durften von den Waffen keinen Ge-
brauch machen, es ſchien Alles ſo friedlich, wie die Ge-
gend, durch die wir zogen. Die Karawane nahm ſich ſtatt-
lich aus, voran ritten die Türken in ihrem maleriſchen
Koſtüme, deren einer öfter in ſeine Peitſche pfiff. –
Nach einiger Zeit holten wir eine andere Karawane ein,
99
die größtentheils aus türkiſchen Frauen beſtand, und die
wir natürlich nicht ſcharf anſahen, um die wachſame Be-
gleitung nicht zu provoziren; die Frauen ſaßen alle nach
Männerart zu Pferde.
Der Weg führte anfangs am Meeresſtrand, bog
aber bald rechts ein auf ſanft ſich erhebenden Hügeln.
Überall zeigte ſich üppige Fruchtbarkeit an Oliven, Fei-
gen, Trauben und Maulbeeren. Die Weinrebe iſt nicht an
einen Stock gebunden, ſondern ſchlingt ſich frei auf dem
Boden fort und erhebt ſich an Geſträuchen und Bäumen.
Das Getreide lag in Bündeln auf dem Felde, an einigen
Orten wurde es eben eingeſcheuert. Schafe und Ziegen
ganz eigenthümlicher Art weideten zahlreich auf den weit-
läufigen Triften, und ein patriarchaliſcher Hirt hielt ein
kläglich ſchreiendes Lämmlein auf ſeinen Armen. Auch
einen großen himmelblauen Vogel ſahen wir, kurz Alles
deutete den aſiatiſchen Himmelsſtrich an.–Du kannſt Dir,
lieber Freund, keine Vorſtellung machen, wie ſehr Natur
und menſchlicher Fleiß hier kontraſtiren. Denke Dir die
üppigſten Saaten, die blühendſten Bäume, die fruchtbar-
ſten Felder, das ſaftigſte Grün, den mildeſten Himmel–
und dieſem entgegen die Verwahrloſung ohne Grenzen,
die Unthätigkeit und Faulheit in ihren ausgeprägteſten
Formen, die Liederlichkeit allüberall. Die Natur thut hier
Alles, der Menſch nichts. Wie viel Grund und Boden
liegt da unbenützt, der vielleicht hundertfach die geringe
Mühe lohnen würde, die man auf ſeine Bebauung ver-
wendete! Da iſt keine Straße, keine Einzäunung u. dgl.,
ſondern Staub und Koth wetteifern miteinander, und ein
tiefliegender Pfad für Saumthiere iſt die Hauptpoſt-
ſtraße, welche die alte Kaiſerſtadt Bruſſa mit der neuen
verbindet. – In gewiſſen Zwiſchenräumen trafen wir
7 ::
1()()
einen ſo genannten Khan d. i. ein halbverfallenes hölzer-
nes Gebäude, eine Art Herberge, wo die Pferde Waſſer
und die Reiſenden Café bekommen. – An einer ſolchen
Station hielten wir an und ſtiegen vom Pferde. Der Wirth
hockte beim Feuer und bereitete – die Piſtolen im Gür-
tel – den Café. Dieſe Manipulation war paradieſiſch
einfach. Er nahm einen kleinen Blechtiegel, gab zerſtoße-
nen Zucker und Café hinein, goß heißes Waſſer darüber,
hielt ihn über das Feuer, und in fünf Secunden war der
Café fix und fertig, und zur Ehre des Wirthes ſei es ge-
ſagt, das Getränk war gar nicht übel. – In der Nähe
des Khan floß ein kleiner Bach, in welchen drei Schritte
von mir eine große Viper ſprang und darin verſchwand.
Tauſende von röthlichen Heuſchrecken, viel größer als bei
uns, ſprangen zirpend herum, ſie müſſen hier eine wahre
Landplage ſein. – Nach kurzer Raſt ging es vorwärts.
Seufzend beſtieg ich meinen Braun, nicht ahnend, daß ich
ihn in Kürze zweimal verlieren ſollte. Wie das geſchehen,
wirſt Du ſogleich hören.–Auf einer Bergfläche befand ſich
ein Sumpf, über den wir ſetzen mußten. Ich verließ mich
auf meinen Braun, aber der fürchtete ſich zu verſinken,
griff aus, brachte mich aus dem Gleichgewicht, der hohe
Sattel rutſchte ſeitwärts, und ich fiel rechts auf einen
Hügel hinab. Zum Glück that ich mir nicht weh, ſondern
ſtand ſogleich auf und ſuchte mein Pferd. Dieſes lief
etwas herum, ließ ſich aber leicht fangen, und ging –
nachdem ich es am Halſe geſtreichelt hatte, ruhig weiter.
Doch das Ärgere folgte. – Eine Stunde vor Bruſſage-
wahrte ich zu meiner nicht geringen Beſtürzung, daß Ma-
rinelli's Lieblingspiſtole in meiner Blouſentaſche fehlte.
Als ich dieſen ſchmerzlichen Verluſt Freund Marinelli
mittheilte, kehrte er ſogleich um, um die verlorne zu ſu-
101
chen. Indeß entdeckte ich bei einer genaueren Viſitation,
daß die ſchwere Piſtole, welche den Sack durchgeriſſen
hatte, im Unterfutter der Blouſe ſteckte, was ich eiligſt dem
Fortreitenden nachrufen wollte. Doch – o Mißgeſchick
– in demſelben Augenblick als ich mich umdrehte, drehte
ſich auch der zu leicht geſchnallte Sattel, und ich fiel –
glaube es mir gegen meinen Willen – zum zweiten Mal
in den Staub hinab. Dießmal war es ernſter. Zwar that
ich mir abermals nicht weh, aber das Pferd lief, als man
es fangen wollte, mit dem Sattel unter dem Bauch da-
von, und zwar weit in die Ebene hinein, bis man es nicht
mehr bemerkte. Meine Collegen bedauerten mich, ich auch.
Schon beſorgte ich den arabiſchen Braun bezahlen zu
müſſen, aber unſer braver Dragoman Criſtofero ſetzte
dem Flüchtling ſo lange nach, bis er ihn bekam und im
Triumphe zur Karawane zurückbrachte, wofür er verdien-
ten Dank und Lohn erhielt.– Glücklicherweiſe war uns in-
deß der Hotelsbeſitzer Loſchi aus Bruſſa, dem wir em-
pfohlen waren, entgegen geritten; dieſer trat mir ſeinen
Schimmel ab, auf deſſen feſtem europäiſchen Sattel ich
viel ſicherer und beſſer ſaß. Je näher Bruſſa, deſto brei-
ter wird das Thal, in das man von der mühſam über-
wundenen Höhe hinabſteigt, und mit Entzücken begrüßt
man die herrliche Lage der alten Stadt Bruſſa, welche
den nordweſtlichen Fuß des Olympus umgürtet. Nach
fünfſtündigem Ritt zogen wir gegen acht Uhr Abends in
Bruſſa ein. Ich war wie gerädert und litt furchtbare
Kreuzſchmerzen, ſo daß die Collegen den Kopf ſchüttelten,
als wollten ſie ſagen: Wie kann der die Reiſe in den
Orient wagen? – Die Ruhe und Erholung von Schreck
und Strapatzen that wahrlich noth.
Die Nacht verlief ruhig, aber ich ſtand mit ſolchen
102
Kreuzſchmerzen auf, als ob ich in der Mitte abgeſchnitten
wäre. Ich begab mich auf die oberhalb des Hauſes be-
findliche Terraſſe, von der man eine prachtvolle Ausſicht
genoß. Die weite Ebene, von ſchöngeformten Bergen um-
gürtet, dehnt ſich vor den Augen aus, ſtolze Cypreſſen ra-
gen zwiſchen niedlichen Baumgruppen und Geſträuchen
empor, und das ſaftige Grün der Weinrebe belebt die
paradieſiſche Gegend. Zur Rechten breitet ſich die alte
Hauptſtadt der Osmanen aus, die noch heutzutage
80000 Einwohner zählt; gerade vor Dir liegt eine ro-
mantiſche Burgruine, die einſt die Genueſen bauten, und
auf der jetzt die rothe türkiſche Fahne weht. Die Gegend
erinnert etwas an Kaltern in Tirol, iſt aber ohne Ver-
gleich ſchöner. Wäre hier Civiliſation, ſo müßte Bruſſa
der ſchönſte Landaufenthalt ſein, und wäre hier Fleiß, ſo
müßten hier die reichſten und glücklichſten Leute wohnen.
– In der Geſchichte hat Bruſſa einen klangvollen Na-
men. Von dem bythiniſchen König Pruſias erhielt die
Stadt ihren Namen, und diente dem berühmten Hannibal
als Zufluchtsſtätte, gleichwie jetzt der vielbewunderte
Fürſt der Wüſte, Abdel Kader, daſelbſt ſeine Freiheit ge-
nießt. Später wurde es die Reſidenz der Osmanen, bis
ſie Conſtantinopel eroberten. Seitdem hat Bruſſa viel
verloren, und der Verfall zeigt ſich überall in der Ärm-
lichkeit der Privathäuſer und öffentlichen Gebäude.
Das Hôtel d'Olymp, in welchem wir wohnen, hat
zwei Stöcke und iſt erſt vor zwei Jahren von einem ita-
lieniſchen Emigranten Namens Loſchi erbaut worden. Wir
ſind mit Zimmern und Koſt zufrieden, und richten es uns
ſo bequem als möglich ein, um die unfreiwillige orienta-
liſche Sommerfriſche ſo angenehm als möglich zu genie-
ßen. Der Hotelsbeſitzer, der eine Laibacherin, die gebro-
103
chen deutſch ſpricht, als Wirthſchafterin hat, beklagt ſich,
daß in Folge der Kriegswirren gegenwärtig ſo wenig
Gäſte ſeien, ſo daß ſein Hotel größtentheils leer ſtehe;
wirklich wohnt außer uns nur noch ein Franzoſe darin.
Früher gab es hier viele politiſche Flüchtlinge, von denen
einige nicht den beſten Ruf hinterließen; jetzt ſind ſie kraft
eines Vertrages mit der Pforte eine Tagreiſe von hier
in Kutahia internirt.
Schon zur Zeit der Römer war Bruſſa ob ſeiner
heilſamen Bäder berühmt. Aus dem myſiſchen Olymp,
der Bruſſa umgürtet, ſtrömen zahlloſe Quellen kriſtallhel-
len Waſſers, woher der Reichthum und die Fruchtbarkeit
der Ebene ſich erklärt. Einige dieſer Quellen ſind ſchwe-
fel- und eiſenhältig, und erinnern in ihrer Wirkſamkeit an
Gaſtein und Teplitz. Ob, wie man behauptet, der alte Her-
kules an dieſen heilſamen Quellen ſeine Wunden gewa-
ſchen habe, laſſe ich dahingeſtellt; gewiß aber iſt es, daß
die Römer dieſe Heilquellen kannten, die osmaniſchen Kai-
ſer ſie benützten, und zahlloſe Menſchen aus allen Welt-
theilen hier Linderung ihrer Schmerzen und die verlorne
Geſundheit wiederfanden. Beſonders wirkſam ſollen ſie
ſich in Haut- und Unterleibskrankheiten, Gicht etc.
erweiſen.
Als Sommerfriſchler wollten wir doch auch von
dieſer Wohlthat der Natur Gebrauch machen, und gingen
daher zehn Uhr Morgens zu der eine halbe Stunde von
der Stadt entfernten Hauptquelle, die am Abhange des
Berges liegt. Wir traten in ein großes kuppelförmiges
Gebäude mit mehreren Abtheilungen. In der ſaalartigen
Vorhalle befand ſich ein Springbrunnen, deſſen friſches
Waſſer die Luft kühlte. Hier legten wir die Kleider ab, die
Criſtofero verwahrte. Nun ging es durch eine warme Ab-
104
theilung in eine noch wärmere, in welcher die heiße Heil-
quelle (bei 400 R.) ſich befand. In einer rund gebauten
Halle war ein rundes Baſſin von 4–5 Klaftern im Durch-
meſſer. Die Heilquelle floß mannesarmdick zu und wieder
ab, und eine Dunſtwolke erhob ſich zu den an der Kuppel
angebrachten Luftlöchern. Das Waſſer reichte mir bis
an den Hals und brannte ſo, daß ich es kaum aushalten
konnte. Nachdem ich etliche Mal herumgeſchwommen, ging
ich wieder in die Vorhalle zurück, nahm die Kleider, und
begab mich ins Freie, während die Collegen in den mar-
mornen Nebengemächern ſich abermals bürſten und ſtrie-
geln ließen. Nein, ich bleibe bei meinem Vorſatze: Ein-
mal und nicht wieder. – Der Luxus in den Bädern von
Bruſſa muß einſt groß geweſen ſein, Marmor und Mo-
ſaik war hier verſchwendet. Gegenwärtig herrſcht jedoch
die größte Einfachheit; die ärmſten Türken baden neben
dem reichen Griechen, und alle empfangen die gleiche Be-
handlung. Ich fühlte eine wohlthuende Reaction nach dem
Bade, die Kreuzſchmerzen waren wie verſchwunden. –
Nach einer Stunde kamen auch die Collegen, und wir ließen
uns im Hotel die gut zubereitete Collation mit echtem
Olympierwein trefflich ſchmecken. Darnach machten wir,
um uns an die orientaliſche Sitte und Faulheit zu gewöh-
nen, eine Mittagsſieſta, – man ſagt, daß dieß geſund
ſei. Bei Eſelsgeſchrei ſchlief ich ein, und unter detto Eſels-
geſchrei, das in Bruſſa faſt nie aufhört, erwachte ich.
Nachmittags vier Uhr machten wir dem ruſſiſchen
Conſul Falkeiſen, dem wir von Conſtantinopel aus em-
pfolen waren, einen Beſuch. Er befand ſich in ſeinem
Kaufgewölbe in einem coloſſalen Khan, und lud uns
ein, ihn in ſeiner Wohnung zu beſuchen. Als geborner
Schweitzer ſpricht er deutſch. Auf unſere Frage, ob wir
105
in Bruſſa etwas zn befürchten hätten, antwortete er:
Nein, denn der jetzige Paſcha ſei ein energiſcher Mann
und habe Haare auf den Zähnen. – Auf dem Rückwege
kamen wir durch den Bazar, der beſonders reich an
Seidenartikeln iſt. In vielen Buden knieten die türkiſchen
Verkäufer und beteten, worin ſie ſich nicht ſtören ließen,
wenn man ſich auch als Käufer zur Bude hinſtellte. Wenn
der Türke betet, hört und ſieht er nichts; ſollte man nicht
manchen Chriſten empfehlen türkiſch zu beten? – Grie-
chen, Türken und Armenier waren da untereinander.
Letztere ſollen durch Wucher ſich große Reichthümer ſam-
meln, wogegen die Türken verarmen; daher auch die Er-
bitterung der Türken gegen die Chriſten. Erſt vor zwei
Tagen wurde ein Armenier von einem Türken in Gegen-
wart von etlichen zwanzig Menſchen mit einer Eiſen-
ſtange erſchlagen, ohne daß ihm jemand zu Hilfe kam und
ohne daß dem Türken etwas geſchah. Die Türken halfen
dem Türken vor Gericht, und das Zeugniß eines Chriſten
hat keine Beweiskraft. – Ich machte einige Einkäufe auf
dem Bazar; ein ſeidenes Foulard koſtete 50 kr. C. M.,
um einen Piaſter (6kr.) erhielt ich eine ungeheure Düte
feinen Rauchtabaks; ebenſo viel koſtete ein Päckchen Wie-
ner-Zündhölzel mit dem privilegirten kaiſerlichen Adler.
Auch an einigen Moſcheen, deren Thüren weit
offen ſtanden, gingen wir vorüber, und ſahen die zahllo-
ſen Lampen und Springbrunnen darin. Der Weg führte
uns ferner über einen mit Cypreſſen bepflanzten Fried-
hof, wo wir ein bischen ſtehen blieben. Augenblicklich er-
ſchien ein häßliches Türkenweib und ſchmollte laut, daß
wir Giaurs es wagten einen moslemitiſchen Friedhof zu
betreten, wir ſollten uns packen u. ſ. w. Wirklich hatten
wir die Hexe noch nicht aus den Augen, als uns ſchon
106
Steine über die Köpfe flogen. Solchen Angriffen gegen-
über iſt der Fremde wehrlos, und er thut am beſten,
wenn er fortzukommen ſucht. Das thaten wir denn auch,
und kamen zur Haupttrinkquelle Bruſſa's, die wie ein
kleiner Bach aus dem Berge hervorquillt, und von indu-
ſtriöſen Franken zu Mühlen und Fabriken benützt wird,
weil die Türken zu faul ſind von der Gabe Gottes zu
profitiren. Das gute Trinkwaſſer iſt eine unſchätzbare
Wohlthat für Bruſſa, es fließt aus zahlloſen Baſſins in
allen Straßen der Stadt. – Wir kamen glücklich wieder
in unſer Hotel zurück, wo acht Uhr Abends das Diner
ſtattfand, für mich viel zu ſpät, denn um neun Uhr lag
ich ſchon im Bette. Die Hitze bei Tag iſt groß aber
erträglich, die Nächte ſind kühl, daher man die Fenſter
Nachts nicht offen laſſen darf, ohne ſich der Gefahr eines
Fieberanfalles auszuſetzen.
Tags darauf ritten wir abermals als echte Som-
merfriſchler in ein Bad, und zwar in ein anderes Heil-
bad, welches dem Bruder des ruſſiſchen Conſuls gehört.
Dieſer originelle und unternehmende Mann lebte zwei
Jahre als Nimrod in den faſt unzugänglichen Urwäldern
des Olymp mit einem gleichgeſinnten Freunde. Nur zu Zei-
ten kamen ſie nach Bruſſa, um die Häute der Bären 2c.
zu verkaufen. Er hatte ſich an einer romantiſchen Abda-
chung des Gebirges in der Nähe einer unbenützten Eiſen-
quelle von 339 R. ein geſchmackvolles Schweizerhaus aus
Holz gebaut, wie er ſelbſt ſagte ziemlich elaſtiſch, damit
es bei einem Erdbeben leicht nachgebe. Die Heilquelle
leitete er ohne viel Mühe in ſein Haus hinein, und war
nun eben daran ein Badehotel für europäiſche Gäſte zu
107
bauen. Gegenwärtig war Alles noch höchſt einfach. In
den noch nicht getäfelten Zimmern befanden ſich Wannen
nach europäiſcher Sitte. Ich hielt es aber in dieſem Bade
nicht fünf Minuten aus, und war ſchon wieder marſch-
fähig, bevor die Collegen im Bade waren. Nun wartete
ich eine Weile, und plauderte mit dem Schweitzer ein
gemüthliches Deutſch, dann aber machte ich mich auf,
ließ mein Pferd zurück und ging zu Fuß voraus, in der
Hoffnung daß die Anderen ohnehin bald nachkommen
würden. Ich hatte eine ſolche Zuverſicht in die Sicher-
heit dieſer paradieſiſchen Gegend, daß ich mich gar nicht
fürchtete. Ohne es zu wollen, bereitete ich aber meinen
Reiſekollegen nicht geringe Beſorgniß, wie Du gleich hören
wirſt.
Wohlgemuth meines Weges gehend kam ich zuerſt
zu einer großen Moſchee, in welcher die koſtbaren Grab-
mäler der in Bruſſa verſtorbenen osmaniſchen Kaiſer ſich
befinden, die von den Türken beſonders verehrt werden.
Kein Giaur darf ſie betreten. Da jedoch die Thür offen
ſtand, ſo konnte ich der Neugierde nicht widerſtehen und
ſchlich mich hinein, ſo daß ich die mit reichen Teppichen
belegten Tomben zwiſchen den prachtvollen Marmorſäu-
len bequem ſehen konnte. Als mich jedoch einige gerade
dort knieende Türken bemerkten, entfernte ich mich ſchnell,
und wendete mich zur nahe gelegenen Moſchee Amuraths,
die beſonders ſchön zu ſein ſchien. Unglücklicherweiſe hatte
ich gar kein türkiſches Geld bei mir, und ohne Bakſchiſch
konnte ich nicht hoffen in die Moſchee hinein oder wieder
heraus zu kommen. – Langſamen Schrittes ſchlenderte ich
daher fort, kam unangefochten nach Hauſe und in mein
Zimmer, ohne daß mich jemand vom Hauſe bemerkte.
Viel ſpäter als ich kamen die berittenen Collegen in's
108
Hotel zurück und fragten voll Beſorgniß um mich. Da
mich von den Wirthsleuten niemand geſehen hatte, ſo
hielten ſie dafür, daß ich mich verirrt hätte oder gar ver-
loren gegangen ſei, und der brave Criſtofero und der
gute Reiter Marinelli ſprengten ſogleich fort um mich
zu ſuchen. Freilich war das Mißverſtändniß bald geho-
ben, indem ich ganz wohlbehalten im gemeinſchaftlichen
Speiſeſaal erſchien. Nach einer Stunde kehrten die Su-
chenden ganz erſchöpft und erhitzt zurück, und ich dankte
ihnen für die Mühe, die ich ihnen ohne Schuld und Wiſ-
ſen verurſacht hatte. - * - -
Wie Du weißt, befindet ſich ſeit vier Monaten der
berühmte Emir Abdel Kader in Bruſſa, und iſt (wenn
ich ſo ſagen darf) eine Hauptmerkwürdigkeit dieſer Stadt.
Wir trugen Alle das Verlangen dieſen Hannibal des
neunzehnten Jahrhunderts kennen zu lernen, und ließen
daher durch unſere Billeten um eine Audienz erſuchen.
Zu unſerer großen Freude ſchrieb uns der Sekretär des
Emir in franzöſiſcher Sprache zurück, daß der Emir uns
mit Vergnügen morgen zwiſchen 3 –10 Uhr (à la Tur-
que) empfangen werde, wenn wir es nicht etwa vorzögen
noch heute zu kommen. – Wir beſchloßen noch an demſel-
ben Tage dem edlen Emir unſere Aufwartung zu machen.
Sogleich wurden Pferde beſtellt, und jeder machte ſo gut
als es anging Toilette, wie ſie ſich für einen ſo hohen
Beſuch geziemte. Ich applizirte mir zum erſten Mal die
grauen Brillen, um mir ein mehr profeſſorliches Ausſe-
hen zu geben. Endlich kamen die Pferde und die Kara-
wane ſetzte ſich in Bewegung.
Voran ritt ein Türke mit großem Turban, dann
wir fünf Pilger hintereinander, den Schluß machte unſer
Dragoman. Der Weg führte durch enge und ſchmutzige
109
Gaſſen der Stadt und durch die Gewölbe des Bazar faſt
eine halbe Stunde lang, bis wir in einer abgelegenen
Sackgaſſe Halt machten und vom Pferde ſtiegen – wir
waren bei der dermaligen Reſidenz des arabiſchen Emir.
Den Eingang bildete eine einfache Holzthür. Im inneren
Hofraum, der mit ſchattigen Bäumen bepflanzt iſt, ſaßen
Beduinen in großen weißen Mänteln. Das neugebaute
Haus von Holz mit ſeinen großen Fenſtern und reinli-
chem Anſtrich kontraſtirte gegen die baufälligen Wohnun-
gen der nächſten Umgebung. Wir ſtiegen eine Treppe
höher und wurden links in einen geräumigen Salon
geführt, deſſen Fußboden mit feinen Srohmatten be-
deckt war. An den Wänden herum befanden ſich zwei
rothe Divans, ein Sopha und zwei Fauteuills, Spie-
gel zierten die Wände, und blendend weiße mit rother
Seide verbrämte Gardinen umliefen die oberen Theile
der Fenſter. Kaum fanden wir Zeit dieſe Gegenſtände
zu betrachten, als der Neffe des großen Emir kam
uns zu bewillkommen. Wir ſaßen auf europäiſche Weiſe
auf dem Divan, ſo auch der Neffe, der geläufig franzö-
ſiſch ſprach, und mehr europäiſch als orientaliſch geklei-
det war, nämlich im blauen Soldatenrock und rothem
Fes. Wir ſprachen kurze Zeit mit ihm über unſere Reiſe.
Als ſein jüngerer Bruder eintrat, der gleichfalls franzö-
ſiſch ſprach, entfernte er ſich, um uns beim Emir zu mel-
den. Indeſſen kamen fünf ſchwarze Araber herein, kredenz-
ten einem jeden von uns einen faſt klafterlangen Tſchipuk
mit koſtbarer Bernſteinſpitze, und ſetzten den Pfeifenkopf
mit ceremoniöſer Grazie auf einen runden Meſſingteller,
wahrſcheinlich damit keine herabfallende Kohle die feinen
Strohmatten verletze. Und wir begannen ganz türkiſch zu
ſchmauchen.
110
Auf einmal trat Abdel Kader ein. Niemand ſagte
es uns, daß er es ſei, außer er ſelbſt durch ſeine würde-
volle Erſcheinung. StelleDir einen großen ſchönen Mann
vor mit ſchwarzem Bart auf dem ernſten weißen Geſichte,
auf dem ebenſoviel Majeſtät als Melancholie lag. Ein
weißer Turban ſaß auf ſeinem Haupte und ein himmel-
blauer Kaftan umſchlang ſeine Schultern. Wir ſtanden
alle vom Sitze auf, und machten eine Verbeugung. Er
grüßte mit der rechten Hand ohne den Kopf zu bewegen,
ging mit Gravität auf den der Thüre gegenüber befindli-
chen Divan zu und ſetzte ſich darauf, indem er die Füße
kreuzweiſe unterſchlug. Ein Diener brachte ihm die lange
Pfeife, und er gab uns zu verſtehen, daß wir uns gleich-
falls niederſetzen und fortrauchen ſollten. Wir ſaßen links
von ihm der Reihe nach, ich in der Mitte. Zur Rechten
des Emir ſaß ſein 15 jähriger Neffe, der mit kindlichem
Reſpekt zu ſeinem großen Oheim hinaufſah. – Nun be-
gann die Converſation, indem der junge liebenswürdige
Neffe das von uns franzöſiſch Geſprochene ins Arabiſche
überſetzte, und umgekehrt die Rede des Emir uns dol-
metſchte. Der Emir ſprach ungemein lebhaft und ſchnell,
ausdrucksvoller durch Mienen und Geberden als durch
Worte. Seine Stimme hatte trotz ihrer Reinheit etwas
Kreiſchendes, woran vielleicht die mit Emphaſe geſpro-
chenen Gutturallaute Schuld waren. Die Antworten des
Emir hatten etwas Epigrammatiſches und er verſprach
ſich nie mit einem Worte. Was ihm etwa ſchmeicheln
konnte, nahm er mit abwehrendem Ernſte auf; ſichtbar
gerührt aber war er, als wir ſeiner alten Mutter, an
der er mit Innigkeit hängt, erwähnten, und den Wunſch
äußerten, Gott möge ſie ihm noch lange erhalten. – Er
fing ſelbſt an um Neuigkeiten zu fragen, namentlich um
111
Nachrichten von dem Kriegsſchauplatze. Das Auftreten
Rußlands gegen die Türken nannte er zu wiederholten
Malen ungerecht, und ſchüttelte mißbilligend das Haupt
dabei. Als wir ihm ſagten, daß Öſterreich wahrſcheinlich
die Vermittlung zwiſchen den kriegführenden Mächten
übernehmen werde, ſchien er befriedigt. An Allem nahm
er den lebhafteſten Antheil z. B. an dem Darniederliegen
des Handels in der gegenwärtigen Kataſtrophe; an dem
ſtattgehabten Attentate auf das Leben des öſterreichiſchen
Kaiſers; an unſerer Pilgerreiſe nach Jeruſalem; an der
projektirten Beſteigung der Olymp u. ſ. w. – Als wir uns
wegen des Reiſecoſtüms entſchuldigten, ſagte er, daß ihm
dasſelbe gefalle, daß er es anſtändig, ja nobel finde; er
vielmehr müſſe ſich entſchuldigen, daß er in ſeinem Haus-
anzuge ſei. Auf die Äußerung, daß wir Deutſche ſo offen
ſprechen, wie wir denken, antwortete er: „Das ſei bei
jedem Volke wünſchenswerth, und nur jene Sprache ſei
ſchön, die am beſten die Wahrheit ausdrücke." Als wir
ſchließlich verſprachen am Ziele unſerer Pilgerfahrt ſei-
ner zu gedenken, ſagte er dankend: „Leute, die nach Jeru-
ſalem reiſen, reden gewiß die Wahrheit." So nahm die
Converſation ihren Lauf ohne ins Stocken zu gerathen.
Frankreichs erwähnten wir abſichtlich nicht, weil wir
nicht wußten, welche Gefühle es in ihm erregen würde. –
Indeß hatten die ſchwarzen Diener in kleinen Taſſen ſehr
guten Kaffee ſervirt, dem Emir zuletzt; bei dieſem Akte
hielten ſie die linke Hand auf die Bruſt, und mit der
rechten gaben und nahmen ſie die Taſſe. – Nach einer
halbſtündigen unvergeßlichen Audienz bei dieſem räthſel-
haften Manne des 19. Jahrhunderts, der ebenſo viel
Prophetiſches als Fürſtliches an ſich hat, ſtanden wir
auf, dankten und empfahlen ihn dem Schutze Gottes.
112
Freundlich nahm er die Worte entgegen, lud uns ein ihn
nochmal zu beſuchen, erhob ſich mit uns, und ging bis
in die Mitte des Saales, wo er einem Jeden ſeine ſchöne
nervige Hand zum Abſchiede reichte. Wir verbeugten uns
und gingen. Vollkommen befriedigt ritten wir nach Hauſe,
und zählten einſtimmig dieſen Beſuch zu einem der inter-
eſſanteſten Erlebniſſe auf der ganzen Reiſe, und Nie-
manden reute es nach Bruſſa gegangen zu ſein. – Mir
waren bei dieſem Beſuche nur zwei Dinge unangenehm:
einmal, daß ich die grauen Brillen trug, auf welchen ich
ſchlecht ſah, und dann, daß mir der ſtarke Tabak den Kopf
einnahm, ſo daß ich das erſte Zeichen zum Aufbruch gab.
Doch war Letzteres auch in anderer Beziehung rathſam,
denn es war der Vorabend des türkiſchen Feſttages, nnd
Abdel Kader iſt ſehr genau in Verrichtung ſeiner religiö-
ſen Pflichten; ſo z. B. geht er täglich fünfmal zu Fuß in
die nächſte Moſchee, um dort zu beten. – Es begreift ſich,
welch' unwiderſtehlichen Einfluß dieſer Mann auf die
Wüſtenſöhne ausüben mußte. Nun iſt er eine gefallene
Größe, und Frankreich hält wegen ihm einen eigenen
Conſul in Bruſſa, der jeden Schritt und Tritt des Emir
überwachet.
Wir kamen nicht mehr zur Wiederholung des Be-
ſuches, aber Marinelli hatte den Muth nach etlichen
Tagen den Sekretär um ein Autograph des Emir als
Andenken an unſere Audienz zu erſuchen. Der Emir
ſchrieb eigenhändig mit kräftigen arabiſchen Buchſtaben
vier Zeilen folgenden Inhaltes: „Lob ſei Gott dem Ein-
zigen. Die Urſache der gegenwärtigen Schrift iſt Euch zu
grüſſen. Ihr habt uns beſucht, und nachdem wir Bekannt-
ſchaft mitſammen gemacht, ſo fanden wir in Euch Männer
der That und der Bildung. Wir lieben Thatkräftige und
113
Gebildete. Gruß Euch von Seite Abdel-Kadir's, welcher
zum Leben erwecket die Religion. Im Monat Schewel des
Jahres 1269."
Tags darauf war türkiſcher Feiertag, nämlich Frei-
tag. Vormittags beſuchten wir eine der vielen hier exiſti-
renden Seidenſpinnereien; ſie gehört einem Europäer
Namens Paulachi; in dem großen Gebäude befindet ſich
eine Dampfmaſchine. Die blendend weiße Seide von
Bruſſa iſt berühmt. Auch der Sultan hat hier eine neue
großartige Seidenfabrik errichtet. In allen Fabriken
wurde friſchweg gearbeitet, und zwar von lauter griechi-
ſchen Mädchen, keinem türkiſchen. In der Fabrik, die wir
beſuchten, waren bei 80 Mädchen von 8–25 Jahren,
die die Seide auf kunſtvolle Weiſe abwanden. Die Mäd-
chen ſangen und lachten, und genirten ſich nicht vor uns.
Wie wir hörten, ſollen dieſe Fabriken Schulen der Un-
ſittlichkeit ſein, was um ſo trauriger iſt, als unter den
Türkinnen ein unſittlicher Lebenslauf zur Seltenheit
gehört. – Auf der Sultansfabrik wehte ſowie auf dem
hohen Kaſtelle die rothe Fahne. – In der Nähe der Fa-
brik befand ſich unter einer Trauerweide eine Fontäne,
deren Waſſer beſonders kühl und ſchmackhaft war; es ſoll
die Wunderkraft haben vom Fieber zu heilen, weshalb
es auch aqua santa (heiliges Waſſer) heißt; ein griechi-
ſcher heiliger Johannes ſoll einſt an der Quelle gelebt
haben. Ob ſich das Mittel allüberall erprobt, möchte ich
bezweifeln, da es in Bruſſa viele Fieberkranke gibt; frei-
lich eſſen die Leute das Obſt ganz unreif, was die vor-
ſichtigeren hier wohnenden Europäer vermeiden, und
daher vom Fieber befreit bleiben. Mir ſelbſt heilte die
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 8
114
Quelle eine Wunde, die ich mir in Folge eines Sturzes
über die Hotelsſtiege verurſacht hatte. – Auf dem Rück-
wege begegneten wir kleinen Derwiſchen, d. i. den Kindern
der türkiſchen Mönche, welche durch einen himmelblauen
Kaftan ſich auszeichnen. Auch den türkiſchen Friedhof,
aus dem man uns vor etlichen Tagen verjagt hatte, paſ-
ſirten wir dreiſt, denn wo Eſel und Pferde weiden, darf
wohl auch ein ehrlicher Menſch ſich ſehen laſſen.
Noch muß ich dir von der Beſteigung des myſiſchen
Olymp erzählen, die ich meinen Collegen anrieth. Es
war zu einladend dieſen alten Bergrieſen, der allein in
weiter Umgebung ſein greiſes Haupt erhebt, zu beſteigen;
zudem hatte ein heftiges Gewitter die Luft gemildert und
gereinigt. Ich entwarf einen Plan, wie ich ihn nach der
Erfahrung auf meinen vielen Gebirgsexpeditionen am
entſprechendſten hielt; allein ich fand einen redſeligen
Gegner an Freund Caſella, der überhaupt in allem gern
den Ton angab, und daher auch den Spitznamen „Reiſe-
marſchall" ſich erwarb. So z. B. ſetzte er durch, daß wir
den Berg nicht zu Fuß, ſondern zu Pferd beſtiegen, und
zwar nicht beim Tage, ſondern bei der Nacht. Vergeblich
waren alle Gegenvorſtellungen, daß der Olymp kein Rigi
ſei, daß es gefährlich ſei auf unbekannten Gebirgswegen
bei nächtlichem Dunkel zu reiten 2c.; alles umſonſt. Mit
exemplariſcher Subordination fügten wir uns dem Kom-
mando des Reiſemarſchalls, der für Alles zu ſorgen ver-
ſprach. Höre wie die Expedition ausfiel, die ich zeitlebens
im Gedächtniß behalten werde.
Um 9 Uhr Abends hätten die Pferde kommen ſollen,
ſie erſchienen aber erſt um 10 Uhr. Bei ſpärlicher La-
ternbeleuchtung wurde geſattelt und aufgepackt, endlich
ſetzte ſich der Zug in Bewegung. Wir hatten zwei türki-
] 15
ſche Führer und ein Packpferd, alſo im Ganzen neun
Pferde. Die Hunde machten einen entſetzlichen Spektakel,
als wir durch die finſteren Straßen Bruſſa's ziehend ihre
nächtliche Ruhe ſtörten. Gleich außer der Stadt ging es
bergan auf ſteilen ſteinigen Wegen; manchmal waren es
glatte Felſen, auf denen das arme Thier emporklimmen
mußte. Marinelli meinte, daß ein europäiſches Pferd der-
lei zu leiſten oder auszuhalten nicht im Stande wäre. Ich
überließ mich ganz und gar der Kunſtfertigkeit meines
Pferdes, das ſich ſtets knapp an ſeinen Vorgänger hielt,
um ihn nicht aus dem Auge zu verlieren. Zum Glück leuch-
tete der Mond, und ein Sternenmeer, – wie ich es nie
glänzender ſah, ſchmückte den nächtlichen Himmel. Dreimal
verirrten ſich unſere Führer, und zwar das letztemal
bedenklich an einer felſigen Höhe in der Nähe eines Ab-
grundes mitten im Dickicht. Das Pferd fand kaum Raum
genug ſich umzudrehen. Da die Türken keinen Wein trin-
ken, ſo konnte nur die im Terrain liegende Schwierigkeit
unſere ergrauten Führer vom rechten Pfade abgelenkt
haben. – Der unterſinkende Mond, die ſtille Mitternacht,
und meine aufgeregte Phantaſie zauberten mir allerlei
Geſtalten und Erſcheinungen vor, und es war mir als
huſchten die olympiſchen Geiſter an mir vorüber. Wir
ritten ununterbrochen bis 2 Uhr Nachts, wo wir im
Walde Raſt machten. In der Nähe befanden ſich Heerden,
deren Hunde uns mit echoweckendem Geheule empfingen.
Es war empfindlich kalt, ſo daß die Glieder vor Kälte,
Ermattung und Schlafloſigkeit zitterten. In der Nähe
ſtand ein Wachholderſtrauch, deſſen Zweige zu einem
Feuer benützt wurden, um welches herum wir lagerten.
Obwohl nur ein harter Felſen mir als Kopfkiſſen diente,
ſchlief ich doch in meinen Mantel gehüllt vortrefflich,
8
116
die Müdigkeit ſchloß die Augen. Doch ſchon nach einer
Stunde wurde wieder Lärm gemacht und mit dem Wört-
chen: heida (vorwärts) zum Aufbruch gerufen. Jetzt
zeigte ſich erſt wie unpraktiſch die Expedition unternom-
men worden war; es war keine Möglichkeit vorhan-
den, den Sonnenaufgang auf dem Gipfel des Berges zu
ſchauen, denn die Morgenröthe meldete ſich bereits am
Firmamente, und wir hatten noch drei Stunden Weges
vor uns. Eine Stunde konnten wir noch auf der Hoch-
ebene im Trab reiten, einer hinter dem andern, doch dann
hörte jede Möglichkeit zu reiten auf, und es hieß abſtei-
gen, um den letzten Gipfel voll Felſen-Zickzack und Ge-
rölle zu Fuß zu erklimmen. Hier hörte alle Vegetation
auf, und nur ſpärliches Knieholz überdeckte den Boden.
In vielen Klüften und Riſſen lag noch glänzender Schnee,
der von hier in ganzen Schiffsladungen nach Conſtanti-
nopel transportirt wird. Der Weg zog ſich ſehr in die
Länge, und wenn man ſchon bald am Ziele zu ſein
glaubte, ſo zeigte es ſich, daß man nur einen vorſprin-
genden Abhang erklettert hatte. Endlich hatten wir die
letzte Spitze 8000“ hoch erreicht, Mayr zuerſt, dann ich
und Marinelli. Hubinger und Caſella waren bei den
Pferden zurückgeblieben.
Auf freier Bergeshöhe erweitert ſich das Herz und
man vergißt alle Mühen und Beſchwerden; deſto entſchie-
dener aber melden ſich Durſt und Hunger. Aber ach! es
mangelte Alles, um die erſchöpften Kräfte zu ſtärken.
Wir ſchmachteten auf dem Gipfel des Götterberges, und
hatten doch einen vollgefüllten Flaſchenkeller und Pro-
viant genug um ein eigenes Packpferd damit zu beladen
mitgenommen! Doch ſiehe, es grünet die Hoffnung, denn
der brave Criſtofero keucht da den Berg herauf beladen
117
mit dem Reiſeſacke Caſella's, den er uns nachgeſendet,
und in welchem ſich Piſtolen, Perſpektive und etwas
Proviant befanden. Aber haben ſich denn die Götter des
Olymp gegen uns verſchworen? Der Sack iſt verſchloſ-
ſen, und der Schlüſſel dazu ſteckt in der Taſche unſeres
dicken für Alles (?) ſorgenden Reiſemarſchalls! – Da
war es nicht zu wundern, daß uns das herrliche Pano-
rama, das wir von dem Gipfel des Berges aus genoßen,
nicht ſo befriedigte als wir erwarteten. Bei einem hun-
gernden Magen hört alle Poeſie auf. – Gegen Kleinaſien
zu dehnte ſich eine lange Gebirgskette ohne beſonders
ſchöne Formen aus, und gegen Europa zu lag das blaue
Becken des Marmarameeres, über das ſich ein leichter
Dunſt gelagert hatte. Die Luft war rein, der Himmel
wolkenleer, die Temperatur milde, ſo daß es ſehr ange-
nehm geweſen wäre länger da oben zu raſten, aber der
gebieteriſche Hunger trieb uns abwärts, wobei ich einige
ſchöne Immortellen ſammelte. – Als wir zu den Pferden
kamen, die an einer eiskalten Quelle ſich gelagert hatten,
wurde unter freiem Himmel Collation gehalten (die An-
dern ließen ſich's ſchon ſchmecken). Eier, Brod, Fleiſch,
Käſe waren im Überfluß vorhanden, ſo daß auch unſere
Führer und die in der Nähe befindlichen Hirten davon
bekamen; dem köſtlichen Olympierwein wurde mit vielen –
lauten und ſtillen Intentionen wacker zugeſprochen. –
Nach einem mehrſtündigen Aufenthalt ritten wir volle
vier Stunden unter den ſengenden Strahlen der Sonne
auf halsbrecheriſchen Wegen bergab, ſo daß wir vier Uhr
Nachmittags total erſchöpft in Bruſſa ankamen. Das
war das Arrangement Caſella's! Um wie viel angenehmer
und lohnender hätte dieſe Gebirgsexpedition werden kön-
nen, wenn ſie vernünftiger veranſtaltet worden wäre!
118
Zum Glück wurde keiner krank, und die göttliche Vorſe-
hung hatte jeden Unfall verhütet; nur einer hätte durch
einen heftig zurückprallenden Aſt beinahe ſein Auge verlo-
ren. – Ich ging ſogleich zu Bette, und ſchlief meinen
Gram bis in den ſpäten Morgen aus.
Heute iſt Sonntag. Auf der Terraſſe unſeres Hau-
ſes, wo ich ſo viele angenehme Stunden zugebracht,
ſchreibe ich Dir dieſe Zeilen unter einem weißen gegen die
Sonnenſtrahlen ſchützenden Zelte, angeweht von balſami-
ſchen Lüften. O könnteſt Du auf einige Stunden hier ver-
weilen, um Dich an dem Anblicke zu weiden, an dem das
Auge unmöglich ſatt werden kann! Meine Feder iſt zu
ſchwach Alles ſo zu ſchildern, wie es wirklich iſt und wie
mein eigen Herz es fühlet. Wäre dieſes Land chriſtlich,
ſo beſuchte ich es gewiß wieder; ſo aber lebet wohl ihr
Berge, ihr geliebten Triften! Der Abſchied fällt mir
ordentlich ſchwer, zumal heute, wo die Natur ihr ſonntäg-
liches Feierkleid angezogen. – Nur Eines entbehrten wir
doch: eine katholiſche Kirche. Eine ſolche exiſtirtin Bruſſa
nicht; erſt ſeit etlichen Monaten weilt hier ein katholi-
ſcher Prieſter, welcher allſonntäglich in einem Privat-
hauſe die heilige Meſſe lieſt. Da wir die nöthigen For-
maten in Conſtantinopel zurückgelaſſen hatten, ſo mußten
wir uns begnügen der ſtillen heiligen Meſſe beizuwoh-
nen, welche der franzöſiſche Prieſter um 10 Uhr im
Hauſe eines reichen Fabriksbeſitzers hielt. Es mochten
etwa im Ganzen 20 Perſonen ſein, die daran mit An-
dacht Theil nahmen, darunter 6 Frauen, meiſtentheils
Franzoſen und Italiener. Man war ſehr artig gegen uns
nnd brachte uns Stühle aus dem anſtoſſenden Zimmer.
119
Das Zimmer war entſprechend zu einer Nothkapelle her-
gerichtet. Der Geiſtliche las andächtig, und ich folgte ihm
mit inniger Geiſtesſammlung. Das Memento für meine
Freunde brachte mich dieſen nahe, denn wie Fenelon ſagt:
„Il n'y a entre ceux, dont Dieu est le centre com-
mun." Dieſe Sonntagsmeſſe hatte ſo zu ſagen etwas
Urchriſtliches. Nach der Meſſe wurde für den Prieſter
geſammelt, auf dem Teller lag großes Silber, wir ließen
uns nicht ſpotten.
Darnach machten wir noch dem ruſſiſchen Konſul,
der Proteſtant iſt, und in der Nähe ein geſchmackvolles
Haus bewohnt, auf dem die ruſſiſche Flagge wehte, einen
Beſuch. Mit ſchweizeriſchem Erfindungsgeiſte hatte er
den terraſſenförmigen Hügel in einen Garten umgewan-
delt, der gerade in voller Blüthe ſtand. Da waren lieblich
duftende Blumenbeeten, da plätſcherte ein Springbrun-
nen, da wölbten ſich die üppigen Geſträuche zu einladen-
den Lauben, da war eine kühle Grotte, und auf dem be-
ſchatteten Tiſche lag die Augsburger Allgemeine Zeitung.
– Konſul Falkeiſen betreibt in Bruſſa ein großartiges
Weingeſchäft, und da die Türken keinen Wein bauen, ſo
hat er das Monopol. Sein Wein- Etabliſſement gränzt
an's Fabelhafte, denn in dem theils von der Natur, theils
durch Kunſt im Tufſtein gebildeten Felſenkeller liegen
wenigſtens 10000 Eimer Olympier, der weit und breit
verſendet wird. Der Konſul ließ die ungeheure Keller-
grotte beleuchten, was an ein Bergwerk erinnerte. Wir
koſteten drei Sorten, alle waren vortrefflich. Mayr und
Caſella machten Beſtellungen auf etliche Eimer, die Falk-
eiſen durch ſeinen Spediteur über Conſtantinopel nach
Wien zu liefern verſprach.
Um drei Uhr war Diner, weil wir die Rückreiſe
120
nach Conſtantinopel antreten ſollten. Die Abreiſe verzö-
gerte ſich aber bis zum ſpäten Abend, weil Caſella einen
Landsmann in Erfahrung gebracht hatte, den er beſu-
chen wollte. Unſere Zeche in Bruſſa ohne Pferde betrug
1100 Piaſter.
Ehe ich jedoch dieſen Brief ſchließe, drängt es mich,
einem Bedenken entgegen zu treten, das vielleicht in Dei-
ner Bruſt, lieber Freund, oder doch bei Andern, die dieſen
Brief leſen, entſtehen mag. Es könnte nämlich Jemand
fragen: Wie? ſind das Pilger, die derlei treiben? und ſind
das Pilgerbriefe, die von weltlichen Dingen und Unterhal-
tungen erzählen? Gemach, mein Lieber! – Ein Pilger
gleicht einem Fluße, der durch viele Länder zieht, und im
Vorüberziehen das Spiegelbild derſelben auf ſeinen Wellen
trägt. So nimmt auch der Pilger in ſeine Seele auf, was
während ſeiner Pilgerfahrt ſich ihm bietet. Ich bin über-
zeugt, daß Du, der Du ſo vielen Sinn für alles Edle und
Schöne haſt, mir hierin beiſtimmen wirſt. Zudem kann ich
tröſtend beifügen, daß von nun an die Pilgerbriefe mehr
und mehr ihrem Namen entſprechen werden, je näher wir
dem Ziele unſerer Pilgerreiſe kommen. Bis jetzt ſind wir
Alle geſund, wohl, guter Dinge und voll Vertrauen.
Sage dieß Allen, die ſich für uns und unſere Reiſe inter-
eſſiren, damit ſie ſich beruhigen mögen. Entſchuldige
mein langes Schreiben; es grüßt Dich tauſendmal 2c.
––-HOH-–
e
N
z
i
121
VI.
Zweiter Aufenthalt in Conſtantinopel.
Nächtliche Abreiſe von Bruſſa nach Mudania. – Seebad. – Das
engliſche Dampfboot Wright. – Noch drei Tage in Conſtantinopel. –
Moſchee Mehmed, einſt die Lieblingskirche des heil. Chryſoſtomus. –
Engliſche Grobheit. – Sclavenmarkt. – Palaſt Beliſar. – Hippo-
drom. – Contraſte zwiſchen einſt und jetzt. – Ein türkiſches Wachsfi-
gurenkabinet als Muſeum. – Straßenadvokaten. – Die hohe Pforte.
– Die merkwürdigen Ciſternen. – Der Thurm von Galata. – Hiſto-
riſch-politiſche Betrachtungen. – Die Stellung der Frauen. – Der
phyſiſche und politiſche Verfall der Türkei. – Nutzloſigkeit aller Refor-
men. – Einzige Rettung im Chriſtenthum. – Die Miſſion der barm-
herzigen Schweſtern. – Schilderung der Orientalen. – Türkiſches
Phlegma. – Sehnſucht nach Fortſetzung der Reiſe. – Hotelskoſten. –
Eine Seeſchlacht der Engländer an der Table d'hote. – Ein beſoffener
Gentleman. – Freiherr von Bruck. – Abſchied von Europa.
Lieber Freund!
Conſtantinopel, 20. Juli.
Im letzten Brief ſchrieb ich Dir von der bevorſtehen-
den Abreiſe aus Bruſſa. Mit der untergehenden Sonne
verließen wir den paradieſiſchen Aufenthalt und ritten nach
Mudania zurück. Dank der Inſtruktionen Marinelli's ſaß
ich viel ſicherer und feſter zu Pferde, und konnte mit den
Geübteren gleichen Schritt halten. Der Mond beleuchtete
den Pfad und die Luft war rein und mild. Es begegneten
uns wohl etliche Leute, und auf den Feldern erhoben ſich
ſchlafende Hirten bei unſerer Annäherung, doch die Furcht
vor Räubern war ſo geringe, und unſere Stimmung eine
ſo gute, daß wir mit lauter Simme Lieder ſangen. Ein
einziges Mal hielten wir eine kurze Raſt, und tranken
auf einer Strohmatte kampirend Kaffee.–Bald nach Mit-
122
ternacht kamen wir an's Meeresgeſtade, und kurz darauf
nach Mudania, wo wir die Ankunft des Dampfſchiffes,
das von Gemlik kommen ſollte, abwarten mußten. In
dem Wartlokale verſpürten wir aber ſo viel Flöhe, daß
wir lieber ins Freie gingen. Hubinger und ich nahmen
ein Seebad mit erquickendem Wellenſchlage, hüllten uns
dann in den Mantel und ſchliefen in einem Schiffswrak,
das am Ufer lag, etliche Stunden bis zur Ankunft des
engliſchen Dampfbootes Wright, das uns an Bord
nahm und glücklich nach Conſtantinopel zurückbrachte. Es
hatte einen miſerablen Gang, denn es brauchte von halb
5 bis 12 Uhr Mittags, war ſchmutzig und vollgepfropft
mit Waaren und Wollſäcken. Unter den 30 Paſſagieren
befand ſich der gelehrte Autrent, Korreſpondent der Trie-
ſterzeitung. Ich ſchlief auf den harten Dielen neben dem
Steuerruder, und erwachte erſt im Angeſichte von Con-
ſtantinopel.
Zurückgekehrt von unſerem intereſſanten Ausflug
nach Bruſſa brachten wir noch drei Tage in Conſtanti-
nopel zu. Wir benützten dieſe Zeit, um die mancherlei
Merkwürdigkeiten des alten Byzanz, die wir noch nicht
geſehen hatten, kennen zu lernen. So gelang es uns z. B.
die ehemalige prachtvolle Kirche der heil. Apoſtel zu betre-
ten, wo ſo oft die Stimme des unerſchütterlichen Chry-
ſoſtomus ertönte und einſt die Grüfte der morgenländi-
ſchen Kaiſer waren; jetzt iſt ſie eine Moſchee (Mehmed),
in welche ſie der Eroberer Conſtantinopels verwandelte.
Einigen türkiſchen Weibern im Atrium der Moſchee ſchien
unſere Nähe nicht genehm zu ſein, bis ſie unſer Drago-
man mit der Verſicherung beruhigte, wir ſeien Engländer,
die den Türken im jetzigen Kriege helfen. Freund Mari-
nelli half ſich bei einer anderen Gelegenheit auf ähnliche
123
Weiſe aus der Patſche. In den engen Straßen Pera's
ſtieß er nämlich mit ſeiner gewaltigen Schulter an einen
gravitätiſchen Muſelmann, der ihn mit herausforderndem
Blicke vom Kopf bis zum Fuße maß. Marinelli aber
ſprach ruhig und voll Selbſtbewußtſein: „Inglese" d. h.
ich bin ein Engländer, und die Sache war abgethan;
beide gingen ihres Weges. Freilich liegt in dieſer natio-
nalen Selbſthilfe das Privilegium der Grobheit.
Unſer Weg führte uns auch an dem Sclaven-
markt vorüber, der jetzt in Folge der Remonſtrationen
der europäiſchen Geſandten in den inneren Hofraum des
Hauſes verlegt worden iſt. Die Thür zu dieſem Hauſe
ſtand offen, und wir ſahen eine ziemliche Anzahl ſchwar-
zer Sclaven beiderlei Geſchlechtes auf dem Boden kauern
– unglückliche Geſchöpfe! Der Sclavenhandel wurde in
Conſtantinopel zwar ſchon im Jahre 1847 verboten, aber
bis auf den heutigen Tag ignorirt und duldet man ihn.
Nur der Handel mit weißen Sclaven wird etwas gehei-
mer betrieben. Aus Georgien wird dieſe Waare noch
immer en gros importirt; der Preis eines Sclaven wech-
ſelt von 1000–50000 Piaſter.
Intereſſant war auch der Beſuch des Palaſtes
Beliſar, eine großartige Ruine mit noch größeren Er-
innerungen. Ich kletterte waghälſig darauf herum, und
nahm mir eine Felſenpflanze als Andenken mit. In den
zerfallenen Gemächern wohnen jüdiſche Familien, die mit
ekelhafter Zudringlichkeit für die geſtattete Beſichtigung
der Ruine Bakſchiſch forderten. In dieſem Judenviertel
ſah ich wahrhaft klaſſiſche Schönheiten: blendend weißen
Geſichtsteint und edle geiſtreiche Züge. Ein türkiſcher
Bube, der uns verfluchte und mit Steinen warf, wurde
von einem alten Türken mit etlichen Ohrfeigen zur Ord-
124
nung verwieſen. In der Nähe iſt der Pfeilplatz, ein mit
vielen Steinen beſpikter Hügel.
In dem eigentlichen Conſtantinopel beſuchten wir
auch noch den Hippodrom d. i. den einſtigen Rennplatz,
den Kaiſer Severus anlegte, wo die feſtlichen Spiele
ſtattfanden, und die zahlloſen Aufſtände der orientaliſchen
Siebenhügelſtadt ihren Anfang nahmen. Die Stelle, wo
früher die ſilberne Statue der dünkelhaften Kaiſerin Eu-
doxia ſtand, und den Platz, wo der ränkeſüchtige Gottes-
leugner Arius ſeinen grauenhaften Tod fand, – wer
kann ſie ſchauen, ohne die Welt- und Kirchengeſchichte
mit ihren praktiſchen Anwendungen für das tägliche Le-
ben tief ergriffen zu rekapituliren? Hier ſtanden einſt die
geprieſenſten Kunſtwerke des griechiſchen und römiſchen
Alterthums z. B. das Viergeſpann der Siegesgöttin, das
jetzt die Markuskirche zu Venedig ziert. Gegenwärtig be-
decket Schmutz und Staub den unebenen Boden, und
Pferde und Eſel weiden unter dem Schatten vereinzelt
ſtehender Platanen. Der Platz war einſt viermal ſo groß,
und mit prachtvollen Paläſten umgeben; jetzt verunſtal-
ten ihn elende baufällige Häuſer. Hier wurden die be-
rühmten „Circenses" gehalten, gegen welche Chryſoſto-
mus ſo eiferte. Zwei verſtümmelte Monumente, eine
Säule und ein Obelisk, ſtehen noch auf dem Platze. Trau-
riger Contraſt zwiſchen Einſt und Jetzt! – In der Nähe
des Platzes befindet ſich das türkiſche Muſeum, das
wir gegen drei Piaſter Entrée beſichtigten. In einem
hohen Saale waren über hundert Wachsfiguren in Le-
bensgröße aufgeſtellt, alle in den früher üblichen Koſtü-
men gekleidet; es waren darunter Hofchargen und Mili-
tärwürden, vom Großweſſier bis zum kaiſerlichen Waſ-
ſerträger, Eunuchen, Derwiſche, Janitſcharen, Pagen,
125
Frauen 2c. Die Figuren waren ohne Ausnahme trefflich
gearbeitet mit den entſprechenden Phyſiognomien. –
Beim Herumſchlendern im Türkenviertel fielen mir auch
die öffentlichen Schreiber auf, welche an den Ecken der
Straßen unter freiem Himmel ihre Kanzlei hatten und
auf dem Schooße ſchrieben. – Die hohe Pforte iſt das
eigentliche Regierungsgebäude, worin das Miniſterium
des Äußern ſich befindet, ein großes langes Haus mit
einer herrlichen Fronte und ſieben Pforten, aber alles
ſehr verliederlicht. Der Eintritt wurde uns nicht ge-
ſtattet.
Noch eine Sehenswürdigkeit Conſtantinopels ließen
wir nicht unbeachtet, nämlich die Ciſternen, d. i. ein
unterirdiſcher Palaſt mit 1000 Säulen und darüber. Sie
wurden zum Behufe der Waſſerleitung gebaut, gegen-
wärtig dienen ſie zu einer Seidenſpinnerei. Die Säulen
ſind etwa 20“ hoch und ſtehen vielleicht zur Hälfte im
Schutte. Auf Leitern ſteigt man in die unheimlichen dum-
pfen Gewölbe hinab, wo man prächtig verſchwinden
könnte, ohne daß jemand etwas merkte. Mich erinnerte
das Ganze an den Roman von Booz: Niklas Nikelby.
Die an vielen Stellen noch erhaltene Waſſerleitung ließ
Kaiſer Valens aus den Steinen der geſchleiften Stadt
Chalcedon errichten.
Um einen Totaleindruck von der Stadt Conſtanti-
nopel zu erhalten, beſtiegen wir den von den Genueſern
erbauten Thurm von Galata, ein maſſives rundes
Gebäude mit 29 dicken Mauern, auf dem ſich die Feuer-
wache mit Spießen und Speeren befindet. Die Ausſicht
oben iſt ungemein lohnend, denn ganz Conſtantinopel mit
der Bosporusſtrömung und dem pittoresken Goldhorn,
an deſſen beiderſeitigem Ufer ſich die vielfarbigen in zahl-
126
reichen Winkeln gebrochenen Holzhäuſer terraſſenförmig
übereinander erheben, liegen unmittelbar zu Füſſen. Ich
ſtarrte mit hiſtoriſchen Träumen in das unvergleichliche
Panorama hinein. Welche Poeſie und Geſchichte verſam-
melt ſich auf dieſer Gränzmarke zweier Welttheile! Wie
ein rieſenhaftes Geſchichtsbuch lag die byzantiniſche Sie-
benhügelſtadt vor mir, welcher der erſte chriſtliche Kaiſer
ſeinen Namen gab. Ich ließ meine Augen über die alten
Feſtungsmauern hinausgleiten zu dem ſogenannten Ka-
nonenthor, einſt Thor des heil. Romanus genannt, bei
welchem 1453 der letzte der Paläologen als chriſtlicher
Held fiel, und mit ihm das oſtrömiſche Kaiſerreich. In
ſeiner jetzigen zaubervollen Melancholie kam mir Con-
ſtantinopel wie ein ungeheurer Leichenhof untergegange-
ner Völker vor, und ich ſah die Feinde, welche die Stadt
24 mal belagerten und beſtürmten, die Griechen und
Römer, die Perſer und Avaren, die Araber und Bulga-
ren, die Lateiner und Osmanen! Seitdem das Kreuz
daſelbſt geſtürzt worden iſt, iſt dieſer Boden das blutge-
tränkte Feld wilder Gräuelthaten geworden, und aller
Naturreiz, welcher Conſtantinopel auch jetzt noch umgibt,
vermag die Gebeine der gemordeten Vorwelt nicht zu
verdecken. Die in das neunzehnte Jahrhundert herein-
ragende aſiatiſche Barbarei (für das chriſtliche Europa
ſchon lange eine Schande) kann nicht länger beſtehen.
Die ohnehin nur durch die Eiferſucht der übrigen Mächte
noch lebende Leiche des türkiſchen Reiches iſt dem Abſter-
ben nahe; der letzte Muezzim mag ihr das Grablied ſin-
gen, damit die ewig jungfräuliche Macht der Kirche ſich
entfalten möge, und das ſeit 400 Jahren verſchollene
Te Deum wieder erklinge. Was der fanatiſche Haß des
Propheten zerriſſen hat, möge die chriſtliche Charitas
127
wieder vereinigen! – Als ich ſo in dieſe mehr düſteren
als erfreulichen Betrachtungen vertieft war, erklang ein
Glöcklein, – in Conſtantinopel eine große Seltenheit.
Der ſanfte Klang kam aus dem Kloſter der barmherzigen
Schweſtern, welche in Galata ein Spital und ein großes
Erziehungsinſtitut beſitzen. Die frommen Frauen ſpazier-
ten mit den Schulkindern in dem Kloſtergarten; – ein
friedlich tröſtender Anblick! Mir fielen dabei die Worte des
berühmten „Lanzknecht" ein, der ſagte: Vor einer barm-
herzigen Schweſter ſoll man „Gewehr heraus" rufen.
Dieſe Frauen haben noch eine große Miſſion im Orient,
und werden unſtreitig die Türken eher reformiren als alle
türkiſchen Reformen.
Dieß bringt mich auf die Stellung der Frauen
und die Reformtürken zu ſprechen. Die Frauen haben
in der Türkei eine ſehr niedrige Stellung und Bildung.
Es gibt in der Türkei weder ein geordnetes Familien-
noch ein wahrhaft öffentliches Leben, und daran iſt eben
das Haremsleben und die Vielweiberei Schuld. Der
Orientale kennt nicht das Wort Familie in unſerer Be-
deutung, er hat wohl Haus und Hof, Weib und Kind,
aber nach letzteren zu fragen iſt ſchon eine Beleidigung.
Damit fällt aber auch alles geſellige Leben, aller Einfluß,
den die Frauen in ſo zarter Weiſe auf die öffentliche
Sitte üben, hinweg. Im Orient gibt es keine Frauen,
nur Weiber, und trotz oder vielleicht gerade wegen der
Vielweiberei graſſiren dort jene Laſter, die vorzugsweiſe
orientaliſche genannt werden. Der phyſiſche Verfall einer
Nation iſt aber zugleich auch der politiſche.
Um der verſinkenden Türkei aufzuhelfen hat man
es mit Reformen verſucht, aber alle Reformen ſind für
die Türkei ein fremdartiges Weſen, eingeimpft einem
128
durch und durch krankhaften Organismus. Reformen ret-
ten die Türkei nicht von ihrem Untergange, denn ein
moderniſirter Türke iſt zehnmal ſchlechter als ein Alt-
türke, indem er die Gebrechen einer überfeinerten Civili-
ſation, mit der Europa geſegnet iſt, und die Laſter des
Orients vereinigt. So ein Alttürke hat doch noch einige
ererbte Tugenden, die ihn ehrwürdig machen; er iſt ſtolz
auf ſeinen Glauben, er hat ein unendliches Vertrauen auf
Gottes Vorſehung, und aus einem jeden echten Türken-
geſichte ſtrahlen die Worte: „Allah ſorgt für uns"; er
enthält ſich vom Genuſſe berauſchender Getränke, er iſt
gutmüthig, genügſam und ehrlich. Hingegen ein Reform-
türke bläht ſich in ſeinem geſchwollenen Rationalismus,
wetteifert mit den Europäern im Genuße geiſtiger Ge-
tränke, übt vielleicht weniger Gewaltacte als ein Alt-
türke, aber deſto mehr Betrügereien. Das ſind die Re-
formfortſchritte in der Türkei. Nein, aller – wenn auch
noch ſo ſchillernde Humanitätsfirniß kann die inneren
Schäden eines Landes nicht ausrotten, höchſtens über-
tünchen. Rettung für den Orient iſt nur in der Rückkehr
zum Chriſtenthume, eine ſolche aber iſt nicht denkbar ohne
Änderung der Stellung der Frauen, ohne Regeneration
des Familienlebens. Nur in der ſacramentalen Ehe iſt
die Würde des Weibes gewahrt, und die Erziehung der
Kinder geſichert. Der größte Schatz einer Nation liegt in
der Keuſchheit der Mütter, welche ihren Kindern Reli-
gion und Tugend mit der Muttermilch mittheilen. Der
Islam hat die orientaliſchen Nationen auf Irrwege ge-
leitet, und nur der gute Hirt, welcher der Weg, die Wahr-
heit und das Leben iſt, kann ſie wieder auf den rechten
Pfad zurückbringen.
129
Obwohl alſo in Coſtantinopel ein eigentliches geſel-
liges Leben fehlt, ſo herrſcht doch in den Straßen ſtets
zu jeder Stunde des Tages ein buntes Gemenge von
allen möglichen Phyſiognomien und Coſtümen. An dieſem
Zuſammenſtoß zweier Welttheile und Meere finden ſich
alle Nationen zuſammen. Ich ſchweige von den Euro-
päern und ſchildere Dir nur kurz die Orientalen. – Der
Osmane trägt eine bunte Damaſtjacke, darüber einen
Leibgürtel und einen einfärbigen mit Pelz ausgeſchlage-
nen Kaftan, den glattraſirten Schädel bedecket er mit
dem rothen Fes, um welchen ein ſchmutziges grünes Tuch
gewickelt iſt; die faltigen Beinkleider ſtecken in rothen
unförmlichen Schuhen und Überſchuhen; die Geſtalt iſt
muskulös, die Farbe dunkel. – Die Alttürken ſind
bleich und wohlbeleibt, ſie rauchen auf den Säbelbeinen
kauernd mit unbeweglichem Geſichte von Früh bis Abend,
ein langer Bart iſt ihr Stolz, und ein wurſtähnlich ge-
wundenes Stück Muſſelin bildet als majeſtätiſcher Tur-
ban ihren Kopfputz. Die Tracht iſt in der Regel koſtbar,
aber eben darum wird ſie ſelten gewechſelt und ſtrotzt oft
vom Schmutze. Eine Mode gibt es in der Türkei nicht.–
Die Armenier mit der charakteriſtiſchen ſtark geboge-
nen Naſe tragen einen dunkelblauen Kaftan, eine knappe
Jacke von braunem Filztuch, und enge bis an die Kniee
reichende Beinkleider. – Die Bulgaren ſind an ihren
zottigen kleinen Schafpelzmützen kennbar. – Die Alba-
nier (Arnauten) mit liſtigen feurigen Augen und hoher
ſchlanker Geſtalt, tragen einen ſchneeweißen vielfaltigen
Rock, Gamaſchen mit reichen Stickereien, Weſte und Jacke
mit fliegenden Ärmeln. – Die Griechen mit edlem
Geſichtsſchnitt tragen blaue Sackhoſen, prunkende Jacken,
den unvermeidlichen rothen Fes und ein kurzes Wams,
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 9
130
über deſſen Kragen das weiße Hemd zierlich gelegt iſt. –
Die Perſer ſind nicht zu verkennen am rothen Bart;
ebenſo wenig die Tſcherkeſſen an den gelben langen
Beinkleidern, dem blauen enggegürteten Rock und der
hohen mit langzottigem Schafspelz beſetzten Mütze. –
Außer dieſen Nationen wogt es in Conſtantinopel noch
von Kurden, Serben, Zigeunern und Juden, und unter
den Schwarzen von Berbern, Abyſſiniern, Äthiopiern und
Negern. Und doch herrſcht, wie geſagt, bei all dieſer Man-
nigfaltigkeit und Lebendigkeit kein eigentliches Leben, und
das macht Conſtantinopel unheimiſch und ungemüthlich.
Selbſt in den zahlreich beſuchtgn Kaffeehäuſern läßt ſich
der Türke nicht aus ſeiner phégmatiſchen Ruhe bringen.
Als wir einſt in einem Kaffeehauſe mitten unter Türken
ſaßen und eben Feuerlärm entſtand, blieben dieſe regungs-
los auf ihrem Divan liegen und ſpektakelten den Tabak-
rauch aus den langſchläuchigen Nargilehs. Allah iſt groß!
Die drei Tage unſeres zweiten Aufenthaltes ver-
floßen ſchnell. Übrigens ſind wir froh, daß wir von Con-
ſtantinopel fortkommen, wo uns das Mißgeſchick im wah-
ren Sinne des Wortes hatte ſitzen laſſen. Wenn man
ein ſo weites Ziel vor Augen hat, wie es bei uns der
Fall iſt, ſo wird der zu lange Aufenthalt auf einer Zwi-
ſchenſtation faſt unleidlich. Du wirſt mir darum gerne
glauben, lieber Freund, daß ich die Stunde der Abreiſe
erſehnte. Die unfreiwillige Verzögerung von eilf Tagen
hat nicht nur Zeit, ſondern auch Geld gekoſtet (einem
Jeden über 126 fl. C. M.). – Auch fanden wir uns im
Hotel nicht mehr ſo heimiſch, wie beim erſten Aufenthalt.
Während unſerer Abweſenheit in Bruſſa hatte ſich darin
eine bedeutende Anzahl engliſcher Marineoffiziere und
Kadeten einquartiert, die ſich mit einer impertinenten
1Z1
Ungenirtheit benahmen. Bei der Table d'hôte gehörte
ihnen das Wort und der Speiſevorrath faſt allein. Einer
der älteren Offiziere gab den Ton an, die jüngeren be-
wunderten ihn. Beſonders ſetzten die Söhne Albions dem
edlen Rebenſaft gewaltig zu, und wenn er in den Adern
kochte, dann ertönten Toaſte mit erſchütterndem Gebrülle.
Es bekümmerte ſie gar nicht, daß noch andere Gäſte an
derſelben Tafel ſaßen und in demſelben Hotel wohnten;
ich hörte ihr Lärmmachen bis nach Mitternacht in mein
Zimmer hinauf. Nach Ausſage des Wirthes leerten ſie
an einem Abend 25 Champagnerbouteillen. Roole Bri-
tania! – Doch die Palme unter Allen verdiente ein, wenn
ich nicht irre, penſionirter oder quiescirter Schiffskapi-
tän. Er hatte die ganze Welt durchſegelt und lallte etwas
franzöſiſch. Seine Reden bei Tiſch waren ein beſtändiges
Fluchen, und die Dienerſchaft commandirte er mit der
Reitpeitſche; ſeine ohnehin vom Weine glühenden Wan-
gen beſtrich er ſich mit Kirſchenſaft, und als er ſo beſof-
fen war, daß er nicht mehr gehen konnte, mußte man ihn
ins Zimmer tragen. Und das iſt ein Gentleman! Ich
bemerkte jedoch, daß auch die Engländer mit dieſem Lands-
manne nicht viel zu thun haben wollten, denn als er zu
ſpät zur Tafel kam, machte ihm niemand Platz. Da lobe
ich mir die Franzoſen, die wenigſtens äußerlich ſtets ho-
nett und ſolid bleiben.
Vor unſerer Abreiſe machten wir noch dem öſter-
reichiſchen Internuntius Freiherrn von Bruck unſere
Aufwartung. Er ſprach mit jedem Einzelnen freundliche
Worte und lud uns ein ihn in Bujukdere auf ſeiner Villa
zu beſuchen, wozu uns leider die Zeit mangelte. Er er-
kundigte ſich um unſeren Reiſeplan, und ſchrieb motu
proprio in unſerer Gegenwart einen Empfehlungsbrief
9-
132
an alle Kapitäne und Agenten der öſterreichiſchen Lloyd-
geſellſchaft, der uns nützen dürfte, denn die Stellung die-
ſes geiſtreichen und gewandten Staatsmannes iſt bei den
verwickelten Verhältniſſen der Gegenwart eine ſehr ange-
ſehene. – Der öſterreichiſche Conſul empfahl uns beim
Abſchiede noch beſonders den Libanon.
Die Billeten im Bureau des Lloyd ſind bis Caifa,
alſo bis zum Beginn des heiligen Landes gelöſt. Der
erſte Platz koſtete 99 fl. 20 kr., der zweite 69 fl. 20 kr.
in Silber. Da ſehr wenig Paſſagiere ſich einfanden, ſo
wählten Marinelli und ich den zweiten Platz. Mit Olym-
pierwein tranken wir noch ein Lebewohl dem ſcheidenden
Europa, denn um halb drei Uhr Nachmittags begeben wir
uns an Bord des Lloyddampfers „Italia", der uns dem
Pilgerziele näher bringt. So Gott will, ſchreibe ich Dir
bald. Mit Liebe Dein 2c.
–-->Gº-GSO»e 2–
133
VII.
Von Conſtantinopel nach Imyrna.
Der Lloyddampfer „Italia.“ – Ein romantiſches Abenteuer vor der
Abfahrt von Conſtantinopel. – Das Leben auf dem Schiffe. – Ein
unvorſichtiger Sohn Iſraels. – Fahrt durch die Dardanellenſtraße.
– Ein Negerkoloß. – Der Archipelagus. – Klaſſiſche Erinnerungen.
– Die engliſch-franzöſiſche Kriegsflotte in der Beſchikabai. – Inſel
Tenedos. – Engliſche und franzöſiſche Marineoffiziere. – Mytilene.–
Eine Kiendl'ſche Cither. – Nächtliche Ankunft in Smyrna. – Oeſter-
reichiſche Militärmuſik. – Das Frankenviertel. – Inundatio came-
lorum. – Die Burg Maſtuſia. – Unſicherheit der Gegend. – Das
Grab des heil. Polykarp. – Die ſich aufopfernden soeurs de la cha-
ritè. – Wienerdeutſch. – Uebler Leumund der Emigrirten. – Der
Coſtaſkandal im Club British. – Unheimliche Galgenphyſiognomien.
Am Bord des Lloyddampfers „Italia" 23. Juli 1853.
Lieber Freund!
Dieſe Zeilen ſchreibe ich Dir am Bord des öſter-
reichiſchen Lloyddampfers „Italia", Kapitän Pullich. Das
Schiff iſt ſolid gebaut, 60 Schritt lang, hat 2 Maſtbäume
und 260 Pferdekraft. Der Nutzen des Empfehlungsſchrei-
bens des Internuntius zeigte ſich gleich anfangs, indem
der Kapitän uns ſelbſt antrug, den erſten Platz nach Be-
lieben zu gebrauchen. Auch die andern zwei Kapitäne
waren liebe und höfliche Leute, junge Dalmatiner, gute
öſterreichiſche Patrioten. Die Camarieri ſind flinke Ita-
liener, der Koch und Maſchiniſt Deutſche. Auf dem zwei-
ten Platze ſind Marinelli, ich und noch zwei Herren die
einzigen Paſſagiere, die Verdecksperſonen abgerechnet.
Einer der Kapitäne war früher Militär, und kennt viele
Offiziere vom Regiment Heß. Sein Sprichwort iſt
134
„Öſterreich über alles“, und wir reden uns daher ſehr
leicht mit einander. Doch ich will Dir die ganze bisherige
Fahrt ſchildern und zwar ſo detaillirt als thunlich, weil
Du es ſo wünſcheſt.
Unſere Abfahrt aus dem Hafen von Conſtantinopel
geſchah um 5 Uhr Abends den 21. Juli. Ein romanti-
ſches Intermezzo verzögerte etwas die Abfahrt. Höre!
Unter andern Paſſagieren kam auch eine junge wirklich
ſchöne türkiſche Dame mit einem anderthalbjährigen Kinde
Namens Jusdeth in Begleitung zweier Diener an Bord
der „Italia“, um nach Beirut zu fahren, wo angeblich
ihr Mann als Major ſich befand. Die Liebe drängte ſie
ihrem Manne nachzureiſen, wovon aber ihr Vater gar
nichts hören wollte. Unter dem Vorwande einer Spazier-
fahrt nach Scutari, entkam ſie der väterlichen Aufſicht
und begab ſich direct an Bord unſeres Schiffes, von dem
ſie wußte, daß es in die Levante fährt. Der alte Türke,
der Verdacht ſchöpfen mochte, ging ihr nach, und kam
wüthend herangefahren. Nun entſtand eine förmliche
Theaterſzene, ein wahrer Spectakel. Der Alte polterte,
bat, ſchmollte, fluchte, und ſuchte die Entfliehende zurück-
zubehalten. Sie aber wußte die weiblichen Waffen aus-
gezeichnet zu gebrauchen, um ihren Vater zu beſänftigen;
ſie zerfloß in Thränen, küßte ſeine Hände, umarmte ihn,
fiel ihm zu Füßen 2c. Ich weiß nicht, wie lange dieſer
Wettkampf gedauert haben würde, wenn nicht der Kapi-
tän dem Alten mit Ernſt bedeutet hätte, daß das Schiff
ſogleich abſegeln werde, und er ſomit entweder mitreiſen
oder umkehren müſſe. So endigte alſo das Intermezzo:
der Alte ging und die junge Dame blieb. Einige wollten
bezweifeln, ob der Major in Beirut der einzige Magnet
ſei, aber warum ſollte man das nicht glauben dürfen?
135
Es muß doch auch von den Türken gelten, daß die Liebe
ſtark wie der Tod iſt.
Wir bogen um die Serailsecke und ſagten dem
Goldhorn und Bosporusparadieſe Lebewohl. Lange noch
ſchwebte die alte Kaiſerſtadt mit dem vervehmten Schloß
der ſieben Thürme auf den ſich kräuſelnden Wogen des
Marmarameeres vor uns, bis ſie mit der einbrechenden
Dämmerung den Augen entſchwand. Der Schornſtein
ſprühte Feuer und ein günſtiger Wind blies die aufge-
ſpannten Segel, ſo daß wir ſchnell vorwärts kamen. Die
Türken verrichteten mit vielem Bodenküſſen und Hand-
ausbreiten ihr Nachtgebet, manchmal laut dabei ſingend.
Mir war wohl und ich verſuchte zu erproben, ob gut eſſen
und viel ſchlafen das beſte Gegenmittel gegen die See-
krankheit ſei.
Es iſt ein eigenthümliches Gefühl, wenn man ſein
Leben auf eilf Tage einem Bretterhauſe anvertraut, das
kühn und ſchwach über die Wogen gleitet. Indeß der
Deutſche gewöhnt endlich Alles, und ſo wurden wir bald
auf dem fremdartigen Elemente in der uns angewieſenen
Behauſung heimiſch. Anfangs beengt wohl Beſorgniß die
Bruſt des Binnenländlers, wenn das Schiff bei den im-
merwährenden Schwankungen kracht und knattert, und
die Magennerven haben allerdings eine harte Probe zu
beſtehen, an der ſie erſtarken oder erlahmen. Ich kroch in
die mir angewieſene Schlafſtelle Nr. 49, und ſchlief trotz
alledem gut.
Mit Sonnenaufgang näherten wir uns Gali-
poli, das am Eingange der Dardanellen am europäi-
ſchen Ufer liegt. Ein altes zertrümmertes Felſenſchloß
lehnt maleriſch an dem geſträuchloſen Hügel, und die
zwiſchen Weinhecken verborgenen Häuſer gleichen Holz-
136
ſchuppen. Wir hielten nicht lange an. – Bei Ausſchiffung
der Paſſagiere wäre bald ein Unglück geſchehen. Ein
unvorſichtiger Sohn Iſraels verfehlte die Treppe, fiel
ins Meer und zappelte etliche Minuten darin, den Geld-
beutel krampfhaft in der Hand emporhaltend. Zwei Bar-
ken hatten zu thun, um ihn zu retten, was auch glücklich
geſchah. – Als wir aus der ſchönen Bucht fuhren,
wurde eine Kanone gelöſt, als Signal, daß wir in die
Dardanellen (Hellespont, Propontis) einlenkten. Die
Dardanellenſtraße hat einige Ähnlichkeit mit dem Bospo-
rus, nur ſind die Ufer nicht ſo pittoresk. Rechts und links
erheben ſich Berge, und Du kannſt Dir denken, mit welcher
Aufmerkſamkeit ich mich jenem klaſſiſchen Lande zuwen-
dete, wo jeder Stein und jeder Hügel eine Erinnerung,
und wo die Heimath der geprieſenſten Heroen der Kunſt
und Wiſſenſchaft iſt. Hier ſchlug Xerxes die Brücke über
den Hellespont, und ſetzte mit ſeinem Heere nach Aſien;
hier iſt die eigentliche Stelle, die Hero und Leander für
die Poeſie unvergeßlich machten (Lord Byron durch-
ſchwamm ſie in einer Stunde und zehn Minuten); hier
beklagte Orpheus ſeine Euridice; hier ſtand das alte
Troja, deſſen Fall der Heldenpoet Homer beſang. – Das
Meer iſt ſehr eingeengt, beſonders dort, wo die Dar-
danellenſtraße in das ägäiſche Meer ausmündet. Eine
Menge Forts und aufgeworfene Verſchanzungen, denen
man jedoch trotz aller Reparatur den Verfall anſieht,
ſtehen ſtolz an den Ufern; den Schluß bilden zwei größere
burgartige Feſtungen, die ſogenannten Dardanellen-
ſchlöſſer, welche mit Fug und Recht die Hellespontpo-
lizei heißen, weil ſie die Ein- und Ausfahrt eines jeden
Schiffes überwachen und beherrſchen. – In Anatoli
d. h. am aſiatiſchen Ufer hielten wir an, um Paſſagiere
-
137
aufzunehmen, meiſt Türken und Juden, die Tag und
Nacht auf dem Verdecke zubringen, auf ihren Teppichen
kauernd und rauchend. Der zuführende Bootsmann war
ein rieſiger Neger, an dem das Fett ſchlotterte; ich ſah
noch nie ein ähnliches Menſchenexemplar; ſeine Stimme
war die eines Bären, ſein Auge das eines Adlers; die
zwei Ruder, welche er handhabte, krachten bei einer jeden
Bewegung. Alle ſchienen ſich vor ſeinem Commando zu
fürchten. Als Nebengeſchäft betrieb er den Verkauf grüner
Krüge mit Goldverzierung in antiker Form.
Nach kurzem Aufenthalt ſteuerten wir in das ägäi-
ſche Meer (Archipelagus) hinein, der in der alten Ge-
ſchichte ſo berühmt geworden iſt. Eine Inſel erſchien nach
der andern, es war eine luſtige Fahrt, wie auf einem
majeſtätiſchen Strome voll Abwechslungen (nach der
Landkarte kann man ſich gar keine Vorſtellung davon
machen). Zuerſt erſchien Lemnos, rechts der Berg
Athos, links der Berg Ida, beide aus den zahlreichen
Hügeln hervorragend und ſchön geformt. Bei Burgas
in der Beſchickabai lag die große engliſch-franzöſiſche
Kriegsflotte, welche den Türken gegen die Ruſſen zu Hilfe
kam, ruhig vor Anker. Die vielen Maſten mit den ver-
ſchiedenen Landesfarben boten einen impoſanten Anblick;
es mochten bei 50 Schiffe ſein, darunter vielleicht 20 Fre-
gatten und Linienſchiffe, deren Kanonen wie aus einer
Waſſerburg zu uns herüberglotzten. Welche wird noch
ihre Beſtimmung ſein? Die zehn engliſchen Marineoffi-
ziere, welche von Conſtantinopel aus mit uns fuhren,
ſchifften hier aus. Nett und reinlich gekleidete engliſche
Matroſen holten ſie in einer Barke ab, hißten ein Segel
auf, und fluggs ruderten ſie fort. Glück zur Reiſe!
138
Um 10 Uhr kamen wir vor Tenedos an; ein ärm-
liches Dorf mit einer Art Feſtung in kahler Gegend.
Deſto ſchöner ſoll das Innere der Inſel ſein, auf welcher
einer der beſten Weine wächſt. Auf jeder Haltſtation fuhr
zuerſt der dritte Kapitän (Schiffslieutenant) an's Land,
um die ſogenannte "Pratica" zu erhalten und zu geben,
d. h. zu bezeugen, daß kein Peſtkranker (?) an Bord des
Schiffes ſei. Es ſtiegen mehrere Paſſagiere ein, unter
andern ein junger franzöſiſcher Marineofſizier des „Ju-
piter" mit ſeinem achtjährigen Knaben, der gleichfalls
marinemäßig gekleidet war. Mit dieſem artigen und gebil-
deten Manne unterhielt ich mich durch längere Zeit ſehr
angenehm.
Nun entfernten wir uns immer mehr von dem
europäiſchen Feſtlande und ſchifften links, die Inſel My-
tilene im Auge behaltend. Sie muß ſehr groß ſein, denn
eine langgeſtreckte unabſehbare Gebirgskette zog ſich dem
Meere entlang; am Ufer bemerkte man Weinpflanzungen;
ſonſt aber ſoll der fruchtbare Boden verwahrloſt und ſo
ſchlecht bebaut ſein, daß er nicht einmal genug Getreide
für die Eingebornen erzeugt; die letzten Kriege zwiſchen
der Türkei und Griechenland mögen wohl auch viel dazu
beigetragen haben. Einſt hieß die Inſel Lesbos und
wetteiferte mit Athen – auch im Leichtſinne, daher das
Sprichwort entſtand: er lebt wie ein Lesbier. Sie iſt der
Geburtsort der Dichterin Sapho und Theophraſts. Auch
der Apoſtel Paulus landete auf dieſer Inſel (Apoſtelgeſch.
20, 14). – Die Stadt, bei der wir 4 Uhr Nachmittags
hielten, liegt in einer Bucht in die man zwiſchen zwei Leucht-
thürmen gelangt. Am Lande ſtehen freundliche Conſulats-
und Landhäuſer; das Caſtell iſt groß, zackig und terraſ-
ſenförmig. Leute boten friſches Obſt zum Verkauf an.
139
Nachdem das Schiff wieder im Gange war, ſpeiſten wir
zu Mittag. Die beiden Schiffskapitäne, welche uns dabei
Geſellſchaft leiſteten, behandelten uns mit großer Achtung
und Aufmerkſamkeit, und nennen uns ſtets Don Antonio
und Don Ernesto. Die Hitze wurde ſtärker, man merkt
es, daß wir ſüdlich ſteuern.
Als ich nach Tiſch die Collegen des erſten Platzes
beſuchte, entdeckte ich in der Kajüte ein Etui mit einer
Either von Kiendl aus Wien. Das zarte Inſtrument ge-
hörte einem öſterreichiſchen Conſulatsbeamten v. Scholz,
der als Kanzler nach Beirut verſetzt wurde. Du kannſt
Dir, lieber Freund, meine Freude denken. Sogleich bat
ich den jungen gefälligen Beamten etwas zu ſpielen,
und lernte von ihm zwei Stückchen, die ich „Pilgerſehn-
ſucht“ und „Pilgerheimweh" nannte, weil ſie dieſe Gefühle
trefflich in Muſik ausſprachen. Mir thaute bei den ge-
müthlichen Klängen dieſes heimiſchen Inſtrumentes das
Herz auf, und als der junge Schiffslieutenant noch eine
Quittare zur Begleitung brachte, da verſchwanden die
Abendſtunden ſo ſchnell und angenehm, daß wir es gar
nicht merkten, daß wir ſchon lange in der Bucht von
Smyrna fuhren. Um halb eilf Uhr Nachts fielen die
Anker. Die Berge des weiten Golfs ſchimmerten im
Mondenſcheine und am Ufer leuchteten unzählige Lichter.
Ich empfahl mich bei dem franzöſiſchen Marineoffizier,
der hier ans Land ſtieg, und begab mich zur Ruhe.
Als ich heute Morgens erwachte, hörte ich die be-
kannten Klänge einer Militärmuſik. Ich eilte aufs Ver-
deck, und ſiehe da, nicht weit von uns lagen im Hafen
drei öſterreichiſche Kriegsſchiffe, die Brigg „Huſſar" nnd
die zwei Fregatten „Novara" und „Bellona." Die wohl-
bekannten weißen Uniformen waren eben zur Morgen-
140
revue ausgerückt, wozu die Muſik ſpielte. Wie mich das
anheimelte, kann ich dir gar nicht ſagen. Im Hinter-
grunde lag amphitheatraliſch die Blume der Levante, die
berühmte Hafenſtadt Smyrna.
Da unſer Dampfſchiff bis 4 Uhr Nachmittags hier
verweilte, ſo beſchloſſen wir einen Ausflug ans Land zu
machen. In Begleitung eines Dragoman, der bis an
unſer Schiff gekommen war um ſeine Dienſte anzutragen,
– ein Erzſpitzbube – fuhren wir in einer Barke an's
Ufer. Zuerſt beſuchten wir das Frankenviertel. Hier tra-
fen wir prächtige ſeit dem letzten Brande von Stein neu
gebaute Häuſer, an denen ein wahrer Luxus von Mar-
mor und Moſaik beſonders in den Vorhallen der Erdge-
ſchoße ſich bemerkbar machte. Aus den Fenſtern ſchauten
hie und da ſchöne weibliche Geſichter mit großen Augen,
ſchwarzen Haaren, weißem Teint und edlen Zügen. In
den Straßen begegneten uns die erſten Kameele, große
Laſten im ſchweren Tritte einherſchleppend. Bei der ſoge-
nannten Karawanenbrücke ſahen wir ſie zu Hunderten,
meiſtens je ſieben zuſammengehängt, ſo daß eines hinter
dem andern ging, das letzte hatte eine Glocke, voran ritt
der Führer auf einem Eſel (minundatio camelorum."
Isaias 60, 6). -
Ich hatte eine große Sehnſucht die alte Burg Ma-
ſtufia, welche die Stadt beherrſcht, und deren ſchon Pli-
nius erwähnt, zu beſteigen, und vermochte die Collegen
mir zu folgen. Weil aber unſere Zeit kurz und die Hitze
groß war, ſo mietheten wir an einer Ecke Maulthiere
und ritten auf ihnen bergan. Oben ſtehen noch die alten
Ringmauern und Thürme; in Mitte der zerfallenen
Mauern befindet ſich eine Moſchee; aus einer waſſerlee-
ren Ziſterne wachſen Feigenbäume, und die Reſte einer
141
römiſchen Waſſerleitung ſind nicht zu verkennen. Das
Panorama über die zu Füßen liegende Stadt und den
belebten Hafen iſt entzückend. Man ſah auch tief ins
Land hinein gegen Epheſus, wo der Apoſtel Johannes
mit der Mutter Jeſu lebte, aber ein Dunſtkreis lag auf
der jetzt ſo öden Gegend und hemmte die Fernſicht. Die
Berge und Hügel ſtanden alle kahl wie glatt geſchorene
Türkenköpfe. – Erſt ſpäter erfuhren wir, daß die Beſtei-
gung dieſes Berges keineswegs gefahrlos ſei, und kürzlich
der Sohn eines reichen Kaufmannes von Smyrna hier
gefangen, gebunden, weggeführt und erſt gegen baare Er-
legung eines bedeutenden Löſegeldes freigelaſſen wurde.
Uns geſchah jedoch nichts, obwohl wir eine Stunde auf
den weitläufigen Schloßruinen herumſpazierten. – Wir
ritten ohne allen Argwohn auf unſern Eſeln noch dazu auf
Umwegen bergab, um das Grab des heiligen Polycarp zu
beſuchen. Es liegt einſam auf einem kleinen Bergvor-
ſprung, von türkiſchen Gräbern umringt, und von einer
Cypreſſe beſchattet. Die Türken ehren das Grabmal dieſes
heil. Kirchenvaters, der hier, faſt hundert Jahre alt, den
Martyrertod durch Flamme und Schwert ſtarb. Ob die
erſten Chriſten von Smyrna nicht etwa auf dieſer Stelle
den „dies natalis" des heil. Biſchofes durch Gebet und
Opfer feierten? Gewiß iſt, daß in dieſer Stadt die Chri-
ſten nie ausſtarben, und gegenwärtig die katholiſchen
Franken eine ſo bedeutende Anzahl ausmachen, daß ein
Biſchof hier ſtationirt iſt. – Die Geiſtlichen gehen hier in
ihrer Ordenskleidung, und die barmherzigen Schweſtern
(soeurs de la charité) genießen gleich große Achtung
von Chriſten, Juden und Türken. Wer ſollte ſich aber
auch wundern darüber, der da weiß, mit welcher Aufopfe-
rung dieſe zarten Frauen hier zur Zeit der Cholera thätig
142
waren, ohne darauf zu achten, welchem Kultus die Kran-
ken angehörten; wer es ſieht, mit welch' unverſiegbarer
Wohlthätigkeit ſie tagtäglich Kranke pflegen, Arzneimittel
ſpenden, Waiſenkinder erziehen und unterrichten! Nur die
große Unterſtützung von Seite des franzöſiſchen (Lyoner)
Vereines zur Verbreitung des Glaubens macht die Aus-
übung ſolch edler Handlungen im Großen möglich. Wir
beſuchten das Penſionat der frommen Frauen und über-
zeugten uns von der Ordnung und chriſtlichen Liebe, die
ſich dort allenthalben kund gab, und ließen einen Du-
katen als Almoſen zurück. Y
Auf dem Bazar kaufte ich mir eine leichte Som-
merkleidung von grauer Farbe. Wie ſtaunte ich, als ich
neben mir zwei halbgewachſene Mädchen echtes Wiener-
deutſch reden hörte! es waren die Töchter eines hier
angeſiedelten Flüchtlings, deren es in Smyrna überhaupt
viele geben ſoll. Sie beſitzen aber nicht den beſten Leu-
mund. Schon auf dem Dampfſchiffe hatte man uns aller-
lei Stücklein von ihnen erzählt; was wir aber in Smyrna
hörten, überbot alles Frühere. Als wir nämlich in einem
Kaffeehauſe am Hafen (Club British) Limonade mit Eis
nahmen, hörten wir von der ſkandalöſen Coſtaaffaire,
deren Kunde inzwiſchen gewiß auch zu Euch gedrungen
ſein wird. Ein öſterreichiſches Kriegsſchiff hatte den un-
gariſchen Flüchtling Coſta an Bord genommen, für den
ſich der Kapitän eines amerikaniſchen Schiffes und der
amerikaniſche Conſul zu Smyrna intereſſirten. Beide
verlangten, daß Coſta freigegeben werde, widrigenfalls
das öſterreichiſche Kriegsſchiff, an deſſen Flanke ſich jenes
aufſtellte, zuſammengeſchoſſen werden würde. Der öſter-
reichiſche Generalconſul v. Weckbecker, deſſen Frau und
Kind man vor ſeinen Augen umzubringen drohte, ent-
143
ſchied, um Übleres zu verhüten, für die Freilaſſung des
Flüchtlings. Damit war aber die Sache noch nicht abge-
than. Der Haß der Emigranten gegen Öſterreich war ſo
groß, daß ſie gegen zwei Marineſoldaten, die im „Club
British" im Freien ſaßen, meuchlings einen Angriff wag-
ten, und den Schiffskadeten Baron Hackelberg ermorde-
ten. Wir ſaßen vielleicht an derſelben Stelle, wo der
junge hoffnungsvolle Mann am 23. Juni den Todesſtoß
erhielt, an dem er im Meere, in das er ſich rettend
ſprang, verblutete. Nun fielen uns auch erſt die unheim-
lichen Galgenphyſiognomien auf, die wir hier herum-
ſchleichen ſahen, und wir begriffen, warum es unter
dieſen Verhältnißen keinem öſterreichiſchen Matroſen ge-
ſtattet iſt, ans Land zu gehen. Das ſind die Früchte der
Freiheit!
Wir machten, daß wir fortkamen, und ſchifften uns
um 4 Uhr Nachmittags wieder an Bord der „Italia"
ein, wo wir die Bekanntſchaft des öſterreichiſchen Kanz-
lers Baron Walcher machten, an den ich Empfehlungs-
ſchreiben hatte. Du ſiehſt, mein Lieber, es fehlt unſerer
Pilgerreiſe nicht an Romantik, auch nicht an allerlei Ge-
fahren. Doch der bisher geholfen hat, wird auch weiter
helfen; dieß hoffen wir mit Zuverſicht. Gedenke in
Freundſchaft und Liebe Deines 2c.
144
VIII.
Von Imyrna nach Beirut.
Die erſten Anfälle der Seekrankheit. – Ein Dichter aus Deſpera-
tion. – Schiffsgottesdienſt. – Inſel-Labyrinthe.– Hiſtoriſche Erinne-
rungen. – Die Inſel Rhodus. – Die Ritterſtraße. – Wehmüthige
Eindrücke. – Maltheſer. – Durch volle vierzig Stunden zwiſchen
Waſſer und Himmel. – Philoſophiſche Debatten und linguiſtiſche Stu-
dien. – Beobachtungen auf dem Schiffe. – Ein Kohlenbrand glücklich
gelöſcht. – Nutzloſes Inſektenpulver. – Tharſus und Merſina. –
Ein ausſätziger Santo. – Ein fataler Umweg. – Das Fieberneſt Aleſ-
ſandretta. – Einfluß der Lloydſchifffahrt auf die Landeskultur in der
Levante. – Ein franzöſiſches Kriegsſchiff. – Ausflug nach Caſtell
Gottfried von Bouillon. – Vorübergehender Schreck. – Das Schiff
der Wüſte. – Ein Mord. – Waldbrand und Citherſpiel. – Latakia.
– Ein junges Ehepaar. – Franziskanerconvent. – Arabiſche Schule.
– Hundshaie. – Die Inſel Cypern einſt und jetzt. – Beſuche zu
Larnaca. – Die von den Türken verehrte heil. Lucia. – Cyprerwein
und Kellerwirthſchaft. – Anblick des Libanon. – Ankunft in Beirut.
Am Bord der „Italia", 31. Juli.
Lieber Freund!
Als wir am 23. Juli Abends den Golf von Smyrna
verließen, begann für mich eine qualvolle Zeit. Ein hef-
tiger Wind wühlte die Wogen auf und verſetzte das
Schiff in ein beſtändiges Schwanken, dergeſtalt, daß ich
von der fatalen Seekrankheit befallen wurde. Das iſt eine
trübſelige Geſchichte, wenn man mit geſchloſſenen Augen
ſo daliegen muß, damit einem die ſchwindelnden Geiſter
nicht den Kopf verdrehen, wenn man an nichts, auch
nicht an dem Eſſen theilnehmen kann. Es war mir in
dieſem Zuſtande der Verlaſſenheit nicht einmal recht,
wenn mich jemand anredete, ſo zuwider waren mir alle
145
Menſchen und Dinge. Dieſe ſtille Deſperation machte
mich – Du wirſt dich wundern – ſogar zum Dichter,
denn ich komponirte folgendes Epigramm auf mich ſelber:
»Warum ich zur See in ſo kränklicher Lage?
Weil ich keinerlei Schwankung vertrage«.
Meine Collegen waren, Marinelli abgerechnet, den
es auch einmal erwiſchte, ganz wohl und ließen ſich Eſſen
und Trinken gut ſchmecken. Wer der Seekrankheit nicht
unterworfen iſt, für den iſt eine Meeresfahrt das ſchönſte
Vergnügen. – Am erſten Morgen unſerer Fahrt – es
war ein Sonntagsmorgen – veranſtaltete Hubinger
einen Privatgottesdienſt in der leerſtehenden Damenka-
jüte, welchem auch der Kapitän und der Konſulatskanzler
beiwohnten. Ich hörte laut beten, wagte mich aber nicht
in die Kajüte hinab, ſondern ſendete meine Sonntagsge-
danken zum blauen Himmel empor.
Die Fahrt war überaus intereſſant und bot reich-
haltigen Stoff zu geſchichtlichen Erinnerungen. Links
erſchien die Inſel Samos, das Vaterland des Pytha-
goras. Beim letzten Aufſtand der Griechen gegen die
Türken konnten ſich die Bewohner trotz aller Opfer und
Anſtrengungen nicht frei machen, und die Töchter und
Gattinen der Gefallenen wurden in die Sclaverei abge-
führf. – Dasſelbe iſt von Chios zu ſagen. – Unter den
ſporadiſchen Inſeln zog mich beſonders Pathmos an, wo
der Apoſtel Johannes in der Verbannung die Apoka-
lyps ſchrieb. – Auch Nicaria, durch den unglückſeli-
gen Flug des jungen Icarus bekannt, grüßte ich, und die
Inſel Coß als das Vaterland des Apelles und Hippo-
krates. Die kleinen unbewohnten Inſeln bilden ein wahres
Labyrinth, und man glaubt auf einem Fluße zu fahren;
rechts und links erheben ſich die Ufer in zahlloſen Krüm-
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 10
146
mungen; auf den kahlen Bergen iſt kein Baum, kein Haus,
kein Feld ſichtbar, nur hie und da klettert eine Ziegen-
heerde, um das ſpärliche Futter zu ſuchen. Es koſtet viel
Phantaſie, um die Poeſien der griechiſchen Klaſſiker an
dieſen jetzt ſo verödeten Stätten zu begreifen. Alles hat
ſich geändert, nur der Himmel wölbt ſich klar und rein
wie ehedem über dieſe Inſelgruppen. So vergeht Alles
auf der Welt, nur die Liebe bleibt, weil ſie vom Himmel
ſtammt. -
Um halb ſechs Uhr Abends kamen wir nach der
Inſel Rhodus, deren Berge wir ſchon lange in Sicht
hatten. Der alte Hafen iſt verſandet und von dem welt-
berühmten Koloß, durch den einſt die Schiffe fuhren, iſt
nichts mehr ſichtbar. Wir lenkten zwiſchen zwei ſteiner-
nen Thürmen in den neuen Hafen ein, der weder groß
noch tief iſt. Nun waren wir in dem Bollwerk der einſt
ſo tapferen Kreuzritter. Großartige Feſtungswerke aus
Quadern zeigten ſich dem Auge, hohe Mauern und
Thürme, wie für die Ewigkeit gebaut. Natürlich lockte
uns die Neugierde ans Ufer, und da wir im Hafen über-
nachteten, ſo beſchloſſen wir noch vor Sonnenuntergang
einen Gang in die Stadt zu machen. Der öſterreichiſche
Conſul, der als Lloydagent zu unſerm Schiff herange-
fahren kam, war ſo freundlich uns ſeinen Sohn als Füh-
rer mitzugeben.
Eintretend durch das Hafenthor ſahen wir zuerſt
die öffentliche Richtſtätte, wo erſt vor etlichen Monaten
zwei Türken, welche einen Chriſten getödtet hatten, ent-
hauptet wurden. Dann gingen wir durch die Ritterſtraße
(strada dei cavalieri), meiſtentheils Häuſer aus Stein
im gothiſchen Geſchmacke mit den noch erhaltenen Wap-
penſchilden ober dem Portale. Die ganz nette Straße,
147
in der einſt die Söhne der edelſten Familien Europas
wohnten, ſteht jetzt ſozuſagen leer, weil die indolenten
Türken darin nicht heimiſch werden können, und vergit-
terte Holzbaraken den chriſtlichen Wappenhäuſern vor-
ziehen. Es ergreift die Seele ein tiefes Weh bei dem An-
blick dieſer Ruinen, auf welchen die Stille eines Kirchho-
fes herrſcht! – Wir beſtiegen einen zerklüfteten Thurm,
von dem man eine ſchöne Ausſicht auf die gange Stadt
und das weite Meer genießt. Hier ſahen wir die erſten
Palmen und die erſten flachen Dächer. Da lag ſie zu
unſeren Füßen die edle Ritterſtadt – eine entblätterte
zerknickte Roſe, ein Heldengrab auf offener See. Was
den Eindruck noch wehmüthiger machte, waren die Spu-
des letzten Erdbebens (1851), welches den einſtigen
Palaſt des Großmeiſters zerklüftete und in Schutt ver-
wandelte. – Wir gingen durch ein großes gothiſches
Thor, bei welchem eine uralte Platane ſtand, und kamen
in die Citadelle, wo ungeheure Kanonen mit detto ſtei-
nernen Kugeln ſich befanden. Dann beſuchten wir die
prachtvolle gothiſche Kirche des heil. Johannes, die jetzt
als Moſchee benützt wird, und das einſt ſo großartige
Hoſpital, das gegenwärtig als Getreidemagazin dient.
Man athmet hier ordentlich den Geiſt des edlen Ritter-
ordens, von dem unſer Schiller ebenſo wahr als poetiſch
ſingt: „Religion des Kreuzes! nur du verknüpfeſt in Einem
Kranze der Demuth und Kraft doppelte Palme zugleich.“
Ewig Schade, daß in der Drangperiode der Kirchenre-
formation Niemand daran dachte, die letzten Kreuzritter
im wahren Sinne des Wortes in ihren Kämpfen zu unter-
ſtützen! Sie vertheidigten die Inſel nach dem Falle Jeru-
ſalems bis zum Jahre 1520 gegen die Türken, wo ſie,
nachdem ſie Wunder der Tapferkeit vollbracht und einen
10 *
148
viermaligen Sturmangriff zurückgeſchlagen hatten, ſich den
Türken unter Zuſage ehrenvollen Abzuges ergaben. Im
Jahre 1530 erhielten ſie die Inſel Malta. In unſerm
Jahrhundert verloren ſie auch dieſen Beſitz, und gegen-
wärtig iſt nichts als der Name „Maltheſer" und das
Ordenskreuz als Ehrendekoration geblieben: der Geiſt
des Ordens iſt erſtorben.
Inzwiſchen brach der Abend heran, und es war
höchſte Zeit die Stadt zu verlaſſen und zum Schiffe zu-
rückzukehren, weil nach Sonnenuntergang die Stadtthore
geſchloßen werden, und kein Chriſt darin wohnen darf.
Die Türken, welche unter ſchattigen Bäumen und an
murmelnden Springbrunnen in Elend und Faulheit ſaßen,
gafften uns mit herausfordernden Mienen an, und gleich
hinter uns ſchloß man die Thore. Nein, auf dieſem Boll-
werk des Chriſtenthums können die Türken höchſtens
Herr und Meiſter ſpielen, nicht bleiben. Der letzte Schim-
mer der Abenddämmerung lag auf den nahen Thürmen
des heil. Michael und Nikolaus, als wir glücklich wieder
an Bord unſeres Schiffes zurückamen.
Des andern Morgens, es war am 25. Juli, ver-
ließen wir um 7 Uhr den Hafen von Rhodus, nachdem
eine Kanone gelöſt worden war, und wir gewannen bei
ſchönem Wetter bald die hohe See. Die jetzige Fahrt war
die längſte, denn ſie dauerte ungeachtet des günſtigen
Wetters volle 40 Stunden; es war zugleich die ruhigſte
Fahrt, ſo daß man mit Appetit eſſen konnte ohne die
läſtige Mahnung der Seekrankheit zu verſpüren; ja ich
ſchmeichelte mir ſchon die letztere vollkommen überwun-
den zu haben, aber das war, wie die Folge lehrte, eine
gemüthliche Täuſchung.
149
So ein Tag zwiſchen Waſſer und Himmel auf
ſchwankenden und krachenden Brettern ſchleppt ſich unge-
mein langſam dahin. Wie lange dauert da eine Stunde,
bei welcher ſtets der Steuermann mit der Glocke das
Zeichen zur Ablöſung gibt. Wer geſund iſt, vertrieb ſich
die Zeit mit Leſen und Briefſchreiben, oder converſirte und
debattirte über irgend ein aufgeworfenes Thema. So z. B.
forderte uns der zweite Kapitän, der heute den Philoſo-
phen machte, zur Polemik heraus, indem er unter anderm
behauptete, es müſſe zwei Eva gegeben haben, eine weiße
und eine ſchwarze, denn woher kämen denn ſonſt die Ne-
ger? Die Debatte wurde in italieniſcher Sprache geführt,
und inſoferne wäre auf einer Seereiſe die beſte Gelegen-
heit zu linguiſtiſchen Studien. – Eine franzöſiſche Mo-
diſtin, welche mit großer Zungengewandtheit ihren Verluſt
erzählte (es wurden ihr in Smyrna bei der Ausſchiffung
alle Effekten geſtohlen), gab Anlaß zum franzöſiſch Par-
liren. – Die meiſte Zeit aber iſt der Reiſende auf ſich
ſelbſt verwieſen, und ſo ſtellte ich denn auch meine Be-
trachtungen und Beobachtungen an, von denen ich Dir
einige mittheile, weil der Überfluß an freier Zeit dieſe
Plaudereien geſtattet. Da liegt ein kleines Negermädchen,
traurig und unbeweglich, nur mit wenigen Lappen bedeckt,
auf einer Matte; es ſcheint ſehr von Ungeziefer zu leiden.
Armes Geſchöpf! – Dort ſteht ein junger armeniſcher
Theologe, der nach dem Libanon reiſt, und in die Wellen
hinaus die klangvollen Verſe der Äneide declamirt; welche
Zukunft erwartet ihn? – Auch die kleine Jusdeth fing
mich zu intereſſiren an; ich machte mit dem Kinde, das
ein Diener öfter herumführte, Späſſe, ſo daß die Kleine
mir zugethan ward, und hinter dem Vorhange gleichſam
Verſtecken ſpielte, bis der vorſorgliche Diener die kokette
150
Spalte verhängte. – So verfloß der langweilige Tag,
während welchem wir nur einem Segelſchiffe und dem
Lloyddampfer „Stambul“ begegneten.
Indeß wäre bald in die Einförmigkeit des Schiffle-
bens eine tragiſche Abwechslung getreten, von der wir
erſt ſpäter Kenntniß erhielten. Ich weiß nicht durch
welche Veranlaſſung wurde am zweiten Tage unſerer
Fahrt unſer bedeutender Kohlenvorrath glühend, ſo daß
es durch mehrere Stunden aus allen Poren des Schiffes
rauchte und Waſſerſchläuche hinabgeleitet wurden, um den
Kohlenbrand zu löſchen, was denn auch glücklich geſchah.
So iſt der Menſch oft unzufrieden, wenn ſein Leben ſo
gleichmäßig und wie es den Anſchein hat einförmig dahin
fließt, und doch iſt es vielleicht die größte Gnade der
Vorſehung!
Auf dem Meere iſt auch die einladendſte Gelegen-
heit zu phyſikaliſchen Beobachtungen. So fiel mir z B.
auf, wie ſchnell im Orient die Nacht einbricht, denn das
Crepusculum (die Dämmerung) dauert kaum eine Vier-
telſtunde, und endigt mit empfindlicher Kälte und Feuch-
tigkeit. – Von Müdigkeit und Langweile überwältigt
ſuchte ich in meiner "couchette“ (Liegeſtätte) Ruhe, aber
vergeblich, denn es war ſo unerquicklich heiß in der Ka-
bine, daß mir die Schweißtropfen fortwährend auf der
Stirne ſtanden, und dann wimmelte es trotz Rennthier-
haut und Inſektenpulver von blutſaugenden Unthieren.
– Am 26. Juli um 10 Uhr Nachts landeten wir in
Merſina.
Merſina iſt ein armſeliges Dorf von etlichen zwan-
zig Häuſern oder beſſer geſagt Hütten; aber es iſt der
Hafenplatz von Tharſus, der Vaterſtadt des heiligen Pau-
151
lus, die nur etliche Stunden landeinwärts liegt, und eine
wichtige Handelsſtadt ſein ſoll. – Die Langweile und Neu-
gierde trieb uns am nächſten Morgen an's Land, wo je-
doch gar nichts Sehenswerthes iſt. Die hie und da mit
Bäumen bepflanzte Fläche dehnt ſich bis zu den nicht fer-
nen Bergen aus, und ſcheint nach dem üppigen Geſtrüppe,
das am Strande wuchert, zu urtheilen ſumpfig, zu ſein.
Der Staub lag knietief und die Hitze war zum Ver-
ſchmachten. In dem ſchmutzigen Bazar waren wohlfeile
Trauben zu kaufen, aber ich rührte keine aus Ekel an;
denn mitten unter den Waaren und Leuten lag ein halb-
nackter mit Geſchwüren behafteter Mann. Wir begaben
uns daher bald wieder auf das Dampfſchiff zurück, wo
ich mich durch hiſtoriſche Erinnerungen zu zerſtreuen
ſuchte; zwei Helden fanden nämlich in den nahen Flüſſen
ihren Tod, Alexander der Große im Cydnus und Friedrich
Barbaroſſa im Selef. Die Kreuzritter hatten bei Tharſus
ihr Lager aufgeſchlagen.
Um 9 Uhr Morgens verließen wir Merſina. Die
nächſte Station wäre nun Cypern geweſen, aber um des
Handels willen machte das Schiff einen Umweg, der drei
Tage in Anſpruch nahm, nämlich über Aleſſandretta und
Latakia. Für die Paſſagiere iſt das freilich eine harte Fol-
ter, aber die Waaren wiegen im Geſchäfte ſchwerer als
Perſonen.
Der erſte Tag verging monoton und langweilig wie
der geſtrige. Um 6 Uhr Abends kamen wir in dem ſchönen
Hafen von Aleſſandretta an, wo wir die Nacht und
den folgenden Tag vor Anker lagen. Wir verkürzten uns
den Abend mit Citherſpiel, dem auch die romantiſche
Dame aus Conſtantinopel ein aufmerkſames Ohr ſchenkte,
und blieben bis zehn Uhr auf dem Verdecke. Die Nacht
152
war wunderſchön, die Sterne, beſonders die Milchſtraſſe
funkelten in einer Klarheit, wie ich ſie in Europa nie ge-
ſehen. Deßungeachtet waren unſere Gedanken ſehr in der
lieben Heimat, wohin uns die gemüthlichen Klänge des
zarten Inſtrumentes von der Küſte Aſiens aus verſetzten.
Aleſſandretta hat eine äußerſt günſtige Lage, und
war einſt ein Hauptſtapelplatz des oſtindiſchen Handels;
ſeit den Kreuzzügen iſt es zu einem elenden Dorfe herab-
geſunken. Der Platz iſt aber für den Handel in der Le-
vante ſehr wichtig, denn hier mündet die Karawanen-
ſtraſſe aus dem eine Tagreiſe entfernten Antiochien und dem
noch ferneren Aleppo. Deßhalb läßt ſich auch der Lloyd
den Umweg nicht gereuen, und durch die Dampfſchifffahrt
ſcheint der Ort wieder emporblühen zu wollen, wenigſtens
erheben ſich am Ufer bereits ſtattliche Gebäude.
Am 28. Juli ſieben Uhr Morgens ſchifften wir mit-
ſammen ans Land, um uns die Zeit zu vertreiben. Als wir
uns den Ruinen eines alten Khans näherten, wo einſt zur
Zeit des oſtindiſchen Handels die Waaren lagen, flogen
Adler und Geier auf, und beſchrieben weite Kreiſe über
unſeren Häuptern. Marinelli legte auf einen ſeinen Cara-
biner an, der aber leider verſagte. Das Waarenmagazin,
von dem nur noch ebenerdige Gewölbe und Keller zu ſe-
hen ſind, war ungemein feſt gebaut; jetzt wird es zu Pfer-
deſtällen benützt. Im Schatten einiger Oleander- und
Dattelbäume campirte die Poſt von Aleppo d. h. ein Du-
tzend Pferde, welche zum Poſtdienſt verwendet werden;
die Poſtillons (sit venia verbo) waren eben damit be-
ſchäftigt in heißer Aſche Brod zu backen, das aber mei-
nem Gaumen nicht zuſagte. Einige grüßten freundlich mit
153
»büon giorno“ (guten Tag), und fühlten ſich geehrt,
wenn ſie angeſprochen wurden. Wir ſahen unter den Ein-
gebornen martialiſche Geſtalten mit ſonnenverbranntem
Antlitz und maleriſch geflicktem Koſtüme; auch die Weiber
ſind wahre Coloſſe mit derben Zügen, ſchönen Zähnen
und ſchmutzigen Geſichtern; die Haare hingen ihnen in
viele Zöpfe geflochten frei über den Rücken hinab; einige
hatten die Spindel in der Hand, um zu ſpinnen.
Alles athmet hier patriarchaliſche Einfachheit; bei
einem kleinen Herde ſitzt die Familie um eine niedrige
Schüſſel, und die Pferde und Eſel ſchauen über die Köpfe
neugierig hinüber. Die aſiatiſche Vegetation iſt überall
ſichtbar; Dattelbäume blühen neben Granatäpfeln, Pal-
men und Feigenbäumen. Doch liegt der größte Theil des
Landes brach, und die Leute leben lieber ärmlich von
Gurken, Waſſermelonen, Obſt u. ſ. w., als daß ſie durch
Bebauung des Bodens ſich ihre Exiſtenz verbeſſern und
das Klima geſünder machen wollten. Vielleicht trägt der
durch die Dampfſchifffahrt neu auflebende Handel etwas
zur Landeskultur bei, und in dieſer Beziehung hat die Ge-
ſellſchaft des öſterr. Lloyd große Verdienſte, wie ihm
überhaupt, was Ordnung, Solidität, freundliche Behand-
lung der Paſſagiere, Reinlichkeit der Koſt 2c. betrifft, alle
Anerkennung gebührt.
Nach etlichen Stunden fuhren wir auf unſer Schiff
zurück, um zu eſſen und die grelle Mittagshitze zu vermei-
den. Im Verlaufe des Nachmittags kam ein großes fran-
zöſiſches Kriegsſchiff in den Hafen, wobei die übliche Be-
grüßung mit Abſchießung etlicher Kanonen und Aufhi-
ßung von Fahnen ſtattfand. – Gegen 5 Uhr Abends
hatte der erſte Kapitän die Güte uns ſeine eigene Barke
anzutragen, um damit nochmal an's Land zu fahren, und
154
einen Ausflug nach dem eine halbe Stunde entfernten
Caſtell Gottfried von Bouillon zu machen. Wir nahmen
den Antrag dankbar an, und begaben uns ohne Führer
dahin, weil die Richtung nicht zu verfehlen war. Der
Weg war aber ſo mit Schilf und ſtacheligem Reisſtroh
verwachſen, daß man oft mit Gewalt ſich Bahn brechen
mußte in beſtändiger Furcht vor verſteckten Schlangen,
deren es hier viele gibt. Endlich kamen wir zu einem
Thurm und zu dem aus feſten Quaderſteinen erbauten
Caſtell, das eine bedeutende Ringmauer umfaßt; es ſchien
für die Ewigkeit gebaut zu ſein, und doch war es zerſtört.
Ich beſtieg den Thurm, um den prachtvollen Sonnenun-
tergang zu ſehen, und nahm mir eine Granatblüthe als
Andenken mit. – Als wir uns der einbrechenden Däm-
merung wegen zum Rückwege anſchickten, bemerkten wir
vier Reiter, die zu unſerer nicht geringen Verwunderung
vom Wege ablenkten und auf uns zuſprengten. Weit und
breit war Niemand, und wir hatten keine Waffen. Schon
machte ich mich auf den Verluſt meiner Baarſchaft gefaßt.
Als jedoch die Reiter näher kamen und wir ſie italieniſch
begrüßten, ergab es ſich, daß es der franzöſiſche Conſul
mit ſeinem Sohne und zwei Begleitern war. Freudig
überraſcht wechſelten wir einige Worte, worauf die Rei-
ter davon ſprengten und wir zu Fuß ihnen folgten. Als
wir am Strande ankamen, wo der Kapitän bereits in
Sorge unſer harrte, war es Nacht.
Dort trafen wir auch eine raſtende Karawane von
etwa hundert Kameelen, die von Aleppo gekommen waren.
Ein franzöſiſcher Juwelenhändler, der mit der Karawane
angelangt war und ſich auf den Lloyddampfer zur Weiter-
reiſe begab, erzählte uns, daß ſie auf dem Wege ein er-
mordetes Weib gefunden, das noch röchelte; da ſie ihr
155
Geld noch bei ſich hatte, ſo ſcheinen die Mörder abge-
ſchreckt worden zu ſein. – Es war eine merkwürdige La-
gerſzene, ein Bild der Ruhe und Thätigkeit, denn man
war eben daran die Kameele von ihrer Laſt zu befreien
und mit neuer zu beladen, weil die Karawane in derſel-
ben Nacht wieder nach Aleppo zurückreiſen ſollte. Welch
eine große Wohlthat ſind doch die Kameele für dieſen hei-
ßen Himmelsſtrich! Dieſe guten Thiere laſſen eine unge-
heure Laſt ſich aufladen, während ſie käuend auf dem Bo-
den liegen, und erheben nur dann knurrend die Stimme,
wenn man ihnen eine übermäßige Laſt aufbürdet, ja
manche ſollen ſich eher todtſchlagen laſſen, als daß ſie mit
der überbürdenden Laſt aufſtehen. Auch eine Lehre für den
Menſchen!
Aleſſandretta iſt wegen ſeiner ſumpfigen Lage ſehr
ungeſund, und die Leute ſchlafen daher nie ebenerdig, ſon-
dern auf erhöhten Matten, die auf vier freiſtehenden
Pfählen ruhen, um reinere Luft zu genießen. Man roch
ordentlich die Fiebermiasmen. Daher beeilten wir uns,
um auf unſer Schiff zu kommen, von deſſen Verdeck aus
wir noch das ſeltene Schauſpiel eines großen Waldbran-
des genoßen, deſſen Flammen ſich im Meere ſpiegelten.
Wir waren dagegen ſo fataliſtiſch gleichgiltig, daß wir in
der Nähe des Feuers Cither ſpielten. So divergiren oft
die materiellen Intereſſen der Menſchheit.
Es mochte zehn Uhr Abends ſein, als wir aus dem
Hafen von Aleſſandretta fuhren, Gott ſei Dank, ohne
Fieberanwandlungen; im Gegentheile ſchlief ich die Nacht
hindurch beſſer als ſeit lange her, wahrſcheinlich in Folge
der gemachten Bewegung.
156
Des andern Morgens – 29. Juli – um 7 Uhr
erreichten wir Ladakia, das alte Laodicea. Es liegt
maleriſch auf einem grünen Vorgebirge, die Häuſer ſind
in Gärten verſteckt. Beim Eingang des Hafens ſtehen
ſtattliche Thürme, die im letzten Kriege (1841) in Ruinen
verwandelt wurden, und deren Schutt den ſo prächtigen
Hafen verſandete. Von einigen Schiffen wehte die türki-
ſche Flagge, denn es war Freitag. – Da wir abermals
den ganzen Tag über hier verweilten, ſo ſchifften wir nach
eingenommener Collation an's Land. Durch antike Wöl-
bungen und Bazars gingen wir in die neue Stadt, um
den öſterreichiſchen Conſul zu beſuchen. Auf dem Wege
dahin fiel uns die große Zahl der Blinden und Einäugi-
gen auf. Die Landluft that wohl, – der Boden zeigte
eine üppige Fruchtbarkeit. Weinreben ſchlangen ſich an
hohen Bäumen hinauf und die Cactusfeigen mit ihren
ſtacheligen Blättern bildeten ganze Gehege; letztere ſind
ein Leckerbiſſen für die Kameele, an Menſchen aber, die
ſich damit ſtechen, erzeugen ſie Geſchwüre; der Frucht
konnte ich keinen Geſchmack abgewinnen.
Das Haus des Conſul lag außer der Stadt auf
einer Anhöhe. Man führte uns zuerſt in einen Empfangs-
ſalon, dann auf einen Corridor, wo angenehme Kühle
wehte. Der Conſul, ein junger Venetianer, empfing uns
ſehr freundlich und bewirthete uns mit Café, Tſchipuk
und wohlriechendem Waſſer. Seine Frau, faſt noch ein
Mädchen, benahm ſich als Hausdame mit richtigem
Tacte; ſie war in Paris erzogen worden, was jedoch nicht
hinderte, daß ſie orientaliſch ſaß und rauchte. Hier ſah ich
die erſten Stereoscopbilder. -
Der Conſul trug ſich ſelbſt an, uns in Ladakia ein
bischen herumzuführen. Zuerſt gingen wir in den Convent
157
der Franziskaner, wo wir drei Prieſter trafen, darunter
den Quardian P. Pacifico aus Bologna. Die guten Pa-
tres waren froh jemand aus Europa zu ſehen, und als ſie
hörten daß wir Öſterreicher ſeien, zeigten ſie uns mit
Freude den neuen ſchönen Ornat, den unſer Kaiſer ihnen
geſchenkt hatte. In der Kirche that es uns wohl vor dem
Allerheiligſten ein bischen verweilen zu können. Ähnlich
mag die Wonne der Seele ſein, wenn ſie nach ſo vielen
Prüfungen und Entbehrungen in dieſem Leben vor Got-
tes Angeſicht erſcheinen wird!
In der Nähe des Kloſters befindet ſich eine Schule
für Knaben und Mädchen unter Aufſicht eines Lehrers und
einer Lehrerin. Die liebe Jugend vollbrachte einen entſetz-
lichen Lärm. Ein winziges Mädchen verſchleierte ſich als
wir eintraten; ich ließ etliche Buben arabiſch leſen. Klo-
ſter und Schule befinden ſich mitten unter anderen Häu-
ſern; im Hausgarten wuchs das Unkraut in Hülle nnd
Fülle, und an den Hecken ſah man die traurigen Spuren
der Traubenkrankheit. Die Franziskaner ſchienen hier
trotz des Fanatismus der Einwohner wohl gelitten zu
ſein, wenigſtens gehen ſie in ihrer Kutte herum, unbehel-
ligt von den Türken.
Dann beſuchten wir den gut erhaltenen Triumph-
bogen des Septimius Severus, der jetzt theilweiſe als
Moſchee benützt wird. In der Nähe ſollen ſehr lohnende
Ausgrabungen gemacht werden, allein wer kümmert ſich
darum? – Weiters beſtiegen wir noch einen Hügel, auf
welchem eine Moſchee lag, die ein vor 17 Jahren aus
Mecca zurückgekehrter heiliger Hatſchi (Pilger) mit Auf-
wand erbauen ließ. Die Fernſicht, welche man von hier
aus über Stadt, Land und Meer genoß, war herrlich.
158
Nachdem wir von dem jungen Ehepaar dankbar Ab-
ſchied genommen und ein Paket Blättertabak (auf Ladakia
ſoll der beſte Tabak wachſen) gekauft hatten, kehrten wir
an Bord zurück, und ſtärkten die von der Hitze ermatte-
ten Glieder in einem Seebade, zu welchem Behufe uns
der freundliche Kapitän den Räderkaſten aufſperren ließ,
wo wir bequem in den coloſſalen Räderſpeichen ſitzend
den ſanften Wellenſchlag genoßen; außerhalb wäre das
Schwimmen wegen der vielen hier vorkommenden Hunds-
haie (pesci cani), die auf Menſchen losgehen, unſicher
geweſen. – Um 5 Uhr Abends verließen wir den Hafen
und ſteuerten nach der Inſel Cypern. -
Am nächſten Morgen Früh 7 Uhr warfen wir An-
ker vor der Inſel Cypern. Einer der Erſten auf dem
Verdecke, ſah ich ſchon lange die hohen Gebirge in blauer
Ferne. Die einſt ſo fruchtbare Inſel ſoll jetzt nicht einmal
ſeine wenigen Einwohner nähren; es könnten zwei Mil-
lionen auf der großen Inſel leben, und es ſind kaum
200.000, die hier kümmerlich ein armſeliges Daſein fri-
ſten. Das iſt der Fluch der Türkenwirthſchaft. Einſt war
hier der Mittelpunkt des Handels, beſonders im Mittel-
alter. – Richard Löwenherz, der Cypern 1191 erobert
hatte, ſchenkte die Inſel einem Grafen Luſignan, und die
Könige aus dieſer Familie waren noch lange nach der
Zerſtörung Jeruſalems die Vertheidiger des Chriſten-
thums gegen die Türken. Nach dem Ausſterben dieſer Fa-
milie ſetzte ſich Venedig auf Cypern feſt (1473), bis es
1571 Sultan Soliman II. eroberte und das Land zur
Wüſte machte. Seit jener Zeit hatte Cypern keine glückli-
159
chen Tage mehr. Im letzten griechiſchen Aufſtand (1822)
wurden auf der Inſel 25.000 Griechen ermordet, deren
Weiber verkauft und deren Kinder erſäufet. So deckt der
Staub der Jahrhunderte die Gräber des Glückes und
Unglücks.
Und was war die Inſel Cypern erſt zu Zeiten der
alten Griechen und Römer! Welche Poeſie mußte dieſes
Eiland umſchlingen, da man an ſeinem Geſtade aus dem
Schaume des Meeres die cypriſche Venus erſtehen ließ?
Auf dem dieſer Göttin geweihten kleinen Olymp der
Inſel ſtanden ihr geheiligte Tempel, welche die Lüſtlinge
aller Welt nach Cypern lockten. Das chriſtliche Mittelal-
ter baute an deren Stelle Klöſter, welche die Türken wie-
der zerſtörten. Nur die kunſtvoll angelegten Gärten haben
ſich aus den Mönchszeiten noch erhalten, und ſind gegen-
wärtig der Lieblingsaufenthalt der Cröſuſſe von Cypern,
obwohl zur Sommerszeit auch dieſer Aufenthalt durch
Fieber, Schlangen und giftige Thiere, welche in den nahen
Moräſten gedeihen, verleidet wird. So wenig kann die
Natur der Kunſt entbehren, und ſo gewiß wird der Tem-
pel der Wolluſt zur Verwüſtung.
Bevor wir an's Land ſtiegen, nahmen wir in dem
wunderbar klaren und blauen Waſſer ein Seebad, wobei
wir weit vom Schiffe ſchwammen, weil es hier ganz ſicher
war. Nach der Collation folgten wir der Einladung des
Kapitäns ihn in ſeiner Barke ans Ufer zu begleiten. In
ſeiner angenhmen Geſellſchaft machten wir drei Beſuche.
Zuerſt gingen wir zu einem reichen hageſtolzen Antiquar-
händler Namens Matthei, der uns in ſeinem prächtigen
Hauſe mit Cafè und Cigarren regalirte, wogegen wir alte
ausgegrabene Münzen ankauften; er machte gute Ge-
ſchäfte. – Dänn begaben wir uns bei greller Mittags-
160
hitze in das etwas entfernte Franziskanerkloſter zu Lar-
naca, (das alte Cythium, die jetzige Hauptſtadt Cyperns),
wo wir einen biederen Tiroler aus Salurn P. Eduard
Vonderſtraßen als Quardian fanden. Ein prächtiger
Mann! Durch ſeine Bemühungen wurden Kirche und
Kloſter neu gebaut, und zwar größtentheils mit öſterrei-
chiſchen Sammelgeldern. Die Kirche iſt groß, reinlich und
geſchmackvoll, hat ſchöne Gemälde, die Geſchenke von Kö-
nigen oder reichen Conſuls ſind, das zierliche Speißgitter
aus Gußeiſen ſpendete auf des Quardians Bitte die
öſterreichiſche Lloydgeſellſchaft. – Auch die Türken beſu-
chen öfters die Kirche, und verehren darin wegen der hier
ſo häufigen Augenkrankheiten das Bild der heil. Lucia,
wie dieß die vielen von ihnen hieher geopferten ſilbernen
Votivaugen beweiſen; auch liefern ſie das Öl zur Lampe,
die ſtets vor dem Bilde brennt. – Im Convente trafen
wir ſechs Patres, größtentheils Italiener. Ein Glas Ab-
ſynth, das man uns im Refectorium kredenzte, war eine
wahre Wohlthat. – Der dritte Beſuch galt dem öſter-
reichiſchen Conſul, einem alten lieben Herrn, der uns
mit Veilchenwaſſer, Bisquit und köſtlichem Cyperwein
bewirthete.
Vor unſerer Rückkehr auf das Schiff wollten wir
auch noch eine Weinkellerwirthſchaft in Augenſchein neh-
men, weil unter den Pilgern ein Kaufluſtiger war. Man
führte uns in einen der berühmteren Keller, der jedoch
gegen die Keller in Öſterreich eine Hühnerſteige iſt. Wir
verkoſteten verſchiedene Gattungen; der Beſitzer des
Kellers war aber mit dem Koſten ſehr ſparſam, denn mit
einem Duodezgläschen mußten. Alle genug haben.
Am Bord unſeres Schiffes trafen wir ſechs neue
franzöſiſche Paſſagiere auf dem erſten Platz, während wir
161
auf dem zweiten Platze die einzigen und alleinigen blieben.
Um 5 Uhr Abends wurden die Anker gelichtet, und wir
nahmen die öſtliche Richtung nach Beirut.
Heute iſt der letzte Tag unſerer eilftägigen See-
reiſe. Lieber Freund, freue Dich mit mir, wir nahen uns
dem heiligen Lande. Schon lange hatten ſich meine
Augen an dem langgeſtreckten Libanon geweidet, jener
ungeheuren Gebirgskette, die theils kahl, theils grün,
theils mit Dörfern beſäet iſt, oder wie die arabiſchen
Dichter ſagen: „die den Winter auf dem Kopfe, den
Frühling auf den Schultern, den Herbſt im Schooße
trägt, während der Sommer nachläſſig zu den Füßen
ſchlummert."– Die Stadt Beirut liegt zwiſchen grünen
Gärten am Fuße des Libanon, auf einem anmuthigen
Hügel. So eben am 31. Juli Morgens 6 Uhr landeten
wir glücklich in dem Hafen. Nun heißt es vom Bord der
„Italia" Abſchied nehmen, deſſen Kapitäne uns mit ſo
zuvorkommender Freundlichkeit behandelten. Einer von
ihnen ertheilte uns das Lob, daß er noch nie mit Paſſa-
gieren gefahren wäre, die ſich ſo für Alles intereſſirten.
Wir ſtanden aber auch mit allen Schiffsleuten auf gutem
Fuße. Als wir in die Barke hinabſtiegen, um an's Land
zu fahren, erſchienen Abſchied nehmend auch der deutſche
Koch und Maſchiniſt, die Matroſen ſalutirten mit ihren
Hüten, und der Camerière Pepi küßte uns die Hand mit
der Bitte auch ſeiner in Jeruſalem zu gedenken.
So hätten wir denn unter dem beſonderen Schutze
der göttlichen Vorſehung einen großen Theil der beſchwer-
lichen Reiſe glücklich zurückgelegt, und ſchon winkt uns
der Anfang des bibliſchen Schauplatzes, der Berg Liba-
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 11
162
non, deſſen ſo oft in der heiligen Schrift erwähnt wird.
Mit innigem Danke gegen Gott haben wir dieſe Freude
ſchon öfter gegeneinander ausgeſprochen und dabei innig
an unſere lieben Freunde in Europa gedacht, die durch ihr
inniges Gebet uns den Schutz des Himmels erflehen und
mit ihrem frommen Wünſchen gleichſam als Schutzengel
auf der Pilgerreiſe uns begleiten. Wenn uns die göttliche
Vorſehung wie bisher beſchützt und ſtärket, ſo ſehen wir
uns glücklich wieder, und Du, lieber Freund, und Alle
die Dir gleichen, habt Theil an den Freuden und Leiden
unſerer Pilgerfahrt. Lebe wohl. Dein 2c.
–c85382–
IX.
Aufenthalt in Beirut.
– Das Ordensfeſt des heil. Ignaz Loyola. – Das Wirken der franzö.
ſiſchen Jeſuiten. – Licht und Schatten im Kloſterleben. – Eine Katze
als Luxusbraten. – Merkwürdige Lebensgeſchichte eines Jeſuitenpa-
ters. – Erziehung der arabiſchen Jugend. – Tantalusqualen. –
Ordenskorreſpondenz über die Volksmiſſionen in Deutſchland. – Ge-
fährliche Morgenpromenade. – Der öſterreichiſche Generalconſul. –
Hôtel Bellevue. – Die Herrlichkeit des Libanon. – Lamartine und
Lady Stanhope. – Ein gemüthlicher Theeabend. – Portiunkulafeſt. –
Der traurige Todesfall eines Pilgers. – Eine poetiſche Blume auf
ſein Grab. – Memento mori. – Wie ſich die Pilger orientaliſiren.
–Die enorme Hitze in Beirut. – Frauenmode. – Projekt einer Excur-
ſion auf den Libanon. –
Beirut 2. Auguſt.
Lieber Freund!
Der 31. Juli, an welchem wir in Beirut landeten,
war ein Sonntag, zugleich das Feſt des heil. Ordens-
ſtifters Ignaz Loyola. Dieſer Umſtand und ein Empfeh-
163
lungsſchreiben des geehrten Abbé Mislin an den hier
befindlichen Jeſuitenconvent bewogen uns dieſen zuerſt
aufzuſuchen, um wo möglich nach langer Entbehrung
wieder das heilige Meßopfer zu feiern. Wir mußten durch
viele enge Straſſen bergan ſteigen, kamen dann auf einen
freien Platz außer der Stadt und endlich zum einſtöckigen
Hauſe der Jeſuiten, neben dem ſich eine kleine Kirche
befindet. Wir ſtellten uns dem P. Superior vor, der
bereitwillig die Meßlicenz ertheilte. Du wirſt es mir
glauben, wenn ich Dir einfach ſage, daß ich bei der heil.
Meſſe ſehr ergriffen war. Welch lange Entbehrung!
Wie alle Jeſuitenkirchen, ſo war auch dieſe des
hohen Feſtes wegen reichlich geſchmückt, um durch die
würdevolle Pracht des äußeren Gottesdienſtes die gläu-
bige Freude am kirchlichen Leben anzuregen. Die Jüng-
linge und Jungfrauen hielten eben ihre Standeskommu-
nion, und es war rührend und erbaulich anzuſehen, wie
dieſe edlen arabiſchen Geſtalten, etwa 50 an der Zahl –
mit geſenktem Blicke und über die Bruſt gefalteten Hän-
den vom Altare zurückkehrten. Die Jungfrauen empfingen
die heil. Komunion bei einem eigenen Kommuniongitter,
weil in der Kirche das weibliche Geſchlecht von dem
männlichen ſtrenge getrennt iſt. Die Kinder ſangen ein
arabiſches Lied in Begleitung einer Physharmonika. Nach
der Meſſe hielt ein Pater vom Altare aus eine lebhafte
Predigt in arabiſcher Sprache, die mit Aufmerkſamkeit an-
zugehört wurde. Die Miniſtranten nahmen ſich allerliebſt
aus; ſie trugen weiße Alben mit rothen Binden und ein
weißes Käppchen, auch war ihr Benehmen am Altare
muſterhaft. Nach beendigter Meſſe nahmen ſie in der
Sakriſtei zutraulich die Hand des Prieſters, küßten ſie
und drückten ſie an die Stirne. Die Kinder (das bemerkten
11 *
164
wir im erſten Augenblicke) hingen hier mit derſelben zu-
traulichen Liebe an den Vätern der Geſellſchaft Jeſu, wie
es die Geſchichte des Ordens noch allwärts erwieſen hat,
wo es ihm gegönnt war Schulen zu gründen. Auf dieſen
intelligenten Knaben ruht aller Wahrſcheinlichkeit nach
eine große Zukunft, und dieſe iſt das Werk der Jeſuiten-
erziehung.
Die hieſigen Patres ſind zumeiſt Franzoſen. Es iſt
ein charakteriſirender Zug dieſes Ordens, daß, als er
in Folge der Julirevolution aus Frankreich vertrieben
wurde, er unter Anderm einige ſeiner eifrigſten Söhne
in den Orient ſchickte, um daſelbſt Miſſionen unter
den zerſtreut lebenden chriſtlichen Arabern zu begründen.
So nützten die Ordensglieder ſelbſt im Exile ihrem Va-
terlande, denn wer den Libanon hat, dem gehört die Zu-
kunft Syriens. Bereits jetzt ſprechen und ſingen faſt alle
Kinder ſchon franzöſiſch. – Das Haus in Beirut wurde
von dem berühmten P. Ryllo gegründet, der ſpäter mit
Dr. Knoblecher in die Miſſion nach Centralafrika ging,
wo er dem aufreibenden Klima erlegen. Hier in Syrien,
einige Stunden von Beirut im Berge Libanon machten
Beide ihre Vorſtudien.
Nach dem Frühſtück im Refectorium trug uns Prie-
ſtern der P. Superior die drei Gaſtzimmer des Conven-
tes an, wenn wir mit deren ärmlichen Einrichtung vor-
lieb nehmen wollten. Wir nahmen die Einladung an, was
uns jedoch ſpäter reute. Denn abgeſehen davon, daß
wir die Patres in ihrer Ordnung ſtörten, ſo waren ſie
auch für Bedienung der Gäſte gar nicht eingerichtet, wir
mußten uns z. B. ſelbſt das Zimmer aufräumen c, auch
bei Tiſch herrſchte eine eclatante Armuth, ſo daß ich täglich
durſtig davon aufſtand, weil es an dem nöthigen Waſſer
165
mangelte; überdieß waren wir auch das erſte Mal von
unſern Collegen, die im Hotel wohnten, getrennt, was
bei der großen Hitze und Entfernung viel Unangenehmes
hatte, kurzes war eine Kreuzesſchule, wie ſich's für Pil-
ger nach Jeruſalem geziemte.
Indeß hatte das Wohnen im geiſtlichen Hauſe auch
ſein Gutes. Wir konnten täglich die heil. Meſſe leſen, mit
den Patres converſiren, das Sanctiſſimum, wie es in
allen Jeſuitenhäuſern üblich iſt, vor und nach Tiſch beſu-
chen, gemeinſchaftlich beten; auch ſagte mir die einfache
Tagesordnung viel beſſer zu als das noble Diniren in
ſpäter Abendſtunde. Es gab Momente, in welchen ich
mich ſogar ſehr heimiſch fühlte, aber auch überzeugte, daß
derjenige zu keinem Ordensmanne taugt, der nicht die
Reſignation beſitzt ſeinen Eigenwillen ganz und gar zum
Opfer zu bringen. Wie Du ſiehſt, mein Lieber, iſt keine
Beſorgniß daß ich Jeſuit werde, denn ich lamentire bei
der geringſten Beſchwerde.
Um 12 Uhr ſpeiſten wir zu Mittag, und zwar wur-
den des Ordensfeſtes wegen mehr Schüſſeln aufgetragen,
von denen jedoch einige für mich ungenießbar waren. Als
Luxusbraten kam eine gebratene Katze, an welcher die
Patres wie an einem Leckerbiſſen nagten, ſo daß ich end-
lich auch davon koſtete und den Geſchmack wirklich nicht
ſo übel fand. Als Tiſchwein hatten wir feurigen Libanon-
wein, mit dem ich mich gleichfalls nicht befreunden konnte.
Mit ſchwarzem „Vino di Noe" brachten wir der Ge-
ſellſchaft Jeſu einen Toaſt aus. Die Converſation wurde
franzöſiſch geführt. Nach Tiſch war ein Schmauchſtünd-
chen, und darauf Sieſta.
Unter den fünf Patres gefiel mir beſonders der
mit einem krummen Fuße. Er war früher ein berühmter
166
Advokat zu Paris und hatte das Unglück, daß ihm bei
dem großen Eiſenbahnunfall zu Verſailles ein Fuß zer-
ſchmettert wurde. Der Anblick ſo vieker rings um ihn
herumliegenden Leichen erſchütterte ihn dergeſtalt, daß er
die Welt verließ und Jeſuit wurde. Er war ſehr ernſt
und ſprach in der Regel nur, wenn er angeſprochen
wurde. Ein ganz Anderer aber war er in Mitte der Kna-
ben, deren Geſangslehrer er zu ſein ſchien. Ich beobach-
tete ihn oft, wie er die lebhaften Jungen mit ſeinem
Blicke beherrſchte, und wie dieſe mit zutraulicher Liebe
an ihm hingen. Wenn man die Biographie ſo manchen
Ordensmannes wüßte, wie ſie im Buche des Lebens ge-
ſchrieben iſt, die Welt würde gerechter urtheilen! – Ein
anderer Pater war ein Bild männlicher Schönheit, und
erwies ſich uns als beſonders freundlich und gefällig.
Die Patres trugen ſich halb europäiſch halb türkiſch:
Vollbart, rothen ſchwarzumwundenen Fes, ſchwarzen
Kaftan und eine talarartige Tunika.
Nachmittags 5 Uhr beteten die Kinder den Roſen-
kranz in arabiſcher Sprache, worauf die Litanei und der
heil. Segen folgte, welchen Collega Hubinger, vom Su-
perior dazu eingeladen ertheilte. Darnach wurde in der
Kirche von denſelben Kindern ein franzöſiſches Lied ge-
ſungen. – Im Sprachſalon trafen wir zwei auf Beſuch
gegenwärtige Kapuziner, die über die Schwierigkeiten
eines Miſſionärs im Oriente klagten, weil die Confeſſio-
nen und Nationen einander entgegenarbeiten.
Um 7 Uhr Abends war Litanei, dann Souper, bei
dem ich jedoch gar nichts genoß und von einem unſägli-
chen Durſte geplagt wurde. Mit Tantalusqualen dachte
ich nach Lackenhof am Fuße des Ötſchers, wo immerfort
das köſtlichſte Waſſer in den Kelter fließt, aus dem die
167
Thiere trinken. Ach, was hätte ich damals für einen
Trunk kalten Waſſers gegeben! Wahrlich, da lernt man
das Wort der heil. Schrift verſtehen: „Wer Einem nur
einen Becher kalten Waſſers zu trinken reicht, er wird
ſeinen Lohn nicht verlieren" (Matth. 10,42).
Nach der kurzen Anbetung des Allerheiligſten wurde
in dem gemeinſchaftlichen Salon geplaudert und geraucht,
bis die Sterne am Firmamente leuchteten. Der P. Su-
perior las uns einen Brief aus Frankreich über die in
Deutſchland abgehaltenen Jeſuitenmiſſionen vor, wo wir
den Franzoſen die Namen ihrer deutſchen Mitbrüder
z. B. Haßlacher, Klinkowſtröm, Pottgeißer 2c. ausſpre-
chen lernten. Es freute uns in ſolcher Entfernung etwas
vom deutſchen Vaterlande zu hören, und ich erzählte von
der ſo gelungenen Volksmiſſion zu St. Pölten. Es iſt
dieß eine vortrefflliche Einrichtung in der Geſellſchaft
Jeſu, daß ſie zwei oder dreimal im Jahre ihren Brü-
dern in andern Welttheilen referiren, wgs ſich in ihrem
Orden Merkwürdiges zugetragen hat; das vereinigt und
kräftigt.
Es war ſchon ſpät, als wir zur Ruhe gingen, und
ich freute mich im Vorhinein wieder einmal in einem
feſtſtehenden Bette ſchlafen zu können; doch mußte ich
mir den Genuß durch einen hartnäckigen Kampf mit einer
rieſenhaften Kreuzſpinne, die ober mir kroch, verdienen.
Alle Jagd darnach war aber vergebens, und ſo mußte ich
den ungebetenen Gaſt bei mir beherbergen.
Am nächſten Morgen (1. Auguſt) ſtieg ich auf das
flache Dach des Hauſes, um daſelbſt Brevier zu beten,
was ich dann täglich wiederholte, denn da oben wehte ein
168
friſches Lüftchen, man war ſo ganz allein und ungenirt,
dazu eine herrliche Ausſicht auf Stadt und Meer, nur
Eines mußte man dabei beachten, daß man nämlich beim
Auf- und Abgehen keinen Schritt zu viel machte, denn das
flache Dach hatte gar kein Geländer. Bei uns würde
man das polizeiwidrig finden.
Um eilf Uhr Vormittags machten wir dem öſter-
reichiſchen Generalconſul Baron v. Gödl unſere Auf-
wartung, der uns mit großer Freundlichkeit empfing und
für den Abend zum Thee einlud. Er beſprach die von uns
projectirte Expedition auf den Libanon und gab uns dazu
vortreffliche Winke, denn als ausgezeichneter Botaniker
hatte er die abgelegenſten Thäler im Libanon – oft ganz
allein beſucht; auch rieth er mit dem Führer einen eige-
nen Contract auf der Conſulatskanzlei abzuſchließen, weil
wir ſonſt leicht betrogen werden könnten.
Darnach beſuchten wir unſere zwei Reiſecollegen
in dem Hôtel Bellevue, das am Meere lag. Es bemäch-
tigte ſich unſer der blaße Neid, als wir deren confor-
table Wohnungen und gut fränkiſche Koſt ſahen. Das
Non plus ultra der Schönheit aber war die Terraſſe des
Hauſes, von der ſich eine prachtvolle Rundſchau bot, ſo
daß ich mich nur ſchwer davon trennen konnte. Im We-
ſten lag das unermeßliche Meer und längs der Küſte
gegen Oſten hin der mit Hunderten von kleinen Dörfern
beſäete Libanon, über den ein ſchleierartiger Dunſt ſich
gelagert hatte. Mit Hilfe eines guten Fernrohres näherte
ich mir die intereſſanten Punkte, aber das Auge ermü-
dete, denn kaum hatte man eine Reihe die Revue paſſiren
laſſen, ſo folgte eine Etage höher die zweite, die dritte
u. ſ. f.
Bei dem Anblick dieſer Naturſchönheiten dachte ich
169
an den franzöſiſchen Dichter Lamartine, der hier ent-
zückt längere Zeit zubrachte, bis ihm der unbarmherzige
Tod ſein einziges vielgeliebtes Kind Julie entriß; man
zeigte uns die Villa, welche er bewohnte. – Auch Lady
Eſther Stanhope fiel mir ein, jene excentriſche Brittin,
die ihre Verwandten verließ uud mit ihrem fabelhaften
Reichthum ſich in der Nähe des Libanon etablirte, wo
ſie durch ihren männlichen Geiſt einen nicht unbedeuten-
den Einfluß auf die Machthaber Syriens ausübte. Sie
lebte ganz nach orientaliſcher Sitte, mäßig wie eine Py-
thagoräerin, empfing äußerſt ſelten Fremde, las weder
Briefe noch Zeitungen, ſpendete aber nach allen Seiten
Wohlthaten, und wurde von dem Volke als Königinn des
Nordens faſt vergöttert. Im Sommer wohnte ſie auf
ihrem Schloße in den Hochebenen des Libanon. – Mir iſt
es begreiflich, wie man wünſchen mag in einer ſo para-
dieſiſchen Umgebung ſeine Tage zu verleben und zu be-
ſchließen. Und doch macht auch die ſchöne Natur allein
des Menſchen Glück nicht aus, das beweiſen eben Lady
Stanhope und Lamartine.
Abends 6 Uhr kamen wir in die Privatwohnung
des öſterreichiſchen Generalconſuls, die eine halbe Stunde
außer der Stadt auf einem Hügel gelegen iſt, und wurden
dort von ihm und ſeiner jungen Frau, einer fein gebilde-
ten Trientinerin gar lieb empfangen. Ich hatte einen
Brief von Baron S. . . an ihn, der ihn freute und uns
willkommene Anſprache gewährte. Auf der breiten Altane,
die mit der Wohnung in Verbindung ſtand, ſahen wir
dem Untergang der Sonne zu, nach orientaliſcher Weiſe
aus langen Pfeifen ſchmauchend und Kaffee und Eiswaſ-
ſer dazu ſchlürfend. Als die Dämmerung einbrach, bega-
ben wir uns in den Salon, wobei die intereſſante Eon-
17()
verſation bei vortrefflichem Thee und Backwerk fortge-
ſetzt wurde; die junge Frau ſpielte Klavier und ſang
dazu, ſo daß wir uns ganz vom Orient in die europäiſche
Heimat verſetzt fühlten. Es mochte gegen eilf Uhr ſein,
als wir nach Hauſe gingen. Zum Glück war ein Jeſuiten-
pater in unſerer Geſellſchaft, der uns durch knietiefen
Staub (denn die Stadtthore waren ſchon geſchloſſen) in
das Kloſter zurückführte, ohne ihn hätten wir gewiß nicht
hingefunden.
Tags darauf (2. Auguſt) war das Portiunkulafeſt,
und meine Gedanken waren viel in St. Pölten, wo ein
meiniger Schüler, Herr J. Kinzel, an dieſem Tage pri-
mizirte. – Ich wollte mich überzeugen, ob auch im Oriente
die Franziskaner dieſes Feſt feierlich begehen und ließ
mich daher in deren Kloſter führen, das in einer abgele-
genen Gaſſe liegt. Ich läutete bei einem eiſernen Thore
an, und gelangte dann durch einen Gang zur unanſehnli-
chen Kirche, die im Inneren des Hauſes ſich befindet. Sie
ſtand ganz leer, und ich verweilte einige Augenblicke da-
rin, die mir ſehr wohl thaten. Das iſt das Schöne im
Katholizismus, daß man in einer jeder Kirche, wo das
heilige Sakrament iſt, ſich heimiſch fühlt. Ich verrichtete
meine Andacht und übergab dem P. Quardian einen mir
anvertrauten Brief des Kloſtervorſtandes von Larnaca
auf der Inſel Cypern. Hier erfuhr ich auch nähere De-
tails über ein trauriges Ereigniß, das uns geſtern vom
Generalkonſul gleich bei unſerer Ankunft war mitgetheilt
worden, und das ich Dir nicht verſchweigen will.
Du erinnerſt Dich, lieber Freund, aus meinem
erſten Pilgerbriefe, daß ein gewiſſer Karl Hoffman
Kaplan zu Leoben in Steiermark die Abſicht hatte ſich
171
unſerer Karawane anzuſchließen und darüber mit Mayr
in Correſpondenz trat. Sei es, daß ihm unſere Abreiſe
zu ſpät vorkam, oder daß ſie ihm zu koſtſpielig erſchien,
kurzer reiſte allein fort, und zwar zuerſt nach Rom. Von
dort fuhr er zu Waſſer über Malta und Cypern nach
Beirut, wo er – meiſtentheils von wohlfeilen Südfrüch-
ten ſich nährend – bereits fieberkrank ankam, und im
Franziskanerkloſter gaſtliche Aufnahme fand. Trotz ſeiner
Schwäche wollte er weiter reiſen, um noch Jeruſalem
zu erreichen; allein die Sorgfalt der Mönche hielt ihn
zurück, denn der Arzt erklärte ſeinen Zuſtand für bedenk-
lich. Er mußte ſich zu Bett begeben und das Fieber brach
ſo heftig aus, daß es den ohnehin ſchwächlichen jungen
Mann in fünf Tagen aufrieb. Mit rührender Ergebung
ſchickte ſich der arme Pilger in die Fügung der göttlichen
Vorſehung und empfing aus den Händen des P. Quar-
dians die heil. Sakramente. In ſeinen Fieberphantaſien
ſprach er immer von ſeinen lieben Schweſtern, die er nur
Einmal noch ſehen möchte. Gott hatte es anders beſchloſ-
ſen, und ihm das Wiederſehen für das himmliſche Jeru-
- ſalem vorbehalten, denn er ſtarb, 31 Jahre alt, am
21. Juli. Wie würde ſich der Schwergeprüfte erfreut
haben, wenn wir ihn noch am Leben getroffen hätten!
Dafür begleitet uns ſein Andenken an alle heiligen Orte,
und Marinelli legte folgende Blume auf ſein Grab:
„Pilger aus dem Heimathlande,
Ruh' im Frieden, ſanft und ſtill!
Weich gebettet hier im Sande
Fandeſt Du des Lebens Ziel.
„Keine Rettung iſt geblieben,
Keine Blume ſchmückt Dein Grab.
Keine Thräne Deiner Lieben
Fällt auf Deinen Staub herab.
172
»Doch des Himmels reichſter Segen,
Den wir auf Dein Haupt erfleht,
Nahet Dir auf Sternenwegen,
Wo der Thron der Liebe ſteht.
„Biſt im ſeligen Gefilde,
Wo die Lebensſonne glüht,
Wo durch des Erlöſers Milde
Dir des Himmels Wonne blüht.«
Du kannſt Dir leicht denken, mein Lieber, wie dieſe
Todesnachricht uns ergriffen hat. Das traurige Memento
mori ermunterte uns zum erneuerten Danke gegen Gott,
der uns bisher ſo wunderbar beſchützte, daß keiner von
uns ernſtlich krank war. Möge es auch Dir als Aneife-
rung zum Gebete für die fernen Pilgerfreunde dienen,
auf daß ſie, wenn es Gottes Wille iſt, glücklich ihr Ziel
erreichen.
Der Reſt des Tages verging mit Vorbereitungen
für die projectirte Excurſion auf den Libanon, welche
wir morgen antreten wollen. Wir kauften uns zu dieſem
Zwecke eigens Fes, Turban und derlei orientaliſchen Zu-
behör, weil man uns dieſe Kleidung für die vorhabende
Reiſetour anrieth; beſonders ſoll der Turban am beſten
gegen die Sonnenſtrahlen ſchützen.
Die Hitze in Beirut iſt wahrhaft drückend, und des
Schwitzens und Dürſtens kein Ende, daher die arabiſchen
Buben ſich den ganzen lieben Tag nackt im Waſſer her-
umtummeln. Wohl wehen kühlende Lüftchen vom lang-
geſtreckten Libanon herab, aber die ſengenden Strahlen
der Sonne paralyſiren ſie. Die Häuſer von Beirut ſind
deshalb auch enge aneinander und gegenüber gebaut,
damit die brennenden Sonnenſtrahlen nicht ſo leicht ein-
dringen können. Die Stadt vergrößert ſich zuſehends und
nimmt offenbar einen neuen Aufſchwung, ſeitdem die
173
Conſulate Syriens hieher als an den Hauptſtapelplatz
verlegt worden ſind. Es iſt ein buntes Durcheinander in
den ſchmalen Straßen, die mannigfaltigſten Koſtüme ſind
zu ſehen und alle europäiſchen Sprachen zu hören. Die
Frauen – auch die chriſtlichen haben den gar abſcheulichen
Gebrauch das Geſicht mit einem dunklen Stück Kattun
zu verſchleiern, was ganz maskenartig ausſieht. Die Ve-
getation iſt üppig; unzählige Hecken von Cactus und ſtolz
emporragende Palmen machen ſich überall bemerkbar. Hie
und da ſtehen noch Mauern und Thürme aus den Zeiten
der Kreuzzüge, an welchen die Verheerungen durch das
engliſche Bombardement im Jahre 1840 ſtark ſichtbar
ſind.
Doch ich muß dieſen unter Vergießung unzähliger
Schweißtropfen geſchriebenen Brief ſchließen. Über unſere
Libanonreiſe bekommſt Du einen eigenen Brief. Mit
Liebe Dein 2c.
174
X.
Ausflug auſ den Libanon.
Allerlei Bedenken. – Diplomatiſche Intervention. – Contract mit
dem Dragoman. – Der Miſſionär P. Riccadonna. – Orientaliſche
Adjuſtirung. – Beſchreibung der Karawane. – Schilderung der chriſt-
lichen Maroniten. – Panorama des Libanon. – Ein Sturz vom
Pferde. – Aerztliche Selbſthilfe. – Erſte Station Bekfaja. – Jeſuiten-
convent. – Audienz beim Maronitenfürſt Emir Haidar. – Ein orien-
taliſches Diner. – Ein Conzert. – Eine Nacht unter Zelten. – Eine
maronitiſche Meſſe. – Eine Ehrenbegleitung. – Der Gipfel des Liba-
non. – Zweite Nachtſtation Zahleh. – Die kleinen Miſſionäre. –
Italieniſche Emigranten. – Ein Conflict. – P. Ignazio. – Keine
Cedern des Libanon. – Das Grab Noe's und vino di Noe. – Die
Ebene Cöleſyriens. – Gaſtfreiheit in einem maronitiſchen Pfarrhof. –
Jagd. – Die Ruinen von Balbek. – Sieg des Chriſtenthums. – Ein
Verlorner wiedergefunden. – Der Reiſemarſchall wirft Geld aus. –
Beſuch beim Paſcha und Befreiung eines Chriſten. – Die Druſen. –
Zwölf Stunden zu Pferde. – Bart und Schleier im Orient. – Das
arabiſche Pferd. – Ein Beduinenlager. – Vierte Nachtſtation am
Milchfluße. – Maronitiſche Mönche. – Sonntagsgedanken. – Ein
Pilger erkrankt. – Ein Reiſetyrann. – Kloſter Hariſſa. – Ghazir. –
Dorf Djunie. – Ein Libanonfürſt. – Kunſtreiterei. – Glückliche
Rückkehr nach Beirut. – Ein europäiſches Diner. – Der kranke Pil-
ger geneſt. – Abſchied vom Libanon.
Beirut, 8. Auguſt.
Lieber Freuud!
Die Lage der Stadt Beirut – am Fuße des Liba-
non – war zu einladend, als daß wir uns nicht hätten
entſchließen ſollen dieſen gewaltigen Bergrieſen, deſſen
ſo oft in der heiligen Schrift bildlich Erwähnung ge-
ſchieht, zu beſuchen. Es fehlte zwar nicht an allerlei Ge-
genvorſtellungen und Schilderungen der vielen Gefahren
vor Druſen, Beduinen, halsbrecheriſchen Wegen 2c., indem
175
man ſich auf die freilich oft romanhaft ausgemalten Rei-
ſebeſchreibungen berief. Doch die Jeſuiten ſprachen uns
Muth zu und am meiſten trug zum Zuſtandekommen und
Gelingen der ganzen Expedition der liebenswürdige Ge-
neralconſul Baron v. Gödl bei, der uns hierin mit Rath
und That wacker an die Hand ging, und dem wir daher
auch am meiſten zum Danke verpflichtet ſind. Er zerſtreute
all die Nebel von Beſorgniſſen und Befürchtungen, ver-
ſprach uns einen gewandten Kawaß als Sicherheitswache,
wirkte uns ein ſchriftliches Bujurdu des Paſcha aus, gab
uns ſelbſt Empfehlungsſchreiben an mehrere Emir's mit,
und hielt dem von uns gedungenen Dragoman eine ein-
dringliche Standrede über ſeine Obliegenheiten.
Der eigens über die gegenſeitigen Verpflichtungen
ausgefertigte Kontrakt wurde vom Conſulate ſelbſt unter-
zeichnet. Dies iſt das einzige Mittel gegen die Willkür
dieſer Leute, denen man ſich oft tagelang auf den gefähr-
lichſten Wegen anvertrauen muß. Es wird Dich vielleicht
intereſſiren einige Details daraus zn vernehmen. Der
Dragoman verpflichtete ſich fünf gute Reitpferde und die
nöthigen Bagagepferde zu ſtellen, die Koſt zu beſorgen,
ſo zwar, daß täglich Frühſtück, Collation mit drei, und
pranzo mit vier Speiſen (Wein und Früchte mit einge-
rechnet) verabreicht werden; für die im Freien zuzubrin-
genden Nächte hat er zwei Zelte und fünf Betten mit
allem Zubehör mitzunehmen; dafür erhält er von einem
Jeden für den Tag einen Napoleondor (20 Franken), alſo
täglich 100 Franken, die ihm jedoch erſt bei der Rückkehr,
wenn er ſeiner Schuldigkeit gehörig nachgekommen, aus-
bezahlt werden ſollen.
Dieß waren die erſten Vorbereitungen zu einer Ge-
birgsreiſe, wie ich ſie in meinem Leben noch nie gemacht
176
habe, und wohl auch nicht mehr machen werde. Mir, für
meine Perſon, kam das Arrangement des Ganzen etwas -
luxuriös vor, denn Du weißt wie leicht und einfach ich zu
reiſen pflege. Indeß gab es da keine Ausnahme, auch for-
derte die Rückſicht für die älteren Pilgercollegen, die an
mehr Comfort gewöhnt waren, Nachgiebigkeit. Die Erfah-
rung zeigte, daß gerade unſer nobles Auftreten den Leuten
imponirte, und wir daher auch ſicherer reisten.
Jedenfalls war es eine große Annehmlichkeit und
eine gute Vorbedeutung, daß wir am Beginne unſerer
Excurſion einen Jeſuiten als Geleitsmann hatten, der
im Libanon ſtationirt war und Land und Leute genau
kannte. Es war dieß der originelle P. Riccadonna, der
des Ordensfeſtes wegen nach Beirut gekommen war, und
nun wieder auf ſeine Station Zahleh zurückkehrte. Er iſt
ein geborner Veroneſer, aber ein vollkommen nationali-
ſirter Araber, denn er iſt faſt durch 30 Jahre auf dem
Libanon als Miſſionär thätig. Seine Phyſiognomie hat
einen ganz orientaliſchen Typus angenommen. Trotz einem
Beduinen blitzen ihm die feurigen Augen aus dem bärti-
gen Geſichte, und wenn er die arabiſchen Gutturalen aus
dem Munde herausquirlt, glaubt man vollends einen
Eingebornen vor ſich zu haben. Um die Libanonmiſſion
hat er unſtreitig große Verdienſte, und die Jahre, die er
daſelbſt zugebracht, waren reich an Entbehrungen und
Gefahren. Einmal war er ſchon für den nächſten Morgen
zum Tode verurtheilt, und nur durch Beſtechung des Ge-
fangenwärters gelang es ihm zu entkommen. Auch der
arabiſche Hengſt, den er meiſterhaft ritt, hatte an ſeinem
Halſe die Spuren eines mit ſeinem Herrn beſtandenen
Attentates. P. Riccadonna blieb in unſerer Geſellſchaft
bis Zahleh, und wir gewannen alle den gebildeten, ge-
177
ſprächigen und freundlichen Miſſionär lieb. Ich komme
noch weiter unten auf ihn zurück.
Am 3. Auguſt Morgens 6 Uhr ſetzte ſich unſere
ſtattliche Karawane – 16 Mann ſtark in Bewegung. Wenn
Du uns geſehen hätteſt, lieber Freund, wie wir in unſe-
rer neuen orientaliſchen Adjuſtirung aus den Thoren der
Stadt zogen, Du hätteſt dich eines gewiſſen Lächelns nicht
erwehren können. Auch uns machte das halbtürkiſche Ko-
ſtüm vielen Spaß, und wir hatten Mühe uns darin zu er-
kennen; beſonders ſah der ſtark bewaffnete Marinelli mit
ſeinem pechſchwarzen Barte ganz beduinenmäßig aus.
Gewarnt durch die Erfahrungen der Bruſſa-Expedition
trug ich jedoch keine Waffen.
Voran ritt der bis auf die Zähne bewaffnete Ka-
waß Ali, dann folgten die fünf Pilgerfreunde, der ge-
ſchäftige Dragoman, der dickbäuchige Koch, und ſchließ-
lich die Mucker d. h. die Dienerſchaft, welche die Pack-
pferde und Mauleſel überwachte und antrieb. Die Haupt-
perſon darunter war der Dragoman Namens Putros
(Peter), ein junger, pfiffiger Mann, der arabiſch, franzö-
ſiſch und italieniſch ſprach und ſchon öfter die Tour mit
angeſehenen Reiſenden gemacht hatte. – Der Kawaß
Ali der einmal in Trieſt geweſen, ſprach ganz gut italie-
niſch, zeigte ſich äußerſt aufmerkſam, treu,muthig, und über-
haupt als ein prächtiger Menſch. – Unſere Pferde wa-
ren gut und feurig, und auf dem hinten und vorne aufge-
bogenen arabiſchen Sattel war leicht und bequem ſitzen.
Der Weg führte anfangs zwiſchen gartenähnlichen
Anlagen, wo der wilde Oleander in großen Geſträuchen
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 12
178
wuchert. Dann kamen wir zu einer hohen ſteinernen noch
aus den Zeiten der Kreuzzüge herſtammenden Brücke, auf
welcher ein Aas lag; da unſere Pferde nicht zu bewegen
waren daran vorüberzugehen, ſo mußten wir durch das
Gerölle des ausgetrockneten Flußes reiten. Nun ging es
ſtundenlange am Meeresſtrande fort, ſo daß die heran-
brauſenden Wogen den Pferdehuf netzten, bis wir bei je-
nem Theil des Libanon anlangten, den wir erſteigen
mußten.
Jetzt ging es bergan auf ſteinernen Treppen, die
menſchlicher Fleiß als Schutz gegen die verwüſtenden
Hochgewitter gebaut. Dieß war das erſte Zeichen, daß wir
im Gebiete der betriebſamen Maroniten waren, wovon
uns bald auch das erſte Kirchlein mit Kreuz und Glocke
überzeugte. Wie wohlthuend war dieſer Anblick!
Um 9 Uhr Morgens machten wir bei einem Khan
Halt, um etwas zu raſten. In einer freiſtehenden Hütte
wurden Strohmatten aufgebreitet, auf welche wir uns
niederließen, um den gereichten Imbiß von Trauben, Käs
und Brod zu verzehren. Der Kawaß Ali, ein braver
Türke, nahm von allem ihm Dargebotenen, nur Wein
nicht. – Von unſerer Sieſta aus bot ſich eine entzückende
Ausſicht. Im fernen Dunſtkreiſe lag Beirut und das un-
ermeßliche Meer; uns nahe eine zahlloſe Menge von Ort-
ſchaften, die die Abhänge des Libanon ſchmücken. Wohin
das Auge reichte, ſah man dieſe weißen Flecken auf wal-
digen Hügeln, überall ein Kirchlein oder ein Kloſter dabei.
Jedes Fleckchen Erde iſt benützt, oder durch terraſſenför-
mig gebautes Mauerwerk künſtlich zuſammengehalten. Da
grünen die Maulbeerbäume und die Weinreben ſchlingen
ſich haushoch an den Wänden und Bäumen empor; Korn-
felder wechſeln mit Weingärten, und in tiefgehöhlten Fur-
179
chen rieſelt die kunſtvoll hieher geleitete Quelle. Das iſt
das Werk der katholiſchen Maroniten. Während in den
übrigen Theilen Syriens das beſte Erdreich brach liegt,
erſcheint der von den Chriſten bewohnte Theil des Liba-
non wie ein Garten im Rieſengeſchmacke.
Die Maroniten ſind eine der intereſſanteſten Na-
tionen der Erde. Einige halten ſie für Nachkömmlinge der
alten Phönizier, die während der Chriſtenverfolgungen in
die Berge flohen, und dort mit erfinderiſcher Thätigkeit
die vielen Schwierigkeiten überwindend dieſe culturfähi-
gen Strecken nacheinander eroberten. Was die armen
Maroniten unter dem türkiſchen Joche litten, weiß nur
der Himmel; nur Ein Gut, ihre Religion, bewahrten ſie
ſich unverletzt. – Im Mai 1840 empörten ſie ſich gegen
die grauſamen Erpreſſungen Ibrahim Paſcha's, ſchlugen
deſſen Soldaten auf ihren Bergen, worauf ihr grauſamer
Emir Beſchir, der Mehemed Ali's Freund war, abgeſetzt
wurde. Zum Ende des Krieges trug viel das Erſcheinen
der vereinigten Flotten der Türken, Engländer und Öſter-
reicher bei, daher die Blicke der Maroniten unabläſſig
nach Weſten gerichtet ſind. Frankreich weiß dieß recht gut
zu benützen. Seine Miſſionäre ſind im Libanon ſehr rüh-
rig, und wer den Libanon hat, dem gehört Syrien.
Die Maroniten haben ihren eigenen Ritus, ſind
aber mit Rom unirt, und hängen mit kindlicher Anhäng-
lichkeit an dem heiligen Vater. Sie gelten als Muſter der
Rechtſchaffenheit, Einfachheit, Mäßigkeit, Arbeitſamkeit
und Sittlichkeit, theilweiſe trifft man bei ihnen wahrhaft
patriarchaliſche Einrichtungen und Gebräuche. Sie ſind
ſehr fromm, und haben hohe Achtung vor ihren Prieſtern,
denen die einmalige Ehe erlaubt iſt. Nur die Mönche,
welche nach der Regel des h. Antonius ein ſtrenges Leben
12
180
führen, ſind ehelos; ſie bebauen eigenhändig den Boden,
und der Fleiß ihrer Hände insbeſondere hat die nackten
Felſentrümmer zu Gärten und Fruchtfeldern umgeſchaf-
fen. Die Klöſter, deren es 67 männliche und 15 weibliche
gibt, ſind nicht reich, aber ſie haben das Nöthige, um in
dieſer Gebirgseinſamkeit ein beſchauliches Leben zu füh-
ren. – Auch die Weltgeiſtlichen ſind eher arm als reich
zu nennen, und ihr Leben iſt das eines fleißigen Land-
bauers; ſie beſorgen ihr Vieh, hegen die Seidenwürmer,
bauen mit ihren Händen die Mauern der Terraſſen, ha-
cken, ſäen, ernten und tragen die Kinder herum. Da iſt's
wohl nicht zu wundern, wenn die theologiſche Bildung
Manches zu wünſchen übrig läßt. Nach dem Willen ihres
Biſchofs ſollten ſie wohl täglich eine Stunde ſtudieren,
aber ſie kommen ſelten dazu, weil die Stube meiſtens vom
Kinderſegen ſtrotzt. – Der Klerus iſt verhältnißmäßig
zahlreich für eine halbe Million Seelen. Unter dem Pa-
triarchen von Antiochien ſtehen 9 Biſchöfe, 356Pfarreien
und 1200 Kirchen. Das Ausſehen der maronitiſchen Prie-
ſter iſt im Ganzen ehrwürdig, obwohl ſie außer dem
blauen abgerundeten Turban kein beſonderes Kennzeichen
haben.
Ihre Regierungsform iſt faſt theokratiſch. Alle Ma-
roniten ſtehen unter einem Emir, der in einem jeden Orte
eine Art Lehensherrn (Scheick) hat, welcher die Gerech-
tigkeit verwaltet. Man kann von ihm an den Emir und
ſeinen Rath appelliren; zuletzt entſcheidet der maronitiſche
Patriarch. Dieſer Rath als oberſtes Juſtiztribunal ver-
ſammelt ſich wöchentlich einmal, und iſt nebſt dem Dele-
girten des Emir aus 2 Maroniten, 2 Griechen, 2 Schis-
matikern, 2 Druſen, 1 Türken und 1 Metualis zuſam-
mengeſetzt. – Dieſes Volk iſt ein Beweis von der mora-
181
liſchen Erziehungskraft des Chriſtenthums; es lebt aus
dem Glauben und iſt glücklich dabei, obwohl oder vielleicht
weil ihm die ſogenannte Aufklärung mangelt.
Doch – wir haben genug in der Hütte geraſtet.
Vorwärts!– Wir ſtiegen einen bedeutenden Theil des Ber-
ges auf den ausgehöhlten Felſentreppen hinan, da war
mir, als ob mein arabiſcher Sattel wanke, hielt es aber
für eine Täuſchung; indeß mein arabiſcher Braun kannte
das Ding beſſer, denn plötzlich fing er zu ſchütteln und
ſpringen an, ſo daß ſich der Sattel vollends unter mir
drehte, und ich am Boden lag. Fatale Situation! Doch
gewitzigt durch die Erfahrungen von Bruſſa ließ ich dieß-
mal die Zügel nicht los, ſondern hielt ſie krampfhaft in
der Fauſt, wiewohl das Pferd mit ſeinen Hufen grauſam
auf mir herumtrat. Ich raffte mich ſo ſchnell als möglich
von dem harten Lager auf, ſpürte wohl etwas Schmerz
in den Fußgelenken, ließ es aber nicht merken. Der Ka-
waß ordnete indeß meinen Sattel, und ſo kamen wir Mit-
tags glücklich nach der erſten Station Bekfaja, einem net-
ten Maronitendorf, wo wir den ganzen Tag verblieben.
Während unſer Dragoman beſchäftigt war die zwei
Zelte in der Nähe des Dorfes unter dem Schatten von
Feigenbäumen aufzuſchlagen, ging ich zu der nahen Quelle,
weil der rechte Fuß in Folge des Falles empfindlich
ſchmerzte. Zu meiner Überraſchung entdeckte ich nebſt
mehreren Beulen ober dem Knöchel eine offene Wunde,
die durch das Reiten ſtark angeſchwollen und entzündet
war. Das kalte Waſſer mit Arnica vermiſcht linderte den
-
182
Schmerz, und mit einem Stückchen Leinwand, das ich in
einem nahen Hauſe um zwei Piaſter gekauft hatte, ver-
band ich die Wunde. Hinkend folgte ich den Collegen zur
Kirche des nahen Jeſuitenconventes, wo ich Gott dankte,
daß der Sturz vom Pferde nicht ſchlimmer ausgefallen.
Dieſe große und hübſche Kirche zu Unſerer lieben
Frau (Notre Dame Liberatrice) wurde in dieſem
Jahre erſt fertig. Der greiſe Nachfolger Emir Beſchirs
Emir Haidar, der in der Nähe reſidirt, ließ ſie bauen
und übergab ſie den Jeſuiten mit den Worten: „Ich
altere, ich will unter dem Schutze der Saidat Ennejah (Ma-
ria) den Reſt meiner Tage zubringen und mich heiligen“.
– Neben der Kirche befindet ſich der unanſehnliche Con-
vent, in welchem drei franzöſiſche Patres wohnen. Vor
demſelben war die Schuljugend aufgeſtellt und begrüßte
P. Riccadonna mit einem luſtigen arabiſchen Bewillkom-
mungsliede, deſſen Text letzterer ſelbſt gedichtet hatte; die
Knaben hatten ſtarke ſonore Stimmen, und defilirten – vom
Schulmeiſter angeführt ſingend an uns vorüber. – Auf
Zureden des P. Riccadonna begaben wir uns in das ſehr
beſcheidene Refectorium des Conventes, und nahmen dort
die von unſerm Dragoman bereitete Collation, denn die
Jeſuiten leben hier in ſehr ärmlichen Verhältniſſen.
Inzwiſchen hatten wir zum Maroniten-Emir Hai-
dar, an den wir vom Generalconſul Baron v. Gödl ein
Empfehlungsſchreiben hatten, geſchickt und um eine Au-
dienz gebeten. Unſer Kawaß kam bald mit einem Bedien-
ſteten des Emir zurück und brachte die Nachricht, daß den
Emir unſer Beſuch freuen und ehren werde, und zwar
möchten wir ſogleich kommen. Wir erſuchten nun den P.
Riccadonna und den Vorſteher des Jeſuitenconventes uns
als Dolmetſcher zu begleiten, was ſie bereitwilligſt zuſagten,
183
Der Palaſt des Emir war beiläuſig eine Viertel-
ſtunde entfernt. Wir gingen zu Fuß dahin. Das aus
Stein neugebaute Wohnhaus des Emir ſah zwar nicht
gerade großartig und fürſtlich aus, aber es unterſchied
ſich durch Größe und Solidität von allen übrigen Häu-
ſern. Wir ſtiegen über eine ſteinerne Treppe und kamen
in eine ſchön gepflaſterte Vorhalle, wo eine mit Blumen
umſtellte Fontaine ſich befand. Ringsum ſtand bewaffnete
Dienerſchaft. Nach kurzer Friſt traten die jungen Prinzen
(Enkeln des Emir)ein und grüßten ſo freundlich, als ob ſie
uns ſchon lange gekannt hätten; ſie ſahen ſehr munter
und friſch aus, und die Geſundheit und Unſchuld lachte
auf ihren roſigen Wangen. Ihre natürliche Schönheit
wurde durch die kleidſame Tracht noch gehoben; ſie tru-
gen weiße weite Beinkleider, rothe enganſchließende Jacken
und einen rothen Feß, der ihnen allerliebſt ſtand. Der
Erbprinz mochte 15 Jahre zählen, hatte einen ganz klei-
nen Schnurrbart, und ſprach etwas franzöſiſch. Der
kleinſte von den Prinzen war 4–5 Jahre alt.
Mit Zutraulichkeit führten ſie uns in das anſtoſ-
ſende Zimmer, in welchem die fürſtliche Familie ſich be-
fand. Das Zimmer war nicht groß, und hatte keine an-
dere Einrichtung als an den Wänden herumlaufende nie-
drige Divans. Links vom Eingange ſaß die alte Fürſtin,
eine gutmüthige Frau von beiläuſig 60 Jahren, dann ihre
Tochter, die junge Fürſtin, eine freundliche Frau mit
zahlloſen Goldmünzen am Halſe, in den Haaren und an
den Kleidern. Als Geſellſchafterinnen waren zwei Damen
zugegen, eine junge Doctorswitwe aus Florenz und eine
junge Franzöſin.
Auf der gegenüberliegenden Seite ſaß der alte
Emir Haidar, eine ehrwürdige Perſönlichkeit mit dem
184
Bewußtſein der fürſtlichen Stellung, aber dabei ſchlicht
und einfach, in Worten präcis und lebendig. Er war frü-
her Druſe geweſen, und hatte ſich erſt zum Chriſtenthume
bekehrt, dem er jetzt mit wahrer Frömmigkeit zugethan iſt.
– An ſeiner Seite ſaß P. Riccadonna, auf der Frauen-
ſeite der andere Pater als zweiter Dolmetſch. Den inzwi-
ſchen liegenden Divansraum nahmen wir fünf Pilger ein,
ſo daß nur eine Seite gegen die Thüre hin frei blieb.
Wir wurden freundlichſt begrüßt, und der Emir
hatte eine große Freude als er hörte, daß drei von uns
katholiſche Prieſter ſeien. Unſer Anzug war freilich nicht
prieſterlich, aber an dem ſtießen ſich die guten Leute nicht
im Mindeſten. Wir ſaßen auf den niedrigen Divans mit
unterſchlagenen Beinen, ſo gut es eben ging, indeß un-
verſchleierte meiſtens ältere Dienerinen Waſſer zum Hän-
dewaſchen brachten, darnach Tſchipuk, Cafè und Liqueur.
Nach einem jeden Imbiß reichte eine Mohrin, deren große
edle Geſtalt mir auffiel, ein feines goldgeſticktes weißes
Tuch herum, um ſich den Mund damit abzutrocknen. So
oft die Dienerinen etwas credenzten, legten ſie eine
Hand auf das Herz. Die Converſation wurde mittelſt der
beiden Dolmetſcher ziemlich lebhaft geführt, Collega Hu-
binger converſirte mit den beiden europäiſchen Damen
franzöſiſch. Die orientaliſchen Fürſtinen muſterten mit
Neugierde – ich weiß nicht unſere Perſon oder unſere
Kleidung; als ich unverſehens meinen noch ſchüchternen
Knebelbart ſtrich, machte es mir die alte Fürſtin nach,
und lachte herzlich, als ich ihren Witz bemerkte.
Nach einiger Zeit wurde in der Mitte des Zimmers
ein rundes Tiſchchen, vielleicht anderthalb Fuß im Durch-
meſſer und in der Höhe aufgeſtellt und uns bedeutet uns
rings um dasſelbe zu ſetzen, wobei die Dienerinen halfen,
185
indem ſie Pölſter unterſchoben. Der dicke Caſella kam mit
ſeinen zu kreuzenden Beinen gar nicht übereinander und
fiel faſt vom Polſter herab, was ſelbſt die ſonſt ernſten
Dienerinen lachen machte. Nun wurde auf dem kleinen
Tiſchchen eine delikate Auswahl von Süßigkeiten, die eben
erſt aus Damasens angekommen waren, in der Runde
ſervirt, wobei kleine ſilberne Gabeln und Löffelchen zu
Dienſten ſtanden. Es waren allerhand Confituren, Einge-
ſottenes, Feigen, Granatäpfel, Trauben, Nüſſe, dann Co-
cusmilch, Ambrawaſſer, Liqueur und nochmals Cafè. Die
Damen naſchten wohlgefällig mit, ließen aber den Nargi-
leh nicht von ihrer Seite, aus dem ſie mit Anſtand um die
Wette rauchten.
Dann machten wir uns auf und gingen in die
Hauskapelle, wo wir kurze Zeit beteten (der maronitiſche
Hausgeiſtliche war nicht zugegen). Der Erbprinz zeigte mir
ein Bild des h. Antonius, und äußerte große Freude als
ich ihm ſagte, daß ich denſelben Taufnamen trage wie er.
Sofort führte man uns in den Garten, wo künſtlich und
geſchmackvoll angelegte Blumenbeete ſich befanden, von
denen wir etliche Blumen als Andenken mitnahmen. Es
war auch ein kleines Baſſin darin, und der ältere Prinz
ließ den Springbrunnen ſpielen, wobei er uns fragend
anſah, ob wir doch ſo etwas ſchon geſehen hätten?
Aus allen Reden der Familie ſprach naive Heiter-
keit und patriarchaliſche Einfachheit. Obwohl wir höch-
ſtens eine Stunde im Hauſe verweilten, waren wir doch
alle untereinander bekannt, und der Fürſt that uns die
Ehre an uns zur Abendtafel zu laden. Wir nahmen die
Einladung mit Dank an und empfahlen uns. Beim Weg-
gehen ſahen wir den Schwiegerſohn des Fürſten, einen
186
ſtarken Mann in beſten Jahren mit einem wohlwollenden
Äußeren, der eben aus der ämtlichen Sitzung kam.
Wir gingen in unſere Zelte und ſchliefen bis Son-
nenuntergang.
Um acht Uhr Abends kam ein Bedienſteter des Für-
ſten und holte uns und die zwei Jeſuitenprieſter zum
Speiſen. Der Empfang war derſelbe wie früher. Nach
einiger Zeit gingen wir aus dem bekannten Zimmer in
den eigens zubereiteten Speiſeſaal, der ſich gleich in der
Nähe befand. War ſchon die Ehre groß, daß wir des Für-
ſten Gäſte waren (viele Reiſende, beſonders Engländer
hatten dieſe Ehre mißbraucht, daher war ſie ſelten), ſo
war die Aufmerkſamkeit noch größer, daß die Tafel nach
fränkiſcher Manier gedeckt war. Den Damen ſchienen
aber die Seſſel gar nicht bequem zu ſein, und auch uns
wäre ein echt orientaliſches Diner lieber geweſen. Obenan
ſaß der Fürſt mit den Damen, mein Nachbar war des
Fürſten Schwiegerſohn, die kleinen Prinzen durften nicht
mitſpeiſen.
Nun begann das Diner. Aber wo und wie anfan-
gen? denn der Tiſch war mit einer Maſſe Speiſen be-
ſetzt. Die mit dem Hausbrauch und den Ortsſitten beſſer
vertrauten Jeſuiten brachten bald Leben in die neue Ord-
nung, nahmen eine Schüſſel nach der andern, tranſchirten
wo es nöthig war, und ließen die Speiſen in der Runde
herumgehen. Es mochten bei vierzig Gerichte ſein, die
von den Dienerinen ſervirt wurden, ſo daß wir uns ver-
wunderten, wie im Verlauf etlicher Stunden ein ſo um-
faſſendes Diner fertig werden konnte. Die Speiſen waren
gut gekocht, wenn auch einige für den europäiſirten Gau-
men minder genießbar waren. Das Brod war ſo dünn
wie Papier, und erhielt ein jeder davon eine ſerviettenar-
187
tig gefaltete Platte. Der Wein war vortrefflich. Alle wa-
ren ſehr heiter, und es fehlte nicht an Toaſten, die jeder-
zeit nach einer kurzen Pauſe mit paſſenden Worten erwie-
dert WUrden.
Nach zwei vergnügten Stunden gingen wir in den
Empfangsſalon zurück, wo auch die Prinzen ſich wieder
einfanden, ſelbſt der kleinſte, obwohl er bald im Schooße
ſeiner Mutter einſchlummerte. Die Etikette erlaubte noch
nicht fortzugehen, und ſo ſaßen wir ſchmauchend und
plaudernd bis gegen Mitternacht beieinander. Natürlich
wurde auch über unſere Pilgerreiſe geſprochen, und die
ganze Familie pries uns glücklich darüber. – Die Con-
verſation gewann noch durch den Beſuch eines vornehmen
Druſen, der erſt vor zehn Jahren nicht ohne Mitwirkung
des Emir Haidar Chriſt geworden war, und Muſſa hieß,
eine wahrhaft herkuliſche Geſtalt.
Während wir ſo ſprachen, hörte man draußen mu-
ſikaliſche Töne nebſt Geſang, wahrſcheinlich uns zu Ehren.
Ich konnte daraus nicht recht klug werden, und bat das
Inſtrument ſehen zu dürfen. Man brachte mir eine ver-
ſtimmte Violine. Ich ſtimmte ſie, und wurde nun dringend
gebeten etwas darauf zu ſpielen. Beim Apollo! das war
eine fatale Zumuthung, denn ich hatte ſeit meiner Jugend
dieſe edle Kunſt nicht mehr betrieben, und es über-
haupt darin nie weit gebracht. Indeß was war zu thuu?
Ich ſtrich mit dem Bogen über die Saiten und ließ eine
mir erinnerliche Lieblingsmelodie ertönen, ſo gut und ſo
ſchlecht es in meiner kauernden Attitüde thunlich war. So
wohlfeil hat gewiß noch niemand Lob geerntet, als ich da-
mals mit meiner Production auf dem Libanon.
Endlich brachen wir auf. Der Fürſt dankte uns für
den Beſuch, ſagte uns eine Ehrenwache zu, die uns auf
188
unſerer Expedition ſo lange begleiten ſolle als es uns
beliebe, und äußerte ſchließlich, daß der heutige Tag für
ſein Haus ein Segen geweſen ſei. Die Frauen küßten uns
Prieſtern die Hände, empfahlen ſich unſerm Gebete in
Jeruſalem, und baten die Kinder zu ſegnen. Der älteſte
Prinz begleitete uns noch bis zur Stiege, und ſo nahmen
wir gerührten Abſchied von der liebenswürdigen Familie
des maronitiſchen Fürſten.
Bei wunderſchöner Sternenbeleuchtung kehrten wir
in der glücklichſten Stimmung von der Welt zu unſeren
Zelten zurück. Wir hatten aber kaum die Hälfte des We-
ges zurückgelegt, als uns ein Mann nachgerannt kam.
Wir hatten nämlich dem Thürſteher beim Weggehen eine
Goldmünze gegeben; allein der Emir geſtattete nicht, daß
ſeine Leute derlei Geſchenke annehmen, und ſo brachte
derſelbe Mann die Goldmünze zurück. Wir ſchenkten ſie
den Jeſuiten für die Armen des Ortes, trennten uns von
ihnen, und gingen ſchlafen. – In dem einen Zelte ſchlie-
fen Mayr und Caſella, in dem anderen wir drei Geiſtli-
chen. Um die Zelte herum campirten die Pferde und un-
ſere Leute, der Kawaß Ali unmittelbar vor dem Eingang
zu dem Zelte, gleichſam wie eine Schildwache. – Die
Nacht war kalt und ich ſchlief gut, aber viel zu kurz.
Schon um 4 Uhr früh wurden wir zum Aufbruch
geweckt, es dauerte aber lange, bis wir uns ermunterten
und aufſtanden. Der Dragoman hatte indeß die Waſchap-
parate (o Luxus auf einer Gebirgsexpedition!) hergerich-
tet, und war beſchäftigt das Frühſtück zu bereiten: Café,
Milch, kaltes Waſſer; das letzte war das beſte.
189
Bis unſer Lager abgebrochen und aufgepackt war,
betete ich in einem Garten von Maulbeerbäumen das
Brevier, und beſuchte dann die nahegelegene Maroniten-
kirche. Dieſe ſind in der Regel klein, von Stein gebaut,
mit plattem Dache und einem kreuzgeſchmückten Thürm-
chen, worin ſich eine Glocke befindet. Die innere Einrich-
tung iſt einfach; der Altar wie bei uns Katholiken; unter
den vielen Bildern waren einige gute. – Als ich eintrat,
war eben Meſſe, und einige Leute knieten andächtig auf
dem ſteinernen Boden mit ineinander geſchlungenen Ar-
men; die Frauen befanden ſich hinter einem Gitter. Der
Geiſtliche las die Meſſe in der altſyriſchen Sprache, Epi-
ſtel und Evangelium aber arabiſch, alſo in der Umgangs-
ſprache. Der Ritus iſt von dem lateiniſchen ziemlich ver-
ſchieden, beſonders in Reſponſorien. Bei einer jeden
Meſſe finden Räucherungen ſtatt. Rom indulgirte in die-
ſer Disciplinarſache viel, um die Maroniten in der katho-
liſchen Einheit zu erhalten. Dafür hängen aber auch alle
mit kindlicher Liebe an Rom, und die proteſtantiſchen
Miſſionäre im Libanon beklagen ſich, daß eher die Dru-
ſen als die Maroniten zu ihrem Evangelium bekehrt wer-
den könnten. Nach der Meſſe zog der ehrwürdige Geiſt-
liche an den Stufen des Altares die liturgiſchen Kleider
aus, kniete ſich nieder, und betete lange Zeit ſtill.
Um halb ſechs Uhr machten wir uns auf den Weg
und ritten weiter. Anfangs ging es längs den Häuſern
des Dorfes auf ziemlich guten Wegen voran. Die Leute
grüßten. Dann wurden die Wege merklich ſteiler. Manch-
mal kamen wir noch zu mühſam angelegten Feldern und
Gärten, aber dieſe wurden immer ſeltener, die Wege
ſtets ſteiniger, ſo daß die Pferde wie Ziegen klettern
mußten; immer aber behielt die Gegend das Gepräge des
190
Großartigen. Coloſſale Felſentrümmer thürmten ſich
übereinander wie verſteinerte Wogen, und jähe Abgründe
gähnten aus den unzugänglichen Thälern, die mit locke-
rem Gerölle bedeckt ſind. Dabei war der Pfad für die
Pferde ſo ſchmal wie ein Fußſteig, ſo daß wir hinter-
einander reiten mußten. Man ſagt, daß die Maroniten
dieſe Wege abſichtlich nicht verbeſſern, damit ſie vor feind-
lichen Überfällen deſto ſicherer ſind.
Um 9 Uhr früh kamen wir zu einem kleinen Dörf-
chen mit einer Kirche der h. Thekla. Im Schatten eines
großen Baumes ließen wir uns nieder, um uns durch
einen Imbiß zu ſtärken. Da ſprengte im Galopp ein be-
waffneter Reiter einher, der ſich uns mit vielen Grüßen
von Seite des Emir präſentirte und ſagte, er habe den
Auftrag uns überall, wohin wir wollten, zu begleiten. Auf
unſere Frage, warum er ſo ſpät gekommen ſei? gab er
zur Antwort, daß ein Anderer als er beauftragt geweſen
ſei uns zu begleiten; weil jedoch dieſer ſich nicht zur rech-
ten Zeit bei unſern Zelten eingefunden und der Emir das
erfahren habe, ſo ſei jener augenblicklich aus ſeinem
Dienſte entlaſſen worden. Uns freute natürlich dieſe große
Aufmerkſamkeit, deren uns der greiſe Emir würdigte, doch
beſchloßen wir dem ſeiner Zeit zurückkehrenden jetzigen
Begleiter einen Brief an den Emir mitzugeben, um darin
die Wiederaufnahme des aus dem Dienſt Entlaſſenen zu
erbitten.
Nach kurzer Raſt ging es wieder aufwärts, bis
endlich die bebauten Felder ganz aufhörten und wir auf
unwirthlichem Steingerölle uns fortbewegten. Eine Anhöhe
war nach der andern zu überwinden, und noch immer
ſah man nicht den höchſten Gipfel des Libanon. – Gegen
Mittag hielten wir bei einer elenden Hütte an in der Nähe
191
einer ſpärlich fließenden Quelle, und verzehrten mit ge-
ſegnetem Appetit die dargebotene Collation. – Die Ve-
getation war hier merkwürdig. Ungeheure Gebüſche von
Alpenroſen erhoben ſich aus den Steinen, und kleine Nel-
kenſträuche nebſt Farrenkräutern ſchmückten den bräunli-
chen Boden.
Nach etlichen Stunden durch wahre Felſenlaby-
rinthe, erreichten wir die höchſte Spitze des Libanon, die
wir zu überſchreiten hatten; ſie mochte bei 8000 haben.
Die Luft war durch den wehenden Wind etwas gemäßigt
und mit Seelenjubel ſtiegen wir vom Pferde, um etwas
auszuruhen. Welch ein Plätzchen wäre auch einladender
dazu, als der Scheitel des in der h. Schrift ſo oft beſun-
genen Libanon! – Die Ausſicht war wunderbar überra-
ſchend. Tief zu unſern Füſſen breitete ſich die fruchtbare
Ebene von Cöleſyrien aus, und uns gegenüber ſtreckte ſich
der reichgefärbte Antilibanon, ſo daß das breite von
einem Fluß durchſchlängelte Thal von dieſen zwei parallel
laufenden Bergen begränzt iſt. Auf den Anhöhen lag hie
und da noch Schnee. Indeß nimmt ſich der Antilibanon
nicht ſo idylliſch aus wie der Libanon; man ſieht auf ihm
keine bebauten Stellen, keine Dörfer, ſondern nur kleine
ſchwarze Geſträuche, und röthlichgelbe Kalkfelſen. – Das
Plateau, auf dem wir ſtanden, war unbedeutend und nach
beiden Seiten abſchüſſig.
Nun begann die Tour abwärts durch etwa drei
Stunden. Die Wege waren manchmal ſo geröllig, daß die
Meiſten abſtiegen und das Pferd am Zaume führten. Ein-
mal begegneten wir bewaffneten Maulthiertreibern, die
ſehr unheimlich ausſahen; aber ſie ließen uns ruhig wei-
ter ziehen. Wo eine Waſſerquelle ſich fand, wurde Station
gemacht. Welch ein Schatz iſt ſo eine Quelle in dieſer un-
192
wirthlichen Gegend, beſonders für die vielen hier im
Freien campirenden Hirten, die zu beſtimmten Stunden
ihre Heerden an der Quelle tränken! Und welch ein Lab-
ſel iſt ein kalter Trunk Waſſers für den Reiſenden! Ich
glaubte aus meinem Lederbecher Nectar zu ſchlürfen. –
Die öſtliche Seite des Libanon contraſtirt ſehr gegen die
Weſtſeite; ſie iſt kahl, unfruchtbar und unbewohnt, nir-
gends iſt eine Cultur des Bodens ſichtbar; erſt am Fuße
des Berges, wo Zahleh liegt, beginnt wieder die Vege-
tation und ſieht man Früchte des menſchlichen Fleißes.
Es mochte 5 Uhr Abends ſein, als wir uns Zahleh
näherten, wo unſer wackerer Reiſebegleiter P. Riccadonna
als Superior ſtationirt iſt. Schon von Ferne begrüßten
ihn ſeine Zöglinge mit Geſang, und ein Pater kam entge-
gen geritten. Die Jungen waren ungemein lebhaft und
freudig bewegt, und ſprachen uns ohne Scheu mit fran-
zöſiſchen und italieniſchen Phraſen an.
Zahleh iſt ein bedeutender Ort mit 10.000 Ein-
wohnern, größtentheils Chriſten; ſeine Lage an der
Straſſe nach Damaskus und am Eingang in die berühmte
Ebene von Cöleſyrien iſt ſehr günſtig.
Während unſere Zelte außerhalb des Ortes auf
einem freien erhöhten Platze aufgeſchlagen wurden, gin-
gen wir mit P. Riccadonna in den von ihm errichteten
Jeſuitenconvent, der gegenwärtig aus drei Individuen be-
ſteht. Die mit dem höchſt einfachen Hauſe in Verbindung
ſtehende Kirche zum h. Herzen Jeſu wurde eben gebaut.
– P. Riccadonna hat hier den größten Theil ſeines thä-
tigen Lebenszugebracht und auch mehrere Filialen gegrün-
det z. B. Maalaka. Auch die Schule der kleinen Miſſio-
näre iſt ſeine originelle Erfindung. Da nämlich der Prie-
ſter nur ſelten in die einzelnen zerſtreuten Ortſchaften ge-
193
langt, um dort zu predigen und die Sacramente zu ſpen-
den, ſo unterrichtete er fähige Knaben und Jünglinge in
den chriſtlichen Wahrheiten, und ſchickte ſie an Sonntagen
nach allen Richtungen in der Umgebung aus, um an ſei-
ner Statt dort Chriſtenlehre zu halten. Dieſe Inſtitution
mag dem guten P. Riccadonna viel Mühe und Arbeit ge-
koſtet haben, ſie erwies ſich aber in vieler Hinſicht als
ſehr heilſam. Ich ſprach mehrere dieſer kleinen Miſſio-
näre, eingeborne Jünglinge von 15–20 Jahren, die
ebenſo gewandt im Umgange wie in der Sprache waren.
Sie zeigten mir die Schullocalitäten, bei welcher Gelegen-
heit ich auch die zwei Lehrerinen für Mädchen ſah, welche
ein nonnenartiges Ausſehen hatten, aber ſehr unbefangen
und heiter waren. Ich wünſchte den kleinen Miſſionären
Segen zu ihrem ſchönen Berufe und gab ihnen ein Heili-
genbild als Andenken, worüber ſie große Freude bezeugten.
Minder erfreulich waren die Perſönlichkeiten, die
wir im Jeſuitenconvente trafen, etliche Emigranten aus
Italien im türkiſchen Militärcoſtüm, die hier als Ärzte
fungirten. Dieſe Herren erkundigten ſich angelegentlichſt
um politiſche Neuigkeiten, es wurde mir aber nicht recht
klar was ſie eigentlich wollten und wünſchten, auch war
ich zu erſchöpft, um mir Mühe zu geben ihren ſchnell ge-
ſprochenen italieniſchen Dialect zu verſtehen. Nach der
Ausſage Mayr's ſchimpften ſie ſtark über Öſterreich;
nachdem wir daher die angebotene Erfriſchung genommen
hatten, empfahlen wir uns und gingen zu unſeren Zelten
zurück.
Dort kamen wir eben recht, um einem Conflicte
vorzubeugen. Einige türkiſche Lieferanten zogen im Lande
herum um Pferde für den Kriegsbedarf zu requiriren,
und da ſie auf unſerm Lagerplatz mehrere beiſammen tra-
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 13
“
194
fen, ſo wollten ſie nach türkiſcher Juſtiz etliche kapern.
Unſer Dragoman war in großer Verlegenheit und wußte
ſich nicht zu helfen. Wir ſchickten ſogleich unſern braven
Kawaß Ali mit dem Bujurdu des Paſcha von Beirut zum
Ortsvorſteher, und der Cavalier des maronitiſchen Emir
mußte ihn begleiten. Die Folge davon war, daß uns voll-
kommenſter Schutz zugeſichert wurde, dem aber unſere Be-
gleitungsmannſchaft keinen rechten Glauben zu ſchenken
ſchien, weil ſie die ganze Nacht hindurch abwechſelnd bei
den Zelten Wache hielt, um die verdächtigen Geſichter,
welche unſer Lager umſchlichen, von einem Attentate ab-
zuſchrecken.
Indeß war es Abend geworden, und die Sonne
ging prachtvoll hinter den Bergen unter, den Bergrieſen
Antilibanon mit roſenfärbigem Lichte überziehend. Wir
ließen den Tiſch ins Freie ſtellen, bei dem wir das accor-
dirte und wohlzubereitete pranzo nahmen, im Angeſichte
einer herumſtehenden Schaar von großen und kleinen
Neugierigen. – Die Nacht war empfindlich kalt, der
Schlaf nach einer ſo enormen Anſtrengung feſt.
Am nächſten Morgen (5. Auguſt) beſuchten wir
nochmal den vortrefflichen P. Riccadonna, und nahmen
nach Anhörung der h. Meſſe von ihm Abſchied. Er hätte
uns gerne weiter begleitet, aber die türkiſche Einquartie-
rung machte ſeine Gegenwart nothwendig. Dafür gab er
uns einen jungen Jeſuiten P. Ignazio als Begleiter mit.
Dieſer, ein Maltheſer, war ein vorzügliches Sprachenta-
lent, denn er ſprach nicht nur engliſch, franzöſiſch und
italieniſch, ſondern auch gut arabiſch, obwohl er erſt ein
195
Jahr im Libanon war. P. Ignazio benahm ſich gegen uns
ſehr artig und gefällig, nur Eines konnte ich ihm nicht
verzeihen. Er wollte nämlich dieſe Gelegenheit ſogleich be-
nützen, um eine kranke Frau zu beſuchen. Das war ſehr
löblich, minder jedoch, daß wir ſeinetwegen einen Umweg
von mehr als zwei Stunden machen mußten, ſo daß un-
ſere Packpferde früher ans Ziel kamen als wir, obwohl
ſie eine Stunde nach uns Zahleh verließen. Das war eine
verkehrte Gaſtfreiheit: wir mußten ihm, nicht er uns
dienen.
Noch etwas trug zu einer vorübergehenden Ver-
ſtimmung des Gemüthes bei. Von Zahleh aus führt der
Weg nach Damaskus und zu den Cedern des Libanon,
zwei Weltberühmtheiten, deren wir keine ſahen; denn er-
ſteres war zu entlegen, und der Weg zu den letzteren
wurde uns als ſo halsbrecheriſch und gefährlich geſchil-
dert, daß die älteren Collegen unſerer Karawane auf kei-
nen Fall dazu zu bewegen waren. So brachten alſo Ma-
rinelli und ich unſere Lieblingspläne zum Opfer, und
begnügten uns mit dem projectirten Beſuche der nicht
minder berühmten Ruinen von Balbek.
Es mochte 6 Uhr Morgens ſein, als wir das große
Dorf Zahleh verließen, und abwärts reitend in ein wun-
derliebliches Thal gelangten, durch das ſich ein bedeuten-
der Fluß ſchlängelte, an deſſen Ufern majeſtätiſche Pap-
peln ſtanden, die mit ihrem ſaftigen Grün die Gegend be-
lebten. Hunderte von halbverſchleierten Weibern gingen
auf und zu, auf ihren Schultern antikgeformte Waſſer-
krüge tragend. (Im Libanon trägt man auch die Kinder
rittlings auf den Schultern.) – Als wir die Ebene er-
reichten, ſpornte P. Ignazio ſein Pferd, und hurtig ging
es im Galopp vorwärts, bis wir nach einer halben
13*
196
Stunde an einer Moſchee Halt machten, welche das von
den Türken heilig gehaltene Grab Noe's barg.
Wir ſtiegen ab und gegen ein Bakſchiſch wurden
uns die Thore geöffnet. Was ſahen wir? Einen langen
leeren Saal, durch deſſen Mitte eine lange halbrunde
Wulſt wie eine eingemauerte Waſſerleitung lief. Das ſoll
das Grab Noe's ſein. Ich konnte mir die Echtheit dieſes
Grabmales nicht einreden, wenn es auch gewiß iſt, daß
der ehrwürdige Patriarch in dieſer Gegend lebte und viel-
leicht die erſte Rebe hier pflanzte. An der Moſchee ragen
auch wirklich üppige Weinreben empor, und ein ſpeculati-
ver Italiener ſoll mit dem Gedanken umgehen den hier
wachſenden Libanonwein als vino di Noe (Noewein)
nach Europa zu ſenden, wo er gewiß Anwerth finden
dürfte. Möge es ihm damit beſſer gelingen als mir, der
ich meine Feldflaſche an Ort und Stelle mit ſolchem Ge-
wächſe füllte, in der Abſicht es als Rarität nach Europa
zu transportiren. O Eitelkeit der Eitelkeiten! Schon nach
etlichen Stunden war kein Tropfen mehr darin, weil ich
den koſtbaren Inhalt bei einem heftigen Durſtanfall dem
allgemeinen Beſten opfern mußte. So opfert man in der
Stunde der Bedrängniß oder Verſuchung oft das Liebſte,
ja das Einzige!
Und vorwärts ging es durch die breite Ebene Cö-
leſyriens, und die Hitze ſteigerte ſich zwiſchen den beiden
Bergen bis zur Unerträglichkeit. Es war faſt zum
Verzweifeln vor brennendem Durſt und Erſchöpfung
der Kräfte. Alle Quellen, die wir paſſirten, waren ver-
trocknet, und mit Gier ſogen wir das Pfützenwaſſer ein,
das hie und dazwiſchen Steinen ſich erhielt. Wie dauer-
ten mich die Pferde! Von Früh bis ſpäten Mittag beka-
197
men ſie nicht die mindeſte Labung, und doch gingen die
armen Thiere ſo gutwillig auf den kegelförmigen Wegen.
Einmal machten wir in der Nähe eines Dorfes
Raſt, und zwar im Hofe eines maronitiſchen Pfarrers.
Der gute alte Herr fühlte ſich geehrt durch dieſen Beſuch
und bot uns Alles an was er hatte: Brod, Wein, Eier,
Milch, Gurken, Brantwein, – wir aßen und tranken
alles durcheinander, denn wir waren hungrig und dur-
ſtig. – Auffallend war mir die hieſige Art und Weiſe zu
trinken. Ein irdener Krug mit langer Schnauze ging von
Hand zu Hand, und jeder goß daraus in den halb offenen
Mund, ſo daß keiner den Krug mit den Lippen berührte.
– Neben dem ärmlichen Zimmer war die Schule, in wel-
cher die Kinder einen hölliſchen Lärm machten. Wir gaben dem
Hausherrn ein entſprechendes Almoſen und ritten weiter.
Der Weg durch die Ebene wurde monoton. Wir
kamen an unzähligen Feldern vorüber, auf denen theils
Getreide aufgeſchichtet war, theils gedroſchen wurde;
letzteres geſchah, indem von Pferden ein Brett im Kreiſe
herumgezogen wurde, das dadurch ſchwerer ward, daß der
Pferdelenker darauf ſtand. In der Mitte des Thales, wo
ein Fluß oder Sumpf zu ſein ſchien, zeigten ſich große
Vögel, auf welche Marinelli und der Kawaß Ali Jagd
machten, jedoch ſtets vergebens, denn jene flogen immer
zu früh davon.
Endlich nach unſäglichen Strapazen von acht Stun-
den hatten wir die letzte kahle Anhöhe erſtiegen, und in
der Ferne zeigte ſich am Fuße des Antilibanon ein Hügel
von Architectur: es waren die erſehnten Ruinen von
Balbek. Der erſte Anblick wollte mich nicht befriedigen,
denn ich hatte mir ſehr großartige Vorſtellungen gemacht;
allein je näher wir kamen, deſto mehr ſtieg meine Bewunde-
198
rung. Da lag er vor uns der großartige Sonnentempel,
das alte Heliopolis! Wohl iſt es nur ein prächtiger
Trümmerhaufen, an dem das Auge ſich traurig weidet,
aber es iſt zugleich ein Rieſenkunſtwerk des Alterthums,
von dem man ſich keine Vorſtellung machen kann.
Bevor wir zu den Ruinen kamen, fiel uns ein gro-
ßer Steinbruch auf, in welchem ungeheuere Blöcke lagen,
die theilweiſe die Spuren des Meißels trugen, und viel-
leicht ſchon ſeit anderthalb tauſend Jahren auf Beförde-
rung warten. Ein Koloß aus Einem Stücke lag in der
Tiefe und man begreift nicht, mit welchem Hebel dieſe
enorme Laſt fortgeſchleppt werden konnte. Von hier wur-
den die prachtvollen Säulen zu dem alten Sonnentempel
genommen.
In der unmittelbaren Nähe der Ruinen rieſelte ein
Bächlein, in welchem ſich – wie wir ſpäter erfuhren, –
viele Blutegel befanden; wir tranken daraus nach Her-
zensluſt. Unſer Dragoman, der uns, wie ich ſchon oben
erwähnte, mit den Packpferden vorausgekommen war,
hatte im Schatten der gewaltigen Mauern die Zelte auf-
geſchlagen, und die Collation bereitet. Wir waren aber
Alle ſo ermattet, daß wir nichts genoßen, ſondern uns
niederlegten um einige Stunden auszuruhen.
Um 5 Uhr Abends machten wir uns auf, die groß-
artigen und weitläufigen Tempelruinen zu beſuchen,
welche einſt dem Dienſte des Baal Schamaim (Herr der
Himmels-Sonne) geweiht waren. Zunächſt fielen uns die
grandioſen Steinmauern auf, deren einzelne wohlbehaue-
nen Blöcke ohne Kitt aufeinander gefügt ſind bis zu einer
ſchwindelnden Höhe. Über rieſenhafte in mehrere Stücke ge-
brochene Säulen kamen wir zum Eingang in den Tempel.
Eine Façade von korinthiſchen Säulen, 70 hoch, ſchmückte
199
einſt denſelben, von denen nur mehr ſechs aufrecht ſtehen
und vollkommen gut erhalten ſind; die übrigen haben ſich
beim letzten Erdbeben an die Nachbarſäulen gelehnt, oder
ſind hinausgeſtürzt und in gewaltige Stücke zerbrochen, ſo
daß ein wahres Chaos von Marmorgerölle in allen For-
men haufenweiſe übereinander liegt. Man betrachtet, be-
wundert, beklagt!
Mit einer wehmüthigen Stimmung betrat ich die
Ruinen des einſtigen Heiligthums. Nach der Erzählung
der alten Geſchichtſchreiber wurde in demſelben abſcheu-
licher Götzendienſt getrieben, bis Kaiſer Conſtantin dieſen
Tempel zerſtörte (335) und einen chriſtlichen Biſchof ein-
ſetzte. Seitdem erhoben ſich die Tempeltrümmer nie mehr
aus ihrem Schutte, und die traurige Einſamkeit der
Ebene, die Öde des nahen Gebirges, das Düſtere der
Stadt ſinnbilden gleichſam die unheimliche Schwüle, die
ſich über dieſem mit Abſcheulichkeiten aller Art beſchmutz-
ten Ort gelagert hat. Und wer hat dieſen gottloſen Götzen-
dienſt geſtürzt? Das Chriſtenthum. Dieſes brachte die
Menſchen dahin die Tugend zu ehren, denn früher hatte
man dem Laſter Tempel gebaut. Wahrlich, dieß allein
ſchon beweist ſeine Göttlichkeit.
Mit ſolchen Gedanken ſtieg oder kletterte ich viel-
mehr über die im Sonnenglanze ſchimmernden Blöcke, de-
ren manche eine Klafter im Durchmeſſer hatten, und trat
in einen herrlichen faſt vollſtändig, erhaltenen Schatten-
gang. An der hohen Decke desſelben befanden ſich feine
Arabesken, und Porträtköpfe guckten aus den netzförmig
geſtrickten Ornamenten herab. Mir kam das Ganze etwas
überladen vor. Ermüdet vom Schauen nach oben, betrachtete
ich die auf dem Boden liegenden und feingearbeiteten
Geſimſe.
200
Nun kamen wir zu dem eigentlichen Tempel. Vor
dem Portale blieb ich unwillkührlich ſtehen, denn der
Schlußſtein des Gewölbes hatte ſich ſeit dem letzten Erdbe-
ben wie ein Zwickel zwiſchen zwei gleich coloſſalen Neben-
ſteinen eingeklemmt, ſo daß er nur wenig noch an den Rän-
dern feſtgehalten wird, und man meint, er müſſe jeden Au-
genblick herunterfallen. – Das Innere des Tempels erin-
nert durch nichts an ſeine einſtige Größe und Herrlich-
keit. Die Wände ſind abgekratzt und mit Namen und Ver-
ſen in allen Sprachen vollbeſchmiert, einige Niſchen,
Halbſäulen und Giebeln ſind der ganze Zierrath, über
welchem ſich der freie Himmel wölbt. – Rings um das
Heiligthum mochten einſt Paläſte geſtanden ſein, unter de-
ren Schutt vielleicht ſo manche Schätze noch verborgen
liegen. Wir verweilten einige Zeit auf dem Plateau der
Ruinen und betrachteten den Sonnenuntergang. Die Sa-
razenen haben die Tempelreſte zu einer Feſtung benützt,
und maſſive Thürme mit Schießſcharten dazu gebaut.
Als wir durch einen dunklen unterirdiſchen Gang
abwärts geſtiegen waren zu dem Bache, der die Tempel-
burg umfließt, bemerkten wir, daß der Pilgerpapa Mayr
fehle; er hatte ſich auf dem Plateau verſpätet und den
unterirdiſchen Gang nicht gefunden. Weil die weitläufi-
gen Ruinen als unſicher verſchrieen ſind, ſo war Mayr
einige Minuten in nicht geringer Angſt und Verlegenheit.
Wir ſchickten ſogleich den braven Ali zurück, der ihn fand
und wohlbehalten zu uns herabbrachte.
Jetzt umgingen wir die Ruinen auf der anderen
Seite, und kamen zu den ſtaunenswerthen Steingrößen,
welche den Unterbau des Tempels bilden, wahre Cyklo-
penmauern, ganz ſchwarz, 60–70 Fuß lang. Es ſcheint
unglaublich, daß Menſchen dieſes Rieſenwerk vollbrach-
201
ten. – Doch es wurde ſchon dunkel, und ſo nahmen wir
von den denkwürdigen Ruinen Abſchied.
Auf dem Rückwege zu unſeren Zelten, liefen uns
bettelnde Kinder nach, denn Beduinen hatten in der Nähe
ihr Lager aufgeſchlagen. Caſella machte ſich den Spaß un-
ter die braunen halbnackten Kinder Geld auszuwerfen,
worauf ſie natürlich ſchaarenweiſe uns umrangen und
verfolgten, bis der Kawaß Steine aufhob um ſie zu ver-
treiben. Ich meinte anfangs, unſer Reiſemarſchall habe
ſich dieſes Privatvergnügen aus eigenem Säckel gegönnt,
und war daher nicht wenig erſtaunt, als er das ausge-
worfene Geld auf Rechnung der Communcaſſa brachte!
Noch wurde ein kleiner und augenſcheinlich ſehr
alter Tempel in runder Form, der ſich in der Nähe be-
fand, und gleichfalls die Spuren des zerſtörenden Erdbe-
bens trug, in Augenſchein genommen, dann aber ſetzten
wir uns unter dem prachtvollen Sternenzelte zu dem in-
deß zubereiteten Diner, und gingen bald darnach ſchlafen.
Leider ſchlief ich wenig, denn mein hölzernes Feldbett
brach durch, und in Folge der fatalen Körperlage bekam
ich ſtarke Kreuzſchmerzen; überdieß blies der kalte Nacht-
wind durch die ſchlechtvermachte Zeltöffnung gerade auf
mich herein.
Am frühen Morgen des nächſten Tages (6. Auguſt)
nahm ich in dem klaren Bächlein, das in der Nähe floß,
ein ſtärkendes Bad, was mir die Collegen nachmachten.
Die Sonne ging auf und beleuchtete das Rieſenkunſtwerk
des Alterthums. Ich war ſehr dafür, daß wir die Mor-
genſtunden mehr zum Reiſen benützen ſollten, um der
202
grellen Mittagshitze auszuweichen; aber der Reiſemar-
ſchall war nicht dafür. Dießmal fiel ihm insbeſondere ein,
dem Paſcha von Balbek einen Beſuch zu machen. Aller-
dings hatten wir vom öſterreichiſchen Generalconſul zu
Beirut ein Empfehlungsſchreiben an ihn, aber weil die
Zeit drängte, ſo zeigte niemand aus uns Luſt zu einem Be-
ſuche. Nun entſchloß ſich Caſella allein dazu, nahm ſich den
Jeſuitenpater als Dolmetſch mit, und gab uns Ordre in-
deß voranzureiten, ſie würden beide ſchon nachkommen.
Wie uns Caſella ſpäter erzählte, rauchte er beim
Paſcha eine Pfeife in einem bachdurchrieſelten Gärtchen,
ſo daß die Pfeife im Waſſer ſtand, wodurch der Rauch
angenehm gekühlt wurde. Auch bewirkte der Reiſemar-
ſchall die Freilaſſung eines Chriſten aus Zahleh, der bei
Gelegenheit der militäriſchen Pferderequiſition ſich thät-
lich an den türkiſchen Soldaten vergriff und einen Cor-
poral halbtodt prügelte; nachdem der Thäter in Weiber-
kleidern entflohen war, wurde er ertappt und gefangen
zum Paſcha gebracht, der ihm vorderhand die Baſtonade
geben und ein altes Tempelgewölbe zu Meditationsübun-
gen anweiſen ließ. Ob ihn der Paſcha ſpäter wirklich be-
freite, konnten wir nicht mehr erfahren. -
Bald hatten wir die Ruinen von Balbek hinter uns
und durchritten quer die zwei Stunden breite Ebene Cö-
leſyriens, um über eine andere Spitze des Libanon
(Dschebel Sannin) nach Beirut zurückzukehren. Auf dieſer
Route mußten wir das Gebiet der den Maroniten feind-
ſeligen Druſen berühren. - -
Die Druſen ſind die Gegenfüßler der chriſtlichen
Maroniten, denn ſie ſind Heiden. Ihr Glaube iſt theil-
weiſe in Myſterien gehüllt; ſie ſollen, ſagt man, ein Kalb
anbeten. Sie theilen ſich in zwei Klaſſen, in die der Wei-
203
ſen und Unwiſſenden. Zur letzteren Klaſſe gehört das
Volk, welches den jederzeit geſchloſſenen Tempel gar nicht
betreten darf, auch um religiöſe Dinge ſich gar nicht zu
bekümmern braucht, weil den Dienſt ihres Gottes die
Prieſter und Prieſterinen, die zur Klaſſe der Weiſen ge-
hören, beſorgen. Den Schluß ihres Götzendienſtes ſollen
geſchlechtliche Ausſchweifungen bilden. Die Druſen glau-
ben auch eine Art Seelenwanderung, daß nämlich die
Guten abermals geboren, die Böſen aber in Hunde und
Kameele verwandelt werden.
Uebrigens ſind die Druſen ein kräftiger Volks-
ſtamm, kriegeriſch und raufluſtig, wofür die beſtändigen
Kämpfe mit den Maroniten, ihren nächſten Nachbarn,
ein tragiſcher Beleg ſind. Ihre Tracht iſt impoſant und
reich: großer Turban, rothe Tunica, weite Pantalon in
tauſend Falten, ſeidener Gürtel mit etlichen Dolchen
(Handſchar) und Piſtolen. Aus ihren bärtigen Geſichtern
und pechſchwarzen Augen ſpricht ungebändigte Kraft und
wilde Grauſamkeit. Die Weiber tragen über dem Kopfe
ein anderthalb Fuß langes Horn von Silber oder Kupfer,
das ſich ein wenig vorwärts neigt, und mit einem weißen
Schleier verſehen iſt, der wie ein Bettvorhang zu beiden
Seiten hinabfällt, um im Nothfalle die ganze Geſtalt zu
bedecken. Es gibt ſo manch' tolle Mode, aber ein lächerli-
cherer Kopfſchmuck iſt kaum denkbar.
Von den Reiſenden werden die wilden Druſen mit
Recht gefürchtet. Wir hatten jedoch gar keine Anſtände
mit ihnen, höchſtens daß ſie uns mit finſtern Geſichtern
vom Fuß bis zum Kopf muſterten. Je nobler man reist,
deſto mehr ſchüchtert man dieſe Leute ein, und inſofern
hatte unſer Pomp auch ſein Gutes. Die noch mehr ver-
204
rufenen Secten der diebiſchen Matualis und der abſcheu-
lichen Anſarier kamen uns nicht zu Geſichte.
Dieſer vierte Tag unſerer Libanonreiſe war der
anſtrengendſte, denn wir waren im Ganzen zwölf Stun-
den zu Pferd, und auf welchen Wegen! Nach einem zwei-
ſtündigen Ritt durch die Ebene machten wir am Fuße des
felſenzerklüfteten Berges, deſſen Rücken wir überſchrei-
ten ſollten, Halt. Auf einer kleinen Anhöhe lag ein Ma-
ronitendorf, in deſſen Nähe wir uns niederließen, um den
zurückgebliebenen Caſella und ſeinen Begleiter zu erwar-
ten. In der Vorhalle eines Hauſes breiteten die freund-
lichen Leute Teppiche aus, um uns darauf niederzulaſſen
(denn Seſſel und Bänke ſind nicht gebräuchlich im Orient),
auch brachten ſie Trauben, die freilich nicht ganz reif
Waren.
Als unſere Ankunft im Dorfe bekannt ward, ver-
ſammelten ſich viele Neugierige, und leiſteten uns wäh-
rend der Collation, die wir uns hier ſchmecken ließen, Ge-
ſellſchaft. Das meiſte Aufſehen aber erregte Collega
Mayr, der ſich im Angeſichte Aller raſirte. Das ſchien
den guten Leuten etwas ganz Außerordentliches zu ſein,
weil ſie den Bart für ehrwürdig halten. Einige Mädchen
mit edlen Geſichtszügen waren auch unter den Neugieri-
gen; als ſie ſich aber beachtet ſahen, verhüllten ſie ſich ſo-
gleich. Der Schleier hat für jungfräuliche Seelen viel
Gutes, darum empfiehlt ihn auch der Apoſtel. – Inzwi-
ſchen war auch Caſella mit dem Jeſuitenpater nachgekom-
men. Letzterer trennte ſich hier von uns und ritt mit
einem jungen Maroniten nach Zahleh zurück.
Nun begann die eigentlich ſchwierige Bergparthie,
gegen welche die Beſchwerden der früheren Tage und ſelbſt
der olympiſchen Expedition nur eine Kleinigkeit waren.
205
Anfangs zwar trafen wir noch Eichelbäume und kleines
Geſtrüppe, bald aber hörten dieſe auf und über nacktes
Steingerölle ging es bergan längs furchtbaren Schluchten
und trichterartigen Keſſeln, in welchen chaotiſch durchein-
ander gewürfelte Steinungethüme lagerten. Und immer
höher ging es aufwärts, immer höher, von Anhöhe zu
Anhöhe, bis endlich alle Natur erſtorben und verſteinert
ſchien.
Unſere braven Pferde mußten viel ausſtehen, und
doch gingen ſie willig und folgſam vorwärts, mit Vorſicht
einen jeden Schritt bemeſſend; den ganzen Tag über be-
kamen ſie ein einziges Mal an einer Quelle zu trinken,
das war zugleich ihre Nahrung. Man begreift es, wie
der Araber ſein Pferd, das ſo ausdauernd und verſtän-
dig ſeine Strapazen theilt, wie einen treuen Freund
liebt und behandelt. Die arabiſchen Pferde ſind auch
milderer Natur, ſie werden nicht leicht ſcheu oder wild,
und bedürfen in der Regel weder des Sporns noch eines
anderen Reizmittels. Als ich einſt von einem Mucker
(Pferdebeſorger) eine „frusta" d. i. Peitſche begehrte,
ſagte er mit ſtolzem Ehrgefühle im Namen ſeines Pfer-
des: „Es ſteht nicht an darauf."
Nach einigen Stunden machten wir kurze Raſt, um
uns in Ermanglung von Waſſer oder Wein mit Konjak
zu laben. Und nochmal ging es aufwärts, bis wir endlich
eine kahle Hochebene erreichten, von der wir in weiter
Ferne das in Dunſt gehüllte Meer erblickten. Der Berg-
rücken war alſo glücklich erſtiegen, und die hohe Lage
machte ſich durch Abkühlung der Temperatur fühlbar.
Vieles war nun überwunden, aber das Ärgere kam
erſt. Auf eben ſo glatten als ſteilen Wegen ging es jetzt
bergab, ein jeder Fehltritt drohte Hals und Bein-zu
206
brechen. Als wir nach längerem Ritt um eine Felſenecke
bogen und in die ſich öffnende wilde Gebirgsſchlucht hinab-
ſahen, entdeckten wir ein förmliches Beduinenlager, das
wir paſſiren mußten. Ich geſtehe, daß ich mehr Beſorgniß
als Intereſſe verſpürte. Etwa dreißig mit ſchwarzen Zie-
genfellen bedeckte Zelte ſtanden neben und hintereinander,
und zwiſchen denſelben campirten im Freien die Pferde;
aus der Mitte qualmte dichter Rauch auf. – Je näher
wir den Zelten kamen, deſto lebendiger wurde es in den-
ſelben. Als wir in der Thalſchlucht ankamen, ſtiegen wir
ſogleich vom Pferde, traten unter das erſte Zelt, aus
dem uns wahre Rieſengeſtalten entgegenkamen, und grüß-
ten nach orientaliſcher Weiſe, indem wir die Hand auf
die Bruſt legten und zum Kopfe führten. – Nun hatten
wir gewonnen, denn der Beduine hält treu und redlich
die Gaſtfreundſchaft. Es entſpann ſich eine originelle
Converſation, wobei die Beduinen arabiſch und wir ita-
lieniſch, aber noch mehr durch Zeichen ſprachen, weil der
Dragoman als Dolmetſch nicht für Alle genügte. Das
gab viel Stoff zum Lachen, denn wir verſtanden einander
nicht. Zunächſt bewunderten wir ihre Kleidungen, Waffen
und Geſchmeide. Die Männer trugen im Gürtel ſilber-
eingelegte Piſtolen. Marinelli zeigte ihnen ſeine Piſtole,
welche eine Vorrichtung hatte, daß mittelſt eines Druckes
vorne ein Stilet hervorſprang, um ſich mit demſelben im
Nothfalle zu vertheidigen. Da hätteſt Du die verdutzten
Geſichter ſehen ſollen! Ihre Ehrfucht wuchs mit dem
Erſtaunen.
An der Tracht des Weibervolkes war freilich wenig
zu bewundern, denn ſie trugen nichts als ein blaues
Hemd von Baumwolle, das um den Leib mit einem ku-
pfernen Gürtel befeſtiget und an der Bruſt offen war;
207
dafür hatten ſie zahlloſe Spangen von Silber und Perlen
an den Armen, am Halſe, an den nackten Füßen, ſelbſt
in das ſchwarze ſtruppige Haar waren Silberpiaſter ein-
geflochten. Das bräunliche Geſicht zeigte edle Züge, aber
die natürliche Schönheit war durch unnatürliche Täto-
wirung entſtellt, denn Stirne, Naſe, Kinn, Wangen, ſogar
die Unterlippe war mit phantaſtiſchen Figuren blau be-
malt, ſo daß ich anfangs vermuthete, die Leute hätten
den Ausſatz. Die Weiber waren feuriger und lebendiger,
ja ſelbſt freier und ungenirter als die Männer, es ſchien
ihnen gar nicht einzufallen, daß ſie vor Fremden verlegen
ſein könnten oder ſollten. Mit ſichtbarer Neugierde beſa-
hen und betaſteten ſie Alles, was ihnen an uns neu oder
ſonderbar erſchien. Durch die grauen Brillen wollten alle
durchſchauen, und als ich bei Vorzeigung derſelben zufäl-
lig den Handſchuh auszog, wunderten ſie ſich über die
Hand, die freilich etwas weißer war als die ihrige, und
ſogleich riefen ſie eine Beduinin herbei, die ſich auf ihren
lichteren Teint etwas einbildete, und ich mußte meine
Hand in die ſonnenverbrannte der Beduinin legen, welche
Ehre ich ſodann auch den Andern erwies, damit ſie nicht
eiferſüchtig wurden. – Inzwiſchen hatte ich nur für
einen Augenblick einen Sonnenſchirm zur Seite gelehnt –
fluggs war er weg, und ich konnte ihn nur gegen Austhei-
lung von Backſchiſch an Weiber und Kinder (was ich je-
doch nicht der Communkaſſa aufrechnete) wieder erhalten.
Der Dragoman, dem die beduiniſche Freundlich-
keit doch etwas verdächtig erſcheinen mochte, drängte zum
Aufſitzen auf die Pferde und zur Weiterreiſe. Man wollte
uns zuletzt mit Kaffee aufwarten, allein wir dankten,
gaben den Männern die Hände, ſaßen auf die Pferde
und ſprengten davon – herzlich froh, daß wir auf ſolche
Weiſe weggekommen waren.
208
Nun ging es fort bis gegen Sonnenuntergang, und
zwar ſo ſchleunig als möglich, um noch die Nachtſtation
Nahr-Leben (Milchfluß) zu erreichen. Dieſer an ſich
kurze Weg war der gefährlichſte. Oft blieb dem Pferde
kaum Pfad genug, wo es den Huf hinſetzen konnte; zur
rechten Seite gähnte ein Abgrund und zur linken drohte
das lockere Felſengerölle uns zu verſchütten. Einmal war
dieſer Pfad noch dazu ſo ſteil, daß die Pferde rutſchten.
Ein europäiſches Pferd wäre nicht im Stande ſolch'
einen Weg zu machen. Gott ſei Dank, wir kamen glücklich
an's Ziel.
In einer grandioſen Felſenwildniß befand ſich ein
baufälliges Häuschen, in welchem drei Brüder eines Ma-
ronitenkloſters wohnten, die während des Sommers die
Ökonomie beſorgen. Als ſie auf uns zukamen, glaubten
wir Mönche des grauen Alterthums zu ſehen, ſo ehr-
würdig waren die bärtigen Geſtalten in ſchwarzer Klei-
dung mit Kapuze, mit gefurchtem aber zufriedenem Ant-
litz. Um das Häuschen herum lagen die wenigen Felder,
welche dieſe Mönche während der Sommerszeit für ihr
Kloſter bebauen. Alles andere war ſchauerliche Wildniß;
die Felſen hatten ſich hie und da losgelöſt und waren in
den ſeltſamſten Formen in die nahe Kluft hinabgerollt,
über die eine natürliche Rieſenbrücke aus Stein ſich
wölbte, welche in Europa als ein Weltwunder angeſtaunt
würde. In der Nähe floß in geſchäftiger Eile eine Quelle,
die nur 6" R. enthielt. Auch die Temperatur der Luft
war von etlichen 30 Graden auf 15 gewichen, ſo zwar,
daß wir nicht im Freien unter dem Sternenzelte, wie ge-
wöhnlich, ſondern im Inneren unſerer Zelten ſpeiſten.
Es war Abend geworden, und der ſanfte Klang des
Aveglöckleins der Kloſterbrüder läutete den kommenden
209
Sonntag ein. Nach der glücklichen Vollendung des ſo
beſchwerlichen und gefährlichen Tages that dieſer Klang
in dieſer hochgebirglichen Abgeſchiedenheit doppelt wohl,
und unſere ſtillen Gebete trafen in einem innigen Danke
gegen Gott zuſammen, ſich vereinigend mit dem Gebete
der Lieben in der Heimat, deren fromme Fürbitte gewiß
die Abwendung der ſo drohenden Gefahren bewirkte. -
Ja mein Lieber, viele Gefahren waren abgewendet,
und doch ſtand mir, ohne es noch zu ahnen, die größte
erſt bevor. Ich will mich bemühen Dir eine wahrheits-
getreue Schilderung davon zu entwerfen, Du magſt dann
ſelbſt darüber urtheilen.
Die ungewohnte Kälte auf den hohen Regionen
des Libanon, das lange Abwarten unſerer Zelte in der
feuchten Abendluft, die übergroße Anſtrengung und Er-
müdung, und vielleicht am meiſten noch die unreifen
Trauben, die ich Tags zuvor genoßen, verurſachten mir
ein Unwohlſein, das meinen ſonſt ſo geſunden und kräf-
tigen Organismus durchrüttelte. Es ſtellten ſich alle Vor-
boten eines Fiebers ein, das in dieſen Gegenden doppelt
zu fürchten iſt, und an eine ärztliche Hilfe war natürlich
nicht zu denken.
Du kannſt Dir vorſtellen, lieber Freund, mit welch
trüben Gedanken und Gefühlen ich erwachte. Es war ein
Sonntag (7. Auguſt), und in meiner Mutterdiöceſe zu-
gleich das Feſt des Diöceſanpatrons Hippolytus. Mit
unläugbarem Heimweh dachte ich an die Feier dieſes Fe-
ſtes in St. Pölten, und ſchloß mich im Geiſte demſelben
an, da ich weder eine Meſſe leſen noch hören konnte. Das
Memento meiner Freunde war mein einziger Troſt.
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 14
210
Es war Zeit zum Aufbrechen. Die guten Eremiten,
welche uns freiwillig Alles anboten, was ſie hatten, und
ſehr dienſtfertig ſich erwieſen, nahmen reſpektvoll von
uns Abſchied, und die Libanonexpedition wurde bergab
fortgeſetzt. Ich fühlte mich wohl ſehr ſchwach, aber was
war zu thun? Zurückbleiben konnte ich nicht, und ſo be-
ſtieg ich im Vertrauen auf Gottes Hilfe mein Pferd,
blieb aber ſtets der Letzte in der Karawane. Die Wege
wanden ſich oft in ſo bedenklichen Felſenkrümmungen ab-
wärts, daß die meiſten der Collegen abſtiegen und das
Pferd am Zügel leiteten; ich war zu ſchwach dazu und
überließ mich ganz und gar der Geſchicklichkeit meines
arabiſchen Braunen. Selbſt der Sonnenſchirm, den ich ge-
wöhnlich ausgeſpannt trug, kam mir zu ſchwer vor, und
ich band mir daher einen ſchwarzen Schleier um den
Turban, um mich gegen die vielen Mücken und Fliegen
zu ſchützen. – Von 6 Uhr Früh an ritten wir bis zu dem
ausgetrockneten Beete eines Wildbaches, an deſſen ſchat-
tigen Ufern wir eine kleine Raſt hielten. Dann ging es
wieder vorwärts bis eilf Uhr Mittags, wo wir beim
maronitiſchen Dorfe Maſchra anlangten, und die Col-
lation einnahmen, von der ich aber keinen Bißen genoß.
Ich lag matt und ſprachlos auf den ſpärlichen Matten
im Schatten einer ärmlichen Hütte. Die Mittagshitze
war groß, das Blut in meinen Adern kochte und glühte,
der Kopfſchmerz war unerträglich. Allem Anſcheine nach
that mir Ruhe wohl und ohne Zweifel noth. Ich bat
daher die Collegen hier längere Zeit zu raſten, da wir
ohnehin nur drei Sunden Weges mehr zur Nachtſtation
Hariſſa zurückzulegen hatten.
Was ich jetzt ſchreibe, mein Lieber, iſt mir eine
trübe Erinnerung und vielleicht das größte Opfer, das
211
ich je gebracht. Ich hoffe, Du wirſt mir meine Aufrichtig-
keit nicht übel auslegen; ich will auch Niemand hart beur-
theilen, ſondern nur die unverblümte Wahrheit ſagen.
Ich wollte alſo einige Stunden raſten, um meine
Kräfte zu ſammeln; alle Collegen ſtimmten mir bei mit
Ausnahme Caſellas, der auf ſeinem Vorſchlage beharrte,
nämlich ſogleich fortzureiten, weil die Hitze um drei oder
vier Uhr ſtärker als um die Mittagsſtunde ſei. Mit
Mühe konnte Mayr von ihm eine Viertelſtunde Aufſchub
erlangen. Daß mir dieſe Handlungsweiſe weh that, kannſt
Du Dir denken, denn es kam mir vor als wäre ich wenig
oder nichts in den Augen dieſes Kaufmannes, weil ich
nicht ſo viel Dukaten wie er im Sacke trug. – Alles ſaß
bereits zu Pferde, nur ich lag noch am Boden. – Caſella
trieb zum Aufbruch, und ertheilte dem Kawaß den Auf-
trag bei mir zurückzubleiben. Da raffte ich mich – nicht
ohne große Schmerzen zuſammen, und Marinelli hob
mich aufs Pferd. Letzterer wollte ſeinem Unmuthe über
den etwas rückſichtsloſen Reiſemarſchall, Worte lei-
hen, aber ich beſchwichtigte ihn mit den Worten: „Es
gibt Siege, die Niederlagen ſind." Weiters ſprach ich kein
Wort, aber wenn bei meiner Pilgerreiſe Ein Opfer ver-
dienſtlich war, ſo war es, glaube ich, dieſes.
Wir ritten auf der Bergeshöhe bis 3 Uhr Nach-
mittags, wo wir in Hariſſa ankamen, ich der Letzte. In
Hariſſa iſt das arabiſche Noviziat der Franziskaner d. h.
die als Miſſionäre nach dem Orient geſchickten Or-
densprieſter bereiten ſich hier durch linguiſtiſche Studien
auf ihren Beruf vor; wir trafen zwei Tiroler daſelbſt
P. Theophilus und P. Heribert. Die Lage des Kloſters
iſt wunderſchön und geſund, zu Füßen breitet ſich der
ungeheure Meeresſpiegel aus. Die Mönche ſangen eben
14”
212
die Vespern in der Kirche. Der P. Quardian, ein Ita-
liener, nahm uns freundlich auf, bewirthete uns mit Li-
monade, und ertheilte die Erlaubniß, daß unſere Zelte
im Kloſterhofe aufgeſchlagen wurden. Mein Bett wurde
zuerſt hergerichtet. Ich legte mich ſogleich nieder, und
verfiel in einen langen erquickenden Schlaf – die Fie-
berkriſis war glücklich überſtanden. So handgreiflich ver-
galt der Himmel das: Abstine, sustine (meide, leide).
Am anderen Morgen (8. Auguſt) erwachte ich voll-
kommen gekräftigt, und wohnte um 5 Uhr Früh der erſten
heiligen Meſſe bei. Ach, ich hatte Gott ſo vieles zu dan-
ken! Die Kirche befand ſich dicht neben unſeren Zelten.
Dann begab ich mich auf die Terraſſe des Hauſes, wo
eine von einer einzigen Rebe gebildete große Laubegaſt-
lichen Schatten bot. Gegenüber, kaum zwei Stunden ent-
fernt, lag Ghazir, die Studienanſtalt der Jeſuiten, wo
P. Ryllo und Dr. Knoblecher ihre arabiſchen Studien
machten. Gerne wäre ich dahin, aber die Zeit erlaubte
es nicht. – Wir nahmen von dem freundlichen Kloſter,
das auf Alle einen guten Eindruck machte, und von dem
P. Quardian, der uns mit Gefälligkeiten überhäufte,
Abſchied. Auch der Dragoman war zufrieden, denn er
verkaufte dem Kloſter die beiden Zelte um 900 Piaſter.
Der Weg von Hariſſa zum Meere hinab war ſehr
beſchwerlich. Einmal kamen wir zu einer vier Fuß hohen
Terraſſe, die alle auf Umwegen umritten; nur Marinelli
ſprang mit ſeinem Pferde hinab, und ich ihm nach. Das
war mein Meiſterſtück in der edlen Reitkunſt, auf das ich
nicht wenig ſtolz bin. Freilich hätte es auch ſchlimm aus-
fallen können –, je nun, ich befand mich wieder wohl,
und das Glück macht übermüthig.
213
Endlich gelangten wir hinab an den Meeresſtrand
und die beſchwerliche Gebirgstour war überwunden. Das
kleine Dorf, durch das wir ritten, hieß Djunie, und die
Tradition ſagt, daß der Prophet Jonas hier an's Land
geworfen wurde. – Wir blickten nochmals nach Hariſſa
hinauf und all den vielen maronitiſchen Ortſchaften, Klö-
ſter und Kirchlein, die den Libanon ſchmücken. In dieſer
herrlichen Natur, die ein ewiger Hymnus auf die Allmacht
und Güte des Schöpfers iſt, begreift man das beſchau-
liche Leben leichter. Hier unter dieſem biederen und pa-
triarchaliſchen Volke einen Sommer zuzubringen, denke
ich mir als ein beneidenswerthes Glück.
Nun ging es im eiligen Galopp nach Beirut
zurück, das ſich im fernen Dunſtkreiſe zeigte. Unſere
Pferde ſchienen das inſtinctmäßig zu ahnen, denn ſie lie-
fen ſo friſch und hurtig, daß wir äußerſt ſchnell vor-
wärts kamen. Der Sand am Meeresufer kam uns gegen
die ſteinigen Gebirgspfade wie ein Eſtrich vor, und wir
wehrten es den Pferden nicht, die ſich von den heran-
ſchäumenden Wogen beſpülen ließen. Ich ſaß feſt im Sat-
tel – die Noth lehrt Alles, auch reiten.
Bei der Mündung des Hundsflußes, über den eine
hohe gewölbte Brücke führt, und der nach ſeinem Beete
zu urtheilen im Frühjahr furchtbar wüthen muß, machten
wir Halt, um unſere Collation zu verzehren. Wir ſaßen
in einer Hütte, durch welche eine Quelle mit köſtlichem
Trinkwaſſer floß. In der Nähe gab es luſtige Leute, die
eine griechiſche Hochzeit feierten. – Bald nachdem wir
wieder aufgebrochen waren, holte uns ein vornehmer
Maronit ein, ein junger ſchöner Mann, der ſeine krän-
kelnde Schwägerin zu einem Arzt nach Beirut begleitete,
und herzlich bedauerte, daß wir ihn im Libanon nicht
214
beſucht hatten. Er ritt lange Zeit in unſerer Geſellſchaft,
und tummelte mit Kunſtfertigkeit ſein vortreffliches Roß.
Immer näher rückten wir dem Ziele und am ſech-
ſten Tage unſerer Expedition um die Mittagszeit kehrten
wir nach Beirut zurück. Wir waren Alle geſund, wohlbe-
halten und voll Freude, daß dieſer anſtrengende Gebirgs-
ausflug uns ſo gut und glücklich gelungen war. Wir
ſtiegen beim Jeſuitenkonvente ab, wo uns die Patres die
inzwiſchen angekommene Freudenbotſchaft mittheilten, daß
P. Beckx aus Wien zum General der Geſellſchaft Jeſu
in Rom erwählt worden ſei.
Um fünf Uhr Abends waren wir zum Diner beim
öſterreichiſchen Generalconſul Baron v. Gödl geladen.
Das von einer deutſchen Köchin hergeſtellte europäiſche
Diner war ausgezeichnet, und ich ſchreibe demſelben die
völlige Wiederherſtellung meiner Geſundheit zu. Mit
Champagner wurde auf des Kaiſers Wohl getrunken, und
Privatintentionen gab es in Hülle und Fülle. Marinelli,
der wegen ſeiner improviſirten Dichtung auf dem Donau-
Dampfſchiffe aufgezogen wurde, ließ ſich auch hier nicht
ſpotten, und hatte in Schnelligkeit ein Akroſtichon auf die
liebenswürdige Hausfrau beiſammen, das von ihm als
Toaſt geſprochen wurde, und alſo lautet:
- - - - 8atürlich, gemüthlich in Beirut zu ſein
- e-em traulichen Kreiſe beim perlenden Wein:
- - Zicht möglich! ſo hätt' ich vor Monden gedacht,
#uf Ehre doch Sie haben's möglich gemacht. - - - -
Nach Tiſch wurde noch Klavier und Cither geſpielt,
und erſt gegen eilf Uhr Nachts ritten wir nach Hauſe.
Nach dieſer ermüdenden Excurſion hätte uns Ruhe
gut gethan; allein dieſe iſt jetzt nicht möglich. Schon heute
215
fährt das franzöſiſche Dampfboot „Leonidas" von hier
nach Caifa und wir ſind ſomit gezwungen zu packen und
die Gelegenheit zur Weiterreiſe zu benützen. Ohnehin ſind
wir mit unſeren Anfangsplänen viel zu ſanguiniſch gewe-
ſen, indem wir glaubten, man könne an beliebigen Tagen
Schiffe zur Weiterreiſe vorfinden. Dem iſt aber nicht ſo,
wie man überhaupt Manches anders findet, als die Phan-
taſie im Vorhinein ſich ihr Gemälde entwirft.
Vor der Abreiſe nahmen wir noch ein Bad im
Meere; die ausgehöhlten Felſen bilden natürliche Wan-
nen, in welchen man die Wellen ſanft heranſchlagen läßt;
nur die Krebſe und Sepien ſind etwas zu fürchten. –
Auch Cedernholz und Cedernzapfen kauften wir uns zum
Andenken an die großartige Expedition im Libanon. –
Baron von Gödl gab uns beim Abſchiede noch fünf Em-
pfehlungsſchreiben mit, und erwies ſich bis zum letzten
Augenblick als ſehr gefällig, indem er uns den braven
Kawaß Ali zur Einſchiffung mitgab, und die Erlaubniß
erwirkte, daß unſere Koffer uneröffnet aus dem Hafen
auf das Dampfboot gebracht wurden. – Auch von den
Jeſuiten, die mit jedem Tage cordialer geworden waren,
nahmen wir mit bewegten Herzen Abſchied.
Nun iſt es aber auch höchſte Zeit, daß ich dieſen
Pilgerbrief ſchließe. Die angenehmen Rückerinnerungen
und Deine bewährte Freundſchaft ſind Schuld, daß er ſo
lange ausgefallen iſt. Ich will mich in Zukunft mehr der
Kürze befleißen. Lebe wohl, es grüßt Dich vom Libanon
Dein 2c.
216
XI.
Auf dem Berge Carmel.
Der franzöſiſche Dampfer Leonidas. – Ein betrunkener Türke. –
Seekrankheit. – Die Küſte Phöniziens. – Das alte Sydon. – Der
Held von Saida. – Die Bucht von Caifa. – Der Berg Carmel. –
Beſchwerliche Ausſchiffung. – Die erſten Schritte im gelobten Lande.
– Die ungeſtümen Araber. – Der öſterreichiſche Conſul. – Elias. –
Der Carmeliterorden. – Fra Johann Baptiſta und Fra Carlo. – Das
Kloſter auf dem Berge Carmel. – Europäiſcher Comfort. – Zuſam-
mentreffen mit Profeſſor Petterman aus Berlin. – Almoſen der Pilger.
– Kirche. – Prophetenſchule. – Ein öſterreichiſcher Laienbruder. –
Ein Gewaltſtreich des Reiſemarſchall. – Kloſtergedanken auf der Klo-
ſterterraſſe. – Die Mutter Gottes auf dem Berge Carmel. – Nach
Nazareth.
Berg Carmel, 11. Auguſt.
Lieber Freund!
Dieſe Zeilen ſchreibe ich Dir vom Berge Carmel,
dem Wartthurme des Chriſtenthums im Orient, denn das
Kloſter auf dem Carmel ſteht wie ein Wachpoſten am
Eingang des heiligen Landes. Bevor ich dir jedoch von
dem weltberühmten Kloſter ſelbſt erzähle, will ich Dir
mittheilen, wie wir hieher gekommen ſind.
Wir ſchifften uns, wie Du aus dem letzten Briefe
weißt, in Beirut an Bord des „Leonidas", eines Dampf-
bootes der franzöſiſchen Meſſagerie ein und zwar nahmen
wir Billeten der erſten Klaſſe bis Caifa, weil das Schiff
von Leuten und Wollſäcken überfüllt war. Wir bezahlten
jeder 37 Franken; der Lloyd iſt billiger.
Bevor die Anker gelichtet wurden, ereignete ſich
noch ein komiſches Intermezzo mit einem beſoffenen Offi-
zier der türkiſchen Armee. Derſelbe hatte kein Billet,
217
wollte aber durchaus mitfahren und nichts zahlen; als
man ihn auf einem Boote ausſetzen und an's Land ſchaf-
fen wollte, wehrte er ſich mit Händen und Füßen, und
nach vielem Geſchrei und Hin- und Herſtoſſen, ließ man
ihn auf dem Verdecke liegen und ſeinen Stabsrauſch aus-
ſchlafen. Die mitfahrenden Türken ſcandaliſirten ſich mehr
an dieſem Vorfalle als die Europäer.
Um halb 7 Uhr Abends fuhren wir aus dem Hafen
von Beirut, und ſteuerten längs der Küſte des alten
Phöniziens nach Caifa. Es war eine unerquickliche Fahrt;
denn die Temperatur war im Schiffsſalon und in den
Schlafkabinen ſo heiß, daß trotz des künſtlich angebrachten
Luftkamines die Schweißtropfen unaufhörlich an Stirne
und Händen ſtanden. Dazu kam die fatale Seekrankheit,
die mich gleich anfangs befiel, als wir uns eben zum
Diner anſchickten. Indeß bei Leidenszuſtänden iſt es ein
Troſt Gefährten zu haben. Als ich mich in gebührender
Reſignation meinem Schickſale fügte, hörte ich in der
Nachbarskabine einen ähnlichen Spektakel, denn Collega
Marinelli vollbrachte; er hatte ſchon beim Speiſen alle
Farben gewechſelt, und obwohl er mich auslachte, als ich
vom Seſſel in die Kabine ſtolperte, ging es ihm bald dar-
nach nicht viel beſſer. -
In der Nacht paſſirten wir das altberühmte Sy-
don, die reiche Hauptſtadt der alten Phönizier, jetzt
Saida oder Jean d'Acre genannt, eine unanſehnliche
Ruine. Einſt fuhr hier kein Schiff vorüber, jetzt wird es
ignorirt, wenn man nicht ausdrücklich fragt darum. So
vergeht menſchliche Größe. Im letzten ſyriſchen Feldzug
erwarb ſich bei der Beſchießung und Erſtürmung dieſes
türkiſchen Ortes der öſterreichiſche Erzherzog Friedrich
den Beinamen des Helden von Saida und verſchaffte
218
dadurch Öſterreichs Waffen und Schiffen auch im Oriente
ehrenvolle Anerkennung.
Als ich beim erſten Morgengrauen auf's Verdeck
ſtieg, ſah man bereits das Vorgebirge Carmel, das
mit dem nördlich gelegenen Vorgebirge von Saida die
zwei Meilen breite Bucht von Caifa bildet. Auf der
Spitze des Vorgebirges liegt das berühmte Kloſter der
Carmeliten, das uns freundlich zu grüßen ſchien. Wie
viele Pilger mögen ſich ſchon bei deſſen Anblick erfreut
haben! Der Berg erſcheint kahl, ſteil, weißlich, was über-
haupt der Charakter des kalkſteinigen Gebirgszuges längs
der ſyriſchen Küſte iſt.
Unſer Dampfboot warf faſt eine halbe Stunde vom
Lande entfernt Anker, weil die Bucht ſo verſandet und
gefährlich iſt. Wir ſchifften in einer Barke aus, konnten
jedoch nicht landen, weil die Brandung zu ſtark, und das
Waſſer zu ſeicht war. Doch da kam uns die Induſtrie der
am Ufer ſtehenden arabiſchen Taugenichtſe ungerufen zu
Hilfe. Sie faßten ihre ſpärliche Bekleidung zuſammen,
wateten in die Wellen, hielten ſich an der Barke feſt,
machten einem mimiſch begreiflich, daß man ſich auf ihre
breiten Schultern ſetzen möge, und ſo kamen wir ſämmtlich
Huckepak getragen ans Ufer. Ganz ohne Bedenken iſt
jedoch ſolch eine Expedition nicht, denn obwohl mich ein
feſter Araber packte und ich im Voltigiren nicht unbewan-
dert bin, wäre ich doch bald ins Waſſer gefallen.
So ſtanden wir denn am Morgen des 10. Auguſt
auf dem geſegneten Boden des heiligen Landes. Gott ſei
tauſendmal gedankt dafür! Vielleicht hätten die Gefühle
uns überwältigt, wenn nicht die ungeſtümen Araber mit
ihren proſaiſchen Anforderungen ſich geltend gemacht
hätten. Das macht überhaupt die Ankunft in den Hafen-
219
ſtädten ſo unangenehm, daß man dieſem ſchreienden und
ſtreitenden Geſindel gleichſam in die Arme geworfen wird,
ſo daß es ſchwer zu ſagen iſt, was ärger ſei: dieſe Land-
plage oder die Seekrankheit. – Von allen Seiten liſpelte
man das holde Wort Backſchiſch, und die Araber, die uns
aus der Barke ans Ufer gebracht hatten, verlangten für
dieſen Dienſt nicht weniger als 50 Piaſter. Das gab nun
einen langen Streit ab, den der inzwiſchen angekommene
öſterreichiſche Conſul damit endigte, daß er mit ent-
ſchiedenem Ernſte 15 Piaſter ausſprach, womit ſich jene
ſchmollend begnügten.
Caifa iſt ein kleines Städtchen am Fuße des Ber-
ges Carmel mit einigen zerſchoſſenen Zwingern und ver-
fallenen Ringmauern, ein muthwilliges Andenken, welches
die Engländer aus dem Kriegsjahre 1840 hinterließen.
– Wir machten dem dortigen öſterreichiſchen Conſul
Scopenich, einem wohlhabenden Kaufmann, der zugleich
Lloydagent iſt, einen Beſuch; er iſt ein Dalmatiner, ſeine
rieſige Frau eine Croatin. Das Haus des Conſuls ſah
ſehr ſtattlich aus und war mit vielen Flaggen geſchmückt.
Wir verplauderten eine gemüthliche Stunde bei engliſchem
Porterbier, das uns die gut gelaunte Hausfrau vorſetzte,
und das meinem ausgehungerten Magen ſehr wohl that.
Indeß hatte der Conſul für Pferde geſorgt, um
auf denſelben nach dem eine Stunde entfernten Berg
Carmel zu reiten, auch erwies er uns die Ehre uns dahin
zu begleiten. – Der Weg zieht ſich anfangs über ſandige
Felder und zwiſchen alten Ölbäumen dahin, wird aber
dann ſehr ſteil, und die Stufen ſind mühſam aus dem
Kalkfelſen gehauen. Von Vegetation iſt keine Rede, ſo
daß das Lob der Braut im hohen Liede: „dein Haupt iſt
wie der Carmel“ (7,5) nicht mehr paſſen würde. Und
220
doch weht einen der Geiſt des alten Teſtamentes an,
wenn man erwägt, daß der Prophet Elias hier wohnte,
durch ſein Gebet Feuer vom Himmel herabrief und die
Baalsprieſter beſchämte. (III. Buch der Könige, 18.
Kap.)
Dieſe Gegend wurde von jeher als beſonders hei-
lig geachtet; die chriſtlichen Anachoreten wohnten einſt zu
Hunderten in den zahlreichen Grotten des Berges, und
kamen nur zum gemeinſchaftlichen Gebete in der Mutter-
gotteskapelle zuſammen. Hier entſtand der ſtrenge Car-
meliterorden, der 1209 vom Pabſte approbirt wurde,
und ſeither den Berg Carmel, wo die Mutter Gottes
mit dem Scapulier erſchienen, als ſein vorzüglichſtes
Heiligthum bewacht und verehret. Seit den Kreuzzügen
waren ſie immer im Beſitze eines Kloſters auf dem
Berge, bis es Abdallah Paſcha im Jahre 1821 in einem
Wuthanfalle zerſtören ließ. Wo früher die Mönche bete-
ten, hauſten ſeitdem wilde Thiere, und das Kloſter war
ein Trümmerhaufen.
Da wurde von Rom aus der fromme und geſchickte
Ordensbruder Johann Baptiſta nach dem Berge Car-
mel geſchickt, um das Kloſter wieder aufzurichten, und
der ſchlichte Frater vollendete, was faſt unmöglich ſchien.
Er erwirkte einen Ferman des Sultan, durchreiſte zwei-
mal ganz Europa, Almoſen für den Bau des Kloſters
und der Kirche ſammelnd, und ſo reichlich floßen dieſe
an den Höfen der Könige wie in den Paläſten der Rei-
chen aller Confeſſionen, daß der ehrwürdige Kloſterbru-
der, der ſelbſt den Baumeiſter machte, ſein Werk begin-
nen konnte. Aus den Ruinen erhob ſich bald ein ſchloß-
ähnliches Gebäude, ebenſo geeignet ſich darin gegen
Feinde und wilde Thiere zu vertheidigen, als fremde
221
Pilger gaſtfreundlich aufzunehmen und zu bewirthen. –
Liebe iſt That! – Auch das Lob Mariens ertönte wieder
in der neuerbauten Kirche, und dankend rühmt es ihm jed-
weder Pilger nach, daß er hier an der Schwelle des heili-
gen Landes eine friedliche Einkehr findet, und ſich gewiſ-
ſermaßen heimiſch findet, weil ganz Europa an dem edlen
Werke mitgearbeitet hat. Frater Johann Baptiſta erlebte
noch die Vollendung desſelben, denn er ſtarb erſt vor zwei
Jahren und liegt unter dem Hochaltar zum ewigen Ge-
dächtniß begraben. – Jeder Pilger hat das Recht drei
Tage hier zu verweilen, und erhält noch die nöthigen Le-
bensmittel beim Abſchiede; es iſt dem Belieben der Pilger
anheimgeſtellt für die Verpflegung im Kloſter ein Almo-
ſen zurückzulaſſen, von dem die Nachfolgenden zehren.
An der Kloſterpforte empfing uns Fra Carlo, ein
fein gebildeter Ordensmann, der während des Baues eine
Reiſe durch den größten Theil Europas machte, weil die
geſammelte Summe nicht ausreichte. Fra Carlo iſt jetzt
über 50 Jahre alt, ſpricht franzöſiſch und italieniſch, und
kennt die meiſten hervorragenden Perſönlichkeiten Euro-
pas. – Der freundliche Empfang des gottesfürchtigen
Mönches in dieſem Lande war wohlthuend. So mag es
im Mittelalter geweſen ſein: wir baten nicht um Gaſt-
freundſchaft, ſondern ſie wurde uns angetragen.
Man führte uns in ein geräumiges Empfangszim-
mer, wo alsbald einige Erfriſchungen nach europäiſcher
Manier ſervirt wurden. Zu unſerer nicht geringen Über-
raſchung und Freude trafen wir hier einen deutſchen Rei-
ſenden, nämlich Profeſſor Pettermann aus Berlin, deſ-
ſen arabiſche Grammatik ich als Theologe ſtudiert hatte.
Er war eben aus Naplus gekommen, wo er unterſtützt
von dem preuſſiſchen König die Spottgedichte der Sama-
222
riter auf die Chriſten geſammelt hatte. Er reiste jedoch
ſchon in der nächſten Stunde in die Heimat ab.– In dem
Zimmer lag ein Fremdenbuch auf, das viele Autographen
berühmter Perſönlichkeiten enthielt, leider aber durch
Bemerkungen ſcandalſüchtiger Federn entſtellt war.
Im Gaſttracte wurden uns drei freundliche Zim-
mer, die mit allem wünſchenswerthen Comfort verſehen
waren, angewieſen. In den eiſernen Betten befanden ſich
famoſe Matratzen, und reines Linnenzeug, da waren Ti-
ſche, Käſten, Waſchapparate, ſogar ein Stiefelzieher. Wir
dünkten uns Fürſten zu ſein. Wahrlich, man muß manche
Wohlthaten auf einige Zeit entbehren, um ſie doppelt
ſchätzen zu lernen. Es heimelte uns vom erſten Augen-
blicke hier an, und Geiſt, Gemüth und Körper ſammelten
neue Kräfte.
Um eilf Uhr Mittags hielten wir eine herrliche
Collation, bei welcher uns Fra Carlo und P. Prior, der
die an ihn gerichteten Empfehlungsſchreiben gar nicht
öffnete, Geſellſchaft leiſteten, ohne jedoch mitzuſpeiſen.
Dieſer richtige Tact gefiel mir. Koſt und Bedienung wa-
ren wie in einem guten europäiſchen Hôtel. Die Geiſtli-
chen erzählten uns, daß jetzt in Folge der Dampfſchiff-
fahrten die Zahl der Pilger ſich ungemein mehre, ſo daß
die bisherigen 9 Fremdenzimmer nicht mehr genügen und
eine Erweiterung des Kloſterbaues nothwendig ſei. Zu
dieſem Behufe lag ein Sammelbogen auf. Gewiß trägt
jeder Reiſende gern ſein Scherflein bei, denn auch er zehrt
ja vom Almoſen, das ſeine Vorfahren hinterließen.
Nach den nothwendigen Stunden der Ruhe beſahen
wir den Konvent und die Kirche. Letztere iſt eine Rotonda
und ſteht über der unterirdiſchen Eliasgrotte, die von
Türken und Chriſten gleich verehrt wird; das Altarblatt
223
ſtellt den h. Ludwig vor, der auf ſeinem Kreuzzuge auf
dem Berge Carmel war. – Dann beſuchten wir in Be-
gleitung des Conſuls und eines Laienbruders die ſoge-
nannte Prophetenſchule am Fuße des Berges, eine
geräumige Felſenhöhle, die jetzt den Türken gehört, von
denen ſie ſehr verehrt wird. – Der Reiſemarſchall übte
hier wieder einen Gewaltſtreich aus. Da ihm das Beſtei-
gen des Berges für ſeine Perſon zu beſchwerlich ſchien,
ſo ſchickte er einen Diener ins Kloſter hinauf, um ihm
das Pferd des Conſuls herabzubringen, gleichſam als ob
dieſer ein Pferdehändler wäre; erſt nachdem er fortge-
ſchickt hatte, ſagte er es dem viel älteren Conſul, der zu
Fuß uns begleitete, und darüber nicht minder paff war
als wir ſelber. - -
Auf dem Rückwege ging ich mit dem Laienbruder,
einem Deutſchböhmen, der lange Zeit in meiner Vater-
ſtadt Krems als Tiſchlergeſelle gearbeitet hatte. Auf ſei-
ner Wanderſchaft kam er nach Rom, wo er als Laienbru-
der in ein Carmelitenkloſter trat, und ſich nach mehreren
Jahren die Gnade erbat nach dem Berge Carmel geſchickt
zu werden. Der kleine ſchlichte Mann ſah ſehr ruhig und
zufrieden aus, und meinte ſein einziger Wunſch ſei: hier
zu ſterben. – Er führte mich Abends auf das flache Dach
des Kloſters hinauf, von wo man eine prachtvolle Rund-
ſchau über die nächſte Umgebung und das weite Meer ge-
nießt. Die Sonne tauchte ruhig hinab in die blauen Flu-
then des Meeres, und lange ſtand ich ſinnend auf der
Terraſſe und genoß die wundervolle Ausſicht. Es war
ringsherum Ruhe und Stille, nur die heranbrauſenden
Wogen des Meeres, die ſich am Ufer brachen, ſtörten die-
ſelbe. So, dachte ich, muß es in einem Gemüthe ausſe-
hen, das mit der Welt abgeſchloſſen und Gott ſich ganz
224
hingegeben hat, wie z. B. bei dieſen Carmelitermönchen. Sie
hören wohl auch das Sauſen und Brauſen der tobenden
Stürme, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie darüber erha-
ben ſtehen, während wir Weltleute nur zu oft davon be-
täubt und übertäubt werden. „O sacra solitudo, vera
beatitudo!«
Die Nacht war minder gut, als wir erwarteten;
faſt ſchien es als ob wir die guten europäiſchen Betten
entwöhnt hätten. Wachhunde bellten, Schakale heulten.
Wir ſtanden ſehr früh auf, um die h. Meſſe zu leſen. Der
Laienbruder aus Deutſchböhmen miniſtrirte mir. Beim
Evangelium zog er den Vorhang von der ſchönen Statue
der Mutter Gottes vom Berge Carmel und beleuchtete
ſie. Ich war beim heiligen Opfer ſehr ergriffen, be-
ſonders beim Memento. Ach, wie viel danke ich den
Schriften der heiligen Thereſia, dieſer hochgelehrten Frau
des ehrwürdigen Carmeliterordens! Noch lange nach der
Meſſe kniete ich im Schiffe der Kirche – es waren weihe-
volle Augenblicke der Gnade.
Entſchuldige, mein Lieber, daß ich hier abbreche;
aber ich muß mich reiſefertig machen, denn in einer hal-
ben Stunde reiten wir nach Nazareth. Freue Dich mit
Deinem Freunde 2c.
- SGÄSc6FEN-
225
XII.
Bom Carmel nach Mazareth und zurück.
Beſchreibung der Karawane. – Die Ebene Esdrelon. – Warum die
fruchtbare Gegend ſo unfruchtbar iſt. – Räuberdörfer. – Ein ausge-
plünderter Kawaß. – Beſchützung einer chriſtlichen Braut. – Thierquä-
lerei. – Abenteuer zu Pferd und Eſel. – Italieniſcher Dialog eines
Deutſchen mit einem arabiſchen Buben. – Ein quaſi-ſamaritaniſcher
Act. – Collation bei den fünf Feigenbäumen. – Das freundliche Ge-
birgsſtädtchen Nazareth. – Ein Tiroler als Quardian. – Das Haus
der heiligen Jungfrau. – Die h. Grotte der Verkündigung. – Vor-
feier des Clarafeſtes. – Ave Maria. – Die Franziskaner. – Der ſtei
nerne Abendmahltiſch. – Marienbrunnen. – Die Zimmermannswerk-
ſtätte des heil. Joſeph. – Proteſtanten. – Unruhige Nacht. – Die
Frauen von Nazareth. – Ausflug auf den Berg Thabor. – Panorama.
– Via paurosa. – Aehnlichkeit mit dem Waldviertel. – Samum.–
Stadt Tiberias. – Eine jüdiſche Herberge. – Bad im See Geneſareth.
– Ein orientaliſcher Faſttag. – Unvergeßliche Nacht. – Kirchlein zu
Ehren des h. Petrus. – Berg der wunderbaren Speiſung. – Berg der
Seligkeiten. – Das Dörfchen Cana. – Collation auf einem Feigen-
baume. – Nicht durch Samaria. – Rückkehr nach Caiffa. – Paradie-
ſiſche Träume auf dem Berge Carmel. – Vorfeier des Feſtes Maria
Himmelfahrt.
Nazareth, 13. Auguſt.
Lieber Freund!
Am 11. Auguſt verließen wir am frühen Morgen
das Kloſter auf dem Berge Carmel, um nach dem Städt-
chen Nazareth zu reiten, das ſieben Stunden von Caiffa
entfernt im nördlichen Galiläa liegt. Nazareth! Wer hört
dieſen Namen, ohne daß die zarteſten Gefühle einer from-
men Jugendzeit wachgerufen werden? Es zog auch uns
mit ſanfter Gewalt an dieſen Ort, wo der göttliche Erlö-
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 15
226
ſer ſeine Kindesjahre und den größten Theil ſeines Le-
bens im elterlichen Hauſe zugebracht.
Doch ich will Dir die ganze Reiſe vom Anfange an
ſchildern. Wir ritten zuerſt vom Kloſter Carmel nach
Caiffa hinab und machten beim Hauſe des Conſuls Halt,
weil ſeine Frau den Wunſch geäußert hatte mitzureiſen.
Allein das Rieſenweib hatte über Nacht ein heftiges Un-
wohlſein befallen, worüber ſie ganz kleinlaut war: ſo
ſchnell beugen Leiden menſchliche Größe. Der Conſul gab
uns etliche Flaſchen Bier als Labetrunk, und zwei Kawaſ-
ſen als Bedeckung mit. Außerdem waren in unſerem Ge-
folge 1 Dragoman, 2 Mucker und ein zehnjähriger Knabe,
der auf einem Eſel ritt, und mit den Muckern unſere
Pferde beſorgte.
So verließen wir die Stadt und bogen dann längs
eines ausgetrockneten Flußbettes in die Ebene Esdrelon
ein, ein weites fruchtbares Thal, das aber größtentheils
wüſt und öde iſt. Die Urſache, warum der ſo üppige Bo-
den brach liegt, iſt theils die Unthätigkeit des Paſcha, wel-
chem der meiſte Grund und Boden gehört, theils die Ar-
muth und Faulheit der geringen Bevölkerung. Chriſten
dürfen ferner nach dem Geſetzeslaut kein Eigenthum be-
ſitzen, und endlich erlauben ſich die Beduinen das reifende
Getreide abzuſchneiden und die Ernte zu plündern. Wer
kann ſich da wundern, wenn außer dem nöthigſten Ge-
treide nur ein bischen Baumwolle und Tabak gepflanzt
wird? Das iſt aus dem gelobten Lande geworden!
Wir waren Alle trotz der Hitze guten Muthes; ſelbſt
die unheimliche Nähe einiger Räuberdörfer jagte uns
nicht beſondere Beſorgniß ein. Deſto mehr Furcht zeigten
unſere beiden Kawaſſen, die entweder mehr Erfahrung
hatten oder Haſenfüſſe waren. Beſonders dem einen, der
227
erſt vor etlichen Tagen auf dem Wege nach Cäſarea, wo-
hin er einen Juden begleitete, von Beduinen nackt ausge-
zogen und ſeines Pferdes beraubt worden war, mußten
wir Muth zuſprechen. Den Verluſt ſeines Pferdes ſchien
er gar nicht verſchmerzen zu können.
Nach einer Stunde holten wir eine kleine Kara-
wane ein, die aus einer verſchleierten Frau und zwei Die-
nern beſtand, denen man die Furcht anmerkte, die ſie hat-
ten. Als wir ruhig vorüber ritten, ließ uns die Frau durch
den Dragoman erſuchen, ob ſie ſich nicht unſerer Geſell-
ſchaft anſchließen dürfte, weil die Gegend unſicher ſei?
Caſella, der Reiſemarſchall, ſchlug es rund ab, weil wir
in Folge deſſen langſamer reiten müßten; indeß ſiegte doch
das beſſere Gefühl des Mitleids bei allen Reiſecollegen,
und ſo erlaubten wir der verſchleierten Frau, die eine
chriſtliche Braut aus Nazareth war, uns zu folgen, wofür
ſie uns ſpäter eigens danken ließ.
Einen Zwiſchenfall will ich Dir nicht verſchweigen,
weil er, ich möchte ſagen, etwas Bibliſches an ſich hat.
Da ich in der Hippologie gänzlich unbewandert bin, ſo
ließ ich in der Regel die ſachverſtändigen Collegen zuerſt
die Pferde wählen und behielt mir, was zuletzt übrig blieb.
Manchmal gewann ich dabei, dießmal aber war die von
Allen verſchmähte Roſinante wirklich ein abgeſtandener
eigenſinniger Gaul, der gegen alle Schläge und Worte
gleichgiltig war, ſo daß der zehnjährige Bube auf ſeinem
Eſel ſchneller vorwärts kam als ich mit dem arabiſchen
Schimmel. – Da trug ich dem Buben einen Tauſch an
und beſtieg den Eſel. Doch der Menſch entgeht ſeinem
Schickſale nicht. Der Eſel wollte mit meiner Laſt nicht
mehr ſo laufen wie es ihm früher beliebte, und als ich
dem arabiſchen Buben meine Klagen mittheilte, gab er
15 *
228
mir einen ſpitzigen Dorn mit dem Bedeuten, ich ſolle da-
mit das Thier am Halſe ſtechen, um es zum Laufe anzu-
treiben. Allein wäre ich auch nicht Mitglied des Anti-
Thierquälerei-Vereines geweſen, ſo hätte ich mich zu die-
ſem grauſamen Acte unmöglich verſtehen können, weil der
Eſel ohnehin ſchon am Halſe und Nacken blutig zerſchun-
den war. Ich ſtieg alſo wieder vom Eſel ab, und ſchwang
mich auf den lakoniſchen Schimmel. – Weiß der Himmel
– riß jetzt dem Buben der arabiſche Geduldsfaden oder
– kurz er verſetzte dem Schimmel mit einem Prü-
gel ein paar ſo entſchiedene Hiebe, daß dieſer darüber er-
boßt mit den Hinterhufen heftig ausſchlug – wenig hatte
gefehlt, ſo wäre ich aus dem Gleichgewichte gekommen
und herabgefallen. Doch die Aufregung war nur vorüber-
gehend, der Gaul erholte ſich von ſeiner Anſtrengung und
behielt ſeine vorige Ruhe bei, geſtattete mir auch unange-
fochten abzuſteigen und nach dem Buben umzuſchauen,
der von einem Hufe am rechten Oberarm getroffen wor-
den war, ſo zwar, daß er einen gellenden Schrei ausſtieß
und halb bewußtlos niederſank. Ich ging theilnehmend zu
ihm hin, hatte aber leider für den Augenblick gar nichts
bei mir, womit ich ſeinen Schmerz hätte lindern können,
Doch gab er endlich meinen guten Worten (warum ich
mit dem Buben italieniſch ſprach, weiß ich nicht) nach,
ſtand weinend und wimmernd auf, und ſo ritten wir als
Nachzügler der Karawane weiter. – Das Unglück hätte
indeß viel ärger ausfallen können, denn wir befanden uns
in einem Walde, der wegen ſeiner Unſicherheit verrufen
war; der von den Collegen zurückgeſchickte Kawaß hätte
uns leicht auch nicht mehr treffen können.
Bei den fünf Feigenbäumen hielten wir Raſt und
ließen uns die Collation unter freiem Himmel ſchmecken:
229
Käs, Brod und Wein, wozu einige Araber aus der Nach-
barſchaft Waſſer brachten, bei welcher Gelegenheit ſie
Mayr's ledernen Trinkbecher ſtahlen. Ich theilte faſt je-
den Biſſen mit dem arabiſchen Buben, und da ich in
meinem ReiſeſackArnicatinctur mitführte, ſo wuſch ich ihm
damit die aufgeſchwollene Quetſchung, nahm in Er-
manglung einer Leinwandbinde den Verband von meiner
Libanon-Wunde herab und applizirte ihn dem Bleſſirten.
Die (relativ) kalten Umſchläge, die ich oft wiederholte,
thaten ihm ſehr wohl, und da ich überdieß noch einiges
Bakſchiſch gegeben hatte, ſo hörte ich den Buben nicht
mehr klagen. Schelte mich, lieber Freund, nicht eitel –
aber ich dachte an den Samaritan im Evangelium.
Nach 8 beſchwerlichen Stunden erblickten wir von
einer Anhöhe – unten im Keſſelthale an den Berg ange-
lehnt – das freundlich gelegene Städtchen Nazareth mit
ſeinen terraſſenförmig übereinander ſich erhebenden Häu-
ſern, alle ſo weiß wie die Kalkfelſen, welche ſie umringen.
Es iſt ſchwer die Gefühle zu ſchildern, die meine Seele
bei dem Anblick dieſer erſten Stadt des heiligen Landes
hegte, jenes hochbegnadigten irdiſchen Ortes, wo im
Schooße der allzeit reinen und unbefleckten Jungfrau
der Sohn Gottes Menſch geworden iſt. Überall, wohin
das Auge ſchaute, war es von dem Gedanken begleitet:
Hier brachte der göttliche Erlöſer die Jahre ſeiner Kind-
heit und den größten Theil ſeines Lebens zu!
Ungehindert zogen wir durch das Stadtthor ein,
ritten durch einige unregelmäßige Straſſenwindungen berg-
ab, und langten um halb 3 Uhr auf einem freien Platze
an, wo das Fremdenhoſpiz der PP. Franziskaner, ein
einſtöckiges Haus, ſich befindet. – Die Aufnahme war
hier eine doppelt freundliche, da der Quardian, P. Wolf-
230
gang, ein deutſcher Landsmann, ein biederer Tiroler war.
Ach wie froh war ich und wie herzlich ſagte ich: Deo
gratias (Gott ſei Dank)! Wenn im Orient die Hospize
der Klöſter nicht wären, wie zehnmal ſchwieriger wäre
das ohnehin ſo beſchwerliche Reiſen daſelbſt, und wie ſehr
lernt man da die chriſtliche Gaſtfreundſchaft ſchätzen!
Nach einer Raſt von etlichen Stunden, machten wir
uns auf, um die nahegelegene Kirche zu beſuchen. Den
Platz überſchreitend kamen wir zu einer 10“ hohen Mauer,
durch welche ein kleines eiſenbeſchlagenes Thor in den
Hofraum des Franziskanerconventes führte, noch einige
Schritte –, und wir ſtanden vor der Kirche, die über
dem einſtigen Hauſe der allerſeligſten Jungfrau erbaut iſt.
Eine heilige Scheu bemächtigte ſich meiner, als ich die
Schwelle jenes Heiligthumes betrat, wo der Engel des
Herrn Maria die Botſchaft brachte, und ſie vom heiligen
Geiſte empfing ſprechend die inhaltsſchweren Worte:
„Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geſchehe nach
deinem Worte" (Luc. 1, 26 ff).
Es war eben feierliche Vesper zu Ehren des mor-
gigen Ordensfeſtes der h. Klara, und die majeſtätiſchen
Orgelklänge vermiſchten ſich mit dem erbaulichen Chorge-
ſange der Mönche. Seit Wien hatten wir den Klang der
Orgel nicht mehr gehört. Unwillkührlich ſanken wir auf
die Kniee und beteten die Worte des Pſalmes mit: „Lae-
tatus sum in his, quae dicta sunt mihi, in domum
Domini ibimus“ (Ich freue mich, daß man mir ſagte:
Laſſet uns gehn zum Hauſe des Herrn. Pſalm 121,
1.)– Hier ſtand ja das Haus des Herrn, bis es einer
wohlverbürgten Legende zufolge im Jahre 1291 nach
Dalmatien und von dort nach Loretto in Italien übertra-
gen wurde. – Die Kirche, die an der Stelle des einſtigen
231
Hauſes Mariens ſteht, iſt mehr breit als lang und be-
ſteht ſo zu ſagen aus drei Stöcken. Von der eigentlichen
Kirche, wo andächtige Männer und Frauen auf dem Mo-
ſaikboden ſaßen und beteten, führen zu beiden Seiten
Stiegen zum höher gelegenen Presbyterium hinauf, und
ebenſo führt eine Stiege mit 18 Stufen zur heiligen
Grotte hinab, die unterhalb des Presbyteriums ſich be-
findet, und dieſelbe iſt, in welcher das Geheimniß der
Menſchwerdung des Sohnes Gottes vor ſich ging. Sie
war von großen ſilbernen Lampen erleuchtet, und ein zar-
ter Weihrauchduft erfüllte dieſelbe.
Als wir ſo in Gedanken verſunken waren, da er-
ſchienen die Prieſter im kirchlichen Ornate am Altare, und
zogen mit brennenden Kerzen – ſingend und betend zur hei-
ligen Grotte hinab. Wir folgten, und ſo ſtanden oder knie-
ten wir vielmehr an jener ewig merkwürdigen Stelle, wo
der Erzengel Gabriel mit den Worten grüßte: Ave Ma-
ria! Dieß war das einzige Gebet, das ich hier ſtammeln
konnte. Wie niemals noch – erkannte und fühlte ich die
hohe Stellung der heiligen Jungfrau im Erlöſungswerke,
und die tiefe Begründung der katholiſchen Marienvereh-
rung. O ihr Spötter über das Roſenkranzgebet, kommet
hieher und machet an euch ſelbſt die Erfahrung, wie der
inhaltsvolle Gruß des Erzengels euch fort und fort auf
den Lippen ſchwebt, und wie einfach und natürlich deſſen
Wiederholung iſt. Ja, lieber Freund, ich muß Dir geſte-
hen, daß ich lange Zeit kein Gebet über die Lippen brachte,
und nur fort und fort derſelbe inhaltsſchwere Himmels-
gruß meinen Geiſt beſchäftigte. Alle Gedanken, alle
Worte, alle Gefühle lösten ſich in die Eine große Wahr-
heit auf, die am Altare mit großen Goldbuchſtaben ge-
ſchrieben ſtand: „Verbum caro hic factum est – das
232
Wort iſt hier Fleiſch geworden.“ Dieſe Worte ſagen Alles.
Daß ich in ſo gehobener Stimmung auf Dich, mein Lie-
ber, nicht vergaß, kannſt Du Dir denken. Wir blieben
ziemlich lange im Gebete verſunken – Augenblicke der
Gnade, die man nie vergeſſen kann. Wie Wenige haben
das Glück hier an Ort und Stelle zu knieen!
Auf der Rückſeite des Altars befindet ſich ein ſchö-
nes Bild vom berühmten Overbeck, die heilige Familie
darſtellend. Die Franziskaner von Nazareth haben den
ausſchließlichen Beſitz der ganzen Kirche, was bei keinem
andern heiligen Orte Paläſtinas der Fall iſt. Dieß macht
einen wohlthuenden Eindruck. Die Kirche wurde oft zer-
ſtört, und erſt ſeit 1620 ſo hergeſtellt, wie ſie jetzt iſt.
Aber wie kommt es, daß die Grotte unterirdiſch iſt?
Derlei Grotten befinden ſich unzählige in dem Kalkſtein-
gebirge, und ſie werden noch jetzt in vielen Häuſern als
die innerſten Gemächer benützt, an die das Haus gleich-
ſam angebaut iſt. Auch die Grotte von Nazareth ſteht
durch einen künſtlich in den Felſen gehauenen Gang mit
dem Franziskanerconvente in Verbindung. Wir folgten
der freundlichen Einladung des P. Quardian in das ge-
räumige und gut gebaute Kloſter, worin 12 Mönche woh-
nen. – Die katholiſche Gemeinde von Nazareth iſt arm
und zählt 600 Seelen unter 3500 Einwohnern. Die
Franziskaner ſtehen in Anſehen auch bei den Türken.
Alle Müdigkeit vergeſſend machten wir uns ſogleich
daran, die anderen traditionellen Merkwürdigkeiten von
Nazareth in Augenſchein zu nehmen, um ſo mehr als der
liebenswürdige P. Quardian uns ſeine Begleitung anbot.
Zuerſt begaben wir uns zu dem ſteinernen Tiſch, auf
welchem der göttliche Heiland mit ſeinen Jüngern nach
der Auferſtehung das h. Abendmahl feierte; eine ärmliche
233
Kapelle, in der manchmal Meſſe geleſen wird, wölbt ſich
über demſelben. Die Ehrfurcht des wiewohl unanſehnli-
chen Ortes hatte etwas Überwältigendes. Da jede der
heiligen Stätten mit Abläſſen begnadigt iſt, ſo betet man
an denſelben wenigſtens ein Vater unſer mit Gloria Pa-
tri – Auf einem freien Platze außer der Stadt be-
findet ſich der Brunnen, bei welchem die Mutter Got-
tes Waſſer zu holen pflegte. Die Griechen haben in der
Nähe eine ſchöne Kirche gebaut, die ein weiblicher
Sakriſtan öffnete, der uns gegen ein Bakſchiſch grie-
chiſche Hoſtien zum Geſchenke gab. Hinter dem Altar iſt
eine Ziſterne, aus der wir tranken. – Der Weg zum
Haus des h. Joſeph führte durch's türkiſche Quartier,
in welchem einige gefallene Äſer herumlagen, die einen
verpeſtenden Geſtank verbreiteten. So nahe iſt das Un-
heilige dem Heiligen. Die einſtmalige Zimmermannswerk-
ſtätte iſt ein ärmliches halbverfallenes Locale. An all die-
ſen Orten ſtanden einſt großartige Kirchen, welche durch
die Freigebigkeit der griechiſchen Kaiſer und der ſpäteren
Kreuzfahrer erbaut wurden; jetzt ſind es nur kleine äußerſt
ärmliche Kapellen, in denen zu Zeiten Meſſe geleſen wird.
Als wir durch die engen Straſſen zogen, zeigte uns
der freundliche Führer auch das proteſtantiſche Bethaus,
das erſt ſeit Kurzem beſteht. Die proteſtantiſchen Emiſ-
ſäre kamen nämlich auch nach Nazareth, um unter den
Katholiken Proſelyten zu machen. Der frühere Dragoman
des Kloſters, ein leichtes Subject, welches eben wegen
Untreue ſeines Dienſtes entlaſſen worden war, ſchloß ſich
– um an den Religioſen Rache zu nehmen, an die kleine
Gemeinde an, deren bezahlter Vorſtand er wurde. Die mei-
ſten der durch Geld Gewonnenen kehrten jedoch bußfertig
zur Kirche zurück, und gegenwärtig iſt die Gemeinde auf
234
ein Individuum zuſammengeſchmolzen. Solche Glaubens-
ſpaltung thut doppelt weh an einem ſo heiligen Orte.
Es war ſchon 7 Uhr Abends, als wir in das Frem-
denhospiz wieder zurückkamen, wo der uns bedienende
Fra Santo mit ſeinem arabiſchen Adjunkten Nunzio indeß
für das Eſſen geſorgt hatte. Wir ſpeisten in Geſellſchaft
eines Emigrirten aus Livorno, der hier als Arzt der
türkiſchen Armee figurirt, an einer langen Tafel. Die
Koſt war minder gut, das Beſte waren weiche Eier. –
Nach Tiſch ſtiegen wir auf das flache Dach des Hauſes
hinauf, um eine Überſicht über Stadt und Umgebung zu
gewinnen und den herrlichen Abend zu genießen. – Die
Nacht war ſehr unruhig, denn es wimmelte vom Unge-
ziefer. Mein Schlafcollege Marinelli machte zu wieder-
holten Malen Jagd auf die in der alten Bettdecke verſteck-
ten Blutſäuger; als er aber die zahlloſe Brut entdeckte,
gab er das Geſchäft auf. Auch war die Schwüle uner-
träglich. – Nach ſo großen Strapatzen nicht ſchlafen zu
können, thut weh: allein wer möchte an einem ſo heiligen
Orte klagen? Ein Pilger, der Bequemlichkeit ſucht, möge
lieber zu Hauſe bleiben.
Der folgende Tag (12. Auguſt) war zu einem
großartigen Ausflug zum galiläiſchen Meere beſtimmt.
Deßhalb ſtanden wir ſehr früh auf, und Ehon um halb
5 Uhr las ich in der oben beſchriebenen Grotte der Ver-
kündigung die h. Meſſe. Welch ein Glück! Immer ſchwebte
der Gedanke vor mir: das Wort Gottes iſt hier Fleiſch
geworden! Es war ſo ſtill und friedlich, ſo duftend und
geheimnißvoll wie in dem Kämmerlein einer gottgeweihten
235
Jungfrau. Bei meiner Meſſe communizirten ſieben Klo-
ſterbrüder, die rings um den Altar knieten. Solch ein Ein-
druck bleibt unvergeßlich! Ich blieb noch bei der Meſſe
Marinelli's, denn die Kirche von Nazareth hat ſo etwas
magnetiſch Anziehendes, daß man ſich nur ungerne davon
trennt.
Nach eingenommenem Frühſtück verſah uns der P.
Quardian noch mit Proviant, gab uns den verläßlichen
Dragoman des Kloſters auf den Weg mit, und wünſchte
uns eine glückliche Rückkehr. Um 6 Uhr Morgens verlie-
ßen wir Nazareth. Der Kawaß von Caiffa trug mir ſein
Pferd zum Tauſche an, weil ich über den geſtrigen Schim-
mel ſo klagte. – Als wir zur Stadt hinausritten, begeg-
neten uns viele Frauen und Mädchen aus Nazareth,
welche von der Marienquelle Waſſer holten, den Krug
auf der Schulter tragend; ſie hatten edle, ernſte Züge,
brünetten Geſichtsteint, ſchwarzes gekräuſeltes Haar, und
bei aller Verwahrloſung in der Kleidung eine ganz eigen-
thümliche Anmuth. Die Nazarethanerinen wollen behaup-
ten, daß ſie dieſen Vorzug der heiligen Jungfrau verdan-
ken. Jedenfalls mögen ſie ſtolz darauf ſein, daß eine ih-
res Geſchlechtes ſo voll der Gnaden gefunden wurde, daß
ihr eine hervorragende Stelle in dem großen Werke der
Welterlöſung zu Theil ward. Durch Maria iſt das weib-
liche Geſchlecht aus der Verſunkenheit ſeiner Exiſtenz ge-
hoben worden.
Das erſte Ziel der Expedition war der Berg Tha-
bor. Schon von weitem fällt dieſer Berg durch ſeine
breitgedrückte Kegelgeſtalt auf, denn er beherrſcht ganz
Galiläa, in deſſen Mitte er liegt. Nach etwa 3 Stunden
auf angenehmen breiten Thalwegen langten wir am Fuß
des Berges an. Er erhebt ſich frei aus der Ebene, fällt
236
nach allen Seiten gleich ſteil ab, und bildet am Scheitel
eine länglich runde Hochebene. Eichen, wilde Piſtazien und
dichtes parkähnliches Geſträuche beleben den Thabor bis
zum Gipfel hinauf. Da die übrigen Berge kahl ſind, ſo
gewinnt der Berg der Verklärung, der von Natur aus
dazu geſchaffen ſcheint, an vortheilhaftem Proſpecte. –
Ein Drittel des Berges, auf deſſen Gipfel wir eine
Stunde brauchten, ging ich zu Fuß, denn wenn auch der
heutige Gaul etwas beſſer als der geſtrige war, ſo war
doch ein anderer fataler Umſtand, nämlich daß beim Berg-
aufreiten der lockere Sattel ſich zurückſchob, ſo daß ich
ganz zu hinterſt zu ſitzen kam, wogegen auch der leidige
Troſt nichts half, den man mir gab, daß nämlich beim
Bergabreiten der Sattel wieder vorwärts rücken werde.
Die Hochebene des 1800 hohen Berges beträgt
eine halbe Stunde im Umfange. Einſt ſtanden dort Kirchen
und Caſtelle, jetzt findet man nur Ruinen. In einem ver-
fallenen Gewölbe ſteht der zerſchundene Unterbau eines
Altares, auf welchem die Franziskaner von Nazareth am
Feſte der Verklärung Chriſti eine feierliche Meſſe leſen;
manchmal celebriren auch geiſtliche Pilger darauf, wenn
ſie die Licenz dazu haben. – Die Ausſicht vom Plateau
des Berges iſt unvergleichlich ſchön, denn man ſieht das
galiläiſche Meer, den Jordan, den Hermon, die Berge
von Gelboe und Samaria, die Städtchen Naim und
Cana, und das vom Himmel gebildete und von den Völ-
kern aller Zeiten benützte Schlachtfeld der Ebene Esdre-
lon. Ein ſo herrliches Land – und ſo wüſte! Man möchte
weinen.
Im Schatten eines Johannesbrodbaumes ließen
wir uns auf altem Gemäuer nieder und verzehrten den
Kloſterproviant: Wein, Brod, und Eier. Die Collegen
237
ließen ſich die verlockend ausſehenden Waſſermelonen
ſchmecken, aber mir ſagten ſie nicht zu; ſie ſollen auch fie-
berhaft ſein. – Während wir ſo beiſammen ſaßen, zog
ich die Bibel hervor und las die Scene der Verklärnng
Chriſti auf dem Berge Thabor, wie ſie der Evangeliſt
Matthäus (17, 1 ff.) erzählt. In lautloſer Stille horch-
ten Alle zu. Es klang an Ort und Stelle ganz eigenthüm-
lich ergreifend, wenn es z. B. hieß: „Da ward Er vor
ihnen verklärt: und ſein Angeſicht glänzte wie die Sonne,
ſeine Kleider aber wurden weiß wie der Schnee. . . Und
ſiehe, eine Stimme aus der Wolke ſprach: Dieſer iſt mein
vielgeliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe,
dieſen ſollt ihr hören.“ – Heiliger Berg der Verklä-
rung, dich hat der Himmel geküßt! –
Vom Berge Thabor ſtand uns ein zweifacher Weg
offen, entweder rechts zum Jordansufer, oder links direct
nach Tiberias. Da der erſtere Weg weiter und gefährli-
cher war, ſo wählten wir den letzteren. Das iſt auch eine
Tour, die ich zeitlebens nicht vergeſſen werde. In der ſen-
genden Mittagshitze ritten wir faſt beſtändig im Trab,
weil unſere ängſtlichen Kawaſſen auf dieſer via paurosa
(unſicheren Straſſe) zur möglichſten Eile trieben. Um die
Plage zu vollenden, erhob ſich um 2 Uhr ein Samum, der
die Temperatur der Luft auf 40° R. ſteigerte. Der Leib
glühte von der Fußſohle bis zum Scheitel, ich glaubte er-
liegen zu müſſen. Wahrlich, jetzt durften wir nicht über
mangelnde Gelegenheit zur Selbſtverleugnung während
der Pilgerreiſe klagen. Ich pries aber Gott im Stillen
dafür, und opferte alle Beſchwerden auf. – Und was
litten erſt die armen Pferde! Seit frühem Morgen hatten
ſie weder zu freſſen noch zu trinken bekommen, und eine
- : --
238
Unzahl ſchwarzer Mücken quälte ſie an Naſe, Ohren und
am ganzen Leibe, ſo daß ſie blutrünſtig ausſahen.
Die Gegend war äußerſt monoton, hügelauf und
hügelab wie im öſterreichiſchen Waldviertel, die Berge
kahl und ausgebrannt, weit und breit kein Waſſer. –
Einmal kamen wir an einem zerſtörten Fort Mehemed
Ali's vorüber, in welches uns etliche Galgengeſichter durch
Anbot friſchen Waſſers verlocken wollten. Auch den her-
umſtreifenden Sendlingen eines in der Nähe befindlichen
Beduinenlagers begegneten wir, und die ängſtlichen Ka-
waſſen waren faſt außer ſich vor Schrecken, als Mari-
nelli mit einem ein Geſpräch begann. – Endlich heiterte
ſich das Bild etwas auf, als wir nach Überwindung der
letzten Anhöhe tief zu unſern Füßen die Stadt Tiberias
an dem ſchönen tiefblauen See Geneſareth erblickten.
Noch nie hat der Anblick des Waſſers ſo electriſch auf
mich gewirkt als damals, ich fühlte mich ſtärker. – Man
hat die Umgegend des galiläiſchen Meeres als ausneh-
mend ſchön geſchildert; ſie mag es vielleicht im Frühjahre
ſein, aber jetzt im Hochſommer, wo Alles ausgedorrt
war, iſt ſie es nicht; ſchön war nur der ruhige Waſſer-
ſpiegel und der jenſeitige Gebirgszug. – Jch ſtieg vom
Pferde und ging den ſteilen Berg zu Fuß hinab nach Ti-
berias, wo wir 4 Uhr Nachmittags ankamen.
Die Stadt Tiberias liegt dicht am Ufer des See's;
bei dem Erdbeben im Jahre 1837 hat ſie viel gelitten,
und noch liegen viele Häuſer und ein großer Theil der
Stadtmauern in Trümmern. Einſt war Tiberias eine be-
rühmte und beſonders ſeit der Zerſtörung Jeruſalems
wichtige Stadt, da die vornehmen Juden ſich hieher flüch-
teten, wie auch jetzt noch mehr Juden als Chriſten und
Türken darin leben. Hier wurde auch der Talmud verfaßt.
239
Vor der Stadt hatte türkiſche Kavalerie ihre grü-
nen Zelte aufgeſchlagen. Wir ritten unangefochten in die
Stadt durch mehrere Gaſſen, bis wir bei dem einzigen
Gaſthofe, der uns empfohlen worden war, ankamen, der
einem Juden aus Brody, Namens Weißman, gehört. Man
führte uns in ein großes Zimmer, in welchem breite Di-
vans ſich befanden, auf die wir uns wie auf ein Com-
mandowort ausſtreckten. Der dicke Wirth, der nebenbei
auch ärztliche Praxis treibt, war ein Allerweltsmann ohne
beſondere Bildung; in dem Fremdenbuch, das er uns vor-
zeigte, wurde er exceſſiv gelobt. Nach ſolchen Strapatzen
und unter ſolchen Verhältniſſen hat es ein Wirth leicht
Lob zu ernten: Unter Blinden iſt der Einäugige König.
Außer dem Divan fand ich nicht viel Lobenswerthes
bei ihm.
Das Erſte, was wir verlangten, war Waſſer. Gott
ſei Dank, an dem war kein Mangel, denn der See Gene-
ſareth hat 16 Stunden im Umfange. Dieſes Waſſer wird
am Morgen geholt und in poröſen Krügen geſammelt, wo
es ſich ſelbſt filtrirt, und dann ſehr ſchmackhaft zu trin-
ken iſt. Mein Durſt war unbeſchreiblich; denn nachdem
ich in unerſättlicher Gier zwölf Gläſer mit Konjak ge-
miſchten Waſſers hinabgeſtürzt hatte, war er noch nicht
geſtillt. Dieſe Unvorſichtigkeit hätte mir leicht ein Wech-
ſelfieber zuziehen können, aber die Gnade des Herrn, der
hier die meiſte Zeit ſeines Lehramtes zugebracht, ſchützte
ſeinen unwürdigen Diener.
Nachdem wir unſere Kräfte einigermaßen geſtärkt
hatten, machten wir einen Gang durch die Stadt hinaus
zum See Geneſareth. Ein klarer Spiegel – lag er
vor uns. Ich verſetzte mich im Geiſte in das Zeitalter des
göttlichen Heilandes zurück, und ließ die Scenen, welche
240
das Evangelium aus dieſer Gegend ſchildert, an mir vor-
überziehen. Hier trug Jeſus ſeine wundervollen Gleich-
niſſe vor, hier wählte er arme Fiſcher zu Apoſteln, hier
gab er dem Petrus die Schlüſſelgewalt, hier gebot er den
Winden und dem Meere. – Der See mag zwei Stunden
breit ſein, man überſieht ihn faſt ganz, doch kann
man den durchfließenden Iordan nicht unterſcheiden. Wie
gern wäre ich auf dieſem ewig denkwürdigen See ein bis-
chen herumgefahren, – aber es exiſtirte kein Schifflein.
So iſt wie der Segen, den Chriſtus hier geſpendet, auch
alles Leben gewichen. An den einſt ſo blühenden Ufern
iſt keine Vegetation zu entdecken, die den See umgebenden
Berge tragen die Spuren des vulkaniſchen Gepräges, und
die in der Bibel ſo viel genannten Städte Caphar-
naum, Magdala, Bethſaida ſind theils gänzlich ver-
ſchwunden, theils zu unbedeutenden Flecken herabgeſun-
ken. – Wir nahmen bei untergehender Sonne ein erqui-
ckendes Seebad, das uns die Beſchwerden des Tages
vergeſſen machte.
Allein nun folgten die Beſchwerden der Nacht. Als
wir nach Hauſe kamen, war der Tiſch gedeckt, und wir
ſetzten uns mit unbeſtrittenem Appetit zum Eſſen. Leider
traf unſer ärztlicher Wirth oder vielmehr deſſen Ehehälfte
nicht unſeren Geſchmack. Man ſetzte uns die köſtlich ſein
ſollenden Fiſche des galiläiſchen Meeres in Hülle und
Fülle auf, aber in ſo öliger und pfeffergewürzter Zube-
reitung, daß wir am Geruche genug hatten. Es war nicht
nur ein Freitag für uns, ſondern ganz und gar ein Faſt-
tag im vollſten Sinne des Wortes. Mit hungrigem Ma-
gen und müden Gliedern begaben wir uns zur Ruhe.
Ruhe? O Ironie! In dem Speiſeſalon, der zugleich
das gemeinſchaftliche Schlafzimmer bildete, lagen die fünf
241
Pilger auf dem Divan ausgeſtreckt, einer hinter dem an-
dern. Auf dem Tiſch brannte eine Lampe. Bald ſtand der
eine bald der andere auf, und lamentirte über das un-
barmherzige Ungeziefer. Die Fenſterläden ſtanden die
ganze Nacht offen, ſo daß die Katzen über unſere Körper
aus- und einſpazierten, kurz es war eine jammervolle
Nacht. – Du ſiehſt, lieber Freund, das Pilgerleben fängt
an ernſtlich zu werden, es fehlt nicht an aller Art unfrei-
williger Aszeſe: Nachtwachen, Hunger, Durſt, Hitze, Ka-
ſteiung, Ungeziefer und Ermattung, an innerer und äu-
ßerer Selbſtverleugnung.
Mit der erſten Morgendämmerung des 13. Auguſt
ſtand ich auf, kroch durch ein Fenſter auf eine Terraſſe,
und ſah von derſelben, wie die Nachbarsleute unter freiem
Himmel auf dem flachen Dache ſchliefen. – Später be-
ſuchten wir noch das Franziskanerhospiz mit der kleinen
netten Kirche, die auf demſelben Platze ſtehen ſoll, wo Pe-
trus die Schlüſſel des Himmels bekam, welch feierlichen
Act auch das Altarbild darſtellt. Bei derſelben befindet
ſich nur ein Pater mit einem arabiſchen Buben, der Die-
ner, Miniſtrant und Koch in Einer Perſon iſt. – Da
eben Sabbat war, ſo begegneten uns viele Juden im feſt-
lichen Anzuge, einige mit polniſchen Mützen ſprachen uns
deutſch an, größtentheils öſterreichiſche Unterthanen. –
Die nahen warmen Bäder konnten wir jedoch nicht mehr
beſuchen, weil wir uns zur Rückreiſe rüſten mußten.
Gegen 6 Uhr Morgens machten wir uns auf den
Weg, und ritten in nordweſtlicher Richtung, uns immer
mehr vom freundlichen See Geneſareth entfernend. –
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 16
242
Nach zwei Stunden gelangten wir an den hochgelegenen
Ort, wo Jeſus die fünf Tauſend mit fünf Gerſtenbro-
den und zwei Fiſchen wunderbar ſpeiſte. Einige Steine
ſind von Natur wie zu Sitzen gebildet, aber keine Denk-
ſäule ziert den Ort, wo das große Wunder geſchah, wegen
welchem ſie Jeſus mit Gewalt zum Könige machen wollten
(Joh. 6, 1 ff.). Hier iſt man – wie im Orient überhaupt
– auf die Tradition angewieſen. Der chriſtliche Pilger
muß ſich in die Vergangenheit zurückverſetzen und mit
lebendigem Glauben die öden Gegenden und zerſtörten
Mauerreſte beleben; nur ſo wird ſeine Frömmigkeit in
der traurigen Gegenwart Nahrung finden. Wer an Allem
zweifelt, der mache keine Pilgerreiſe, ausgenommen er
will durch die Ehrwürdigkeit der erhaltenen Traditio-
nen wieder zum Glauben kommen.
Nur wenig entfernt davon iſt der Berg der Se-
ligkeiten, wo Jeſus die bekannte Bergpredigt hielt
(Matth. 5 ff.). Man kann ſich lebhaft vorſtellen, wie das
gläubige Volk den göttlichen Heiland umgab, um aus ſei-
nem Munde die beſeligende Lehre des Heiles zu verneh-
men. Wenn man das hügelige Land betrachtet, ſo begreift
man auch, daß der Erlöſer oft auf Bergen betete.
Wir ritten ohne Raſt weiter. Noch ein Blick zurück
– und der blaue See Geneſareth verſchwand; ſo ſpäter
auch die Gebirgsſtadt Bethulien, die durch die tapfere
Judith berühmt wurde. – Eine Karawane von 200 Ka-
meelen eskortirt, von lanzentragenden Beduinen begeg-
nete uns. – Nach 10 Uhr erreichten wir das Dörfchen
Cana, wo Jeſus ſein erſtes Wunder wirkte. Der Ort
ſieht äußerſt ärmlich aus. Wo einſt das Haus des Apo-
ſtels Bartholomäus ſtand, befinden ſich Überreſte einer
Kirche; ebenſo dort, wo Chriſtus bei der Hochzeit Waſſer
243
in Wein verwandelte. Sonſt iſt kein traditioneller An-
haltspunkt vorhanden. – In dem Inneren eines Hauſes,
das ich mit Caſella betrat, trafen wir Menſchen, Kühe
und Hühner in demſelben Gemache. – Außer dem Orte
in einem Garten von Feigenbäumen ſchlugen wir Lager,
und eine nahe Quelle, an welcher Viehweidete, verſorgte
uns mit gutem Waſſer. Einige Mädchen, welche zufällig
an der Quelle beſchäftiget waren, trugen Silbermünzen
in den ſtruppig ſchwarzen Haaren und um die Stirne;
ſie ſahen wie trotzige Buben drein, aber hinter dem
Schmutze ſteckten edle Züge. – Wir hielten unter freiem
Himmel eine ſpärliche Collation, wobei mir ein niedriger
Feigenbaum wie einſt dem kleinen Zachäus als Sitzbank
diente; die Feigen ſelbſt aber, obwohl ſie mir ſo zu ſagen
in den Mund hingen, hatten für mich nichts Verlockendes.
Nach kurzer Raſt brachen wir auf. Der Ritt war
an dieſem Tage nicht ſo anſtrengend, wie am früheren.
Leichte Wolken milderten die Sonnenſtrahlen, ein ſanfter
Wind fächelte angenehme Kühlung zu, und eher als ich's
vermuthete, – ſchon 2 Uhr Nachmittags – kamen wir
nach dem lieben Nazareth zurück. – Der freundliche
P. Quardian, der inzwiſchen das Fieber bekommen hatte,
bewillkommte uns, und Fra Santo brachte Limonade und
Kaffee. – Den Reſt des Tages füllten wir mit Ausru-
hen, Schreiben und Kirchenbeſuch aus.– Die Nacht war
ſo unruhig wie die früheren, denn zu dem ohnedem reich-
lich vorhandenen Ungeziefer hatten wir ohne Zweifel noch
friſche Einquartierung mitgebracht, – ich konnte faſt gar
nicht ſchlafen.
Um ſo erwünſchter kam die Morgenſtunde. Der
14. Auguſt war ein Sonntag. Ich las die heil. Meſſe in
16*
244
der rückwärtigen Grotte auf dem Altar, welcher dem
Erzengel Gabriel und dem heil. Joſeph geweiht iſt. Einige
Araber und Araberinnen, die oft den Boden küßten, wohn-
ten in dem kleinen Locale dem heiligen Opfer bei. Mari-
nelli konnte nicht celebriren, denn er fühlte ſich etwas
unwohl, erholte ſich aber doch ſo viel, daß er die Weiter-
reiſe antreten konnte.
Es ſtand uns ein doppelter Weg frei, um nach Je-
ruſalem zu kommen. Der Weg durch Samaria wäre der
nächſte geweſen; aber er wurde uns als ſehr gefährlich
und bei der jetzigen Hitze als außerordentlich beſchwerlich
geſchildert. Daher entſchieden wir uns für den anderen
Weg, nämlich nach dem Berge Carmel zurück, ſodann von
dort auf dem Meere nach Jaffa, und von Jaffa erſt nach
Jeruſalem zu pilgern. Es war unſtreitig das Beſte, obwohl
wir den Weg nach Caiffa ſchon einmal gemacht hatten. –
Wir nahmen Abſchied von dem Sanctuarium, in welchem
ein ſo überirdiſcher Friede die Seele erquickt, dankten
dem guten P. Quardian, der uns einen Stein aus der
Grotte der Verkündigung zum Andenken gab, und ließen
nebſt den Trinkgeldern dem Kloſter drei Dukaten als
Almoſen zurück.
Berg Carmel 14. Auguſt.
Noch will ich Dir kurz den Rückweg von Nazareth
bis hieher ſchildern. Als wir 6 Uhr früh das unvergeß-
liche Nazareth verließen, begegnete uns ein Mann, der
ein Maulthier, auf welchem eine Mutter mit ihrem Kinde
ſaß, am Zaume führte. Wer hätte da nicht an die heilige
Familie gedacht, wie ſie nach Egypten zog?
Der Rückweg nach Caiffa, das wir in ſieben Stun-
den erreichten, kam mir viel kürzer vor. Viele Thierſke-
245
lette lagen auf den Feldern, denn wo ein Thier umſteht,
dort bleibt es liegen, bis es von den Schakalen und Hun-
den verzehrt wird. – In der Nähe eines unheimlichen
Ortes hielten wir unſere ſpärliche Collation. Da mir die
Kloſterkoſt nicht mundete, ſo war es bereits der dritte
Tag, an dem ich von Brod, Eiern und gewäſſertem Wein
lebte. So viel leichter iſt es im Orient zu faſten; zu Hauſe
würde des Klagens kein Ende ſein. Aber herzlich froh
war ich, als wir das Kloſter auf dem Berge Carmel wie-
der erblickten, und noch mehr, als wir wohlbehalten da-
ſelbſt ankamen. Solch eine Excurſion läßt beiläufig den
Eindruck zurück, als ob man eine Todeskrankheit über-
ſtanden hätte.
Der freundliche Fra Carlo kam und beſorgte Kaffee
und köſtliches Waſſer. Nun erſchienen uns die wohnli-
chen Zimmer zum zweiten Mal wie fürſtliche Reſidenzen,
und ein erquickender Schlummer ſchloß bald meine Augen.
Mir träumte von den Schönheiten des Himmels, die
Engel ſangen in harmoniſchen Accorden – ich war über-
glücklich. Aus dem Halbſchlummer erwachend, hörte ich
wirklich ganz in der Nähe Orgeltöne, denn die Carmeliter
hielten ſo eben die feierliche Veſper des morgigen Feſtes
Maria Himmelfahrt. Es lag etwas Überirdiſches in dem
Geſange dieſer ſtrengen Mönche, die Alles verlaſſen haben,
um den Himmel zu gewinnen. Es leidet mich nicht mehr
im Zimmer, entſchuldige, lieber Freund, ich trenne mich
von Dir, um in die Kirche zu gehen – doch nein, im
Gebete gibt es ja keine Trennung. Mit Liebe Dein c.
246
XIII.
Von Caiſſa über Jaffa nach Jeruſalem.
Abſchied vom Berge Carmel. – Ein Brief aus der Heimat. – Der
Lloyddampfer „Schild.“ – Seekrankheit an der Küſte Paläſtinas. –
Beſchwerliche Ausſchiffung in Jaffa.– Ein geprügelter Jude. – Terra
sancta. – Kloſter der ſpaniſchen Franziskaner. – Kloſterkoſt. – » Ul-
tima ratio.“ – Bibliſche Erinnerungen in Jaffa. – Totale Umände-
rung des Reiſemarſchall. – Der orientaliſche Eſel. – Ritt nach Ramleh.
– Paradieſiſche Gärten. – Wüſte. – Ebene Saron. – Rückkehr
eines Verirrten. – Ein Held in der Mönchskutte. – Die Bergola und
das Napoleonzimmer zu Ramleh. – Die Kirche des heil. Joſeph von
Arimathäa. – Thurm der vierzig Märtyrer. – Vorgefühle in der
Nähe der heil. Stadt. – Beſchwerliche Pilgerſtraße nach Jeruſalem. –
Nachtherberge unter freiem Himmel. – Die Augenkrankheiten im Orient.
– Endliche Ankunft vor Jeruſalem. – Erſter Anblick der heil. Stadt.
– Trauriger Eindruck. – Einzug in Jeruſalem.
Lieber Freund!
Am Feſttage Maria Himmelfahrt las ich die heil.
Meſſe um halb 5 Uhr in der Eliasgrotte, während wel-
cher der öſterreichiſche Kloſterbruder communizirte. Nach
dem Frühſtück hieß es von dem gaſtlichen Kloſter auf dem
Berge Carmel Abſchied nehmen, denn der Lloyddampfer,
den wir nach Jaffa zu benützen gedachten, war bereits in
Sicht. Wir gaben dem Kloſter 5 Dukaten als Almoſen,
und ins Fremdenbuch ſchrieb ich die Worte: Bonum est
hic esse (Hier iſt gut ſein). Die Pferde ſtanden bereit.
Noch einen Gruß an Fra Carlo, und wir verließen
die freundliche Pilgerherberge.
In Caiffa trafen wir beim Conſul zwei Kapitäne
des inzwiſchen angekommenen Lloydſchiffes, welche die
freie Zeit benützten, um der heil. Meſſe, die ein Carmelit
247
in dem kleinen Kirchlein zu Caiffa las, beizuwohnen. Der
Lloyddampfer hatte mir die große Freude eines Briefes
von Deiner Hand, mein Lieber, gebracht. Wie unſchätzbar
iſt ſolch ein Brief aus der Heimat in der Ferne, ſo un-
ſchätzbar wie ein treuer Freund! Wie intereſſirte mich
Alles, was Du mir ſchriebſt, und wie tröſtet mich das
Bewußtſein, daß Du, mein Freund, und mit Dir ſo viele
Dir Gleichgeſinnte unſere Pilgerfahrt im frommen Gebete
begleiten!
Die Einſchiffung auf den Lloyddampfer „Schild"
fand um 8 Uhr ſtatt. Die arabiſchen Eckenſteher equili-
brirten uns glücklich vom ſandigen Ufer durchs Waſſer
in die bereitſtehende Barke, welche uns an Bord brachte.
Die Kapitäne waren wieder ſehr freundliche Leute, und
aus der Kajüte, in welcher der Wiener-Loyd auflag,
dampfte einladender Speiſengeruch. Wir ſetzten uns zur
Collation, aber (s'iſt zum Verzweifeln) die fatalen Schiffs-
ſchwankungen machten mich bald wieder ſeekrank. Zahlen –
nichts eſſen – und unwohl ſein! Auf dem Verdeck liegend
brütete ich in die monotonen Meereswogen hinaus, wäh-
rend ſich's die Collegen tüchtig ſchmecken ließen. Da ſagt
man immer, die Seekrankheit verliert ſich, wenn man
öfter auf dem Meere fährt; nun ich wäre doch genug ſchon
darauf herumgefahren, und merke noch nichts davon.
Zum Glück war es eine kurze Fahrt, die wir im
Angeſichte der Küſte Paläſtina's machten, denn ſchon um
3 Uhr Nachmittags landeten wir in Jaffa. Das Herz
pochte vor Freude, denn Jaffa iſt der Hafen von Jeruſa-
lem, von dem uns nur zwölf Stunden mehr trennten.
Die Stadt liegt amphitheatraliſch ſchön auf einem Hügel.
Deſto ſchlimmer dafür ſieht der Hafen aus, der voll felſi-
ger Klippen iſt, an welchen ſich mit betäubendem Toſen
.
248
das ſchäumende Meer bricht. Die Einfahrt in denſelben
iſt nur mit großer Geſchicklichkeit zu treffen. – Wir
kamen glücklich ans Ufer, wo das obligate Schreien und
Streiten begann. Die Ufertreppe war hier ſo hoch, daß
man ſich aus der ſchaukelnden Barke mußte hinaufheben
laſſen. Gerne wäre ich der Erſte hinaufvoltigirt, um wie-
der feſten Boden unter meinen Füſſen zu haben, aber eine
jüdiſche Familie, die mit uns in derſelben Barke fuhr,
verſtellte mir den Weg; ſie handelte mit den Barkenfüh-
rern ſo unausſtehlich lange, bis dieſe dem Handel damit
ein Ende machten, daß ſie den Juden, der uns um Schutz
anrief, prügelten. So wurde die Paſſage frei, und wir
befanden uns auf der Terra sancta, d. h. im heiligen
Lande.
Der erſte Gang war auf die nahe Dogana, wo die
Effekten unterſucht werden ſollten; weil wir aber Bak-
ſchiſch gaben, ſo hieß es: „jela" (vorwärts). – Wir
ließen uns in das nahe Franziskanerkloſter führen, das
wie eine Feſtung mit der Fronte gegen das Meer gebaut
iſt. Es gehört ſpaniſchen Mönchen, die uns Öſterreicher
ſehr freundlich begrüßten und ſogleich bei ſich einquar-
tierten. Das Kloſter hat mehrere Stockwerke und iſt ſehr
unregelmäßig, daher wurden wir auch ziemlich zertheilt.
Hubinger bekam ein ſchönes Zimmer im erſten Stock,
Caſella und Mayr im dritten, Marinelli und ich erhiel-
ten mitſammen eine dunkle Kloſterzelle im Convente, das
Prototyp aller Genügſamkeit. Nur Eines war darin
angenehm, daß wir nämlich gerade auf die nahe Kirche
ſehen konnten, in welcher bald nach unſerer Ankunft die
Marienlitanei geſungen wurde. – Abends ſpeiſten wir
gemeinſchaftlich mit den Mönchen. Ich hätte einen gran-
dioſen Appetit gehabt, aber die Kloſterkoſt war meinem
249
Gaumen abſolut unerträglich; ſelbſt der Cyprerwein
widerſtand mir wegen ſeines böckelnden Geruches, den er
in Folge ſeiner Verſchickung in Bockshäuten angenommen
hatte. – Vor dem Schlafengehen mußte ich noch herzlich
lachen, als ich Marinelli ſah, wie er auf die großen und
ſchnellen Käfer (vulgo Schwaben genannnt), die ſich in
unſerm Zimmer geſchäftig machten, in Ermanglung ande-
rer Mordinſtrumente mit ſeinem Säbel, auf dem „ultima
ratio" (das letzte Mittel) ſtand, Jagd machte. – Die
Nacht war übrigens ruhig, und ich ſchlief auf dem harten
Bette recht gut. -
Jaffa (Joppe) iſt eine der älteſten Städte der Welt,
dem Namen nach erinnert ſie an Japhet. Noe ſoll hier
die Arche gebaut, und Jonas der Prophet ſich hier einge-
ſchifft haben; hier wurden die Cedern des Libanon zum
ſalomoniſchen Tempel ans Land gebracht. In Jaffa hatte
der heil. Petrus die wunderbare Viſion über die Beru-
fung der Heiden, hier erweckte er die Tabitha. An der
Stelle, wo dieß geſchah, ſtand einſt eine Kirche, die jetzt
eine zerfallende Moſchee iſt. Gegenwärtig zählt Jaffa
600 Katholiken unter 10,000 Einwohnern.
Um 7 Uhr früh laſen wir die heil. Meſſe in der
kleinen aber reinlichen Kirche, die dem heil. Petrus ge-
weiht iſt, der an derſelben Stelle die Gaſtfreundſchaft
des Gerbers Simon genoß. Einige erſt kurz hier befind-
liche franzöſiſche Kloſterfrauen wohnten mit den Schul-
kindern ſtille und andächtig derſelben bei.
Nachmittags war beantragt die Reiſe nach Jeruſa-
lem anzutreten. Bevor jedoch dieß geſchah, legte unſer
Reiſemarſchall Caſella ſein Amt als Caſſier nieder, und
war trotz aller Gegenvorſtellungen und Bitten nicht zur
250
Fortſetzung desſelben zu bewegen. Wir konnten uns ſein
plötzlich geändertes ſonderbares Benehmen gar nicht er-
klären, und Caſella ſelbſt wußte ſich dafür keine Rechen-
ſchaft zu geben. Er, der ſonſt ſo Redſelige, war nun
wortkarg, in ſich verſunken, verſchloſſen, faſt verſtört, ſo
daß wir Alle beſorgten, es ſei ihm oder ſeinen Angehöri-
gen in der Heimat etwas zugeſtoſſen. Das Caſſiergeſchäft
übernahm nun Marinelli.
Nach dem Mittagstiſch um 2 Uhr ſammelte ſich die
Karawane (es hatten ſich drei Franzoſen angeſchloſſen,
darunter der Neffe des franzöſiſchen Conſuls Botta zu
Jeruſalem) vor der Kloſterpforte zu Jaffa. Da nirgends
genug Pferde aufzutreiben waren, weil Tags zuvor eine
zahlreiche Judenkarawane nach Jeruſalem gezogen war,
mußten wir uns für dießmal mit Eſeln begnügen. Übri-
gens iſt dieſes Thier im Orient keineswegs ſo verachtet
wie in Europa; hohe Perſonen und beſonders Frauen
bedienen ſich ſeiner. Der orientaliſche Eſel iſt ſich ſeines
Werthes auch mehr bewußt als die europäiſchen; er iſt
ſtolzer, ſtärker, größer, flinker. Es reitet ſich auch paſſabel
darauf, nur iſt das Zappeln derſelben ermüdender als
das Reiten zu Pferd, auch iſt es unangenehm, daß man
ihnen weder Steigbügel noch Zügel anlegt, indem man
ſie auf ſolche Weiſe nicht zum Stehen bringen kann, wenn
es ihnen nicht ſelbſt beliebt.
Wir ritten durch die engen und belebten Straßen
bis zum großen Stadtthor, außer welchem die berühmten
Gärten von Jaffa, die zwei Meilen im Umfange haben,
und von natürlichen Hecken indiſcher Feigen eingefriedet
ſind, ſich befinden. Das ganze Jahr hindurch prangen
daſelbſt Orangen, Feigen, Mandeln, Granatäpfel, Dat-
teln :c. mit ſtrotzenden Blüthen und Früchten. Es war
251
eine Freude durch dieſe künſtlich bewäſſerten Gärten zu
reiten. – Leider hörte dieſe paradieſiſche Vegetation,
welche eine beiläufige Vorſtellung von dem einſtigen ge-
lobten Lande gewähren mag, bald auf, und im ärgſten
Kontraſte eröffnete ſich eine Wüſte, die ſich fortzog bis
Jeruſalem. Und doch iſt's dieſelbe Ebene Saron, die
einſt wegen ihrer Fruchtbarkeit berühmt war, und Tau-
ſende von Menſchen nährte! Jetzt liegt das ganze Erd-
reich brach, und bringt nichts als Diſteln und dürre
Kräuter hervor. Wer verkennt da den Finger Gottes?
wer leugnet die Erfüllung der göttlichen Strafgerichte,
wenn es z. B. heißt: „Euer Land iſt verwüſtet, eure
Städte ſind mit Feuer verbrannt, eure Gegend freſſen
Fremde vor euren Augen, und ſie wird verwüſtet wie
durch eine feindliche Verheerung;" und abermals: „Ich
will meinen Weinberg in eine Wüſte verwandeln: er ſoll
nicht beſchnitten, nicht behackt werden, und Diſteln und
Dörner ſollen darin aufwachſen." (Jeſaias 1, 7; 5, 6).
Als wir bereits eine Stunde zurückgelegt hatten,
bemerkten unſere Mucker, daß ein Packeſel fehle, und da
es gerade derjenige war, der die Gefälligkeit hatte mei-
nen Koffer zu tragen, ſo war ich nicht wenig beſtürzt
darüber. Sogleich wurden zwei Mucker zurückgeſchickt,
um den Verirrten aufzuſuchen. Selbiger Eſel hatte die
Reiſe, nachdem er bepackt war, nach ſeinem Pläſir allein
angetreten, und da er ſeine Collegen d. h. die Packeſel
nicht fand, ſo kehrte er wieder um, und die Mucker trafen
ihn auf dem Platz vor der Kloſterpforte, wo die Aufpa-
ckung ſtattgefunden hatte. Dieſe Ehrenrettung bin ich dem
orientaliſchen Langohrgeſchlechte ſchuldig.
Während dieſer Wart-Epiſode will ich Dich lieber
Freund, mit einem intereſſanten Manne bekannt machen,
252
der uns von Jaffa aus begleitete, nämlich mit P. Gomez,
dem Quardian des Franziskanerconventes zu Ramleh.
Dieſer Mann iſt ein Original, halb Mönch, halb Sol-
dat. Stelle Dir einen Mann in den Fünfzigen vor, groß
von Statur, mit nobler Haltung und edlen Zügen, die
von einem impoſanten Barte eingerahmt ſind, der
in der demüthigen Kutte wie ein Held eine kraftvolle
Commandoſprache führt: das iſt P. Gomez. Geboren zu
Valencia in Spanien, ſtudierte er Theologie, wurde aber
als der Bürgerkrieg ausbrach, Soldat, diente neun Jahre
in der Armee der Königin, machte – ich weiß nicht wie
viele blutige Treffen mit, und ſollte für ſeine Verdienſte
zum Oberſten befördert werden. Da auf dem Gipfel ſei-
nes Glückes denkt er an ſeinen erſten Beruf zum kirchli-
chen Dienſte, verſchmäht Rang und Auszeichnung, und
tritt in den armen Franziskanerorden mit der Bitte, in
das heilige Land geſendet zu werden. – Ein neuer Be-
weis, daß der Kriegsdienſt und der Dienſt Gottes ein-
ander nicht ſo ferne ſtehen. -
Wir kamen erſt bei untergehender Sonne nach
Ramleh, wohin man gewöhnlich 4 Stunden rechnet. An
der Kloſterpforte empfing uns P. Gomez, der indeß vor-
ausgeritten war, um für unſere Beherbergung im Kloſter
Sorge zu treffen, und ſich nun als der freundlichſte,
aufmerkſamſte und zuvorkommendſte Hausherr erwies.
Zuerſt gab er Befehl, wo die Saumthiere untergebracht
werden ſollten, dann führte er uns in die friſch geſcheuer-
ten Zimmer, und lud uns auf eine kleine Erquickung in
ſeine Wohnung. Die drei Mönche des Hauſes thaten
überhaupt das Möglichſte, um uns gehörig zu bewirthen.
Beim gemeinſchaftlichen Speiſen im Refectorium des
Kloſters ſprach P. Gomez laut das Gebet, und war über-
253
haupt ſehr aufgeräumt. Die Koſt war gut, der unver-
meidliche Schöps erſchien unter mancherlei Geſtalten. –
Nach Tiſch verplauderten wir ein Stündchen im Freien
bei Mondenſchein auf einer Art Bergola, auf welcher ſich
eine von herrlichen Früchten ſtrotzende Weinlaube befand;
im ſtillen Kloſtergarten ſtand eine Palme. Um den Genuß
zu erhöhen, wollten wir noch das Dach des Hauſes be-
ſteigen, was aber P. Gomez nicht zugab, weil ſchon öfter
auf Fremde, die ſich Abends auf der oberſten Terraſſe
blicken ließen, geſchoſſen wurde; die Türken pflegen näm-
lich Abends ihren Harem ins Freie zu führen, daß er
friſche Luft ſchnappe, und bringen auch die Nacht größ-
tentheils unter freiem Himmel zu, wobei ſie kein Giaur
belauſchen ſoll.
Wir gingen alſo in die uns angewieſenen Zimmer,
das erſte Mal, daß jeder ſein eigenes Zimmer hatte.
Collega Hubinger bekam das ſogenannte Napoleonzim-
mer, in welchem nämlich Napoleon gelegentlich ſeines
ſyriſchen Feldzuges ſchlief, denn weiter als nach Ramleh
kam er nicht, weil Jeruſalem, wie Napoleon geſagt haben
ſoll, nicht in ſeiner Operationslinie lag. Charakteriſtiſch!
Wir brachten den größten Theil des folgenden Ta-
ges (17. Auguſt) in Ramleh zu, weil wir auf den Eſeln
nicht fortreiten, ſondern die Herbeiſchaffung von Pferden
abwarten wollten. Es war ein unfreiwilliger Raſttag,
und ſo fügte es die Vorſehung, daß wir gerade am
Geburtstage Sr. Majeſtät unſeres allergnädigſten Kai-
ſers, für deſſen glückliche Rettung wir am heiligen Grabe
Gott danken wollten, nach Jeruſalem kamen.
Am frühen Morgen las ich die heil. Meſſe in der
254
Kirche des Kloſters, welche dem heil. Joſeph von Ari-
mathäa, der hier gewohnt haben ſoll, geweiht iſt. Die
Kirche iſt lang, ſchmal und reinlich. In Ramleh ſind nur
drei katholiſche Familien. – Vormittags wurde ein Aus-
flug zu dem eine Stunde entfernten Thurm der vierzig
Märtyrer gemacht, der weithin die Gegend beherrſcht.
Er hat ſeinen Namen von jenen heldenmüthigen Soldaten
der XII. Legion, die lieber ſtarben als den Götzen opfer-
ten; ein Theil ihrer Reliquien kam nach Ramleh, wo man
ihnen zu Ehren eine ſchöne Kirche baute, welche die Tem-
pler des Mittelalters beſonders in Schutz nahmen; ſpä-
ter diente ſie als Moſchee, jetzt iſt ſie faſt ganz verfallen.
Meine Gedanken ſchwebten, wie Du, mein Lieber,
leicht mitfühlen wirſt, ſchon immer in Jeruſalem, von
dem uns nur noch eine halbe Tagreiſe trennte. Ich konnte
es gar nicht glauben, daß mir dieſe Gnade zu Theil
werden ſollte jenen heiligen Boden zu betreten, wo der
Gottmenſch lebte und wirkte, und wo das vollkommenſte
Drama der ganzen Weltgeſchichte ſich entwickelte. Was
von Kindheit an die zarte Einbildungskraft beſchäftigte,
ſollte ich nun nicht mehr im Bilde, ſondern in der Wirk-
lichkeit und mit leiblichen Augen ſchauen. Wahrlich, eine
heiligere Empfindung kann es kaum geben. Sehnſucht und
Freude, Innigkeit und Rührung, Unruhe und Vertrauen
ſtritten ſich im Herzen – die Reiſe ward zum Gebete.
Um 4 Uhr Nachmittags kamen die Pferde in den
Kloſterhof, und die Bepackung begann. Einem alten Fra-
ter, der dabei wacker mithalf, ſchenkte ich einen zerriſſe-
nen Regenſchirm, worüber er eine große Freude hatte.
So macht man nicht ſelten Leute glücklich mit dem, was
man wegwirft. Nachdem wir dem ritterlichen P. Quar-
dian verſprochen hatten auf dem Rückwege wieder zuzu-
255
ſprechen, ſaßen wir auf die gut ausſehenden Pferde und
ritten fort; es war 5 Uhr Abends.
Der Weg führte anfangs über bebaute Felder und
durch einige Dörfer; aber die Berge Judäa's rückten
immer näher, und mit ihnen die Beſchwerlichkeit der
Reiſe. Du darfſt Dir, mein Lieber, nicht etwa eine Straße
denken, auf der ein Wagen fahren könnte (einen Wagen
haben wir ſeit Conſtantinopel nicht mehr geſehen), ſondern
die Straße iſt ein tief ausgetretener Pfad, der an man-
chen Stellen ſo ſchmal iſt, daß zufällig ſich begegnende
Karawanen einander kaum ausweichen können.
Die Dämmerung rückte heran, und nun begann
der eigentliche Gebirgsweg. An einem ausgetrockneten
Waſſerbeete zog ſich der ſteinige Felſenpfad immer auf-
wärts, machte tauſenderlei Biegungen, jetzt bergauf dann
wieder bergab, in dieſer troſtlos monotonen Gebirgswild-
niß, wahrhaft ermüdend. Es war, als ob die Entbehrun-
gen und phyſiſchen Beſchwerden des Pilgers ſich in dem
Verhältniße ſteigerten, als er ſich dem Ziele nähert. Wir
ritten volle fünf Stunden ohne einen Augenblick zu raſten,
alle waren müd und matt, aber keiner klagte. Manchmal
war es ſehr unheimlich, denn die Schattenbilder, welche
der Vollmond warf, geſtalteten ſich in der Phantaſie zu
allerlei furchtbaren Geſtalten. – Dieſer Pilgerweg iſt
auch keineswegs ſicher. Noch exiſtiren zwar die einſt von
den Kreuzrittern zum Schutze der pilgernden Chriſten er-
bauten Caſtelle, aber gerade dieſe verfallenen Gemäuer
bilden den Banditen und Räubern willkommene Schlupf-
winkel. Man hört auch alljährlich von Raubanfällen und
Mordthaten in dieſer Gegend.
Es war 11 Uhr Nachts, als wir in Kerith el
Enab d. h. Traubenthal (auch Jeremiasthal genannt)
256
anhielten, um etliche Stunden zu raſten. Dieſe Gegend
war einſt hochberühmt durch kühne Diebereien, denn es
lebte hier durch lange Zeit einer der nobelſten arabiſchen
Straſſenräuber Namens Abugoſch, der das lucrative Ge-
ſchäft der Brandſchatzung der vorüberziehenden Pilger
en gros betrieb. Der Mond beleuchtete die Überreſte
einer im romaniſchen Style gebauten Kirche aus dem 12.
Jahrhundert, die nun als Stall verwendet wird. Auf dem
freien Platze vor der einſtigen Kirche ſtiegen wir ab, ban-
den die Pferde feſt, und nahmen unter den gaſtlichen
Zweigen einer großen Steineiche einen frugalen Imbiß
von Brod und Trauben. Der nächtliche Thau begann ſich
auf die Erde zu ſenken, und es wurde kalt. Ich hüllte
mich feſt in meinen grauen Radmantel, ſchlug den Kragen
über die Ohren, wählte einen Stein zum Kopfkiſſen und
legte mich auf die blanke Erde nieder. Dieſe Liegeſtätte
vor Jeruſalem war eines Pilgers würdig, und freut mich
noch heute.
Nach zwei Stunden des beſten wahrhaft erquicken-
den Schlafes, wurde Allarm gemacht d. h. zum Aufſtehen
und Weiterreiten eingeladen, denn es lag uns Allen daran
noch dem Gottesdienſte in der heiligen Stadt beizuwoh-
nen. Als ich erwachte, rieb ich mir die Augen und hatte
Angſt, weil mir Alles ſo düſter erſchien. Ich wußte näm-
lich, daß das Schlafen unter freiem Himmel, beſonders
bei Mondenſchein und ſtark einfallendem Thau für die
Augen ſehr ſchädlich ſei, wofür die vielen Einäugigen und
Blinden im Orient ein trauriger Beleg ſind. Bei mir war
es jedoch nur vorübergehende Täuſchung.
Es war 1 Uhr Nachts; der Himmel klar und voll
Sterne; die Kälte empfindlich. Wir beſtiegen die Pferde
und ritten auf dem felſigen Gebirgspfade noch volle
257
3 Stunden. Es war wohl keine Libanonexpedition, aber
immerhin beſchwerlich, bergauf und bergab, nichts als
wildes Geſtrüppe. Nie kam mir ein Reiſeziel ferner vor,
als dieſes. Der Mond leuchtete uns wohl lieblich auf den
mühſamen Pfaden über die Gebirge Judäa's, aber er
konnte die Müdigkeit nicht bannen, welche Geiſt und Kör-
per erſchlafften. Die beſtändige Sehnſucht nach dem Ziele,
das Vorgefühl des Glückes Jeruſalem zu ſehen und zu
betreten, die unbeſchreibliche Neugierde, welchen Eindruck
der erſte Anblick in uns hervorbringen werde; dies Alles
bewirkte, daß wir wie träumend mit den Gebilden der
Phantaſie beſchäftigt dahin zogen, und von einer Anhöhe
zur andern in der ſtets ſchmerzlicheren Enttäuſchung
kamen noch nicht am heiß erſehnten Ziele zu ſein. Der
Augenblick ſchien nicht zu erwarten, wo Jeruſalem ſich
zeigen ſollte. Endlich bei dem letzten Schimmer des zum
Untergange ſich neigenden Vollmondes erblickten wir lange
Ringmauern mit Baſtionen – es war Jeruſalem. Wä-
ren wir nicht zu erſchöpft geweſen, ſo hätte die heilige
Freude uns zu einem lauten Jubelgebete zwingen müſſen.
So aber blieb Alles ſtille, und mit entblößtem Haupte
und mit ernſtem Schweigen begrüßten wir voll Ehrfurcht
die auserwählte Stadt, die der Allerhöchſte durch das
Opfer ſeines eingebornen Sohnes auf ewig geheiliget hat
und auf der ſeit jenem geheimnißvollen Oſterfeſte der
ſichtbare Fluch Gottes laſtet. -
Stumm und erwartungsvollritten wir vorwärts, al-
lein da die Thore der Stadt erſt nach Sonnenaufgang geöff-
net wurden, ſo mußten wir noch anderthalb Stunden im
Freien kampiren im Angeſichte der einſtigen Davidsburg.
Unſere Mucker zündeten ein Feuer an, um ſich zu wär-
men. Was in jenen Stunden meine Seele erfüllte, kann
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 17
258
ich Dir nicht beſchreiben. Es war ein Wechſel von Ge-
fühlen und Empfindungen, ein Aufwallen von Freude und
Wehmuth. Die ganze Geſchichte des h. Landes und der
heiligen Stadt zog an meinen geiſtigen Blicken vorüber
von David bis Chriſtus, von der Zerſtörung unter Titus
bis zu den Siegen und Niederlagen der Kreuzritter im
Mittelalter. Tiefer Ernſt lagerte ſich auf meine Stirne,
und nur das innige Dankgefühl gegen Gott, der uns das
Ziel unſerer Pilgerfahrt ſo glücklich erreichen ließ, verlieh
dem tief aufgeregten Gemüthe eine ruhigere und freund-
lichere Stimmung.
Indeß röthete ſich der Horizont und die Umriſſe der
nahen Sionsburg traten immer deutlicher hervor, ein
ſtattlicher Bau des Mittelalters mit zackigen Zinnen. Zur
Rechten dehnte ſich das Hinnonthal aus, waſſerleer, öde,
baum- und ſtrauchlos, nichts als Felſen und Steine, eine
Grabesruhe unmittelbar vor dem Thore der Stadt. Das
iſt eben das eigenthümliche Gepräge Jeruſalems, wodurch
ſie ſich von allen Städten der Welt unterſcheidet, wie
ſchon der Prophet ſagt: „Mit wem ſoll ich dich verglei-
chen, Tochter Sions? groß wie das Meer iſt dein Elend.“
(Klagelied. Jerem. 2, 13).
Endlich raſſelten die Schlüſſel, und wir ritten ganz
unangefochten durch das von Soldaten bewachte Thor.
Es war an einem Donnerstag. Einſt mußten die Pilger
hier abſteigen und zu Fuß eintreten; ſeit Ibrahim Paſcha
hat ſich in dieſer Beziehung vieles geändert. Und ſo wa-
ren wir denn in der Stadt, von der ſo viel Fluch und
Segen in die Menſchheit ausging. Ich ſchließe hier; denn
aus Jeruſalem bekommſt Du bald, ſo Gott will, einen
längeren Pilgerbrief. Mit Liebe Dein etc.
–888–
259
-
XIV.
Erſter Aufenthalt in Jeruſalem.
Am Ziele. – Das Pilgerhospiz der Franziskaner; casa nuova. – Die
Feier des Geburtstages Sr. Majeſtät des Kaiſers Franz Joſeph in der
Salvatorskirche zu Jeruſalem. – P. Reverendiſſimus. – Der öſter-
reichiſche Conſul v. Pizzamano und ſeine Familie. – Der erſte Gang
auf der via dolorosa. – Erſter Beſuch der h. Grabeskirche. – Hiſtori-
ſches. – Meſſe im heiligen Grahe. – Die frommen Wächter des h.
Grabes. – Beſuch beim lateiniſchen Patriarchen Monſ. Valerga. –
Befürchtungen und Hoffnungen. – Eine arabiſche Anecdote. – Der
armeniſche Patriarch. – Das reiche Kloſter St. Jakob. – Der Pilger-
doktor. – Der deutſche Beichtvater P. Andreas. – Magere Kloſterkoſt.
– Die tägliche Prozeſſion in der h. Grabeskirche. – Eine Nacht am
heiligen Grabe. – Der zerborſtene Felſen des Calvarienberges. –
Warum das h. Grab und Golgotha ſo nahe? – Heiliges und Profa-
nes. – Nächtlicher Chor. – Ein hartes Ruhekiſſen. – Communion
am h. Grabe. – Seelenfrieden und Freundesliebe,
Jeruſalem, 20. Auguſt.
Lieber Freund!
Das Ziel unſerer Pilgerfahrt iſt erreicht, wir ſind
in Jeruſalem, und Du kannſt Dir die große Freude den-
ken, die uns beſeelt. Was ſoll ich Dir ſchreiben, lieber
Freund, womit ſoll ich beginnen? Ich will Dir Tag für
Tag ſchildern, in der feſten Überzeugung, daß Du in Dei-
ner treuen Freundesbruſt Alles mitfühlen und mitempfin-
den wirſt, was mich beglückte.
Wir ſtiegen in Jeruſalem, in der ſogenannten
casa nuova d. h. dem neuen Pilgerhospiz ab, das
ganz in der Nähe des Franziskanerkloſters gelegen iſt. Da
unſere Ankunft bereits angekündigt war, ſo fanden wir
17
260
die beſſeren Zimmer für uns ſchon vorbereitet. Caſella,
der noch immer ganz verſtört und verloren ausſah, behielt
ſich ein Zimmer für ſich, Mayr und Hubinger bewohnten
das zweite, Marinelli und ich mitſammen das dritte Zim-
mer. Zur gemeinſchaftlichen Benützung hatten wir einen
geräumigen Salon, in welchem geſpeist wurde. – Jeder
Pilger des Abendlandes hat das Recht durch volle
30 Tage in dieſem Kloſterhospize zu wohnen, während
welcher Zeit ihm auch die übliche Kloſterkoſt gratis ver-
abreicht wird. Die Vermöglicheren geben beim Abſchied
ein Almoſen, aber Viele, beſonders Handwerksburſchen,
auch Proteſtanten, mißbrauchen dieſes Recht, faullenzen
durch vier Wochen hier, laſſen natürlich keine Entſchädi-
gung dem Kloſter zurück, ſchimpfen und läſtern aber dage-
gen das Kloſter und die Mönche.
Da wir Pilger aus Öſterreich gerade am Geburts-
tage unſeres Kaiſers in Jeruſalem ankamen, ſo ließen wir
uns als gute Patrioten zuerſt in die Salvatorskirche füh-
ren, wo um 7 Uhr von den PP. Franziskanern das feier-
liche Hochamt für den Kaiſer von Öſterreich abgehalten
wurde. Wir deutſche Pilgerprieſter celebrirten auf Sei-
tenaltären, und ſo galt unſer erſtes h. Meßopfer in Jeru-
ſalem dem ritterlichen Monarchen, der die Hoffnung und
der Stolz ſeines Landes iſt, und für den an dieſem Tage
tauſend und tauſend Segenswünſche aus dankerfüllter
Bruſt zu Gott emporſteigen. Wir vereinigten unſere An-
dacht mit den Andächtigen in der lieben Heimat und baten
innig den Herrn der Heerſchaaren, daß er den eben ſo
frommen als tapferen Kaiſer vor allem Uebel bewahren,
aus all den feindſeligen Stricken, die die Hölle ihm berei-
tet, retten, und lange erhalten möge ſeinen kaiſerlichen
Eltern und dem Vaterland!
261
Nach dem Hochamte gingen wir in das anſtoſſende
Franziskanerkloſter, um dem Vorſtande, der den Titel
Reverendissimus führt, unſere Aufwartung zu machen.
Er iſt ein Italiener aus adeliger Familie Namens Bernar-
dino di Montefranco, gut öſterreichiſch geſinnt und ſehr
gefällig. Er bewillkommte uns freundlich in einem großen
Empfangszimmer, in welchem die Porträte öſterreichiſcher
Kaiſer und anderer Monarchen hingen. Die Franziskaner
tragen hier braune Kutten und Vollbärte. Das Kloſter
ſelbſt iſt groß und ſolid gebaut, aber ſehr unregelmäßig;
die Franziskaner bewohnen es ſeit 1561; früher hatten
ſie ihr Kloſter auf dem Berge Sion, aus dem man ſie
verdrängte. – Vom Kloſter begaben wir uns in unſere
Zimmer um der Ruhe zu pflegen, der wir nach dem nächt-
lichen Ritte ſo ſehr bedurften. In den guten eiſernen Bet-
ten ſchliefen wir, die Eſſensſtunde ausgenommen, bis
5 Uhr.
Abends 6 Uhr machten wir uns auf den Weg, um
dem öſterreichiſchen Conſul v. Pizzamano, dem wir
vielſeitig empfohlen waren, unſere Aufwartung zu ma-
chen. Wir betraten bei dieſer Gelegenheit zum erſten Mal
die via dolorosa d. h. den Leidensweg des Herrn. Es
durchrieſelte mich ein heiliges Gefühl bei dem Gedanken,
daß auf demſelben Wege der göttliche Heiland das ſchwere
Kreuz getragen, um uns Alle durch ſeinen Tod zu erlöſen.
Jeder Stein iſt da Zeuge einer großen Begebenheit, und
Millionen von Chriſten benetzten ſelbe mit ihren Thrä-
nen. O wie iſt Derjenige zu bedauern, welcher ohne reli-
giöſe Überzeugung hieher kommt, und die traditionell be-
glaubigten Stationen des Kreuzweges nach trigonometri-
ſchen Grundſätzen abmißt, um darnach ſeine Kritik fällen
zu können! Ob nun die heilige Stelle einige Klafter mehr
262
rechts oder links zu ſuchen iſt, was liegt daran, wenn ich
nur beiläufige Anhaltspunkte finde, wo z. B. Jeſus unter
dem Kreuze fiel, wo ihm ſeine Mutter begegnete, wo Si-
mon von Cyrene ihm das Kreuz nachtrug, wo Pilatus
das „Ecco homo“ ſprach, wo Veronica dem Heiland ihr
Schweißtuch bot u. ſ. w. Dieſer Leidensweg hat etwas
ſehr Melancholiſches, und ich habe ihn ſeitdem ſchon öfter
gemacht. Er beginnt bei dem Hauſe des Pilatus, das jetzt
der Paſcha bewohnt, und nimmt ſeine Hauptrichtung von
Oſten gegen Weſten; er iſt ſanft aufſteigend und beinahe
durchgehends uneben; die Länge beträgt 900 Schritte.
Früher wanderten die Franziskaner jeden Freitag barfuß
den Schmerzensweg; gegenwärtig beſchränkt ſich jedoch
die tägliche Prozeſſion auf die heilige Grabeskirche; dafür
aber hat ſich die Andacht des Kreuzweges nach dem Jeru-
ſalemer-Muſter im ganzen Abendlande verbreitet.
Herr v. Pizzamano, ein ſtattlicher Mann in den
beſten Jahren, nahm uns mit großer Zuvorkommenheit
auf. Obwohl ein geborner Venetianer, ſpricht er doch
vollkommen gut deutſch, denn er war lange Zeit in Wien-
Er iſt der erſte wirkliche öſterreichiſche Conſul in Jeruſa-
lem, denn vor dem Miniſter Fürſt Schwarzenberg war
das katholiſche Öſterreich in der h. Stadt nur durch pro-
viſoriſche Viceconſuls vertreten, wodurch ſein Anſehen
und ſeine Rechte bedeutend litten. Herr v. Pizzamano be-
wohnt ein zweiſtöckiges erſt kürzlich reſtaurirtes Haus, für
das Öſterreich den Pacht zahlt; es hat eine herrliche Lage
mit der Ausſicht gegen das weſtliche Jeruſalem und das
Damaskusthor, und die Zimmer darin ſind mit europäi-
ſchem Comfort eingerichtet. Die Frau des Conſuls iſt eine
fein gebildete Wienerin, die über den Verluſt ihres einzi-
gen Söhnchens noch ganz traurig war, und ſich freute
263
Landsleute begrüßen zu können. Außerdem war auch die
Schweſter des Conſuls, eine Venetianerin, zugegen, und
wir fanden uns in dieſem gemüthlichen Kreiſe bald ſo
heimiſch, daß wir erſt nach 8 Uhr ſchieden, um die erſte
Nacht im Pilgerhospiz zu Jeruſalem zuzubringen.
Tags darauf wurde mir das große Glück zu Theil
in der heiligen Grabeskirche das h. Meßopfer darzu-
bringen. Ein Frater kam ſchön 5 Uhr früh, um mich ab-
zuholen, und ich folgte ihm im Talare beiläufig 500
Schritte durch einige enge und abſchüſſige Gaſſen. Wir
kamen zu einem kleinen Pförtchen, das zu einem vierecki-
gen Platz von etwa 30 Schritt Länge und Breite führt,
dem einſtigen Vorhof der Kirche, von dem noch einzelne
Säulenbaſen ſtehen. Nun ſtanden wir vor der arachitec-
toniſch intereſſanten Hauptfaçade der h. Grabeskirche, die
im romaniſchen Style geſchmackvoll erbaut iſt. Von den
zwei Eingängen iſt einer vermauert, der andere größtentheils
geſchloſſen; früher wurden nur gegen Entrichtung von 14
Thalern die Pforten der Kirche geöffnet; jetzt iſt der Ein-
tritt frei. Links erblickt man einen Thurm, deſſen oberer
Theil von den Türken abgetragen wurde, damit er die
Minarets nicht überrage. Rechts führen einige Stufen
«zu der den Franziskanern gehörigen Kapelle der Mater
dolorosa. Die den Vorhof der Kirche einſchließenden Ge-
bäude ſind größtentheils von griechiſchen Geiſtlichen
bewohnt.
Dieſe äußere Fronte der Kirche blieb allein von
dem Brande übrig, der am 12. Oktober 1808 den übrigen
Theil des ehrwürdigen Domes zerſtörte, welchen die
264
Kreuzritter des Mittelalters (1103–1130) an der Stelle
der alten von der h. Helena erbauten und von den Tür-
ken zerſtörten Baſilica errichteten, nur mit der Abände-
rung, daß man ſämmtliche heilige Stätten, die ſich in
der Nähe des h. Grabes befanden, alſo auch den Kalva-
rienberg in den großartigen Neubau miteinbezog. Im We-
ſentlichen beſtand dieſer Dom bis zum genannten Brande.
In der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober des Jahres
1808 brach im Quartier der Armenier, das an die Kirche
ſtoßt, auf einer Gallerie Feuer aus, und alle Löſch- und
Rettungsverſuche waren vergebens. Man beſchuldigte all-
gemein die Schismatiker als Urheber des Unglückes, denn
ſie hatten die Kapitalien und Materialien zum Neubau
ſchon in Bereitſchaft. Die armen Franziskaner konnten
nicht bauen, fanden auch in der damaligen Kriegsepoche
nirgends Unterſtützung, und ſo ſprach ein erſchlichener
Ferman den Griechen das Bau-Recht zu. In zwölf Mo-
naten ſchon waren ſie damit fertig, und ſeitdem beanſpru-
chen ſie das ausſchließliche Eigenthum der Grabeskirche.
Statt des ehrwürdigen romaniſchen Styles, wurde von
dem griechiſchen Architecten der ſchwerfällige ruſſiſch-
griechiſche Bauſtyl gewählt, ſo daß die jetzige Kirche der
früheren (von der, wie geſagt, nur die Hauptfaçade noch
ſteht) an Schönheit keineswegs gleichkommt. – Die La-
teiner beſitzen nur noch die vom Brande verſchont gebliebene
Kapelle der Mater dolorosa und einige Altäre in der
Kirche als Eigenthum. -
Wir traten in die Kirche ein. Schon der erſte An-
blick war betrübend und ärgerlich. Saßen da auf einer mit
Teppichen belegten Pritſche drei türkiſche Soldaten, aus
ihren langen Pfeifen ſchmauchend und nebenbei Café
ſchlürfend. Noch trauriger aber ſtimmt der Gedanke, daß
265
dieſe mohamedaniſchen Wächter faſt nothwendig ſind, um
die an der heiligſten Stätte der Welt ſich gegenſeitig be-
feindenden Nationen und Confeſſionen in Ordnung zu
halten. – Einige Schritte vorwärts tretend, kamen wir
zu dem Salbungsſtein, auf welchem der Leichnam
Jeſu (wie der Evangeliſt Jahannes im 19. Kapitel er-
zählt) von Nicodemus und Joſeph von Arimathäa einbal-
ſamirt wurde; er iſt 8 lang, 2“ breit, und mit einer röth-
lichen Marmorplatte bedeckt; an den vier Enden befinden
ſich Knäufe von vergoldetem Kupfer und große Candela-
ber; ringsherum hängen Lampen von Silber. Der Fra-
ter, welcher mich führte, kniete an der Stelle nieder und
küßte den Stein; unwillkührlich thaten wir es ihm nach.
– Nun lenkte der Frater links ein, wir kamen an etlichen
Säulen vorüber, über welchen ſich eine kreisförmige Gal-
lerie erhebt, die von einer grandioſen Kuppel geſchloſſen
wird, und – wir ſtanden vor dem heiligen Grabe.
„Siehe den Ort, wo ſie ihn hingelegt haben.“ (Marc.
16,9). Ohne einzutreten knieten wir nieder und beteten.
Es war kein Traum, ſondern Wirklichkeit, ich kniete vor
dem größten Heiligthum der Erde! In der Mitte der Ro-
tunde, genau unter der Kuppelöffnung, durch welche das
Licht einfällt, befindet ſich das Grab Chriſti. Es bildet
eine eigene ringsum freiſtehende im Achteck gebaute Ka-
pelle von weißgelbem Marmor, gekrönt mit einer von
Säulen getragenen kleinen Kuppel. Ueber dem Eingang
zum Heiligthume befindet ſich ein Bild, welches die Aufer-
ſtehung Chriſti darſtellt, und ein ausgeſpannter Balda-
chin, welcher den Zweck hat, die auf 12 Candelabern
brennenden Kerzen und Lampen vor dem Luftzug und Re-
gen zu ſchützen, weil nämlich das Dach der großen Kuppel
266
ſo durchlöchert iſt, daß man von der Kirche in den freien
Himmelsraum hinaus ſchauen kann.
Gerne wäre ich ſogleich in das Heiligthum getre-
ten, aber der Frater führte mich weiter rechts zur nahen
Sakriſtei der Franziskaner, wo ich mich zur Meſſe vorbe-
reitete. Der Frater nahm das Meßbuch und ich folgte ihm
in die heilige Grabkapelle, die eigentlich aus zwei Gemä-
chern beſteht. Zuerſt kamen wir in die Engelkapelle,
wo ein Stein die Stelle bezeichnet, wo der Engel ſaß, der
zu den betrübten Frauen ſprach: „Er iſt nicht hier, den
ihr ſuchet; denn Jeſus iſt auferſtanden, wie er geſagt
hat.“ (Matth. 29, 6). Dann traten wir gebückt in ein
zweites Gemach, welches das eigentliche Grab umſchließt.
Die in Felſen gehauene, aber ringsum mit Marmor über-
kleidete Grotte war gerade ſo groß, daß ich und der Mi-
niſtrant uns leicht bewegen konnten. Zur Rechten deutet
eine weiße Marmorplatte den Ort an, wo der heilige
Leichnam lag; etliche 40 Lampen von Gold und Silber
brannten in dem Heiligthume und ein zarter Weihrauch-
duft erfüllte dasſelbe. Es war kein Altarſteiu oder Porta-
tile mit dem ſonſt bei Altären üblichen Sepulcrum vor-
handen, ſondern das heilige Grab diente ſelbſt dazu, und
der Frater befeſtigte nur einen einfachen Laden in der ge-
hörigen Höhe, ſo daß alſo gerade über dem Grabe Chriſti
die h. Meſſe gefeiert wird.
Nun ſtand ich tief ergriffen am Ziele; die Meſſe
begann. In der heiligen Grabeskapelle wird jahraus jah-
rein die Meſſe vom Oſterſonntage geleſen, welche das
Wunder der Auferſtehung zum Inhalte hat. Ich kann Dir
gar nicht ſagen, wie mich die Worte der Präfation erhoben
und tröſteten: » qui mortem nostram moriendo destru-
xit“ (der unſeren Tod durch ſeinen Tod vernichtete), denn
267
was iſt der Tod und das Grab für den Chriſten anderes
als der Keim unſterblicher Glorie? Ach, Freund, hätte ich
doch Worte, die beredt und würdig genug wären, Dir das
Glück und die Freude zu ſchildern, die meine Seele in je-
ner Stunde erfüllten! Nach ſo vielen Zerſtreuungen der
Reiſe hier ſo ungeſtört ſich ſammeln zu können, nach ſo
langer Sehnſucht am heiligen Ziele zu ſein: das iſt mehr
als ein geiſtiger Genuß, das iſt ein Vorgeſchmack des
Himmels. Erfaſſe geiſtig, was es heißt, den ſeligſten Au-
genblick ſeines Lebens zu genießen, und Du wirſt mich
verſtehen, wenn ich ſage, daß an dieſem Tage eine Epoche
meines Lebens in mir abgeſchloſſen hat.
Nach der Meſſe beſuchte ich die frommen Wächter
des h. Grabes d. i. die Franziskaner, welche in dem an
die Kirche ſtoßenden Hospiz (luogo santo genannt, d. i.
heiliger Ort) den ebenſo beneidens- als bedauerns-
werthen Dienſt verſehen. Sie bewohnen nämlich kleine,
finſtere, feuchte, faſt kerkerähnliche Zellen, in welchen ſie
freiwillig drei Monate hindurch buchſtäblich eingeſperrt
ſind. In der Regel theilen 10 Mönche dieſes Loos, viele
aber halten es nicht drei Monate aus, ſondern kehren
krankheitshalber in's Salvatorkloſter zurück. Sie verſehen
den Gottesdienſt, beten den nächtlichen Chor, hören die
Beichten der Pilger, und bewachen die Heiligthümer der
Kirche. Weiter unten werde ich mehr davon ſprechen.
Geziemender Weiſe machten wir gleich am erſten
Tage nach unſerer Ankunft dem katholiſchen Patriarchen
von Jeruſalem Monſignore Valerga unſere Aufwartung.
Er wohnt in dem von den Franziskanern neu erbauten
Pilgerhauſe und lebt größtentheils von den Almoſen Eu-
ropa's, da er von Rom nur wenig bezieht. Bevor ich Dir
unſere Audienz bei dem Patriarchen ſchildere, will ich Dich
268
mit der Perſönlichkeit des Patriarchen ſelbſt, über welche
die Urtheile verſchieden lauten, bekannt machen.
Monſ. Valerga, ein Genueſe von Geburt, machte
ſeine Studien in Rom, war Miſſionär in Meſopotamien
und im Libanon, und wurde im Jahre 1847, als Pius
IX. das Patriarchat von Jeruſalem wieder aufrichtete, zu
dieſer hohen Würde erhoben. Seit 400 Jahren reſidirte
kein katholiſcher Biſchof in der heiligen Stadt, und es
war augenſcheinlich zweckmäßiger, daß den Biſchöfen und
Patriarchen der anderen Confeſſionen gegenüber auch ein
lateiniſcher Patriarch und Biſchof in Jeruſalem ſeinen
Sitz habe. Früher übte der oberſte Vorſteher des Salva-
torkloſters, welcher den Titel Reverendissimus führte,
eine quaſi-biſchöfliche Jurisdiction aus, und genoß auch
das Recht der Pontificalien. Die Entziehung dieſer Vor-
rechte erſchien dem um das h. Land durch ſo viele Jahr-
hunderte hochverdienten Orden des h. Franziscus aller-
dings unangenehm und beſchwerlich. Sie ſahen es nicht
gerne, daß ſie von nun alle Sammelgelder und Rechnun-
gen dem neuen Patriarchen einreichen ſollten; daß dieſer
das von ihnen mit großem Koſtenaufwande (größtentheils
aus öſterreichiſchen Sammelgeldern) eben neuerbaute Pil-
gerhaus am Jaffathore in Ermanglung einer anderen Re-
ſidenz für ſich in Anſpruch nahm; auch ſagte man, der
neue Patriarch ſtehe unter franzöſiſchem Einfluß, und
wolle die Franziskaner aus dem h. Lande verdrängen und
durch Glieder eines anderen Ordens erſetzen.
Auf ſolche Weiſe war die anfängliche Stellung
Monſ. Valerga's unſtreitig eine ſchwierige; nach meiner
Anſicht aber hat er ſeine Aufgabe glänzend gelöst. In der
kurzen Zeit ſeines bisherigen, Wirkens errichtete er ein
Knabenſeminar, um eingeborne Prieſter heranzuziehen;
269
führte in vielen Stationen ſeines Diöceſanſprengels die
für Schulen und Spitäler ſo unermüdlich thätigen barm-
herzigen Schweſtern ein; machte Viſitationsreiſen mit
glänzendem Erfolge, und entwickelte überhaupt eine Ener-
gie des Willens und der That, welche den Gegnern der
katholiſchen Kirche Achtung, den Katholiken ſelbſt aber
mehr kirchliches Bewußtſein einflößte. Wohl trug er dem
Louis Napoleon das Protectorat des h. Landes an, aber
erſt dann, als er ſich vergeblich nach Öſterreich gewendet
hatte. Bei der ſtets wachſenden Übermacht Rußlands war
ein ſolches Gegengewicht nothwendig. Die Franziskaner,
welche ſeit einem halben Jahrtauſend (1230) im h. Lande
opfervoll und ſegensreich wirken, aus ihrer Stellung zu
verdrängen, lag gewiß nicht in ſeiner Abſicht.– Es that mir
immer weh, wenn über den franzöſiſchen Katholizismus
im Orient hart geurtheilt wurde, denn die katholiſche
Kirche fragt ja nicht, wer das Gute thut ? ſie ſteht über
allen Nationen. „Wenn nur Chriſtus geprediget wird.“
(Phil. 1, 18). Uebrigens bürgen die kirchliche Approba-
tion, die erprobte Perſönlichkeit des Patriarchen, und die
fromme Selbſtverleugnung des Franziskanerordens dafür,
daß nach und nach die etwaige Spannung ſich heben und
die Errichtung des lateiniſchen Patriarchates in Jeruſa-
lem ſich als ſegensvoll für die orientaliſche Kirche erwei
fen werde.
Der öſterreichiſche Conſul hatte die Freundlichkeit
uns bei Monſ. Valerga einzuführen. Er empfing uns in
einem eleganten Salon mit diplomatiſcher Höflichkeit. Va-
lerga iſt eine imponirende Perſönlichkeit in der Blüthe
der männlichen Kraft. Ein prachtvoller Bart ziert die ſchö-
nen Geſichtszüge, und reicht – ſorgfältig gepflegt – bis
unter die Bruſt herab; die blendend weiße Hand – mit
270
einem werthvollen Pontificalringgeſchmückt – ſpielt arglos
mit der goldenen Tabaksdoſe, und ein biſchöfliches Kreuz
glänzt auf dem weiten ſchwarzen Talare. Ich begreife es,
daß dieſer mit den Sitten und Sprachen des Orients
vollkommen vertraute Mann großes Anſehen bei den Ara-
bern genießt. – Man erzählt dießfalls folgende Anekdote.
Eines Tages wurde Valerga gelegentlich eines Ausfluges
von Beduinen überfallen, die ihm das ſchöne Pferd nah-
men, das er ritt. Als der Patriarch zu Fuß nach Jeruſa-
lem zurückkehren wollte, ſagte ein junger Beduine: „Herr,
wir geben nicht zu, daß ein Mann von deiner Würde den
Beſchwerden einer rauhen Reiſe ausgeſetzt ſei; wir ha-
ben dir dein Pferd genommen, entſchuldige, wir brauchen
es; aber nimm wenigſtens dieſes zum Tauſche, es iſt nicht
ſo viel werth als das deine, aber es iſt gut: nun gehe,
Allah iſt groß, er ſchütze dich.“ Und zwei Männer gaben
dem Patriarchen das Geleite bis in die Ebene, wo er keine
Gefahr mehr zu beſorgen hatte. -
Auch mich nahm die edle Perſönlichkeit des hohen
Würdenträgers gefangen, und ich horchte mit Aufmerk-
ſamkeit ſeinen Worten, die er ebenſo gewandt in franzöſi-
ſcher als italieniſcher Sprache zu ſetzen wußte. Ich er-
wähnte im Geſpräche ſeines Briefes, den ich kurz vor
dem Antritt der Pilgerreiſe in den Lyoner Annalen der
Verbreitung des Glaubens geleſen hatte, was ihn zu
freuen ſchien. Überhaupt zeigte er ſich ſehr freundlich und
zuvorkommend gegen uns, und gewährte mit Vergnügen
die von uns geſtellte Bitte: an allen heiligen Orten, die
wir beſuchen würden, nach Belieben das h. Meßopfer zu
feiern. – Inzwiſchen wurden allerlei Süßigkeiten nach
Landesſitte ſervirt. In dem Salon des Patriarchen hing
das Porträt Papſt Pius IX.
271
Herr v. Pizzamano hatte die Güte uns auch mit
einem ſchismatiſchen Patriarchen und zwar dem der
Armenier bekannt zu machen, welcher gegen den lateini-
ſchen an Bildung und Benehmen etwas abſtach. Er wohnt
in dem reichen Jakobskloſter, welches in dem ſchönſten
Viertel Jeruſalems liegt, und deſſen Kirche durch orien-
taliſche Pracht in Marmor, Perlmutter, Teppichen u. ſ. w.
ausgezeichnet iſt. In dieſem Kloſter befinden ſich allein
100 Mönche und 5 Biſchöfe. Einer der vielen in ſchwarze
Kapuzen gehüllten Mönche führte uns in die von Moſaik-
bildern ſchimmernde Kirche, und zeigte die Stelle, wo
Jakobus der Ältere von Herodes enthauptet wurde; die
Lateiner dürfen an dieſem Altare am St. Jakobstage
Meſſe leſen. – Der armeniſche Patriarch bewohnt einen
mit Luxus neugebauten Palaſt, den ein großer Garten
umgibt. Man führte uns in einen von Marmor glänzen-
den Salon, in welchem alsbald der beturbante ſchismati-
ſche Patriarch erſchien, ein alter, gemüthlicher, freundli-
cher Herr, der immer holdſelig lächelte; der Beſuch des
Conſuls, mit dem er auf gutem Fuße ſteht, ſchien ihn ſehr
zu freuen. Nach orientaliſcher Sitte wurde Café und
Pfeife ſervirt, und mit Hilfe eines Dragoman ein halbes
Stündchen verplaudert. Die Neugierde war befriedigt,
das Herz nicht.
Um zwölf Uhr Mittags war die Speiſeſtunde im
Pilgerhospiz. Der uns bedienende Frater brachte die Koſt
aus dem nahen Kloſter, die aber wegen der ſtark öligen
Zubereitung für mich ungenießbar war. Freund Mari-
nelli fühlte ſich ſogar unwohl und ließ den Kloſterdoctor
kommen, der ihm Ricinusöl verſchrieb. Dieſer Doctor, ein
Italiener, hat ſeine Beſtallung, Verpflegung und Woh-
nung vom Kloſter, in welchem ſich auch eine gut eingerich-
272
tete Apotheke befindet; dagegen er die Verpflichtung hat
alle kranken Pilger gratis zu behandeln. Es iſt dieß eine
gewiß ebenſo dankenswerthe Vorſorge wie das Pilgerhos-
piz ſelber, denn in Jeruſalem exiſtirt kein Hotel wie in
anderen Städten; erſt in neuerer Zeit hat ein Deutſcher
hier einen Gaſthof zu gründen verſucht.
Wir Geſunden hatten beſchloßen die folgende Nacht
in der heiligen Grabeskirche zuzubringen, wie dieß faſt ein
jeder Pilger zu thun pflegt, daß er nämlich eine Art hei-
liger Exerzitien in dem größten Heiligthume der Chriſten-
heit hält. Zu dieſem Behufe mußten wir uns mit den
Wächtern des h. Grabes daſelbſt einſperren laſſen, was
denn auch geſchah. Der deutſche Beichtvater P. Andreas,
ein Böhme aus Eger, war in unſerer Begleitung. Ich
will Dir nun, mein Lieber, den ganzen Verlauf eines
Abends und einer Nacht in der h. Grabeskirche ſchildern,
damit Du das Glück und die Entbehrungen eines Pilgers
erfaſſen mögeſt. A
- Drei Uhr Nachmittags (19. Auguſt) begaben wir
uns zur h. Grabeskirche, die eigens wegen uns geöffnet
wurde. Die Franziskanermönche beteten eben das Com-
pletorium, nach welchem täglich eine feierliche Prozeſſion
zu den in der Kirche befindlichen Sanctuarien ſtattfindet.
Es beſteht zu dieſem Zwecke ein eigens gedrucktes Büch-
lein, welches die wunderſchönen Hymnen und Gebete ent-
hält, die dabei geſungen und gebetet werden. Ich wurde
mit meinen Reiſekollegen eingeladen, die Prozeſſion zu be-
gleiten, und wir folgten dem Zuge mit brennender Kerze.
Voran ging ein Frater mit dem Kreuze, dann folgten
Sängerknaben, weiters die fungirenden Wächter des h.
Grabes aus dem Franziskanerorden mit brennenden
273
Wachskerzen, ſofort der P. Presidente d. i. der Vorſte-
her des Hospizes beim h. Grabe, zuletzt wir Pilger und
einiges Volk.
Die Prozeſſion begann in der kleinen Kapelle der
Franziskaner, in welcher die Geißelungsſäule auf der
linken Seite des Altares hinter einem Gitter aufbewahrt
wird. Pſalmen und Hymnen in lateiniſcher Sprache ab-
wechſelnd betend und ſingend gelangte die fromme Schaar
in feierlich langſamem Zuge in die h. Grabeskirche, welche
wir bei dieſer Gelegenheit in allen ihren Räumen kennen
lernten. – Zuerſt wendete ſich die Prozeſſion links nach
dem Gefängniſſe, wo Jeſus zurückgehalten wurde,
während man die Anſtalten zu ſeiner Kreuzigung traf. Un-
mittelbar daran iſt die kleine St. Longinuskapelle.
Etwa zwölf Schritte entfernt gelangten wir zu dem Orte,
wo die Schergen die Kleider des Gekreuzigten unter ſich
theilten und über ſeinen ungenähten Rock das Loos war-
fen (Kapelle der Kleidertheilung). Durch einen dunk-
len Säulengang kamen wir zur ſteinernen Treppe, welche
auf 28 Stufen zuerſt in die Kapelle der h. Helena
hinabführt, wo dieſe heilige Kaiſerin im Gebete verweilte,
während auf ihr Geheiß das Kreuzesholz, auf dem der
Erlöſer geſtorben, geſucht wurde; dann auf weiteren 13
Stufen in die noch tiefer gelegene Kreuzerfindungs-
kapelle, wo das h. Kreuz 300 Jahre vergraben lag; letz-
tere gehört den Lateinern. Bei all den angegebenen Sta-
tionen verweilte die Prozeſſion einige Zeit, und wurde
nebſt den lateiniſchen Gebeten noch ein ſtilles Vaterunſer
gebetet, um den mit allen heiligen Stätten verknüpften
Ablaß zu gewinnen. Das Gebet ſtieg zu Gott empor wie
der Weihrauch, mit welchem die heiligen Stätten incen-
ſirt wurden.
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 18
274
Nachdem wir dieſe zwei unterirdiſchen Kapellen
verlaſſen hatten, trafen wir neben dem Eingange zu den-
ſelben unmittelbar links die Schmachſäule, wo die
Soldaten des Landpflegers Jeſum mit der Dornenkrone
und dem Scepter verſpotteten. – Sofort ſtiegen wir auf
18 Stufen auf den Calvarienberg, wo Chriſtus am
Kreuze ſein Leben aushauchte. Die Höhe des Calvarien-
berges wurde bei der Einbeziehung in die Kirche geebnet
und in zwei Kapellen abgetheilt. Der Ort, wo der gött-
liche Heiland ans Kreuz geſchlagen wurde, bildet die Ka-
pelle der Kreuzigung und gehört den Lateinern; die
andere Abtheilung bildet die Kapelle der Kreuzerhö-
hung, und gehört den ſchismatiſchen Griechen. Es iſt ein
unbeſchreiblicher Eindruck, welchen der Anblick dieſes Hei-
ligthumes auf die Seele des Pilgers macht. Ich getraute
mir kaum zu athmen, und dachte ſtets an die Worte des
Evangeliſten in der Paſſionsgeſchichte: „Und Er trug
ſein Kreuz, und ging hinaus zu dem Orte, den man Schä-
delſtätte nennt, auf hebräiſch Golgatha, da kreuzigten ſie
ihn“ (Joh. 19, 17); und abermals: „Und Jeſus rief mit
lauter Stimme und ſprach: Vater, in deine Hände befehle
ich meinen Geiſt. Und da er dieß ſagte, verſchied er“
(Luc. 23, 46). Lauter pochte mein Herz und höher ſchlug
der Puls, und unwillkührlich füllten ſich die Augen mit
Thränen, denn es durchzuckte mit Ehrfurcht die Seele
wie Gottes Nähe. – Die Prozeſſion ſchwieg – und je-
der küßte, bevor er ſich von den Knieen erhob, den mit
Marmor überkleideten Boden. – An den Calvarienberg
ſtößt die Kapelle der Mater dolorosa, d. i. jene
Stelle, wo die h. Jungfrau mit Johannes weinte, während
man den Erlöſer kreuzigte. Der Aufgang dazu iſt aber, wie
ich oben erwähnte, in der Nähe des äußeren Kirchenpor-
275
tales. – Vom Calvarienberge herabſteigend kommt man
zu dem gleichfalls ſchon früher beſchriebenen Salbungs-
ſteine beim Eingang in die h. Grabkirche.
Von dem Salbungsſteine iſt das heilige Grab noch
63 Fuß entfernt. Es frappirt anfangs, daß das h. Grab
ſo nahe dem Calvarienberge iſt, ſo daß, wie geſagt, gegen-
wärtig die beiden Heiligthümer unter Einem Dache ſind;
in der Regel denkt man ſich den Calvarienberg entfernter.
Allein es heißt ausdrücklich in der h. Schrift: „Es war
an dem Orte, wo Jeſu gekreuzigt ward, ein Garten,
und in dem Garten ein neues Grab, in welches noch
Niemand gelegt worden war; dorthin legten ſie Jeſum
wegen des Rüſttages der Juden; denn das Grab war in
der Nähe“ (Joh. 19, 41. 42).
In der Nähe des heiligen Grabes befindet ſich der
Ort, von dem der h. Evangeliſt ſagt: „Maria aber ſtand
außerhalb dem Grabe weinend. . . Jeſus ſprach zu ihr:
Maria! Da wandte ſie ſich, und ſprach zu ihm: Rabboni,
das heißt Meiſter.“ (Joh. 20, 11, 16). Dieſer Ort iſt
durch einen in das Pflaſter der Kirche eingelegten Mar-
morſtein bezeichnet, dem gegenüber ein der h. Maria
Magdalena geweihter Altar angebracht iſt. – Von da
kehrte die Prozeſſion in die Kapelle der Erſcheinung
zurück, von wo ſie ausgegangen war, und damit hatte ſie
ein Ende. (Dieſer Name ſchreibt ſich daher, weil hier Je-
ſus ſeiner Mutter erſchien.) Die Wachskerze, welche wir
bei der Prozeſſion getragen hatten, behielten wir uns als
Andenken.
Unſer Reiſecollega Caſella, der ſchon einige Zeit ſo
niedergeſchlagen und tiefſinnig iſt, war von der Feierlich-
keit ſo ergriffen, daß er ſich außer Stand fühlte die fol-
gende Nacht mit uns in der heiligen Grabeskirche zuzu-
18 *
276
bringen; er entſchuldigte ſich, und ging nach Hauſe – die
Pforten der h. Grabeskirche wurden hinter ihm geſchloſſen.
Da Marinelli ſeines Unwohlſeins wegen gleichfalls an
unſerm Vorhaben nicht theilnehmen konnte, ſo verblieben
nur wir drei, nämlich Hubinger, Mayr und ich zurück,
und begaben uns als Miteingeſchloſſene in den an die
Kirche gränzenden Konvent der PP. Franziskaner. Man
wies uns jedem eine Zelle als Schlafgemach an, ſo klein,
daß man kaum die Glieder darin ausſtrecken konnte; die
Fenſter ſahen theils auf den Gang, theils auf einen engen
Hofraum, in welchen die oberhalb wohnenden Türken
allen Unrath ſchütten; ja ober den Wohnungen ſtampften
die Pferde, da die Türken daſelbſt eine Stallung haben.
So nahe iſt das Profane dem Heiligen!
Nach einem frugalen Mahle um 6 Uhr Abends im
Refectorium der Mönche, bereiteten wir uns zur heiligen
Beicht, die wir bei P. Andreas ablegten. Nach derſelben
machte ein jeder für ſich den Beſuch der in der Kirche be-
findlichen Sanctuarien, um die damit verbundenen Abläſſe
ZU gewinnen. Ohne uns verabredet zu haben, fanden wir
uns am Schluße am heiligen Grabe zuſammen, wo wir
knieend und weinend über eine Stunde verweilten. Von
der Gnade Gottes erfüllt und von dem Segen des Him-
mels erquickt thaute die Seele auf, und umfaßte in der
Fülle der göttlichen Liebe Alles, was ihr im Leben oder
Tode theuer iſt. So wie damals betete ich nie. Es waren
Stunden der Weihe und der Gnade, es war der Brenn-
punkt meines Lebens. – Wir ſtanden auf und umarmten
einander. -
Dann begaben wir uns in den Konvent, jeder in
ſeine Zelle, um etwas auszuruhen; aber ich war zu auf-
geregt, der Schlaf floh meine Augen. – Gegen eilf Uhr
277
hörte ich einen fürchterlichen Lärm von Pauken, Schellen
und dumpfen Glockentönen: es war der Ruf der Schis-
matiker zum mitternächtlichen Gottesdienſt. Bald darauf
rief auch das Kloſterglöcklein die Franziskanermönche zum
Chore, den ſie in ihrer Kapelle verrichten. Ich machte
mich eiligſt auf, ſtieg über die ſchmale hölzerne Treppe
zur genannten Kapelle hinab, und betete Matutin und
Laudes mit denſelben. – Nach dem Chore gingen die
Patres ſchlafen; ich aber ſagte zu dem Frater, der mich
fragte: ob ich nicht auch zur Ruhe gehen wolle, weil er
den Convent ſperren müſſe, – er möge nur zuſperren,
denn ich wolle in der Kirche verbleiben.
Nun war ich ſo zu ſagen allein, denn die Griechen
feierten nur beim h. Grabe ihren Gottesdienſt. Die
Kirche, welche ungefähr 196 Fuß in der Länge und 120
Fuß in der Breite hat, war durch die vielen Lampen, die
bei jedem Heiligthume brannten, hinreichend erhellt. Ich
machte die Runde an den heiligen Orten, wie bei der geſtri-
gen Prozeſſion und betete bei jedem Altare. Überall war
ich allein – und doch ohne Furcht. Tief erſchüttert kniete
ich auf dem Hügel Golgatha, wo der Gottesſohn die
Worte ſprach: „Es iſt vollbracht.“ Schimmernde Lampen
erhellten den dunklen Ort, der einſt erzitterte, als um die
neunte Stunde des jüdiſchen Parasceve die Felſen zer-
barſten und die Sonne ſich verfinſterte. Ich zündete mir
ein Licht an, hob die bewegliche Silberplatte vom Mar-
morboden hinweg, leuchtete hinab, und ſah deutlich die
breite und tiefe Spalte, welche im Felſen bis zum Fuß
des Calvarienberges hinabläuft, und von der ein engli-
ſcher Geognoſt ſagt, daß ſie weder durch Kunſt noch Na-
tur, ſondern durch ein Wunder hervorgebracht ſei, da
der Felſenriß quer durch die Adern kreuze, was bei kei-
278
nem gewöhnlichen Erdbeben der Fall iſt, Ungläubiger,
glaube! – An dieſer heiligen Stätte, die 14 Fuß breit und
40 Fuß lang iſt, und an der man wohl die urſprüngliche
Geſtalt eines Berges nicht mehr erkennt, verweilte ich
am längſten.
Als ich zum heiligen Grab zurückkam, hatten bereits
die Armenier ihren Gottesdienſt daſelbſt begonnen mit
unharmoniſchen Geſang und ſchrillendem Glockenſpiel.
Von mannigfachen Gefühlen durchſtürmt kehrte ich in die
Kapelle der Franziskaner zurück, und fühlte Schlaf. Da
das Kloſter verſperrt war, ſo legte ich mich im Chor auf
die Erde, ſtützte den Kopf auf einen Knieſchemmel und
ſchlief bis ein Frater mit den Schlüſſeln raſſelte, wodurch
ich erwachte. – Nachdem ich Mayr und Hubinger
geweckt hatte, las ich die heilige Meſſe in der Grotte des
h. Grabes, bei welcher Collega Mayr die heilige Com-
munion empfing. Hier wurde das Siegel der Gnade auf-
erlegt und im heiligen Opfer vollendete ſich das Maß der
heiligen Liebe. Ich war wie neugeboren, und ein himmli-
ſcher Frieden erfüllte meine Seele. – Dann wohnte ich
noch der Meſſe des hochwürdigen Collega Hubinger bei,
und erneuerte alle guten Vorſätze, um als ein würdiger
Prieſter der katholiſchen Kirche zu dienen und einſt gottſe-
lig zu ſterben. Die Erinnerung daran, hoffe ich, wird mich
im Tode noch tröſten.
Lieber Freund! Du fühleſt ſo zart und innig mit,
was meine Bruſt betrübt oder erfreuet. O freue Dich
mit mir über dieſes mein Lebensglück! Du weißt, wie
gerne Freunde theilen. Siehe, ich theile mit Dir, und ver-
ſichere Dich aus treuer Seele, daß Dein Andenken mir in
jenen heiligen, unvergeßlichen Augenblicken ſtets nahe
war. Deine Anliegen wurden die meinigen, Deine Leiden
279
und Freuden opferte ich in Einfalt des Herzens dem Ge-
ber alles Guten auf. Möge meine Fürbitte ſo bewährt
befunden werden, als Deine treue Freundesliebe es ver-
dienet. Mit dieſem Wunſche laß mich mein erſtes Schrei-
ben aus Jeruſalem enden; es hat mich – glaube mir's
– das Wiedergeben des innerlich Erlebten tief ergriffen.
Nachdem wir von dem Vorſteher des Kloſters und
der heiligen Grabeskirche, in der wir eine ſo ſegensvolle
Nacht zugebracht, Abſchied genommen hatten, kehrten wir
mit einem Seelenfrieden, wie ihn nur die Religion zu
ſpenden vermag, in das Pilgerhaus zu unſeren zwei Rei-
ſecollegen zurück, die uns herzlich begrüßten. Es war am
20. Auguſt am Feſte des h. Bernard, der ſo viel für die
Befreiung des heiligen Landes gethan! – Der Gott des
Friedens ſei mit Dir und Deinem Freunde etc.
280
XV.
Ausflug zum todten Meere.
Ein Riſico. – Räuber als Schutzwache gegen Räuber. – Eine qual-
volle Reiſe. – Beſchreibung der Karawane. – Labyrinth von Gebirgs-
päſſen. – Apoſtelbrunnen. – Jela, jela. – Ein verfallener Khan. –
Das Mordthal. – Erinnerung an den barmherzigen Samaritan. –
Samum. – Nächtliche Phantaſien. – Täuſchung. – Eine Baſtonade
unter den Mauern Jericho's. – Eine kurze Nacht im Freien. – Die
einſt ſo fruchtbare Ebene von Jericho – eine Wüſte. – Die grünen
Iordansufer. – Bad im Jordan. – Sonntagsfeier unter einem Zelte.
– Troſtloſer Ritt zum todten Meere. – Beſchreibung desſelben. –
Reſultate wiſſenſchaftlicher Forſchungen. – Nicht nach Sabba, ſondern
auf demſelben Weg zurück. – 489 R. – Sodomsäpfel ſtatt Jerichoro-
ſen. – Pfützenwaſſer als Nectartrank. – Etwas über die Beduinen. –
Frater Francesco. – Die Eliſeusquelle. – Ein Pilger erkrankt und ge-
meſet. – Gipfel der Pilgerleiden. – Berg Quarantania. – Dorf
Bethania. – Grab des Lazarus. – Glückliche Rückkehr nach Jeruſa-
lem. – Extrabakſchiſch.
Jeruſalem, 22. Auguſt.
Lieber Freund!
Obwohl die Jahreszeit, in welche unſere Pilger-
reiſe fiel, zu Ausflügen in die Umgegend Jeruſalems die
ungünſtigſte war, ſo wagten wir doch im Vertrauen auf
den Schutz Gottes und unſer bisheriges Glück einen Aus-
flug nach Jericho, zum Jordan und zum todten Meere.
Was wäre auch eine Reiſe nach Jeruſalem, ohne den Fluß
Jordan geſehen zu haben? – Glücklich davon zurückge-
kehrt, will ich Dir, lieber Freund, dieſen Ausflug ſchil-
dern, den ich – im Vorhinein geſagt – nicht wiederho-
len möchte.
281
Mit dem uns empfohlenen Dragoman Matthia,
einer ehrlichen Chriſtenhaut, wurde wie im Libanon ein
Vertrag abgeſchloſſen, und da der Weg von Jeruſalem
zum todten Meere der herumſchwärmenden Beduinenhor-
den wegen als ſehr unſicher gilt, ſo wurden vorſichtshal-
ber mit einem Scheik der Beduinen, der ſich eben in Jeru-
ſalem aufhielt, auf dem öſterreichiſchen Conſulate diplo-
matiſche Verhandlungen eingeleitet. Wir verſprachen ihm,
wenn er uns lebendig und unberaubt wieder nach Jeru-
ſalem zurückbringen würde, 500 Piaſter, zahlbar auf der
Kanzlei des Conſulates, wogegen er drei Beduinen ſeines
Stammes als Schutzwache uns zuſicherte. Er war zufrie-
den damit, und ſo begann am 20. Auguſt 2 Uhr Mittags
die Reiſe, deren Reiz auf Marinelli's Geſundheit den
günſtigſten Einfluß hatte, denn er fühlte ſich ſtark genug
ſie mitzumachen. - -
Es war eine wahrhaft qualvolle Reiſe. Schon der
erſte Tag hatte ſeine Beſchwerden, denn die Hitze war
drückend. Wir ritten beim Damaskusthor hinaus, wende-
ten uns dann rechts ins Thal Joſaphat hinab, ſetzten über
den ausgetrockneten Bach Cedron, und begannen längs
des Ölberges aufwärts zu ſteigen. Das projectirte Reiſe-
ziel des erſten Tages war die Eliſeusquelle bei Jericho,
wohin die Mucker mit 4 Packpferden, 2 Eſeln und einem
Beduinen als Schutz bereits vorausgezogen waren, um
daſelbſt die Zelte für uns aufzuſchlagen.
Wir bildeten wieder eine ſtattliche Karawane. Ein
Beduine eröffnete den Zug. Nebſt dem Dragoman befan-
den ſich noch in unſerer Begleitung der Conſulatscawaß
Muſſa – ein ſchlauer und anſtelliger Menſch, dann ein
Frater des Franziskanerordens Namens Francesco aus
Deutſchböhmen, der von ſeinen Oberen die Erlaubnißerhal-
282
ten hatte die Tour zum Jordan mit uns zu machen. Den
Schluß der Karawane bildete der andere privilegirte
Schutzwächter der Wüſte d. h. ein Beduine. Dieſe Söhne
der Wüſte ſahen ächt räubermäßig aus. Auf dem Kopfe
trugen ſie den Keffie d. i. ein gelb und roth quadrillirtes
großes dickes Seidentuch, das mit einem Strick aus Ka-
meelhaaren um denſelben gebunden war; die Enden des
Tuches fielen auf jeder Seite ſo vom Kopfe herab, daß
ſie den Nacken gegen die Sonnenſtrahlen ſchützten. Außer
der gewöhnlichen grauen Kleidung trugen ſie noch trotz
der Hitze einen weiß und ſchwarz geſtreiften Mantel von
Wolle.
Die bei Jeruſalem ohnehin ſo troſtloſe Gegend
wurde immer trauriger. Die Berge ſtanden gänzlich aus-
gebrannt da, und zwiſchen einem Labyrinth von Gebirgs-
päſſen, in welchen man Spuren einer einſt beſtandenen
Straſſe entdeckt, paſſirten wir zahlloſe Schluchten. –
Die erſte Raſt gönnten wir uns beim Apoſtelbrunnen:
ein zertrümmertes Monument neben einer ſpärlich flie-
ßenden Quelle. – Und wieder ging es vorwärts bergan
und bergab durch unwirthbare Sand- und Felſenthäler,
die mit einem aſchgrauen Leichentuche bedeckt zu ſein
ſchienen. – Kurz vor Sonnenuntergang langten wir bei
einem verfallenen und ſehr verdächtig ausſehenden Khan
an, wo wir die zweite Raſt haltend mit einigen Orangen
und Granatäpfeln den ausgetrockneten Gaumen erfriſch-
ten. – Und nochmal ging es vorwärts, und zwar ſchnel-
ler als früher, weil die Beduinen dieſe Gegend als beſon-
ders gefährlich erklärten. Wo es ein bischen möglich war,
trieben ſie mit »jela, jela“ (vorwärts) zur Eile an, und
Roß und Reiter keuchten im ſchwerfälligen Trabe.
283
Nun trat auch die Dämmerung ein, – weit und
breit war kein Menſch zu erſpähen, niemand begegnete
uns. Aus einem furchtbaren Abgrunde gähnte das ſoge-
nannte Mordthal herauf, und ich begriff es, wie einer
auf dieſem Wege in die Hände der Räuber fallen könne
(Luc. 10, 30). Nie ſtand die großherzige That des barm-
herzigen Samaritaners edler vor meinen Augen, als da-
mals. – Wir paſſirten die gefährliche Stelle glücklich,
erreichten die letzte Anhöhe und ritten auf ſteilen Wegen
in die Ebene von Jericho hinab, die im fahlen Lichte des
aufgehenden Mondes vor uns lag. Je tiefer wir hinabka-
men, deſto mehr wehte uns ein glühend heißer Wind ent-
gegen, der faſt den Athem verlegte: wir waren im vulka-
niſchen Bereiche des todten Meeres. In der Ferne braun-
ten einige Beduinenfeuer, welche (wie man uns ſagte) den
Zweck haben ſollen die hier hauſenden wilden Thiere ferne
zu halten. Die Nacht iſt nicht des Menſchen Freund! In
meiner aufgeregten Phantaſie componirte ich ganze
Romane, -
Müde bis zur Erſchöpfung langten wir nach einem
8 ſtündigen Ritt bei der Eliſeusquelle an, wo wir die Zelte
zu finden hofften, um unter ihnen auszuruhen. Aber wer
malt unſer Entſetzen, als dieſe trotz alles Suchens nir-
gends zu finden waren? Wo konnten ſie ſein? was ſollte
aus uns werden? ſind die Mucker vielleicht von Räubern
geplündert worden? Doch alles Sinnen, Klagen und
Murren half nichts; es blieb nichts anderes übrig als
den einſtündigen Ritt nach Jericho zu machen, wo wir
vielleicht doch die Zelte zu finden hofften. Mit verzweif-
lungsnaher Reſignation beſtieg ich nochmal das Pferd,
das mir nicht minder erbarmte als ich ſelber, und quer-
feldein ging es durch dichtes Geſtrüppe und Gehege, bis
284
uns Hundegebell die Nähe des Dorfes ankündigte. Rich-
tig trafen wir im Garten des dortigen Scheik die auf-
geſchlagenen Zelte. Unſere Mucker wollten ſich mit dem
ſeichten Vorwand eines Mißverſtändniſſes entſchuldigen,
was aber unſer Dragoman nicht gelten ließ, denn er ba-
ſtonirte zum feierlichen Empfange die überraſchten Mucker
in gehöriger Weiſe. Wahrſcheinlich ſteckte der begleitende
Beduine hinter dem Mißverſtändniß, dem es in der Nähe
ſeiner Jericho-Genoſſen lieber geweſen ſein mag, als an
der abgelegenen Eliſeusquelle. – Ich kümmerte mich gar
nicht um den Streit, ſondern zog in das bereitſtehende
Zelt wie in einen Palaſt ein, und warf meine müden
Glieder auf das Ruhebett, – Nach kurzer Friſt genoßen
wir etliche Speiſen und löſchten den Durſt mit einem
Waſſer, das trüb wie aus einem Schwemmteich war. –
Trotz der großen Müdigkeit konnten wir vor Hitze nicht
ſchlafen, das Thermometer zeigte um Mitternacht 300 R.
Marinelli hatte ſich ſein Bett ins Freie getragen, weil
unter dem Zelte die Hitze unausſtehlich war; ich machte
es ihm nach und ſchlief unter dem ſternbeſäeten Him-
melszelt beiläufig eine Stunde.
Leider nur eine Stunde! denn 2 Uhr Morgens
wurde ſchon wieder aufgeweckt und zum Fortreiten ange-
trieben, um der grellen Tageshitze zuvorzukommen. Wir
ließen die Zelte indeß zurück, und beſtellten ſie für den
Nachmittag zur Eliſeusquelle, weil wir bis dahin vom
todten Meere zurück zu kommen gedachten.
Bei Mondenſchein verließen wir Jericho, und rit-
ten durch die einſt ſo fruchtbare nun aber faſt gänzlich
wüſte Ebene dem Jordan zu, der beiläufig 3 Stunden
285
entfernt iſt. Im täuſchenden Dämmerungslichte ſah man
die jenſeits liegenden Berge Moab's, aber je mehr wir
uns ihnen näherten, deſto mehr ſchienen ſie ſich zu ent-
fernen. Endlich erblickten wir einen grünen Streif von
Bäumen und Gebüſchen, das waren die Ufer des Jor-
dan's, und der ſchimmernde Streif, der in den erſten
Strahlen der Morgenſonne erglänzte, war der heilige Fluß
ſelber. Ach, welch ein wohlthuender Anblick war der eines
fließenden Waſſers in dieſer ausgedorrten und entvölker-
ten Wüſte! Lang entbehrtes Grün, ſei mir gegrüßt! Der
ziemlich ſteile Strand war ſo dicht mit Schilf bewachſen,
daß man es räthlich fand ihn mit dem Säbel zu durchſtö-
bern. Akazien, Weiden- und Lorbeerbäume ſchmückten die
beiderſeitigen Ufer. – Der Jordan macht hier eine
Krümmung und hat eine ziemlich ſtarke Strömung; die
Breite war die eines Donauarmes, ſeine Farbe war
grüngrau; das Waſſer ſüß und angenehm zu trinken.
Kaum angekommen ſtürzten unſere Beduinen zu
dem Fluſſe hinab, und nahmen ihre Gebete und Waſchun-
gen vor. Wir Pilger thaten es ihnen bald nach, denn im
Fluſſe Jordan zu baden iſt eine Art Pilgerpflicht. Man
verſicherte uns, es ſei bei dieſer Biegung des Fluſſes die
Stelle, wo der Heiland von Johannes getauft wurde und
der Himmel ſich öffnete. Alsbald war ich im Fluſſe, der
in der Mitte 5 tief war. Noch nie ſtärkte und erquickte
mich ein Flußbad wie dieſes, ich konnte mich faſt nicht
trennen davon, obwohl der Dragoman das zu lange Ver-
bleiben im Waſſer als ſchädlich ſchilderte. Als Andenken
daran nahm ich mir einige Muſcheln, eine Flaſche Jor-
danswaſſer, und vom jenſeitigen Ufer noch einen Bund
Jordanſtöcke mit.
286
Indeß war am Geſtade ein Zelt aufgerichtet wor-
den, in welchem der Frater Francesco einen Altar auf-
ſtellte, den er eigens vom Kloſter mitgenommen hatte.
Hubinger, als der ältere unter uns Prieſtern, las in der
improviſirten Feldkapelle die heilige Meſſe, Francesco
miniſtrirte, wir Anderen wohnten bei. Es war ein origi-
neller. Sonntagsgottesdienſt geheiligt durch die heilige
Stätte, an der einſt die allerheiligſte Dreifaltigkeit ſich
wundervoll offenbarte. Leider geſtatteten weder Zeit noch
weniger die drohende Tageshitze, daß auch Marinelli und
ich an dieſem Sonntage celebrirten, aber es war eine
feierliche Sonntagsſtimmung im Herzen, ſowie eine ge-
heimnißvolle Sonntagsruhe über dieſes weihevolle Erin-
nerungsplätzchen ausgegoſſen ſchien. Geiſtig geſtärkt und
gehoben traten wir aus dem Zelte, und ich dachte an die
lieben Freunde in der Heimat, die mir für jeden Sonntag
ein Memento verſprochen hatten. Wie ferne war ich ihnen,
und doch wie nahe! – Unterdeſſen wurde der Altar weg-
geräumt, wieder eingepackt, und der Dragoman cre-
denzte das Frühſtück. Anfangs waren. Alle ſtille. Es war,
als ob das Echo der Andacht von den Wänden des Zel-
tes wiederhallte, die eben erſt Zeugen des hochheiligen
Opfers geweſen. -
Die Sonne ſtand ſchon hoch am Himmel, als wir
den Jordan verließen, um zum todten Meere zu reiten.
Der Weg dahin fällt unmerklich ab, ſo daß man auf einer
Ebene ſich zu befinden ſcheint. Aber welche Ebene! San-
dig, ausgebrannt, baum- und troſtlos. Hie und da wuchert
binſenartiges dürres Gras, und aſchgraue Hügelhaufen
ſtehen aufgethürmt da – als willkommene Verſteck- und
Schlupfwinkel für die lauernden Räuber, vor denen faſt
keine Karawane in dieſer Gegend ſicher iſt. Alle Vegeta-
287
tion iſt erſtorben, und der Boden mit einer ſalzigen Kruſte
überzogen, welche von den Hufen der oft ſtrauchelnden
Pferde durchbrochen wird. Nach einem Ritt von anderthalb
Stunden erblickten wir das todte Meer, das mehr als tau-
ſend Fuß unter dem Waſſerſpiegel des Weltmeeres liegt:
ein lebendiges Bild des Todes! Zwiſchen wild gezackten
und nackten Felſenwänden lag die trübe Waſſermaſſe wie
geſchmolzenes Blei vor uns, azurblau und unbeweglich,
während der Hintergrund durch ſtets aufqualmende
Asphaltdünſte in verworrenes Grau gehüllt war, ſo daß
man das Ende des Meeres, das 6 Stunden lang und 2
Stunden breit iſt, unmöglich ſehen konnte. Eine troſtloſe
Stille herrſchte ringsherum und kein lebendes Weſen, kein
Vogel, kein Wurm war zu entdecken! Zudem brannte die
Sonne glühend heiß auf uns hernieder, und kein Lüftchen
regte ſich, um einige Kühlung zu gewähren; kurz, es war
das unheimliche Bild des Todes und ewigen Fluches, das
dieſer Gegend aufgeprägt iſt. Sonſt gewährt der Anblick
des Waſſers etwas angenehm Erfriſchendes, hier hinge-
gen hat er etwas Unheimliches. Der Eindruck war zwar
nicht ganz ſo ſchaudererregend als ich erwartet hatte, aber
immerhin traurig und troſtlos genug. Mir fiel dabei ſtets
der oratoriſche Refrän eines rühmlich bekannten Miſ-
ſionspredigers ein, der über das ſechſte Gebot ſprechend,
die betreffenden bibliſchen Beiſpiele mit den erſchüttern-
den Worten ſchloß: „So ſtraft Gott das Bagatelle
der Unzucht.“ Der ewige Fluch iſt dieſer Gegend unaus-
löſchlich aufgeprägt, denn Menſchen und Thiere fliehen
ſie. Von aus dem Waſſer hervorragenden Ruinen der un-
tergegangenen Städte Sodoma und Gomorrha ſah ich je-
doch nichts. – Es thut einem nur leid, daß der ſchöne
Jordansfluß der einen ſo edlen Urſprung im Libanon und
288
eine ſo heilige Geſchichte hat, in dieſem Schwefelkrater
verſiegen muß. So endet auch in der moraliſchen Welt
gar oft die lang erprobte Unſchuld im Sündenpfuhle des
Laſters.
Die Ufer des todten Meeres ſind mit abgelagerten
Salzkruſten und einem übelriechenden klebrigen Schlamme
von ſchwarzer Farbe bedeckt; das Salz wird geſammelt
und verkauft, letzterer zu einem Teige geknetet und in ver-
ſchiedenen Formen zu Pilgerandenken verarbeitet. Unter
der hellen Fluth glänzten die darunter liegenden Steine
wahrſcheinlich in Folge des Asphaltniederſchlages wie die
ſchönſten Achate; ich nahm mehrere als Andenken mit.
Der Geſchmack des Waſſers iſt eckelhaft bitter und unan-
genehm, ſo daß die Pferde, welche davon zu trinken ver-
ſuchten, ſich mit Abſcheu entfernten.
Man hat in neuerer Zeit zu verſchiedenen Malen
wiſſenſchaftliche Forſchungen am todten Meere unter-
nommen, aber der Engel mit dem feurigen Schwerte
ſcheint jede längere und genauere Unterſuchung abweh-
ren zu wollen. Vor zwei Jahren ſtarben drei junge Fran-
zoſen faſt zur ſelben Zeit gelegentlich einer ſolchen Excur-
ſion am Fieber, und zwei Engländer, die ſich zum Behufe
ihrer Forſchungen eigens ein Schiffchen zimmerten, ende-
ten elendiglich ihr Leben, der eine durch die Beduinen, der
andere durch den Sonnenſtich.
Vom todten Meere aus hätte der intereſſantere
Rückweg nach Jeruſalem über das griechiſche Felſenkloſter
St. Sabba geführt, aber die älteren Reiſecollegen fürch-
teten den beſchwerlichen und weiteren Weg. Es wurde be-
ſchloſſen denſelben Weg über Jericho nach Jeruſalem zu-
rück zu machen, und ich mußte mich natürlich darein fügen,
und that es auch, aber nicht ohne inneres Opfer, denn
28.)
ich wäre über Saba lieber gegangen. Nach einem Aufent-
halt von einer halben Stunde, der lang genug war, um
das traurige Bild der todten Waſſerwüſte dem Gedächt-
niß einzuprägen, ritten wir auf dem geradeſten Weg über
die ſchauerlich öde Fläche nach Jericho zurück.
Die Qualen dieſes vierthalbſtündigen Rittes bei
der glühendſten Mittagshitze werde ich nie vergeßen. Das
Thermometer zeigte 48° R. Durſt und Ermattung er-
ſchöpften meinen ſonſt ſehr geſunden Organismus, und
wäre ich nicht ſo erſchlafft geweſen, ich hätte weinen
müſſen, nicht vor Schmerz, ſondern wegen der unaus-
ſprechlichen Troſtloſigkeit dieſer Gegend. So beiläufig
mögen die folternden Gefühle des Sünders in der Ewig-
keit ſein, wo der Wurm nicht ſtirbt und das Feuer nicht
erliſcht (Marc. 9,45).
Um die Mittagsſtunde kamen wir nach Jericho zu-
rück. Das einſtige Eden Paläſtinas iſt jetzt ein Trüm-
merhaufen, ein verfallenes Dorf mit etlichen 40 Hüt-
ten. Aus früheren Zeiten ſteht noch ein alter viereckiger
Thurm, der auch zu Zeiten als Kaſerne benützt wird.
Statt der Roſe von Jericho fand ich den ſogenannten So-
domsapfel (Asclepiasgigantea), einen ſtachlichten Strauch
mit zitrongelber Frucht, deren zuſammengeſchrumpfte Haut
verfaulten Schleim und Samen birgt. – Ermüdet zum
Verſinken ſtiegen wir in der Nähe des Thurmes ab, um
in dem Schatten desſelben uns zu laben. Aber womit?
Der Proviant war aufgezehrt, und bis zu den Zelten an
der Eliſeusquelle war noch eine Stunde. – Da gingen
der Dragoman und Kawaß in die nächſte Hütte und wink-
ten uns nachzukommen. Im ſpärlichen Schatten des in-
neren Hofraumes ſaßen mehrere Beduinen um einen aus-
gegrabenen Waſſerbehälter, eine Pfütze, auf der allerlei
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 19
290
Unrath ſchwamm. Die Beduinen ſahen uns verächtlich
an, ließen ſich aber nicht ſtören. Wir begehrten Trinkwaſ-
ſer; ſie zeigten – o Schauder – auf die Kloake, aus
welcher ein Beduine ſo eben ſchöpfte und mit Appetit
trank. In Europa würde man dieſes Waſſer kaum dem
lieben Vieh zu ſaufen geben. Doch was war zu thun?
Der Durſt war zu groß. Ich blickte ſo lange in das
ſchmutzige Naß, bis ich nach dem Sieb-Eimer griff, meinen
Lederbecher daraus füllte, und nachdem ich etwas Conjak
beigemiſcht hatte, gierig leerte. Ich glaubte himmliſchen
Nectar zu ſchlürfen, und gönnte mir dieſen Genuß noch
etliche Male, worauf mir auch die Collegen folgten.
Du wirſt wohl begierig ſein, auch über das Volk
der Beduinen und deſſen Sitten etwas mehr zu erfah-
ren. Die Beduinen, die wilden Söhne Iſmaels (Geneſis
16, 12) fühlen ſich in dieſem wüſten Rayon ganz beſon-
ders behaglich, und es iſt gewiß, daß ſie ſeit Abrahams
Zeiten ſich nicht viel verändert haben. Ihr herumſchwei-
fendes Leben hat die Civiliſation noch nicht „beleckt“, und
hat darum etwas Patriarchaliſches und Poetiſches. Sie
ſind äußerſt mäßig, und nähren ſich von Reis, Mehl und
Zwiebeln, Fleiſch genießen ſie ſelten; ſie ſind gaſtfrei, mu-
thig und treu dem gegebenen Worte; betrachten ſich aber
als unumſchränkte Gebieter jener Strecken, die ſie bewoh-
nen. Da ſie den Ackerbau für ſchimpfliches Gewerbe hal-
ten, ſo nehmen ſie das Getreide den ackerbautreibenden
Dorfbewohnern (Fellah's) heimlich oder gewaltſam, wo-
bei oft blutige Fehden unterlaufen. Die Straſſenräuberei
gilt ihnen als eine Kunſt, der ſie ſich mit Leidenſchaft er-
geben. Übrigens ſtreben ſie nicht nach dem Leben wie ge-
meine Räuber, außer man ſucht ihnen mit Gewalt zu wi-
derſtehen. Mit freundlichen Worten, wo möglich in ihrer
291
Sprache, und mit kleinen Geſchenken richtet man bei ihnen
mehr aus, als mit drohenden Geberden. Alle Autorität
liegt in den Händen des Scheik, deſſen Würde erblich iſt.
Der Religion nach ſind ſie Mohamedaner, doch haben ſie
weder Prieſter noch Moſcheen.
Doch ich kehre zur Beduinenpfütze in Jericho zu-
rück. Nach einſtündiger Raſt brachen wir zu unſeren Zel-
ten an der Eliſeusquelle auf. Die Sonne brannte fürch-
terlich, und hätte mir Frater Francesco nicht ſeinen di-
cken und breiten Filzhut geliehen, ſo wäre ich wahrſchein-
lich dem Sonnenſtiche erlegen, denn meinen Sonnenſchirm
hatte ich in Ramleh verſchenkt, und der Turban ſchützte
zu wenig; der gutmüthige Frater half ſich damit, daß er
ſeine Kaputze über den Kopf zog.– Ach, wie ſehnte ich mich
nach dem Ziele! wie lange dauert eine Stunde, in welcher-
man etwas erwartet! – Endlich kamen wir zu dem Bäch-
lein, das aus der Eliſeusquelle abfließt und ſeinen Lauf
mit grüner Einfaſſung bezeichnet, bald darauf zur Quelle
ſelbſt, in deren Nähe unſere Zelte ſtanden.
Die Eliſeusquelle hat ihren Namen vom Pro-
pheten Eliſeus, der die früher bittere Quelle angenehm
trinkbar machte, wie im zweiten Buch der Könige 2, 19
erzählt wird. An dieſem Orte iſt ihr Werth unſchätzbar.
Sie quillt am Fuße eines Berges unmittelbar aus der
Erde empor und zwar ſo reichhaltig, daß ſie ein mehrere
Klafter langes Becken ausfüllt, das 1“ tief iſt. Das Waſ-
ſer iſt rein, klar, und ſehr angenehm zu trinken. Gott ſei
Dank!
Wir freuten uns nun in den Zelten der Ruhe pfle-
gen zu können, allein es war ſo ſchwül und dumpfig
darunter, daß es nicht möglich war daſelbſt zu verbleiben;
daher ſchleppten wir Decken und Mäntel in den ſpärli-
19
292
chen Schatten einiger Bäume, breiteten jene aus, wälzten
einen Stein als Kopfkiſſen zurecht und verſuchten zu
ſchlafen. Nicht möglich! Der vulkaniſche Samum, der uns
am Tage vorher ſchon erſchreckt hatte, erhob ſich mit ver-
doppelter Kraft, ſo daß ſelbſt die Pferde keuchten und
ſtampften. Es war zum Verſchmachten. Man war gezwun-
gen das Geſicht faſt in die Erde zu vergraben, um ſich vor
der glühenden Luft zu verwahren. Dazu geſellte ſich eine
ſolche innere Unruhe und Beklommenheit, daß man nicht
drei Minuten auf einem Flecke aushielt. Du kannſt Dir
kaum vorſtellen, lieber Freund, was wir an dieſem qualvol-
len Nachmittage ausgeſtanden haben. Am ſchlimmſten aber
war der ältere der Pilgercollegen Mayr daran, der ſich
ſehr unwohl fühlte, und ſprach- und theilnamslos – wie
zum Sterben reſignirt – im Zelte auf ſeiner Lederdecke
lag. Wahrlich, dieſer Tag war der Gipfel unſerer Pil-
gerleiden. -
Und doch mußte ich bei all den Leiden vom Herzen
lachen, als ich die erfinderiſche Pfiffigkeit unſerer Mucker
und Beduinen gewahrte, mit der ſie ſich gegen die ſengende
Hitze ſchützten. Als ich auf meinen unruhigen Wanderun-
gen zu der etliche 20 Schritte entfernten Eliſeusquelle
kam, ſah ich, wie dieſe Kerle mitten in der Quelle, aus
der wir mit ſolchem Appetit getrunken hatten, auf Feld-
ſeſſeln ſaßen, im Schatten eines Feigenbaumes gemüth-
lich ihren Tſchipuk ſchmauchend. Das war ja prächtig!
Sogleich ſetzte ich die geſunden Collegen davon in Kennt-
niß, und wir thaten es den Beduinen nach, die Wohlthat
dieſer Erquickung mit orientaliſchen Phraſen lobend und
preiſend. Da die Quelle unaufhörlich quillte, ſo hatte
man ſtets friſches Waſſer, das man ohne Scheu trinken
konnte, und doch war der Durſt nicht zu löſchen.
293
So blieben wir bis 7 Uhr Abends, denn früher
hatten wir keine Luſt zu eſſen. Obwohl die Speiſen gut
zubereitet waren, ſo fanden ſie doch wenig Anwerth – um
ſo viel leichter iſt es im Orient zu faſten. Wir gingen,
nicht ohne Beſorgniß vor allerlei Ungeziefer, zu Bette,
und die Müdigkeit ſchloß bald unſere Augen.
Um 1 Uhr Nachts wurde ſchon wieder aufgeſtan-
den, um in den kühleren Morgenſtunden nach Jeruſalem
zurück zu reiten. Collega Mayr nahm ein erfriſchendes
Bad an der Eliſeusquelle und fühlte ſich wohler. – Um
2 Uhr waren wir reiſefertig. Es war eine ruhige Ster-
nennacht, und flink ging es vorwärts. In nicht weiter
Ferne bei mattem Mondenſchein ſahen wir die ſcharfen
Conturen des Berges Quarantania, wo Jeſus die Ver-
ſuchung des Teufels überwand, und im Mittelalter viele
Eremiten wohnten, deren einſam gelegene Höhlen jetzt
von wilden Thieren bevölkert ſind. – Mit Sonnenauf-
gang kamen wir zu dem oben beſchriebenen verfallenen
Khane, und nach kurzer Raſt ohne allen weiteren Unfall
längs des Mordthales durch die ſchon bekannten wüſten
Wege bis zum Dorfe Bethanien, dem zu lieb wir einen
kleinen Abſtecher machten.
Bethanien iſt jener idylliſche Ort der glücklichen
Liebe, in welchem das edle Schweſterpaar Martha und
Maria mit dem Bruder Lazarus traulich wohnte. Das
Dorf iſt gänzlich verfallen, das genannte Haus eine
Ruine. Wir hielten an, um die Gruft zu ſehen, aus wel-
cher Jeſus den Lazarus zum Leben erweckte (Joh. 11,43).
Man führte uns zu einer Felſenhöhle, in welche ich allein
294
mit einem Lichte 20 Stufen tief hinabſtieg. Es durchrie-
ſelte mich ein heiliger Schauer, indem ich an die leben-
ſpendenden Worte dachte: „Lazarus, komm heraus“. Die
Frömmigkeit des Mittelalters hat an dieſer denkwürdigen
Stelle einen Altar errichtet, deſſen karge Überreſte noch
deutlich zu erkennen ſind. -
Um 10 Uhr Morgens zogen wir unverſehrt in Je-
ruſalem ein, Gott dankend für ſeinen wunderbaren Schutz.
Es war ein halbes Wunder, daß in Folge der außerge-
wöhnlichen Strapatzen keiner von uns erkrankte. Man war
auch in Jeruſalem, wo während unſerer Abweſenheit die
Hitze um 10 Grad geſtiegen war, wegen uns in nicht gerin-
ger Beſorgniß geweſen. Beſonders freute ſich über unſere
glückliche Zurückkunft der öſterreichiſche Conſul v. Pizza-
mano, der überhaupt durch ſeine zuvorkommende Freund-
lichkeit uns den Aufenthalt in Jeruſalem angenehm macht.
Außer der Hitze hatten wir keinen Feind zu bekämpfen;
vielleicht war dieſe ſelbſt den Beduinen zu arg, denn wir
ſahen auf der ganzen Parthie keinen einzigen. Unſere
Schutzwächter forderten für die Ehre der Begleitung, die
ſie uns angethan, noch ein Extrabakſchiſch, das ſie auch
erhielten, um ihnen zu zeigen, daß wir ſie für ehrliche
Spitzbuben halten, wenn ſie auch keine Gelegenheit fanden
ihre Bravour in Beſchützung der ſich ihnen anvertrauen-
den Pilger zu beweiſen. – Es grüßt Dich Dein etc
295
XVI.
Zweiter Aufenthalt in Jeruſalem.
Das unblutige Opfer des neuen Bundes auf dem Hügel Golgatha. –
Segen des Glaubens. – Quelle der kritiſchen Zweifel. – Der hohe
Werth der Traditionen im Orient. – Würdigung der proteſtantiſchen
Jeruſalem-Literatur. – Nur die Katholiken können die Echtheit der h.
Stätten beweiſen, weil nur ſie an der Tradition feſthalten. – Warum
der Calvarienberg jetzt nicht außerhalb, ſondern mitten in der Stadt
liegt. – Wie es kommt, daß das heilige Grab mit dem Golgathahügel
unter einem Dache iſt. – Warum die Griechen das Hauptſchiff der hei-
ligen Grabeskirche inne haben? – Das goldene Protectorat Rußlands.–
Die Kapelle der Kopten. –– Das Felſengrab des Joſeph von Arimathäa.
– Löſung eines patriotiſchen Gelübdes. – Missa cantata pro Impe-
ratore Francisco Josepho in der heiligen Grabkapelle. – Etwas
über den Ritterorden des h. Grabes. – Ein Toaſt auf den König von
Jeruſalem.
Jeruſalem, 23. Auguſt.
Lieber Freund!
Das Ereigniß des heutigen Tages dünkt mir ſo
wichtig, daß ich Dir eigens darüber ſchreiben muß: es be-
trifft die Löſung unſeres Gelübdes.
Um 5 Uhr früh führte uns P. Andreas in die h.
Grabeskirche, und verlangte die Öffnung derſelben, was
den Franziskanern jedesmal 100 Para d. i. anderthalb
Franken koſtet. Da die türkiſchen Wächter wahrſcheinlich
noch ſchliefen, ſo mußten wir warten bis die Kirche auf-
geſperrt wurde. Ich ſetzte mich auf ein Säulenfragment
in der Vorhalle und betete Brevier. Endlich raſſelten die
Schlüſſel und die Türken öffneten die Pforten zum chriſt-
lichen Heiligthume, grüßten aber höflicher als die grie-
296
chiſchen Popen, die gleichfalls auf Einlaß gewartet
hatten.
Ich hatte mir für heute die heilige Stätte des Cal-
varienberges zur Darbringung des heiligen Meßopfers
gewählt. Ein Frater errichtete den Altar an derſelben
Stelle, wo Chriſtus an's Kreuz geſchlagen wurde; dann
kam er in die Sakriſtei um mich abzuholen, und ich beſtieg
die Stufen des Hügels Golgatha. Ich kann Dir nicht ſa-
gen, was ich fühlte. Der Gedanke: an jener Stelle das
unblutige Opfer des neuen Bundes darzubringen, wo Je-
ſus Chriſtus das blutige Erlöſungsopfer vollbracht, be-
ſchäftigte unabläſſig meine Seele. Hier ging die große
Umwandlung der ganzen Menſchheit vor, hier kämpften
Tod und Leben miteinander („mors et vita duello con-
flixere mirando“), hier feierte das Myſterium der Liebe
ſeinen höchſten Triumph: hier ſtarb der Gottmenſch am
Kreuze!
Ach, welcher Segensfülle beraubt ſich derjenige, der
ohne lebendigen Glauben dieſe heilige Stätte beſucht, und
mit tauſenderlei kritiſchen Zweifeln die aufwallende An-
dacht ſeines Herzens niederhält! Nicht als ob man die
Wiſſenſchaft über der Frömmigkeit vergeſſen dürfte, denn
es iſt ein großer Unterſchied zwiſchen Alles glauben und
Alles verwerfen. Die heiligen Stätten ſind kein Glaubens-
artikel. Das iſt aber ſicher, daß die fromme Einfalt von
der Liebe und die kritiſche Geringſchätzung vom Haße
kommt.
In letzterer Beziehung fehlen viele Andersgläubige,
welche den Katholiken blindes Feſthalten an die alten
Traditionen vorwerfen. Aber um des Himmels willen, an
was ſoll man ſich denn im Orient, notabene unter Tür-
kenherrſchaft halten, als an Traditionen? Die heiligen
297
Stätten prägen ſich einem Jeden, der ſie einmal geſehen
hat, ſo tief in das Gedächtniß und in das Herz ein, daß
man ſie nie mehr vergißt, leicht wieder finden und Ande-
ren zeigen könnte. Dazu braucht es keine Wiſſenſchaft.
Und ſollten nicht in einem jeden Jahrhunderte wenigſtens
zwei Chriſten in jenen Umſtänden geweſen ſein? Überlie-
ferungen gehen von Eltern auf Kinder, in der Kirche von
Biſchöfen auf Biſchöfe und Prieſter über, ſo daß man
wohl mit voller Sicherheit ſagen kann: wenn irgend etwas
auf Erden ſich beweiſen läßt, ſo iſt es die Echtheit der
chriſtlichen Traditionen im Orient.
Doch gerade dieſe Tradition gilt bei den Proteſtan-
ten nichts; ſie wollen Alles durch Forſchungen aufhellen
und beſtimmen, und werfen die altehrwürdigen Traditio-
nen über den Haufen, wenn ſie nicht in ihren Vernunft-
kram paſſen. Das iſt eine grelle Ungerechtigkeit, eine
wahre Nothzucht der Wiſſenſchaft, denn kein Terrän iſt
dazu ungünſtiger als Jeruſalem. Und ſo iſt durch die
neuere ohne Zweifel reichhaltige und gelehrte Literatur
über die heiligen Stätten von Seite der Proteſtanten mehr
zerſtört als erbaut worden: ſie iſt nur groß im Negiren.
Es ergeht den heiligen Stätten nicht beſſer als dem Bibel-
texte. Nein, wer die Traditionen im Orient vernichtet,
der ſchafft nicht, ſondern der zerſtört, und wer ein ſolches
Gebahren wiſſenſchaftliches Forſchen nennt, der leidet an
Begriffsverwirrung. Nur die Katholiken können die Echt-
heit der heiligen Orte beweiſen, weil nur ſie an der Tra-
dition feſthalten. – Es ſpricht lauter, als Worte es ver-
mögen, daß von Alters her katholiſche Mönche die Wäch-
ter des heiligen Grabes waren und zahlloſe Opfer brach-
ten, um daſelbſt die heiligen Geheimniſſe feiern zu kön-
nen, während die Proteſtanten bis auf die neueſte Zeit
298
herab ſich nicht darum kümmerten. Daher dünkt es mir
auch edler und vernünftiger zu ſein, wenn die Katholiken
bei mancher topographiſchen Streitfrage, über welche die
Acten noch lange nicht geſchloſſen ſind, ſich für das Beſte-
hende und im traditionellen Glauben Angenommene erklä-
ren, als wenn ſo manche Akatholiken ſich über die Sagen
der beſchränkten Mönchsköpfe luſtig machen. Durch gehäſ-
ſige Polemik wird der Wiſſenſchaft wahrlich kein Dienſt
erwieſen, -
Ich will beiſpielsweiſe nur die Stätte der Kreuzi-
gung, den Calvarienberg, berühren. Da ſtoßen ſich
viele daran, daß er mitten in der gegenwärtigen Stadt
Jeruſalem liegt, indem doch Jeſus bekanntlich außer der
Stadt gekreuziget wurde. – Dieſe Schwierigkeit iſt gar
leicht zu löſen. Das gegenwärtige Jeruſalem iſt in ſeiner
Ausdehnung nicht mehr ſo, wie es zur Zeit Chriſti war.
Der Heiland wurde allerdings außer der Alt- oder Sions-
ſtadt (ztotz, wie Joſephus Flavius ſchreibt) gekreuzigt,
und zwar auf der Schädelſtätte, die hebräiſch Golgatha,
und griechiſch Calvariä hieß, ſo daß die Execution des
Todesurtheils im Freien ſtattfand. Dieſer Hügel war
aber ſehr nahe bei der Stadt, ſo zu ſagen in einer Vor-
ſtadt, welche auch nach hiſtoriſchen Zeugniſſen von Kaiſer
Hadrian in die Stadt miteinbezogen wurde, wodurch der
Hügel Golgatha in das Innere der Stadt kam. Im from-
men Mittelalter, wo Jeruſalem von den Kreuzrittern ero-
bert wurde, gruppirte ſich Alles um die heiligſte Stätte,
und ſo kam das heilige Grab mitten in die Stadt. –
Eher könnte einen frappiren, daß das heilige Grab mit
dem Golgathahügel unter einem Dache iſt. Doch auch
dieſe Schwierigkeit iſt leicht zu löſen. Das Felſengrab, in
das Jeſus gelegt wurde, war nahe der Kreuzigungsſtätte,
299
wie ich ſchon im vorletzten Pilgerbriefe erwähnt habe. Als
die Franken den großartigen Neubau auf den Trümmern
der von der h. Helena erbauten Baſilika begannen, woll-
ten ſie die heiligſten Stätten der Chriſtenheit in Einem
Dome vereinigen, zu welchem Behufe die Stelle, wo einſt
das Kreuz aufgerichtet worden war, geebnet wurde, wie
es im Weſentlichen jetzt noch beſteht. – Dieſe einfache
und natürliche Erklärung, verbunden mit einer Tradition,
die mehr als ein Jahrtauſend für ſich hat, wiegt gewiß
ſchwerer, als alle wenn auch noch ſo geiſtreichen Hypothe-
ſen und gelehrten Combinationen über die Beſtimmung
der erſten, zweiten und dritten Stadtmauer, die theilweiſe
noch ganz im Schutte begraben liegen.
Doch laſſen wir die Polemik an einem ſo friedli-
chen Orte. Folge mir noch an einige Punkte in der heili-
gen Grabeskirche, die Dir noch nicht bekannt ſind. Wir
treten durch die offene Thür in das Hauptſchiff, welches
von den Griechen durch eine hohe Mauer von den übrigen
Theilen der Kirche abgeſchloſſen iſt. Dieſe Abſchließung
verhindert den Überblick der ganzen Kirche und beſteht erſt
ſeit dem Brande 1808, wo die Griechen den kaiſerlichen
Ferman, der ihnen die Herſtellung des h. Grabes erlaubte,
auf die ganze Kirche ausdehnten, obwohl nur der Chor
abgebrannt war.–Überhaupt ſichertden Griechen das Geld
ſo manche Vortheile, mittelſt welcher ſie die Lateiner immer
mehr aus ihren Rechten verdrängen. Die ruſſiſche Regie-
rung ſcheut in dieſer Beziehung kein Geldopfer, um das
Protectorat über die ſchismatiſchen Griechen im Orient
zu gewinnen und zu erhalten, überall glänzen die ruſſi-
ſchen Kronleuchter und czariſchen Adler. Der Hochaltar
iſt im öſtlichen Theile des Schiffes, alſo gegenüber dem
Grabe, das im Weſten ſteht, angebracht, und ſtrotzt wie
ZOO
ein Thronhimmel von Gold und reichen Verzierungen.
Das Niveau der abgeſchloſſenen Kirche iſt höher als das
der übrigen Kirche, welche überhaupt durch dieſe Abſchlie-
ßung ganz entſtellt iſt, indem der Chor der Griechen
gleichſam eine Kirche in der Kirche bildet.
An die andere Seite des h. Grabes iſt unmittelbar
eine kleine Kapelle der Kopten angebaut, eine außeror-
dentliche Gunſterwirkung von Seite eines ehemaligen
koptiſch-türkiſchen Miniſters; die Zahl der koptiſchen
Chriſten in Jeruſalem iſt ſehr geringe. – Gegenüber am
äußerſten Weſt-Ende der Kirche befindet ſich ein in Felſen
gehauenes Grab, welches offenbar in die hebräiſche
Epoche zurückreicht, und von dem man vermuthet, daß es
Joſeph von Arimathäa noch bei ſeinen Lebzeiten für
ſich errichten ließ; – ein nicht zu verſchmähender Beleg
für die Echtheit des heiligen Grabes.
Du wirſt aber, lieber Freund, ſchon ungeduldig auf
die Schilderung jener Feierlichkeit warten, die ich Dir im
Anfange dieſes Pilgerbriefes hoffen ließ. Nun ſo höre. –
Gegen 8 Uhr wurde es in der heiligen Grabeskirche
immer lebhafter. Der öſterreichiſche Conſul erſchien mit
ſeiner Familie, vor ihm ſchritten die in Gala gekleideten
Kawaſſen mit ſilberbeſchlagenen Amtsſtäben. Wir Pilger be-
grüßten ihn und gruppirten uns mit anderem andächtigen
Volke unmittelbar vor dem heiligen Grabe. Orgelklänge
ertönten, und der hochwürdige P. Vikar trat mit feierli-
cher Aſſiſtenz zur heiligen Grabkapelle, um ein Hochamt
(missa cantata) für Se. Majeſtät den Kaiſer von Öſter-
reich zu halten. – Die Veranlaſſung dazu ging von un-
ſerm ehrenwerthen Pilgercollega Joſeph Leonard Mayr
aus. Du wirſt Dich nämlich aus meinem erſten Pilger-
briefe noch erinnern, daß Mayr bald nach dem unſeligen
Z01
Attentate am 18. Februar d. J. den großherzigen Ent-
ſchluß faßte nach Jeruſalem zu pilgern, um an dieſer hei-
ligſten Stätte der Erde für die wunderbare Erhaltung des
theuren Lebens Gott zu danken, und wie wir Anderen ſei-
nem Plane uns anſchloßen. Du kannſt Dir denken, lie-
ber Freund, wie innig gerührt wir dem Dankamte bei-
wohnten. – Die Function war feierlich und durch die
Heiligkeit des Ortes doppelt ergreifend. Als wir nach
dem Hochamte dem Pilgerpapa zur Erfüllung ſeines edlen
Vorhabens gratulirten, ſtanden ihm die Thränen in den
Augen. – Nach meiner Anſicht hätte Mayr für ſeine
uneigennützige, opfervolle und ritterliche That den Ritteror-
den des heiligen Grabes verdient, denn wer ſeine Treue
im Glauben bewährt, iſt ein würdiger Kreuzritter, und
wer im 19. Jahrhundert ſeine chriſtliche und patriotiſche
Geſinnung in Wort und That bekennt, der wagt und thut
nicht weniger als ein pilgernder Kreuzfahrer des Mit-
telalters.
Alſo – höre ich Dich fragen – exiſtirt ein Rit-
terorden des heiligen Grabes? Allerdings, und zwar iſt
er einer der älteſten Ritterorden des civiliſirten Europa,
denn der erſte König Jeruſalems Gottfried von Bouillon
hat ihn gegründet. Großmeiſter desſelben iſt der Papſt;
die Macht Ritter zu ernennen hat als Bevollmächtigter
des Papſtes der jeweilige Patriarch von Jeruſalem. Die
Pflichten eines Ritters des h. Grabes ſind: die Kirche
Gottes zu vertheidigen und zu befreien, ungerechte Kriege,
Duelle und jede ſchimpfliche Handlung zu vermeiden,
Frieden und Eintracht herzuſtellen, Witwen und Waiſen
zu beſchützen, vor Laſtern des Fleiſches ſich zu hüten, un-
tadelhaft vor Gott und Menſchen zu ſein, den Eifer für
die heiligen Stätten zu beleben u. ſ. w. Die Decoration
302
beſteht aus fünf Kreuzen an Einem Stamme, zur Erinne-
rung an die fünf Wunden des Herrn; man trägt ſie an
einem ſchwarzen Bande. Die Aufnahme geſchieht in der
Nähe des heiligen Grabes, wobei der neue Ritter das
Schwert Gottfried von Bouillon's, das in Jeruſalem als
koſtbare Reliquie verehrt wird, in ſeinen Händen hält.
Wir waren alle ſehr fröhlich und glücklich geſtimmt,
und brachten bei Tiſch mit dem beſten Wein, den wir be-
kommen konnten, einen Toaſt dem ritterlichen Kaiſer von
Öſterreich, der ja auch den Titel: „König von Jeruſa-
lem" führt, und dem tiefgerührten Collega Mayr. – Ich
muß ſchließen, denn theils wurde ich durch den Beſuch der
beiden Sekretäre des Patriarchen Valerga unterbrochen,
theils müſſen wir uns reiſefertig machen zu dem ſchon mit
Sehnſucht erwarteten Ausflug nach Bethlehem. Lebe wohl
und beneide immerhin Deinen Freund etc.
Z03
XVII.
Ausflug nach Bethlehem.
Verſchiedenheit der Umgebung Jeruſalems und Bethlehems. – Bibli-
ſche Erinnerungen und ſelige Träume aus der Kindheit. – Eliaskloſter.
– Erſter Anblick des idylliſch gelegenen Bethlehem. – Grabmal der
Rachel. – Das Franziskanerkloſter. – Die Grotte der Geburt Chriſti.
– Ihre Echtheit. – Das ominöſe Schickſal des Stern von Bethle-
hem. – Anlaß zu dem ruſſiſch-türkiſchen Kriege. – Münchner Bier. –
Schlafloſe Nacht. – Ein denkwürdiger Geburtstag. – Missa de Na-
tivitate. – Die Poeſie der Krippe. – Eulogien. – Die Baſilica zu
Bethlehem. – Die Gärten Salomo's. – Hortus conclusus und fons
signatus im hohen Liede. – Die ſalomoniſchen Teiche. – Die Straſſe
nach Hebron. – Ein Abenteuer auf Leben und Tod. – Ein gemüthli-
ches Wienerfrühſtück. – Ein induſtriöſer Convertit. – Wein von Beth-
lehem. – Prozeſſion zu den Sanctuarien in der Kirche zu Bethlehem. –
Andenken an den h. Hieronymus. – Glückliche Rückkehr nach Jeruſalem.
Bethlehem, 24. Auguſt.
Lieber Freund!
Heute, mein Lieber, ſchildere ich Dir den denkwür-
digſten Tag meines Lebens; es iſt, wie Du weißt, heute
mein Geburtstag, den ich ſo glücklich bin in Bethlehem
zuzubringen. Wir danken dieſe Veranſtaltung dem freund-
lichen Conſul von Pizzamano, der uns ſelbſt mit dem P. Re-
verendissimus des Franziskanerkloſters hieher begleitete.
Geſtern Abends verließen wir Jeruſalem zu Pferd,
und ritten durch das Jaffathor an dem fälſchlichen Teich
Bethſabe vorüber durch das berühmte Thal Raphaim, wo
David die Philiſter ſchlug (II. Buch der Könige 5,18). –
Bethlehem iſt von Jeruſalem nur zwei Stunden entfernt
in ſüdlicher Richtung, und der Weg dahin iſt ohne
304
Beſchwerde. Die Straſſe iſt breit, ſogar gut im Vergleich
mit den übrigen, und hier iſt der einzige Ort, wo man
einige Äcker um die Stadt antrifft. Je näher dem Ziele,
deſto freundlicher wurde der Weg. Was dieſe Straſſe je-
doch dem Pilger ſo unendlich theuer macht, iſt der Um-
ſtand, daß ſie zur Krippe des Weltheilandes führt. Der
alte Patriarch Jakob, der Hirtenkönig David, die heilige
Jungfrau mit Joſeph ihrem Verlobten wandelten darauf.
Ach, wie viele Erinnerungen der glücklichen Jugendzeit
knüpfen ſich an den Namen Bethlehem! All die frommen
und unſchuldigen Gefühle einer ſeligen Kindheit erwach-
ten in der Seele, und mit einer ſtillfreudigen Erwartung
wie am Chriſtabende näherten wir uns dem idylliſchen
Orte, wo das Chriſtkindlein zur Welt gekommen iſt.
Eine halbe Stunde außer Jeruſalem erhob ſich die
Straſſe auf eine ſanfte Anhöhe, welche das griechiſche
Eliaskloſter krönt, das wie alle Klöſter des heiligen
Landes mit den eiſernen Thoren, hohen Mauern und ver-
gitterten Fenſtern ganz feſtungähnlich ausſieht. Auf der
rechten Seite des Weges machte man uns auf einen Fel-
ſen aufmerkſam, in welchen die deutliche Spur eines
Schlafenden eingedrückt war; es ſoll die Stelle ſein, auf
welcher der Prophet Elias ſchlief, als er vor dem Zorne
Jezabels floh (III. Buch der Könige 19, 3). Hier erblickt
man zum erſten Mal das friedlich auf einem Berge voll
Majeſtät und Anmuth gelegene Städtchen Bethlehem.
Das Herz lachte vor Freude
Nun ging es unmerklich thalab, ſo daß Jeruſalem
im Rücken verſchwand, und die Sinne ſich allein mit der
heiligen Stadt Davids beſchäftigen konnten. Alles, was
die Bibel in ſo lieblicher Einfalt über die Geburt des
Heilandes erzählt: die Reiſe der Eltern zur Winters-
Z05
zeit, die dürftige Einkehr in die Grotte, die Geburt des
Jeſukindes und ſein erſtes Bettlein in der Krippe, der
Lobgeſang der Engel und die ſchlichte Anbetung der her-
beieilenden Hirten, das Erſcheinen des Sternes und die
Huldigung der Weiſen aus dem Morgenlande – dies
Alles drängte ſich dem in ſüße Betrachtung verſunkenen
Geiſte auf und erfüllte die Seele mit wonnigen Bildern.–
Rechts vom Wege liegt das Grabmal der Rachel,
v. die hier bei der Geburt Benjamins ſtarb (Geneſis 35,19).
Chriſten, Juden und Türken hegen eine große Verehrung
gegen dieſes Grab; die von den Chriſten darüber erbaute
Kapelle gehört jedoch den Türken, die eine weiße formloſe
Kuppel darüber wölbten.
Indeß hatten wir uns dem freundlichen, größten-
theils von Chriſten bewohnten Städtchen genähert, und
fröhliche Kinder und unverſchleierte Frauen mit aus-
drucksvollen Phyſiognomien begegneten uns. So verſchie-
den iſt der Typus der Nachbarſtädte Bethlehem und Je-
ruſalem! Die Hügel waren ringsherum wie auf dem Li-
banon in Terraſſen getheilt, und mit Öl- und Feigenbäu-
men, ja ſelbſt Weinreben, – die man um Jeruſalem nir-
gends ſieht – bepflanzt. Die Stadt liegt wie Jeruſalem
auf einem Bergrücken, aber die Berge gleiten ſanfter ab,
die Gegend hat einen milderen Charakter, und ſcheint zum
Hirtenleben wie geſchaffen.
Wir ritten durch die ſchmalen belebten Straſſen zu
dem außerhalb der Stadt gelegenen und einer Burg ähn-
lichen Franziskanerkloſter, das neben der Kirche ſich be-
findet, welche ſich über der Geburtsſtätte Chriſti erhebt.
Du kannſt Dir denken, daß wir in ſo ehrenvoller Geſell-
ſchaft doppelt freundlich empfangen wurden. Man führte
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 20
Z06
uns in einen großen Salon, in welchem breite Divans
ſtanden und eine lange Tafel, an der wir ſpäter ſpeisten.
Obwohl es bereits Abend geworden war, ſo woll-
ten wir doch in Bethlehem nicht eher zur Ruhe gehen,
ehe wir dem erſten Heiligthume der Welt: der Grotte
der Geburt Chriſti unſere Verehrung gezollt hatten.
Wir folgten dem Pater, der uns über eine enge und
krumme Steintreppe auf 16 Stufen hinabführte, und wir
waren am Ziele. Etliche 30 Lampen verbreiteten ein ma-
giſches Licht über die Felſengrotte. Schweigend ſanken wir
in die Kniee, und beteten den Heiland an, der hier von
der Jungfrau Maria geboren ward. Die menſchliche
Sprache iſt nicht im Stande jene heilige Seelenwonne zu
ſchildern, welche an dieſer Stelle das Innere erfüllt: ſelbſt
Freudenthränen ſind nur ein ſchwacher Ausdruck dafür.
Die Geburtsgrotte iſt eine natürliche Höhle, 18“
lang, 6“ breit, 10“ hoch, und nach dem Hintergrund zu
etwas enger. Das natürliche Geſtein iſt größtentheils mit
feinen Seidenteppichen behangen, die hie und da in Fetzen
gehen, und das Pflaſter iſt mit edlem Marmor bedeckt.
Von den etlichen 30 Lampen, die darin fortwährend bren-
nen, ſind viele ein Geſchenk der öſterreichiſchen Kaiſerfa-
milie, deren Wappen ſie tragen. – Im öſtlichen Theile
iſt das Heiligthum der Geburt, wo der ſilberne Stern ſich
befand mit der lateiniſchen Inſchrift: „Hic devirgine
Maria Jesus Christus natus est“ (hier wurde von der
Jungfrau Maria Jeſus Chriſtus geboren); ich komme
weiter unten auf ihn zurück. – Sieben Schritte rechts iſt
die Stelle, wo die Krippe ſich befand, in welche die gna-
denvolle Jungfrau das Kind legte. Zwiſchen beiden Grot-
ten in der abgerundeten Vertiefung des Felſens iſt der
Ort, wo Maria das göttliche Kind in den Armen hielt,
Z07
während die Magier dasſelbe auf ihren Knieen anbeteten.
Die beiden letztgenannten Stellen gehören den Lateinern
d. i. den Katholiken, welche nebenbei den Altar der hei-
ligen drei Könige errichteten. Hier dürfen ſie täglich
zwei Meſſen leſen, auf dem Heiligthume der Geburt je-
doch keine.
Die Grotte ſtand zur Zeit des Erlöſers gegen
Bethlehem hin offen und man konnte ungehindert eintre-
ten; ſpäter mußte dieſer Eingang durch eine Mauer ge-
ſchloſſen werden, um die Grotte und das Kloſter vor wil-
den Thieren und Barbaren zu beſchützen; auch wurden
Thüren, Gänge und Stufen angebracht, um den Mönchen
die Ausübung des heiligen Dienſtes zu erleichtern. – Es
iſt daher ein lächerlicher Einwurf, wenn man ſagt: Auf
den jetzigen Stufen habe kein Ochs oder Eſel zur Krippe
gelangen können, alſo ſei ſie unecht!! – Es gibt keinen
Ort auf Erden, deſſen Echtheit gewiſſer dargethan iſt, als
die der Grotte von Bethlehem. Zuerſt ſtimmt ſie durch
ihre Lage vollkommen mit der Erzählung des Evangeli-
ſten überein: „Und Maria legte ihren erſtgebornen Sohn
in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für ſie
war; und es waren Hirten in derſelben Gegend, die hüte-
ten und Nachtwache hielten bei ihrer Heerde“ (Luc. 2, 7, 8).
Die Geburtsgrotte iſt beiläufig 200 Schritte von der Stadt
entfernt, und ähnliche Höhlen dienen jetzt noch zum
Aufenthalt der Menſchen und Thiere. – Aber auch ge-
ſchichtlich läßt ſich die Echtheit nachweiſen. Die erſten
Chriſten ehrten in ihrer zarten Frömmigkeit den Ort, wo
Jeſus geboren ward, gewiß auf ausgezeichnete Weiſe, weil
der Kaiſer Hadrian auf den echt heidniſchen Gedanken
kam, hier einen dem Adonis geweihten Hain zu pflanzen,
und ſo die heilige Wiege des Herrn durch den unreinen
308
Kultus der heidniſchen Gottheit zu beflecken. Die heilige
Helena warf dieſe Statue nieder, reinigte die Grotte der
Geburt von all dieſen Entweihungen und errichtete eine
prächtige Kirche, die in Folge der Zeiten und Verfolgun-
gen wohl manchen Veränderungen unterlag, aber von den
griechiſchen Kaiſern reſtaurirt und von den lateiniſchen
Königen verſchönert wurde; ſchon der Styl der Baſilica
ſpricht für ihr Alterthum.
Die ganze Kirche ſowie die Geburtsgrotte insbe-
ſondere war von jeher ein Eigenthum der Lateiner (Katho-
liken); aber in Folge der Lethargie der katholiſchen Mächte
und der klingenden Thätigkeit des Schisma haben ſich die
Griechen mehrerer Heiligthümer bemächtigt, ſo daß man
allgemein ſagt: „Die Lateiner haben die Fermane, und
die Griechen die Sanctuarien“. – Der überzeugendſte
Beweis des Eigenthumsrechtes der Lateiner war der oben-
genannte Stern mit der lateiniſchen Inſchrift in der Ge-
burtsgrotte, der ſich ſeit uralter Zeit daſelbſt befand. Im
Oktober 1847 verſchwanden jedoch auf einmal Stern und
Inſchrift. Der Verdacht fiel ſogleich mit Grund auf die
Griechen, denn ein in Bethlehem ſterbender Grieche be-
kannte, von Gewiſſensbiſſen gefoltert, ſeine Schurkenthat.
Die Lateiner erhoben darüber laute Klage, denn ſie ſahen
die Sache nicht nur als Diebſtal ſondern als Uſurpation
der griechiſchen Mönche an. Der Paſcha hörte Zeugen ab
und that nichts, ebenſowenig der Sultan. Die Franziska-
ner wollten einen anderen Stern mit derſelben Inſchrift
anbringen, allein die Griechen widerſetzten ſich.
Nun reclamirten die lateiniſchen Mönche den
Schutz Frankreichs, welches die ganze Angelegenheit friſch
anpackte. Es verlangte durch ſeinen Geſandten bei der
hohen Pforte nicht nur Genugthuung für dieſe Beleidi-
Z09
gung, ſondern auch Rückſtellung aller von dem lateiniſchen
Klerus reclamirten heiligen Stätten, und forderte alle
katholiſchen Mächte auf in dieſer gemeinſchaftlichen An-
gelegenheit ſich Frankreich anzuſchließen. Darin erblickten
die Ruſſen einen gegen die Griechen und deren factiſche
Beſitzungen erhobenen und organiſirten Kreuzzug. Dem
eclatanten Auftreten Frankreichs folgte die geräuſchvolle
Ankunft des Fürſten Menſchikoff in Conſtantinopel, und
den diplomatiſchen Verhandlungen der förmliche Krieg
zwiſchen der Türkei und Rußland. – So gab der Stern
des Friedens Anlaß zum blutigen Streite. Es iſt wahr-
haft niederbeugend und entmuthigend, daß chriſtliche Con-
feſſionen an dem heiligſten Orte der Chriſtenheit ſich be-
fehden und durch niedrige Intriguen einander überliſten.
Wohl ſteht geſchrieben: „Es müſſen Ärgerniſſe kommen",
aber auch: „Wehe Dem, der es gibt!“
Nachdem wir an der Krippe unſer Gebet verrichtet
hatten, kehrten wir wieder in den Convent zurück, wo in-
zwiſchen die Tafel zum Speiſen gedeckt worden war. Die
Zubereitung der Speiſen war wie im Kloſter zu Jeruſa-
lem. Der freundliche Conſul hatte etliche Flaſchen Münch-
nerbier mitgenommen, worüber Caſella entzückt war und
in etwas ſeinen brütenden Tiefſinn vergaß. – Rückſicht-
lich des folgenden Tages wurde beſchloſſen, daß ich –
an meinem Geburtstage – das Vorrecht haben ſolle, um
4 Uhr früh die erſte heilige Meſſe in der Geburtsgrotte
zu leſen, und daß bald darnach zu den Gärten und Tei-
chen Salomo's geritten werde, wo die Frau des Conſuls
uns mit einem guten Wiener Cafè zu bewirthen verſprach,
310
Gleich anſtoſſend an den Salon war ein Zimmer
mit vier guten Betten, die uns eingeräumt waren. Die
Hitze in dem kleinen Zimmer war aber ſo groß, und die
Mücken und anderes Ungeziefer ſo zudringlich, daß ich
faſt die ganze Nacht ſchlaflos zubrachte. Und doch verging
ſie mir ſchnell, denn ich war ſtets mit dem unbeſchreibli-
chen Glücke beſchäftigt, meinen Geburtstag in der Ge-
burtsſtadt des Herrn zu feiern.
Um 3 Uhr früh ſtand ich auf, und ging in den an-
ſtoſſenden Empfangsſaal. Alle ſchliefen noch. Es war fin-
ſter, nur die Sterne blinkten durch das Fenſter: ein Bild
meines Lebens! Ich dankte Gott aus voller Seele, daß
er mir meinen 31. Geburtstag in Bethlehem erleben ließ.
– Der Frater kam, um mich zur Kirche abzuholen, und
um 4 Uhr früh ſtand ich am Altare der drei Weiſen, un-
mittelbar neben der Krippe des Herrn. In Bethlehem
wird das ganze Jahr hindurch die Meſſe der h. Chriſt-
nacht (de Nativitate) geleſen. Man athmet die Luft der
Bibel, wenn man z. B. liest: „Und die Hirten kamen
eilends, und fanden Maria und Joſeph, und das Kind,
das in der Krippe lag.“ (Luc. 2, 16). Man glaubt die
Hirten zu ſehen, wie ſie vom Felde kommen, um das
Kindlein anzubeten. Wo iſt eine Poeſie, die ſo zart und
lieb, ſo wahrhaft göttlich iſt? Das tiefgefallene Men-
ſchengeſchlecht erlöst durch den Gottesſohn, der Knechts-
geſtalt annahm! O wunderbare Fügung der göttlichen
Vorſehung! Deßhalb alſo mußte der Hirtenkönig David
in dem idylliſchen Bethlehem geboren werden, und Maria
die ſeligſte Jungfrau im Auftrage des Kaiſers dahin zie-
hen, um die Weiſſagungen der Propheten zu erfüllen! Wie
beklagenswerth iſt die gelehrte Beſchränktheit, welche an
311
einer ſo heiligen Thatſache mäckelt und rüttelt, welche doch
die Edelſten aller Nationen ſeit Jahrtauſenden begei-
ſterte! Nein, da iſt weder Lug noch Trug möglich. Fragt
am heiligen Chriſtabend das unbefangene Kinderherz, und
ihr werdet mehr Licht der Wahrheit in euch aufnehmen,
als ihr mit all eurer Gelehrſamkeit im chaotiſchen Weltge-
triebe findet. Das Kind iſt glücklich, weil es glaubt, in
dem Verhältniſſe, als dieſer Glaube ſchwindet, tritt an
die Stelle desſelben der Weltſchmerz, und mit ihm unbe-
friedigte Unzufriedenheit. – Das dachte und fühlte ich
in der weltgeſchichtlichen Geburtsgrotte zu Bethlehem.
Gott ſei tauſendmal Dank dafür, ich konnte noch kindlich
glauben! – Bei der h. Meſſe erneuerte ich die Vorſätze,
die ich beim h. Grabe gefaßt, und war überhaupt ſehr er-
griffen. Mein Inneres war auf ähnliche Weiſe bewegt,
wie in der wunderlieben Verkündigungsgrotte zu Naza-
reth. Du erinnerſt Dich wohl noch, lieber Freund, was
ich Dir damals ſchrieb? - -
Ich verblieb in der Grotte der Geburt bis halb
7 Uhr. In einer Ecke befand ſich ein kleiner Felſenvor-
ſprung, ganz zu einem Sitze geeignet; dort ſchwanden die
Stunden wie Minuten, – hier lernte ich meditiren. Wäh-
rend dieſer Zeit wurde auf dem den Katholiken verbote-
nen Altar eine griechiſche Meſſe mit feierlicher Aſſiſtenz
geleſen, nach welcher der griechiſche Geiſtliche aus einem
Kelche ein in Wein getauchtes Brod (die ſog. Eulogien?)
den Umſtehenden austheilte; auch ein an der Mutterbruſt
ſchreiendes Kind mußte das geweihte Brod bekommen. –
Darnach las noch Collega Hubinger die heilige Meſſe auf
demſelben Altar, auf welchem ich celebrirt hatte.
Hierauf beſichtigten wir die eigentliche obere Kirche,
welche ſo groß iſt, daß ſie Tauſende faſſen könnte. Sie iſt
312
im alten Baſiliken-Styl erbaut, in der Form des Kreu-
zes, ohne Wölbung, ſo daß man in den offenen Dachſtuhl
aus Cedernholz frei hineinſieht; 48 antike röthlichweiße
Marmorſäulen, die 20 hoch ſind und 2/“ im Durchmeſ-
ſer haben, trennen die Kirche in fünf Schiffe ab; die Sei-
tenwände waren einſt mit Malereien, Inſchriften und
Moſaiken bedeckt, von denen man noch ſchwache Spuren
ſieht. Links iſt eine kleine niedrige Thür, die zum Kloſter
der Franziskaner führt. Was aber die ehrwürdige und im
Ganzen noch gut erhaltene Kirche am meiſten entſtellt, iſt
die Quermauer, welche das Langſchiff von dem Presbyte-
rium trennt, das die Griechen und Armenier aus-
ſchließlich als ihr Eigenthum anſehen. Auf ſolche Weiſe
gewährt die Kirche eigentlich gar keinen Ueberblick, und
das wüſt ausſehende Langſchiff gleicht weniger einem Got-
teshaus als einer leerſtehenden Scheune. Früher hat man
auch das Locale als Bazar, ja ſogar als Stall für das
übernachtende Vieh gebraucht, um dieſen Unfug zu ver-
meiden, hat man die großen Portale vermauert. So fehlt
es auch an dieſer heiligen Stätte nicht an wehmutherre-
genden Contraſten.
Indeß war die Stunde angebrochen, in welcher wir
verabredetermaßen zu den unweit entfernten Gär-
ten Salomo's reiten ſollten. Es war ein freundlicher
Sommermorgen. Auf der Hälfte des Weges begegneten
wir der Schweſter des Conſuls mit ihrer Kammerzofe,
welche beide auf Eſeln ritten; die Conſulsfrau, eine fa-
moſe Reiterin, war ſchon vorausgeeilt, um das verſpro-
chene Frühſtück zu bereiten. Betti, ſo heißt die Schweſter
des Conſuls, iſt ein ſeelengutes Geſchöpf aber eine ſpott-
ſchlechte Reiterin. Beides zuſammengenommen weckte
meine Sympathie, und ſo blieb ich – während die Anderen
313
vorausſprengten – mit dem ritterlichen Collega Marinelli
bei Betti zurück, ein Kawaß als Schutzwache.
Natürlich kamen wir viel ſpäter an den verabrede-
ten Ort, nämlich an den im hohen Liede geſchilderten
hortus conclusus (verſchloſſener Garten), der Salo-
mos Freude war (Hoheslied 4, 12). Verſchloſſen mag
der Garten heißen, weil er ringsum von Bergen umgeben
iſt. In der That iſt dieß ein paradieſiſches Plätzchen, und
um ſo anmuthiger, je größer der Abſtand von den ſonſt
ſo kahlen und felſigen Hügeln iſt. Das friſcheſte Grün be-
deckte den Boden, die Bäume ſtrotzten von herrlichen
Früchten, Orangen, Feigen, Aprikoſen, Granatäpfel,
Maulbeeren etc., und eine ſanft rieſelnde Quelle durch-
furchte glitzernd dieß kleine Eden. Wie ſchön muß der
Ort einſt geweſen ſein, wo ihn die Vorliebe des weiſeſten
aller Könige pflegte.
Die freundliche Conſulsfrau begrüßte uns auf herz-
liche Weiſe und war eben mit jener emſigen Rührigkeit,
welche dem weiblichen Geſchlechte ſo gut ſteht, beſchäftigt
in einer Lanbe den Tiſch zum projectirten Frühſtück zu
decken. – Weil wir ſo lange ausgeblieben waren, ſo hat-
ten die Reiſecollegen einen kleinen Ausflug zu den nahen
Teichen Salomo's gemacht, von dem ſie eben zurückkehr-
ten. Da Marinelli und ich doch auch dieſe merkwürdigen
Bauten ſehen wollten, ſo erbaten wir uns einen kurzen
Urlaub, ſchwangen uns auf das Pferd, und ritten mit
einem Führer fort.
Etwa nach einer Viertelſtunde kamen wir zu den
drei rieſigen Waſſerbehältern, die terraſſenförmig in dem
abſchüſſigen Thale dergeſtalt in den Felſen gehauen ſind,
daß aus dem oberen Teiche das geſammelte Waſſer in den
zweiten, und von dieſem in den dritten Teich abfließt.
314
Sehr dicke Mauern trennen ſie von einander, und ein ſtar-
kes Bollwerk umſchließt ſie; ſie tragen den Charakter hohen
Alterthums und wird die Errichtung derſelben allgemein
dem König Salomo zugeſchrieben. Sie werden nur vom
Regenwaſſer geſpeist; gegenwärtig waren ſie faſt ausge-
trocknet. Marinelli maß die Ausdehnung derſelben nach
Schritten, und fand den mittleren Teich (der bald darnach
für mich verhängnißvoll werden ſollte), 170 Schritte
lang, 45 breit, und beiläufig 50“ tief. – Am Schluße des
oberen Teiches befindet ſich die im Hohenliede vorkom-
mende verſiegelte Quelle (fons signatus), aus wel-
cher das vortreffliche Waſſer in ſteinernen Kanälen, die
zum Theile noch erhalten ſind, nach Bethlehem und Jeru-
falem geleitet wurde. Wahrſcheinlich zum Schutze dieſer
koſtbaren Waſſerverſorgungsanſtalt oder auch zur Über-
wachung der hier vorüberführenden Straſſe nach Hebron
hatten die Kreuzritter des Mittelalters in der Nähe ein
viereckiges Caſtell aufgeführt, das gegenwärtig halb ver-
fallen iſt. – Marinelli's Forſchungsgeiſt wollte auch das
Innere des Caſtelles in Augenſchein nehmen, wornach ich
kein Gelüſte trug, zumal ich mich des gegebenen Verſpre-
chens erinnerte, baldigſt zur Geſellſchaft zurückzukommen.
Ich lenkte ſomit um, und glaubte nichts zu wagen, wenn
ich den Weg allein zurückritt, denn er war nicht zu verfehlen.
In der glücklichſten Stimmung von der Welt über-
ließ ich mich ganz ungeſtört meinen Geburtstagsträumen,
als ich plötzlich auf eine wahrhaft ſchreckenerregende Weiſe
darin geſtört wurde. Ich will Dir nichts verhehlen –
ſondern Du ſollſt Alles wiſſen, was Deinem Freunde
auf ſeiner Pilgerreiſe paſſirte.
Als ich zu dem mittleren Teich gekommen war, welcher
in einer Krümmung des Thales ſo eingeklemmt iſt, daß nach
315
keiner Seite eine Ausſicht offen ſteht, fiel auf einmal von
der gegenüberliegenden Seite aus einer verfallenen Schutz-
wehr ein Schuß. Ich ſah das Feuer flammen und den Pul-
verdampf emporqualmen, und hörte den ziſchenden Pfiff
der Kugel über meinem Haupte. Kein Menſch war zu
erſpähen. – Groß war, wie Du Dir vorſtellen magſt, mein
Schrecken, aber noch größer die Beſorgniß, daß der Schuß
ſich wiederhole. Sollte mein Geburtstag, der ſo ſchön be-
gonnen, mein Todestag werden? Bebend ritt ich am ſtei-
len Abhang des Teiches vorüber, und empfahl meine
Seele dem Herrn, denn alles Hilferufen und Hilfeſuchen
wäre vergebens geweſen; auch war ich unbewaffnet. Ich
ließ mein Pferd nicht ſchneller als früher gehen, hatte aber
eine wahre Todesangſt, als ich in die gerade Parallele der
Schutzwehr kam, aus welcher der Schuß gefallen war.
Gottes Gnade und mein Schutzengel geleiteten mich glück-
lich an dem gefährlichen Poſten vorüber, und als der
Weg eine Wendung machte, ſtieß ich mein Pferd in Er-
manglung von Sporen in die Weichen, und ritt ſo ſchnell
ich konnte dem paradieſiſchen Salomonsgarten zu. – Du
magſt, mein Lieber, über die Gefahr, in der ich ſchwebte,
denken wie Du willſt, ich meinestheils werde dieſes qual-
volle Abenteuer an meinem 31. Geburtstage zeitlebens
nicht vergeſſen. -
Etwas verſtört und erhitzt kam ich nach einer hal-
ben Stunde zu der ängſtlich auf uns wartenden Geſell-
ſchaft zurück, machte aber über mein Erlebniß nicht viel
Redens, um die herrſchende frohe Stimmung nicht zu trü-
ben. - Meine heimliche Angſt war nur die, daß doch auch
Marinelli unverſehrt zurückkomme, und es fiel mir ein
Stein vom Herzen, als ich ihn mit dem Führer wohlbe-
316
halten daherſprengen ſah; er ſagte mir, daß ihm auf dem
ganzen Wege nichts aufgefallen ſei. Gott ſei geprieſen!
Das Frühſtück war indeß fertig geworden. Auf
einem mit blendend weißen Tüchern bedeckten Tiſche ſtand
köſtliches Obſt in großer Auswahl, und die Conſulsfrau
machte in liebenswürdigſter Weiſe die freundliche Wirthin.
Ein Cafè nach Wienerart, ſchon lange ein ſtiller Wunſch
von mir, galt mir als Geburtstagspräſent. – Das Haus,
in deſſen belaubter Vorhalle wir ſaßen, gehört einem vom
Judenthum zum Proteſtantismus bekehrten Nordameri-
kaner von deutſcher Abkunft, und ich muß geſtehen: der
Mann verſtand es die günſtige Lage dieſes Thales-vor-
trefflich zu benützen. Er erzählte uns, daß die Weinrebe
oft dreimal im Jahre zeitige Trauben trage, und wir ſelbſt
ſahen Pfirſichbäume mit 800 Stück Früchten. Das läßt
beiläufig ahnen, was einſt das gelobte Land war.
Nachdem wir uns Alle geſtärkt hatten, wurde auf-
gebrochen, um nach Bethlehem zurückzukehren, wo man
uns zum Speiſen erwartete. Es war ein einfaches Mit-
tagmal gewürzt mit deutſcher Gemüthlichkeit, denn auch
die Frauen durften mit uns ſpeiſen. Mit einem pech-
ſchwarzen und ſehr geiſtigen Bethlehem-Wein brachten die
Collegen einen Toaſt zu meinem Geburtstage aus; das
Vivat galt dießmal buchſtäblich, nämlich nicht nur mei-
ner Geſundheit ſondern auch meinem Leben.
Um 4 Uhr Nachmittags wohnten wir der feierlichen
Prozeſſion bei, welche ähnlich wie in Jeruſalem täglich
ſtattfindet; ſie geht von der den Katholiken gehörenden
St. Katharinenkapelle aus, und bewegt ſich betend und ſin-
gend zu den in der Kirche befindlichen Sanktuarien. Es
ſtoſſen nämlich an die h. Grotte der Geburt in einem
halbkreisförmigen Gange noch mehrere ſchmale unterirdi-
317
ſche Hallen, in welchen die Gräber des h. Euſebius, der
unſchuldigen Kinder, desh. Hieronymus und der hh. Eu-
ſtochium und Paula gezeigt werden; den Schluß dieſer
Grotten bildet die ſogenannte scuola S. Hieronymi, wo
nämlich dieſer merkwürdige Heilige das Rieſenwerk der
Bibelüberſetzung (Vulgata) vollendete. Ein heiliger
Schauer durchrieſelt die Gebeine, indem man dieſen Ort,
der Zeuge ſo großartiger Selbſtverlängnung und Geiſtes-
größe war, betritt. Auch dieſen heiligen Orten haben die
Päpſte reichliche Abläſſe verliehen. An der Krippe dankte
ich Gott nochmal inbrünſtig für die vielen heute empfange-
nen Gnaden, und die bei der Prozeſſion von mir gebrauchte
Wachskerze behielt ich als Reliquie auf – ſie ſoll mir
einſt als Sterbekerze dienen.
Gerne hätten wir noch das Hirtendorf, die ſoge-
nannte Milchgrotte und die Ciſterne Davids beſucht, allein
die Zeit drängt zur Rückkehr nach Jeruſalem, das wir
noch vor dem letzten Scheidegruß der Abendſonne errei-
chen wollen. Mit freundlichen und friedlichen Eindrücken
ſcheide ich von dem lieben Bethlehem, und auch von Dir,
Du treue Seele. Mit wahrer Freundſchaft Dein etc.
-xÄxc6 HKCN-
318
XVIII.
Dritter Aufenthalt in Jeruſalem.
Merkwürdige Orte in und um Jeruſalem. – Die Geißelungskapelle. –
Ein Ritt um die Stadt. – Teich Bethſaida. – Ort, wo der h. Stepha-
nus geſteinigt wurde. – Bach Cedron. – Der Oelberg. – Das Fami-
liengrab Mariä. – Eine Meſſe auf dem Berge der Himmelfahrt. –
Das traurige Panorama Jeruſalems. – Erfüllung der prophetiſchen
Weiſſagungen. – Die Prophetengräber. – Ein Chamäleon. – Garten
Gethſemani. – Die alten Oelbäume. – Einen Steinwurf weit die
Grotte der Todesangſt. – Das Teich Joſaphat und ſeine Denkmäler.
– Quelle und Teich Siloe. – Das wilde Thal Hennon. – Hakel-
dama. – Thal Gihon. – Der obere und untere Teich. – Die Gräber
der Könige. – Jeremiasgrotte. – Diner beim Conſul. – Warum an
Freitagen die Thore Jeruſalems geſchloſſen werden. – Die trauernden
Juden an der Tempelmauer. – Die Hütten der Ausſätzigen. – Das
Franziskanerkloſter St. Salvator. – Wirkſamkeit und Zukunft desſel-
ben. – Vorrathskammer der geweihten Sanctuarien. – Guter Klang
Oeſterreichs. – Sammlungen für das h. Grab. – Beſuch beim türki-
ſchen Commandanten. – - Der Tempelplatz. – Die Omarmoſchee. –
El Haram. – Türkiſche Menage. – Ein griechiſches Feſt. – Das Cöna-
culum. – Die jüdiſche Synagoge und die Wiederherſtellung des Rei-
ches Iſrael. – Myſtiſches.
Jeruſalem, 27. Auguſt.
Lieber Freund!
Nachdem ich Dir in meinen früheren Schreiben den
erſten Eindruck, den Jeruſalem und das h. Grab auf mich
machten, geſchildert habe, ſo will ich heute mehr bei der
äußerlichen Beſchreibung der merkwürdigen Orte in und
um Jeruſalem verweilen. Daß ich mich dabei der Kürze
befleiße, wirſt Du begreiflich finden; es genügt Dir, wenn
319
ich andeute, wohin Du mich im Geiſte begleiten kannſt,
und was ich an den einzelnen Orten fand und fühlte.
Nebſt der h. Grabeskirche und dem Leidenswege des
Herrn ſucht der Pilger gewiß auch die Geißelungska-
pelle auf, welche ſich in der Nähe des Hauſes des Pila-
tus und des Ecce Homo-Bogens befindet. Dieſer heilige
Ort war lange Zeit ganz verwahrlost und diente als
Pferdeſtall, bis im Jahre 1838 Herzog Max aus Baiern,
der Vater Ihrer Majeſtät der Kaiſerin Eliſabeth von
Öſterreich, die Kapelle zum Andenken an ſeine Pilgerreiſe
mit frommer Munificenz herſtellen ließ. Die nette und
reinlich gehaltene Kapelle dient gegenwärtig als öſterrei-
chiſche Conſulatskirche, und iſt auch beantragt, daß dane-
ben ein öſterreichiſches Pilgerhospiz errichtet werde. –
Man kommt durch ein ſchmales Eiſenpförtlein in das
Heiligthum, wo das reinſte und heiligſte Blut unter der
Hand grauſamer Henker floß. Die Flagellationsſäule
ſelbſt befindet ſich aber nicht hier, ſondern in der lateini-
ſchen Kapelle beim h. Grabe, hier wird nur die Stelle ge-
zeigt, wo ſie beiläufig ſtand. Auf dem Bilde des Hochal-
tares liest man die Worte des Pſalmes: „Fuiflagella-
tus tota die et castigatio mea in matutinis.“ (Ich bin
geſchlagen den ganzen Tag und geſtraft ſchon am frühen
Morgen. Pſ. 72, 14). Die vier Seitenaltäre tragen die
Jahreszahl 1841, und die vorderen haben die Inſchrift:
»Percussus sum etaruit cor meum“ (Ich bin getrof-
fen und mein Herz iſt dürre, Pſ. 101, 5), und „Pater
mi, si possibile est, transeat calix iste“ (Mein Vater,
wenn es möglich iſt, ſo gehe dieſer Kelch vor mir vorüber.
Matth. 26, 39). – Ein Frater des Franciskanerordens
bewacht die Räume des Kirchleins und anſtoſſenden Ge-
320
bäudes, in welchem nöthigenfalls auch Pilger beherbergt
werden können.
Am 25. Auguſt Vormittags machten wir einen Ritt
um die Stadt Jeruſalem, bei welcher Gelegenheit wir
folgende intereſſante Punkte kennen lernten. – Wir nah-
men die Richtung zum ſogenannten Stephansthor. Bevor
wir dasſelbe erreichten, ſahen wir rechts den ausgetrock-
neten Teich Bethſaida, deſſen Waſſer einſt der Engel
zur Heilung der Kranken bewegte (Joan. 5, 4). –
Gleich außerhalb des Thores zeigte man uns den Ort,
wo der erſte Martyrer der Kirche, der h. Stephanus,
geſteiniget wurde. „Sie ſtießen ihn zur Stadt hinaus und
ſteinigten ihn“. (Apoſtelgeſchichte 7, 57). Ob das einige
Klafter mehr rechts oder links geſchah, hat gewiß nichts
zu ſagen, wo der fromme Glaube das Richtſcheit anlegt.
Gegenüber dem Thore liegt der Ölberg, nur eine
Schlucht trennt ihn von der Stadt, nämlich das Joſa-
phatthal, durch das der Bach Cedron fließt. Der An-
blick iſt kein freundlicher. Der Ölberg mit ſeinen wenigen
grünen Bäumen auf verbranntem Boden ſieht wie mit
Aſche bedeckt aus; das Joſaphatthal (auch Todesthal ge-
nannt, weil die Szene des jüngſten Gerichtes mit Bezie-
hung auf Joel 3, 7 hieher verlegt wird) iſt traurig, nackt
und öde; kein Menſch, kein Thier belebt dasſelbe, und die
ringsherum liegenden zerbrochenen Trauerdenkmäler vol-
lenden das Bild der Grabesruhe. Hier begreift man die
Klagelieder des Jeremias, die Trauergeſänge des Pſal-
miſten, die Verzweiflung Jobs, kurz das ganze Seufzen
nach Erlöſung. Das Thal zieht ſich von Norden nach Sü-
den, wo es ſich verenget, und iſt durch den Schutt der auf-
gehäuften Trümmer beträchtlich ausgefüllt; einſt mag es
321
viel tiefer geweſen ſein. – Der Bach Cedron iſt faſt
immer ausgetrocknet.
Wir ritten über den Berg hinab, und kamen zu
einer ſteinernen Brücke, die über den Bach gebaut iſt.
Ueber dieſe Brücke hielt Jeſus ſeinen triumphirenden
Einzug in Jeruſalem, und bald darnach überſchritt er
ſie auf dem blutigen Wege zur Kreuzesſtätte.
Nun befanden wir uns am Fuße des Oelberges.
Einige Schritte davon links iſt der Eingang in die unter-
irdiſche Kirche, welche das Grab Mariä enthält, d. h.
den Ort, wo die heilige Jungfrau beerdiget wurde, denn
nach der frommen Ueberlieferung behielt die Erde den
Leib nicht, der die Wohnung des Lebens geweſen war.
Man ſteigt auf einer breiten Treppe von etlichen 40 Stu-
fen hinab, und ſieht dann rechts ein von Lampen beleuch-
tetes Felſengrab, das dem heiligen Grabe Chriſti ähnlich,
aber kleiner iſt. Die Bauart iſt offenbar ſehr alt. Einſt
war dieſe Kirche ausſchließliches Eigenthum der Lateiner;
da ſtarben die Patres an der Peſt, und die ſchismatiſchen
Armenier nahmen ſie ſogleich in Beſchlag; ſeitdem ſind
die Katholiken ganz daraus verdrängt. Wir verweilten
einige Zeit in der Tiefe. – Beiläufig in der Hälfte der
Stiege findet man das Grab des h. Joſeph und gegen-
über die Gräber der Eltern Mariens: Joachim und Anna,
alſo eine Art Familiengrab.
Vom Fuße des Oelberges ritten wir in einer hal-
ben Stunde auf deſſen ſanft abdachenden Gipfel hinauf
(2230), von wo der Heiland in den Himmel fuhr. Die
h. Helena erbaute hier eine Kirche, von welcher nur noch
das Pflaſter und die Mauerwände ſtehen; ſie gehört den
Türken, welche ſie auch als Moſchee benützen, ausnahms-
weiſe jedoch – natürlich gegen Backſchiſch –den Eintritt, ja
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 21
322
ſogar kirchliche Funktionen darin geſtatten. – In dem
kleinen Gebäude ſieht man einen Felſen, und darin die
kennbare Spur des linken Fußes, die Jeſus bei ſeiner
Himmelfahrt zurückließ. Wer ſollte den Ort, wo die Füſſe
des Herrn geſtanden (Pſalm 131, 7), und deſſen ſchon der
h. Hieronymus erwähnt, nicht gerne küſſen? – Da kein
Altar in der weiß getünchten Rotunda ſtand, ſo ließen
wir ein Portatile über dem genannten Felſen aufſtellen,
und Collega Hubinger las die h. Meſſe darüber. Ich hatte
die Bibel bei mir, und meditirte über die apoſtoliſche
Miſſion, die Jeſus kurz vor ſeiner Himmelfahrt ſeinen
Jüngern ertheilte. – Nach der h. Meſſe tractirte uns
der brave Dragoman Mathia, der all ſeine Verwandten
zu derſelben citirt hatte, mit einem arabiſchen Frühſtück,
d. h. wir genoßen unter freiem Himmel auf Teppichen
ſitzend Käſe, Trauben und Caffee.
Vom Oelberge aus hat man die beſte Anſicht des
Panorama von Jeruſalem, das einen wehmüthigen Reiz
gewährt. Im Vordergrunde iſt das Thal Joſaphat mit
dem Garten von Gethſemani; oben die Stadtmauer von
Jeruſalem in ihrer ganzen Ausdehnung; aus der düſteren
aſchgrauen Häuſermaſſeragt zunächſt die ſtattliche Moſchee
Omars (wo der einſtige Tempel Salomons ſtand) hervor;
mitten aus den Terraſſen die Kirchenkuppel des h. Gra-
bes; im Hintergrunde die Burg Davids; links das Thor
von Jaffa und Bethlehem, wo Gottfried v. Bouillon zu-
erſt die Stadtmauer erſtieg; rechts das Thor von Da-
maskus, wo der tapfere Tancred ſeine Schaaren zum
Kampfe führte; gegen Weſten das h. Sion; endlich tief im
Hintergrunde auf einem Hügel das Grabmal Samuels,
und an dem fernen Horizont die Gebirgslinien an der
Straße von Ramleh nach Jeruſalem.
323
Es iſt eine unheimliche Stille, die auf dem Ge-
mälde ruht; der Stempel des Ungewöhnlichen, Außeror-
dentlichen iſt ihm aufgeprägt. Große und gewaltige Erin-
nerungen, welche die Bruſt heben, wechſeln mit weh-
müthigen Gefühlen, die ſie beengen. Keine andere Gegend
läßt ſich dieſer vergleichen, die in ihrer tiefen Verlaſſen-
heit, traurigen Verödung, und düſteren Melancholie
mehr einem großen Friedhofe ähnlich wäre, als dieſe. Und
das iſt die Mutterſtadt der chriſtlichen Welt. Iſt dieß der
Fluch Gottes, der auf der gefallenen Königin Iſraels
ruht, oder iſt es eine natürliche Folge der menſchlichen
Lethargie in den religiöſen Angelegenheiten?
Wie eine trauernde Witwe ſitzt ſie da, die einſtige
Perle des gelobten Landes! Unwillkührlich fallen einem
bei dieſem Anblick die Worte aus den Lamentationen des
Propheten Jeremias ein: „Wie ſitzet einſam die Stadt,
die ſo volkreiche! Wie eine Witwe iſt geworden die Herrin
der Völker . . . Die Wege nach Sion trauern, weil Nie-
mand zum Feſte kommt; . . . hinweg iſt von der Tochter
Sions all ihr Schmuck, . . . . Sion ſtrecket ſeine Hände
aus, aber Niemand iſt der ſie tröſte; . . . der Herr iſt
wie ein Feind geworden, hat Iſrael geſtürzt, geſtürzet
all ſeine Mauern, zerſtöret ſeine Feſten, und des Elends
voll gemacht die Tochter Juda's . . . Mit wem ſoll ich dich
vergleichen, Tochter Jeruſalems? Wen ſoll ich dir ähn-
lich nennen, um dich zu tröſten, Tochter Sions? Denn
groß iſt wie das Meer dein Elend, wer kann dich heilen?
. . . Alle, die des Weges ziehen, ſie ziſchen: Iſt das die
Stadt, der Schönheit Ausbund, die Freude der ganzen
Erde?" . . . (Klagel. Jerem. 1. und 2.) – Man greift
hier ordentlich mit Händen die Erfüllung der propheti-
ſchen Weiſſagung: „Die Stadt deines Heiligthums iſt zur
21*
324
Wüſte geworden, Sion iſt wüſte geworden, Jeruſalem
zerſtört . . . und Alles was uns erwünſchlich war, liegt
in Trümmern." (Jeſaias 64, 10.) – An dieſer Stelle
verſteht man auch, warum Jeſus über Jeruſalem weinte,
da er ſprach: „Wenn doch auch du es erkennteſt, und
zwar an dieſem deinen Tage, was dir zum Frieden dient;
nun aber iſt es vor deinen Augen verborgen. . . . Deine
Feinde werden dich zu Boden ſchmettern, und in dir keinen
Stein auf dem andern laſſen, weil du die Zeit deiner
Heimſuchung nicht erkannt haſt." (Luc. 19, 42. 44.)
Vom Oelberge ſüdlich abwärts reitend kamen wir
zu den Prophetengräbern, d. h. zu merkwürdigen
mit Niſchen verſehenen Felſenhöhlen, die wahrſcheinlich
den Einſiedlern des Mittelalters als Wohnung dienten.
Marinelli fing hier ein Chamäleon, ein unſchönes, trä-
ges Thier. – Noch eine Viertelſtunde abwärts, und wir
befanden uns am Fuße des Oelberges, vor dem weltge-
ſchichtlichen Garten Gethſemani, der von dem Evan-
geliſten eine Villa (Maierhof) genannt wird (Matth. 26,
36). Dieſer abgelegene, mit Oelbäumen bepflanzte Gar-
ten gehört gegenwärtig den Franziskanern, die ihn erſt
kürzlich mit einer 8“ hohen Mauer umgaben, er iſt 160“
lang und 150 breit. Von den Oelbäumen, die einſt Zeu-
gen der Todesangſt des Gottmenſchen waren, ſtehen noch
acht; ſie haben ein ehrwürdiges Ausſehen: ungeheure
Wurzeln, knotige, mit tiefen Runzeln durchfurchte
Stämme, plumpe Aeſte mit jungen Schößlingen, von de-
nen wir mit Erlaubniß des Wächters Fra Antonio einige
Zweige mit uns nahmen; auch ein Bischen Erde von dem
Boden, welchen die Thränen und das Blut des Erlöſers
benetzten, behielten wir uns als Andenken an dieſe hei-
lige Stätte. "
325
Neben dem Garten Gethſemani zeigte man uns
einen glatten Felſen, auf welchem die drei Jünger Pet-
rus, Jakobus und Johannes ſchliefen. Nicht ohne heilige
Scheu nahm ich die Bibel zur Hand und las darin:
„Jeſus ſprach zu ihnen: Meine Seele iſt betrübt bis in
den Tod; bleibet hier und wachet mit mir . . . . Und er
entfernte ſich von ihnen einen Steinwurf weit, kniete nie-
der und betete und ſprach: Vater, willſt du, ſo nimm
dieſen Kelch von mir, doch nicht mein, ſondern dein Wille
geſchehe.“ (Matth. 26, 38; Luc. 22, 41, 42.) – Wirk-
lich befindet ſich in nördlicher Richtung, in der Entfer-
nung eines Steinwurfes die geräumige Grotte der To-
desangſt, wohin ſich Jeſus, da er allein ſein wollte,
zurückzog. Sie iſt in dem Zuſtande, wie ſie zur Zeit Jeſu
war, überall ſieht man den natürlichen Felſen, nur im
öſtlichen Theile iſt ein Altar angebracht mit dem Bilde
des im ſchweren Seelenkampfe ringenden Heilandes, wie
ihn ein Engel ſtärket, und mit der Inſchrift: „Hic fac-
tus est sudor ejus sicut guttae sanguinis decurren-
tis in terram." (Sein Schweiß ward wie Tropfen Bluts,
das auf die Erde rann. Luc. 22,44) Mit gerührtem Her-
zen verließen wir dieſes ergreifende Heiligthum, beſahen
noch – 12 Schritte davon entfernt – den Ort, wo Ju-
das Iſcarioth durch einen Kuß ſeinen Meiſter verrieth,
und ſetzten zu Pferd unſere Rundreiſe weiter fort.
Wir kamen in das Thal Joſaphat – ein wah-
res Todesthal. Auf der rechten Seite iſt der Kirchhof der
Türken, links jener der Juden, die oft aus weiter Ferne
eigens nach Jeruſalem wandern, um hier bei ihren Vä-
tern ein glückliches Ruheplätzchen zu finden. Die meiſten
Gräber ſind mit einem Steine oder mit Schutt zugedeckt.
– Als beſonders hervorragende Merkwürdigkeiten zeigt
326
man im Joſaphatthale: das Grabmal Joſaphats, eine
verſchüttete Todtenkammer; das in Felſen gehauene
Mauſoleum Abſalons mit einem kuppelförmigen Auf-
ſatz, auf das die Vorübergehenden – als Zeichen des
Fluches über den gottloſen Sohn–Steine zu werfen pfle-
gen; das Grab des h. Jakobus mit einer unterirdiſchen
Kirche; des Zacharias, den die Juden zwiſchen dem
Tempel und Altare tödteten (Matth. 23); ein Steinhau-
fen endlich auf der linken Seite des Thales kennzeichnet
den Ort, wo ſich Judas erhenkte. – Auf dem gegenüber
von Jeruſalem ſich erhebenden Hügel thront wie auf durch-
löcherten Felſenſpitzen das äußerſt unheimlich ausſehende
Dorf Siloan, in welchem raubſüchtige Araber wohnen.
Ich war froh, als wir dieſe Todesregion hinter
uns hatten, und einige Minuten vorwärts zur Quelle
Siloe kamen. Die Quelle iſt unterirdiſch und man ſteigt
auf einer Treppe von 20“ hinab, unten iſt es anfangs ſo
finſter, daß man kaum etwas unterſcheiden kann; ein
nicht gar tiefes Becken nimmt das Waſſer auf, welches
aus dem Felſen fließt. Man ſagt, daß die Quelle inter-
mittirend ſei, und Ebbe und Fluth wie das Meer habe;
der nähere Zuſammenhang iſt jedoch wiſſenſchaftlich noch
nicht ermittelt; das Waſſer ſchmeckt ſalzig. – In der Nähe
zeigt man den jetzt größtentheils ausgefüllten Teich
Siloe, wo auf das Geheiß Jeſu der Blindgeborne ſich
wuſch und ſehend wurde. (Joh. 9, 1 ff.) Die jetzigen
Araber treiben hier allerlei Aberglauben mit beſchriebenen
Papierzetteln, welche ſie in das Teichwaſſer werfen. Ein
wohlthuender Anblick ſind die wenigen Gärten, welche
ſich hier befinden, – die einzigen um Jeruſalem.
An der Quelle Rogél(Joſua 15,7.), wo die Mu-
ſelmänner gerne ihr Gebet verrichten, endiget das Jo-
327
ſaphatthal und beginnt in weſtlicher Richtung das wilde
Thal Hennon, an deſſen Namen ſich eine ſchauerliche
Vergangenheit knüpft. Hier, im Haine Tophet, opferte
nämlich das abgöttiſche Judenvolk ſeine Söhne und Töch-
ter dem Moloch; auf dem nahen Hügel hatte Salomo den
fremden Göttern Tempel und Statuen errichtet; hier fie-
len die meiſten Juden bei der Belagerung Jeruſalems;
kurz dieſes Thal galt gleichbedeutend mit den Schreckniſ-
ſen der Hölle, daher auch das lateiniſche Wort gehenna
(Hölle.) – Auf dem Hügel links iſt Hakeldama, der
Blutacker (Matth. 27, 7), nahe dem Berg des böſen
Rathes.
Das Thal Hennon begränzt den Berg Sion; in
ſeiner Fortſetzung zum Jaffathore heißt es aber Thal
Gihon (Thal der Gnade), welches zwei Teiche einſchließt,
den unteren, der 240 Schritte lang und 105 breit iſt,
und fälſchlich See Bethſabe genannt wird, und den
oberen einige hundert Schritte vor dem Jaffathore, der
uur vom Regenwaſſer geſpeiſt wird. Neben letzterem
Teiche iſt das amphitheatraliſch gelegene Walkerfeld, wo
Jeſaias die große Weiſſagung ſprach: „Siehe die Jung-
frau wird empfangen und einen Sohn gebären, und ſei-
nen Namen wird man Emanuel nennen" (Jeſ. 7, 14),
und wo Salomo zum König geſalbt wurde. (III. Buch der
Könige 1, 34.) Dieſes Feld dient jetzt noch zu den Feſten
der Bewohner Jeruſalems, ſo ſtändig ſind die orientali-
ſchen Sitten und Gebräuche.
Die Weſtſeite Jeruſalems iſt die einzige, welche
keine Schlucht bildet, ſondern durch eine Hochebene un-
mittelbar mit der Stadt zuſammenhängt; daher auch alle
Belagerungen Jeruſalems von dieſer Seite eingeleitet
wurden. Wir ritten über die ſteinige, und mit wenigen
328
Bäumen bepflanzte Ebene, lenkten aber von den Stadt-
mauern etwas ab, um die Gräber der Könige zu be-
ſuchen. Dieſe befinden ſich in einem offenen, in den Fel-
ſen gehauenen Raum, welcher mehrere Grabkammern
birgt, deren Eingänge mit zerbrochenen Säulen, Ver-
zierungen und Sarkophagenreſten verſchüttet ſind. Der
Inhalt vieler Gräber ſoll geſtohlen, und über Berg und
Thal fortgeſchleppt worden ſein. Ob und welche Könige
hier beerdiget wurden, weiß man nicht. Sic transit gloria
mundi! So vergeht der irdiſche Ruhm.
Mit ernſten Gedanken lenkten wir dem Damaskus-
thore zu, um den Ritt um die heilige Stadt zu beendigen.
In der Nähe eines Hügels zeigte man die Grotte des
Jeremias, wo dieſer Prophet ſeine Klagelieder ver-
faßte. Durch das Damaskusthor drangen die Kreuzritter,
angeführt von Gottfried don Bouillon, in die Stadt ein.
– Als wir in das Pilgerhoſpiz zurückkehrten, war es
1 Uhr Mittags, um 7 Uhr Morgens hatten wir den Rit
um die Stadt begonnen. -
Abends 5 Uhr waren wir beim öſterreichiſchen Con-
ſul zu Mittag geladen. Die Tafel, bei welcher auch der
P. Reverendissimus der Franziskaner und der deutſche
Pönitentiar, P. Andreas, ſpeiſten, war in jeder Hinſicht
nobel. Der Conſul brachte einen Toaſt auf das Wohl un-
ſeres Kaiſers mit perlendem Champagner aus. Das Di-
ner that mir ſehr gut, und beſchwichtigte in etwas den
gegen die Kloſterkoſt ſtets rumorenden Magen. – Nach
Tiſch ließ der Conſul in den anſtoſſenden Hausgarten
Stühle bringen, und die über den Beſuch ſo vieler Lands-
leute ſichtbar erfreute, liebenswürdige Hausfrau kredenzte
uns den Caffee, während die in Gallakleidung paradiren-
den Kawaſſen uns mit langen Tabakspfeifen verſahen. –
329
Die Sonne war bereits untergegangen, und die Däm-
merung lagerte ſich über die vor unſern Augen ſich aus-
breitende heilige Stadt. Auf dem blauen Himmelszelte
erſchienen die Sterne, und im fernen Weſten entdeckten
wir einen Kometen. Gerne wären wir noch länger im
Freien geblieben, aber der Conſul warnte vor der fieber-
erzeugenden Abendluft, und ſo begaben wir uns in die
eleganten Gemächer, wo bei einem gemüthlichen Thee-
zirkel die Unterhaltung beſchloſſen wurde.
Am nächſten Tage (26. Auguſt) wollten wir aber-
mals vor die Stadt, um das berühmte Coenaculum, wo
der Heiland das letzte Abendmahl genoß, zu beſichtigen;
aber – die Thore waren geſchloſſen. Es iſt nämlich ein
altes Herkommen, daß jeden Freitag durch eine Stunde
die Thore der Stadt geſperrt werden, weil nach einer
Sage an einem Freitage, und zwar um die Mittagsſtunde
die Chriſten durch einen Ueberfall ſich der Stadt bemäch-
tigen ſollen. Ja das goldene Thor, durch welches Jeſus
am Palmſonntag den Einzug hielt, iſt aus demſelben
Grunde ſchon lange vermauert. -
Dafür ſahen wir die trauernden Juden am ſoge-
nannten Klageplatz, welcher ſich an der weſtlichen Seite des
Salomoniſchen Tempels, von dem noch einige alte Mauern
ſtehen, befindet. Man muß ſich wundern, wie dieſe koloſſalen
Steine, von denen einige 3 – 4 Ellen lang und andert-
halb Ellen hoch ſind, in das unebene Jeruſalem herbei-
geſchleppt werden konnten. Auf dieſem Platze, der nur
4 Schritte breit, und etliche 30 Schritte lang iſt, finden
ſich beſonders an Freitagen – dem Feſttage der Muha-
medaner – die Juden und Jüdinnen zahlreich ein, um
330
daſelbſt zu beten. Wir trafen. Etliche, die in kläglichen
Tönen ihre Gebete herablaſen, ihr Haupt an die kalten
Steine lehnten, und zwiſchen den kleinen Ritzen in den
Tempelhof hineinſchauten. Armes Volk, das noch immer
ſeinen Meſſias und ein irdiſches Reich erwartet, das er
gründen ſoll! Aber an die Stelle des irdiſchen Reiches iſt
ein himmliſches getreten, in welchem weder Jude noch
Grieche iſt, weder Sclave noch Freier, weder Mann
noch Weib, ſondern wo Alle Eins ſind in Chriſto Jeſu.
(Gal. 3, 28.) An eine Wiederherſtellung des Reiches
Iſrael zu denken iſt Thorheit und Gottloſigkeit zugleich;
es genügt auf die kläglichen Verſuche Julian des Apoſta-
ten zu verweiſen! - - -
In der Nähe des Judenviertels, das an die Tem-
pelmauern ſtoßt, befinden ſich die Hütten der Ausſätzi-
gen, elende, mit Staub und Schutt bedeckte Baracken,
von einigen ſtechenden Cactusfeigen umgeben – ein un-
heimlicher Anblick! Es ſollen hier immer einige dieſer Un-
glücklichen leben, die abgeſondert von allem menſchlichen
Verkehr ihrer eigenen Auflöſung und Verfaulung entge-
gen ſehen, eine furchtbar häßliche Krankheit, welche den
Menſchen äußerlich frißt und ihm dabei alle ſeine Geiſtes-
kräfte läßt. – Einige der Collegen wollten hier Mauer-
überreſte von jenen großen Brücken entdecken, welche
einſt über das Thal Tyropöon geſchlagen waren, und den
Berg Sion mit dem Berg Moria verbanden. Doch gerade
dieſer Raum iſt in Folge der vielen Zerſtörungen ſo mit
Schutt bedeckt, daß man jetzt gewiß etliche 50“ tief graben
müßte, um die alte Oberfläche wieder zu finden. Der
Staub war hier faſt knietief.
Die noch übrige Vormittagszeit widmeten wir
einem Beſuch des Franziskanerkloſters zu St. Salvator,
331
das ich Dir, weil es Dich intereſſirt, einläßlicher beſchrei-
ben will. Es iſt ziemlich groß, aber ſehr unregelmäßig:
ein Labyrinth von Zellen. Von der Terraſſe aus hat man
eine belohnende Ausſicht über Jeruſalem. – Die Fran-
ziskaner ſind ſchon über 600 Jahre die Hüter der heiligen
Stätten und Wächter am heiligen Grabe. Der h. Franz
von Aſſiſſi landete im Jahre 1219 mit zwölf armen Mön-
chen in Paläſtina, das er predigend durchzog. Als das
chriſtliche Königreich in Paläſtina fiel (1291), wurden
viele Mönche ermordet, allein das Blut der Märtyrer
war auch hier fruchtbar, und ſtets traten andere Brüder
aus Europa an ihre Stelle zum Schutze und zur Sorge
für die verlaſſenen Gläubigen und für die frommen Pil-
ger nach dem gelobten Lande. Alle Länder betheiligten ſich
daran, um einige Prieſter daſelbſt zu erhalten. Die oberſte
Autorität im Kloſter bekleidet auf ſechs Jahre der Reve-
rendissimus, von deſſen Vorrechten ich ſchon in einem
früheren Briefe geſprochen habe. In der Regel befinden
ſich bei 60 Mönche im Kloſter, wovon die Hälfte Prieſter
ſind. Sie verwalten die Seelſorge für die 940 Katholiken
in Jeruſalem, beſorgen 2 Schulen von etlichen 70 Zög-
lingen, wechſeln im Dienſte beim heiligen Grabe, bedie-
nen die Pilger im Hoſpize, pflegen die Kranken, und ver-
ſehen eine Buchdruckerei, die jährlich 300 Riß Papier
verbraucht; ſie unterſtützen die größtentheils ſehr armen
katholiſchen Familien, und geben ihnen ſo zu ſagen das
tägliche Brod, indem ſie dieſelben nicht nur mit Kloſter-
koſt ſpeiſen, ſondern ihnen auch die verfertigten Sanc-
tuarien, z. B. Roſenkränze, Perlmutterkrenze u. dgl.,
abkaufen, um ſie ſodann billiger an die fremden Pilger
abzuſetzen.
Wir begaben uns in das geräumige Locale, wo der
332
große Vorrath von geweihten Andenken aus Jeruſalem
aufgeſpeichert iſt. Wir hatten anfangs befürchtet den
nöthigen Bedarf nicht erlangen zu können, allein es wäre
wohl nicht leicht ausführbar, dieſe ungeheure Vorraths-
kammer auszukaufen, trotz der beiſpielloſen Wohlfeilheit
der Fabrikate. Ich kaufte z. B. über 500 Roſenkränze aus
Olivenholz, Kameelbein, Mekkafrucht 2c. und zahlte nur
300 Piaſter; die Gegenſtände aus Perlmutter ſind etwas
theurer. – Die Kloſterdruckerei wurde vom P. Sebaſtian
Frötſchner aus Wien eingerichtet, und gegenwärtig von
P. Andreas Hüttiſch geleitet, beide haben ihre Studien
in der k. k. Staatsdruckerei zu Wien gemacht, ſowie auch
die öſterreichiſche Regierung allen Zubehör zur Aufrich-
tung der Druckerei großmüthig ſpendete. Ueberhaupt thut
Oeſterreich viel für die Franziskanerklöſter im Orient, iſt
aber dafür auch ſehr beliebt. Im Jahre 1844 wurde das
unter Kaiſer Joſeph aufgehobene Generalcommiſſariat
der heiligen Länder wieder hergeſtellt, und eine alljähr-
liche Sammlung für das heilige Grab zu Jeruſalem in
ganz Oeſterreich bewilligt, die faſt ſtets über 30,000 fl.
beträgt. Die Summe erſcheint groß, und doch reicht ſie
für die Bedürfniſſe nicht hin. – Was ſoll man aber von
jenen denken, welche dieſe Sammlung für die h. Stätten
eine Geldverſchleppung nennen? Haben dieſe einen Be-
griff von der Almoſenſteuer, die der Apoſtel Paulus er-
wähnt? (Röm. 15, 26; II. Cor. 9.) Diejenigen, welche
es ein Scandal nennen, daß Europa ſo viele Mönche
mäſtet, ſollten doch ein paar Wochen an dieſer Mäſtung
theilnehmen, die größtentheils aus baccala und abermals
baccala (Stockfiſch) in Waſſer und Oel beſteht. Nein,
ſolche Leute, die für Tanzunterhaltungen und Induſtrie-
erzeugniſſe Tauſende verſchwenden, haben keinen Maß-
333
ſtab zur Beurtheilung chriſtlicher Opferfähigkeit und
Opferwilligkeit. Die Zukunft wird die heilige Thätigkeit
dieſer ritterlichen Mönche, die durch ein halbes Jahrtau-
ſend ſich bewährt hat, hoffentlich mehr würdigen, wenn
auch die Mönche ſelbſt keine irdiſche Anerkennung ſuchen,
ſondern nur den himmliſchen Lohn erwarten. – Bei der
ſtrengen Beobachtung kirchlicher Disciplin, bei der Un-
verdroſſenheit und Ausdauer in allen Mühſeligkeiten und
Entbehrungen, bei der Liebe, Geduld und Hingebung,
wie ſie in allen Konventen des h. Landes zu finden iſt, iſt
nicht daran zu zweifeln, daß ſie die heilige Aufgabe ihrer
ruhmgekrönten Vorfahrer zur allgemeinen Befriedigung
fortſetzen werden.
Nachmittags hatte der öſterreichiſche Conſul die
Güte, uns zum türkiſchen Commandanten der Stadt zu
führen, weil man von ſeinem Zimmer aus die beſte Aus-
ſicht auf den einſtigen Tempel Salomons genießt. Wir
trafen den dicken gutmüthigen Oberſt auf ſeinem Divan
kauernd und mit einem türkiſchen Roſenkranze ſpielend.
Er begrüßte uns freundlich und ließ Pfeife und Caffee
bringen. Im Laufe des, mittelſt eines Dragomans geführ-
ten Geſpräches, machte er das für einen Muſelmann
naive Geſtändniß, daß ihm die geiſtigen Getränke nicht
gut thuen. – Der gutmüthige Herr mochte die eigent-
liche Abſicht unſeres Beſuches errathen, denn als er be-
merkte, daß ich öfters heimlich beim Fenſter hinaus-
ſchielte, machte er uns ſelbſt den Vorſchlag auf die Haus-
terraſſe hinaufzuſpazieren, von wo wir den beſten Ueber-
blick über die Tempelarea haben würden. Natürlich nah-
men wir dieß mit Dank an, weil die Betretung des Tem-
ZZ4
pelplatzes ſelbſt für jeden Chriſten bei Todesſtrafe ver-
boten iſt. Die Türken ſagen nämlich: der Sultan könne
einem Chriſten wohl erlauben dieſes Heiligthum, das nach
Mecca das größte iſt, zu betreten, aber er könne Nie-
mand garantiren, daß der Eintretende wieder zurück-
komme, denn dieſer müſſe entweder den chriſtlichen Glau-
ben abſchwören, oder des Todes ſterben. Selbſt die zum
Tempel führenden Straſſen ſind nicht ganz ſicher, wie
dieß Caſella erfuhr, der ſich vor etlichen Tagen dahin
verirrte, und daſelbſt die unheimlichſten Geſichter ſah, bis
ihn ein polniſcher Jude noch zur rechten Zeit auf die
Schulter klopfte und ſchnell vorübergehend ſprach: „Herr,
hier gefährlich." – Oben von der Terraſſe konnten wir
ganz unangefochten dieſen merkwürdigen Platz überſchauen,
ja der Commandant ließ ſogar kleine Seſſelchen und die
Pfeifen hinaufbringen.
Da lag alſo der Platz vor mir, wo Salomo ſeinen
Prachttempel aufführte, wo Iſraels Opfer dargebracht
wurden, wo die heilige Jungfrau dem Herrn für ihren
Erſtgebornen dankte, wo der zwölfjährige Jeſus lehrte,
wo er vom Teufel verſucht ward, wo er die Verkäufer
austrieb und die Schriftgelehrten und Phariſäer zurecht-
wies, wo er vor ſeinem Leiden und Sterben triumphi-
rend ſeinen Einzug hielt. Welche Kette von heiligen Er-
innerungen! Hier entſtand auch der Templerorden, der ſo
Vieles zum Schutze der Pilger gethan! – Aber wie trau-
rig iſt die Wirklichkeit, daß der den Juden und Chriſten
gleich heilige Ort ihnen von den Anhängern des falſchen
Propheten verſchloſſen bleibt.
Was ich aus der Entfernung bemerken konnte, will
ich Dir, mein lieber Freund, hier getreu mittheilen, das
Fehlende aber aus Beſchreibungen Anderer ergänzen.
335
Von dem alten Tempel ſteht nichts mehr, als ein kleiner
Theil der Weſtmauer (der oben beſchriebene Klageort der
Juden); kein Stein blieb auf dem andern. (Luc. 21, 6.)
– Der Tempelplatz iſt eine prächtige Plattform, von der
Natur vorbereitet und durch Menſchenhände vollendet; er
dient jetzt als Erholungsort für die Türken, die unter
dem Schatten einiger Cypreſſen und Oelbäume ſich güt-
lichthun. Der beiläufig 500 Schritt breite und lange
Platz iſt mit Mauern, Wohnungen und Säulengängen
umgeben. – Das eigentliche Heiligthum der Mohameda-
ner, die Omarmoſchee (auch Felſenkuppel genannt),
ſteht faſt mitten auf dem Platze; ſie bildet ein Achteck und
iſt mit einer bleiernen Kuppel bedeckt, in deren Mitte ſich
ein oben geſchloſſener Halbmond erhebt; das Ausſehen iſt
ſtattlich, und die mit buntfarbigen Ziegelſteinen überklei-
deten Mauern ſchillern laſurblau. Der äußere Umfang
ſoll 536“ betragen. – Die Moſchee hat vier Thüren und
Vorhallen nach den vier Weltgegenden zu; das gegen uns,
alſo gegen Norden gerichtete Thor, war mit einem Por-
ticus geſchmückt, welchen acht Marmorſäulen trugen, die
Fenſter hatten gefärbte Gläſer; der ganze Vorhof ringsum
war mit ſchimmernden Steinplatten bedeckt. – Unter der
Moſchee ſoll das eigentliche Heiligthum ſich befinden,
nämlich der Kalkſteinfels, auf welchem Abraham bei der
Opferung Iſaaks ſaß, und worauf ſpäter Melchiſedech
Brod und Wein opferte, dann die „edle" Höhle, in wel-
cher David, Salomo und Jeſus beteten. (Die heutige
Sage von dieſem Felſen lautet: Als Mohamed auf dem
Steine ſtand, betete und dann gegen Himmel fuhr, wollte
der Stein auch mitfahren. In der Nähe des Paradieſes
aber erhob der Stein ein Freudengeſchrei, worauf ihm
der Prophet Stillſchweigen und die Niederfahrt gebot,
336
Der Stein fiel jedoch nicht ganz auf die Erde, ſondern
er ſchwebte von da an in der Luft, etwa 4“ von der Erde.
Als dann ſchwangere Frauen kamen und dieß ſahen, er-
ſchracken ſie ſehr, weshalb der Khalif Omar unter dem
Felſen eine Stütze anbringen, und um denſelben eine
Moſchee erbauen ließ (636), die noch heute ſeinen Namen
trägt.) Dieſes Innere der Moſchee iſt bisher nur Weni-
gen zugänglich geweſen. – Südlich von der Omarmoſchee
liegt die Akſam oſchee, einſt eine Marienkirche, jetzt der
Betplatz der Frauen. Die drei Jahre alte heilige Jung-
frau ſoll hier von ihren Eltern dem Herrn geopfert wor-
den ſein. – Alles was den Tempelplatz umgibt heißt El
Haram (der Tempel), und bildet gleichſam eine beſon-
dere Stadt. Afrikaniſche Derwiſche bewachen den Ort von
allen Seiten, ein Vorrecht, das ſie bei einem Kampfe zu
Jeruſalem ſich erwarben. Pilger von allen Theilen der
mohamedaniſchen Welt, auch aus Indien und Marocco
wallen hieher.
Doch es iſt Zeit, daß wir die Terraſſe des Com-
mandantenhauſes, das zugleich als Kaſerne dient, und
einſt die Wohnung des Landpflegers Pontius Pilatus bil-
dete, verlaſſen. Im Vorübergehen ließ uns der Comman-
dant noch die Menage der türkiſchen Soldaten koſten;
jeder einzelne Mann hatte eine Schüſſel voll Reis, Ham-
melfleiſch und Spargel, alles mit Oel gewürzt; ſie
theilten davon den vor der Kaſerne wartenden Ar-
men mit.
Abends machten wir einen Spaziergang vor das
Stephansthor. Die Griechen feierten eben die Vigilien
eines Marienfeſtes, bei welcher Gelegenheit ſie ſtets im
Freien campiren. Männer, Frauen und Kinder beweg-
ten ſich bunt und luſtig unter Zelten und Oelbäumen:
337
es war wie ein Kirchtag auf einem Kirchhofe. – Caſella
brachte die folgende Nacht in der heil. Grabeskirche zu.
In der Regel ſtehe ich früh auf, um die erfriſchende
Morgenluft zu genießen, hülle mich in meinen Mantel
und bete auf der Terraſſe des Hoſpizes das Brevier, wo-
bei mich gewöhnlich die über den Oelberg heraufſteigende
Sonne überraſcht. – Auch pflege ich an jedem Tage
eine andere der vorzüglichſten heiligen Stätten zur Celeb-
rirung der h. Meſſe zu wählen. So las ich vorgeſtern die
h. Meſſe in der oben beſchriebenen Geißelungskapelle;
geſtern in der Grotte der Todesangſt am Fuße des Oel-
berges, wo jedesmal die Votivmeſſe de Passione ge-
nommen, und nach der Meſſe der Pſalm „de profundis"
gebetet wird; heute begab ich mich in die unterirdiſche
Kapelle der Kreuzerfindung in der h. Grabeskirche, wo ich
beſonders der Damen des öſterreichiſchen Sternkreuzor-
dens gedachte, um welches Gebet ich vor der Pilgerreiſe
eigens erſucht worden war. Von all dieſen heiligen Stät-
ten bringt man ſtets einen Himmel in der Seele mit nach
Hauſe. - - - -
Heute, am 27. Auguſt, führte uns der Kloſterbru-
der Remigius in das Coenaculum, welches auf dem
Berge Sion außer dem Jaffathore liegt. Es iſt eine
große auf Säulen (deren Kapitäler Pelikane ſchmücken) ge-
ſtützte Kirche, die gegenwärtig leer ſteht und als Moſchee
dient. Einige Türken ſperrten gegen Backſchiſch auf, und
begleiteten uns über die etlichen Stufen hinab. Wir knie-
ten nieder, um die Ablaßgebete zu verrichten, und ließen
uns nicht ſtören, obwohl einige Türken lachten. Wer
ſollte an jenem heiligen Orte nicht von Ehrfurcht ergriffen
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 22
Z38
werden, wo Jeſus mit ſeinen Jüngern das letzte Abend-
mal genoß, und das allerheiligſte Altarsſacrament ein-
ſetzte, wo er ſeinen Jüngern die Füße wuſch und die letz-
ten Abſchiedsworte ſprach, wo er nach ſeiner Aufer-
ſtehung dem ungläubigen Thomas erſchien und den Apo-
ſteln den heiligen Geiſt herabſandte! Der Saal des Coe-
naculum mag beiläufig 20 hoch, 21“ lang und 14 breit
ſein. – Ein unterirdiſches, wahrſcheinlich verſchüttetes
Gewölbe wird als das Grab Davids ausgegeben, aber
keinem Chriſten dazu der Zutritt geſtattet, weil darüber
ein Harem iſt. – Hier war die erſte Anſiedelung der
Franziskanermönche, bis ſie von da vertrieben, den
Grund zum jetzigen Salvatorkloſter legten. – Der Tra-
dition zufolge ſtand neben dem Coenaculum das Haus
Mariä, in welchem ſie ſtarb.
Auf dem Rückwege paſſirten wir den Friedhof
der Chriſten, der ganz frei liegt und nur wenige Monu-
mente zählt; hie und da ſieht man noch Ueberreſte der
alten Stadtmauern, denn an der Stelle der Gräber ſtan-
den einſt Paläſte. – Ich will Dich, lieber Freund, nicht
mit einer weitläufigen Aufzählung der noch übrigen Sanc-
tuarien, die wir beſuchten, und die alle mehr oder weni-
ger in einem verwahrloſten Zuſtande ſich befinden, ermü-
den. So z. B. ſahen wir im Inneren der Stadt das
Haus des Kaiphas, wo die Armenier eine ſchöne
Kirche haben, in deren Altar der Stein des heiligen Gra-
bes eingemauert iſt; das den Sorianern gehörige Haus
des Hohenprieſters Annas; das eiſerne Thor, durch
welches der h. Petrus aus der Stadt kam, als ihn der
Engel aus dem Kerker befreite (Apoſtelgeſch. 12); das
Haus des Thomas, von welchem verſichert wird,
daß jeder Türke, der es bezieht, alsbald darin ſtirbt;
339
die Ruinen des Palaſtes und Spitales der einſtigen St.
Johannesritter u. ſ. w. »
Da wir eben an einer jüdiſchen Synagoge vor-
über gingen, ſo zog uns die Neugierde hinein. Es war
Sabbat, der von den Juden Jeruſalems ſtrenge beobach-
tet wird. Ein Rabbiner predigte mit Feuereifer vor einem
nicht ſehr ruhigen Auditorium. Mir war dabei ganz weh
zu Muthe, denn mir fielen die Worte des Apoſtels ein:
„Dieſe (Juden) erwarten immer den Meſſias, der einſt
am Tage des Gerichtes erſcheinen wird, um ſie zu rich-
ten, und die Decke von ihrem Herzen zu nehmen.“
(II. Cor. 3, 14. 15.) Im Ganzen dürften bei 6000 Ju-
den in Jeruſalem ſein, größtentheils der ärmeren Klaſſe
angehörig. Es ſieht nicht darnach aus, als ob die reichen
Juden des Abendlandes Luſt hätten, mit ihren Capitalien
nach Jeruſalem zurückzukehren, um damit das Reich
Iſrael herzuſtellen, und den Tempel des wahren Gottes
wieder aufzubauen; es ſcheint vielmehr, daß ſie Europa,
das ohnehin faſt ihnen gehört, als das Königreich Iſrael
betrachten,– wozu ſollten ſie auf den dürren und unfrucht-
baren Boden Paläſtina's auswandern!!
Doch genug davon, ich will Dir und mir die
gute Laune nicht trüben. Darum zum Schluſſe noch
etwas von den myſtiſchen Freuden, die ich in Jeruſalem
erlebte. Am Tage unſerer Ankunft in Jeruſalem feierte
man das Feſt der Kaiſerin Helena, die ſo viel für die
Kirchen des heiligen Landes gethan; am Tage des hei-
ligen Bernhard, des großen Kreuzzugspredigers, las
ich die erſte Meſſe am heiligen Grabe; auch das Feſt des
heiligen Ludwig, des unermüdlich für die Befreiung des
heiligen Landes kämpfenden und wirkenden Königs, fei-
erten wir in der ewig heiligen, gegenwärtig aber ge-
228
340
knechteten Stadt. Zeiheſt Du mich ob dieſer myſtiſchen
Einfälle der Sonderbarkeit, ſo will ich nicht weiter mit
Dir rechten; aber Du irrſt Dich, wenn Du mich für
bekehrt hältſt. Deshalb nichts für ungut Dein treuer
Freund 2c. -
341
XIX.
Ausflug nach It. Johann in der Wüſte.
Krawall unter den Beduinen. – Das Wort Wüſte iſt nicht buchſtäblich
zu verſtehen. – Convent der ſpaniſchen Franziskaner. –- Das Ge-
burtshaus Johannes des Täufers. – Feierliche Vesper des Feſtes De-
collatio S. Joannis Baptistae. – Rundſchau von der Kloſterterraſſe.
– Das Landhaus der h. Eliſabeth. – Visitatio B. M. V. – Magni-
ficat. – Ein glücklicher Unfall. – Heilquelle. – Kloſter Heiligenkreuz.
– Rückkehr nach Jeruſalem.
Jeruſalem, 28. Auguſt.
Lieber Freund!
Noch muß ich Dir von einem dritten Ausfluge er-
zählen, den wir von Jeruſalem aus machten, nämlich nach
St. Johann in der Wüſte. Zwar war erſt vor Kur-
zem unter den wilden arabiſchen Stämmen jener Gegend
ein blutiger Krawall ausgebrochen, in welchem viele Per-
ſonen getödtet, Kinder in Öl geſotten und ins Feuer ge-
worfen wurden, ſo daß eigens eine Deputation nach Je-
ruſalem kam und um Schutz bat. Dieß hielt uns jedoch
nicht von dem projectirten Ausflug ab, beſonders da P.
Andreas uns dahin zu begleiten verſprochen hatte, denn
die Franziskaner ſtehen bei den Beduinen in großem
Anſehen.
Am 28. Auguſt, der auf einen Sonntag fiel, ritten
wir nach Tiſch von Jeruſalem fort, und ſchlugen außer
dem Jaffathore eine ſüdweſtliche Richtung ein. Der Weg
führte über dürres und felſiges Hügelland, das harmloſe
Gazellen durch ihre luſtigen Sprünge belebten. – Nach
etwa drei Stunden erblickten wir von einer Anhöhe das
tief unter uns liegende St. Johann. Es iſt ein armſeli-
342
ges Dorf, das ſeinen Beinamen in der Wüſte nicht ganz
verdient, denn Weinrebe und Ölbäume gedeihen in dem
fruchtbaren Thale vortrefflich. In der Mitte des Dorfes
ſteht das einer Feſtung ähnliche Franziskanerkloſter, das
den Spaniern gehört. Wir ſtiegen im Convente ab, wo
man uns einige Erfriſchungen antrug.
Die Kirche ſteht über dem Hauſe des Zacharias, in
welchem Johaunes der Täufer geboren wurde, und iſt
eine der ſchönſten im heiligen Lande. Links vom Hochal-
tare ſteigt man auf einer Treppe in die Kapelle der Ge-
burt des h. Täufers hinab. Hier offenbarte ſich Gottes
Barmherzigkeit an der im Alter vorgerückten h. Eliſabeth,
und der ſtummgewordene Zacharias brach in den Lobge-
ſang aus: „Geprieſen ſei der Herr, der Gott Iſraels;
denn er hat ſein Volk heimgeſucht und ihm Erlöſung ver-
ſchafft" (Luc. 1, 68). – Auf dem Altare prangt ein
ſchönes Gemälde von Murillo, die Geburt des h. Johan-
nes darſtellend, und im Halbkreiſe um das Heiligthum
befinden ſich fünf Basreliefs von weißem Marmor mit
den Hauptſzenen aus dem Leben des Vorläufers Chriſti.
Sechs Lampen brennen fortwährend an dieſem Orte, wo
– wie die Inſchrift ſagt: »praecursor Domini natus
est“ (der Vorläufer des Herrn geborden ward).
Die fünf ſpaniſchen Mönche feierten eben die er-
ſten Vespern des Feſtes Decollatio S. Joannis Bap-
tistae (Johannes Enthauptung), denen wir im Presby-
terium beiwohnten. Darnach wurde noch die lauretaniſche
Litanei nach einer im h. Lande üblichen ſehr angenehmen
Melodie geſungen. – Der Segen mit dem hochwürdig-
ſten Gute ſchloß die erhebende Andacht.
Dann beſtiegen wir die Kloſterterraſſe, von der man
eine ſchöne Rundſchau genießt. Ganz in der Nähe breitet
-
343
ſich das grüne Terebinthenthal aus, wo David den
Rieſen Goliath erlegte; vom hohen Bergesgipfel herab
winket Modin, wo die Überreſte des Grabes der tapfe-
ren Maccabäer ſich befinden, mit welchen das letzte Boll-
werk Iſraels fiel; gegen Süden erhebt ſich der vereinzelt
ſtehende Frankenberg, wo die letzten Kreuzfahrer ſich
40 Jahre wider die anſtürmenden Feinde mit Löwenmuth
vertheidigten.
Da uns die Zeit nicht geſtattete die zwei Stunden
entfernte Grotte des h. Johannes in der Wüſte zu beſu-
chen, wo er ſeine Kindheit zubrachte, und nur Heuſchre-
cken und wilden Honig zur Nahrung hatte (Matth. 3, 4),
ſo begaben wir uns wenigſtens zu dem nur eine Viertel-
ſtunde entfernten Landhaus der Eltern des h. Johannes
Baptiſta, wo die Baſe Eliſabeth wohnte, als ſie die hei-
lige Jungfrau von Nazareth aus beſuchte. Einſt ſtand hier
ein Frauenkloſter und eine Kirche: gegenwärtig ſieht man
auf dem einſam gelegenen und verödeten Felſenhügel nur
noch einige von Ölbäumen umgebene Mauerwände mit
einem Altare, auf welchem die Mönche am Feſte Mariä
Heimſuchung die h. Meſſe leſen. – Und doch – trotz des
ſchmerzlichen Anblickes – war die Seele voll Freude.
Hier war ja der Ort, wo die vom h. Geiſte erfüllte Eli-
ſabeth ihre Baſe mit den Worten begrüßte: „Du biſt ge-
benedeit unter den Weibern, und gebenedeit iſt die Frucht
deines Leibes", und wo Maria, die Gnadenvolle, im ſelig-
ſten Entzücken unbeſchreiblicher Freude in den erhabenen
Lobgeſang ausbrach: „Hoch preiſet meine Seele den
Herrn, und mein Geiſt frohlocket in Gott, meinem Hei-
lande (Luc. 1, 46). – Der beſchwerliche Weg, den Ma-
ria von Nazareth aus über die Berge Judäas zurücklegte,
betrug wenigſtens 25 Stunden. Maria lebte hier drei
344
Monate bei ihrer Baſe, bis die Zeit Eliſabeths erfüllt
war (Luc. 1, 57). -
Dieſer denkwürdige Ort wäre jedoch bald ein un-
heilvoller geworden, indem Collega Hubinger bei Beſtei-
gung des Pferdes einen Fehltritt machte, und mit dem
Antlitz auf die herumliegenden Steine fiel, ſo daß er ſich
Geſicht und Hände blutig ritzte, und die Augengläſer zer-
brach; der Fall hätte viel übler enden können, und ſo war
bei allem Unglück noch ein Glück. Bei der reichlich fließen-
den Quelle der h. Jungfrau wuſchen wir dem Verunglück-
ten die Wunden, die auffallend ſchnell heilten.
Dann nahmen wir Abſchied von den Mönchen, die
mit dem kurzen Beſuche nicht ſehr zufrieden waren, und
ritten im Trab nach Jeruſalem zurück, um es noch vor
Thorſchluß zu erreichen. Der Weg führte uns an dem
griechiſchen Kloſter Heiligenkreuz vorüber, von wo
das Holz genommen worden ſein ſoll, auf welchem der
Sohn Gottes den Erlöſungstod ſtarb. – Die Sonne war
bereits untergegangen, und mit der Dämmerung zogen
wir zum letzten Male in die düſtere Stadt ein. – Mor-
gen nehmen wir Abſchied von Jeruſalem. – Gott mit
Dir und Deinem Freunde etc.
345
XX.
Abſchied von Jeruſalem.
Topographiſches und Statiſtiſches über Jeruſalem. – Aehnlichkeit mit
dem Karſtgebirge.– Charakter einer Wallfahrtsſtadt.– Ueber die Pilger“
tracht. – Klima und Nahrung. – Handel und Wandel. – Sprachli-
ches und Finanzielles. – Sitten und Gebräuche. – Nationen und Con-
feſſionen. – Wohlthätigkeitsanſtalten. -– Gaſthäuſer. – Die Zahl der
Pilger mehrt ſich. – Ueber die proteſtantiſche Miſſion. – J vescovini!
– Geld und Proſelyten. – Warum ſo wenige Convertiten? – Paſtor
Valentiner. – Alle Confeſſionen genießen mehr politiſchen Schutz als
die Katholiken. – Trübe Ausſichten für den Katholizismus. – Ein
Mahnwort des Dichters Geibel – Abſchied vom heiligen Grabe. –
Das Knabenſeminar und der Vinzentiusverein. – Fromme Induſtrie.
– Marinelli bleibt in Jeruſalem zurück. – An die ſcheidenden Pilger-
freunde. – Letzter Gruß aus der heiligen Stadt.
Jeruſalem, 29. Auguſt.
Lieber Freund!
Unſer zwölftägiger Aufenthalt in Jeruſalem geht
zu Ende. Bevor ich jedoch die heilige Stadt verlaſſe, will
ich Dir, lieber Freund, noch Einiges über Jeruſalem mit-
theilen, was in den früheren Pilgerbriefen nicht Platz ge-
funden hat. -
Jeruſalem liegt auf einem ſehr ungleichen Boden,
deſſen Hauptneigung von Nordweſt nach Südoſt geht; es
iſt auf drei Seiten von tiefen Schluchten umgeben und
bildet gleichſam eine Landzunge oder Halbinſel, welche
nur nordweſtlich mit dem Lande zuſammenhängt. Die
Stadt iſt auf drei Hügeln gebaut, von denen Sion der
höchſte, Akra der niederſte iſt, Moriah heißt der pla-
nirte Hügel, auf welchem der Tempel ſtand. – Die ge-
346
genwärtige Stadt iſt mit einer gut erhaltenen Ringmauer
umgeben, die Sultan Soliman im Jahre 1534 errichtete:
die vielen Zinnen und Thürme derſelben geben Jeruſalem
das Ausſehen einer feſten Stadt des Mittelalters. Man
braucht faſt anderthalb Stunden, um die Stadtmauern zu
umgehen. – Jeruſalem hat 5 offene Thore. – Gegen-
wärtig iſt die Stadt in 4 Viertel getheilt: das chriſtliche,
armeniſche, jüdiſche und mohamedaniſche; das letztere iſt
größer als die drei übrigen. – Die Geſammtbevölkerung
beträgt mit den 1000 Soldaten beiläufig 15000, worun-
ter 5000 Mohamedaner, 6000 Juden, 2000 Griechen,
und 1000 Katholiken. " . .
Der Boden um Jeruſalem beſteht aus grauem
Kalkſtein, und hat eine Ähnlichkeit mit dem wilden Karſt-
gebirge bei Trieſt. – Das Klima iſt geſund, der Him-
mel monatelang heiter; doch ſind Verkühlungen beſonders
im Sommer, wo der nächtliche Thau am ſtärkſten fällt,
leicht möglich und gefährlich. – Jeruſalem hat kein flie-
ßendes Waſſer; man trinkt das in Ciſternen geleitete
Regenwaſſer, das rein, gut und ſüß bleibt, ſelbſt wenn es
fünf Monate lang geſtanden iſt. – Das Land iſt nicht
mehr ſo fruchtbar wie einſt, es ſieht nackt aus und hat
einen unfreundlichen Charakter. Bäume, Sträuche und
Gebüſche ſind ſelten. – Die Ankunft ſo vieler Pilger
verleiht Jeruſalem den Charakter einer Welt- oder
wenn Du lieber willſt – einer Wallfahrtsſtadt, man bewegt
ſich ungenirter, ſelbſt die herrenloſen Hunde, die an
fremde Leute gewohnt ſind, zeigen ſich minder biſſig als
in anderen orientaliſchen Städten. – Wagen ſind nir-
gends zu ſehen; ſelbſt der Oberſt hält es nicht unter ſei-
ner Würde auf einem Eſel zu reiten; als ich ihn einmal
ſah, hatte er ſogar ſeinen kleinen Buben vor ſich ſitzen.––
347
Alle Dächer find flach, und eine Predigt von denſelben
würde weithin vernehmbar ſein; hier ſchöpft man des
Morgens erquickende Luft, und ruht Abends aus im An-
blick des funkelnden Firmamentes. – Die Frauen ge-
hen verſchleiert, ſchminken und färben ſich aber deſſenun-
geachtet; ihre Tracht iſt minder plump als ihr Gang. –
Alle, auch die Chriſten, tragen den Turban. Als Pilger
jedoch iſt es nicht nöthig ſich in türkiſche Tracht zu wer-
fen, im Gegentheile bedient man ſich beſſer der fränkiſchen
Kleidung, weil man darin mehr reſpectirt wird. – Der
Bart gilt als Zeichen männlicher Ehrwürdigkeit; man
hält es für eine Schmach, wenn er von einem Andern be-
rührt wird. – Die Franziskaner gehen ſtets in ihrer
Kutte; die Juden gewöhnlich in einem langen Talar. –
Reinlichkeit iſt im Orient nirgends zu finden, daher
Ungeziefer allüberall.
Die Nahrung beſteht aus Brod, geröſtetem oder
gekochtem Schafs- und Ziegenfleiſch, Reis, Makaroni,
Käſe, Eier, ſauere Milch, Mehlſpeiſen. Café wird ohne
Beimengung von Milch und Zucker ſammt dem Nieder-
ſchlage getrunken; man trinkt oder ſchlürft ihn vielmehr
aus kleinen Taſſen und zwar öfter im Tage, wozu Män-
ner und Frauen eine Pfeife rauchen. Die Tabakspfeife iſt
überhaupt, wie Du aus den Pilgerbriefen entnommen ha-
ben wirſt, ein ſehr wichtiges Ding im Orient, und ich
habe in deren Behandlung bedeutende Fortſchritte ge-
macht. – Der Handel iſt unbedeutend; denn die Han-
delsſtraſſe zwiſchen Damaskus und Cairo zieht neun
Stunden entfernt (bei Ramleh) an Jeruſalem vorbei.
Der einzige Ausfuhrartikel ſind die Pilgerandenken, mit
denen auch Mohamedaner Geſchäfte machen. Am beſten
und billigſten kauft man dieſe in dem Sanctuarienlager
348
der Franziskaner. – Die Briefe nach Öſterreich wer-
den durch die Lloydſchiffe befördert, wofür in Jeruſalem
ein eigener Agent etablirt iſt; man zahlt für einen einfa-
chen Brief beiläufig einen Zwanziger. – In Jeruſalem
curſiren alle möglichen Geldſorten; ein öſterreichiſcher
Zwanziger läuft zu 4 Piaſter, ein Dukaten zu 48 Piaſter,
wohl auch mehr, je nachdem das Agio ſteht. – Die Ein-
wohner ſehen mehr mager als fett aus, die Geſichtszüge
mehr ſanft als geiſtig; die Bildung unter ihnen iſt ſehr
beſchränkt. – Die Volksſprache iſt die arabiſche; die
verbreitetſte unter den fränkiſchen Sprachen iſt die italie-
niſche; die Juden ſprechen zumeiſt ſpaniſch und radebre-
chen auch das deutſche; hebräiſch wird viel geſchrieben,
wenig geſprochen.
Die ſittlichen Zuſtände laſſen manches zu wün-
ſchen übrig. Der Jeruſalemer lügt und betrügt gerne; ge-
gen den Franken iſt er gleichgiltig, ſelbſt höflich, wenn
dieſer mit einiger Feſtigkeit und ſittlicher Würde auftritt.
Die öffentliche Meinung iſt in dem Punkte der Sitten-
reinheit ſtrenge, verzeiht aber eher die Verirrung einer
Frau als eines Mädchens. Es iſt den Mohamedanern
erlaubt 4 Frauen zu nehmen, doch gibt es wenige, die
nicht an Einer ſchon genug hätten. Die Hauptunterhal-
tung der Frauen beſteht in der Converſation in den Bä-
dern, wo ſie ganze halbe Tage zubringen. Päderaſtie ſoll
häufig vorkommen. Das frühe Heiraten iſt ein wahrer
Krebsſchaden. – Der Bettel iſt außerordentlich ſtark.
Unter Ibrahim Paſcha hätte ſich das Land gehoben, ob-
wohl er despotiſch regierte; das thut aber eben noth, Ie-
ruſalem hat keinen Herrn. – Die Hochzeiten ſind ſpät
Abends; die Begräbniſſe 3–4 Stunden nach dem
Tode. -
349
In Jeruſalem leben alle Nationen und Confeſ-
ſionen. Die ſehr armen lateiniſchen Chriſten ſollen aus
den Kreuzzügen ſtammen. Die Muhamedaner ſind im
Abnehmen, die Chriſten im Zunehmen begriffen. Ehedem
wurden die Franken oft auf den Straſſen inſultirt; vor
Steinwürfen iſt man noch nicht ganz ſicher; doch durch die
Errichtung der Conſulate iſt das Anſehen der Franken
viel gehoben worden. Seit Mehemed Ali ſind die drücken-
den Pilgerzölle und Abgaben aufgehoben. Ein öſterreichi-
ſcher Conſul beſteht erſt ſeit 1852.
Unter den Wohlthätigkeitsanſtalten iſt am
beſten das engliſche Spital fundirt, das jedoch der Prote-
ſtant Titus Tobler ein Koſthaus für jüdiſche Faullenzer
und Faullenzerinen nennt. Das preuſſiſche Spital verſe-
hen Diaconiſſinen, das katholiſche barmherzige Schwe-
ſtern vom h. Joſeph (ſeit 1851); letztere, die auch eine
Schule für 120 Mädchen von 4–14 Jahren errichtet
haben, erwarben ſich in kurzer Zeit große Sympathien,
und werden gewiß ſegensreich auf das Familienleben wir-
ken, das dem Manne verſchloſſen iſt. Seit den Kreuzzügen
waren keine Nonnen in Paläſtina. – Seit neuerer Zeit
beſtehen auch 2 Gaſthäuſer, doch ſprechen wenig Rei-
ſende zu. – Caféhäuſer gibt es 20, aber darunter kein
ſchönes; ein Täßchen Café koſtet 5 Para d. i. einen
Kreuzer; ebenſo billig iſt Scherbet d. i. ein im kalten Waſ-
ſer aufgelöstes Gelèe von Früchten.– Pilger zu Fuß ſind
jetzt eine Seltenheit; vor etlichen Jahren kam ein 80 jäh-
riger Prieſter aus Rußland nach ſeiner Befreiung aus
Sibirien; gewöhnlich bringen die Pilger in Jeruſalem die
Faſten zu; im Hochſommer, wie wir, reist äußerſt ſelten
ein Pilger. Die Zahl derſelben wechſelt, 3000–10000;
bisher kamen aus Deutſchland mehr Proteſtanten als Ka-
Z50
tholiken; doch mehrt ſich die Zahl der Pilger, ſeitdem die
Dampfſchiffe in Jaffa landen.
Auch über die proteſtantiſche Miſſion in Je-
ruſalem will ich Dir der Vollſtändigkeit wegen Einiges
mittheilen. Wie Du weißt, wurde auf Anregung des Kö-
nigs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen in Jeruſalem
ein preuſſiſch-anglikaniſches Bisthum gegründet, zu deſſen
Dotation derſelbe König von Preuſſen aus eigenen Mit-
teln die Hälfte (15000 Pfund) anwies. Auf dem Berge
Sion in der Nähe der Citadelle Davids, vor welcher ein
großer freier Platz ſich befindet, gerade über den Ruinen
des Palaſtes des grauſamen Königs Herodes wurde mit
einem ungeheuern Koſtenaufwande eine proteſtantiſche
Kirche im gothiſchen Stile erbaut, und am 1. Jänner
1849 eingeweiht; es iſt eines der ſchönſten. Gebäude des
jetzigen Jeruſalem. – Die Ernennung des jeweiligen
Biſchofs wechſelt zwiſchen den Kronen England und
Preuſſen ab. Der erſte proteſtantiſche Biſchof war Mi-
chael Salomo Alexander, ein geborner Preuſſe und ge-
taufter Jude. Als er mit Frau und Kindern am 21. Jän-
ner 1842 in Jeruſalem einzog, riefen die dortigen Ara-
ber: necco la vescova, i vescovini!“ (ſiehe da, die Bi-
ſchöfin und die Biſchöflein). Er ſtarb ſchon im Jahre
1845 auf einer Reiſe nach Egypten. Im Frühjahr 1846
folgte ihm Samuel Gobat, ein Schweitzer.
Über die Wirkſamkeit der proteſtantiſchen Miſſion
kann ich Dir, mein Lieber, nur aus proteſtantiſchen Quel-
len berichten, und dieſe erzählen nicht gar viel Rühmenswer-
thes. Die anglikaniſchen Miſſionäre ſtoßen durch ihren
351
Hochmuth ab, ſie lieben Wohlleben und Bequemlichkeit,
begnügen ſich damit heimlich Bibeln zu vertheilen oder
vor einigen armen Abyſſiniern gegen die Lehren des
Papſtthums loszuziehen; vorzüglich aber haben ſie es auf
die Bekehrung der Juden abgeſehen, was zu unſäglichem
Haß und Verdruß, zu allerlei Zwiſpalt und Kummer An-
laß gibt. So z. B. hielt im März 1853 ein anglikaniſcher
Miſſionär M. Crowford vor den Pforten der jüdiſchen
Synagoge eine Rede voll Invectiven gegen den Talmud;
worauf ihm einer der Anweſenden das Aas einer Katze
ins Geſicht ſchleuderte, was einen förmlichen Krawall
verurſachte. – Der Zauber der klingenden Münze thut
das meiſte zur Vermehrung der proſelytiſchen Gemeinde.
Es wird behauptet, daß jedem Täufling 6000 Piaſter
gleichſam als Prämie dargeboten und alljährlich 60.000
Gulden von den Anglikanern für Bekehrungen verwendet
werden. Um des Geldes willen wechſeln viele ihre Reli-
gion, und fallen dann wieder ab. Merkwürdig iſt auch, daß
ſich die Miſſionäre um den Proſelyten nur ſo lange küm-
mern, bis er getauft iſt, dann aber nicht mehr –, wenn
nur in der Miſſionsliſte eine Bekehrung mehr ſignaliſirt
werden kann!– Bei den orientaliſchen Chriſten findet der
Proteſtantismus keinen rechten Anklang, er iſt ihnen zu
kalt und trocken; auch erſcheint es ihnen als ein Mangel
des gehörigen chriſtlichen Glaubens, daß die Proteſtanten
die h. Grabeskirche gar nicht beſuchen, um darin wie die
anderen Confeſſionen Gottesdienſt zu halten. Daher ſind
übertritte vom Katholizismus zum Proteſtantismus faſt
unerhört, nur zugereiste glaubensſchwache und unterſtü-
tzungsbedürftige Handwerksburſchen fallen mitunter als
Opfer. – Die Mohamedaner halten die Proteſtanten für
eine Art Freimaurer. – Während meines Aufenthaltes
252
in Jeruſalem lernte ich den preuſſiſchen Conſulatspredi-
ger Paſtor Valentiner kennen, einen jungen, vielſeitig
gebildeten Mann mit angenehmen Äußeren; er ſagte mir
unter anderm, daß es ihn jedesmal ergreife, ſo oft er in
Jeruſalem predige; auch beklagte er ſich, daß das Wort der
Liebe nicht alle Herzen durchdringe. Ich halte ihn für
einen edlen Menſchen.
Aus dem Mitgetheilten magſt Du erſehen, daß die
Proteſtanten – um von den Griechen zu ſchweigen –
mehr Schutz bei ihren betreffenden Regierungen finden,
als die Katholiken. In Folge deſſen verlieren aber letztere
immer mehr von ihren Rechten, und die anderen Confeſ-
ſionen gewinnen. Erfaſſen die katholiſchen Mächte –
Frankreich, Spanien, Öſterreich – nicht mit vereinten
Kräften die Idee der Chriſtianiſirung des Orient, ſo wird
ſich das Schisma ihrer bemächtigen; wehe dann dem dor-
tigen Katholizismus! Wer fühlt es daher nicht tief, was
der Dichter Geibel ſagt:
„O Schmach und Schimpf, Europa, Dir und Deiner thatenloſen Ruh'!
In Flammen ſteht Jeruſalem und träge feiernd ſchau'ſt Du zu.
Das Grab, worin der Heiland lag, es iſt der Muſelmänner Spott,
Doch du verräthſt im ſchnöden Herzen noch heut wie Judas deinen Gott!
"Jetzt gilt es nicht mehr jahrelang die heißen Steppen zu durchzieh'n,
Nicht mehr mit braunen Reitern ſteht entgegen euch ein Saladin;
Nur eines Winkes braucht's von euch, und eurer Feinde Burg zerbricht,
Nur eines Winkes, und befreit iſt Zion – doch ihr winket nicht.“
Möchten die Könige der Erde dieß verſtehen -
Nicht Politik und nicht Nationalitäteneiferſucht
wird das h. Grab vor dem Untergange, der ihm drohet,
ſchützen, ſondern nur gläubige Begeiſterung für die h.
Sache des Kreuzes. Alle Konfeſſionen der Welt haben ihr
Augenmerk hieher gerichtet, und groß ſind die Mittel, die
353
ihnen zu Gebote ſtehen! Am Ende wird doch jene Konfeſ-
ſion den Sieg davon tragen, welcher die Bürgſchaft der
Wahrheit durch den h. Geiſt innewohnt, und alle menſch-
lichen Protektorate als ſolche – werden ſich als unzu-
länglich erweiſen. Perſonen vergehen, aber die Sache
bleibt.
Heute als am letzten Tage unſeres Aufenthaltes in
Jeruſalem celebrirte ich nochmal in der heiligen Grabes-
kirche, und zwar an jener Stelle des Calvarienberges, wo
die Mutter Gottes unter dem Kreuze ſtand. Darnach nah-
men wir Abſchied von dem heiligen Grabe. Obwohl mich
in Jeruſalem, ich geſtehe es offen, ein bischen das Heim-
weh angepackt hatte, ſo fiel mir die Trennung von der
heiligſten Stätte der Erde doch ſehr ſchwer.
Indeß die Zeit drängte. Wir hatten noch Abſchieds-
beſuche beim Patriarchen, beim P. Cuſtos, beim Con-
ſul etc. zu machen. Die Frau des Letzteren vertraute mir
ein großes Perlmutterkreuz an als Geſchenk für einen
Pfarrer meiner Diöceſe, den ſie perſönlich kennt und
hochachtet; die große Kiſte, in welche es verpackt iſt, fällt
mir allerdings läſtig, aber wer ſollte es verſchmähen von
Jeruſalem etwas mitzunehmen?– Im Hauſe des Patriar-
chen Valergabeſuchten wir auch das unter demſelben Dache
befindliche Knabenſeminar, in welchem wir 14 friſche Ara-
berknaben antrafen; auch einer eben ſtattfindenden Sitzung
des St. Vincentiusvereines, der ſich die Beſuchung, Un-
terſtützung und Pflege der Kranken und Armen zur Auf-
gabe macht, wohnten wir bei. Gegenſtand der franzöſiſch
geführten Debatte war: die Aufmunterung der chriſtlichen
Araberinen zur Thätigkeit und Arbeitſamkeit, und die Ein-
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 23
354
führung der Baumwollſpinnerei zu dieſem Zwecke. Wir
gaben vier Thaler als Almoſen, zugleich als Dank für die
getrockneten Blumen, welche der Verein in frommer In-
duſtrie uns zugeſendet hatte.
So rückte die Abſchiedsſtunde immer näher. Dieſe
fiel auch dadurch ſchwerer, weil unſer lieber Reiſecollega
Marinelli in Jeruſalem freiwillig zurückblieb, um aus-
gedehntere Studien über das h. Land zu machen, wozu er
die Erlaubniß, Geld und Talent hat. Beſonders mir fiel
die Trennung von ihm ſchwer, wie Du aus dem Inhalte
der Pilgerbriefe leicht begreifen wirſt; wir wohnten faſt
immer beiſammen und verſtanden uns ſehr gut. Marinelli
hinwiederum bewies ſeine dankbare Anhänglichkeit, indem
er den ſcheidenden Pilgerfreunden folgenden poetiſchen
Nachruf widmete:
„Gott mit Euch! Ihr zieht von hinnen,
Doch ein Freund bleibt hier zurück,
Segnet Eurer Fahrt Beginnen,
Fleht für Euer Reiſeglück.
„Mögt auch Ihr ihm nicht verſagen,
Was die Liebe fromm begehrt;
Denn Ihr wißt des Pilgers Wagen
Iſt wohl des Gebetes werth!
„Reich an Himmels Schutz uud Gnaden
Eilt Ihr nun der Heimat zu,
Und entwirrt den Lebensfaden
Freudig bis zur Grabesruh;
"Denn in Eures Heilands Lande
Habt Ihr ja gelebt, geliebt,
Euch durch untrennbare Bande
Dem vereint, der Segen gibt.
»
Z55
„Darum ziehet wohlbehalten,
Glücklich heim in's Vaterland.
Ueber Euch des Himmels Walten,
Mit Euch Gott und ſeine Hand!"
Um die Mittagsſtunde werden wir Jeruſalem ver-
laſſen, um noch rechtzeitig in Jaffa einzutreffen, und von
dort mit dem franzöſiſchen Dampfer nach Alexandrien
überzuſchiffen. Ich nehme demnach Abſchied von Dir, lie-
ber Freund, indem ich Dich dem für unſer Heil hier ge-
kreuzigten Erlöſer empfehle, und Dich bitte, Allen, die ich
kenne und die dieſe Zeilen leſen, meinen freundlichen
Gruß aus der h. Stadt zu melden. Ich ſcheide von hier
mit dem inhaltſchweren Klageruf des Propheten Jeremias,
den die h. Kirche in jeder Charwoche ertönen läßt: „Jeru-
salem, Jerusalem, convertere ad Dominum Deum
tuum“ – Jeruſalem, Jeruſalem, bekehre dich zu Gott
deinem Herrn. – Dein treuer Freund 2c.
23
356
XXI.
Von Jeruſalem nach Alexandrien.
Abſchied am Jaffathore und auf der letzten Anhöhe vor Jeruſalem. –
Das Terebinthenthal. – Bewaffnete Reiterſchaar. – Ein Gelübde aus
Verzweiflung. – Die letzte Meſſe auf dem Boden der terra sancta. –
Das Heimweh ſteigert ſich. – Neue Reiſecollegen. – Der franzöſiſche
Dampfer Tancred. – Ultima ratio. – In der Türkei ſind heilige Ge-
genſtände zollfrei. – Ideale Freude und proſaiſcher Schmerz. – Miſe-
rabilität des menſchlichen Lebens. – Abſtinenz durch 36 Stunden. –
Nie nach Amerika. – Der Schiffsjunge und Schiffshund. – Repara-
tion an der Dampfmaſchine. – Glückliche Landung im Hafen zu
Alexandrien.
Am Bord des Tancred, 1. September.
Lieber Freund!
Wir verließen Jeruſalem am 29. Auguſt um
die Mittagsſtunde. Der freundliche und gefällige Conſul
von Pizzamano, der öſterreichiſche Franziskaner P. And-
reas und Freund Marinelli gaben uns das Geleite bis
zum Jaffathore, wo wir ihnen die Hand zum Abſchied
reichten. – Schweigend ritten wir über die ſteinige
Hochebene, und an der Stelle, wo wir zum erſten Mal
Jeruſalem geſehen und begrüßt hatten, hielten wir an,
entblößten das Haupt, und beteten ein Vaterunſer. Mir
war ſo wehmüthig wie in der Charwoche; die Meiſten
weinten. *-
Nachdem wir Jeruſalem aus dem Geſichtskreiſe
verloren hatten, ging es raſch vorwärts, trotz der bren-
nenden Nachmittagsſonne. Nach einer Stunde kamen wir
in das tiefe mit unzähligen Steinen bedeckte Terebin-
357
thenthal, und zogen trockenen Fußes durch den Gieß-
bach, aus welchem der Hirtenknabe David die fünf Kie-
ſelſteine für ſeine Schleuder nahm. Ein im nahen Wein-
berge arbeitender Mann bot uns freiwillig köſtliche Trau-
ben an. – Ohne abzuſitzen ging es noch dritthalb Stun-
den weiter bis zu jener Nachtſtation, welche ich Dir im
XIII. Pilgerbriefe beſchrieben habe. Unter dem Schat-
ten jenes Baumes, der uns damals gaſtliche Nachther-
berge geſpendet hatte, lagerten vom Fuß bis zum Kopf
bewaffnete Reiter, die uns mit verdächtigen Blicken ma-
ßen. Wir ließen uns jedoch nicht abſchrecken, ſondern
ſetzten uns in einer reſpektvollen Entfernung von ihnen
nieder, einen aus Jeruſalem mitgenommenen Imbiß ver-
zehrend. Die Reiter zogen früher fort als wir, was
uns anfangs etwas unheimlich vorkam, doch geſchah
uns nicht das Mindeſte.
Das Ziel des erſten Tages war Ramleh. Ach!
wie heiß ſehnte ich mich nach dieſer Nachtſtation! Der
Weg kam mir noch beſchwerlicher als wie bei der Hin-
reiſe vor, und in einem Anfalle von Desperation
machte ich das Gelübde: nie zu klagen oder zu murren
über eine wenn auch noch ſo ſchlechte Fahrgelegenheit,
wenn ich nur noch Einmal das Glück erleben würde
in einem Wagen zu fahren! Wie bequem ſitzt und ſchläft
es ſich in einem Wagen, da kann man doch raſten von
den gehabten Strapatzen; aber hier auf einem Pferde, auf
ſolchen Wegen, durch ſo viele Stunden! Ich betete, ich
ſang, ich redete mit mir ſelbſt, um mich vor dem Einſchla-
fen aus Müdigkeit zu erwehren. Die Sonne ging unter,
der Komet leuchtete im Weſten, die Sterne funkelten in
wunderbarer Klarheit: aber ich hatte für all die Schön-
heiten der Natur keinen Sinn mehr. -
Z58
Endlich gegen 10 Uhr Nachts kamen wir nach
Ramleh, wo der ritterliche P. Gomez, der von unſerer
Ankunft aviſirt war, uns begrüßte und mit einem bereit-
gehaltenen Souper bewirthete. Er war jedoch nicht ſo
aufgeräumt wie beim erſten Beſuche, denn er litt am
Fieber. Auch wir waren matt und müde, und begaben
uns bald zur Ruhe.
. . .
Tags darauf wohnten wir in der kleinen Kloſter-
kirche der heil. Meſſe bei, der letzten auf dem Boden des
heiligen Landes. Ich dankte Gott innig für den wunder-
baren Schutz, den er uns bisher hatte angedeihen laſſen,
bat ihn aber auch um eine glückliche Heimreiſe, denn
merkwürdiger Weiſe ſteigerte ſich, ſeitdem das Pilgerziel
im Rücken lag, in auffallender Progreſſion das Heimweh,
ſo daß ich die Tage zählte, welche bis zum fröhlichen
Wiederſehen der lieben Freunde noch in der Mitte lagen.
Um 7 Uhr Morgens kamen wir von Ramleh fort.
Die Hitze war auf der Ebene Saron niederſchmetternd,
und die Pferde ſtampften und ſchnaubten vor Wuth gegen
die läſtigen und gefräſſigen Mücken. Gott ſei Dank –
endlich erblickten wir das Meer und die Orangengärten
von Jaffa – der letzte Ritt war vorüber. Um 10 Uhr
ſtiegen wir beim Franziskanerkloſter ab, in welchem wir
den Mittag zubrachten. Bei Tiſch lernten wir drei neue
Reiſecollegen nach Alexandrien kennen, nämlich einen
badiſchen Offizier Baron Leoprechting, einen deutſchen
und einen italieniſchen Franziskaner, Namens P. Peter
und Pater Iſidor, die nach Egypten verſetzt wurden.
Das franzöſiſche Dampfſchiff Tancred fuhr erſt
Abends von Jaffa fort. Wir nahmen Plätze zweiter
Z59
Klaſſe, wo jede Perſon 70 Franken bezahlen mußte. Col-
lega Mayr, welcher ſtatt Marinelli die Fortführung der
Communkaſſa übernommen hatte, verſtand es ſich gele-
gentlich der Einſchiffung das gehörige Anſehen zu ver-
ſchaffen, indem er einen mit unberufener Neugierde unſer
Gepäck viſitirenden Araber mit der Reitpeitſche maßre-
gelte; für viele Orientalen iſt die Baſtonade die ultima
ratio d. h. das erſte und letzte Mittel. – Eine für die
Türkei löbliche Einrichtung darf ich nicht verſchweigen,
daß nämlich die Roſenkränze aus Jeruſalem als heilige
Gegenſtände zollfrei behandelt wurden. .
Wenn man ſo lange zu Pferde geſeſſen wie wir,
freut man ſich endlich auf eine Abwechslung in der Reiſe,
und erſehnt die Stunde der Einſchiffung. Dieſe kam, aber
ach! die ideale Freude wurde gar bald in proſaiſchen
Schmerz verwandelt. Die Rhede von Jaffa iſt nämlich,
wie ich Dir ſchon früher ſchrieb, die ſchlechteſte an der
ganzen ſyriſchen Küſte, zudem war der Wind ungünſtig,
und die aufgepeitſchten Wogen brauſten mit ſolcher Hef-
tigkeit an das felſige Ufer, daß der weiße Giſcht klafter-
hoch ſpritzte. Ave maris stella! (Sei gegrüßt, o Meeres-
ſtern). Meine Ahnung einer ſchlimmen Seefahrt täuſchte
mich nicht, denn bevor wir noch den Bord des „Tan-
cred" erreichten, war ich ſchon der Seekrankheit erlegen,
da die Barke, auf welcher wir uns einſchifften, dergeſtalt
ſchaukelte, daß das große Dampfſchiff auf Augenblicke
vor unſeren Augen verſchwand. Wie einen Ohnmächtigen
hob man mich über die Stufen der Stiege auf das Ver-
deck des „Tancred“, wo ich mich in Ermanglung anderen
Comforts platterdings auf die harten Dielen legte, denn
beim Liegen fühlte ich mich jederzeit leichter. Noch nie
habe ich mir ſelber ſo erbarmt wie damals, daß ich in
/
Z60
etlichen Minuten ein gar ſo miſerabler Menſch – gegen
meinen Willen – werden konnte und mußte!
Indeß fiel die Fahrt doch nicht gar ſo ſchlimm aus
als ich beſorgte. Ich genoß zwar durch volle 36 Stunden
nichts als Limonade und Zuckerwaſſer, das mir auf mein
Verlangen bereitwillig alle zwei Stunden ſervirt wurde;
aber die Seekrankheit kam wenigſtens nicht mehr zum
Ausbruch. Größtentheils überließ ich mich – auf dem
Verdeck des Schiffes liegend – meinen eigenen Betrach-
tungen, welche unter andern auch das Reſultat lieferten,
daß ich Amerika nie ſehen werde, weil der Ozean inzwi-
ſchen liegt. Ein Schiffsjunge aus Toulon, dem das Eſſen
ſchmeckte, daß der helle Neid in mir aufſtieg, beſuchte
mich öfter um mir die Zeit zu vertreiben; auf ſeiner
Bruſt trug er eine Medaille der heil. Jungfrau, welche
ihm ſeine beſorgte Mutter zum Andenken umgehängt
hatte. Eine zweite Freundſchaft ſchloß ich mit dem Schiffs-
hunde „Force“, der übrigens mit allen Paſſagieren auf
gutem Fuße ſtand, die Engländer ausgenommen. – Die
Einrichtung des Schiffes war nobel, die Collegen waren
mit der Koſt zufrieden; es war eine Köchin und ein Arzt
auf dem Schiffe.
So vergingen zwei Nächte und ein Tag. Einmal
blieb die Maſchine plötzlich ſtehen, es war etwas ge-
brochen daran; aber der Fehler wurde glücklicherweiſe
ſogleich reparirt. – Heute am früheſten Morgen flog ein
Vogel über den Maſtbaum und kündete das nahe Land
an, das wir auch bald am weſtlichen Horizont ſahen. Ein
Lootſe kam herangefahren, und brachte uns glücklich durch
die gefährliche Einfahrt in den Hafen von Alexandrien.
Es war 8 Uhr Früh. Da lag ſie vor uns die altehrwür-
dige Küſte Egyptens, und die neuauflebende Hafenſtadt.
361
Zur Linken präſentirt ſich das Arſenal mit abgetakelten
Kriegsſchiffen und ſtattlichen Gebäuden, zur Rechten er-
heben ſich die Baſtionen der Stadt mit zahlloſen Wind-
mühlen. – Doch ich muß ſchließen, es iſt Zeit zur Aus-
ſchiffung. Mit Liebe Dein 2c.
A
xxII.
Die Quarantäne zu Alexandrien.
Die geſunden Pilger werden als Kranke angeſehen und auf fünf Tage
ab- und eingeſperrt. – Unfreiwillige Gefangenſchaft und unſchuldige
Sanitätsexerzitien. – Das Quarantänegebäude. – Einäugige Wäch-
ter mit ominöſen Stöcken. – Langſame Ausſchiffung. – Deutſche
Handwerksburſchen als Kammerdiener. – Zimmereinrichtung und Ver-
pflegung. – Unnöthige Vorſichtsmaßregel. – Ein nächtlicher Schreck.
– Ueberraſchender Beſuch von Dr. Knoblechner und Miſſionär Ignaz
Kohl. – Nachricht über die Verlobung Sr. Majeſtät des Kaiſers Franz
Joſeph. – Lang entbehrte Zeitungen. – Caſella wird wegen Erkran-
kung ſeiner Frau nach Hauſe citirt. – Myſtiſcher Umſtand. – Privat-
andacht am Schutzengelſonntage. – Keine Briefe. – Die Erlöſungs-
ſtunde ſchlägt.
Am 5. September.
Lieber Freund!
Unſere Ausſchiffung in Alexandrien ging ſehr lang-
ſam von Statten. Weil wir nämlich von Syrien kamen,
ſo galten wir als unrein, die gelbe Contumazflagge
wurde aufgehißt und jedermann mied unſere Berührung.
Um 9 Uhr kam eine Barke herangefahren, die uns deut-
ſche Pilger aufnahm, und aus beſonderer Rückſicht in
das nahe Quarantänegebäude führte, während die ande-
Z62
ren Paſſagiere in Bauſch und Bogen in die viel entfern-
tere Anſtalt wandern mußten. Damit begann unſer fünf-
tägiges unfreiwilliges Gefängnißleben.
Unſere Barke war offenbar überladen und ſchwankte
bedeutend trotz des ruhigen Meeres; ſie wurde mittelſt
eines Seiles an ein kleines Segelſchiff gebunden und ſo
im Schleppthau zum Quarantängebäude bugſirt. Alle
Schiffe, die uns begegneten, wichen uns aus. Im Hafen,
der voll von großen und kleinen Schiffen war, lag auch
das öſterreichiſche Lloydſchiff „Italia“ vor Anker, auf
dem wir von Conſtantinopel nach Beirut gefahren waren.
Die Kapitäne erkannten uns und grüßten. – Angekom-
men am Ufer empfingen uns die dienſtthuenden Qua-
rantänewächter, zwei einäugige Araber, mit grinſender
Freundlichkeit. Mit ihren ominöſen Stöcken bezeichneten
ſie im Meeresſande eine Stelle, wohin wir das Bak-
ſchiſch für die Schiffsleute legen ſollten; dieſe beſpülten
das Geld mit Meerwaſſer, daß es ſeine etwaige Anſte-
ckungsfähigkeit verliere. Nun wurde unſer Gepäck aus
der Barke in das Haus geſchafft, wobei wir theils ſelbſt
Hand anlegen mußten, theils von drei mitreiſenden deut-
ſchen Handwerksburſchen (einem Sattler, Schmied und
Schneider) unterſtützt wurden, welche freiwillig für die
ganze Quarantänefriſt ihre Dienſte anboten, wenn wir
ihnen nur das Eſſen bezahlen würden, was wir um ſo
lieber annahmen, als einer von ihnen etwas arabiſch
ſprach und den Dolmetſch machen konnte. So war ihnen
und uns geholfen.
Du wirſt neugierig ſein zu erfahren, wie ſolch eine
Quarantäneanſtalt ausſieht? Denke dir ein einſtöckiges,
iſolirt am Hafen ſtehendes Haus aus Steinen gebaut,
mit luftigen großen Zimmern und eng vergitterten Fen-
Z6Z
ſtern. Wenn ich ſage: Zimmer, ſo darfſt Du Dir aber,
lieber Freund, darunter nicht mehr als vier kahle Wände
vorſtellen, denn jede Einrichtung fehlte. Unſere erſte
Sorge ging ſomit dahin, das zum Leben und Wohnen
Unentbehrliche zu erlangen. Glücklicherweiſe war eben ein
ſpeculatives Individuum eines Hotels in der Nähe, mit
dem wir durch ein Sprachgitter für die fünf Tage wegen .
Koſt und Möblirung unſerer Zimmer accordirten. Der
Lohnbediente verſprach aus dem Hotel d'Orient Betten,
Tiſche, Seſſeln und die tägliche Koſt zu bringen, wofür
wir ein Jeder per Tag eilf Franken zu bezahlen hätten.
Wir trafen auch die Maßregel, daß je zwei und zwei
zuſammenwohnten, ich mit Collega Hubinger.
So begann alſo das monotone, abſpannende und
koſtſpielige Leben in der Quarantäneanſtalt, doppelt un-
angenehm, wenn man bei ſonſt ganz geſundem Leibe dieſe
unfreiwilligen, unverſchuldeten und unnöthigen Sanitäts-
exerzitien durchmachen muß. Doch ſtille – wozu Ver-
nunftgründe in der Türkei? -
Unſere Tagesordnung war eine ſehr einfache. Um
8 Uhr Frühſtück, 12 Uhr Collation, Abends 6 Uhr
Diner; die Speiſen, welche eine halbe Stunde getragen
werden mußten, kamen natürlich etwas kalt an. Die reich-
liche Muße benützten wir – ſo weit es die Hitze geſtat-
tete – zur Ordnung unſerer Papiere, Rechnungen, Ta-
gebücher, Effekten. – Im Übrigen iſt die perſönliche Frei-
heit in einer ſolchen Quarantainanſtalt ſo ziemlich be-
ſchränkt. Man darf auf keine Terraſſe hinaus, kann kein
Fenſter öffnen, vermag eine allenfalſige Konverſation nur
zwiſchen Gittern zu führen, kaum, daß einem die ſchmale
Uferſtrecke, die von den Mauern der Anſtalt begränzt
wird, zum Spazieren in der freien Luft gegönnt wird.
364
So lange derlei Vorſichtsmaßregeln gegründet und durch
die traurige Wucht der Verhältniſſe geboten ſind, wird
ſich jeder Vernünftige gerne der unumgänglichen Noth-
wendigkeit fügen. Wenn aber äußere Umſtände eine derlei
mißliebige Zwangsanſtalt nicht erheiſchen, und es allge-
mein bekannt iſt, daß die hieſige Quarantäne nur wegen
etlichen 40 Perſonen noch beſteht, die davon leben, ſo
muß doch ſelbſt das ruhigſte Gemüth darüber aufgebracht
werden. Zum Glücke ſind wir vielleicht die letzten Opfer,
die hier Sanitäts-Exerzitien zu beſtehen haben, da man
tagtäglich die Aufhebung der Quarantäne (für die von
Paläſtina hieher kommenden Reiſenden) von Konſtanti-
nopel erwartet. Leider aber geht für uns mit dieſem Zeit-
verluſte auch Kairo und die Beſichtigung der egyptiſchen
Pyramiden verloren, weil unſer Aufenthalt nach dem Ab-
gang des Lloyddampfers ſich richten muß. Wäre ich ein
Poet oder Humoriſtiker, ſo möchte ich Dir von dem Qua-
rantäneleben ein reizendes Bild entwerfen, in welchem
Spatzen, Geier, Ratten, große Käfer (vulgo Schwaben),
Ameiſen 2c. 2c. die idylliſcheſte Staffage abgeben würden.
Einmal ſchreckte mich mein Zimmercollega mit einem
Schrei des Entſetzens aus dem Schlafe auf; auch ich
hörte ein ſonderbares Geräuſch in dem Zimmer, das
weder Schloß noch Riegel hatte. Ich machte Licht, und
ſah nichts. Bald darauf dasſelbe Geräuſch. Nun entdeck-
ten wir ein Vogelneſt im Zimmer. Ich machte mit dem
Pfeifenrohr auf den ungebetenen Gaſt Jagd, bis er –
pfiffig wie die Spatzen ſind – den einzigen Ausweg in's
Freie durch das zerbrochene Gitter fand.
Die Monotonie unſerer Sanitäts-Exerzitien wurde
etliche Male auf unerwartete Weiſe unterbrochen, und
durch allerlei Nachrichten – freudige und traurige –
Z65
belebt. So z. B. wurde ich (Du kannſt dir denken, wie
der einäugige Araber meinen kerndeutſchen Namen ver-
drehte) an einem Vormittage zum Sprechgitter gerufen,
weil ein Herr nach mir verlange. Ich ſtaunte über die
afrikaniſche Berühmtheit meines Namens, und ging hinab
zu dem vergitterten Sprechhof. Außerhalb desſelben ſtan-
den zwei Männer, ein beturbanter und einer in fränki-
ſcher Kleidung. Natürlich ſprach ich letzteren und zwar
franzöſiſch an. Da lächelte der Mann mit dem Turban,
und ſagte: „Kennen Sie mich nicht mehr?“ – Ich maß
ihn vom Kopf bis zum Fuße und verſetzte: „Sie können
nur Dr. Knoblecher ſein, aber das iſt nicht möglich.“ –
„Der bin ich“, war die Antwort. Ich glaubte die Schrank-
bäume niederreiſſen zu müſſen, ſo groß war meine Freude
über dieſes unerwartete Zuſammentreffen mit dem hoch-
und liebenswürdigen Provikar von Centralafrika. Er
hatte auf dem öſterreichiſchen Conſulate, wohin wir un-
ſere Päſſe geſchickt hatten, von unſerer Ankunft gehört,
und war gekommen uns zu begrüßen. Er löſte mir das
Räthſel ſeines Hierſeins, indem er mir mittheilte, daß er
der von Wien aus nach Centralafrika abgegangenen Ex-
pedition, in welcher ſich fünf Prieſter, (darunter ein Prie-
ſter aus der Diöceſe St. Pölten Ignaz Kohl) befinden, ent-
gegen gereiſt ſei, um ſie zu empfangen und von hier durch
die Wüſte nach Chartum zu begleiten. Er war in 32 for-
cirten Tagereiſen hieher gekommen, um die Beſchwerden
der Rückreiſe mit ſeinen neuangelangten Genoſſen zu
theilen. Richtig erſchien ſpäter Miſſionär Ignaz Kohl,
den ich ob ſeines imponirenden Bartes nicht mehr er-
kannte, und zwei St. Pöltner Diöceſanen begrüßten ſich
in einem fremden Welttheile!
-
366
Auch der öſterreichiſche Generalconſul Ritter von
Huber erwies uns mit einigen ſeiner Herrn Beamten die
Ehre eines Beſuches, und wir converſirten mit ihnen
zwiſchen Pfählen in einem für diſtinguirte Perſonen ab-
geſonderten Verſchlage. Durch dieſe Herren erhielten wir
die erſte erfreuliche Nachricht, daß Se. Majeſtät der
Kaiſer Franz Joſeph ſich an ſeinem Geburtstage (dem
Tage unſerer Ankunft in Jeruſalem) mit der bairiſchen
Prinzeſſin Eliſabeth, Tochter des Herzogs Max aus
Baiern, von dem ich Dir im XVIII. Pilgerbriefe ſchrieb,
verlobt habe. – Durch Vermittlung derſelben freundli-
chen Herren erhielten wir einen Pack Wienerzeitung, in
welcher ich den erſten Hirtenbrief des neuen Erzbiſchofs
von Wien Ritter von Rauſcher las, und einen Pack
Augsburger Allgemeine Zeitung, die ich mit Intereſſe
verſchlang, weil wir ſo lange von Europa nichts gehört
hatten. – Zum Glück las ich die Nummern zuerſt, und
erſchrack nicht wenig, als ich in einer Beilage eine Nach-
richt für unſern Reiſecollega Honorat Caſella bemerkte,
durch welche er wegen plötzlicher ſchwerer Erkrankung
ſeiner Frau eiligſt nach Augsburg citirt wurde. Ich zeigte
ihm nach einigen ſchonenden ihn vorbereitenden Einlei-
tungsworten das Blatt, das er ohnmächtig fallen ließ.
Wir kamen ihm zu Hilfe und ſuchten ihn aufzurichten
und zu tröſten; aber der ſeit langer Zeit her in ſich ver-
ſunkene Pilgercollega wurde ſeitdem nie mehr heiter.
Merkwürdig iſt bei dieſem Unglücksfalle der Umſtand,
daß die Citirung Caſella's von demſelben Tage datirt,
an welchem ihn zu Jaffa jene unbegreifliche Melancholie
befiel, die ihn veranlaßte das Caſſiergeſchäft niederzule-
gen. Er betete viel, und fügte ſich mit Reſignation in die
Unmöglichkeit die Heimreiſe zu beſchleunigen, denn erſtens
Z67
waren wir in der Quarantäne, zweitens ging kein Schiff
nach Europa. .
Auch einen Sonntag mußten wir in unſerem un-
freiwilligen Gefängniß zubringen, und zwar den Schutz-
engelſonntag (4. September). Wir richteten einen Noth-
altar mit einem Jeruſalemer-Crucifix und zwei Leuchtern
her, und feierten in unſerem Zimmer eine einfache aber
ſehr erbauende Privatandacht. Wir erſuchten die beiden
mit uns eingeſchloſſenen Franziskanerpatres uns eine
Sonntagsandacht zu halten, da ſie dem hieſigen Konvente
angehörten. Unſer öſterreichiſcher Landsmann P. Peter
machte den Vorbeter, und der andere Pater Iſidor, ita-
lieniſcher Abſtammung, improviſirte eine gute und paſ-
ſende Anrede, in welcher er an die Wohlthaten Gottes er-
innerte, die uns auf dieſer Pilgerreiſe in der Ordnung
der Natur und Gnade zu Theil geworden waren. Zum
Schluße beteten wir insgeſammt für die kranke Frau
unſeres Pilgerfreundes aus Augsburg Herrn Honorate
Santo Caſella. Die ganze Einwohnerſchaft der Quaran-
täne war bei der Andacht zugegen.
Collega Hubinger war ſo glücklich 5 Briefe aus
Wien zu empfangen, aus welchen ich entnehmen konnte,
daß unſere Pilgerreiſe allgemeine Sympathie in der lie-
ben Heimat erregte, und daß meine Pilgerbriefe fleißig
geleſen werden. Ihr habt leicht lachen, Ihr bekamt ſchon
ſo viele Briefe von mir, und ich – der ich ſicher darauf
rechnete in Alexandrien mehrere Briefe meiner Freunde
vorzufinden und mich ſchon ſo kindiſch darauf freute, –
erhielt leider keinen einzigen. Ich kann nicht leugnen, daß
mir dieß insbeſondere von Dir, mein Lieber, wehe that.
Heute endlich am 5. September ſchlug unſere Be-
freiungsſtunde aus der Quarantäne. Der Doctor kam,
Z68
ſah uns Alle an, und erklärte uns für frei und rein, was
man »Pratica“ nennt. Deo gratias! Es grüßt Dich
Dein etwas unwirſcher Freund c.
* - -
z»,
Auſenthalt in Alexandrien.
Hochgenuß einer Wagenfahrt. – Hôtel d’Orient. – Wohlthuender
Luxus nach ſo vielen Entbehrungen. – Gutes Milwaſſer. – Das alte
und neue Alexandrien. – Die Treibhaus-Civiliſation Mehemed Ali's.
– Chriſtenthum und Barbarei nebeneinander. – Conflict zwiſchen
Orient und Occident. – Charakteriſtik des Abbas Paſcha. – Kontraſt
zwiſchen einſt und jetzt. – Das Feſt Mariä Geburt. – Feierlicher Got-
tesdienſt für die Mitglieder des Marienvereines für Centralafrika. –
Die neuen Miſſionsmitglieder. – Die Verdienſte Dr. Knoblecher's. –
Der Häuptling Moga. – Das Wüſtendorf Ramla. – Ein Eſelritt. –
Beſuch auf der öſterreichiſchen Fregatte Bellona. – Die erſte franzöſi-
ſche Pilgerkarawane. – Mahmudiecanal. – Nilbäder. – Die Miſ.
ſionsbarken Knoblecher's. – Das romantiſche Schloß des Said Paſcha.
– Palaſt Mehemed Ali's. – Das egyptiſche Militär. – Sclaven-
markt. – Kirchliches Leben. – Die Levantinerinen. – Volksfeſte. –
Nilausſchlag. – Photographie. – Warum nicht nach Cairo? – Be-
vorſtehende Trennung der Pilgerfreunde.
Alexandrien, 9. September.
Lieber Freund! -
Wie der Vogel ſich ſeiner Freiheit erfreut, ſo wir,
als man uns aus dem Käfig der Quarantäneanſtalt ent-
ließ. Der öſterreichiſche Generalconſul hatte uns einen
Kawaß geſchickt, daß wir beim Zollamte ſchneller fertig
wurden, und überdieß ſeinen eigenen Wagen zur Dispo-
ſition geſtellt. Auch der Lohnbediente wartete mit einem
Z69
eleganten Omnibus vor der Pforte des ominöſen Ge-
bäudes, um uns und die ausgeliehenen Effecten in Em-
pfang zu nehmen und in das noble Hôtel d'Orient zu
begleiten. Ach, war das eine Wohlthat und ein Hochge-
nuß, wieder einmal in einem Wagen zu fahren! Wir
durchkreuzten mehrere von geſchäftigen Leuten und Equi-
pagen belebte Straßen, es war mir als befänden wir
uns in einer großen europäiſchen Handelsſtadt, ſo nett
und ſolid waren die Häuſer gebaut. Endlich kamen wir
auf einen großen von prächtigen Paläſten umſchloſſenen
Platz, auf welchem ſich unſer Hotel befand. Es iſt eines
der nobelſten in Alexandrien und mit allem europäiſchen
Comfort ausgeſtattet. Eigenthümer desſelben iſt ein Wür-
temberger Namens Zech, ſeine Frau und Schwägerin
ſtammen aus den Rheinlanden. Hotelsdirektor iſt ein
gefälliger Franzoſe.
Du kannſt Dir denken, wie ſehr wir uns nach ſo
vielen Entbehrungen hier gütlich thaten. Wir bezogen ein
jeder ein herrlich möblirtes Zimmer im erſten Stock mit
der Ausſicht auf den Platz, und ließen uns die famoſe
Koſt ausnehmend ſchmecken. Um 8 Uhr Morgens war
täglich Frühſtück, beſtehend aus Kaffee, Milch und But-
ter; um 12 Uhr Collation, Abends 6 Uhr Diner. An der
Table d'hôte nahmen in der Regel etliche 10–20 Per-
ſonen Theil, meiſt noble Engländer und Franzoſen oder
Conſulatsbeamte; beſonders ſchenkte uns ſehr oft der
Kanzler beim öſterreichiſchen Conſulate v. Schäffer ſeine
liebenswürdige Geſellſchaft. Eine Hauptwohlthat war
das gute Trinkwaſſer, das im Überfluſſe vorhanden war.
Es wurde täglich friſch aus dem Nilfluße geholt, und in
irdene poröſe Krüge gegoſſen, welche die gute Eigenſchaft
haben, daß ſie das Schlammwaſſer von ſelbſt filtriren
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe. 24
370
und es köſtlich kühl und trinkbar erhalten. In dieſem
Hotel wohnten wir fünf volle Tage; jeder Tag koſtete
12 Franken, wobei der Wein nicht eingeſchloſſen war.
Die Bedienung im Hotel ließ nichts zu wünſchen übrig.
Ich will Dir nun in Kürze etwas über die Merk-
würdigkeiten und Eigenthümlichkeiten Alexandriens erzäh-
len; doch darfſt Du Dir nicht zu viel erwarten, denn das
alte Alexandrien iſt verſchwunden und das neue iſt erſt
im Entſtehen. Von dem alten ſteht nur noch die angeb-
liche Säule des Pompejus; ſie iſt rund gemeiſelt aus
Granit, und ſteht iſolirt außerhalb der jetzigen Stadt; dann
der 60“ hohe Obelisk der Cleopatra am Meeresſtrande,
der voll ſinniger Hieroglyphen iſt, und neben dem ein
zweiter im Sande liegt.
Die jetzige Civiliſation Alexandiens iſt ein Treib-
hauswerk Mehemed Alis und Ibrahim Paſchas, welche
dieſe Stadt aus einem armſeligen Dorfe ſo ſchnellem-
porzauberten, daß ſie jetzt über 104000 Seelen zählt,
worunter 15000 Franken ſich befinden. Die Bedeutung
Alexandriens, welches den Handel mit dem Inneren Afri-
kas vermittelt, und den Hauptſtapelplatz für den Verkehr
mit Oſtindien bildet, ſteigert ſich mit jedem Jahre. Vieles
aber liegt noch im halben Urzuſtande, und unmittelbar
neben den Reſultaten der Civiliſation und des Chriſten-
thums glotzen Dich die traurigen Erſcheinungen der Bar-
barei und des Heidenthumes an. Es iſt ein Chaos von
Eindrücken, das Du in Deine Seele aufnimmſt. Im
öffentlichen Leben herrſcht ſtete Bewegung, überall hörſt
Du ſchreien, hämmern und klopfen. Ein Gemiſch von
Leuten aus allen Nationen ſchwebt Dir immer vor
371
Augen: Araber und Kopten, Türken und Armenier, Grie-
chen und Italiener, Abyſſinier und Neger. Und welch ein
Babylon von Sprachen und Trachten! Hier ſind der
Occident und der Orient buchſtäblich miteinander im
Conflicte. Langbärtige und bartloſe Geſtalten, weiße und
ſchwarze, olivenfarbige, hell- und dunkelbraune Geſichter
kommen Dir auf jedem Tritte entgegen, dazu Trachten
aller Art, Seide und Lumpen, Pracht und Elend. Gleich
außer den eleganten Bauten des Frankenviertels liegen
die dürftigen arabiſchen Wohnhütten, ein wahres Durch-
einander und Übereinander von Schutt und Staub, Zie-
geln und Steinen, Kehricht und Federn, Menſchenkoth
und Aeſern, ſo daß in jener Umgebung die Naſe nur
noch zum Hohn und Skandal auf der Welt zu ſein ſcheint.
Gleich neben dem kniehohen Wüſtenſtaub blühen aber
ganze Gruppen baumhoher Cactus- und Oleanderſtauden
und prangt die ſtattliche Palme mit ihren zu tauſend und
tauſend herabhängenden Früchten (Datteln).
Es war ein Rieſenwerk, welches Mehemed Ali
unternommen hatte, ein Werk, das in einem ſolchen
Lande und bei einem ſolchen Volke nur mittelſt Tiranei
ausführbar war. Man muß das Genie dieſes Herrſchers,
der mit ärmlichen Mitteln ſo große Dinge ſchuf und
der Nachwelt hinterließ, bewundern, wenn man es auch
zugleich bedauern muß, daß er Hunderttauſende des Vol-
kes ſeinem Ehrgeize opferte. – Wie unähnlich iſt ihm
hierin ſein Enkel Abbas Paſcha, der gegenwärtige Vice-
könig von Egypten! Dieſer kümmert ſich wenig um Ge-
ſchäfte und Politik, meidet Alexandrien ſo viel er kann,
und zieht ſich in ſeine Wüſtenpaläſte zurück, die er mit
großem Aufwand erbaute. Dort befriedigt er ſeine ſelt-
ſamen Launen, indem er Pferde und Hunde, deren er 400
24*
372
von allen Sorten beſitzt, abrichtet, diamantenbehangene
Tauben in hell erleuchteten Spiegelſälen herumflattern
läßt, und andere tolle Streiche treibt. Weniger kümmert
er ſich um ſeine etlichen Hundert Frauen, denn er hat
den Becher der Sinnlichkeit bis zur Neige geleert nnd
huldigt nur noch unnatürlichen Laſtern. Dabei ſaugt er
das arme Volk aus, um das Geld in den Kiſten aufzu-
häufen, denn er fröhnt dem ſchmutzigſten Geize. Iſt es da
zu wundern, wenn er ſelbſt nicht Herr im eigenen Lande
iſt, und der Einfluß der fremden Mächte ſich mit jedem
Tage ſteigert?
Ich verſuchte öfter mich im Geiſte in das graue
Alterthum zurückzuverſetzen, aber es wollte mir nie recht
gelingen. Wahrſcheinlich iſt der Kontraſt zwiſchen einſt und
jetzt zu grell für einen ruhigen Parallelismus. Hier war
es ja, wo Alexander der Große von Macedonien den
Grundſtein zu jener großen Hafenſtadt legte, in welcher
ſpäter der Handel der Welt ſich conzentrirte; hier lebte
und ſtarb die ränke- und liebedürſtende Königin Cleopa-
tra; hier blühte die erſte aller chriſtlichen Gelehrten-
ſchulen; hier predigten und ſchrieben ein Clemens, Atha-
naſius, Origenes, Ciryllus; von hier ging die erſte große
Glaubensſpaltung durch den abtrünnigen Prieſter Arius
aus; kurz hier wuchs in den erſten chriſtlichen Jahrhun-
derten der Same des Evangeliums blühend empor mitten
unter dem aufwuchernden Unkraut. – Und was iſt aus
Alexandrien geworden? was überhaupt aus der Kirche
Afrikas, die einen Auguſtinus unter ihren Biſchöfen
zählte? Furchtbar ſind die Gerichte des Herrn, wenn ſie
über Völker und Länder ergehen, die vom Glauben gewi-
chen ſind. Wie groß waren einſt die Segnungen des Kreu-
373
zes, und wie ungeheuer iſt der Fluch des Halbmondes,
der an deſſen Stelle prangt!
Solche und ähnliche Gedanken beſchäftigten mich
beſonders beim feierlichen Gottesdienſte am Feſttage
Mariä Geburt, welchen der hochwürdige Herr Provicar
von Centralafrika Dr. Knoblecher in der hieſigen Fran-
ziskanerkirche für alle Mitglieder des Marienvereines,
(der, wie Du weißt, dieſes Feſt als Gründungstag feiert)
hielt. Drei der neuen Miſſionäre (P. Goßner und Alois
Haller aus Tirol, und P. Kohl aus Öſterreich) aſſiſtir-
ten, der Lehrer Hanſal aus Wien ſpielte die Orgel, die
anderen Mitglieder der Miſſion wohnten dem Hochamte
bei, und die Franziskaner ſangen den Choral. Die kirch-
lichen Paramente trugen das k. k. öſterreichiſche Wappen.
– Um wie viel größer und dringender erſchien mir die
Aufgabe dieſer für das Reich Gottes ſich opfernden Miſ-
ſionäre hier an der Schwelle des heißen Afrika, wo man
ſo viele Unglückliche ſieht, die, wie die heil. Schrift ſagt,
noch im Finſtern und im Schatten des Todes ſich befin-
den. All die ſchwarzen Nubier und die kupferfarbenen
Abyſſinier, die hier zumeiſt mit dem Schandmal der Skla-
verei bedeckt herumwandeln, – alle ſollen mit uns theil-
haftig werden der Verheißungen Chriſti!– Und was ſoll
ich erſt vom weiblichen Geſchlechte ſagen? Doch, laß'
mich lieber ſchweigen davon. Einigermaßen tröſtete mich
das ſchöne Hochaltarbild in der Franziskanerkirche, wel-
ches durch die fromme Huld Sr. Majeſtät des Kaiſers
Ferdinand hieher gekommen iſt, und die heilige Schutzpa-
tronin von Alexandrien darſtellt, nämlich die h. Katha-
rina. Welch' himmelhoher Unterſchied zwiſchen dieſer
heldenmüthigen Jungfrau und einem türkiſchen Weibe der
Gegenwart! Gewiß, nur das Chriſtenthum gibt dem
Z74
Weibe ſeine gebührende Stellung in der Familie, und
nur Familien, deren Seele eine frommgläubige Gattin
und Mutter iſt, verbürgen das Gedeihen und Beſtehen
der Staaten. So ſteht es mit Lapidarbuchſtaben geſchrie-
ben im Buche der Weltgeſchichte.
Doch wohin komme ich? Ich wollte Dir ja nur
ein einfaches Gemälde von Alexandrien geben, und Du
mußt ſo viele meiner Gedankenſkizzen mit in den Kauf
nehmen. Du ſiehſt, lieber Freund, wie ich auf Deine
Güte ſündige. Dafür kann ich aber Dir und mir zum
Troſte ſagen, daß dieß einer der letzten Pilgerbriefe ſein
wird.
Dr. Knoblecher wohnt im hieſigen Franziskaner-
kloſter, das eine ſchöne Lage mitten in einem Garten und
eine hübſche Kirche beſitzt. Ich beſuchte den ebenſo gelehr-
ten als frommen Miſſionär noch öfter während unſeres
Aufenthaltes in Alexandrien, immer hatte ich Genuß und
Gewinn dabei. Ich bewunderte ihn oft, daß er bei ſeinen
vielen Geſchäften doch ſtets eine von Heiterkeit und fro-
her Zuverſicht ſtrahlende Miene hatte, und für die vielen
Beſuche einen freien Augenblick fand. Die vornehmſten
Leute von Alexandrien kamen ihm ihre Achtung zu bezeu-
gen, vorzüglich aber hingen die neuen Mitglieder der
Miſſion, Prieſter und Laien (13 an der Zahl) mit kind-
licher Ehrfurcht an ihrem Meiſter. Knoblecher ſelbſt be-
zeugte eine große Freude über die großartige Unterſtüt-
zung der Miſſion in Centralafrika von Seite des öſter-
reichiſchen Marienvereines.
Eines Tages machte er mich mit dem Häuptling
Moga bekannt, einem Berineger, den Knoblecher aus
Sudan mitgenommen hatte, und deſſen Sprache außer
ihm Niemand in Alexandrien verſtand. Dieſer Moga war
Z75
ein origineller Kauz. Er war 25 Jahre alt, faſt ſechs
Schuh hoch, mager, ſehr ſchwarz, hatte vorſtehende weiße
Zähne, ein geſchornes Haupt bis auf einen kleinen ſtrup-
pigen Schopf am Wirbel, an welchem mehrere ſchwarze
Straußfedern als Kopfzierde befeſtiget waren. Bart hatte
er keinen. Seine Kleidung beſtand aus einer weißen Hoſe,
einem rothen Kittel bis auf die Waden, und einer ſchwar-
zen Lederbinde. Hals, Hände und Füſſe hatte er mit ver-
ſchiedenfärbigen Glasperlen, eiſernen und meſſingenen
Ringen bedeckt, woran er große Freude zu haben ſchien.
In ſeiner Haltung und Bewegung lag etwas Nobles,
auch blieb er nicht gerne im Zimmer, ſondern liebte das
Freie. Stets trug er einen kleinen aus Holz geſchnitzten
Schemel mit ſich, worauf er ſich, wohin er immer kam,
ungenirt niederſetzte. – Als er mich ſah, reichte er mir
die Hand, und grüßte freundlich mit den Worten: „dóto"
d. h. du biſt gut; auch fragte er Knoblecher im lebhaften
Accente, ob ich mit ihm reiſen würde? Als dieſer ihm
ſagte, daß ich übers Meer zurückreiſe, ließ er mich erſu-
chen: alle guten Freunde Knoblechers daſelbſt zu grüßen.
Dann wendete er ſich zu den Miſſionären Kohl und Alois
Haller und lehrte ſie zählen. – In Alexandrien, wo es
doch viele Neger gibt, machte Moga's Erſcheinen Aufſe-
hen. Einmal ließ er ſich in eine Brantweinſchenke ver-
locken; gerade noch zur rechten Zeit bemerkte ihn Abunu
Suliman (ſo nennt er Dr. Knoblecher), der ihn heraus-
holte, und den Verführern mit würdevollem Ernſte ihr
Benehmen verwies. Ein andermal ſuchte der öſterreichi-
ſche Generalconſul den apoſtoliſchen Provicar in der
Kirche; allein Moga, der beſſer wußte, wo ſein Mentor
zu finden ſei, lief dem Conſul in die Kirche nach, klopfte
ihn mit ſeinem Stäbchen, das er ſtets mit ſich trägt, auf
376 >.
die Schulter, und machte ihm durch Zeichen und Laute
verſtändlich, daß derjenige hier nicht ſei, den er ſuche. –
Wenn es Dr. Knoblecher gelingt, dieſen intelligenten und
gutmüthigen Häuptling glücklich in ſeine Heimat zurück-
zubringen, ſo kann er dort viel Gutes ſtiften, obgleich er
noch kein Chriſt iſt; ſollte ihm aber auf der Reiſe etwas
geſchehen, ſo würden die Landsleute ſagen: Die Weißen
haben ihn gefreſſen! __ _ -
Eines Tages machten wir in Geſellſchaft des öſter-
reichiſchen Generalconſuls einen Ritt zu Eſel nach dem
Wüſtendorfe Ramla, das erſt ſeit wenigen Jahren exi-
ſtirt und wohin beſonders an Sonntagen ganz Alexand-
rien wie Wien in den Prater ſtrömt. Das Dorf liegt am
Eingang der Wüſte und hat eine ſehr geſunde Lage, wes-
halb die reichen Alexandriner ſich elegante Landhäuſer da-
ſelbſt erbaut haben. Man kann ſich da eine kleine Vorſtel-
lung von der Wüſte machen; Alles iſt öde und ſtill, kein
Baum und kein Strauch, nicht die geringſte Unterbre-
chung in der gelblichen Fläche, auf der ein feiner ſtaubar-
tiger Sand liegt, vom Wind zu kleinen Wellen gekräuſelt.
Von einem Pfade iſt keine Rede. Das Wüſtendorf bildet
eine Art Oaſe. In einem aus Palmen gezimmerten Jä-
gerhauſe – einem Maltheſer gehörig – nahmen wir
eine romantiſche Jauſe ein, welche uns der Generalcon-
ſul kredenzte. Wir unterhielten uns prächtig, wozu nicht
wenig die Geſellſchaft der Herrn Offiziere der k. k. Fre-
gatte Bellona (Kapitän Ritter v. Pöltl, Schiffslieutenant
Graf Bombelles und noch ein Offizier eines Infanterie-
regimentes) beitrug. – Es war ſchon ſpät als wir wie-
der unſere Eſel, die Fiaker Alexandrien's, beſtiegen, die
uns im ſchellenden Galopp in einer Stunde zur Stadt
zurückbrachten. Die Treiber der Eſel ſangen und ſchrien
377
in allen Sprachen und ſchlugen erbarmungslos auf die
armen Thiere zu, die ohnehin ihr Möglichſtes leiſteten,
und in der Finſterniß ſtolpernd die Reiter kopfüber in den
weichen Sand betteten, worauf jedesmal ein lautes Ge-
lächter erſcholl. Um 10 Uhr Nachts kamen wir zu dem
verſchloſſenen Stadtthor, das dem Conſul und ſeiner Be-
gleitung ohne Anſtand geöffnet wurde.
Tags darauf machten wir – der freundlichen Ein-
ladung der Herrn Offiziere folgend – einen Beſuch auf
der öſterreichiſchen Fregatte Bellona, die erſt vor Kur-
zem in den Hafen eingelaufen war. Der liebenswürdige
Graf Bombelles und der Schiffskaplan, ein Trieſtiner,
führten uns in allen Lokalitäten des Schiffes herum;
mich intereſſirte. Alles, weil mir Alles neu war. Das
Schiff hat 50 Kanonen, und 370 Soldaten an Bord; es
iſt in 4 Etagen abgetheilt, in welchen ſich das zur Kriegs-
führung Nöthige in größter Ordnung und Nettigkeit vor-
findet. Die Soldaten ſchlafen in Hängematten. Der Sa-
lon des Kapitän iſt elegant eingerichtet. Alle Sonntage
wird auf dem Schiffe Gottesdienſt gehalten, – ich möchte
aber doch kein Schiffskaplan ſein. – Man erzählte uns,
daß vor etlichen Tagen Dr. Knoblecher mit dem Neger-
häuptling Moga die Fregatte beſuchte, deren Kapitän ihn
mit auszeichnenden Ehren empfing. Moga bewunderte
Alles, was er auf dem Schiffe ſah, und nahm als Zeichen
ſeiner größten Anerkennung etwas Waſſer auf die hohle
Hand, und ſpritzte es dem Kapitän in's Geſicht. Nur vor
den Kanonen fürchtete er ſich. – Als wir von der Fre-
gatte in die Stadt zurückkehrten, fuhren wir an dem fran-
zöſiſchen Dampfer „Alexander“ vorüber, an deſſen Bord
378
ſich 40 franzöſiſche Pilger befanden, die auf der Reiſe
von Marſeille nach Jaffa waren. Ihrer ſind wohl mehr
als uns, aber wir Öſterreicher ſind dießmal den Franzo-
ſen in Arrangirung einer Pilgerkarawane doch zuvorge-
kommen. Wir kommen von Jeruſalem, und Ihr geht erſt
dahin! Übrigens Glück auf zur Reiſe!
Auch dem Nil ſtatteten wir einen Beſuch ab. Wir
fuhren nämlich in einem eleganten Wagen zu dem von
Mehemed Ali angelegten Mahmudiecanal, der mit idylli-
ſchen Landhäuſern und prachtvollen Gärten geſchmückt iſt.
Bei dieſer Gelegenheit ſahen wir auch die zwei Miſſions-
barken des P. Knoblecher, die eben mit den neuen Kiſten
belaſtet wurden; auf der langen ſchiefſtehenden Segel-
ſtange kletterten die Araber wie Katzen herum, vorne
wehte die öſterreichiſche Flagge; P. Jeran aus Laibach,
einer der neuen Miſſionäre, ſtudierte in der kleinen Kajüte
arabiſch. – In dieſem Canale nahm ich mit Caſella faſt
täglich ein erquickendes Nilbad; das Waſſer hatte faſt kei-
nen Lauf, war tief, kühl, ſchlammig und gelblich. Der
Kanal wimmelte in der Regel von Schiffen und Leuten,
beſonders von waſchenden Weibern, die nichts als ein um
die Mitte gegürtetes blaues Hemd aus Kattun trugen,
das bis auf die Ferſen reichte; vor dem Geſichte hatten
ſie einen langen, ſchwarzen, ſpitzzulaufenden Beutel, der
auf häßliche Weiſe das Geſicht von der Naſe an bedeckte
und bis über die Bruſt herabreichte – Häßlicheres kann
man ſich kaum vorſtellen. – Gelegentlich jener Spazier-
fahrt am Canal beſuchten wir den Garten des Said
Paſcha, der wahrhaft paradieſiſch ſchön iſt. Man zeigte
uns darin einen verſteckten Palaſt, der nach Außen unan-
ſehnlich, im Inneren aber deſto prunkvoller iſt, und der
ſein. Entſtehen einem Romane Dumas (Monte Chriſto)
379
verdanken ſoll. Die Welt iſt ein Narrenhaus, und ein
Narr macht zehne. – Noch prächtiger und luxuriöſer iſt
der Palaſt Mehemed Ali's am Hafenplatze. In den gro-
ßen herrlich tapezierten und parketirten Salons befanden
ſich großartige Glascandelaber, Spiegel, Einrichtungs-
ſtücke aus Mahagonyholz, ſchwere Seidenvorhänge u. dgl.
Die meiſten dieſer Artikel kamen fertig aus Europa und
koſteten fabelhafte Summen. Jetzt ſteht der Palaſt leer.
Der uns herumführende Gardeoffizier erlaubte uns aus
dem geſchmackvoll angelegten Garten einige Blumen als
Andenken mitzunehmen, aber den angränzenden – wie-
wohl leerſtehenden Harem durften wir nicht ſehen. –
Das egyptiſche Militär – was ich gleich hier erwähnen
will – ſieht erbärmlich aus vom Offizier bis zum Trom-
melſchläger. Wie kann es aber auch anders ſein, wenn ſich
die Stabsoffiziere aus Lieblingsſclaven des Paſcha recru-
tiren? So welkt der Soldatengeiſt des einſt ſo berühmten
egyptiſchen Heeres wie eine Treibhauspflanze dahin.
Den traurigſten Eindruck aber hinterließ mir der
Sclavenmarkt, auf welchen uns der Dragoman führte.
Seit neuerer Zeit werden die Sclaven nicht mehr auf
offenen Plätzen, ſondern in den Häuſern und Vorhallen ver-
kauft. Als wir dahin kamen, forderten gleich beim Ein-
tritte die rohen Wächter Bakſchiſch. Wir traten in einen
kerkerähnlichen Hofraum, in welchem ſich ringsum kleine
Zellen wie Stallungen befanden. Auf dem Erdboden
kauerten etliche Negerinen und Negerkinder; letztere waren
faſt nackt, die Erſteren nur mit einem blauen Kittel und
Überwurfe bekleidet. Doch waren ſie nicht traurig, ſon-
dern lachten, und einige davon waren ſogar ſo frech Bak-
ſchiſch zu begehren. Wir hielten uns nicht lange auf, denn
es wimmelte vom Ungeziefer. – Ich ſah noch einen zwei-
380
ten Sclavenmarkt in der Vorhalle des Bazars, der mir
etwas reputirlicher vorkam; etliche 30 Nubierinen und
Abyſſinierinen ſaßen knapp aneinander mit gekreuzten
Füſſen, und waren reinlich angezogen, wahrſcheinlich um
Käufer anzuziehen. Kann es für ein weibliches Weſen ein
traurigeres Loos geben?
Doch wenden wir uns davon ab, um noch einige
Worte über das kirchliche Leben in Alexandrien zu ſpre-
chen. In Alexandrien iſt ein katholiſcher Biſchof, nämlich
P. Perpetuus Quasko aus dem Franziskanerorden. Er
wohnt im Franziskanerkloſter und trägt auch als Biſchof
das ſchlichteOrdenskleid. Wir beſuchten ihn, und fanden in
ihm eine ebenſo liebe als ehrwürdige Perſönlichkeit. Unter
ihm hat das kirchliche Leben in Egypten ſehr gewonnen,
wie dieß die vielen neu errichteten kirchlichen Anſtalten be-
weiſen. So haben z. B. die chriſtlichen Schulbrüder ein
Haus errichtet, das ſie muſterhaft leiten; die franzöſiſchen
Lazariſten beſorgen ein Penſionat für Knaben und ha-
ben ſich eine herrliche Kirche gebaut; ihnen gegenüber
wohnen die barmherzigen Schweſtern, welche eine
öffentliche Schule unterhalten, und eine Kinderbewahran-
ſtalt leiten, in der wir weiße und ſchwarze Kleine ſahen.
Eine der Kloſterfrauen – aus Zweibrücken gebürtig –
freute ſich mit uns deutſch reden zu können. Collega Hu-
binger las einmal in der Kapelle der frommen Frauen die
h. Meſſe. – Im Spitale der barmherzigen Schweſtern
ſprachen wir einen Öſterreicher und einen erſt vor Kurzem
getauften Juden. Es war Alles ſehr nett und reinlich,
wie man es in weiblichen Klöſtern allenthalben trifft, hier
aber doppelt ſchätzenswerth. – Ich celebrirte gewöhn-
381
lich in der Franziskanerkirche, wo es immer Andächtige
und faſt täglich Communikanten gab. Die Levantinerinen
lieben den Luxus beim Kirchgange, manche tragen einen
großen ſchwarzſeidenen Schleier wie die Kloſterfrauen.
Auf die ſchmutzige und grauſame Mumerei der orientali-
ſchen Frauen that der Luxus der europäiſchen Damen
ordentlich wohl. – Die griechiſchen Schismatiker und
Anglikaner bauen ſich eben mit großem Aufwande eine
neue Kirche, deren Inneres ich jedoch nicht zu Geſicht
bekam. - -
Von Volksfeſten ſah ich eine Hochzeit, die Abends
gefeiert wurde, wobei die verſchleierte Braut auf einem
Eſel mit Muſik und Geſchrei durch die Stadt geführt
wurde; dann ein Begräbniß, bei welchem Klageweiber
jammernd und heulend dem offenen Sarge folgten; end-
lich eine Beſchneidungsfeierlichkeit, nach welcher eine lu-
ſtige Prozeſſion mit Trommeln und Pfeifen ſtattfand. –
Die Sittenloſigkeit ſoll in Alexandrien groß ſein. Ich ſah
ſelbſt lockere Weibsperſonen, die mir im Vorübergehen
zuwinkten, obwohl ich hier fremd war. Im Oriente unter-
liegen ſo viele Opfer der Sinnlichkeit, und doch iſt die
reine und makelloſe Jungfrau dem Orient entſproſſen!
Das tröſtet und gibt Hoffnung für eine beſſere Zukunft!
-
So verſchwanden die Tage unſeres Aufenthaltes in
Alexandrien. Die Hitze war ſo groß – einmal 40° R.–
daß ich den ſogenannten Nilausſchlag bekam, der in einer
Entzündung der Haut beſteht und eine perpetuirliche Em-
pfindung von feinen Nadelſtichen hervorbringt. Dr. Knob-
lecher hat ihn faſt immer, er ſoll ein Zeichen der Geſund-
heit ſein. Da lobe ich mir das europäiſche Klima, wo wir
382
auch ohne ſolch läſtige Beigabe geſund ſein können.– Col-
lega Hubinger ließ ſich mit ſeinem ehrwürdigen Pilgerbart
photographiren, was ich gerne auch gethan hätte, weil ich
beſorge, daß man mir in der Heimat meinen ſtattlichen
Pilgerbart abſtreiten wird; aber – da unſer langer und
nobler Aufenthalt in Alexandrien ohnehin ſo viel Geld
koſtete, ſo mußte ich an's Sparen denken.
So eben trifft die telegraphiſche Nachricht ein, daß
die oſtindiſche Überlandspoſt ſich Alexandrien nähere, wo-
von der Termin unſerer Abreiſe nach Europa abhing.
Wir werden alſo morgen mit dem öſterreichiſchen Lloyd-
dampfer „Calcutta", der bereits im Hafen liegt, an die
Geſtade des lieben öſterreichiſchen Vaterlandes zurückkeh-
ren, – Wenn Du, lieber Freund, mich vielleicht verwun-
dert fragſt, warum ich nicht nach Kairo und zu den Pira-
myden gekommen bin, da ich doch auch nach überſtandener
Quarantäne noch fünf Tage in Alexandrien blieb, ſo ant-
worte ich Dir kurz, daß dieſes ohne meine Schuld ge-
ſchah. Wir erwarteten täglich die Ankunft der oſtindiſchen
Valiſe, die gerade diesmal länger als ſonſt ausblieb, zu
unſerem nicht geringen Ärger, wie Du Dir leicht denken
kannſt. Unſer bisheriges Reiſeglück hatte uns hier buch-
ſtäblich (wie die Wiener zu ſagen pflegen) ſitzen laſſen.
Sehnſüchtiger hat diesmal gewiß Niemand auf die oſtin-
diſche Überlandspoſt gewartet, als die kleine Geſellſchaft
der Pilgerfreunde in Alexandrien. – Nun ſchlägt aber
auch die Stunde der Trennung für uns Pilger. Der
hochw. Herr Hubinger begibt ſich über Malta nach
Rom; Herr Mayr und Herr Caſella reiſen von Trieſt
aus nach Bayern, und da unſer Dichterkollega Mari-
nelli in Jeruſalem zurückgeblieben iſt, ſo kommt eigent-
lich meine Wenigkeit allein und zuerſt in die Heimat zu-
Z83
rück. Bleiben mir dort einige Augenblicke der Ruhe, ſo
verſpreche ich Dir, lieber Freund, noch ein Schlußwort
zu den Pilgerbriefen. Und nun lebe wohl. Auf freudiges
baldiges Wiederſehen in Europa! Dein c.
– TFFEFDSED-
XXIV.
Von Alexandrien über Trieſt nach Wien.
Ankunft der oſtindiſchen Ueberlandspoſt. – Abſchied vom Orient. –
Miſſionär Kohl. – Der öſterreichiſche Lloyddampfer Calcutta. – 110
Stunden zwiſchen Waſſer und Himmel. – Ein geſelliger Engländer. –
Die Küſte Griechenlands. – Claſſiſche Erinnerungen und ſchnöde Ge-
genwart. – Ein Seeſturm. – Rettung von drei Menſchenleben. –
Ein wohlthätiger Act Caſella's. – Erneuerter Sturm. – Troſt im Pil-
gerkreuze. – Gute Vorſätze. – Seit dem Sturm hört die Seekrankheit
auf. – Corfu. – Dalmatiniſche Küſte – Trieſt. – Kirche S. Anto-
nio. – Mayr nach Tirol. – Der traurige Caſella nach Augsburg. –
Glückliche Ankunft in Wien. – Te Deum bei den Kapuzinern. –
Schickſal des Pilgerbartes. – Freundlicher Willkomm. – Cardinal
Viale Prela. – Bedürfniß nach Ruhe. – Zweck der Pilgerbriefe.
Wien, 19. September.
Lieber Freund! -
Mit der Ankunft der oſtindiſchen Überlandspoſt be-
gann in Alexandrien ein friſch bewegtes Leben. Der große
Platz füllte ſich mit Leuten, Laſtthieren, Koffern u. ſ. w.
Die Mehrzahl der angekommenen Paſſagiere beſtand aus
Engländern in den originellſten Anzügen, die man ſich
denken kann. Der franzöſiſche, engliſche und öſterreichiſche
384
Dampfer heizten ihre Keſſel, denn alle drei Nationen
wetteifern miteinander, wer das Felleiſen aus Oſtindien
früher nach Europa bringt. Wir lösten unſere Billeten
beim Agenten des öſterreichiſchen Lloyd nach Trieſt; ich
bezahlte auf dem zweiten Platz 11 Guineen d. i. 120 fl.
C. M.
Mittags – am 10. September – ſpeisten wir
Pilgerfreunde noch im Hotel mitſammen, und feierten den
Abſchied vom fremden Welttheile mit Champagner. Wenn
man ſo viele Freuden und Leiden, Strapatzen und Entbeh-
rungen durch ſo lange Zeit miteinander getheilt hat, ſo
ſchlingt ſich ein inniges Band der Freundſchaft um die
Herzen der Gleichgeſinnten: man kann einander nicht
mehr vergeſſen. Insbeſondere war Collega Hubinger
Allen lieb und theuer geworden, und wir gaben ihm die
beſten Segenswünſche zu ſeiner vorhabenden Reiſe nach
Rom mit. – Auch mein Condiöceſan Miſſionär Kohl
beſuchte mich nochmal im Hotel, um von mir Abſchied zu
nehmen. Er weinte, war aber voll Ergebung und Muth,
was mich wahrhaft erbaute, denn Niemand hätte dieß frü-
her von Kohl erwartet. So ruft Gott ſeine Organe! Nur
Einmal, meinte er, möchte er noch Europa ſehen!
Am 10. September um 3 Uhr Nachmittags fuhren
wir (Mayr, Caſella und ich) an Bord des Lloyddampfers
„Calcutta“, und Hubinger an Bord des franzöſiſchen
„Alexander“. – Auf Wiederſehen in der Heimat! riefen
wir uns über die Wogen zu. – Der Dampfer Calcutta
iſt einer der größten und ſchnellſten der Trieſter Lloyd-
Geſellſchaft, mit 400 Pferdekraft; er legt in einer Stunde
13 Seemeilen zurück, das Verdeck iſt geräumig, die Cajüte
elegant. – Ich freute mich auf die letzte Seereiſe. – Um
4 Uhr wurde eine Kanone gelöst, und wir fuhren aus
385
dem Hafen. Ich warf noch einen Blick zurück auf die
Stadt und auf den Welttheil, den ich ſo eben verlaſſen,
wahrſcheinlich auf immer. Die Welt der Palmen, der Rui-
nen, der Wüſten, der Kameele, der Kalkſteinfelſen, – die
Stadt mit ihren weißen würfelförmigen Häuſern, weit-
läufigen Feſtungswerken, und unzähligen, achtflügeligen
Windmühlen,–der alte und neue Hafen mit ſeinen unüber-
ſehbar vielen Kriegs- und Handelsſchiffen, Dampfern und
Segelböten verſchwanden allmählig aus meinem Geſichts-
kreiſe. Orient lebe wohl!
Es war eine wildſchöne Fahrt, doppelt intereſſant
in der Erinnerung. Wir fuhren – mit Ausnahme von drei
Aufenthaltsſtunden in Corfu –ununterbrochen 110 Stun-
den hindurch. Anfangs waren Wind und Witterung gün-
ſtig, und mit rapider Schnelligkeit ſchlugen die Räder in die
ſchäumenden Wogen. Mir war nicht ganz wohl, ohne daß
jedoch die Seekrankheit ausbrach. – Auf dem zweiten
Platze befanden ſich außer mir nur zwei Paſſagiere, ſo
daß wir ungenirter als die Paſſagiere des erſten Platzes
waren; der eine davon war ein aus Oſtindien zurückrei-
ſender Engländer, ein gründlicher Kunſtkenner und lieber
Geſellſchafter; er ſuchte mich immer auf, um mit mir fran-
zöſiſch radezubrechen. -
Mit Stolz durchſchnitt der Kiel des eilenden
Dampfers die Breite des mittelländiſchen Meeres –
nichts als Himmel und Waſſer. Erſt am dritten Tage
dämmerte uns das Weſtende der langgezogenen und ſteil-
aufſteigenden Inſel Creta entgegen, und mit freudiger
Wonne begrüßte ich die europäiſche Küſte Griechenlands,
an welche ſich ſo viele claſſiſche Erinnerungen knüpfen.
Dieſes muthige Volk der Griechen vernichtete die Heeres-
maſſen eines Kerxes, ſandte Colonien nach Byzanz, Aſien
Kerſchbaumer's Pilgerbriefe, 25
Z86
und Afrika, ſchuf Künſte und Wiſſenſchaften, und erhob
ſie theilweiſe bis zu einer noch nicht übertroffenen Höhe.
Wer denkt nicht mit einer gewiſſen Ehrfurcht an Miltia-
des, Leonidas, Epaminondas, Alcibiades, Perikles, Plato,
Ariſtoteles, Socrates, Phidias? Die Phantaſie ſchweifte
abſichtlich in die Vergangenheit zurück, um das in der Ge-
genwart ſo herabgekommene Land durch die Erinnerung
zu heben und zu bevölkern. Die Ufer des Peloponnes und
die Küſten Lacedämoniens traten nach und nach in ſchwärz-
lichen Gruppen hervor, ohne anderen Reiz als den Na-
men, den ihnen die Geſchichte verleiht. Der Schatten der
Nacht, der ſie verhüllte, kam mir wie ein Leichentuch des
griechiſchen Volkes vor. -
Am 12. September – es war der dritte Tag un-
ſerer Seefahrt – umzog ſich der Himmel mit dunklem
Gewölke und die Matroſen weiſſagten eine unruhige See.
Das Gefühl einer unheimlichen Vorahnung erfüllte die
Bruſt. Doch eilte das Schiff noch immer raſch und luſtig
dahin, und eine günſtige Briſe blähte die Segel. Erſt um
die Mittagsſtunde ward die Sonne verdüſtert, und der in
das Meer tauchende Horizont hüllte ſich in nächtliches
Dunkel. Ich hatte mir öfter einen kleinen Seeſturm ge-
wünſcht, nun war ein großer im Anzug. Die Wogen des
Meeres fingen an ſich zu kräuſeln und zu erheben, und in
das Brauſen derſelben mengte ſich polternd der rollende
Donner. Blitze durchzuckten die finſteren Wolken und er-
hellten mit unheimlichem Lichte den zur Nacht gewordenen
Mittag. Plötzlich ſchlug der Wind um, und eine eiskalte
Bora ſtürmte uns entgegen. In flinker Eile vollzogen die
Matroſen die Befehle, welche der umſichtige Schiffskapi-
tän am Verdecke ertheilte. Alles eilte in die Kajüte.
387
Großartig jedoch, wie das Schauſpiel war, ver-
mochte ich nicht mich ſo ſchnell davon zu trennen, und es
iſt merkwürdig, daß ich bei den damaligen furchtbaren
Schwankungen des Schiffes nicht nur nicht der Seekrank-
heit erlag, ſondern vielmehr ſeit jener Kriſis nie mehr
daran zu leiden hatte. Die Erhabenheit dieſer impoſanten
Naturerſcheinung, die Poeſie des Seeſturmes und die
unendliche Majeſtät Gottes, die aus den zürnenden Wol-
ken ſprach, verliehen mir jene moraliſche Kraft, welche die
phyſiſche Schwäche überwucherte. Ruhig lag ich in meinen
Mantel gehüllt am Vorderdeck, und ſchaute mit banger
Gier in die tobenden Elemente hinaus. Bald hoben ſich
die Wellen zu Hügeln und Bergen, bald wieder höhlten
ſie tiefe Thäler aus, ſo daß die Räder des Schiffes auf
der einen Seite ſich in den Lüften ſchwangen, während ſie
auf der anderen ſich in den Wellen begruben. Ein unheim-
liches Beben und Toſen durchbrauste die Luft. Krachend
ſchlugen die Wellen an die Balken des Schiffes, ſtürzten
ſich über dasſelbe, und ſpritzten ziſchend hinauf bis zum
feuerſprühenden Schornſtein. Das war ein Zürnen und
Schäumen, als ob der Tag des letzten Gerichtes heran-
nahte. Fürchte Gott! ſo ſchien mir jede Welle zu ſprechen,
die ſich unheildrohend heranwälzte: fürchte Gott! Erſt
als das Gewitter ſich im ſtrömenden Regen und eiskal-
ten Hagel entlud, flüchtete ich in die Kajüte, und berei-
tete mich im Bette zum Sterben vor.
Der Sturm hielt etliche Stunden an, ſo daß es
gegen Abend wieder möglich war auf dem Verdeck zu er-
ſcheinen. Die ſchwärzlichen Wellen ſchlugen noch im
dumpfen Grolle übereinander. Wir befanden uns in
einer breiten Meerenge zwiſchen dem griechiſchen Feſt-
lande bei Modon und der Inſel Sapienza. Da entdeckte
25 *
388
das Falkenauge eines Matroſen eine geſcheiterte Barke,
auf welcher ſich Menſchen befanden. Sogleich ließ der Ka-
pitän, als er ſich mit dem Fernrohr davon überzeugt hatte,
den Dampfer darauf losſteuern. Alsbald erblickten wir
die dem Unterſinken nahe Barke, die mit ihren zwei Ma-
ſten nur einige Schuhe noch über dem Waſſer ſich hielt.
Drei Männer klammerten krampfhaft an den ſchwachen
Enden des Schiffes, über welche unbarmherzig die ſchäu-
menden Wogen ſchlugen. Das Dampfboot ſtand ſtille und
einige Matroſen ruderten muthig den Verunglückten zu,
und brachten ſie glücklich an Bord unſeres Schiffes.
Kälte und Todesangſt lag auf ihren bleichen Geſichtern,
und wehmüthig blickten ſie auf das Wrack zurück, mit dem
vielleicht all ihr Hab und Gut in die Wellen verſank. Es
waren Mainoten, darunter Vater und Sohn. Der Kapitän
ließ ſie mit friſcher Wäſche verſehen, die Matroſen be-
eilten ſich ihnen Mäntel und Jacke zu leihen, und der Koch
theilte mit, was er hatte. Auch die Schiffspaſſagiere
blieben an Wohlthätigkeit nicht zurück, ſondern brachten
in Schnelligkeit 150 Zwanziger zuſammen, die der Ka-
pitän den Armen einhändigte. Das Verdienſt dieſer
Sammlung gebührt Caſella. Bei der nächſten Ortſchaft
wurden die Verunglückten an's Land gebracht.
Wie wunderbar ſind doch die Wege der göttlichen
Vorſehung! Wären wir eine Stunde ſpäter in die Nähe
der Verunglückten gekommen, ſo wäre ihre Rettung un-
möglich geweſen, theils weil die Nacht bereits hereinbrach,
theils weil mit dem Dunkel der Nacht der Sturm in
doppelter Wuth ſich erneuerte und bis gegen Morgen
anhielt. Lieber Freund! Meine Feder iſt zu ſchwach Dir
zu ſchildern, was in jener furchtbaren Nacht meine Seele
bewegte. Der Gedanke, hier in den kalten Fluthen ein tie-
389
fes Grab zu finden, war mir ſchrecklich. Nie ſtand das
„Memento mori“ lebendiger und grauenhafter vor mei-
nen Augen, als damals. Es waren wohl nur Stunden
– aber ich glaube, ich bin in jenen Stunden innerlich
um Dezennien älter geworden. Mein einziger Troſt war
die bisher glücklich überſtandene Pilgerreiſe und jenes
ſilberne Kruzifix, das ich während der ganzen Reiſe auf
der Bruſt trug und das am heiligen Grabe geweiht
worden war. Auf der Kehrſeite dieſes Kruzifixes waren
die Worte geprägt: „Er geleite Sie." Und dem Him-
mel ſei Dank! Er, der mich und meine Gefährten glück-
lich geleitete durch alle Gefahren des Klima, der Ver-
hältniſſe und der Menſchen, Er, der Gütige und All-
barmherzige, verließ mich auch diesmal nicht. Wenn ich
die guten Vorſätze, die ich dazumal machte, alle erfülle,
dann muß ich ein Heiliger werden. So hat alles Schlimme
auf der Welt ſein Gutes, und Gott zeigt ſeine Liebe, in-
dem er zürnet.
Wie der Menſch endlich Alles gewöhnt, ſo gewöhnte
ich auch das Heulen des Sturmes ſowie das Schwan-
ken des Schiffes, und ſchlief faſt die ganze Nacht. Des
andern Morgens ſtand ich mit geſegnetem Appetit auf,
und Eſſen und Trinken ſchmeckte um ſo mehr, weil ich
bisher faſt nichts genoßen hatte, und die Freude über die
überſtandene Gefahr die Speiſen würzte.
Wir fuhren an dem durch die Seeſchlacht im Jahre
1827 berühmten Navarin vorüber – an Zante und
Preveſa, hielten aber nirgends an als in Corfu, wo
unſer Schiff Kohlen einnahm. Leider durften wir nicht
an's Land gehen, ſondern ſahen nur vom Hafen aus die
390
von den Engländern errichteten impoſanten Feſtungswerke,
die hübſch gelegenen Landhäuſer, und die vielen Gärten
und Weinpflanzungen, die ſie ſchmücken. Das Meer war
hier ſpiegelglatt. – Nach dreiſtündigem Aufenthalt fuh-
ren wir weiter, und näherten uns den felſigen Küſten Alba-
niens und Dalmatiens. Endlich am frühen Morgen des
16. September bogen wir um die Ecke von Pirano, und
erblickten die nebelumflorte Stadt Trieſt, das Ziel unſe-
rer Seereiſe. O wie glücklich fühlte ich mich beim Anblick
des lieben Vaterlandes, des heimathlichen Öſterreich! wie
lachte mich das langentbehrte Grün auf dem landhaus-
geſchmückten Hügel an, der Trieſt umfängt!
Kaum konnte ich die Stunde erwarten, wo wir an's
Land ſtiegen. Der Quarantänarzt ließ uns alle pro forma
vorüber defiliren, und die Zollbeamten durchſuchten ſcho-
nend das Gepäck, nachdem wir den türkiſchen Tabak, wel-
chen wir mitführten zu Protokoll gegeben hatten. –
Mein erſter Gang war in die Kirche des h. Antonius,
wo ich ein kurzes aber inniges Dankgebet verrichtete.
Dann eilte ich in ein Caféhaus, und ſchlürfte mit See-
lenwonne zwei Portionen europäiſchen Café. Auf der Poſt
fand ich einen Brief von Dir an mich!
Nun folgte eine weitere Trennung der Pilger-
freunde. Mayr, der über Venedig nach Tirol reiste, blieb
einige Tage in Trieſt zurück, und verabſchiedete ſich von
Caſella und mir, die wir Nachmittags mitſammen über
Opſchina nach Laibach, und von dort auf der Eiſenbahn
gegen Wien fuhren. In Bruck an der Mur ſtieg Ca-
ſella ab, um über Salzburg nach Augsburg zu reiſen.
Als ich von ihm Abſchied nahm, ſagte ich zu dem
Niedergeſchlagenen: „Seien Sie gefaßt.“ Er mochte viel-
391
leicht ahnen, was ich ſagend verſchwieg, denn er weinte;
(ich wußte nämlich von Collega Mayr, der in Trieſt tele-
graphiſche Nachrichten eingezogen hatte, daß Caſella's
Frau am 16. Auguſt geſtorben ſei). Wir baten uns noch
gegenſeitig um Vergebung – ich verzieh und verzeihe ihm
alle Kränkungen, die ich durch ihn erlitten:
Nun war ich der einzige Pilger, der mit Dampfes-
ſchnelligkeit zuerſt in die liebe Heimat zurückkehrte. Über
den Semmering, den ich in der Nacht paſſirte, empfand ich
die Kälte um ſo empfindlicher, als ich erſt vor acht Tagen
noch die ſengenden Strahlen der afrikaniſchen Sonne
fühlte. Meine Freude Dir zu ſchildern, als ich wieder
den Stephansthurm ſah, iſt nicht möglich, ſie war unbe-
ſchreiblich. Am 17. September Morgens traf ich halber-
froren in Wien ein.
So überglücklich ich geſtimmt war, ſo fühlte ich
mich doch durch den urplötzlichen Wechſel nicht ſo ganz
heimiſch, wozu wohl auch meine Pilgerkleidung und der
Pilgerbart beitrug. Ich kam mir wie ein Halbwilder
unter Civiliſirten vor. Niemand erkannte mich, Niemand
hatte eine Ahnung, daß ich ſchon vom heiligen Lande
zurück ſein könnte. Mein erſter Gang war in die Kapuzi-
nerkirche, wo ich zum letzten Mal vor dem Antritt der
Pilgerreiſe gebetet hatte. Mein Herz war ſo voll des
Dankes gegen Gott, daß es nur im heiligen Opfer, wo
die Liebe ihren vollendetſten Ausdruck findet, Befriedi-
gung erlangen konnte. Da ich mir aber, wie geſagt, ſelber
ſo fremd vorkam, ſo empfing ich nach verrichteter Andacht
die heil. Communion. Das war ein großer Troſt, eine
wahre Erquickung! Mein Te Deum laudamus für die
ſo überaus glücklich beſtandene Pilgerreiſe war innig und
feurig.
392
Nachdem ich europäiſch logirt war, war meine
erſte Sorge mich meines orientaliſchen Bartes zu entle-
digen – trotz der ungläubigen Miene des Haarkünſtlers.
Dann erſt ſuchte ich meine Freunde auf, bei denen ich
ein ebenſo herzliches als ehrendes Willkommen fand.
Ueber meine „Pilgerbriefe" hörte ich ſo manches Wort,
das mich freute. Des Erzählens bei Einheimiſchen und
Fremden, die den noch ſo jung ausſehenden Pilger ken-
nen lernen wollten (es tagte gerade die Generalverſamm-
lung der katholiſchen Vereine Deutſchlands zu Wien)
war kein Ende, ſo daß ich mehr als je das Bedürfniß
nach Ruhe fühlte. – Se. Eminenz der Cardinal Nuntius
Viale Prela that mir die Auszeichnung an mich zum
Speiſen zu laden, bei welcher Gelegenheit ich die Ehre
hatte mit dem neu ernannten Fürſtbiſchof von Graz Graf
Attems, Abbè Mislin, Dr. Feßler, Dr. Knopp aus
Trier, Dr. Reichl aus München, und anderer Notabili-
täten zuſammenzutreffen. -
Doch nun laß mich ſchließen, denn nach einer ſo
anſtrengenden Reiſe iſt Ruhe ein Bedürfniß. Gewiß, ich
nehme Niemanden die fromme Neugierde übel, aber
glaube es mir, mein Lieber, das ewige Wiederholen des
ſo oft ſchon Geſagten wird nach und nach läſtig, die hei-
ligen Eindrücke werden zu alltäglichen Reproductionen.
Darum iſt es mir lieb, daß auf Deine Veranſtaltung
meine „Pilgerbriefe“, in die ich mein ganzes Herz hinein-
gelegt habe, Viele zu leſen bekommen. Dafür dankt Dir
mit treuer Seele Dein 2c.
393
XXV.
Schluß und Rückblick.
Glücklicher Erfolg der Pilgerreiſe. – Eine Reiſe nach Jeruſalem iſt
jetzt nicht ſo ſchwer zu machen. – Hoffnung, daß die Anzahl der Pilger
ſich mehren werde. – Magnetiſche Anziehungskraft des heil. Landes.
– Die franzöſiſche Pilgerkarawane. – Aufmunterung zu einer deut-
ſchen reſp. öſterreichiſchen Pilgergeſellſchaft. – Junge Theologen ſoll-
ten nach dem Orient reiſen. – Die Beſchwerden werden bald vergeſ
ſen, der Schatz heiliger Erinnerungen bleibt. – Dank. – Ehrenvoller
Empfang des Pilgers im heimathlichen Gebirge. – Das himmliſche
Jeruſalem.
St. Pölten, 30. September 1853.
Lieber Freund!
Meinem gegebenen Worte getreu erhältſt Du hier-
mit ein kurzes Schlußwort zu den Pilgerbriefen.
Wenn ich im Rückblicke auf die vollendete Pilger-
reiſe all die Gefahren erwäge, denen wir entgangen, und
all die Entbehrungen und Strapazen, die wir ertragen
haben, ſo kommt es mir faſt wunderbar vor, daß unſer
Unternehmen mit ſo überaus glücklichem Erfolge gekrö-
net war. Keiner aus uns wurde krank, obwohl wir in
der unpaſſendſten Jahreszeit die Reiſe in den Orient an-
getreten hatten. – Du wunderteſt Dich, mein Lieber,
wie ſo viele Andere über die Schnelligkeit, mit welcher
wir von unſerem Reiſeziele zurückgekommen ſind? Eine
Reiſe nach Jeruſalem iſt aber gegenwärtig durch die vie-
len Kommunikationsmittel ſo ſehr erleichtert, daß man
(bei genauer Berechnung der Abfahrtstage) in vierzehn
Tagen das heil. Land erreichen kann, wohin man früher
monate- ja jahrelang brauchte. Es ſteht daher auch zu
erwarten, daß bei dem neuen und friſchen Erwachen des
26
394
katholiſchen Glaubens ſich die Sehnſucht nach dem heiligeu
Lande, und mit ihr die Anzahl der Pilger nach demſelben
vermehren werde. Iſt ja Paläſtina das Land, um welches
ſich die Geſchichte des Himmelreichs wie um ihren Angel-
punkt bewegt; Jeruſalem,– die heil. Stadt, die Gott vor
allen Städten der Erde ausgezeichnet hat, in der und um
welche herum der Gottmenſch jene Thaten vollbracht hat,
welche die Grundlage unſeres ganzen Glaubens und un-
ſerer ganzen Hoffnung bilden. Von Kindheit an erklingt
der Name Jeſu ſo ſüß und wunderbar lieblich, ſo ehr-
furchtgebietend Jeruſalem, ſo kindlich heimlich Bethlehem.
Auch das chriſtliche Kirchenjahr führt uns alljährlich im
Geiſte an jene heil. Orte, in welchen der Fluch von dem
Menſchengeſchlechte genommen, der Himmel wieder geöff-
net und das Schickſal der Menſchheit für die Ewigkeit
entſchieden wurde. – Bereits hat ſich in Frankreich eine
Geſellſchaft gebildet, welche eigene Meſſageriefahrten für
Pilger nach dem heil. Lande unternimmt, und dieſelben
zu halben Preiſen dahin befördert. Wir begegneten der
erſten dieſer Pilgerkarawanen, die von Marſeille aus-
ging, in Alexandrien. Ob ſich nicht auch in Deutſch-
land und Öſterreich ähnliche Pilgergeſellſchaf-
ten bilden könnten? Ein deutſcher Pilger iſt in Jeru-
ſalem noch immer eine Seltenheit, und doch hat er die
freundlichſte Aufnahme zu gewärtigen. Iſt es nicht ſon-
derbar, daß mehr deutſche Proteſtanten nach Jeruſalem
pilgern, als deutſche Katholiken?! Wäre die Reiſe in das
heil. Land nicht beſonders jungen Theologen zu empfeh-
len, welche dazu die ausreichenden Mittel beſitzen? Wer
nicht zu viele Ausflüge und auf des Lebens Luxus nicht
zu entſchiedene Anſprüche macht, kann die Reiſe ins heil.
Land und zurück leicht mit 500 bis 600 Gulden C. M.
395
unternehmen. Nur möchte ich noch den Rath hinzufügen,
daß man auf dieſer anſtrengenden und mit vielen Entbeh-
rungen verbundenen Reiſe ſich lieber etwas mehr gütlich
thue, als daß man in übel verſtandener Bußſtrenge oder
Einſchränkung ſeine Geſundheit untergräbt und ſein Leben
verkürzet. Schwierig bleibt die Reiſe immerhin; aber was
ſchadet einem Pilger ein vorübergehendes Leiden? Ent-
weder – oder. Der Schatz von heiligen Erinnerungen, den
man ſich ſammelt, überwiegt doch alle Beſchwerden, die
etwa damit verbunden waren.
Und nun, mein Lieber, danke ich Dir für die freund-
liche Theilnahme, mit der Du mich auf meiner Pilger-
reiſe begleitet, und für all die frommen Gedanken und
Uebungen, die Du für die Pilgerfreunde Gott aufgeopfert
haſt. „Das Gebet hat einen langen Arm“, pflegte der ſel.
Erzbiſchof von Köln, Droſte Viſchering, zu ſagen; ja, ich
fühlte es, denn es reichte über Berge und Meere. Möge
das fromme Andenken, das ich an allen heil. Orten Dir
ſchenkte als ein Beweis meiner Dankbarkeit gelten. Was
ich Dir in meinen Pilgerbriefen ſchrieb, kam jederzeit aus
der Fülle des Herzens, und wenn mir das Schreiben der-
ſelben bei der Hitze und Ermüdung manchmal beſchwerlich
fiel, ſo belebte mich ſtets der Gedanke, daß ich dieſes
Opfer Dir, lieber Freund, ſchuldig ſei, ſo wie allen denen,
die in treuer Anhänglichkeit und Liebe Dir gleichen und
mit frommem Gebete das Deinige unterſtützten. – Be-
vor ich jedoch ſchließe, muß ich Dir noch eine Freude
mittheilen, die mir wie ein Schlußpunkt zu meiner Pil-
gerreiſe vorkommt. Bevor ich hieher kam, um meinen
Berufspflichten wie zuvor mich zu weihen, beſuchte ich
noch auf einige Tage meine Gebirgsfreunde. Du weißt,
wie gerne ich unter ihnen weile. Eines Tages nun, – es
26*
396
war ein Sonntag, war ich in der Schloßkapelle zu G.
geladen, das heil. Meßopfer darzubringen. Als ich zur
Kapelle trat – welch freudige Ueberraſchung bot ſich
meinen Augen dar! Der Eingang zur Kapelle war mit
friſchem Grün umſchlungen, ober der Thüre befand ſich
ein Kranz von Eichenlaub mit der Inſchrift: „Heil dem
Pilger aus Jeruſalem.“ Mir ſtanden die Thränen
im Auge über die unverdiente Aufmerkſamkeit der from-
men Herrin des freundlichen Schloſſes. Auch der Altar
war mit Blumen geſchmückt, und die ganze Kapelle in
einen Garten verwandelt. Wenn ich Dir, lieber Freund,
dieß mittheile, ſo geſchieht es, weil ich weiß, daß Du
mich verſtehſt. Wahrlich nicht eitel machte mich dieſe Eh-
renbezeugung, wohl aber nachdenkend, denn vieles – das
könnte ich Dir ſchwören – liegt hinter mir. Ich fühle die
doppelte Verantwortlichkeit, die gegenwärtig auf mir liegt,
weil es heißt: „wem viel gegeben wurde, von dem wird
auch viel gefordert,“ und es durchzucken mich nun die
Worte wie feurige Flammen, welche mir eine freundliche
Hand beim Beginne der Pilgerreiſe ſchrieb: „Gott mit
Ihnen zur Reiſe ins heil. Land, zur Reiſe aber auch in
die ewige Heimath, zu der Ihre Seele jetzt einen Schritt
weiter thut.“ - A
Lieber Freund! Entſchuldige meine Weitläufigkeit,
ſo wie all die Mängel, welche meinen oft in Eile geſchrie-
benen Briefen ankleben. Sollteſt Du über Einiges nähe-
ren Aufſchluß haben wollen, ſo weißt Du mich ja zu
finden. Mit warmer Liebe
Dein alter Freund
Dr. Anton Kerſchbaumer,
Profeſſor zu St. Pölten.
Anmerkungen.
" Wu Seite 9.
1.) Die erſte Anregung zum Zuſtandekommen der durch ſo
lange Zeit unterbliebenen Pilgerkarawanen ging von dem wackeren
Tiroler Joſeph Leonard Mayr aus, der ſchon im März 1853
eine öffentliche Einladung zu der von ihm projectirten Pilgerreiſe er-
gehen ließ. Die Karawane kam zu Stande und zählte allerdings nur
fünf Perſonen. Dieß ändert aber nichts an der Thatſache, daß ſie die
erſte war. Wir traten unſere Pilgerreiſe ein Vierteljahr früher an
als die erſte franzöſiſche Karawane, und anderthalb Jahre vor der
erſten vom Severinusvereine in Wien organiſirten deutſchen Kara-
wane. Dieß zur Steuer der Wahrheit. Ehre dem Ehre gebührt. Vergl.
übrigens Note 70.
Zu Seite 15.
2.) Die Pilgerbriefe erſchienen, wie ich ſie während der
Reiſe ſchrieb, im „öſterreichiſchen Volksfreund" des Jahres 1853, wo-
von ein Separatabdruck ſpäter in den Buchhandel kam. Die vorliegen-
den Pilgerbriefe ſind, wie das Titelblatt beſagt, eine ganz neue Be-
arbeitung der erſten Auflage. Was ſich ſeit jener Zeit darauf bezüglich
geändert hat, iſt in dieſe Anmerkungen zu den Pilgerbriefen aufge-
nommen worden.
- Zu Seite 42.
3.) Von Baroneſſe Bertha habe ich nach meiner Rückkehr
aus dem heiligen Lande mehrere Briefe erhalten. Einige Stellen dar-
aus mögen hier Platz finden: . . . . "Wie oft habe ich Ihrer und Ihrer
liebenswürdigen Reiſegefährten gedacht . . . Im Geiſte folgte ich
Ihnen auf Ihrer gefahrvollen Pilgerreiſe, im höchſten Grade mir zür-
nend, daß ich nicht damals bereits Sie gebeten habe aus Jeruſalem
ſchon eine Kunde über ſich zu geben. Die beunruhigenden Nachrichten
von dort her in den öffentlichen Blättern machten mich recht oft be-
ſorgt um Sie; um ſo freudiger überraſchte mich Ihre frühe Heim-
kehr . . . . Seitdem habe ich dennoch den erſehnten Frieden nicht ge-
funden, den Ihr frommes Herz für mich erflehte . . . . Je mehr die
Freuden der Welt mir nichtig und gehaltlos erſcheinen, um ſo lieber
wird mir die Einſamkeit, der ich unverholen meinen Schmerz anver-
trauen kann, und aus deren ſtillen Tiefen gar oft eine Zauberwelt
Vor mir aufſteigt, in die ich freudig erregt mich flüchte, enthoben der
kalten rauhen Wirklichkeit . . . Ich fühle mich oft recht unglücklich
- . . . Glauben Sie nur nicht, mein gütiger Freund, daß Ihre Worte
auf gänzlich unfruchtbaren Boden fielen . . . . Sorgfältig habe ich das
liebe Andenken aufgehoben . . . . . “ – Seit etlichen Jahren jedoch
iſt unſere Correſpondenz leider! abgebrochen. - - - - - -
1
Zu Zeite 82.
4.) Der Halbmond iſt das alte Wappen von Byzanz, das
jetzige Symbol der Mohamedaner. Als einſt Philipp von Macedonien
im nächtlichen Dunkel das alte Byzanz überrumpeln wollte, da brach
der Mond plötzlich hervor, und verrieth den Plan der Feinde. Seit-
dem verehrte man Diana unter der Geſtalt des Halbmondes als Schutz-
göttin. Kaiſer Conſtantin nahm dieſes Sinnbild gleichfalls an, und
von ihm ging es auf die Mohamedaner über. So erklärt ſich auch bei
ruſſiſchen Kirchen das Kreuz auf dem Mond. (Vergl. Marinelli Pil-
gerfahrt S. 203).
Bu Seite 89.
5.) Der ſymboliſche Sphärentanz der Derwiſche zeigt die
Allgegenwart Gottes an, und die vorſchreitende Bewegung den Lebens-
gang des Menſchen, der mit unaufhaltſamer Geſchwindigkeit weiter
eilt, bis er plötzlich durch die Hand des Todes gehemmt wird. Die
Ausſtreckung des rechten Armes mit der flachen Hand nach oben be-
deutet die Bitte um himmliſche Wohlthaten, die des linken Armes
mit der flachen Hand nach unten, hat den Sinn, daß ſie dieſe Güter
Anderen überlaſſen. (Marinelli Pilgerfahrt S. 219).
Zu Seite 112.
6.) Die Stadt Bruſſa in Kleinaſien wurde durch das große
Erdbeben im Frühjahr 1855 faſt gänzlich zerſtört, und der berühmte
Emir Abdel Kader begab ſich von dort nach Damaskus, wo er noch
gegenwärtig wohnt. Seinen Edelmuth bewies er gelegentlich der
Chriſtenmetzelei zu Damaskus im Jahre 1860, wo er vielen in ſein
Haus flüchtenden Chriſten ein ſicheres Aſyl gewährte. Im Jahre 1862
hat er eine Wallfahrt nach Mecca unternommen.
Zu Zeite 182.
7.) Der alte Emir Haidar, der uns in ſeinem Palaſte ſo
freundlich bewirthete, iſt ſeitdem geſtorben.
Zu Seite 193.
8.) Ueber die kleinen Miſſionäre von Zahleh, welche
der opfermuthige und ſeeleneifrige P. Riccadonna ins Leben rief,
berichtet dieſer ſelbſt unter Anderm Folgendes: Am Sonntage, zwei
Stunden vor Sonnenaufgang, wurde in der Kirche die heilige Meſſe
geleſen. Alle Miſſionäre wohnten derſelben bei und empfingen gewöhn-
lich die heilige Kommunion. Nach der Meſſe ſchloß ſich Jeder, mit
Proviſion verſehen, ſeiner Abtheilung an, dann ging's vorwärts nach
dem gewohnten Dorfe. – Unmittelbar vor dem Eintritt in das ihr
bezeichnete Dorf warf ſich die Schaar auf die Kniee und betete mit
lauter Stimme ein Vater unſer und ein Gegrüßet ſeiſt du Maria, zu
Ehren des h. Ignazius und des h. Franziskus 3Taverius, des Apoſtels
von Indien, um für die Miſſion Erfolg zu erbitten. Nachdem dieß
geſchehen war, gingen die jungen Miſſionäre zu allen Häuſern und
luden die Dorfbewohner ein, ſogleich zum Katechismus zu kommen.
Gewöhnlich ſtießen ſie auf kein großes Widerſtreben. Meiſtens beeilte
man ſich, ihrer Einladung nachzukommen, und nach einigen Minuten
war der Ort der Verſammlung mit Leuten gefüllt. Dieſer Ort war
3
die Kirche, wenn eine vorhanden war, oder ein großes Zimmer, oder
noch öfter ein von einigen Bäumen beſchattetes Grundſtück. Von Zeit
zu Zeit nahm man zugleich alle dieſe Orte in Anſpruch, wegen der vier
verſchiedenen ſcharf getrennten Gruppen, welche man in dem Dorfe
bildete. – Die bei den Männern und Frauen befolgte Methode war
ganz verſchieden. Bei ihnen fing man damit an, ihnen die Erklärung
des Ablaſſes von ſieben Jahren und ſieben Quadragenen zu machen,
der Denjenigen bewilligt iſt, welche dem Katechismus beiwohnen. Un-
mittelbar nachher entwickelte man mit der möglichſten Wärme den
Lehrpunkt, der von dem Direktor bezeichnet worden war. Gewöhnlich
hörte man unſeren Miſſionären beiderlei Geſchlechtes mit Begeiſterung
zu. Selbſt die Pfarrer glaubten ſich nicht zu erniedrigen, wenn ſie
ihnen ein aufmerkſames Ohr liehen, Viele betrachteten ſie als ihnen
überlegen an Talent und Wiſſenſchaft. Man ging ſo weit, zu ſagen,
daß einige unſerer Prediger mit der Sicherheit, der Autorität und der
Wiſſenſchaft eines Biſchofes predigten. In Europa würde man nicht ſo
begeiſtert geweſen ſein, aber der Libanon iſt ein Land voll Einfachheit
und Unwiſſenheit. Sobald ein Menſch etwas Wiſſen zeigt, gilt er für
ein Wunder. Dieſe allgemeine Achtung verſchaffte unſeren Miſſionären
den Vortheil, viel Gutes wirken zu können. Sie wurden wie ein Ora-
kel befragt. Ihre Entſcheidung wurde mit Achtung angenommen; man
hörte demüthig ihr Urtheil an und ſuchte ihre Rathſchläge zu befolgen.
– Etwa ein und eine halbe Stunde wurde mit dem Katechismus zu-
gebracht. Man ſchloß mit einer kleinen Geſchichte, die mit dem behan-
delten Gegenſtande in Verbindung ſtand. Dann ermahnte der Miſſio-
när für die Geneſung und Beſſerung der Kranken zu beten. Auch wurden
die hohen Feſttage, ſowie die Feſttage der Woche bekannt gemacht, und
wenn irgend ein Ablaß zu gewinnen war, ſo wurde derſelbe erklärt.
Die Anzeige der Feſttage beſtimmte ſie oft ſich den heiligen Sakramen-
ten zu nahen. Mit einem Worte, unſere Miſſionäre legten inmitten des
Volkes einen Funken nieder, der fähig war, alle Herzen zu entzünden.
– Nachdem alle Erklärungen gemacht waren, gab der erſte Miſſionär
das Zeichen zum Gebet. Endlich folgte der Beſuch bei den Kranken. Die
armen Leidenden empfingen dieſen Beweis der Liebe wie einen Segen
und verfehlten nicht, ihre Freude darüber auszuſprechen. –Nach gehaltener
Miſſion geſchah der Rückweg auf ähnliche Weiſe wie der Hinweg. Man
ſammelte ſich nochmals in der Kirche, um das Allerheiligſte anzubeten,
und die Freude der jungen Miſſionäre war ähnlich jener Freude der
Apoſtel, wenn ſie nach ihren Miſſionen zu dem Herrn zurückkehrten.
So war die fromme und wohlthätige Rolle beſchaffen, welche die klei-
nen Miſſionäre jeden Sonntag erfüllten. – Pater Riccadonna ver-
ſichert, daß ſie die reichſte Ernte zu Folge hatte.
Zu Zeite 195.
9.) In neueſter Zeit iſt eine Fahrſtraße von Beirut nach Da-
maskus angelegt worden, ſo daß alſo eine Reiſe im Libanon nicht
mehr ſo beſchwerlich und halsbrecheriſch ſein dürfte, wie die in dem
X. Pilgerbrief geſchilderte.
1 :
Zu Seite 203.
10.) Man hat ſich viel von der Civiliſation und den Reformen
in der Türkei, insbeſondere von dem Hat-Humayoun, der den Chri-
ſten die Freiheit bewilligte, verſprochen und gemeint, die Türken
werden, nachdem ſie in die große europäiſche Familie zugelaſſen ſind,
ihre Barbarei ablegen. Wie gewaltig dieſe Täuſchung war, beweiſet
das grauſame Hinſchlachten der Chriſten in Syrien im Jahre
1860. Klöſter wurden geplündert, Mönche erwürgt, Acte wilder Bar-
barei an Gott geweihten Jungfrauen ausgeübt, weder Weiber noch
Kinder wurden verſchont. Die Stadt Zahleh im Libanon, ſo herrlich
aufblühend, wurde faſt vollkommen zerſtört; die muſelmänniſchen Be-
hörden in Damaskus ſahen der Chriſtenmetzelei zu, ja die türkiſchen Sol-
daten – ſtatt zu beſchützen – vergrößerten die Reihen der blutdür.
ſtigen Mörder. Man muß es Frankreich zum Lobe nachſagen, daß be-
ſonders ſeinem ſchnellen und energiſchen Einſchreiten die Rettung der
decimirten Chriſten Syriens vor dem Mordſtahl der fanatiſirten
Druſen und Türken zu danken iſt. – Nicht durch künſtliche und erheu-
chelte Reformen, ſondern nur durch die Wahrheit, d. i. das Chriſten-
thum, wird man den Orient regeneriren. Eine Stimme vom Libanon
(Hiſtor. polit. Blätt. 1860 S. 340) nennt die europäiſche Diplomatie
Urheber dieſes entſetzlichen Unglückes, weil ſie die türkiſche Wirthſchaft
ſeit 1840 durch bewaffnetes Einſchreiten garantirte und die Chriſten
der Willkür der Türken überantwortete. -
Zu Seite 221.
11.) Prof. Petermann veröffentlichte ſeine Reiſen im
Orient“. (Leipzig, Veit u. Comp. 1860). Das Hauptaugenmerk richtet
er darin auf die Sitten und Gebräuche der verſchiedenen Bevölkerun-
gen, die er antraf, und insbeſondere auf die religiöſen Secten der
Samaritaner und Druſen. Unter letzteren, behauptet er, herrſche viel
phantaſtiſcher Aberglaube, was man aber von dem Kalbe ſage, das ſie
anbeten ſollen 2c., ſei alles Verleumdung.
Zu Seite 223. -
12.) Der Laienbruder aus Böhmen hieß im Kloſter Fra Gio-
vanni, in der Welt Joſeph Zwittlinger. Er wurde ſpäter in ein Car-
melitenkloſter nach Rom verſetzt. - -
Zu Zeite 233. -
13.) Seit jener Zeit hat ſich Vieles zum Beſſeren gewen-
det. Zu Nazareth wurde über der ſogenannten Menſa Chriſti
(Abendmahltiſch) ſtatt der baufällig gewordenen Kapelle eine neue
gebaut mit Kuppel und Thürmchen. Auch die Joſephikapelle da:
ſelbſt iſt mit einem neuen Altar aus weißem Marmor verſehen worden.
Die zwei neuen Altargemälde, den zimmernden h. Joſeph vorſtellend,
ſtammen aus Wien. (Aus einem Briefe aus dem h. Lande vom 26.
Juni 1862 an Dr. Sepp in München, in der Sion, Dezember-
heft 1862). -
Zu Zeite 235.
14.) Im Beginne des Jahres 1855 gründeten vier Frauen
aus der Geſellſchaft von Nazareth, deren Mutterhaus ſich zu Lyon
O
befindet, zu Nazareth eine Schule und widmen ſich der Kranken-
pflege, wie es die barmherzigen Schweſtern und die Schweſtern vom
h. Joſeph in andern Städten thun. Dieſe Frauenorden haben über-
haupt in wenigen Jahren im Oriente feſten Fuß gefaßt. Vielleicht
erobert der heilige Kreuzzug von Frauen dieſe Länder ſicherer und
für eine längere Dauer, als es Armeen zu thun vermögen. Ueber
100 Mädchen, auch türkiſche, griechiſche und proteſtantiſche, beſuchen
die Schule. (Vgl. Mislin, die heiligen Orte. III. B. S. 445.)
Zu Seite 239.
15.) Das Niveau des galiläiſchen Meeres iſt um 700 Fuß
niedriger als das des mittelländiſchen Meeres, daher auch die Tempe-
ratur eine ſehr hohe; Melonen reifen hier einen Monat früher als zu
Damaskus. Die vulkaniſche Entſtehung dieſes Meeres unterliegt kei-
nem Zweifel; die kraterartige Form des Beckens, das Vorkommen von
Thermen und vulkaniſchen Felsblöcken an deſſen Einfaſſung, die häu-
figen Erdbeben ſind poſitive Anzeichen nicht nur der gewaltigen Kata-
ſtrophen, welche einſt an dieſer Stelle ſich ereigneten, ſondern auch
von dem Fortdauern dieſer vulkaniſchen Thätigkeit. Aber welch ein
auffallender Contraſt zwiſchen deſ beiden Meeren des Jordanthales!
Hier im galiläiſchen das ſüße und belebende Waſſer von Geneſareth,
wimmelnd von Fiſchen aller Art, dort im todten Meere das ſalzige
und der Bitterkeit volle Waſſer, das nichts Lebendes in ſich ſchließt;
hier ein Meer des Segens, dort ein Meer des Fluches! (Vgl. Mislin,
die heiligen Orte, III. B. S. 478).
Bu Seite 241.
16.) In der Generalverſammlung der katholiſchen Vereine
Deutſchlands zu München (1861) wurde die Gründung eines aus-
ſchließlich deutſchen Franziskanerkloſters zu Tiberias beantragt. Die
Deutſchen haben eine beſondere Berechtigung zur Vertretung des deut-
ſchen Elementes ſchon durch die reichlichen Gaben, die aus deutſchen
Staaten dem heiligen Lande zukommen; Oeſterreich hat ſie noch ins-
beſondere durch die Gründung eines eigenen Pilgerhauſes in Jeruſa-
lem, wie durch die Wiederherſtellung des Generalcommiſſariates für
das heilige Land. (Vgl. Hiſt. pol. Blätt. 49. B. S. 120 ff.). Durch
Verwendnng des Dr. Sepp erhielt das Kirchlein zu Tiberias 7 alt-
deutſche Gemälde, und wurde das Hospiz um zehn Zimmer vermehrt.
(Brief aus Nazareth, an Dr. Sepp Sion 1862, Dezemberheft).
Zu Seite 242.
17.) Nach der Meinung anderer Schriftſteller ſoll jene Stadt
auf dem Berge nicht Bethulia ſondern Safed ſein, welches bei den
Juden, die dort von jeher zahlreich waren, als eine heilige Stadt gilt.
(Vgl. Mislin, die heiligen Orte. III. B. S. 496).
Zu Seite 252.
18.) In Ramleh kreuzt der Pilgerpfad die Sultansſtraſſe,
die von Aegypten her durch die Küſtenebene, und ſo fort durch Sama-
ria am Thabor vorüber nach Geneſareth, dann über die Jakobsbrücke
gegen Damaskus zieht. (Sepp, Pilgerbuch, I. Lief. S. 31.) – Engli-
ſche Ingenieure inſpizirten an Ort und Stelle die Strecke von Jaffa
6
nach Ramleh und Jeruſalem zum Behufe des Baues einer Eiſenbahn
vom Meere bis zur heiligen Stadt. Aber es blieb vorderhand beim
Projecte.
Zu Zeite 254.
19.) Nach Dr. Sepp (Pilgerbuch I. 33) wäre die Templer-
kirche der vierzig Martyrer zu Ramleh eine alte Moſchee geweſen,
worin die Gebeine der 40 Gefährten Muhameds ruhen ſollen, ſo daß
die Chriſten die Moſchee der 40 Gefährten des Propheten auf den Na-
men der 40 Martyrer umgetauft hätten. Möglich iſt dieß ebenſo, wie
die Verwandlung der Johanneskirchen von Seite der Moslemin in
Moſcheen.
Zu Seite 256.
20.) Auch Dr. Sepp (Pilgerbuch, I. Lief., S. 46) nennt den
maſſiven Tempel mit drei Schiffen und mächtigen Streben an der ſoge-
nannten Jeremiasquelle (Kiriath Jearim) einen romaniſchen Bau,
wie er im 11. und 12. Jahrhundert ſich entwickelte; er iſt ähnlich der
Abteikirche St. Anna in Jeruſalem, übertrifft aber dieſe letztere an Um-
fang und Anſehen. Der Spitzbogen kam an dieſen Bauwerken früher
in Anwendung, als im Abendlande. Wie alle Kreuzrittertempel, ſo
hatte auch dieſer eine dreifache Apſis. Die beiden Orden der Ciſter-
zienſer (der h. Bernard ſchrieb auch dem Tempelorden die Regel vor)
und Prämonſtratenſer haben während der Kreuzesherrſchaft die meiſten
Kirchen in Paläſtina und Syrien gebaut. – In der Nähe von Abu-
goſch (bei dem einſtigen Colonié, vgl. Sepp, Pilgerbuch S. 53) iſt auch
das neuteſtamentliche Em aus zu ſuchen, das 60 Stadien (dritthalb
Stunden Weges) von Jeruſalem entfernt lag. Den neueſten Nachrichten
zufolge wird daſelbſt ein neues Hoſpiz ſammt Kirche auf Unkoſten einer
frommen Dame aus Frankreich (Marquiſe v. Nicolay), die drei Jahre
im heiligen Lande zubrachte, erbaut.
Zu Seite 258.
21.) In neueſter Zeit kaufte der reiche Jude Montefiore vor
dem Jaffathore Grund und Boden für ſeine Glaubensgenoſſen an,
und jetzt erhebt ſich da eine ſtaatliche Synagoge. Zugleich beſteht nun
eine Kaffeſchenke nächſt dem Thore. (Sepp, Pilgerbuch, S. 427).
Zu Zeite 259. -
22.) Das alte Pilgerhaus in Jeruſalem, deſſen Name: casa
nova (neues Haus) jetzt durch das „Neue“ Lügen geſtraft wird, iſt ein
ziemlich geräumiges Gebäude; es befindet ſich in der Nähe des S. Sal-
vator-Kloſters und ſteht unter der Aufſicht und Leitung der PP. Fran-
ziskaner. Wir geben im Nachfolgenden die Statuten, nach welchen ſich
jeder Pilger, der darin Aufnahme finden will, richten muß: §. 1. Jeder
Fremde, wenn er Katholik iſt, hat ſich in ein oder zwei Tagen nach
ſeiner Ankunft bei dem ſeiner Sprache kundigen Poenitentiär (Beicht-
vater) zu melden, von dem er belehrende Anweiſung erhalten wird, die
h. Orte mit geiſtlichem Nutzen zu beſuchen. §. 2. Die Gaſtfreundſchaft
wird europäiſchen Pilgern bis zu einem Monate gewährt. Während
dieſer Zeit können ſie in Betlehem und S. Johann drei Tage, im h.
Grabe aber blos. Einen Tag verweilen. Der Tiſch iſt überall jener der
7
Religioſen. §. 3. Um in Bethlehem, S. Johann und h. Grabe aufge.
nommen zu werden, muß ſich jeder Pilger mit einem Billet aus der
Secretariats-Kanzlei des h. Landes, die ſich im Kloſter S. Salvator
befindet und welche, Feſttage ausgenommen, immer von 8–11 Uhr
Morgens und von 2/2–5 Uhr Nachmittags offen iſt, verſehen. §. 4.
Hat jeder aufgenommene Pilger, wie es die gute Ordnung fordert,
ſich allſogleich beim Conſulate ſeiner Nation zu melden, dort ſeine
Papiere vorzuzeigen und von ſelbem einen Aufenthaltsſchein, in wel-
chem Stand, Handwerk und Religion angemerkt iſt, zu löſen. Ohne
dieſen würde er weder von ſeinem Conſulate im Falle einer Noth
Schutz noch Obdach im Pilgerhauſe erhalten. § 5. Vorausgeſetzt, daß
jeder Pilger nur darum hieherkommt, um die heil. Orte unſerer Er-
löſung zu verehren, ſo wird erwartet, daß er ſich ehrbar und fromm
betrage, Alles vermeide, was ſeinem heiligen Zwecke zuwider und
ſeiner Umgebung zum Aergerniß wäre. §.6. Soll der Pilger / Stunde
nach Sonnenuntergang zu Hauſe ſein. Hat er jedoch aus wichtigen
Gründen draußen länger zu verweilen, ſo iſt der Aufſeher des Hauſes
davon zu benachrichtigen. § 7. Jeder Pilger, welcher es wünſcht, er-
hält vor ſeiner Abreiſe, wenn er den Obliegenheiten ſeiner Pilgerfahrtge-
nügt, (die Katholiken nach beigebrachten Beichtzettel) in der Kanzlei des
h. Landes ein Zeugniß über den andächtigen Beſuch der h. Orte. Dieſes
hat er ſich ſelbſt abzuholen, um dabei ſeinen Namen, Zunamen, ſein
Vaterland, den Tag ſeiner Ankunft und Abreiſe genau angeben zu
können. §. 8. Jene Fremden, welche nach kürzerer Zeit und nach ge-
machten Erfahrungen ſelten aus Frömmigkeit hieher zurückkehren,
werden nicht aufgenommen.
Zu Seite 260.
23.) Die Pilger ſind eine Laſt und nicht ein Nutzen für das
Kloſter; denn die meiſten lateiniſchen Pilger ſind arm, und die reichen
bezahlen – in der Furcht, ihre Reiſebörſe zu erſchöpfen, meiſtens nur,
was ſie ſchuldig ſind. Die Mönche nehmen an, was ihnen angeboten
wird, und machen nie Forderungen. – Das Zuſtrömen der Pilger
nimmt aber mit jedem Jahre in Folge des erleichterten Verkehres zu.
Zu Oſtern 1858 befanden ſich im lateiniſchen Salvatorkloſter 440
Pilger; im Jahre 1859 waren noch mehr, ſo daß man ſagte, ſeit den
Kreuzzügen habe es nicht ſo viele katholiſche Pilger in Jeruſalem ge-
geben. In dieſem Pilgerhauſe gab es im Winter 1861–62 Pilger
aus allen Ländern und Nationen: Italiener, Franzoſen, Engländer,
Spanier, Amerikaner, Deutſche, Slaven u. ſ. w. Die Verpfle-
gung der Pilger zu Jeruſalem und in den Pilgerhäuſern der übrigen
Klöſter des h. Landes (Bethlehem, St. Johann, Nazareth u. ſ. w.)
koſtet ſehr viel. So wurden z. B. im I. 1861 bei 8800 Pilger durch
32.269 Tage beherbergt und verköſtiget, und dieß machte eine Ausgabe
von 332.690 türkiſche Piaſter oder 32.267 fl. 20 kr. C. M. Auf die
Verköſtigung eines Pilgers rechnet man durchſchnittlich per Tag 6 Pia-
ſter oder 36 kr. C. M. (gewiß keine zu große Summe) und er bekommt
zum Frühſtück: ſchwarzen Kaffee und Brod; zu Mittag: Suppe, zwei
Fleiſchſpeiſen, Brod und Wein; Abends: Suppe, eine Fleiſchſpeiſe,
8
Brod und Wein. – Obwohl die PP. Franziskaner für die Erhaltung und
Verpflegung der Pilger Alles thun, was nur in ihren Kräften ſteht, ſo
ernten ſie dennoch hiefür oftmals den Lohn dieſer Welt – den Un-
dank. Beſonders ſind die franzöſiſchen Pilger in Jeruſalem gefürchtet.
Wenn es heißt: „Die franzöſiſche Karavane wird ankommen“, dann
ſagt der ganze Franziskaner-Convent mit dem Pſalmiſten: „Furcht
und Zittern iſt gekommen über mich“. (Pſ. 154.) Weil Frankreich die
Schutzmacht des h. Landes iſt, ſo meinen die franzöſiſchen Pilger, daß
auch ſie die Herren des Pilgerhauſes ſind und daß ihnen Alles gehor-
chen müſſe. Haben doch die Franzoſen oftmals ſonderbare Einfälle!
Im Jahre 1859 kam die franzöſiſche Karavane nach Jeruſalem; ſie
zählte ungefähr ſechzig Pilger. Alle waren, ſo wie Soldaten desſelben
Regiments, gleich gekleidet: gleiche Hüte, Röcke, Mäntel, hohe Stiefel
mit Sporen, und waren vom Kopf bis zum Fuß mit Revolvers, Flinten
und Piſtolen bewaffnet. So gekleidet und bewaffnet hielten ſie wie
wahre Goliaths ihren Einzug in den Kloſterhof S. Salvator und dann
zur h. Grabkirche. Selbſt die Türken nahmen Aergerniß daran und
ſprachen, daß ſich dieß nicht ſchicke; deßhalb erlaubten ſie den ſo Be-
waffneten nicht in die h. Grabkirche einzutreten; die Franken mußten
vorerſt die Waffen ablegen. Auch Abbé Mislin bemerkt in ſeinen An-
merkungen zum II. B. S. 674: „Selten traf ich einen einer andern
Nation angehörigen Pilger, welcher nicht von den Prätenſionen der
franzöſiſchen Agenten und Reiſenden verletzt, aus Paläſtina zurückge-
kommen iſt“. Leider kommen nach Jeruſalem nicht ſelten auch deutſche
Pilger, die den Poenitentiären ihr ohnehin ſchweres Amt noch mehr
erſchweren, und die deutſchen und ſlaviſchen Prieſter Franziskaner-
Ordens dürften ſich nicht unglücklich fühlen, wenn ihnen künftighin
dieſe Bürde abgenommen oder wenigſtens erleichtert wird. (Oeſterr.
Volksf. 1862. Nr. 269).
Zu Seite 261.
24.) Der Cuſtos des h. Landes P. Bernardino di Mon-
tefranco, ein beſcheidener, frommer, freundlicher und unterrichteter
Iünger des h. Franziscus, wurde in der allgemeinen Ordensver-
ſammlung im Jahre 1855 zum Ordensgeneral ernannt. Als ſolchen
beſuchte ich ihn öfter im Kloſter Ara Coeli zu Rom.
Zu Seite 262.
25.) Die Errichtung der Conſulate in Jeruſalem datirt erſt
aus neuerer Zeit. Der erſte Conſul war der engliſche, der 1839 einzog.
Ihm folgte 1843 ein preußiſcher. In demſelben Jahre ſtellte ſich auch
ein ſardiniſcher Conſul ein, ſowie ein franzöſiſcher. Später rückte ein
ſpaniſcher, dann ein amerikaniſcher ein, hierauf im März 1849 ein
öſterreichiſcher, endlich zehn Jahre nachher ein ruſſiſcher. Bis zum
Jahre 1855 duldeten die Türken nicht, daß die Conſulate ihre Flagge
entfalteten. Die Feier des Falls von Sebaſtopol gab Veranlaſſung,
dies zum erſten Male zu thun, und jetzt wehen die Fahnen der ver-
ſchiedenen Nationen, von Kronen überragt, auf ihren hohen Maſten
jeden Sonntag und bei allen ſonſtigen Feierlichkeiten. (Buſch, Wallfahrt
nach Jeruſalem, II. B. S. 59). Das öſterreichiſche Conſulat wurde im
9
Jahre 1856 zu einem Generalconſulat erhoben. – Der brave Gene-
ralconſul von Pizzamano genoß dieſe wohlverdiente Auszeichnung
nicht lange, denn er ſtarb bald darnach.
Zu Zeite 266.
26.) Die neueſte Unterſuchung der Kuppel der heil. Grab-
kirche hat ergeben, daß ſämmtliches Holzwerk verfault iſt und daß der
erſte beſte Windſtoß von einiger Stärke die Kuppel auf das heilige
Grab und die ſtets zahlreich um dasſelbe verſammelten Pilger hinun-
terwerfen kann. Rußland und Frankreich haben ſich in neueſter Zeit
vereinigt, die Kuppel herzuſtellen. Die beiden Architekten (ein franzö-
ſiſcher und ein ruſſiſcher) haben deshalb den Vorſchlag gemacht, vor
allen Dingen und in kürzeſter Zeit in der Rotunde ſelbſt ein Schutzdach
zu erbauen. Unter allen Umſtänden muß die große Kuppel neu aufge-
baut werden, und es handelt ſich jetzt nur noch um das Recht und die
Ehre, dieſe Arbeit auszuführen. Die neue Kuppel ſoll aus Bronce be-
ſtehen und der ruſſiſche Architekt Eppinger hofft dieſe Arbeit ſchon für
nächſte Weihnachten beendigen zu können. (Le Monde).
Zu Seite 268.
27.) Von eigenthümlicher Beſchaffenheit ſind allerdings die
gegenwärtigen Verhältniſſe des lateiniſchen Patriarchates zu Ie-
ruſalem; ohne Suffragan-Bisthümer, ohne Kapitel, ohne Dotation,
ohne eigene Kathedrale. Von größerem Anſehen würde vielleicht wohl
die Stellung des Patriarchen geweſen ſein, wenn der Inhaber dieſes
Amtes dem Orden des h. Franziskus angehörte, wie dieß auch anfangs
im Plane des heiligen Stuhles lag. Eine Vereinigung der Juris-
diction über die Ordensgenoſſen mit der des Hirtenamtes über alle
Gläubigen erſcheint für die Verhältniſſe des heiligen Landes als das
angemeſſenſte Mittel, um die Zunahme der katholiſchen Kirche zu be-
fördern, denn der eigentliche kirchliche Schwerpunkt ruht doch ſchon
ſeit Jahrhunderten in der Wirkſamkeit der Cuſtodie, die nur von einem
Ordensgenoſſen geleitet werden kann. (Hiſtor. polit. Blätter. Jahrg.
1858. Der Sitz von Jeruſalem, S. 376).
Zu Seite 285.
- 28.) Der Jordan iſt der einzige Fluß in Paläſtina. Er hat
im Antilibanon ſeinen Urſprung; die ganze Länge ſeines Laufes be-
trägt ungefähr 21 deutſche Meilen. Bei dem Austritt aus dem See
Tiberias iſt er ſehr breit, jedoch nicht tief; er wird aber ſchmäler und
wirft ſich endlich nach vielen Krümmungen in das todte Meer. Sein
Geſammtfall von der Quelle bis zur Mündung beträgt 2141 Fuß.
Der Jordan iſt nicht ſchiffbar. Im Jahre 1848 unternahm der ameri-
kaniſche Lieutenant Lynch auf Koſten (250,000 Francs) der vereinigten
Staaten eine wiſſenſchaftliche Expedition auf zwei Barken mit unge-
fähr 40 Perſonen vom See Tiberias den Fluß Jordan entlang bis ins
todte Meer hinab. Sie fuhren über 27 fürchterliche Stromſchnellen
hinweg; mehrmals ſtießen ſie an Felſen und die kupferne Barke
wurde ſehr ſtark beſchädigt. Die Annäherung des todten Meeres kün-
dete ſich durch einen widrigen Geruch an; auch litt das Schiff durch die
ätzende Kraft des todten Meeres. Man hatte Lynch den Vorſchlag ge-
10
macht, dieſe zwei Barken am Ufer des todten Meeres für den Dienſt
der Reiſenden, unter der Obhut eines mächtigen Scheiks zurück zu
laſſen; er zog es jedoch vor, ſie als Andenken an ſeine Expedition mit
nach Hauſe zu nehmen. (Mislin, die heiligen Orte, III. 198 ff).
Zu Seite 288.
29.) Das todte Meer heißt auch das Salzmeer, das Meer
der Wüſte, Aſphaltſee, verfluchtes Meer, Meer des Teufels, Loth's
See, ſtinkendes Meer. Den großen Salzgehalt des.todten Meeres
ſchreibt man der Nähe der aus großen Salzblöcken beſtehenden Ge-
birge, der ungeheuer tiefen Lage dieſes Meeres und der hohen Tem-
peratur der Luft und des Bodens zu. Dieſe außerordentliche Salzigkeit
ſcheint auch die Haupturſache des Mangels lebender Weſen in dieſem
Waſſer zu ſein, welcher Umſtand ihm den treffenden Namen todtes
Meer verſchafft hat. Manche Reiſende behaupten wohl Fiſche im Waſ-
ſer und Vögel über dem Waſſerſpiegel geſehen zu haben, was ihnen
niemand beſtreitet; denn es iſt nachgewieſen, daß dieſe Fiſche aus dem
Jordan und den Seitenbächen in dieſes Meer kommen, wo ſie zu Grunde
gehen und dann wieder ausgeworfen werden; auch iſt es leicht mög-
lich, daß von den nahen Gebüſchen des Jordan, welche eine große
Menge Vögel beherbergen, ſolche bisweilen auch bis ans todte Meer
kommen, an deſſen Strande ſie eine Menge Inſekten finden. Das ändert
nichts an der Phyſiognomie des Todes, die rings um dieſen See
herrſcht. – Die Hypotheſe einer unterirdiſchen Communication mit
dem rothen Meere hat man in neuerer Zeit aufgegeben, weil man
aus der Berechnung der Oberfläche dieſes Meeres und der Tempera-
tur der Luft zu dem Reſultate kam, daß die Verdünſtung und die Maſſe
des zufließenden Waſſers einander das Gleichgewicht halten. – Ueber
die Entſtehung des todten Meeres hat man verſchiedene Theorien auf,
geſtellt. Nach der einen iſt der Keſſel des todten Meeres der Krater
eines ausgebrannten Vulkanes, nach der andern iſt derſelbe ein Theil
der Erdrinde, welcher entweder eingeſunken, oder noch nicht über das
Niveau der Meere emporgehoben worden iſt; noch andere halten ihn
für ehemaligen Meeresgrund. Indeß muß auch jetzt nach den genaue-
ſten Unterſuchungen die gelehrte Welt die Angaben der Bibel über die
Ereigniſſe von Sodoma und Gomorrha als ſehr wahrſcheinlich aner-
kennen. – Ein Pariſer Orientaliſt de Sau 1 cy glaubte im Jahre
1850 beträchtliche Ruinen der verwüſteten Städte Sodoma und Go-
morrha, am ſüdlichen Ende des todten Meeres, entdeckt zu haben; in-
deß da nach dem klaren Wortlaut der Bibel die verfluchten Städte
nicht im Waſſer verſunken ſind, ſondern durch Schwefel und Feuer
vom Himmel herab zerſtört wurden (Geneſis 19, 24): ſo müſſen jene
Ruinen von ſpäteren an jener Stelle oder in der Nachbarſchaft erbau-
ten Städten herrühren. – Dr. Roth, Profeſſor der Naturgeſchichte
in München, ward vom Könige in Baiern in dieſe Gegenden geſchickt
und durchforſchte Paläſtina anderthalb Jahre. Unglücklicher Weiſe er-
eilte aber den berühmten Reiſenden ein frühzeitiger Tod, und er ſtarb
am Fieber am 26. Juni 1858. – Alle Reſultate der neueſten Forſchun-
gen über das todte Meer findet man ſehr gut zuſammengeſtellt in
11
Mislin's heiligen Orten (III. Band, 37. Kapitel, S. 226–332). –
Unter den fünf ſeit dem Jahre 1835 bisher unternommenen größeren
wiſſenſchaftlichen Expeditionen zum todten Meere war die Lynch's die
glücklichſte und vollſtändigſte. Im Contraſte zu ſo manchen lachenden
Berichten gewiſſer Reiſender über das todte Meer, äußert ſich dieſer:
"Unverkennbar laſtet der Fluch Gottes über dieſem unreinen Meere.“
Er campirte einen ganzen Monat an demſelben.
Zu Seite 296.
30.) Am meiſten haben bezüglich der Paläſtina.literatur
in poſitiver wie negativer Richtung gearbeitet: der Amerikaner Robin-
ſon und der Schweizerdoktor Titus Tobler. Letzterer beſonders verwen-
det alle Thatkraft und Ausdauer darauf, die katholiſche Ueberlieferung
zu bekämpfen, und ſo leugnet er auch die Echtheit des h. Grabes.
Es verhält ſich aber mit ſeinen kritiſchen Forſchungen über die Topo-
graphie der h. Stadt, insbeſondere des h. Grabes, wie mit jenen der
proteſtantiſchen Bibelkritiker, die an dem heiligen Texte ſo lange mit
Applicirung des kritiſchen Apparates deuteten und kneteten, bis es zu-
letzt kein Verslein mehr gab, das in ſeiner Authenticität und Integri-
tät geblieben wäre. Tit. Tobler quetſcht und preßt den Text des Jo-
ſephus Flavius Nc. bis er ihn zum Brei der aufgeſtellten Lieblingshy-
potheſe verwenden kann, und auf dieſe weiche Baſis baut er dann
mit aller Gelehrſamkeit das neue Gebäude auf, und ruft , nachdem es
fertig geworden, mit Selbſtgefälligkeit der gelehrten und ungelehrten
Welt zu: Seht doch! »die proteſtantiſche Wiſſenſchaft hat in Decennien
mehr geſchaffen, als die katholiſche in einem halben Jahrhundert!"
Geſchaffen? nein, zerſtört! Gleichwie mit Weglaſſung der kirchli-
chen Tradition die Autorität des Canons der h. Schriften hinwegfällt,
ſomit Ignorirung der Tradition die Echtheit der heiligen Orte. Wer
aber die Tradition vernichtet, der ſchafft nicht, der zerſtört. (Siehe
meine literariſche Anzeige der Werke Tobler's in der Wiener-Zeitſchrift
für kathol. Theologie. Jahrg. 1854. S. 86–109). Die ältere Lite-
ratur über das heilige Land hat Titus Tobler in ſeiner Topographie
von Jeruſalem (S. XL – CXI) in einem reichhaltigen chronologiſch
geordneten Verzeichniß geſammelt. Freilich iſt die Kritik des einſeitigen
Verfaſſers ſchroff und nachſichtslos, indem er alle Werke, wo er nichts
für ſeinen Zweck Entſprechendes fand, unwirſch beſeitigte. Als Fürſt
im Gebiete der Kenntniſſe unter den Reiſenden Paläſtinas gilt ihm
Robinſon. – Die Literatur über den Orient, insbeſondere
über das h. Land, vermehrt ſich mit den Pilgern, die dahin ziehen.
Faſt jeder Pilger glaubt ſeine Erlebniſſe und Gefühle, dringenden
Anforderungen nachgebend, veröffentlichen zu müſſen. Guter Wille iſt
nie zu tadeln. Das iſt der moraliſche Werth aller Reiſebeſchreibungen
aus dem Orient, daß ſie auf friedlichem Wege beitragen, das Intereſſe
für das h. Land zu wecken, zu nähren und zu begeiſtern. Wie einſt des
feurigen Einſiedlers feuriges Wort die Gemüther zur Befreiung
des h. Landes entflammte, ſo kehren die jetzigen Pilger in ihre Hei-
math zurück, und rufen und mahnen und klagen, bis die europäiſchen
Fürſtenſichernſtlich entſchließen, das Angeſicht desh. Landes zu verjüngen.
12 -
Zu Zeite 297.
31.) Möchte doch in Bälde eine katholiſche Kraft ſich die Aufgabe
ſetzen an Ort und Stelle ein wiſſenſchaftliches Werk über das h. Land
und insbeſondere die heilige Stadt (mit Benützung und Berückſichti-
gung der zweifelsohne gelehrten Vorarbeiten vieler Proteſtanten) zu
bearbeiten. Keine Zeit fordert eine ſolche wiſſenſchaftliche Arbeit
dringender, und keine Zeit war dem Hervortreten derſelben ans Ta-
geslicht günſtiger, als die jetzige. Sollten junge ſtrebſame Männer
nicht bei Beſetzung der Kaplansſtellen im neu errichteten öſterreichi-
ſchen Hoſpiz darauf Bedacht nehmen? In zwei Jahren an Ort und
Stelle unter dem Schutze eines ſich dafür intereſſirenden Conſuls
ließe ſich viel zu Stande bringen. Aber es gehören auch umfaſſende
linguiſtiſche, geologiſche, hiſtoriſche und theologiſche Kenntniſſe dazu,
und eine männliche Unpartheilichkeit. Die Werke Mislin's: Die hei-
ligen Orte. (3 Bände. Wien 1860), und beſonders Sepp's: Jeruſalem
und das heilige Land, oder Pilgerbuch nach Paläſtina, Syrien und
Aegypten (Schaffhauſen 1862) ſind ein erfreulicher Anfang. – Auch
ein bequemes Handbuch für katholiſche Jeruſalemspilger, das populär,
kurz und gut disponirt gehalten iſt, fehlt noch. Die Proteſtanten be-
ſitzen ein in ſeiner Art vorzügliches ſchon in 2. Auflage, in dem Buche:
Jeruſalem. Von Dr. Philipp Wolff (Leipzig. Weber 1857.)
Zu Seite 300.
32.) Die römiſch-deutſchen Kaiſer führten den Titel König
von Jeruſalem ſeit Friedrich II., der eine Tochter des Königs Jo-
hann von Jeruſalem Namens Jolantha zur Gemahlin hatte. Mit dem
Aufhören des römiſch-deutſchen Kaiſers ging der hiſtoriſche Titel auf
den Kaiſer von Oeſterreich über.
- Zu Seite 300.
33.) Aus dem öſterreichiſchen Regentenhauſe kamen fol-
gende Perſonen nach Jeruſalem. Im Jahre 1400 reiste ein öſterreichi-
ſcher Herzog Albert IV. als einfacher Pilger nach Jeruſalem, um das
Grab unſeres Heilandes zu verehren. – Die fromme Markgräfin
Itha, Gattin Leopold des Schönen, war nicht ſo glücklich, ihre Pil-
gerfahrt vollenden zu können. Sie ſtarb auf der Reiſe. – Die öſterrei-
chiſchen Herzoge, die an den Kreuzzügen Theilgenommen hatten, ſind:
Leopold VI. und ſein Sohn Leopold VII. – In neueſter Zeit
unternahm eine Pilgerreiſe nach der h. Stadt der junge Erzherzog
Ferdinand Maximilian von Oeſterreich. Zum Andenken ließ der
fromme Prinz in der Kapelle der h. Helena einen Altar von Marmor
ſtatt des bisherigen hölzernen ſetzen. Dagegen bat er ſich die Kreuze,
Altartücher, Kerzen und Leuchter jener Heiligthümer, in denen er die
Meſſe gehört hatte, als koſtbare Andenken an's heilige Land aus, und
erſetzte dieſe Gegenſtände durch andere, die vom heiligen Vater zu Rom
geweiht worden waren, und die als Beweiſe ſeiner Frömmigkeit und
Mildthätigkeit in dieſen Heiligthümern bleiben werden. Jene Andenken
aus dem heiligen Lande aber ſchmücken jetzt ſeine Hauskapelle. (Mis.
lin, die heiligen Orte. II. B. S. 287).
13
Zu Seite 300.
34.) Seit der ſo ferne liegenden Epoche, wo die Fürſten und
Könige in großer Anzahl zu den heiligen Orten wallfahrteten, hat man
in Jeruſalem keinen Prinzen mehr geſehen, der, auf der nächſten
Stufe zum Throne ſtehend, mit ſeiner frommen Gemahlin dieſe weite
Pilgerreiſe unternommen hätte; Belgien hat zuerſt dieſes ſchöne Bei-
ſpiel den Fürſten unſerer Zeit gegeben. Der Herzog von Brabant und
ſeine Gemahlin Henriette, geb. Erzherzogin von Oeſterreich, beſuchten
das h. Land im Jahre 1856. – Prinzen regierender Häuſer, die in
den letzten dreißig Jahren die Wallfahrt nach Jeruſalem gemacht
haben, ſind: der Prinz von Joinville, Prinz Albert von Prenßen,
Herzog Maximilian in Baiern, die Prinzeſſin Marianne der Nieder-
lande, der oben genannte Herzog und Herzogin von Brabant, Erzher-
zog Ferdinand Maximilian von Oeſterreich, Prinz Alfred von England,
Großfürſt Conſtantin von Ruhland mit ſeiner Gattin und ſeinem älte-
ſten Sohne, der Graf von Paris und ſein Bruder der Graf von Chart-
res, der Graf von Chambord. (S. Mislin, der den belgiſchen Kron-
prinzen auf deſſen Reiſe begleitete, die heiligen Orte II. B. S. 325).
Zu Seite 307.
35.) Ein Graf Gasparin hat es für gut befunden, die Authen-
ticität mehrerer von der ganzen Welt verehrten Heiligthümer in
ſeinem franzöſiſch geſchriebenen Werke: „Ueber das Tiſchrücken“ (!)
anzugreifen. Eine gute Widerlegung bezüglich der Höhle der Geburt
Chriſti, (auch der Grotte der Verkündigung, des Berges Tabor und
des Oelberges) findet ſich unter der Aufſchrift Hagiologie in den hiſto-
riſch-politiſchen Blättern 1856 S. 274 ff. und 381 ff, auch zu finden
im Anhang zum III. Bande der heiligen Orte von Abt Mislin, S.
546–576, der ſomit als der Verfaſſer dieſes Aufſatzes erſcheint.
Zu Seite 315.
36.) Es iſt überhaupt nicht rathſam ſich ohne arabiſches Ge-
leite in Seitenthäler des heiligen Landes zu wagen. Die Fellahs zei-
gen ſich überall feindſelig gegen die Chriſten, und ſchießen ohne
beſonderen Scrupel auf dieſelben. So leſe ich eben in dem Tagebuch
wührend eines vierjährigen Aufenthalts im Süden und im Orient von
Frederike Bremer. (Aus dem Schwediſchen. Leipzig. Brockhaus. 1862).
Zu Seite 316. -
37.) Der getaufte Jude Meſchullam in den Gärten Salomon's
iſt jedoch (wie Sepp in ſeinem Pilgerbuch I. B. S. 479 behauptet)
gewiſſermaßen der paläſtiniſche Barnum; „ſeine Colonie gilt als Mu-
ſteranſtalt für weitere Niederlaſſungen im gelobten Lande. Er wird
euch erzählen, daß er jährlich fünf Aernten einheimſe, daß all die
Anlagen von Artas ſein Werk ſeien, daß die Beduinen ihn wie ihren
Fürſten verehren. All das iſt Humbug! Noch 1858 wurden Meſchul-
lams Baumgärten von den Beduinen geplündert.“
Zu Seite 319.
38.) Die Ruinen des Bogens Ecce Homo kamen glücklicher
Weiſe aus den Händen der Ungläubigen in den Beſitz der frommen
Ordensſchweſtern unſerer lieben Frau von Sion, welche dieſe Stelle
14
um die beträchtliche Summe von 68000 Franken kauften, und daſelbſt
ein Waiſenhaus für kleine Mädchen aus dem heiligen Lande errichte-
ten. Dieſes unter der Direktion zweier frommer und eifriger Miſſio-
näre, der Brüder Marie Theodor und Marie Alphons Ratisbonne,
ſtehende Inſtitut hat nicht blos einen Wohlthätigkeitszweck, ſondern
es trägt auch zur Verbreitung des Glaubens im Oriente bei, indem
es im Schisma, in der Häreſie oder in den Finſterniſſen der Ungläu-
bigkeit geborenen Kindern eine katholiſche Erziehung gibt. Bei den
Ausgrabungen, die gemacht werden mußten, um die Grundſteine des
neuen Gebäudes legen zu können, fand man unter anderm das Pfla-
ſter des alten Kreuzweges, deſſen Steinplatten mehr als ſechs Fuß
unter der heutigen Straſſe liegen. (Mislin, die heiligen Orte.
II. B. S. 499). -
Zu Seite 319.
39.) Das neue öſterreichiſche Pilgerhaus wurde zur Auf-
nahme deutſcher Pilger auf Oeſterreichs Koſten nach den Plänen des
Architecten Endlicher aus Wien gebaut, und im Jahre 1858 von
einem Prager Maurerpolier vollendet. Dr. J. F. Chemeliček
macht in einem Aufſatze „Pilgerhäuſer und Pilger in Jeruſalem“
(Volksfr. 1862 Nr. 268) folgende Schilderung davon: „Es iſt ein gro-
ßes, ſtattliches und bis jetzt unbeſtritten das ſchönſte Gebäude in Je-
ruſalem. Es ſteht in dem ſogenannten Tyropeon oder Käſemacher-
thale, d. h. jener thalartigen Vertiefung, welche ſich von dem Damas-
custhor durch die Stadt – vom Norden nach Süden – zieht und
zwiſchen den Hügeln Sion und Moria in's Joſaphat-Thal ausmündet.
Gleich in der Nähe des Pilgerhauſes befindet ſich jene denkwürdige
Stelle, wo Jeſus Chriſtus auf ſeinem Leidenswege zum erſtenmale
unter der ſchweren Laſt des Kreuzes fiel, und nur etliche 40 Schritte
davon jene Stelle, wo er ſeiner tiefbetrübten Mutter begegnete. Ge-
gen Oſten zu iſt nicht weit entfernt der denkwürdige Eccehomo-Bogen
und nur ein wenig weiter die Flagellations-Kapelle, gebaut auf der-
ſelben Stelle, wo einſt Pilatus den Heiland blutig geiſeln ließ. So
hat das ſchöne Pilgerhaus, das von außen mit ſeinem ſchönen Stufen-
aufgange einem Palaſte ähnlich ſieht, auch eine bibliſch denkwürdige
Lage. Der innere Bau desſelben iſt für Pilger, welche auch manche
Unbequemlichkeit im Geiſte der Buße gerne ertragen, faſt luxuriös.
Hohe, geräumige Säle und Zimmer, deren Einige ich ſchon mit Ele-
ganz und Comfort eingerichtet fand, eine große ſchöne Kapelle mit
einem Altar aus Marmor und einem Oratorium. – Alles dieſes be-
weist, daß man beim Baue dieſes Pilgerhauſes große Summen (man
ſagt 300.000 fl.) nicht ſcheute und auf gute Unterkunft und Bequem-
lichkeit der Pilger bedacht war. Während meiner Anweſenheit in Jeru-
ſalem war dieſes Pilgerhaus blos von dem k. k. öſterreichiſchen Conſul
Herrn A. L. Lenk von Wolfsberg und ſeinem Dienſtperſonale bewohnt.
Derſelbe wohnte bis jetzt an Sonn- und Feiertagen der h. Meſſe ge-
wöhnlich in der nahen Flagellations-Kapelle bei, und genießt, da
der Conſulats-Dragoman Herr Giacomo Pasquale ein nicht-unirter
Armenier, und die beiden Kavaſſen Türken ſind, das Indult, mit ſei
15
ner wenigen Dienerſchaft nicht nur der heiligen Meſſe in der Hauska-
pelle beizuwohnen, ſondern auch die h. Sakramente von den zukünfti-
gen weltprieſterlichen Hauscaplänen zu empfangen, denen die Seel-
ſorge der öſterreichiſchen Pilger obliegen wird. In Folge päpſtlichen
Indultes ſoll nämlich die Verwaltung des neuen öſterreichiſchen Pilger-
hauſes in Jeruſalem und die Seelſorge der darin beherbergten Pilger
Weltprieſtern, die der deutſchen, ſlaviſchen oder ungariſchen Sprache
mächtig ſind, übergeben werden.“ –Die Wahl der Stelle nennt Abbé
Mislin in mehr als einer Beziehung keine glückliche (heilige Orte,
II. B. S. 500). Moritz Buſch, ein preußiſcher Proteſtant, meint, bei
der Erbauung des öſterreichiſchen Hoſpizes ſei nicht blos die Abſicht
geweſen, den Franzoſen Schach zu bieten, ſondern auch das Streben,
dem preußiſchen Hoſpiz Concurrenz zu machen, leitender Gedanke ge-
weſen. (II. B. S. 66). – Mit Anfang des Jahres 1863 reisten die
zwei erſten Kapläne des öſterreichiſchen Pilgerhauſes an den Ort ihrer
Beſtimmung, nämlich Herr Eduard Kröll, Domcurat zu St. Pölten,
und Herr J. Nußbaumer, Cooperator in der Salzburger Erzdiöceſe.
Zu Seite 321.
40.) Auffallend ſind die vielen Marienkirchen in Jeruſalem.
Wie an die halbunterirdiſche Frauenkirche im ThaleJoſaphat, wo man
das Grab Mariens zeigt, ſich das Feſt der Himmelfahrt Mariä (as-
sumptio B. V.) knüpft, ſo hängt mit der Baſilika der h. Jungfrau
oder h. Akſa Mariä-Opferung, und mit der Kirche St. Anna die Em-
pfängniß und Geburt Mariens zuſammen. Letztere befindet ſich am
Thore des h. Stephan und gegenüber dem Teiche Bethesda. Einer alten
Ueberlieferung gemäß wohnten an dieſer Stelle Joachim und Anna,
und ſoll die heiligſte Jungfrau hier empfangen und geboren worden
ſein. Dem Bauſtyle nach zu ſchließen, ſcheinen die Ruinen der Kirche,
wie man ſie heute ſieht, nicht älter zu ſein als die Kreuzzüge. Im
Jahre 1856 hat ſie der türkiſche Sultan an Frankreich abgetreten, und
ohne Zweifel werden dieſe Gebäude, würdig hergeſtellt, bald eine
Zierde der heiligen Stadt werden.
Zu Zeite 322. -
41.) Was die Echtheit des im Felſen ausgeprägten Fußein-
druckes in der Himmelfahrtskirche auf dem Oelberge betrifft, ſo gibt
ſie Sepp (Pilgerbuch S. 622) auf, erkennt jedoch darin den wohl zu
rechtfertigenden Verſuch, die Ueberlieferung unabweichlich an die be-
ſtimmte Stelle zu fixiren. Damit die Tradition ja den Ort nicht wechsle,
hat man ſeit alter Zeit ſolche Merkzeichen eingegraben, was in dem
Kalkfelſen, den man ſtellenweiſe mit dem Fingernagel ritzen kann,
keiner Schwierigkeit unterlag.
Zu Seite 325.
42.) Aus der Grotte der Todesangſt wurde der Grund-
ſtein zur Votivkirche in Wien genommen, die den Namen „zum heiligen
Erlöſer“ führen wird.
Zu Zeite 330.
43.) Die Juden bilden den dritten Theil der Einwohnerſchaft
Jeruſalems; anderthalbtauſend davon ſind öſterreichiſche Schützlinge.
-
16
Die Mehrzahl der Einzelnen lebt in drückendſter Armuth. Die Ge-
ſammtſumme der alljährlich den Juden Jeruſalems zufließenden Unter-
ſtützungen ſoll mehr als 800000 Piaſter (circa 53000 preußiſche Tha-
ler) betragen. Alle Jahre gehen nach Europa und Nordafrika von
Jeruſalem Sendboten, um Almoſen zu ſammeln. Am meiſten ſcheinen
ſich die Juden auch hier zum Handel hingezogen zu fühlen, doch nicht
in dem Maße wie in Deutſchland. – Selten geſchieht es, daß jüdiſche
Pilger nach ihrer heiligen Stadt wallfahren, und ſie wieder verlaſſen;
die meiſten kommen, um hier zu ſterben. Eheliche Treue und Familien-
ſinn wird ihnen von Einigen nachgerühmt, doch kommen auch Doppel-
ehen unter ihnen vor. Die Türken und Araber verachten die Juden
aufs äußerſte; dagegen werden ſie von der engliſchen Miſſion geradezu
gehätſchelt. (Moritz Buſch, eine Wallfahrt nach Jeruſalem. Leipzig
1861. 2. B. S. 9 ff). – Im Juli 1855 kam der reiche Jude Sir Mo-
ſes Montefiore nach Jeruſalem und brachte bedeutende Geldmittel
mit, welche er zur Hebung der jüdiſchen Bevölkerung Paläſtina's ver-
wenden wollte, unter Anderm die Summe von 144000 fl., welche
ein Amerikaner zu Gunſten eines in Jeruſalem zu begründenden jüdi-
ſchen Spitals vermacht hatte. Montefiore wollte ſeine Stammesgenoſſen
zur Coloniſation des Landes ihrer Väter veranlaſſen, aber ſie ſträub-
ten ſich dagegen und verfluchten ihn als einen Unbarmherzigen und
Ungläubigen, weil er die Almoſen nicht baar vertheilte und ihnen eine
Arbeit im Schweiße des Angeſichtes zumuthete. Ein Jahr ſpäter ging
der jüdiſche Dichter L. A. Frankl im Auftrage der Frau Eliſe Herz
Lammel nach Jeruſalem, um eine religiös-wiſſenſchaftliche Unterrichts-
anſtalt dort zu begründen, für welche jene jüdiſche Dame eine Summe
geſtiftet hatte. Auch dagegen ſträubten ſich einige Juden, wie vor
einem hereinbrechenden Unglück. Indeß kam die Schule doch durch
türkiſch-öſterreichiſche Anregung und Aufmunterung zu Stande, und
wurde 1856 eingeweiht. -– Bekanntlich hat man auch an eine Wie-
derherſtellung eines ausſchließlichen Juden reiches in Paläſtina ge-
dacht, und eine neue Dynaſtie Rothſchild daſelbſt etabliren wollen.
Aber wenn das auch möglich wäre, ſagt Wolfgang Menzel in ſeinem
Literaturblatt 1857, Nr, 80, ſo würden die vermöge des auf ihrem
Stamme ruhenden Fluches nun einmal in der Welt zerſtreut Lebenden
von dem ſo bequem und üppig unter ihnen ausgeſtreckten Chriſtenleibe,
an dem ſie ſich als Blutegel dick und rund ſaugen, ſchwerlich wieder
auf den dürren Felſen ihrer Heimath zurückkehren wollen.
Zu Zeite 331.
44.) Nach den neueſten Berichten in den Miſſionsnotizen aus
dem heiligen Lande, welche das Wiener-Generalcommiſſariat alljähr-
lich in Druck legt, beſtehen 9 Klöſter in der Cuſtodie des heiligen
Landes: zwei zu Jeruſalem (St. Salvator und in der h. Grabeskirche),
ferner zu Bethlehem, St. Johann in der Wüſte, Nazareth, Larnaca
auf Cypern, Aleppo in Syrien, Alexandrien und Groß-Cairo in
Aegypten; dann 19 Hoſpitien, nämlich in Jaffa, Ramleh, Ptole-
mais, Tiberias, Damaskus, Sidon, Beirut, Hariſſa, zwei in Tripolis
in Syrien, Latakia, Nicoſia und Limaſol auf Cypern, Conſtantinopel,
17
und 5 in Aegypten. – Die Cuſtodie zählte 10 Pfarrſchulen mit 694
Schülern, 16 Pfarreien und 2 Expoſituren. Die Geſammtzahl der
lateiniſchen Chriſten betrug im Gebiete der Cuſtodie 12,122. In die
ſem Gebiete wirkten 163 Franziskaner, worunter 101 Prieſter und
62 Laienbrüder. In dem Zeitraum von 88 Jahren (1768–1856) hat
der Franziskanerorden 1799 Ordensprieſter zum Dienſte des
heiligen Landes abgeſandt. Von dieſer Anzahl ſind 1082 nach Been-
digung ihrer Miſſion in ihr Vaterland zurückgekehrt, 499 haben da-
ſelbſt ihr Leben gelaſſen, und Viele ſind noch bereit, das ihrige zum
Ruhme Gottes hinzugeben. Von erſteren kamen 117 durch die Peſt
um, 4 wurden von den Moslims, 6 von den Griechen erſchlagen, 5
gingen durch Schiffbruch,3 auf dem Meere während der Ueberfahrt
zu Grunde, 3 ſtarben am Ausſatze und 24 am Schlagfluſſe (Mislin,
die heiligen Orte, II. 371). – Die weitaus große Mehrzahl der Pil-
ger iſt mit der freundlichen und gutmüthigen Pflege von Seite der
Ordensbrüder in den verſchiedenen Hoſpizen zufrieden. Allerdings ſtel-
len (wie ſchon Note 23 beſprochen wurde)manche Pilger mitunter indis-
crete Anforderungen an die Patres Franziskaner. Zu dieſen gehört
auch der katholiſche Pfarrer J. Schiferle. Er beklagt ſich in ſeiner
„Zweiten Pilgerreiſe nach Jeruſalem und Rom“ (Augsburg, 1858),
daß die Proteſtanten und Rabbiner ihm während des ſechswöchentli-
chen Aufenthaltes in Jeruſalem mehr an die Hand gingen, als die
Patres im Kloſter. (11. Brief). – Aber wie kann man von einem
Franziskanerprieſter des heiligen Landes fordern, daß er einem jeden
Pilger, der es wünſcht – unter dem ſeichten Vorwande der Wiſſen-
ſchaftlichkeit – ein, zwei, drei, ſechs Wochen lang, täglich zur Seite
ſtehe, ihn auf ſeinen Ausflügen begleite und ſeine unerſchöpflichen
Fragen (Schiferle nennt ſich ſelbſt einen „Univerſalpilger“) beant-
worte? Da ſinkt der Prieſter zum Lohnbedienten herab. Die Patres
führen den fremden Pilger gerne auf deſſen Bitte zu den Sanctuarien,
und damit iſt ihre Pflicht gethan. – Die Aufſtellung eines deutſchen
Pilgerpaters für die Pilger deutſcher Nation, welche Schiferle im 11.
Briefe beantragt, iſt nun durch die Ernennung zweier Kapläne für das
öſterreichiſche Pilgerhoſpiz ausgeführt worden, und wir wünſchen mit
ihm, daß dadurch für die Befriedigung wiſſenſchaftlicher und archäo-
logiſcher Bedürfniſſe der Pilger und einzelner hiefür ſich beſonders
intereſſirender Prieſter geſorgt ſei. (Vgl. Wiener-Literat. Zeit. 1858.
N. 51). Uebrigens macht Schiferle eine richtige und praktiſche Bemer-
kung am Schluſſe ſeines Buches, die wir für die Pilgercandidaten hie-
her ſetzen: „Man ſollte nicht lange, etwa nur 14 Tage in Jeruſalem
und an anderen heiligen Orten verweilen, ſonſt verliere man bei der
menſchlichen Gebrechlichkeit die erhaltenen Gnaden wieder.“
Zu Seite 331.
45.). In der heiligen Grabkapelle wird täglich ein Conven-
tualamt für die lebenden Wohlthäter des h. Landes in der chriſtlichen
Welt geſungen. Sonntags iſt noch ſtille Meſſe für den Papſt, Mon-
tags für den König von Sardinien, außerdem für die verſtorbenen
Religioſen, Dienſtags für den König beider Sicilien, Mittwochs für
2
18
den König von Portugal, Donnerſtags für den Kaiſer von Oeſterreich,
Freitags pro rege Franciae, Samſtags für den Regenten von Hiſpa-
mien. Eigentlich werden außer dem geſtifteten Amte täglich zwei fixe
Meſſen geleſen, einmal pro laborantibus terrae d. i. für Alle, die
im Intereſſe des h. Landes wirken (durch Almoſenſammeln, Schriften
u. ſ. w.); ferner für die geſtorbenen Wohlthäter und die Eltern der
Religioſen. Jeden Samſtag trifft die mittelſt Aufrufes in den hiſtoriſch
politiſchen Blättern geſtiftete Meſſe für das katholiſche Deutſchland.
(Vgl. Sepp, Pilgerbuch, II. Lief. S. 393.
Zu Zeite 332.
46.) Das katholiſche Oeſterreich hat bezüglich des Schutzes
der Sanctuarien und der Ordensperſonen des heiligen Landes mehrere
Verträge mit der Pforte geſchloſſen, namentlich den Vertrag von Kar-
lowitz am 26. Jänner 1699, den von Paſſarowitz am 21. Juli 1718,
den von Belgrad am 18. September 1739, den von Siſtow am 4.
Auguſt 1791 u. ſ. w. Geſtützt auf dieſe Verträge hat auch der öſter-
reichiſche Geſchäftsträger zu Conſtantinopel in einer Note an Ali Paſcha
dd. 3. Februar 1851 in Vereinigung mit dem franzöſiſchen Botſchaf-
ter die Zurückſtellung der uſurpirten Sanctuarien verlangt. Frankreich
iſt alſo nicht die einzige katholiſche Macht, welche ſich des heiligen
Landes annahm, leider aber iſt der Mangel des Einverſtändniſſes
zwiſchen den katholiſchen Mächten in Jeruſalem ſelbſt die einzige Ur-
ſache unſerer Verluſte und Demüthigungen. Man beſorgt mehr die
Intereſſen der Nation als der katholiſchen Kirche. Man mache doch ein-
mal – ruft Abbé Mislin in der Einleitung zu den heiligen Orten S.
XLIII aus – dieſem bedauerungswürdigen Zuſtande der Dinge ein
Ende. Seien wir Katholiken, und zwar vor allem Andern Katho-
liken; dies wird uns nicht hindern gute Franzoſen und Oeſterreicher,
gute Spanier, Italiener und Portugieſen zu ſein. – Oeſterreich hat
im letzten Jahrhundert in weniger als dreißig Jahren (1755–1782)
11.326 Ducaten, d. i. beiläufig anderthalb Millionen Franken in das
heilige Land geſchickt, nebſtdem eine beträchtliche Menge Ornamente
jeder Art. Faſt alle Geſchenke kamen von der kaiſerlichen Familie.
Plötzlich hob Joſeph II. das Wiener-Commiſſariat für das hei-
lige Land auf, und verbot die Ueberſendung von Almoſen nach dem
Auslande. Aber Kaiſer Ferdinand I. ſtellte am 19. November 1843
dieſes Commiſſariat zu Wien wieder her, und geſtattete, daß jährlich
am Charfreitag in allen Pfarrkirchen der Monarchie eine Sammlung
veranſtaltet werde, deren Ertrag den heiligen Orten zukom-
men ſollte. – Die Beaufſichtigung und Leitung der neuen Behörde
wurde dem jeweiligen Fürſterzbiſchofe von Wien übertragen, der ſich
auch einen Stellvertreter wählen kann. Der jetzige Generalcommiſſär
iſt der verdienſtvolle P. Matzek im Franziskanerkloſter zu Wien. –
Für das geiſtliche Bedürfniß der Pilger wird nach den Statuten durch
4–6 Miſſionsprieſter geſorgt, welche außer der deutſchen, auch noch
der ſlaviſchen oder ungariſchen, der italieniſchen oder franzöſiſchen
Sprache kundig, aus dem öſterreichiſchen Staate nach Jeruſalem ſelbſt
oder einem der Klöſter Syriens oder Aegyptens abgehen und dort
19
unterhalten werden ſollen. Der Miſſionsdienſt umfaßt ſechs Jahre,
binnen welcher der Miſſionär der Seelſorge obliegen, auch ſich die
Sprache der Gegend, in welcher er wirkt, nach Thunlichkeit aneignen
ſoll. Das Commiſſariat bringt die Miſſionäre dem Erzbiſchofe in Vor-
ſchlag. Bisher wurden nur Ordensprieſter gewählt, im Jahre 1863
bewarben ſich zwei Weltprieſter (Vergl. das Rundſchreiben an die
HH. Biſchöfe in der Note 75) um dieſe Stelle und erhielten ſie als
Kapläne, reſp. Rectoren des neuen öſterreichiſchen Pilgerhoſpizes. –
(In neuerer Zeit hat ſich auch in Köln eine Geſellſchaft unter dem Na-
men Verein des heiligen Grabes gebildet, der ſich raſch ent-
faltete).
Zu Seite 334.
47.) In neuerer Zeit iſt der Zutritt zu dem El Scherif, d. h. zum
Tempelplatze und der Beſuch der Omarmoſchee den Fremden erleichtert
worden, beſonders wurde dieß allen Chriſten in Jeruſalem für den Tag
geſtattet, wo ein europäiſcher Prinz dieſelbe beſuchte. So ſahen die
Omarmoſchee Mislin, Sepp, Alban Stolz, Kaltner, Frankl, Buſch
1c. Die ſchwediſche Schriftſtellerin Friderike Bemer (Leben in der
alten Welt, X. Theil, S. 4, Leipzig, Brockhaus 1862), welche die
Moſchee an dem Tage ſah, wo ſie der Großfürſt mit ſeiner Gemalin
beſuchte, ſagt darüber: „Die Mohamedaner waren augenſcheinlich er-
bittert über dieſe Ueberſchwemmung ihres heiligen Haramsplatzes, und
einige Herren mußten dieß auf eine ziemlich fühlbare Weiſe bemer-
ken.“ – Als der unerſättliche Titus Tobler von dieſer Erleichterung des
Zutrittes zum Haram el Scherif hörte, unternahm er eigens eine dritte
Jeruſalemsreiſe, ohne jedoch trotz allen Verſuchen ſeine Abſicht zu er-
reichen, worauf er ganz erboßt zurückkehrte und ſeinen Groll in der
Allg. Zeitung bekannt machte. Die Wiſſenſchaft kann ſich über ſeinen
Grimm tröſten. Dr. Titus Tobler iſt Proteſtant und lebt als prak-
tiſcher Arzt im Curorte Horn am Bodenſee. Er beſuchte Jeruſalem
1835, 1845 und 1858, mit dem Vorſatze, das Dunkle oder Halbdunkle
in den literariſchen Werken über das heilige Land aufzuhellen, Irriges
zu berichtigen, Lücken zu ergänzen, etwa Neues zu entdecken. Mit gro-
ßer und ſorgfältiger Vorbereitung ging er daran, 696 Folioſeiten
Auszüge aus anderthalbhundert Werken begleiteten ihn in die heilige
Stadt. Als Reſultate ſeiner Forſchungen veröffentlichte er: Bethle-
hem in Paläſtina (St. Gallen 1849), Golgotha, ſeine Kirchen und
Klöſter (1851), Siloah quelle und der Oelberg (1852), Denkblät-
t er aus Jeruſalem (1852), Topographie von Jeruſalem und ſeinen
Umgebungen (Berlin 1853). Man kann den ſchreibſeligen Doctor in
der Jeruſalem-Literatur nicht ignoriren, aber er wird mit ſeinen galli-
gen Ukaſen Niemanden imponiren. Man kann ſeine Werke leſen aber
nicht empfehlen. Durch ſeine Arbeit ſind allen ſpäteren Touriſten die
Forſchungen erleichtert worden, obwohl ſie auch dieſen nur als Vorar-
beit gelten kann. Freunde und Feinde des heiligen Grabes werden
über den kühnen Niederreißer der altehrwürdigen Traditionen her-
fallen, jene um ihn zu widerlegen, dieſe um ihn zu übertreffen,
2 *
20
Zu Seite 342.
48.) Sepp (Pilgerbuch S. 539 ff.) ſucht die Anſicht zu begrün-
den, daß St. Johann in der Wüſte nicht der eigentliche Wohnſitz des
Vorläufers Chriſti war, ſondern daß es eine früher chriſtliche Anſied-
lung ſei, welche in dieſem blühendſten Thale Judäa's eine Kirche zu
Ehren des h. Johannes Baptiſta baute, worauf der Kirchenpatron die
fragliche Ueberlieferung nach ſich zog. Damit zerfällt aber auch der poe-
tiſche Glaube, der ſich wenigſtens ſeit den Kreuzzügen ausgebildet hat,
hier ſei der Ort Mariä Heimſuchung, wo die Madonna das Mag-
nificat angeſtimmt. Gegenwärtig wird an dieſer traditionell bezeichne-
ten Stelle, wo Eliſabeth heimgeſucht ward, eine neue Kapelle erbaut;
der ganze Ort iſt mit einer Ringmauer umgeben und mit einer Thüre
von Eiſen verſehen. (Aus einem Briefe aus dem h. Lande vom 26.
Juni 1862 an Dr. Sepp in der Sion, Dezemberheft 1862).
Bu Seite 344.
49.) Die h. Helena ſandte ein Stück des wahren Kreuzes
ihrem Sohne nach Conſtantinopel; ein anderes Stück wnrde für dieje-
nige Kirche nach Rom geſchickt, welche ſie daſelbſt unter dem Namen
des h. Kreuzes von Jeruſalem (S. Croce in Gerusalemme) gründete.
wo es ſich noch heute mit der Ueberſchrift befindet, welche an das
Kreuz des Erlöſers geheftet worden war. Der größte Theil des wahren
Kreuzes blieb in Jeruſalem, in der Kirche der Auferſtehung oder des
heiligen Grabes. Nach mannigfaltigen Schickſalen (ſiehe Mislin, die
heiligen Orte, II. Band, S. 262, ff.) erhielten es die Chriſten wieder
bei der Einnahme von Damiette. Schon damals waren mehrere Stücke
davon abgelöſt, und von dieſer Zeit an wurde es ins Unendliche ge-
theilt, ſo daß man heutzutage in allen Ländern der Welt Theilchen
davon findet. – Das größte Stück des heiligen Kreuzes, welches vor-
kommt, iſt vielleicht das, welches ſich im Kloſter Heiligenkreuz bei
Wien befindet. Herzog Leopold VII. von Oeſterreich erhielt es im Jahre
1162 von dem König von Jeruſalem in Paläſtina. Fünf Jahre dar-
nach ſchenkte er es dem Kloſter Sattelbach, welches ſeitdem Heiligen-
kreuz heißt; dieſe Reliquie iſt noch heutigen Tages in dieſem Kloſter.
Sie hat die Geſtalt eines Doppelkreuzes, und obgleich einige Stückchen
weggenommen wurden, iſt es noch immer neun Zoll lang, drei viertel
Zoll breit und einen viertel Zoll dick – Im Schatze der Hofkapelle in
Wien gibt es mehrere kleine Stücke des wahren Kreuzes; unter an-
dern auch eines, welches Carl V. in allen ſeinen Schlachten bei ſich
getragen hatte. Ein zweites befindet ſich in der Kathedrale von St.
Stephan. – Ein Stück des h. Kreuzes, womit Albrecht der Siegreiche.
Markgraf von Oeſterreich, das Kloſter Mölk beſchenkte, befindet ſich
daſelbſt. Er ſelbſt hatte es von Popo, Erzbiſchof von Trier, ſeinem
Anverwandten, erhalten, als derſelbe im Jahre 1039 aus Paläſtina
zurückkehrte. (Siehe Keiblinger, Geſchichte des Stiftes Mölk).
Zu Zeite 347.
50.) Das gewöhnliche arabiſche Brod hat die Form eines klei-
nen runden Kuchens und iſt recht ſchmackhaft. Für die Franken wird
von jüdiſchen Bäckern ſchönes weißes Brod gebacken. Kuhmilch iſt ſehr
21
ſchwer zu bekommen, dagegen Ziegenmilch leicht. Die Hauptſpeiſe iſt
Pilav, d. i. gedämpfter und mit Butter oder Oel geſchmalzter Reis.
Das alltägliche Fleiſch iſt das leckere Schafsfleiſch. Wohlhabende eſſen
auch Hühner und Haſen; Rindfleiſch iſt höchſt ſelten, Kalbfleiſch gar
nicht zu haben. Alle Eierſpeiſen und Gemüſe werden in Oel gekocht.
Der gemeine Mann kennt nichts als Kaffee, Reis, Brod und dazu
Früchte, unter welchen Orangen, Melonen und Feigen die Hauptrolle
ſpielen. Das Tiſchtuch der Araber iſt von Leder und wird auf dem Bo-
den ausgebreitet.
Zu Seite 348.
51.) Eine für das nächſte und allgemeine Bedürfniß berechnete
Sammlung arabiſcher Wörter und Redensarten findet ſich in dem
Büchlein: „Arabiſcher Dragoman für Beſucher des heiligen Landes von
Wolff“ (Leipzig, bei Weber), und iſt Pilgern nach Jeruſalem als Noth-
behelf zu empfehlen.
Zu Seite 349.
52.) Gegenwärtig ſind in Jeruſalem zwei Gaſthöfe vorhan-
den, ſollen aber nach dem Verhältniß deſſen, was ſie verlangen, zu
dem was ſie bieten, die theuerſten im ganzen Morgenlande ſein.
(Buſch, I. 231).
Zu Seite 350.
53.) Die proteſtantiſche Miſſion ſuchte im Orient feſten
Fuß zu faſſen. Beſonders hätte der Libanon und Jeruſalem die Opera-
tionsbaſis des Evangeliums werden ſollen, und in der That verſäumte
man nicht in Ausſtreuung von Bibeln und Traktätlein „das Papſtthum“
allſeitig anzugreifen; aber die dort ſtationirten Miſſionäre ſagen ſelber,
daß ſich ſeit zwölf Jahren erſt ſchwache Anfänge der Wirkſamkeit zei-
gen, (Graul, Reiſe nach Oſtindien über Paläſtina, Leipzig 1854,
S. 96, und Liebetrut, Reiſe nach dem Morgenlande, Hamburg
1854, S. 142), obwohl ihnen die reichſten Hilfsquellen zu Gebote
ſtehen. Für Jeruſalem allein werden 30.000 Thaler jährlich verwen-
det. – Ueber die äußere Phyſiognomie der proteſtantiſchen Miſſion in
Jeruſalem äußert ſich der Proteſtant Moritz Buſch in ſeiner „Wallfahrt
nach Jeruſalem“ II. B. S. 44 ff.: „Zuerſt vorwiegend engliſch in der
Zuſammenſetzung ihres fränkiſchen Theils, begreift ſie nun mehr
Deutſche als Engländer in ſich. Die Proteſtanteu ſind in Anhänger des
Biſchofs und Anhänger des engliſchen Conſuls geſchieden. Man hat
bei dem hebräiſchen Gottesdienſt in der Zionskirche Gebetbücher mit
den gewöhnlichen jüdiſchen Synagogengebeten in Gebrauch, welche
letztere nur wenig abgeändert, nur mit einigen Anſpielungen auf
chriſtliche Glaubensſätze vermehrt ſind. Die Miſſion iſt eine Specula-
tion auf die Armuth der jeruſalemer Judenſchaft . . . Der Geiſt, der
die jeruſalemer Proteſtanten mit wenigen Ausnahmen erfüllt, iſt eine
Mixtur aus engliſchem Hochkirchenthum, jüdiſchem Weſen und deutſchem
Pietismus, wozu ſich in neueſter Zeit noch ein bedenklicher Chiliasmus
geſellt hat.“ – Die Seelenzahl der proteſtantiſchen Gemeindeglieder
in Jeruſalem überſteigt nicht hundert, ungeachtet der anſehnlichen An-
zahl von Miſſionären, Gehülfen und Beamten ihrer verſchiedenen
22
Anſtalten, den getauften Proſelyten und endlich den beiden Konſuln
und ihren Familien. – Die Angabe über den Zauber der klingenden
Münze zur Vermehrung der Proſelyten ſtammt von dem berühmten
Orientaliſten Tiſchendorff (Reiſe in den Orient, Leipzig 1846, Bd.
II. S. 55). Die Proteſtanten, die ihre Religion ernſtlich auffaſſen,
haben die Miſchlingsſchöpfung des anglo-preußiſchen Bis-
thums zu St. Jakob in Jeruſalem höchlichſt mißbilligt. Auch in den
Jahrbüchern des Chriſtenthums ſteht ein ſolch gemiſchter amphibienar-
tiger Biſchof beiſpiellos da. – Monſ. Mislin befürchtet, daß die Be-
ſtrebungen der proteſtantiſchen Miſſion mehr im Zweck gegen die
katholiſche Kirche als gegen Türken und Juden gerichtet ſeien. In ſei-
neñh mit Sorgfalt und Fleiß geſchriebenen Werke: Die heiligen Orte,
lI. Band, S. 633 ſchließt er das 31. Kapitel mit folgenden Worten:
„Unſere Miſſionäre waren ſeit Jahrhunderten in Jeruſalem, ſie genoſ-
ſen dort keiner Ruhe, Gott weiß es, aber an ihre alten Feinde ſchloß
ſich ein neuer, der weit kühner iſt als alle andern, und der ſeine Ab-
ſicht, unſere Miſſionäre zu vertreiben, laut ausſpricht.“ Näheren Auf-
ſchluß gibt das citirte Kapitel.
Zu Seite 352.
54.) Die Griechen ſind die mächtigſte, zahlreichſte und wohl-
habendſte Partei in Jeruſalem. Allenthalben, wo ſich Gelegenheit fin-
det, machen ſie Ankäufe von Grund und Boden, erweitern und ver-
ſchönern ſie ihre Klöſter und Häuſer. Beliebt ſcheinen ſie in Jeruſalem
nirgends zu ſein; der Hauptgrund davon liegt jedenfalls in ihrem eige-
nen Haß gegen Andersgläubige und in ihrem Beſtreben auf jede Weiſe
die heiligen Orte ganz für ſich zu erwerben, außerdem aber in ihrem
Hochmuth, ihrem Geiz und ihrem verſchmitzten treuloſen Weſen. Sie
ſind zum Theil Handwerker, zum Theil Handelsleute. Rußland ſendet
große Summen. Die Verbindung der Küſte mit der heiligen Stadt
durch eine fahrbare Straſſe iſt auf Veranlaſſung Rußlands zu Stande
gekommen. Auch haben die Ruſſen vor dem Jaffathore, einen Büchſen-
ſchuß weit von der Nordweſtecke der Stadt links eine Art Vorſtadt –
Neu Jeruſalem – angelegt, und im Jahre 1860 am Geburtstage
des Czar Alexander II. den Grundſtein zur Alexanderkirche gelegt,
welche Grüfte für die Metropoliten bekommt. Eine Ringmauer um-
zieht bereits dieſe Vorſtadt. (Sepp, Pilgerbuch. I. Lief. S. 67). Jeden-
falls iſt Rußland der thätigſte Feind der katholiſchen Kirche im
Oriente. Es hat ſeit dem letzten Kriege ſeinen Einfluß im Orient nicht
verloren, und wird auch ſeine Anſprüche auf den Orient nie aufgeben.
Die Religion iſt das Werkzeug ſeines Ehrgeizes, und es weiß ſich
deſſen muſterhaft zu bedienen; es ſpricht von einer heiligen Miſſion
die es zu erfüllen habe, und von dem heiligen Kriege, den es zur Ver-
theidigung der bedrohten orthodoxen Religion gegen die Ungläubigen
beginne. Die Czaren ſchützen das Schisma, und das Schisma ſchützet
ſie. Der griechiſche Klerus ſteht auf allerlei Art und Weiſe im Solde
Rußlands und iſt ihm ganz und gar ergeben. Es iſt auch ganz
natürlich, daß die im weiten Orient zerſtreuten, verloreneu, vergeſſe-
nen, von den Türken ſeit Jahrhunderten unterdrückten Griechen das
23
heilige Rußland als Rächer alles erlittenen Unrechtes anſehen, als
Beſchützer des Kreuzes gegen den Halbmond. Es iſt dieß aber auch
eine der größten Gefahren, die Europa bedrohen. (Vgl. Mislin, die
heiligen Orte, 1. B. Einleitung S. XLII.)
ZU Seite 352.
55.) Die Frage der heiligen Orte war in der jüngſten
Zeit in die Frage der Integrität des osmaniſcheu Reiches umgewandelt
worden. Es kam zum merkwürdigen Feldzug in der Krim im Jahre
1853 und 1854, welcher mehr als 300,000 Menſchen das Leben ge-
koſtet hat, ohne daß ein mit den ungeheuren Verluſten im Gleichgewicht
ſtehendes Reſultat erzielt worden wäre. Nach den fruchtloſen Wiener-
Verhandlungen wurde der Pariſer Friede am 30. März 1856 unter-
zeichnet. – Die Frage der heiligen Orte wird jedoch darin mit keiner
Shlbe beſprochen; – an Jeruſalem und das heilige Grab dachte Nie-
mand mehr, ja es ſcheint faſt, als habe man die heilige Dreieinigkeit
dem Sultan Abdul Medſchid geopfert, weil man im Vertrage nicht
mehr wie früher die Formel: "Im Namen der allerheiligſten und un-
theilbaren Dreieinigkeit“ begann, ſondern: „Im Namen des allmäch-
tigen Gottes“. (Vgl. Mislin, die heil. Orte, Einleitung, S. XXXVI).
– In unſerer an Curioſitäten ſo reichen Zeit iſt auch ein Project aufge-
taucht, das in ſeiner Art charakteriſtiſch iſt, und eben als Curioſum hier
erwähnt werden ſoll. Ein apoſtaſirter Abbé Michou hat in einer eige-
nen Schrift: „Das Papſtthum in Jeruſalem“, den tollen Vor-
ſchlag gemacht, der Papſt ſolle ſich aller weltlichen Macht begeben,
und dann in Jeruſalem ſeine Reſidenz aufſchlagen. Ein ſolcher Vor-
ſchlag heißt doch die ganze Geſchichte und welthiſtoriſche Miſſion der
abendländiſchen Kirche verkennen – Anderes zu geſchweigen. – Ein
nicht minder abenteuerliches Gegenſtück bilden nach dem Buche des
Dr. Peter Hatala aus Betdſchala vom Jahre 1857 die Abſichten Ruß-
lands: in Paläſtina und eigentlich zu Jeruſalem ein neues Rom zu er-
richten, ein Anti-Roma. Ein ruſſiſcher Erzbiſchof ſoll da ſeinen Sitz auf-
ſchlagen und mit Hilfe eines Prieſtercollegiums und Archimandriten,
ſowie eines aus eingebornen Arabern zu bildenden Clerus für die
ruſſiſche Kirche Boden gewinnen, und ſo den orthodoxen Glauben ver-
breiten. – Beide Pläne bürgen dafür, daß die heilige Stadt unter
der Herrſchaft des Großtürken bleiben wird. (Ausland 1862, Nr. 45).
Zu Seite 353. -
56.) Seitdem iſt das theologiſche Seminar von Jeruſalem nach dem
Dorfe Beit Dſchala, welches auf einer angenehmen und geſunden
Anhöhe in der Nähe von Bethlehem ſich befindet, verlegt worden, wo
der Patriarch ein eigenes Haus und eine neue gothiſche Kirche baute.
Zwar erhoben anfangs die fanatifirten Griechen Tumulte dagegen,
ſuchten den exponirten Miſſionär zu tödten, ſtürmten das Haus des
Patriarchen und überhäuften dieſen ſelbſt mit Beleidigungen. In
Folge deſſen zog ſich der Patriarch mit dem franzöſiſchen Conſul nach
Jaffa zurück, und wandte ſich mit ſeinen Beſchwerden nach Conſtanti-
nopel. Der Divan bewilligte dem lateiniſchen Patriarchen eine glän-
zende Genugthuung, und im Triumphe zog Valerga wieder in Jeru-
24
ſalem ein. (S. Mislin, die heiligen Orte. III. B. S. 117). In dem
oben genannten Prieſterſeminar (26 Alumnen, lauter Eingeborne),
wirken belgiſche, franzöſiſche und italieniſche Profeſſoren, namentlich
aber der Ungar Dr. Hatala ſeit 1855 mit Erfolg. (Sepp, Pilgerbuch,
III. Lief. S. 533).
Zu Zeite 353.
57.) Eine beſſere Wendung für die Kalholiken im Orient wird
dann nur werden, wenn Frankreich und Oeſterreich dort Hand
in Hand gehen. Oeſterreich, das ſo viel für die Katholiken im heiligen
Lande thut, hat als Mittelglied für deutſche Cultur und für deutſche
Intereſſen im Oriente eine wichtige Miſſion. Mehr als es den An-
ſchein hat, können dazu die neu organiſirten Pilgerkarawanen
beitragen, wenn ſie nur gehörig geleitet, geregelt und unterſtützt
werden. Dieſe friedlichen Kreuzzüge ſind ein offenes Glaubensbekennt-
niß und ſind ebenſoſehr eine factiſche Verurtheilung der ſchismatiſchen
Uebergriffe als der nationalen Ueberſpanntheit. Die katholiſche Kirche
wird und muß beide beſiegen, weil ſie die Wahrheit iſt, erhaben über
alle Vorurtheile; wo die reinere Abſicht iſt, dahin wird ſich die Wag-
ſchale ſenken.
Zu Zeite 354.
58.)Ernſt Marinelli, reg. Lateran. Chorherr des Collegiat-
ſtiftes St. Florian, derzeit Profeſſor an der k. k. Genie-Akademie zu
Bruck an der Thaya, hat eine Sammlung von Gedichten, betitelt:
„Des Sängers Pilgerfahrt“ , (Wien, Pichler 1855) veröffent-
licht, mit einem Anhang, beziehungsweiſe Erläuterungen für einige
in obigen Liedern vorkommende Stellen. Marinelli verweilte im hei-
ligen Lande nach unſerer Abreiſe noch vier Monate, wurde im Septem-
ber zu Jeruſalem fieberkrank, und erholte ſich erſt in der Heimat
wieder. In der Nähe der großen Omarmoſchee, wohin er ſich einſt
verirrte, hatte er ein kleines Attentat zu beſtehen. Man hetzte Hunde
auf ihn, bewarf ihn mit Steinen und zwei Männer fielen über ihn her,
die er jedoch glücklich bewältigte. Marinelli wurde zu Jeruſalem
Ritter vom heiligen Grabe des Erlöſers, und Se. Majeſtät der Kaiſer
von Oeſterreich zeichnete ihn mit Verleihung des Ritterkreuzes des
Franz Joſeph-Ordens aus.
Ju Seite 356. -
59.) Die äußere Phyſiognomie Jeruſalems hat ſich ſeit einem
Dezennium zum Beſſeren verändert, was dem wachſenden Einfluß der
Fremden zuzuſchreiben iſt. Mehrere große – jeder Reſidenz Ehre
machende Gebäude wurden aufgeführt, Schulen errichtet, alte Wohn-
gebäude niedergeriſſen und durch neue erſetzt. Eine natürliche Folge
hievon iſt die größere Thätigkeit in den Straſſen, wo jetzt eine Menge
Leute in Bewegung ſind und eine größere Geſchäftigkeit und erhöhter
Geſchäftsbetrieb herrſcht als früher. (Vgl. Robinſons neues Werk:
Later Biblical Recearches in Palestine and the Adjacent Re-
gions, London, bei Murray, 1856. Ausland, 1856. S. 46).
25
Zu Seite 360.
60.) Das franzöſiſche Dampfſchiff "Tancred“ ſcheiterte ein
Jahr ſpäter vor Alexandrien.
Zu Seite 364.
61.) Bald nach unſerer glücklich vollbrachten Pilgerreiſe wurde
die fatale Quarantäne für Syrien und Egypten aufgehoben, ſo
daß wir richtig die letzten Opfer dieſer beutelſchneideriſchen Maßregel
NV(Tell.
Zu Seite 371.
62.) Abbas Paſcha iſt ſeitdem geſtorben, auch Said Paſcha, der
ihm als Vicekönig in Egypten in der Regierung folgte.
Zu Seite 373.
63.) Von dieſen Miſſionären nach Centralafrika ſind im kurzen
Verlaufe faſt alle geſtorben, auch der muthige Dr. Knoblecher, welcher
auf einer Reiſe nach Rom zu Neapel das Zeitliche ſegnete. – Lehrer
Hanſal kehrte nach Wien zurück und veröffentlichte ſeine Reiſenotizen.
Zu Zeite 378.
64.) Die erſte franzöſiſche Karawane nach Paläſtina war
am 23. Auguſt 1853 aus Marſeille gezogen und beſtand aus 40 Pil-
gern. Eine Beſchreibung dieſer Pilgerreiſe lieferte Louis' Enault: La
terre-sainte, voyage des quarante pèlerins de 1853. Paris 1854.
Zu Seite 380.
65.) Im Jahre 1839 gründete Gregor XVI. ein apoſtoliſches
Vicariat für Ober- und Unteregypten und für Arabien. Alle Francis-
kaner aber, die ſich in Egypten befanden, blieben fortan ein Theil der
Familie der Terra sancta, und als Mönche abhängig vom P. Cuſtos
von Jeruſalem; als Miſſionäre wurden ſie unter die Jurisdiction der
apoſtoliſchen Vicare in Egypten geſtellt, deren erſter ein Franziskaner,
der Biſchof Guasco war (er iſt vor etlichen Jahren geſtorben). 4.
- Zu Zeite 382.
66.) Seit 1855 führt eine Eiſenbahn mit bequemen Wagen
in ſieben Stunden von Alexandrien nach Cairo; und auch Cairo iſt mit
dem rothen Meere durch einen Schienenweg verbunden. Der Zug der
Fremden – beſonders Bruſtkranker – nach Egypten nimmt mit jedem
Jahre zu; ein Winter in Egypten ſoll aber auch das Köſtlichſte ſein,
was man ſich denken kann, da von November bis März daſelbſt ein
immerwährender milder Sommer iſt.
Zu Seite 382.
67.) Herr Joſeph Hubinger, Stiftsherr zu St. Peter in
Wien, veröffentlichte ſeine Reiſe-Erlebniſſe in einem „Nachtrag zu
den Pilgerbriefen«, welcher im öſterreichiſchen Volksfreund 1853
in drei Abtheilungen erſchien, und der erſten Auflage meiner Pilger-
briefe angeſchloſſen war. Hubinger machte von Malta über Meſſina
nach Neapel eine theilweis gefährliche und mit vielen Entbehrungen
verbundene Seereiſe, kam glücklich nach Rom, wo er beim heiligen
Vater (der ihn ſpäter zum päpſtlichen Ehrenkämmerer erhob) eine
Privat-Audienz hatte, verrichtete zu Loretto die Schlußandacht ſeiner
Pilgerreiſe, und kehrte über Ancona-Trieſt in die Vaterſtadt Wien zu-
26
rück, wo er am 21. October – einen Monat ſpäter als ich – wohl-
behalten eintraf. Seine ſchön geſchriebenen drei Berichte beſchloß er
mit folgenden Worten, welche auch in dieſem Buche eine paſſende
Stelle finden: „Und nun danke ich mit tief gerührteſtem Herzen dem
Allmächtigen für die Fülle der Gnaden, die mir an den heiligen
Orten, die ich betreten, zugefloſſen ſind und für den liebevollen Schutz,
den ich in ſo vielen ſchweren und gefährlichen Momenten erfahren
habe; ich danke innigſt den hochverdienten Repräſentanten Oeſterreichs,
den Herren Konſuln und den ſämmtlichen hochwürdigen Kloſter-
vorſtänden Syriens und Egyptens, die mich überall mit
freundlichſter Zuvorkommenheit aufgenommen und mit größter Bereit-
willigkeit auf der Reiſe unterſtützt haben; ich danke herzlichſt meinen
lieben Reiſegefährten, die mir ſo viel Freundſchaft und Nachſicht
bewieſen haben, ich danke allen jenen Seelen, die in treuer Anhäng-
lichkeit und liebevoller Theilnahme Gebetsopfer für mich dargebracht
haben – mögen ſie Alle, geſegnet mit dem apoſtoliſchen Segen
des h. Vaters, den ich für ſie erbeten habe, auch in Zukunft mir ein
freundliches Andenken bewahren!“
Zu Seite 390.
68.) Hr. Joſeph Leonard Mahr veröffentlichte auf Verlan-
gen ſeiner Landsleute ſeine Reiſenotizen im Tirolerbothen, Jahrgang
1854. Mayr lebt gegenwärtig als Privatier in ſeiner Vaterſtadt Lienz
im Puſterthale. – Hr. Honorat Santo Caſella ſtarb im Jahre 1860
zu Augsburg eines plötzlichen Todes.
Zu Zeite 393.
69.) Ueber den Entſchluß und die Vorbereitungen zu einer
Pilgerreiſe ſchrieb ich auf eine Anfrage folgenden Brief ddo. St.
Pölten, 2. Februar 1855, der vielleicht Manchem nicht ungelegen
"kommt. „Euer Hochwürden! Lieber Herr Pfarrer! Ihre projektirte
Pilgerreiſe iſt ein edles und großes Unternehmen, und ich meine, Sie
ſollten ſich (wenn Sie die oberhirtliche Einwilligung haben) durch
nichts abſchrecken oder einſchüchtern laſſen. Gott, der Ihnen das
Wollen gegeben, wird auch das Vollbringen geben. So war es auch
bei uns. Halten Sie nur den Gedanken feſt, und ich bin überzeugt, er
laßt Ihnen keine Ruhe mehr. Ich würde Ihnen gewiß nicht ſo zureden,
wenn ich Ihnen nicht das ſelige Glück gönnte, am Grabe des Erlöſers zu
beten und dieſe heilige Erinnerung bis zum Tode zu bewahren. – Das
Untenehmen des Severinus-Vereins war ein ſehr zeitgemäßes, und
ich bin froh, daß das katholiſche Oeſterreich hinter Frankreich nicht zu
rückgeblieben iſt. Auf Entbehrungen, Ueberwindungen und Opfer der
inneren Selbſtverläugnung dürfen Sie ſich im Vorhinein gefaßt ma-
chen. Da das Reiſen ſonſt ſo erleichtert iſt, ſo mag man die kleine
Mortifikation ſchon ſich gefallen laſſen. – Ihre Anfragen glaube ich
in Kürze mit Folgendem beantworten zu können. 1. Die Zeitverhält-
niſſe ſind gerade jetzt für die Pilgerreiſe ſehr günſtig; die Türken ſte-
hen mit Oeſterreich auf gutem Fuße. Schon zu unſerer Zeit ſtand
Deſterreich in großem Anſehen. – 2. Was die Kleidung betrifft, ſo
tragen Sie ſich einfach im Civil, ein Abbérock dürfte am entſprechend-
d
27
ften ſein, für Jeruſalem eine Klerik. Türkiſches Koſtüm brauchen Sie
gar nicht. Wäſche zu dreimaligem Wechſel eine Jacke oder Bauchgurte
von Schafwolle und eine wollene Decke zum Zudecken iſt ſehr gut
gegen die Verkühlung, ich trug ſie immer im Oriente; einen Mantel
oder warmen Ueberrock, einen kleinen Koffer nebſt Reiſeſack für das
Nöthigſte. – 3. Geld, – je mehr, deſto beſſer. Im Oriente gehen
alle öſterreichiſchen Münzen, Zwanziger, Dukaten, beſonders beliebt
ſind die Maria Thereſia Thaler; ſonſt kurſirt viel franzöſiſches Geld,
Frankenſtücke u. dgl. Es iſt beſſer, Sie nehmen ſich das Geld mit, als
daß Sie ſich Wechſel beſorgen, denn ſie koſten viel, und man hat allerlei
Umſtändlichkeiten, ohnehin dauert ja die Reiſe nur zwei Monate;
höchſtens nach Alexandrien könnten Sie ſich bei Sina oder anderswo
eine Anweiſung geben laſſen. – 4. Als Reiſedokument iſt ein Regie-
rungspaß nöthig, vom türkiſchen Geſandten vidirt, und eine litera
commendatitia Ihres Erzbiſchofes, wegen der nöthigen Ertheilung
der Meßlicenz beim Patriarchen in Jeruſalem und beim Biſchofe in
Alexandrien. – 5. An Büchern rathe ich Ihnen mitzunehmen, ent-
weder Mislin's Pilgerreiſe nach Jeruſalem, oder Schiferle's Reiſe in's
h. Land (Augsburg, bei Kollmann, 2 Thlr.); Sie werden es ſelbſt er-
proben, daß man auf der Reiſe nicht viel Zeit und Dispoſition zum
Leſen hat, beſonders, wenn Sie, wie ich, mit der Seekrankheit zu
ſchaffen haben. Die Lektüre iſt zu Hauſe dann um ſo lohnender. Jeden-
falls nehmen Sie eine Bibel des N. T. (im kleinen Formate) mit, und
ein anzuſchreibendes Tagebuch, denn Letzteres iſt eine unverſiegbare
Quelle herrlicher Erinnerungen; dieß fühle ich jetzt am meiſten, wo ich
mein mit Bleiſtift geſchriebenes Tagebuch rein ſchreibe. Ich gebe meine
Erlebniſſe um eine ganze Welt nicht her. – 6. An Präſervativen rathe
ich Ihnen ein Fläſchchen Arnica und etwa Magentropfen. Ich gebrauchte
gar kein Medikament auf der Reiſe – Gott gebe auch Ihnen dieſe
Gnade, Sie ſind jung genug, um die Reiſeſtrapazen zu ertragen.
Wenn Sie noch nicht reiten können, ſo nehmen Sie früher einige
Lektionen, es iſt gut, experto crede Ruperto. – 7. Fremde Spra-
chen brauchen Sie keine, außer Italieniſch. Ich möchte Ihnen rathen,
gleich nach Empfang dieſes Briefes damit anzufangen – man kann
Vieles, wenn man will. – Verzeihen Sie mir meine Weitläufigkeit,
aber es that ſich mir das Herz auf, und ich ließ meine Feder ſchreiben,
als ob ich Sie ſchon lange kennen würde. Gehen Sie in Gottes Namen.
Ich begreife es, daß Sie bei Tag und Nacht der h. Gedanke beſchäftigt,
aber ſo muß es ſein, daß man gleich den Kreuzfahrern ausruft:
„Gott wills!"
Zu Zeite 394.
70.) Wohlgemerkt, dieſe Zeilen wurden ganz ſo, wie ſie daſtehen,
im Jahre 1853 geſchrieben, wo noch Niemand in Oeſterreich an eine
Pilgerkarawane dachte, enthielten alſo die erſte Aufforderung zur
Organiſirung einer deutſchen Pilgerkarawane nach dem Muſter der
erſten franzöſiſchen. Meine veröffentlichten und vielgeleſenen »Pilger-
briefe“ ſowie Privatgeſpräche trugen auch das ihrige zur Beſeitigung
ſo mancher Bedenken bei. Es ſei dieß insbeſondere gegen Dr. Priſac,
28
Stiftsherrn zu Aachen geſagt, der im Jahre 1854 im Gefolge der
zweiten franzöſiſchen Pilgerkarawane eine Pilgerreiſe in das heilige
Land“ machte, die er in Münſter 1858 veröffentlichte. Er täuſcht ſich,
wenn er glaubt, ſeine im Gefolge einer franzöſiſchen Karawane unter-
nommene Pilgerfahrt habe einen Einfluß auf die Bildung der deut-
chen Pilgerzüge gehabt. Auch Hr. J. A. Kaltner von Salzburg konnte
den frommen Mittheilungen, die er veröffentlichte (Salzburg 1855).
wohl nur mittelſt eines Tropus den Titel geben: die erſte deutſche
Pilgerfahrt nach Jeruſalem und Paläſtina, (ſoll wohl heißen die erſte
vom Severinusvereine zu Wien organiſirte Pilgerfahrt), denn unſere
Karawane fiel ein Vierteljahr früher als die franzöſiſche und andert-
halb Jahre früher als das Programm des Severinusvereines zu Wien.
Dieß zur Steuer der Wahrheit. Uebrigens iſt es im Grund gleichgiltig,
wem die Präcedenz der neuen Anregung der alten katholiſchen Idee
gebührt. Wir wollen uns vielmehr freuen, wenn die Sehnſucht nach
dem h. Lande in recht vielen Herzen entbrennt, und die Pilgerreiſen
dahin den Gemüthern eine höhere Richtung, dem Willen mehr Kraft
und Stärke, überhaupt eine freiere Weltanſchauung gewähren. (Vgl.
Kathol. Lit. Zeit. 1859. Nr. 28).
Zu Seite 394.
71.) In Oeſterreichs Hauptſtadt gab der Severinusverein den Im-
puls zum Zuſtandekommen regulirter Pilgerkarawanen nach Pa-
läſtina. – Die erſte derſelben beſtand aus 18 Pilgern, und vollführte
die Reiſe im Jahre 1856, 18 Monate nach der erſten franzöſiſchen
Karawane. Die Erlebniſſe derſelben veröffentlichten folgende Mitglie-
der: 1. P. Urban Loritz, Pfarrer am Schottenfeld zu Wien in
brieflichen Berichten an den öſt. Volksfr. 2. Joh. Al. Kaltner,
Spitalpfarrer zu Salzburg, (die erſte deutſche Pilgerfahrt, Salzburg
1856). 3. Philipp Mayer, frei reſignirter Pfarrer aus Baiern,
(Erinnerungen aus Jeruſalem und Paläſtina, München 1858). 4. Dr.
Alban Stolz, (Beſuch bei Sem, Cham und Japhet, Freiburg 1857).
– Seitdem wurden ſie -– eine Unterbrechung etlicher Jahre ausge-
nommen – fortgeſetzt. Der Reiſeplan und Koſtenanſchlag, entworfen
von dem hochw. Abt Mislin, lautet: „Programm der Pilgerfahrt nach
Paläſtina und Jeruſalem im Jahre 1863. Katholiſchen Männern,
Prieſtern und Laien aus Oeſterreich und Deutſchland, die den Wunſch
hegen, Paläſtina zu beſuchen, und die nächſte Oſterfeier in Jernſalem
zuzubringen, bietet ſich durch Vermittlung des Severinusvereines die
Gelegenheit dar, dieſe Reiſe mit verhältnißmäßig geringen Koſten
auszuführen, und zwar unter nachfolgenden Bedingungen: 1. Dieſe
Reiſe wird unternommen, wenn ſich hiezu eine genügende Anzahl von
Perſonen meldet und die Aufnahme erwirkt; 2. die Aufnahme in die
Pilgerſchaar ſteht dem Central-Ausſchuſſe des Severinusvereines
(Stadt Jakobergaſſe Nr. 808) zu, welcher auch den Präſidenten, deſſen
Stellvertreter und den Kaſſier der Geſellſchaft ernennt, deren Leitung
ſich die Pilger durch ſchriftliches Verſprechen unterordnen; 3. Anmel-
dung und Aufnahme muß längſtens bis 10. Februar vollzogen ſein.
An dieſem Tage – im günſtigen Falle auch früher – wird der defi-
29
nitive Beſchluß, ob dieſe Reiſe ſtattfinde, durch die öffentlichen Blätter
in Oeſterreich und Deutſchland kundgemacht; 4. Die Reiſekoſten wer-
den für jede Perſon ohne Unterſchied auf fünfhundertfünfzig Gulden
öſterreichiſcher Währung in Silber oder 285 Vereinsthaler veran-
ſchlagt. Hievon werden beſtritten die Fahrt zur See, die Beiſtellung
der Pferde und Kamele für die L:andreiſe, die Verpflegung und Un-
terkunft, die Bezahluug der Führer, Gepäckträger, die Trinkgelder
u. dgl.; 5. der Betrag iſt ſpäteſtens bis 10. Februar 1863 bei dem
Severinusvereine baar zu erlegen oder ſicherzuſtellen, es verſteht ſich,
daß dieſer Betrag denjenigen, welche die Reiſe aus was immer für
einem Grund nicht mitmachen, zurückgeſtellt werde; 6. wer ſich wäh-
rend der Reiſe freiwillig von der Geſellſchaft trennt, hat keinen An-
ſpruch auf die Zurückgabe des erlegten Reiſegeldes. Was nach vollen-
deter Fahrt an Geld erübrigt, wird unter die Pilger gleichmäßig ver-
theilt; 7. ſind die in 3 und 5 angegebenen Bedingungen erfüllt, ſo
ſteht es den Pilgern frei, ohne Wien zu berühren, ſich direkt nach
Trieſt zu begeben, wobei es ſich von ſelbſt verſteht, daß Jeder mit dem
geſetzlichen Reiſepaſſe verſehen ſein müſſe; 8. Die Pilgerreiſe beginnt
mit der Abfahrt von Trieſt am 14. März, und endet mit der Rückkunft
in dieſe Hafenſtadt. Die Reiſe wird zwei Monate dauern; 9. Frauen
kann die Mitreiſe nicht geſtattet werden.“
Zu Seite 395.
72.) Wer eine Reiſe in das heilige Land unternimmt, mag
ein dreifaches Ziel verfolgen. Einmal iſt es das Intereſſe an der Na-
tur und Landſchaft, dann das Streben nach Erweiterung der Kenntniſſe
in Kunſt und Wiſſenſchaft, oder auch und vor Allem, nur um die An-
dacht an den Stätten zu verrichten, die der Gottesſohn durch ſein
Erdenleben geweiht und verherrlicht hat. Landſchaftliche Wunder ſieht
man vom Berge Thabor und vom Oelberge aus. Die Kirchen von
Bethlehem und Golgotha gehören in architektoniſcher Beziehung zu den
vorzüglichſten der Chriſtenheit. Eine wiſſenſchaftliche Reiſe nach Palä-
ſtina empfiehlt ſich vorzüglich für Exegeten des alten und neuen Teſta-
mentes. (Vgl. Hiſtor. polit. Blätter 1855. Für Paläſtina-Reiſende.
S. 702 ff).
Zu Zeite 395.
73.) Die Geſammtkoſten meiner Reiſe betrugen über 1100fl. C. M.;
wobei ich über 100 f. an Agio einbüßte. Jetzt macht man die Reiſe
in einer Karawane um die Hälfte. Der erſte Platz auf der directen
Route von Trieſt nach Alexandria und Jaffa koſtet 188 fl., auf der
längeren Route über Smyrna nach Beirut und Jaffa 179 fl.; über
Marſeille, Malta, Alexandria, Jaffa 548 Franken. Der zweite Platz
koſtetet etwa ein Drittel weniger. Die gewöhnlichen täglichen Speſen
darf man auf 10 f. berechnen, ſammt Pferd, Dolmetſcher, Diener und
Beköſtigung.
Zu Zeite 395. -
74) Die begeiſternde Rückerinnerung an meine glücklich voll-
vollbrachte Pilgerreiſe veranlaßte mich zur Bearbeitung des »Colo-
man von Hauseck“, einer vaterländiſchen Erzählung aus der Zeit
Z0
der Kreuzzüge (Wien, bei Pichler 1859), in welche ich die auf eigener
Anſchauung beruhenden Schilderungen des heiligen Landes verwebte.
Unter den Pilgern nach Jeruſalem, welche in dieſem Kreuzzuge in dem
Gewande einer hiſtoriſchen Novelle vorgeführt werden, war auch des
heiligen Markgrafen Leopolds fromme Mutter Itha.
Zu Zeite 396.
75.). Die vierte Nummer des Wiener Diöceſanblattes vom
Jahre 1863 enthält das Rundſchreiben Sr. Eminenz des hochwürdig
ſten Herrn Cardinal Fürſterzbiſchofes von Wien über die Eröffnung
des öſterreichiſchen Pilgerhauſes zu Jeruſalem. Wir entnehmen
dieſem Schreiben folgende Worte: „Wiewohl die Pilger in dem Fran-
ziskaner-Convente eine liebevolle Aufnahme finden, ſo war es doch
ein nahe liegender und vollkommen berechtigter Wunſch, daß eine ſo
große Anzahl Katholiken, wie ſie unter dem Scepter des Kaiſers von
Oeſterreich vereinigt iſt, zu Jeruſalem ihr eigenes Haus haben möge.
Dadurch wird Oeſterreich am Grabe des Erlöſers heimiſch; auch ent-
ſchließt man ſich leichter zur Wallfahrt, wenn man gewiß iſt, am Fuße
von Golgotha eine Herberge zu finden, auf welche man kraft ſeines
Bürgerrechts Anſpruch hat, von Landsleuten gaſtfreundlich aufgenom-
men zu werden und unter dem öſterreichiſchen Banner zu wohnen.
Daher kündigte mein in Gott ruhender Vorgänger der Erzbiſchof
Vincenz Eduard ſeine Abſicht an zu Jeruſalem, wofern er durch
fromme Gaben hinreichend unterſtützt würde, ein öſterreichiſches Pil
gerhaus zu gründen. Die in Ausſicht geſtellte Gründung wurde mit
Freuden gegrüßt und nach einigen Jahren war für die zum Bauenoth-
wendigen Geldmittel geſorgt. Aber noch blieben andere mannigfache
Hinderniſſe zu beſeitigen und bevor es gelungen war, rief der Herr
den Erzbiſchof VincenzEduard aus dieſem Leben ab. Auch ich vermochte
das Werk nicht ſo ſchnell als ich wünſchte zu vollenden, um ſo weniger
da auch Schwierigkeiten, welche bisher außer Berechnung gelegen hat
ten, hinzu traten. Mit Gottes Hilfe iſt es aber nun vollendet. Auf
einer Anhöhe, vor welcher die Damascusſtraße mit dem Leidenswege
zuſammentrifft, erhebt ſich geräumig und in edlen Formen aus Stein
gebaut das öſterreichiſche Pilgerhaus. Die Kapelle iſt der heiligen Fa-
milie geweiht und den Altar derſelben ſchmückt ein Bild von Kupelwie-
ſer. Der heilige Stuhl hat geſtattet, daß in dieſer Kapelle Weltprie-
ſter die heilige Meſſe täglich, auch die höchſten Feſttage nicht
ausgenommen, feiern und ſowohl die im Hauſe aufgenomme-
nen Pilger als auch der öſterreichiſche Conſul ſammt ſeinen Haus-
genoſſen und Beamten die heilige Communion empfangen und dem
Opfer des neuen Bundes mit der Wirkung dadurch dem Kirchengebote
zu genügen, beiwohnen können. Die Obhut des Pilgerhauſes und die
Sorge für die Aufnahme der Pilger iſt zwei Weltprieſtern anvertraut.
Die Pilger aus den öſterreichiſchen Ländern haben natürlich vor allen
anderen den Vorzug: denn die Gründung wurde begonnen und vollen-
det, damit Niemand, welcher dem Kaiſerthume angehört, ſich zu Jeru
ſalem vereinzelt fühle, ſondern in der Nähe der Heiligthümer, durch
welche die Bruderliebe ſo eindringlich gepredigt wird, von der liebe-
31
vollen Fürſorge ſeines Vaterlandes ſich nmgeben fühle. Zunächſt wird
auf die Angehörigen der nicht öſterreichiſchen Länder des deutſchen
Bundes Rückſicht genommen werden. Die Zeit, während welcher die
Pilger dort Koſt und Wohnung erhalten, iſt vorläufig auf vier Wochen
angeſetzt. Endgiltig wird ſie durch die Statuten beſtimmt werden,
welche ich dem Pilgerhauſe zu geben hoffe, ſobald über alle Einzelnhei-
ten eine entſprechende Reihe von Erfahrungen geſammelt iſt.“
Zu Seite 396.
Pilger diplom.
76.) In Dei nomine. Amen. – Omnibus et singulis praesen-
tes literas inspecturis vellegi audituris fidem notumque facimus
Nos Terrae Sanctae Custos, Rdm. Dmn. Antonium Kersch-
baumer Dr. et Prof. Theologiae ad S. Hippolytum in Austria,
Jerusalem feliciter pervenisse die 18. Mensis Augusti, inde sub-
sequentibus diebus praecipua Sanctuaria, in quibus mundi Sal-
vator dilectum populum suum, imo et totius humani generis
perditam congeriem ab inferi servitute misericorditer liberavit;
utpote Calvarium, ubi Cruci affixus, devicta morte coeli januas
nobis aperuit; SS. Sepulcrum, ubi sacrosanctum ejus corpus re-
conditum, triduo ante suam gloriosissimam resurrectionem
quievit; ac tandem ea omnia sacra Palaestinae loca gressibus
Dominiac beatissimae ejus Matris Mariae consecrata, a Reli-
giosis nostris et Peregrinis visitari solita, visitasse et magna cum
devotione in eis Missam celebrasse. –– In quorum fidem has
scripturas officii Nostri sigillo munitas per Secretarium expe-
diri mandavimus. – Datis apud S. Civitatem Jerusalem ex ve-
nerabili nostro Conventu SS. Salvatoris, die 27. mensis Augusti,
anno D. 1853.
De mandato Reverendissimi in
L. S. Christo Patris, Fr. Joseph Salvati,
Secretarius Terrae Sanctae.
Erratum.
S. 151 muß es heißen: Alexander der Große fand im nahen
Fluſſe Cydnus beinahe den Tod.
*Nechithar -Buchdr. in Wien.
3 m h a l t.
I. Abſchied von der Heimath
II. Von Wien nach Galacz -
III. Von Galacz nach Konſtantinopel
IV. Erſter Aufenthalt in Konſtantinopel-
V. Ausflug nach Bruſſa-
VI. Zweiter Aufenthalt in Konſtantinopel
VII. Von Konſtantinopel nach Smyrna -
VIII. Von Smyrna nach Beirut - -
IX. Aufenthalt in Beirut - -
X. Ausflug auf den Libanon
XI. Auf dem Berge Carmel: :
XII. Vom Carmel nach Nazareth und zurück
XIII. Von Caiffa über Jaffa nach Jeruſalem
XIV. Erſter Aufenthalt in Jeruſalem
XV. Ausflug zum todten Meere: -
XVI. Zweiter Aufenthalt in Jeruſalem -
XVII. Ausflug nach Bethlehem -
XVIII. Dritter Aufenthalt in Jeruſalem
XIX. Ausflug nach St. Johann in der Wüſt
XX. Abſchied von Jeruſalem - - - -
XXI. Von Jeruſalem nach Alexandrien:
XXII. Die Quarantäne zu Alexandrien
XXIII. Aufenthalt in Alexandrien -
XXIV. Von Alexandrien über Trieſt nach Wien
XXV. Schluß und Rückblick - - - -
–«-S-SO-D->-
: 216
Seite.
11
16
42
58
94
121
133
144
162
174
225
246
. . 280
295
303
318
341
345
356
Z61
368
383
393
.“
Ä.
k.lr-Hof
- sº
-
F
T
- - - -
- -
Alxervorstalfang