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--- - |- - - - | | - - kk H of B 1 B u 1 o TH Ek - - OSTERR NATIONALBIBLIOTHEK Lustreise ins Morgenland. ------- - Lustreife ins M o r g e n l a n d. Unternommen und gefchildert OON Dr. Titus Tobler. Grfter Theil. -am-m-m Z ü r i ch , bei Orell, Füßli und Compagnie. 1 8 3 9. WJ o r w o r t. Von manchen Seiten her wurde ich aufgefor- dert, die Beschreibung meiner Lustreife in das Morgenland der Presse zu übergeben. Ich hätte es vielleicht nicht thun follen, – ich entsprach der Aufforderung. Wohl wäre es möglich, daß die Sache allzu leicht genommen würde. Es ist viel minder fchwierig, zu reifen, als eine Reife, zum Behufe öffentlicher Mittheilung, zu beschreiben. Wer einzig zur Erholung herumwandern will, ferne vom Vorfatze, etwaige Wahrnehmungen, VI Beobachtungen und Erfahrungen ans Tageslicht zu ziehen, darf sich nur den Paß und defen gol- denen Rahmen verschaffen; legt er den Wanderstab hin, fo verlangt man von ihm im Ernte kaum Rechenschaft darüber, ob er viel oder wenig, rich- tig oder unrichtig aufgefaßt habe. Umgekehrt verhält es sich mit dem Reifenden, der eine Be- fchreibung durch den Druck bekannt macht; das Wort ist nicht mehr fein eigen, fondern Gemein- gut der Leser, der Gewährsmann wird in die Schranken des öffentlichen Gerichtes gerufen. Ich fehe gut die weithin langenden Folgen meines Versprechens, und gleichwohl rücke ich heraus mit meinen Tageblättern. Wenn ich die Auffor- derung recht verstanden habe, fo will man, ohne meine wirklichen Mühfeligkeiten, im Geiste mir nachreifen; man erwartet keine neue Entdeckungen weder aus der Vor-, noch Mitwelt, weder in Be- ziehung auf die Kenntniß des Himmels, noch der Erde, weder ihrer Bewohner, noch Hervorbring- niffe; man will. Bekanntes in einem traulichen Kreife zusammenplaudern; man denkt billig genug, VII daß ein Lustreifender, der in einer Spanne Zeit drei Welttheile berührt, der Wiffenschaft keine Dienste leistet. Ich rücke darum mit meinen Tageblättern heraus, weil die Erwartungen nicht über meine geringen Anf prüche hin- auf reichen. Aber warum wurde denn die Beschreibung nicht zeitungswarm geliefert? So höre ich die Frage an mich richten. Mit einer Antwort bin ich keines- weges verlegen. Ich mochte nun einmal nicht in den bestaubten Reisekleidern unter fo anständige Leute treten. Weil es anders nicht fähicklich ge- wesen wäre, so begann ich den egyptischen und palästinischen Staub herauszubürsten. Freilich da merkte ich bald, daß in meinem Heimathlande nicht mehr die stillen Klostermauern mich umfangen; ein Hinderniß häufte sich auf das andere. Das Reife-Tagebuch lag neben meinem Krankenbuche, und Jedermann weiß, daß die Leidenden in der Regel durch etwas ganz Anderes genesen, als durch Schildereien aus dem Leben eines Pilgers. Kurz, ich stellte die Reifebogen in den Hintergrund, und VIII widmete meine Feder vorzüglich den Tageblättern für meine Kranken. Doch nach und nach fchaffte ich, fo gut es in der vielzersplitterten Muße gehen wollte, wenigstens einige Ordnung, daß ich nun endlich die Schwelle des Hauses verlaffe, um – der Geneigtheit und Nachsicht der Leser mich zu empfehlen. Lutzenberg, im Appenzeller-Lande, an Ostern 1839. Am 22. August 1835 trat ich, vom schweizerischen Kan- ton Appenzell aus, meine Reise an. Sie nahm ihre Rich- tung über den Arlberg, über Insbruck, Bozen, Trient, Vicenza, Padua und Venedig nach Triest. Ich werde diefe Reise durch eine Gegend, welche, so zu sagen, nur einen Sprung weit von meinem Heimatlande entfernt ist, nicht näher berühren. Ich erwähne bloß, daß ich dießmal mit ungleich mehr Zufriedenheit durch diesen Theil Welsch- lands reitete, als im Jahre 1826, wohin ich von Wien aus einen Abstecher gemacht hatte. Ich wählte vorzüglich italienische Wirthshäuser, und die Wahrheit heischt von mir das Bekenntniß, daß ich nicht den mindesten Grund zu Klagen über Betrügereien in denselben fand. Niemals handelte ich mit den Wirthsleuten zum Voraus die Mahl- zeit ab. Bei deutschen Wirthen dieses Landes befand ich mich eher schlimmer. Zank und Streit mit zwei Vetturini waren ganz unsere Schuld, oder vielmehr die meines Reise- gefährten, eines Kroaten, der weniger bezahlen wollte, Tobler , Morgenland. 11 2 als wir bereits fchon übereingekommen waren. Gs bot ein rührendes Schauspiel dar, wie ein Vetturino nur das Sei- nige verfechten mußte. Wenn die Deutschen oder wenig- stens die deutsch Redenden auf diese Weise fortfahren, es dürften sich traun die italienischen Vetturini brüsten, um dem deutschen Uebermuthe die Flügel zu stutzen. Die Deut- fchen, welche nach Italien reisen wollen, hauen darum leicht über die Schnur, daß fiel auf erster Linie mit den Schlech- tigkeiten der Italiener allzusehr sich vertraut machen, statt daß sie es sich angelegen fein laffen, die Gedanken in ihrer Sprache auszutauschen. Der Deutsche, gewohnt, beinahe in jedem schlechten italienischen Gewande eine schlechte Seele zu fuchen, richtet auch nach dieser, über das Gebirge ge- fchleppten vorgefaßten Meinung, die Behandlung des Ita- lieners. So wie aber dieser wahrnimmt, daß der Fremde an ihm keinen grünen Zweig erblickt, mag es ihn freuen, daß der Reisende sich ja nicht täusche, Den 29. August. Ich langte in der überaus lebhaften Handelsstadt Triest an. Meine Empfehlungen an dafige Häuser thaten er- wünschte Wirkung. Gin Landsmann gab Anleitung zum Einkaufe der für die Seereise nöthigen Effekten. Ein jü- disches Haus kam mir zuvor, um später den Aufenthalt in 3 Alexandrien mir angenehm zu machen, und versah mich mit Schreiben, damit mir die Reise nach Egypten in finanziel- ler Beziehung gesichert werden folte. Sechs Tage mußte ich warten, bis ein Schiff unter Segel ging. Mein Vertrag mit dem Kapitän, Herrn Simon Budin ich aus Loffin, wurde doppelt ausgefer- tigt, und in demselben ausdrücklich bemerkt, daß ich freie Hand behalten wolle, wenn zur bestimmten Frist die Ab- fahrt nicht erfolgen würde. Der Vertrag beschlug übrigens, um nach Landart zu sprechen, nicht bloß Logis, fondern auch Kost. Donnerstag den 3. September. Ich ließ mein Bett, (ein Kiffen, eine Stramaze (Stra- mazzo, Matratze), eine Wolldecke, (Kotze), zwei Lein- tücher) und meine übrigen Gffekten an Bord bringen. Vom Kai holten sie unsere Matrosen ab, ohne daß ich mich vor der Hand weiter darum bekümmerte. Abends neun uhr rief ich den Matrosen unsers Schiffes, il Giusto. Gleich ruderten fiel mir entgegen, und ich nahm Abschied vom Lande. Frohmüthig bestieg ich meine neue Behausung. Mein Auge weidete sich zuerst an dem Walde von Maf- bäumen und an dem fernenreichen Himmel; dann trat ich in die Kajüte, wo ich meine Effekten in Ordnung fand. Ein fester Bursche, der Buchhalter (scrivano), faß eben 4 an einer wohlbesetzten Tafel; ein mit rothem Wein gefüll- tes Glas wurde nicht felten von feinem Munde magnetisch angezogen. Derselbe plauderte an. Einem fort anmuthig und offenherzig; er nannte ohne Umschweif die Regierung von Triest eine strenge. Als er inne ward, ich sei ein fchweizerischer Republikaner, gab er Freude zu erkennen. Im Politischen faßte ich mich kurz. Ich suchte darzuthun, daß die Regierungsform nicht immer wesentlich die Wohl- fahrt eines Volkes untergrabe oder begründe, und fügte hinzu, daß die Schweizer im Allgemeinen zufrieden leben. Ich sprach mit einer Mäßigung und Zurückhaltung, daß kein Schein da war, als wolle ich den Republikanismus außer meinem Vaterlande verkündigen. Die Kajüte gefiel mir; blau angestrichen und geräumig; in der Mitte ein Tisch, ringsum Stühle und ein Kanape von hartem Holz. Zum Ueberfluffe eingerahmte Bilder: hier das Sinnbild der Dreieinigkeit; dort ein pausbäckiger Zweimaster mit österreichischer Flagge; ferner weibliche Schönheiten aus allen vier Welttheilen. In einer Ecke ein Käfich mit zwei Kanarienvögeln. Für mein Lager war zur Seite der Kajüte ein Kasten, den man cuccietta nennt, und der durch zwei Flügelthürchen verschloffen werden kann. Der Kapitän hatte noch ein besonderes Schlafgemach, wel- ches durch Thüre und Vorhang von der Kajüte getrennt war. O Um zehn Uhr sollte der Kapitän ankommen; allein die Vergnügungen auf dem Lande feffelten ihn über die Zeit. Mich überfiel Schläfrigkeit; ich begab mich zu Bette, nicht ohne einige Besorgniß, auf einem Lager, welches durch seine Weichheit sich nicht zum Besten empfahl, nur mit Mühe den Schlaf zu finden. Bald langte der Hauptmann mit meinem Reisegefährten an. Es dauerte nur noch kurze Zeit, und ich fchlief. Den 4. September. Nach Mitternacht hörte ich lautes Getrampel. Die Matrosen waren beschäftigt, das Schiff in fegelfertigen Stand zu stellen. Erst in der Frühe wurden die Segel dem Winde gegeben. Doch wir mußten zuerst laviren; denn einiger Proviant und das unter polizeilicher Aufsicht gelegene Schießpulver waren noch nicht eingetroffen. Ein zureichender Grund bewegt mich, meinen Reifege- fährten Cefare nicht bei feinem Familiennamen in den Kreis meiner Leser einzuführen. Aus einem großen Dorfe bei Mailand gebürtig, studierte er in Pavia, hielt sich als Apo- thekergehülfe in Venedig, und die letzten vierthalb Jahre in Triest auf. Gr theilte mir, auf verdankenswerthe Weise, eine Reisebeschreibung, Viaggio in Siria e nella Terra Santa von Giovanni Failoni (Verona, 1833, Pietro 6 Bisesti), mit. Ein anderer Paffagier blieb zu nicht ge- ringem Verdruffe des Schiffmäcklers aus, wiewohl er fein Jawort zur Abreise gegeben hatte. Er war ein Deutscher, dem Vermögen nach unabhängig, und nur Reiselust ent- zog ihn seinem Familienschooße. Wenige Tage vor meiner Abreise erhielt er aus Kairo Nachricht vom 31. Juli, daß dort die Cholera herrsche, und eines Mehrern bedurfte der bewegliche Mann nicht, um den Reiseplan vorläufig auf fich beruhen zu laffen. Mittlerweile lief noch denselben Tag, auf welchen unsere Abreife festgestellt war, ein Schiff von Alexandria ein, mit der günstigen Zeitung, daß der Gesundheitszustand in Egypten befriedigend sei. Von Hezels arabische Grammatik, aus der freigebigen Hand des zurückgebliebenen Deutschen, war wohl ein geringer Ersatz für eine Gesellschaft, auf die ich vergeblich mich so lebhaft freute. Der Kapitän, ein farkbärtiger Mann, von gedrunge- nem Körperbau, noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt, war nicht ohne Bildung. Gr sprach etwas Französisch, benahm sich Anfangs zuvorkommend, und beantwortete wil- lig die Fragen, welche dem Reisenden auf der Zunge liegen. Die ganze Bemannung des Schiffes machte keinen widri- gern Eindruck, als die Floßknechte, mit denen man auf der Isar und Donau von München nach Wien reist. 7 Der erste Ort, der mir an der Küste auffiel, war das Kap von Istrien (Capo d’Istria). Gin langes Gebäude bezeichnet das Gefängniß. Dann Isola auf einer Land- zunge; la Punta del Savore. Die Nacht war herrlich; der Mond verbreitete fanft feinen himmlischen Glanz über das schweigende Meer. Triest war noch nicht verschwun- den; man erblickte immer noch feinen Leuchtthurm. Den 5. September. Endlich fieht man nichts mehr von Triest. Die Luft regt sich ein wenig, und wir machen dabei einige Fort- fchritte. Das Schaukeln des Schiffes vermochte mir leich- ten Schwindel zu verursachen, der sich nach einem Trunk mit Rhum vermischten Waffers fogleich verminderte. Ich glaube, die fattelfestesten Legitimisten könnten auf dem Meere Schwin- delköpfe werden. Mittags kehrte mein Taumel zurück, und ich fand für gut, mich während des Mittagessens mit der einen Hand am Tische zu halten. Uebrigens fchmeckte mir die Suppe vortrefflich, und gleichzeitig erging sich mein Auge an den Mehlperlen, weßwegen fie. Paternoster genannt wird; auch mußte ich über die Suppe lachen, daß fie, in allem Grnst, mir im Teller die Ebbe und Fluth des Mee- res anschaulich machte. Unsern Cesare wollte der Schwin- del ebenfalls übernehmen, er verließ den wohlbedeckten Tisch, 8 und begab sich auf das Verdeck. Der Sirocco (Südost- wind), der heute ziemlich stark blies, rieth uns, von der Küste sich mehr zu entfernen, so daß man den Küstensaum in Osten, als einen Spiegelrahmen, wohl wahrnehmen, aber keine Ortschaften unterscheiden konnte. Den 6. September. Ein eingetretener Nordostwind brachte uns über Nacht beträchtlich weiter. Wir näherten uns ziemlich dem Ufer. Des Morgens erblickte man zur Linken, uns gerade gegen- über, den hoch über die Hügel emporragenden Berg Cal- diera; dann füdöstlich das Promontore, wo bei Nacht den Seeleuten eine Laterne leuchtet, und wo wir bald vorbei- geschifft waren; ferner deckte den Hintergrund, in der glei- chen Richtung, der Monte d’Offero, eine breite Bergkuppe, der erhabenste Punkt des Gilandes Loffin. Jenes Promon- tore bildet den südwestlichen Grenzwinkel des Festlandes, von Istrien. An dem Promontore vorbei; und es beginnt das Mare Ouarenaro, an defen Gnde die Stadt Fiume liegt; auf diesem Meere schlugen die Wellen wilder gegen das Schiff. Nach dem Zeugniffe der Seemänner macht das Ouarenaromeer, im Winter, wenn der Nordwind (tramontana) brauset, die Schifffahrt sehr fchwierig. Ich genoß kaum je in meinem Leben fo entzückende Augenblicke, 9 ------- ------ -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - --- als an diesem Morgen. Majestätisch jagte unser Giusto die tobenden Wellen aus einander, die felbst auf das Ver- deck stoben. Der Anblick der entstehenden und gleich wie- der verschwindenden kleinen Hügel und Thäler war zu köst- lich. Süß verschmolzen vaterländische Erinnerungen in den wirklichen Genuß der Seereise. Ich vernahm, daß in der Nähe des Promontore eine alte griechische Kolonie ihre Sprache und Sitten beibehalten habe. Ich gedenke defen nicht, weil ich glaube, etwas Neues zu fchreiben, fondern weil es mich nicht minder an- sprach, als die Thatsache, daß, in der Nähe von Verona, die Bewohner der Sette comuni, als Abkömmlinge deut- fcher Auswanderer, noch ein deutsches Sprachgerippe reden, obschon sie von der italienischen Sprache umringt find. Wir geriethen in eine Inselgruppe: zur Linken Unie, Canidole, zur Rechten die kleine, jedoch nicht minder merkwürdige Insel Sanfego, weil sich auf ihr keinerlei Gestein findet, während der Archipel gleichsam nur Stein- haufen vorstellt. Aus Sand und wenig Erde bestehend, wird diese Insel von ungefähr fünfhundert Einwohnern zum Weinbau benutzt, die sich in der Zwischenzeit mit dem Fischfang abgeben. Den 7. September. Nach dem Erwachen stellte sich zur Rechten die Insel 10 Pietro di Nembo, und östlich im Hintergrunde eine bergichte Küste dar, welche zu Kroazien gehört. Noch Vormittag erreichten wir den fogenannten Hafen von Loffin grande. Mein Aufenthalt auf dem Eilande Loffin oder Offero. Loffin interessierte mich ungemein, weil mein Auge foviel Fremdartigem begegnete. Das ganze Giland besteht aus Kalkstein, der an den meisten Orten nackt hervorguckt. Er lagert sich fähief von Westen nach Osten, und öffnet kleine Buchten oder, mit andern Worten, natürliche Häfen in Menge. Derjenige in Loffin grande gewährt ziemliche Si- cherheit vor dem Ungestüm des Windes, faßt aber bloß drei größere Schiffe (bastimenti). Um so geräumiger dagegen ist der Hafen von Loffin piccolo, der wenig zu wünschen übrig läßt. Zwischen den fo zahlreichen Stein- blöcken, welche der Insel ein ziemlich ödes Ansehen verlei- hen, erscheint hie und da eine röthliche Grde, welche, ob- wohl fie nie gedüngt wird, leicht hervorbringt. Die Ve- getazion überraschte mich besonders. Fast überall stark - und wohlriechende Pflanzen, welche den freigebigen Süden begleiten. Wenn ich ausging, fo war es meine Wonne, einen wohlriechenden Strauß zu pflücken. Die Ginwohner felbst scheinen durch die Gewohnheit für die Genüffe, welche 11 die Flora darbietet, unempfänglich geworden zu sein. Nir- gends fah ich auch nur einen Blumentopf; nirgends ein Mädchen mit einer Blume oder einem Strauße geschmückt. Unter den angebauten Gewächsen stehen der Oelbaum, der Feigenbaum und die Rebe oben an. Beinahe fo oft ich den Oelbaum betrachtete, trug die Phantasie mich in das gelobte Land, wovon das Buch aller Bücher so viel Denkwürdiges erzählt. Vor allen andern ein zahlreich gepflanzter Baum, bemüht er sich an den Abdachungen Loffins, von den Stei- nen den CHarakter der Traurigkeit auszulöschen. Das Lof- finer-Baumöl ist sehr gut, und soll selbst demjenigen von Lucca nicht nachstehen. Hundert Pfund (zu 16 Unzen) Oli- ven geben beiläufig vierzig Pfund Oel. So rechnen die Leute. Außer, daß die Feige frisch gegessen wird, vermengt man sie auch mit Gewürz und bereitet eine Art Teig, der in etwa vier Zoll hohe Kegel geformt und dann an der Sonne getrocknet wird. Man nennt diese Mischung Fei- genbrot (pane di fichi), und wird im Winter als Lecker- biffen genoffen." Auf die Rebe wird möglichst wenig Sorg- falt verwendet; man enthebt sich der Mühe, fie zu pfählen; nur an wenigen Orten wird sie etwa an einer Mauer auf gezogen; sie kriecht daher auf dem Boden fort, wie der Himbeerstrauch. Bei meiner Anwesenheit war die Weinlese zum Theile schon vorüber. Die gesammelten Trauben bringt 12 man in einen Schlauch, von der Gestalt eines mißgeborenen, ausgestopften Kalbes. Es ist recht drollig zu fehen, wie die Weiber folche Mißgestalten auf ihren Köpfen tragen. Der Sack ist in der That nichts Anderes, als das Fell eines Ziegenbockes, welches ganz nahe geschoren, gleich hin- ter den Vorderbeinen ringsum abgeschnitten und dann um- fülpt wird. Die den Hinterbeinen und dem Schweife ent- sprechenden Oeffnungen zugebunden, wird das abgezogene Fell bloß mit dem Athem aufgeblasen und an der Luft ge- trocknet. Hierin liegt alle Kunst der Sackbereitung. Der Wein ist stark, aber herbe, fchwer, etwas bitterlich. Es gibt auch fehr guten, füßen und geistigen Wein, defen Be- reitung aber auf besonders delikate Weise geschieht, und der nur auf die Tafel fashionabler Lebeleute gesetzt wird. Als Seltenheit wächst auch der Dattel-, Granat-, Zitronen- und Pomeranzenbaum. Loffin grande wie piccolo bieten kein übles Aussehen. Die Häuser find von Stein gebaut; das Wenigste daran von Holz. Die Dächer bestehen aus Hohlziegeln. An ei- nigen Häusern Rinnen, durch welche das Waffer ins In- nere der Wohnungen zum Hausgebrauche geleitet wird. Von andern aber rieselt das Waffer in der Rinne, wenn es nicht in Kübeln aufgefangen wird, auf die Straße herunter, wo es fortfließt, um bei starkem Regen ein ordentliches Bäch- 13 lein zu bilden. Auf Brunnenquellen würde man fich um- sonst trösten. - Ihre Stelle vertreten Ziehbrunnen. Nicht von allen Häusern erheben sich Kamine. Im Freien, an den Eckmauern der Wohngebäude fah ich an vielen Orten eine Art Herd. Die Mauern schienen mir sehr fest, wozu sich der harte Kalkstein vortrefflich eignet, und der Mörtel zeichnet sich durch Güte aus. Ueberhaupt mögen hier die Mauern viel länger halten, als in nördlichen Gegenden, wo die Kälte unermeßlichen Schaden anrichtet, wie beson- ders das Jahr 1830 bezeugen kann. Um Gaffen anzulegen, wurde an vielen Orten nur der Kalkfelsen ein wenig aus- geebnet. Sie werden länger dauern, als anderwärts die aufs kunstreichste und kostbarste gepflasterten Straßen. Allein fie laden eben nicht am freundlichsten ein. Die spitzigen Geschiebsteine schneiden beinahe in das Leder der Schuhe, und leicht gleitet man auf den Flächen des Felsen – nicht in den Himmel, wohl aber auf den Boden. Besonders, mühsam wird das Gehen außer den Dörfern. Wer einmal in der Schweiz einen recht steinigen, doch beffern Berg- weg wandelte, kann sich das Gehen auf den hiesigen Land- wegen gar leicht vorstellen. ueber große unreinlichkeit auf Plätzen, Wegen u. f. f. könnte man gerade nicht klagen. Keine Misthaufen. Das Vieh ist aber nicht zahlreich; wenig Kühe werden gehalten; am meisten noch Schafe und - - - - - - - - - - - - - 14 Ziegen. Letztere haben lange, feidenartige Haare und lie- fern einen schmackhaften Käse. Nur ein einziges Pferd nahm ich wahr; es ritt darauf eine kranke Frau, fich Bewegung zu verschaffen. Gin Fuhrwerk rollte schon gar nicht vorüber. Es zieht sich zwar eine fchmale Straße von dem großen Loffin nach dem kleinen, die allerdings fahrbar wäre, wenn man auf eine Luftfahrt Verzicht leisten wollte. Gs darf übrigens nicht unerwähnt bleiben, daß auch hier die französischen Umwälzungsmänner eine Spur ihres Wirkens zurückließen, indem fiel diese Straße bauten. Andere, als solche Thiere, welche der Hauswirthschaft, fo zu fagen, angehören, find felten. Um die Bewohner zu beobachten, war mir Mariens Geburtstag willkommen. Soll ich im Namen Loffin grande beklagen, daß die dortigen Frommen die obere Kirche nicht ausfüllten? Wie ich in das Gotteshaus trat, spielte eine Musik, die hätte zum Tanze ermuntern können. Grft als die Orgel ertönte, hob eine ernstere Melodie an. Die Frauen knieten bald auf den Boden, bald ließen fiel sich auf die Fersen nieder, andere faßen auf dem Boden, indem fiel die Füße auf einer Seite an sich zogen, noch andere kauerten bloß auf einer Ferse, und streckten den andern Fuß vorwärts, daß das Bein der Länge nach auf dem Boden ruhete. Uebrigens wußten fich alle gar züchtig niederzu- 15 *-- -- ------ =-------- - - - - - - - - - - - - - - setzen. Man durfte wenigstens drei Viertheile Frauen auf nur einen Viertheil Männer annehmen: ein Mißverhältniß der Leute beiderlei Geschlechtes, das später klar wird. Ein ziemlicher Theil Frauenzimmer war gar fchön aufge- putzt, und ihre Andacht fpendete dann und wann einen Blick auf die Seite in die Welt, und vermochte ein welt- liches Schmunzeln nicht zu überwinden. Die Zahl der Priester fiel mir auf. Das große Loffin zählt zu feinen 2400 Einwohnern vierzehn Priester, darunter vier, welchen die eigentliche Seelsorge obliegt. Einige Male traf ich einen alten, gutmüthigen Priester auf der Straße: feine Kleidung lieferte einen ansehnlichen Beitrag zu Löchern und Lappen, das heißt, zur Bescheidenheit und Demuth. Die Leute kleiden sich wohl. Selbst in der Hitze des Tages umgibt die Jacke den Oberleib. Von der Kleidung der Männer springt nichts Besonderes in die Augen. Dem weiblichen Geschlechte gebührt das Lob oder der Tadel eines eigenthümlichen Kopfputzes. Gin Flor von Muffeline bildet auf jeder Seite einen Ring, ohne den Kopf zuzu- decken. Wer möchte diesen Rückprall einer Kinderei schön nennen ? Die Loffiner thun sich durch Körpergröße hervor. Man muß zwei Menschenschläge unterscheiden, einen italienischen und flawischen. Die Venezianer eroberten zu einer Zeit 16 – - - die Insel. Vom italienischen Schlage find sowohl reine, als mit dem flavischen vermischte Sprößlinge vorhanden. Auf den Leuten vom italienischen Schlage ruht der Zug der Schönheit, von etwas Gölem, von Stolz, welcher Zug fich in der Regel charakteristisch beim Herrscher aus- spricht. Das pechschwarze Haar und die Gluth der fchwarzen Augen könnten uns in die Mauern Padua's versetzen. Die Bewohner vom flavischen Schlage, weitaus die Mehrzahl, zeichnet ein breites Gesicht, hervorstehende Backenknochen (felten volle Backen), eine etwas ausgebogene Nase, üp- piges, bräunliches oder blondes Haar aus. Wie es zwei Schläge gibt, fo zwei Sprachen. Der Sieger brachte das Italienische, welches jetzt noch in den Kreisen der Wohl- habendern geredet wird; bei den Uebrigen das Kroatische, welches vorherrscht, oder die eigentliche Landessprache ist. Die Leute beschränken sich in ihren Beschäftigungen nicht bloß auf Viehzucht, Ackerbau, die Weiber auf Spinnen, Sticken u. dgl., sondern die Loffiner beziehen ihre Nahrung auch vom Fischfang, und, die Hauptsache, ein bedeutender Theil verlegt sich auf die Schifffahrt. Die Loffiner bilden mit den Bocchesen den Kern der österreichischen Seemacht. Loffin piccolo nennt mit Stolz allein über achtzig größere Kauffahrteischiffe (bastimenti). Da stößt man auf eine Menge Kapitäne, welche die Meere durchfegelten, und von 17 Konstantinopel, Alexandrien, Algier, London u. f. f. er- zählen, nur nicht von Stürmen, als etwas Abgedroschenem. Bewog Liebe zu ihren Ehemännern felbst Frauen, fich auf unsichern Fluthen zu entfernen, um zugleich angenehme Berührungen mit den berühmten Städten der Welt herüber zu nehmen. Der Vater des Kapitäns, Podestà (Gemeindspräsident) Budin ich, empfing uns mit vieler Gewogenheit. Am zweiten Tage nach der Ankunft in Loffin wurden Cesare und ich von ihm zu einem Mittagsmahle eingeladen. Gern entsprachen wir der Einladung. Zwei Familien vereinigten fich, um sich und uns Gesellschaft zu leisten; die Menge Kinder dabei lachte, lärmte, befahl u. dgl., so daß Einem die Zeit nicht lange werden konnte. Das Gespräch ver- breitete sich größtentheils über Seereisen. Ich wurde als Mann mit deutscher Zunge auf recht schonende Weise be- handelt. Einmal fagte der Signor" Patrong” zu Cefare, als diefer nicht trinken wollte: Italiani, Sociani. Er sagte es in so gutem, so wenig exkommunizierendem Tone, daß ich es ihm nicht im mindesten - übel nehmen durfte. Die Tafel war üppig bestellt, und deswegen schon ein Dorn in meinem Auge, um mich an einem andern Tage nochmals zu ihr hinzusetzen. Der freundliche Ton der Fa- milien gefiel mir unaussprechlich. Ich möchte behaupten : 18 Familienliebe ist eines der erhabensten religiösen Gefühle. Unser Hauptmann faß neben dem Vater, bescheiden und wenig redend, der innigsten Liebe Blicke brüderlich erwies dernd, welche auf ihn die daneben fitzende Schwester hef tete; für ihn plauderte der erfahrnere Vater; der Sohn gebot auf dem Schiffe, wo er an einem Platze war. Der Umstand, daß wir wider Erwarten lange nicht in die See stechen konnten, trug dazu bei, daß ich die Insel noch genauer kennen lernte. Die Lebensmittel find zum Theile fehr wohlfeil. Gin Seidel Wein, d. h. ein Viertel eines Triestiner-Pokale, kostet nicht einmal 5 Pfen- minge R. V. So wenig haushälterisch geht man mit den Trauben um, daß folche hie und da auf den Wegen her- umliegen. Dagegen ist die Milch überaus theuer. Ein Pokale Schaf- oder Ziegenmilch kostet 12 Kr. R. V., also über die Hälfte mehr, denn so viel Wein. Als ich eines Nachmittags nach dem kleinen Loffin ging, zog eine Weberin meinen Blick auf sich. Ich trat sogleich in das Zimmer. Gine alte Frau, mit einer Brille auf der Nase, jagte mühsam das Schiff durch die Kette. Der Webstuhl war sehr einfach, klein und fo eingerichtet, daß er mit leichter Mühe an einen andern Ort gebracht wer- den kann. Das Weib wob grobes Tuch. Indem es mit beiden Füßen zugleich, jetzt auf die einen zwei, dann auf 19 die andern zwei Schemmel, überhüpfte, setzte es diese in Bewegung. Gleich hernach nahmen meine Aufmerksamkeit dem Webstuhle gegenüber fich befindende zwei Steine in Anspruch. Gs waren Mühlsteine, die von Menschenhand herumgedreht werden, um das Speisemehl zu bereiten. Solche Mühlsteine trifft man in den meisten Bauernhäu- fern. Dürftigkeit ruft der Einfachheit. Auch dieses Mahl-, Web-, Wohnzimmer u. f. f. war etwas sparsam durch das Fenster beleuchtet, und das meiste Licht trat durch die Thüre. Das Nämliche gilt auch von vielen andern Häu- fern. So fah ich ein Mädchen nicht ohne Kunst auf einem Rahmen nähen; um aber die, die Augen etwas mehr anstrengende Arbeit verrichten zu können, mußte es fich an die Thüröffnung fetzen. Loffin grande kann sich eines Kalvarienberges rühmen, deffen Aussicht das Meer ringsumher beherrscht. Im Hin- tergrunde des Ostens steigt das Küstenland Kroaziens him- melan. Doch welch öder Anblick! Fast nichts als Stein oder Felsen bieten fich dem Auge dar. Wenn der Himmel recht hell sei, soll man im Westen selbst Ankona fehen. Da die Bewohner von Loffin keine tiefe Erde aufzuwei- fen vermögen, so leuchtet bald ein, daß sie keine Gottes- äcker, dafür aber Todtengrüfte besitzen. In Lofin grande öffnet sich gleich neben der untern Kirche eine Gruft. Durch 20 eine der fünf Oeffnungen wird die Leiche an Stricken in dieselbe versenkt. Gin Sarg würde zu viel Raum einneh- men, und so werden die sterblichen Ueberreste bloß in ein Tuch gewickelt, um sie beizusetzen. Es kann sich biswei- len erreignen, daß eine Leiche auf eine andere geschichtet wird; doch fucht man dieß bestmöglich zu vermeiden. Die Oeffnung wird nach jeder Beisetzung durch eine Steinplatte geschloffen und zugemauert, damit die kadaveröfen Aus- hauchungen der Gesundheit keinen Schaden zufügen. Der Boden der Gruft ist fiebartig durchlöchert, und deckt eine andere Höhle, welche mit dem Meere in Verbindung steht. Durch dieses Sieb finden nun diejenigen Theile des mensch- lichen Körpers, welche der Verwesung zufallen, einen Aus- weg, und das bloße Gerippe bleibt am Ende zurück. Wehe einem Scheintodten, welcher in einer solchen Gruft wieder lebendig würde. Grauenvolleres könnte man sich kaum vorstellen, als das Leben unter faulen , finkenden Leichen, wo die Aussicht, dasselbe zu retten, fo gut, als ganz abgeschnitten wäre. Ich bedaure es, daß ich die Gruft felbst nicht fah. Wohl nahm ich in der Kirche einen ausgesetzten, nur mit einem dünnen Tuche verhüllten Leich- nam wahr. Im Hause des Herrn Marco Sopranich zeigte man mir einen Sarg, worin Wachskerzen aufbewahrt werden, auf den Fall, daß im Hause Jemand sterbe. 21 Die Festtage scheinen die Lofiner nicht so strenge zu feiern, als die Katholiken der deutschen Lande. In Loffin piccolo war an Mariä Geburt die Fleischbude offen, und Einer blies fo eben das Fell eines Ziegenbockes auf. Lumpige und unreinliche Leute trugen sich auch an diesem Tage nicht anders, als an Werktagen. Ginen großen Theil des Volkes soll die Armuth in hohem Grade drücken. Gs ist voreilig, wenn man von vielen Reichen gleich auf den Wohlstand der Bewohner eines Landes im Allgemeinen schließt. Wenn allerdings unter den Lofinern manche sich ansehnlicher Schätze erfreuen, so muß man indeß bedenken, daß das Eiland der See eine Menge Matrofen lie- fert, welche zu Hause ein Weib mit Kindern unterhalten müffen, und wie unterhalten? Kärglich. Es war am 10. Abends, als ich dem Podestà, dem Vater des Kapitäns, meine Aufwartung machte, weil die Abfahrt des Schiffes auf den 11. bestimmt war. Ich wurde dießmal über das Befinden der Frau Podestà be- fragt, und Tages darauf sollte ich mehrern Frauen von Loffin meinen ärztlichen Rath ertheilen. Ich entsprach dem Ansuchen um fo lieber, einerseits, als die Wiederaufnahme meiner Geschäfte, wenn auch nur auf kurze Zeit, am ehe- sten geeignet war, den entstehenden Ueberdruß zu verscheu- chen, und um so lieber andererseits, als ich wußte, daß 22 der Arzt mit Dingen in Berührung kommt, die andern Reisenden leichter entgehen. Darf ich mir ein Urtheil zu- trauen, so läßt man fich auch in Loffin viel verschreiben, um wenig zu nehmen; man will die Aerzte aushorchen, um aus ihren Ansichten diejenigen zu wählen, die gleich- fam am meisten schmeicheln, um nicht zu sagen – die Be- quemlichkeit am wenigsten stören. Die alten Frauen zeig- ten ungemein viel Lebhaftigkeit in der Rede, wie im Be- nehmen; ich hörte nicht den leisesten Ton der Klage. Die Sprache legte dem Krankenexamen einige Hindernisse in den Weg. Da ich mich im Italienischen nur mit vieler Mühe ausgedrückt haben würde, so begleitete mich der Kapitän, und übersetzte meine in französischer Sprache gestellten Fra- gen ins Italienische, und bei einer Magd mußte dieses dann erst noch ins Kroatische übertragen werden, weil der Hauptmann von feiner Landessprache zu wenig verstand. Ein alter Schiffseigenthümer, der an einem Lippen- krebse litt, kam zu mir an Bord, um ärztliche Hülfe zu fuchen. Ich hielt deswegen mit dem achtungswerthen Dr. Bofelli, welcher in Loffin piccolo niedergelaffen ist, eine Konsultation. Es wurde diese am Borde gepflogen, weil ich wegen der Ruhr nicht ausging, die mich fit zwei Tagen plagte. - 23 Den 14. Herbstmonat. Dem Eigenthümer des Schiffes, einem reichen Manne, machte es Vergnügen, den Giusto in dem Hafen zu fehen, und fo konnten wir einmal wegen dieses fatalen Vergnügens nicht weg. Doch heute war es ihm selbst daran gelegen, daß die Abreife nicht länger verzögert werde. Indeffen hatten unglücklicher Weise der Herr Marco und der Him- mel ungleiche Launen. Man wollte die Brigg aus dem engen Hafen herausbugfiren; allein der Wind blies so widerlich, daß man den Versuch aufgeben mußte. Mittlerweile umgab uns Gesellschaft. Der Vater des Kapitäns nebst feiner Gattin und einer hübschen Anzahl Kinder waren am Borde – im Abschiedsgeleite und auf dem Wege zum Landgute. Mich freute es, dießmal die Fami- lie in alltäglichem Putze zu sehen. Der Podestà, ein ziem- lich betagter Mann, mit kahlem Kopf, von fettem Leibe, trug eine hinten breit abgeschnittene Jacke, an der hie und da die Naht von einander gähnte; die fchwarze Weste war mit hellbraunem Tabake überfäet; die Schuhe roth, ordent- lich schuppig, ein langes Register von Lobprüchen auf den Schuhflicker. Der gute Mann war stets aufgeräumt; die alltäglichste Frage pflegte er zu deklamieren; er plünderte gerne Stellen aus französischen Schriften, besonders aus Rouffeau, welcher fo unbarmherzig die Geißel über die 24 Aerzte schwang. Der französischen Sprache keineswegs fremde, überwarf er sich leicht in der Aussprache; z. B. but statt bü (but). Sogar mit lateinischen Brocken fät- tigte er zuweilen das Gespräche. Auf dem geschichtlichen Felde spielte er am liebsten und beßten. Auf echt italie- misch erzählte er, daß Loffin, die Abforus der Alten, frü- her bevölkert worden sei, als Rom. Die Italiener führen den Adel auf ihre Urväter zurück, wie die wirklichen Ade- lichen auf den Wipfel ihres hohen Stammbaumes hinauf. So lange die heutigen Italiener nicht mehr leisten, er- fcheint ihr Adel posfirlich genug. Madame, eine Frau von Geist und sehr eingezogenem, fillem Karakter, über- nahm die Rolle als Kranke. Während des Mittag mahles fetzten ihr die Bewegungen des Schiffes so zu, daß ich nicht eilig genug mein Felleisen öffnen, und ein Fläschchen herausziehen konnte. Die verheirathete Tochter, eine fette, große Gestalt, mit der Adlernase, mit Haaren, deren Farbe am wenigsten gefällt, von Ansehen überaus gut- müthig, in der Rede äußerst nachläßig schien das größte Wohlgefallen am Lachen zu finden, auf daß sie ihre blen- dend weißen Zähne weisen könne. Es fiel mir auf, daß die Kinder ihren Vater Signore und ihre Mutter Signora titulierten. Uebrigens will der Titel mit größerem Recht einen Platz, wenn man Jemandem Herr sagt, der mehr 25 oder weniger über Einen herrscht, als einen Andern, des- fen Herrschaft man sich gelindestens verbitten würde. - Hatte der Herr Podestà sich satt gegessen, wozu, als zu einem Lieblingsthema, er fich recht Zeit nahm, fo fuch- ten wir Unterhaltung im Spiele. Ich konnte ihm die ent- zückenden Lorbeeren des Gewinnes leicht gönnen, weil ich das Damenfpiel auf italienische Weise erst lernen mußte. Mit den Damen wechselten noch das Karten- und Domi- nospiel. - Ich vernahm, daß die ganze Familie, mit Ausnahme der verheiratheten Tochter, die Nacht am Borde zubringen werde. Das wird wunderlich hergehen, dachte ich bei mir selbst. Doch schickte sich die Sache ziemlich gut. Ma- tratzen wurden auf den Boden ausgebreitet, und nach lan- gem Aufbleiben legte sich Alles bunt darauf. – Der Dorfschulze, versteht sich, am breitesten, Cefare und ich steckten uns ohne Komplimente in unsere Bettkasten (cuc- cietta). Den 16. Herbstmonat. - Gestern wurden vergebens Versuche gemacht, um die offene See zu erreichen. Die Familie blieb am Borde, effend, trinkend, gähnend, fchlafend, strickend , spielend, plaudernd, ganz wie den Tag vorher. - In aller Frühe hörte man Lärm auf dem Verdecke. Tobler , Morgenland. 2 26 - Man bereitete sich vor, das Schiff flott zu machen. Am Eingange des Hafens scheiterten wieder alle Versuche, den Giusto weiter zu bugsieren. Unter einem azurblauen Him- mel, der von keiner Wolke getrübt war, durften wir wie- der liegen bleiben. – Alles in majorem gloriam einer Laune. Es war Mittag, der Tisch gedeckt, das Mahl bereitet. Der Scrivano kam zu melden, daß ein wenig Windstille eingetreten sei, welche die Ausfahrt erlauben dürfte. So- gleich Lärmen und Laufen. Gndlich gelang die Zangen- geburt. Neun Tage mußten wir uns in dem Hafen von Loffin grande aufhalten. Bei der Ausfahrt pikierte mich eine alte Figur von neunzig Jahren. Gs war ein etwas lumpig gekleideter, ehrwürdig aussehender Chorherr, der in einem Kahne herumfischte. So muß die Uebermenge Priester hier ihr Brot verdienen. Bald erhielt unfer Podestà einen Besuch am Borde von feinem Stellvertreter. Ich möchte wohl um keinen Preis deffen Kupfernase gekauft haben, aus lauter Besorgniß für einen Trinker, Notabene für keinen Waffertrinker, gehal- ten zu werden. Abends verließ uns die Familie Budin ich, welche sich auf ihr Landgut begab. Der Podestà drückte mir zwei Küffe auf den Mund, und der Anstand forderte von mir - 27 ein Gleiches. Nichts widersinniger, als daß die Männer sich küssen, und dabei die Bärte aneinander reiben. Mein Urtheil über diese Familie fällt mit Gntschiedenheit günstig. Tugendhaftigkeit, Religiosität, die von Bigottismus weit abliegt, hinderten jedoch keineswegs, daß mehr Ordnungs- liebe noch eine äußere Zierde wäre. Unsere Matrosen ru- derten, vom Kapitän begleitet, die Gäste ans Land, und nach anderthalb Stunden setzten wir unsere Seereise fort. Diesen Tag ergötzten mich zwei Delphine, die drollig da- von fchwammen. - Den 17, Links endete der Gebirgszug von Kroazien. Dort in der Nähe liegt Sarah. Südwestlich erblickten wir den Berg von Antona, dem wir, vom Sirocco genöthiget, uns immer mehr näherten. Der Wind nahm Abends fo zu, daß es ftürmte. - Den 18. Diese Nacht brauste der Meeresturm, welcher uns zur Rückkehr zwang. Die Wuth des Meeres vergönnte mir keinen Schlaf, und ich mußte mich felbst in der Cuccietta halten, um nicht von einer Seite auf die andere geworfen zu werden. In der Kajüte purzelte bald dieses, bald anderes Geräthe. Des Morgens wollte ich auch Zeuge des Schauspieles sein. Ich möchte es nicht beschreiben, 28 weil es zu gewöhnlich ist, und beinahe in alle Schilderun- gen von Seereisen, manchmal selbst da, wohin es im Ernte nicht gehört, als Würze eingestreut wird. Auf dem Verdecke fragte mich der Hauptmann: Wie gefällt es Ihnen? Das ist sehr schön, antwortete ich, hingeriffen vom Anblicke. Doch die angenehmen Momente dauerten nicht lange. Auf die Einladung des Hauptmanns ließ ich mich am Steuerborde nieder , im tröstlichen Glauben, daß ich von diesem, wie von einer Brustwehr, geschützt würde. Kaum war ich recht festgeseffen, als eine Welle über Bord fchlug, mich zudeckte und durch und durchnäßte. Ich legte mich zu Bette um darin das Gnde der Szene zu erwarten. Kurz nach Mittag warfen wir im Hafen San Pietro di Nembo Anker, wo wir schon gestern Abends vorbeige- fegelt waren. Unangenehme Gefühle bemächtigten sich meiner, weil das Schicksal mir nicht beffer zum Vorwärtskommen dienen wollte. Den 19 Wir begaben uns zur Kirche von San Pietro di Nembo. Ohne Thurm, ungemein ärmlich und klein ist fie. unter einem Dache vereinigen fich brüderlich das Wirths- und Pfarrhaus. Dieses nämlich stellt eine Kammer im obern Stocke vor. Cefare und ich besuchten den Pfarrer. Gin fetter Herr mit einer Perrücke, wußte er über ein Elend 29 viel zu klagen. Er befeufzete fein Schicksal, das ihn der . Carität unterwerfe. Es fei nicht zu unserer Ghre gesagt, daß die Börse dabei nicht das mindeste Mitleid empfand. Lateinisch verstand der Mann Gottes nicht; höchstens mag ihm das Latein bei der Meffe verständlich fein. Auf meine Frage: Quomodo, nominatur haec insula ? erwiederte er: Ego sum parocho hic. Dieser Mann kann fich, wie der Anschein lehrt, in einer Gemeinde, die nur etwas mehr, denn zweihundert Seelen zählt, fett effen. Ich rede mit meinen Lesern wohl ab. Es ist ebenfo- sehr meinen Ansichten, als meinen Neigungen entgegen, konfeffionistische Plänkeleien zu eröffnen. Ich ehre die ka- tholische Religion, aber nicht alle ihre Bekenner, nicht alle ihre Priester. Ich habe es mit Perfonen zu thun, aber nicht mit der Dogmatik. So sehr ich dem Zart- gefühl gegen Andersdenkende und Andersgläubige Rechnung trage, fo wenig nehme ich Anstand, ein freies Wort über Personen, ohne Unterschied ihres Glaubensbekenntniffes, zu führen. Nachmittags besuchte ich die Wohnungen auf der süd- lich gelegenen Insel San Pietro di Nembo. Dieses Ei- land ist im Allgemeinen fehr gedeihlich, und dem größten Theile nach ein Weingarten köstlich schmeckender Trauben. Die Feigen wachsen üppig neben den Oliven. Würde der 30 - Bischof in Veglia, Giovanni Antonio, welchem das Eiland angehört, diesem mehr Aufmerksamkeit zulenken, es müßte beinahe zu einem Paradiese erblühen. - Die Wohnungen theilen mit dem Lande nicht das gleiche Lob. Wie die ungarischen, in die Länge gebaut, haben fie nur ein Erdgeschoß; den Kamin trifft man zur Selten- heit, und feine Stelle vertritt die Thüre oder eine Quer- öffnung im Dache. Nicht minder selten sind die Fenster; ich fah nicht ein einziges. Des Sommers tritt genug Licht durch die Thüre, und wenn, was felten, im Winter die Kälte es nicht erlaubt, die Thüre offen zu halten, so macht man auf dem Herde ein Feuer an, und umlagert dieses, sich zu wärmen. Ich erinnere mich, des Sommers auf Schweizerbergen mich aufgehalten zu haben, da es fchneite, und da es nicht weniger kalt war, als es in San Pietro di Nembo mitten im Winter fein dürfte. Ich litt auf dem Berge von der Kälte sehr wenig. Ich setzte mich ans Feuer, oder legte mich ins Bett, wie auch die Hir- ten zu thun pflegen. Die Häuser von San Pietro di Nembo find von Stein gebaut und mit Hohlziegeln ge- deckt. Anstalten für Bedürfniffe, die ich nicht weiter be- zeichne, nahm ich nicht wahr. … Das Feld fei ja thätig genug, mögen die Leute denken, indem sie die Reinlichkeit zu niedrig anschlagen. Man suche in San Pietro keine 31 eigentliche Backhäuser. Als ich einem Haufen Steine be- gegnete, fchaute ich hinein, und fiehe, es war ein Back- den mit kleinen Broten angefüllt; er mußte wohl zu dem etwas weiter - unten stehenden Häuschen gehören. Beson- des zog - meine Aufmerksamkeit ein Haus auf sich, defen Mauern bloß aus übereinandergelegten Steinen befanden, ohne daß sie mit Mörtel verbunden gewesen wären. Ich ging mit buona sera hinein, und fand zwar, daß das Innere der Mauern übermörtelt war. Wer aber hätte hier einen Keller, eine Kammer, eine Küche, eine Stube, eine Mühle gesucht? – Um das Maß der Wirthschaft zu füllen, gleich außen an der Mauer fand sich ein Backofen. Die Gesetze find gegen die Winzer nachsichtig. Jedes Häuschen verkauft sein eigen Gewächs, und fo besteht das Dörfchen aus lauter Schenkhäusern. Die Bewohner, nicht ausgezeichnet groß, nicht schön, find meist von heller Farbe. Uebrigens fehen fie lebhaft und fröhlich aus. Zwei Weibspersonen fanden gar großes Vergnügen, mit den Füßen im Meere, den Saum ihrer Röcke, die fie trugen, zu waschen, und ihr fchallendes Gelächter bei diesem Geschäfte konnte sogar mich ergötzen. Was die Leute indeß auszeichnet, ist die Unreinlichkeit und Lumpigkeit. Es ging ein Weib vor mir her, an dem ich nichts unbegreiflicher fand, als daß es einen Rock trug, 32 denn dieser war so in aller Aufrichtigkeit voller Löcher, daß – –. Ich fah größere Kinder, die halb entblößt umher gingen. Wegen des Schmutzes konnte man an vie- len Kleidern, und unter den Kindern an vielen Gesichtern die Farbe nicht gehörig erkennen. Nur das Auge sah man rein, fchön, unfhuldig; wäre es aber möglich gewesen, auch dieses zu verunreinigen, wan würde es sonder Zweifel gethan haben. Von diesen unzierlichen Leuten kommt ein guter Wein in den Handel. Es war eben die Weinlese vorüber, als ich das Eiland besuchte, und mich belustigte die einfache Bereitung des Nektars. Ein Böttcher hämmert in dem dunkeln Häuschen die Fäffer zurecht, und ein Mann steht im Faffe, um Trauben herauszuschöpfen. Man wird da nichts weiter fehen; man gehe nur gleich auf die Seite des Häuschens. Da zertritt und zerdrückt ein Mann, im Freien tanzend, die Trauben. Sie stehen über einem Brete, in einem hölzernen walzenförmigen Käfiche. Wenn der Treter darin keinen Saft mehr auszupreffen vermag, so wird derselbe weggehoben; der Treber mit einem dicken Seile fchneckenartig umwunden, und dann, einen Deckel darüber, gekeltert. Wo man hinblickte, überall Weinfäs- fer. Hier, wo die Einfachheit ihren Sitz aufschlug, hat doch der Bauer feine Fäffer voll Wein, und würzt damit 33 täglich feine Gerichte; hier, wo unzierlichkeiten allen An- stand auslachen, findet man wohl noch einen Mörfer oder eine Bank von Marmor. Doch allenthalben wenigstens einiger Kontrast - Ich wollte die Schafmilch kosten; allein die Schafe werden bloß im Frühjahre gemolken. Es gibt Leute, welche die Schulen mit fchelen Augen ansehen. Sie werden sich freuen, daß die San-Pietrianer einer Schule entbehren. Der Bischof gehört nicht zu man- chen edeln Bischöfen der katholischen Kirche, die es sich zur Gewissensfache machen, für die Geistesbildung und Herzensveredlung alle Sorge zu tragen. Sonntags, den 20. Herbstmonat. Der Nordwind stellte endlich fich ein. Wir lichteten die Anker. Allein um den Kapitän abzuholen, mußten wir rückwärts steuern, in kräftigem Kampfe gegen denjeni- gen, der uns für die Fahrt nach Alexandrien nicht mehr Gunst hätte erweisen können. Der Kapitän ließ uns zu- dem beinahe ans Ufer fegeln, und damit Alles ja recht langsam und zeremoniös hergehe, fich von feiner ganzen Familie bis an Bord begleiten. Durch die Schuld des Hauptmanns verloren wir fünf der günstigsten Stunden. Dießmal wich von mir die Geduld, und auf meiner gan- 34 zen bisherigen Reife hatte ich keine trübern Augenblicke. Ich laffe mir die Geduld gerne gefallen, wenn ein un- günstiger Wind, dem kein Mensch den Lauf befiehlt, die Fahrt hemmt; wo aber diese rein vom menschlichen Willen abhängt, erscheint die Sache in einem andern Lichte. Es wäre Pflicht des Kapitäns gewesen, an Bord zu bleiben, und er hätte beherzigen sollen, daß, nachdem bereits fünf- zehn Tage auf der kleinen Reise von Triest nach Loffin verstrichen waren, jeder günstige Augenblick für den Rei- fenden ein goldener fein mußte. Ich kann diejenigen, welche von Triest aus das adriatische Meer in feiner Länge befahren, nicht genug warnen, daß sie sich einem Kapitän von Loffin grande anvertrauen, darum schon, weil es sehr fchwer hält, bisweilen gar unmöglich ist, aus dem Hafen zu dringen, felbst beim günstigsten Winde. Links fah ich die Isola groffa, welche Dalmatien an- gehört. Den 21. Bei der Isola groffa vorbei; die Eiländer San An- drea und Liffa. Den 22. Windstille und schönes Wetter. 35 Den 23. “ - - Vor dem Winde. Meist sah ich nichts, als IHimmel und Waffer." Gs ist fürwahr ein eigener Anblick. Das Meer bildet eine Scheibe, dessen Mittelpunkt das Schiff ist. Der Himmel wölbt sich wie ein Deckel über die Waf- ferscheibe. Das ist nun freilich Alles, was man sieht. Der Abend war ungemein lieblich und angenehm. Keine herbstliche Kühle, kein Nebel. Nach dem Unter- gange der Sonne fähien der Horizont auf der Abendseite lange wie glühend: Als ich mich zu Bette legte, fühlte ich ungefähr die nämliche Wärme, wie bei uns mitten im Sommer. Den 24. Albaniens Gebirge unterbrachen das Einerlei von Him- mel und Waffer. Gine frohe Stimmung entströmte dem Gedanken, daß ich schon einen Theit der Türkei erblicke. Bisher fah ich keine andere, als christliche Länder. Auf einmal drängten sich in meiner Phantasie die eigenen Reli- gionsgebräuche, die Moscheen, der Halbmond, der Tur- ban vor. Begreiflich wurde meine Sehnsucht nur um so reger, einmal das Land der Mohammetaner zu betreten. – Bis Abend waren wir so weit vorgerückt, daß auch die Küste von Italien, gegen Otranto hin, als ein fchmaler, unansehnlicher Streifen dem Auge sich darstellte, indeß 36 das türkische Gebirge der Monte della Pegola (Pech- berg, weil dort Schiffspech ausgebeutet wird), nunmehr sich in die Ferne verbarg. - - Ich bestätige die Erfahrung manches Reisenden, daß man mit den natürlichsten Fragen die Seemänner leicht in Unmuth bringt. Als ich dem Kapitän einen konditionellen Satz über den Wind mittheilte, brummte er beinahe kopf- schüttelnd: Wenn jagt alle Welt. Gr schimpfte früher auf die Trockenheit der Gngländer, und ich ergriff diesen Anlaß, ihm zu erwiedern: Es wäre mehr, als englische Trockenheit, wenn man fich der Wenn fürder enthalten wollte. Ich überzeugte mich, daß ich anderwärts einlen- ken müffe. Meine Neugierde fand Mittel. Theils waren die Matrosen mittheilender, wenn ich den Namen eines Landes, das ich eben erblickte, erfragen wollte, theils fah" ich dem Tagebuchhalter (scrivano) nach, wenn er täglich den Standpunkt in Bezug auf geographische Länge und Breite; wenn er die Richtung, welche der Wind und das Schiff nahm, wenn er den stündlich zurückgelegten, in Seemeilen ausgedrückten Weg in das Buch eintrug. Was wollte ich mehr? Denn durch die Güte des Kapitäns fand mir doch die hydrographische Karte und der Teleskop zu Gebote, daß im Grunde nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Nur das Gespräch ging ab, und wollte ich es er- 37 zwingen, mußte ich meine Seele in zwei Theile spalten, damit wenigstens meine Seelenhälften mit einander plau- dern können. Die Zukunft entzifferte der Kapitän in der That nicht viel beffer, als ich und unsere Wetterpropheten, welche auf ein Jahr in den Himmel hineingucken, um die Kalender zu. fchreiben. Schon früher verlangte mich, die Apotheke des Kapitäns zu sehen. Nun keine erwünschtere Gelegenheit, als heute. Der Kapitän benutzte die Anwesenheit des Pharmazisten, um mit ihm die Arzneien durchzugehen, ob sie noch brauch- bar und ob sie richtig angeschrieben seien oder nicht. Ich hätte meine Ohren zufopfen mögen, fo fehr wurde gequack- salbert und in den Markt geschrieen. Auch in der Arz- neikife des Kapitäns spielt le Roi, und ich vergeffe nie den Fanatismus, mit dem ein Deutscher in Triest für die- fen Arzt fprach, ihn den einzigen wahren Heilkünstler nannte, und ihn als "Heiland der Medizin nicht genug preifen konnte. Ich glaubte, die Geschichte könnte uns vor Thorheiten folcher Art schützen, aber nein, immer keh- ren sie zurück, und selbst in unserm zu oft aufgeklärt genann- ten Jahrhunderte, nistet der tollste Unsinn, nicht etwa bloß in den untern, fondern auch in den höhern Kreisen der menschlichen Gesellschaft. - Vor Mitternacht noch verließen wir das adriatische 38 Meer. Gs endet auf der türkischen Seite in Valona, und in Otranto auf der italienischen Küste. Den 25. Immer guter Wind. Wir waren fo fern, daß ich von der Insel Korfu (Corcyra) das Gebirge undeutlich erblicken konnte. Ich fah heute zum ersten Male das mit- telländische, oder, wenn man näher will, das jonische Meer; aber Waffer ist Waffer. Abends die Luft fo warm, als an unsern Sommerabenden. Ich durfte, bei offener Kajüte, mich nur mit einem Leintuche bedecken. Den 26. Ich erblickte in der Ferne Santa Maura (Leucadia), etwas näher Cephalonien (Cephallenia) und füdöstlich das Giland Zante (Zacynthus). Cephalonien lag deutlich vor den Blicken. Wie blau gefärbt erhoben sich die Berge im Süden. Abends gab die hinunterfinkende Sonne die- fem Gilande ein besonders malerisches Aussehen. Jedes Uebel hat wieder fein Gutes, Wäre mir nicht der köstliche Ausblick entzogen worden, wenn guter Wind unsere Segel geschwellt hätte? - Sonntags, den 27. Herbstmonat. Cephalonien stellte sich in den Hintergrund; dafür brei- tete Zante fich immer mehr aus. Neben vielen Ginkerbun- gen des Landes unterschied ich Wohnungen der Zantefer. 39 Ausgezeichnet schön konnte ich die mir zugewendete Seite der Insel nicht finden.“ Endlich tauchte aus dem Meere ein Theil vom griechi- fchen Festlande, der Peloponnes der Alten, das heutige Morea. Gefühle der Bewunderung für die alten Grie- chen, waren die ersten, die mich ergriffen. Der Bewun- derung folgte dann Freude, daß ich fo glücklich war, einen Theil ihres Landes zu fehen. Ach, als ich die Feldherren des Kornelius Nepos las, deren Beschrei- bung mein junges Gemüth fo lebhaft anzog, wie hätte ich damals glauben dürfen, daß mein Auge es erreiche? So ungefähr dachte ich beim Anblicke der griechischen Halbinsel. Abends erkannte man das Licht des Leuchtthurms auf der Insel Stanfagni. Hier foll auch ein griechisches Klo- fer stehen. D en 28. Heftiger Gegenwind, der üble Sirocco hielt mich den ganzen Tag gefangen im Bette. Wir mußten lavieren. Den 29. Zum Glücke wieder Abendwind, daß die Wellen sich aufbäumten. Er blies uns hübsch weiter. Für das Auge nur Himmel und Meer. 40 Abends lief ein Schiff in unsere Nähe. … Die Flaggen wurden beiderseits aufgezogen. Durch ein kurzes Sprach- rohr ward zu einander gesprochen. Aus den Fragen ergab fich, daß der Hauptmann, mit Reisenden am Borde, von Alexandrien den Weg nach Marseille nehme, und daß in Alexandrien Pest und Cholera herrfchen. Diese Nachricht fehlug meinen Reisegefährten Cefare ganz nieder, weil er keine Rezepte für die Cholera mitgebracht habe. Der Kapitän feufzte aus Besorgniß, daß die Schiffsladung schwer halten werde. Hat doch ein Jeglicher feinen Grund. Gs ist etwas Angenehmes, auf der Wafferwüfte Leuten zu begegnen. Der entzückende Abend bewog uns, auf dem Verdecke zu speisen. Den 30. Heute fühlte ich zum ersten Male so völlig, daß ich unter einem ganz andern, dem fchönsten blauen, aber heißen Himmel lebe. Von der Hitze litt ich zwar nicht, weil ich den Schatten sorgfältig aufsuchte. Schon waren wir über den 36ten Grad nördlicher Breite hinausgerückt. Den 1. Weinmonat. - - Schöne Witterung fuhr fort. Morgens schon erspähete ich einen Gebirgsstreifen von Kandien, welcher über Wolken oder Nebel emporragte. Bescheiden trat die winzige Insel Gozzo auf. Wir wurden bisweilen von Schwalben besucht. d 41 Den 2. Windstille. Heerrauch, so daß man nicht immer Kreta (Kandien) erblickte. Das Farbenspiel beim Untergange der Sonne gewährte ein herrliches Schauspiel. Westwärts bis zum Schiffe schien das Meer in flüffiges Gold verwandelt. Der Spiegel war glatt, außer den fanften langsamen Wallun- gen. Das Waffer zeigte sich fo liebsam, als lüde es ein, mit ihm den Abschied der Sonne zu verherrlichen. Doch unter dieser gefälligen Schminke grausiger Abgrund. Die Sonne felbst, wie glühendes Erz, goß eine helle, lodernde Säule in das Meer – uns zu. Als die Spanier nach Amerikas Schätzen dürfteten, konnten sie das Gold nicht fchöner, nicht reizender fich vorstellen, als es mir vor Augen schwebte. Den 3. Windstille. Mittags erhob sich ein leiser Wind, und die Focklee-, so wie die Vormarsleesegel rechterseits bekamen Pausbacken. Indeß fand die Kandia immer noch nahe, und Abends zeigte sich der weitherumschauende Idaberg in feiner ganzen Pracht. Sonntags den 4. Wein monat. Ein wenig Wind. Das fchönste Wetter, so warm und fo heiter, als in unsern Heumonaten. Der Gedanke er- füllte mich fehr oft mit Freude, daß ich die fommerlichste Witterung genieße, während es zu gleicher Zeit bei uns 42 kalte Morgen und Abende, unfreundlichen Regen und Ne- bel gebe. Das Land war entschwunden aus dem Gesichtskreise. Den 5. Schöne Witterung; wenig Wind. Abends spannte mich die lange Weile fo recht auf die Folterbank; doch unberech- nete Umstände können sie oft schnell verscheuchen. So flog eine Schwalbe daher, müde, fchläfrig und fo kirre, daß ich sie fchmeichelnd streicheln konnte, zu meiner innigsten Freude. Gndlich fing ich fiel ohne Mühe mit der Hand. Die Philosophie wappnete und wehrte fich vergebens gegen die Langeweile, und ein kleiner Vogel machte allen Kampf der erstern zu Schanden. Den 6. Zum ersten Male waren wir überall vom Nebel ein- geschloffen, doch nur auf sehr kurze Dauer. Was hat ein Haus auf dem Lande zu rühmen, wenn Nebel es umgibt? Man fieht Haus und – Nebel; hier fehe ich Schiff und Nebel, und doch noch zur Unterhaltung das frohe Spiel des Windes an den Segeln – – –. Gndlich fing Mittags an ein frischer Nordwest zu bla- fen, der unser Schiff beflügelte. Seit zwei Tagen feuerte ein Schiff hinter uns. Wir waren 200 Seemeilen von Alexandrien entfernt, als es die Flagge aufsteckte, zum Zeichen, daß es der Hülfe be- 43 dürfe. Das Nothzeichen besteht darin, daß die große Flagge gehißt und in die Quere zusammengezogen wird. Wir fegel- ten dem Schiffe, das wir früher für ein griechisches hiel- ten, sogleich entgegen und bald bekamen wir es in die Schußweite. Welch ein Anblick für mich. Die Flagge ganz roth ; am Borde Barbaresken welche nach Mekka zu wallfahrten vorhatten. Der Kapitän, ein Alexandriner, mit seinem schwarzen Gesichte, dem Turban und den Plu- derhofen war ein gar rühriges, lebhaftes Wesen. Ein Matrose mit einem türkischen Bunde bestieg behende die Strickleiter. Unser Schiffshauptmann entsandte jenem auf italienisch den Gruß : Guten Abend. Gr wurde von dem alexandrinischen Kapitän in der gleichen Sprache erwiedert. Was verlangen Sie? fragte unser Hauptmann. Er ver- fetzte , daß er Mangel an Waffer bekommen werde, und wenn solches unter den Pilgern ruchtbar würde, eine Empörung im Schiffe zu besorgen fände. Unser Hauptmann fragte ihn weiter, ob er keine Krankheit am Borde hätte ? Nein, antwortete er, es ist Alles fauber. Budin ich versprach ihm Waffer, doch wolle er Windstille abwarten, weil sonst die Fahrt zu viel einbüßen müßte. um zu beurtheilen, mit wie viel nautischen Kenntniffen der arabische Seemann ausgerüstet ist, genügt einzig noch zu wissen, daß der Reis (Kapitän) die Frage stellte, wie weit 44 es bis Alexandrien wäre ? Als er dann die Entfernung erfuhr, erschien er hoch erfreut, und fügte hinzu, daß wir morgen in Alexandrien einträfen. Der Auftritt ergötzte mich ungemein. Ich befah mit bewaffnetem Auge die hin- gehockten Hadschi (Pilger) in die Runde. Unser Kapitän hatte keinen Gedanken an einen Streifer (Korsar). Ich wußte es nicht, und vertraute dem Hauptmann und – unfern Kanonen. - Den 7. Von gutem Winde. Obschon unsere Brigg nicht der beßte Segler war, blieb das egyptische Fahrzeug dennoch zurück, so daß wir es ganz aus den Augen verloren. Un- ter folchen Umständen wäre es überaus schmerzlich gewesen, einige Segel einzuziehen, bis der Araber uns eingeholt haben würde. Was werden aber die ohne Hilfe zurückge- bliebenen Mohammetaner von der christlichen Liebe denken? Als es gestern hieß, daß ein Schiff auf der weiten, hohen See Hilfe begehre, so entzückte mich der Gedanke, daß man felbst auf diesem treulofen Elemente nicht ganz ver- laffen fei, und ich fagte zum Hauptmann, es fei Christen- pflicht, Andern in der Noth zu helfen. Nein, entgegnete er, es sei moralische Pflicht. Noch beffer. Denn wenn es bloß Christenpflicht wäre, dem Nebenmenschen beizustehen, was wollten die Mohammetaner, nothleidenden Christen 45 gegenüber, thun, jene Andersgläubigen, welche die christ- liche Pflicht als solche nicht kennen? Es muß also eine allgemeinere, als bloße Christenpflicht geben. Gs ist Men- fchenpflicht, Andern in der bedrängten Lage hilfreiche Hand zu reichen. Nun ein weiteres Wort über meinen Hauptmann und den Gefährten Cefare. Jenem macht die Gutmüthigkeit Ehre, die Launenhaftigkeit Mühe, das jugendliche Alter Belehrung fühlbar. Der Pharmazist, eine lange, hagere Gestalt mit glänzend fchwarzen Haaren, mit einer fchmalen, kurzen Stirne, einer vollen Baßstimme, ist ein feltenes Muster von einem rechthaberischen, anmaßenden Menschen*). Selbst über arzneiwiffenschaftliche Dinge mußte ich ihm Recht laffen, nur um unangenehme Auftritte zu vermeiden. Qualvoller kann man fich die Lage eines Arztes kaum denken, als die meinige war. Wo nur etwas Weniges haperte, war Cefare mit Arzneien, z. B. mit einem Abführmittel, bereit. Gr zeigte sich unerschöpflich, dem Hauptmann Rezepte zu diktieren. Ich fchwieg, weil ich zu gut einfah, daß die Quacksalberei ihr Hauptlager hier auf geschlagen hatte. Von solchen Querköpfen als Arzt aner- kannt zu werden, konnte mich nicht begierig machen. Be- a) Unicuique dedit vitium natura creato. Catull. II. 18. 46 trübend und ergötzlich war es zu gleicher Zeit für mich, wahrzunehmen, daß die Quacksalberei im Ganzen wenig Segen hatte. Der Kapitän befand sich erst beffer, als er auf das Ginnehmen der Arzneien Verzicht that. Ich fuchte ihm begreiflich zu machen, daß man der Natur mehr ver- trauen müffe, und daß, bei fortwährendem Verschlucken von Arzneistoffen, bisweilen der Körper in einem Grade von Abhängigkeit fich daran gewöhne, wofern jene ihn nicht ganz zerrütten. Cefare felbst litt nicht am wenigsten, vielleicht nicht am unverdientesten. Um durch ein Beispiel anschaulich zu machen, was für feichte Gespräche mitunter geführt wurden, so zankten sich die Helden lange, indem Cefare behauptete, daß Egypten, fo zu fagen, in Europa liege. Er las in dem Universo pittoresco, einem, aus dem Französischen ins Italienische übersetzten Werke, daß Egypten, zwischen Asien und Afrika, von den Geographen bald zu jenem, bald zu diesem Welttheile gezählt werde. Gr faßte die Stelle unrichtig auf, und behauptete, daß es - heiße, Ggypten gehöre weder Alfien, noch Afrika an. Nun schloß er, es müffe Europa zufallen. Cefare wan- dert nach Egypten, um sich Schätze zu fammeln. In wie weit ihn edle Gründe leiten, konnte ich nicht erschauen; so viel wurde mir klar, daß er ein überspannter Glücksritter war. Als er in der gleichen Schrift las, daß, nach Pa- 47 riftet, der Verbreitung der Pest durch Verbrennung der Leichen, wie vor Alters, ein Ziel gesetzt werden könne, ge- rieth er in gänzliche Wallung, und äußerte sich, daß man dieses Mittel ausführen sollte, ja ausführen müffe, weil er an die Untrüglichkeit fchon glaubte. Je mehr dem Men- fchen am gründlichem Wiffen gebricht, desto mehr läuft er Gefahr, eine Beute der Leichtgläubigkeit zu werden. Seit einigen Nächten fühlte ich eine Plage, die ich früher nie kannte. Ich mag die neue Auflage lebendiger Pfennige nicht nennen. Den 3. Weinmonat Diefen Morgen entdeckte der Hauptmann auf dem Mastkorbe Alexandrien. Ich fühlte keine be- fondere Freude bei der Mittheilung dieser Nachricht, eines- theils, weil die Witterung in der letzten Zeit, feit mehr denn drei Wochen, die fchönste war, die je mein Leben erheiterte, anderntheils, weil ich die Zeit recht leicht mit Lesen, Schreiben, z. B. mit Ueberfetzen aus dem Italieni- fchen, mit der Tagebuchhaltung, früher auch mit Spiel, hinbringen konnte, so daß mich nur wenige Stunden eigent- liche Langeweile folterte, – dann auch, weil das Landen an einem Orte mit zwei Pestilenzen einige unangenehme Ge- fühle erregte, so sehr das Intereffe der Wiffenschaft die Resignazion vorbereiten mochte. 48 Daß ich ruhrkrank wurde, habe ich oben erwähnt. Es entging mir nicht, daß die Ruhr einen ernsthaftern Karak- ter hätte annehmen können. Ich hege die Ueberzeugung, daß ich die fchnelle Wiederherstellung vorzüglich einer ganz geregelten Lebensart, namentlich dem Aufenthalte im Bette, verdanke. Bei den Worten, daß ich leide, rief Ce faire aus: Corpo di Dio, er macht mit der ganzen Krankheit die Reise. Ein Matrose setzte kaltblütig hinzu: Gr wird bald abreisen. Das war richtig der Fall, aber in einem andern Sinne. Ich konnte so ganz bequem zuhören. Ich widerlegte den falschen Propheten damit, daß ich mich min- defens bald eben fo gut befand, als zu Hause. Die Seekrankheit konnte mir so wenig etwas anheben, als Cefare. Wenn die See hoch ging, bekamen wir höch- stens einen fchweren, fchwindlichten Kopf, und die Eßluft verminderte sich, welche bei mir font fich fehr lebhaft an- kündigte. Ich verzichtete auf ein einziges Nachteffen. Die Beschwerden zur See entspringen unstreitig aus den unordentlichen Bewegungen des Schiffes. Der wär- mere Wind trägt das Seinige bei, um dieselben zu vermeh- ren; allein die sogenannte Seekrankheit hervorzubringen, wird er kaum vermögen. Ich fage mit Fleiß: unordent- liche Bewegungen; denn die gleichmäßigen würden wenig zu bedeuten haben, und das Schaukeln bald hin und her, 49 der Länge und Breite nach, bald auf- und abwärts, zu- mal das stoßweife, kommt in Anklagezustand. Das Schaukeln zur See läßt sich platterdings nicht mit dem Schaukeln zu Lande auf gleiche Linie stellen. Andere Be- schwerden rühren offenbar vom übeln Geruche faulender Stoffe, z. B. des faulenden Waffers im Schiffsraume, her, einem Geruche, welcher um so stärker wird, je unordent- licher das Schiff bewegt wird. Ich hörte selbst den Haupt- mann oft über die sentina klagen, welche ihm Kopfweh verursachte. - - Man rühmt gegen die Seekrankheit Limonade, oder fchwarzen Kaffee mit Zitronensaft, ohne Zucker. So lange die Ursache, das Schaukeln oder der üble Geruch, dauert, leisten wohl wenig Mittel viel. - Effen, wenn man fo- gar vom Appetite nicht eingeladen wird, fchadet nichts, es nützt eher, wie ich aus Grfahrung weiß. Wenn die Wit- terung es zuläßt, begibt man sich am beßten auf das Ver- deck, und statt zu liegen oder zu filzen, steht man, indem man trachtet, den Bewegungen des Schiffes auszuweichen, und den Körper in möglichst fenkrechter Stellung zu er- halten. Zudem zügle man die Einbildungskraft. Wer sich in den Kopf fetzt, daß er speien müfft, kann es leicht dahin bringen. Man erwägt zu wenig, welcher Menge von uebeln die Selbstherrschaft vorbeugt. Tobler, Morgenland. Z 50 Ich habe von der Seekrankheit der Tiere wenig ge- lesen. Sie werden zuversichtlich von derselben nichts Gro- ßes fich vorstellen. Daß den Thieren das Unglück zu Theil ward, keine Vernunft zu befitzen, genießen sie andererseits - das Glück, sich nicht durch Vormalung einer unglücklichen Zukunft, mittelt der Vernunft, die Tage des Lebens zu beunruhigen. An unsern Thieren, den Kanarienvögeln, Katzen, Ratten, Hühnern, nahm man keine Störung durch den Aufenthalt auf dem Schiffe wahr. Man sieht – doch, daß wir in guter Gesellschaft lebten. Wir hatten gebetene und ungebetene Gäste. Schon seit der Frühe fah ich das Waffer des Meeres rothgelblich, trüber. Es war mit dem Nilwaffer getränkt. Es fing an von Schiffen und Vögeln belebter zu werden. Grft um neun Uhr ungefähr erblickte ich mit bewaffnetem Auge Alexandrien, nämlich den Palast des Pascha – freilich nur geometrische Linien, ein todtes, vom Meere auftauchendes Viereck im Sonnenglanze. Wir waren bloß noch zehn Seemeilen von Alexandrien. Bald näherte sich die Küste, die rechts, ein röthlicher, wenig erhabener Sandhügel, fich gleichsam ins Meer ver- lor; Häuser, deren Umriffe undeutlich waren, erhoben sich immer zahlreicher; im Hintergrunde aber, wie auf einen Hügel gepflanzt, strebte die Pompejusäule und, ein wenig 51 – – links, der Obeliste der Kleopatra empor. Alles schien eine Insel zu fein, und hatte so wenig Ungefälliges, daß man hätte glauben mögen, von Lido aus Venedig fich zu nähern. - - Es fuhr ein Schiff in solcher Entfernung (UM! Uns vor- über, daß wir es beinahe hätten entern können; feine Flagge trug das Zeichen des Halbmondes. Alles überraschte mein Auge, ausgenommen das Schiff. Wir waren fchon fo weit vorgerückt, daß wir den Lothfen, das ist der Wegweiser für unser Schiff, erwarteten. Endlich wimmelte ein schwarzer Punkt, der fortan größer wurde, bis man die Ruderknechte unterscheiden konnte. Doch wurden fie bisweilen von einer Wellenwand fast ganz verborgen. Weil die Ginfahrt wegen der Bänke gefährlich ist, so find Lothsen unerläßlich. Schon hat der Lothfe uns eingeholt. Wir fragten nach dem Ge- fundheitszustande. Gs steht gut, antwortete er, weder Peft, noch Cholera. Das Gespräch wurde auf italienisch geführt. Der Araber, ein großer Mann von tiefbrauner Gesichtsfarbe, mit großer Bognase, schwarzem Barte, und von etwas folzer Haltung, sprach fertig fränkisch, wie man das Gemisch von Italienischem und wenig Morgen- ländischem in der Levante nennt. Grfaß auf dem spitzigen Hintertheile feiner Barke, so daß die Füße von den auflie- genden Oberschenkeln bedeckt waren. Mit einer Hand lenkte 52 er das kleine Steuer wie im Zauber. Nachdem fein Kahn an das Schlepptau unserer Brigg genommen war, erhielt er das Kommando, und unser Kapitän durfte es nur wie- derholen*). Bald flog ein anderer Kahn mit zwei lateinischen Segeln daher. Gr war mit vielen Männern besetzt. Eine dicke Figur mit einem Schulzenbauche, einem langen Schnurr- barte und einer rothen Mütze, von deren Mitte eine große Troddel herunterschwabbelte, fiel mir am meisten auf, kaum aber die bedenkliche Hintansetzung der Etikette, daß er einen Fuß auf der Bank, den andern unten hatte. Beim An- legen schlugen die Wellen hoch auf, und er runzelte, nicht gegen diese, sondern gegen die heiße Sonne die Stirne. Gs war ein Polizeikommissär. Neben ihm stand ein junger Dolmetsche, der nach dem Namen des Kapitäns und des Schiffes, nach der Zahl der Paffagiere, nach dem Orte der Abfahrt, der Dauer der Reife und nach der Befrach- tung fragte. Gr zog eine Bleifeder und ein vielfach in das *) Das so oft vorkommende Wort Araber kann keinen Anstoß geben. Man nennt Araber, die arabisch sprechen, Deutsche, die deutsch reden, und auch die Schweizer heißen zum Theile Deutsche. Die arabische Sprache herrscht aber nicht bloß in Arabien, fon- dern auch in Syrien und im ganzen Norden von Afrika. Da- rum wird der Egypzier fo oft Meater genannt. 53 Viereck zusammengelegtes Papier heraus, welches er auf den Handteller nahm, darauf etwas zu fchreiben. Weil wir der Angabe des Lothen über den Gesundheitszustand wenig Glauben beimaßen, so wurde die gleiche Frage wie- derholt, und eben fo befriedigend beantwortet. Schon fließ der lateinische Segler von hinnen. Wie eine eben fich öff- nende Blüthenknospe erschloß sich die Freude fichtbar auf den Antlitzen unserer Leute. Cefare, welcher feit wenigen Tagen gegen mich den Stummen machte, bekam die Sprache auf einmal wieder. Nimmersatt am Sehen, so sehr reizte Alles meine Aufmerksamkeit, vergaß ich das Geschehene, und wir fanden den Faden der Mittheilung, – – durch die merkwürdigen Araber angeknüpft. Freude und Leid find oft Bindemittel, indem von ihrer mächtigen Erschütte- rung kleinere Erscheinungen auf dem Gebiete des Gemüths leichter und fandloser als Flaum entfliehen. - Bald fuhr in einer andern Barke ein mit einem Hute bedeckter, wohlgekleideter Mann einher. … Aehnliche Fragen wie früher. Noch ein Kahn mit einem hübschen Manne, der einen Hut trug, stieß gegen unser Fahrzeug. Dieser Herr erkundigte sich über den Gesundheitszustand. So weit bekümmern sich die Mohammetaner, oder doch Andere in ihrem Namen. Die Antwort lautete freilich sehr wohl. unser Kapitän übergab sofort eine Ausweisschrift, welche 54 nicht ohne Beobachtung der Gesundheitsvorschriften ange- nommen wurde. Der Steuermann des Gesundheitsbeamten hob nämlich auf einmal eine große, weißblechene, viereckige, offene Büchse empor, und in diese ließ unser Kapitän feine Schrift fallen. Der Gesundheitsbeamtete selbst ergriff mit einer Hand ein Stückchen Holz, mit der andern ein vorne abgerundetes Meffer, das einen hölzernen Griff hatte, er wendete dann die zusammengelegte Schrift mit diesen Werk- zeugen um, bis sie entfaltet vorlag. Nach Lesung der Schrift wurde die Strickleiter erstiegen, und auf der Stelle eröffnete sich freier Verkehr an unferm Borde. Gs war, wie wenn man aus dem Regen in die Sonne tritt, wie wenn den eingesperrten Bienen im Korbe Luft gemacht wird. Ein Araber, der an einer Traubengeschwulst des Auges litt, erinnerte mich bei Zeiten an die egyptische Au- genplage. Aber fchon find wir im Hafen, und noch hoch am Tage, finkt der Anker. Rechts von den Ruinen bewegen sich in langsamen Kreisen zierliche Windmühlen, dreißig bis vierzig an der Zahl; links preiset der stattliche Palast des Statt- halters europäischen Geschmack; die Mitte der Schaubühne fchließt ein Gefäe unanfehnlicher Häuser hinter einem Walde von Masten. Man mußte von dem Gedanken durchdrungen werden, daß man in einem andern Welttheile athme, und 55 sah man bloß ins Meer, so fragte man sich neugierig über das trübe, in der Sonne rothgelblich schillernde Waffer, worüber ein Schwarm Vögel flatterte. Ich schickte mich an, ans Land zu gehen. Neben mir Kriegsschiffe, über deren Größe ich erstaunte; vorwärts wie- der Halbmonde auf den Flaggen; dort eine Barke mit trom- melnden Soldaten; hier guckt eine Europäerin aus der Ka- jüte heraus, und fragt nach Neuigkeiten; dort ein Morgen- länder mit der Pfeife im Munde, hinter einer behaglich auf dem Schiffsrande hockenden, den Schweif um die Beine niedlich windenden Katze, und hinter dem Netze von Tauen; ein englisches Dampfboot; ein hellenisches Schiff, dessen Name mit großen griechischen Buchstaben geschrieben war; kurz, eine Menge Fahrzeuge, rechts und links, vorwärts und rückwärts, ein bewohntes Meer. Ich höre Musik, vom Lande her Lärm, als wäre ich einer Kirmes nahe. Hurtig stieg ich auf den breiternen Steg, und wenig Schritte, ich war zu Land, auf Sand, in Afrika, in Egypten, in Alexandrien. unbeschreibliche Freude erfüllte mein Ge- müth. In Deo gratias ergoß sich beinahe unwillkürlich das Herz, – meine ersten Worte in Afrika. Die mir nächste Person auf dem Lande war linker Hand ein halb entblößter Mensch von ungefähr dreißig Jahren und fchwarz- brauner Farbe. Er lag abwechselnd auf den Knien und 56 warf fich auf den Staub nieder, faltete manchmal die Hände, verdrehte oft die Züge des Gesichtes. Das ist ein Verrückter, dachte ich, und wenn er es nicht ist, fo ver- wendet er doch feine gesunde Vernunft zur Verrücktheit. - Was foll ich sagen? Er verrichtete, nach dem Gesetze Mo- hammets, das dritte Gebet zwischen Sonnenhöhe und Son- nenuntergang (el-Affer); aber ich fehe ein, daß ich mit meinem verwerfenden Urtheile zurückhalten muß. Die reli- giöse Mimik will tiefer gewürdigt sein. Hat denn, frage ich, das Zusammenstrecken der zehn Finger bei den Prote- stanten mehr Bedeutung, als die Niederwerfung vor Gott bei den Morgenländern, oder das Niederfinken auf die Knie bei den römischen Katholiken ? Der alte Hafen ist jetzt den Europäern direkte geöffnet, und, außer den wiederholten Anfragen, deren gedacht ward, gibt es keinerlei Umstände, um in denselben zu gelangen, Wie vieles hat sich nun seit fünfzig Jahren umgestaltet. Das Traurigste aber ist, daß das türkische Regierungssystem auf keine sichere Grundlage sich stützt, da beinahe mit jeder neuen Besetzung eines Paschaliks (Statthalterschaft) eine neue, bald vor-, bald rückwärts schreitende Ordnung der Dinge eingeführt wird. Ich miethete in der Stadt ein Zimmer, und begab 57 mich wieder an Bord, an welchem ich die letzte Nacht hin- bringen soll. - - Ich konnte vor Freude über den jetzigen Aufenthalt den Schlaf kaum finden. Indeffen bemerkte ich, daß es etwas kühler wurde, mein Kopf unbedeckt war, und die Frische, die ich an jenem fühlte, meinen Schlaf verhindere. Ich zog das Oberleintuch herauf und machte eine Kapuze. In wenig Minuten war ich eingenickt. Lärm weckte mich. Den 9. - Schon in aller Frühe. Ich hörte zwar nicht mehr das Geklingel im Hintertheile des Schiffes und die antworten- den Glockenschläge über der Kajüte der Matrosen, zum Zeichen, wie lange das Geschäft des Ruderbesteurers dauere; ich hörte nicht mehr: Rende la guardia al timone, a che tocca la (terza); in dem Kastenbette hörte ich nicht mehr den Wellenschlag neben mir an der Wandung, oder das Kollern, oder bei günstiger Fahrt das Gezische, ähn- lich demjenigen beim Pumpen des dicker gewordenen Rahms: aber das taktmäßige, weinerliche Rufen und Singen ganz eigener Art erklang noch, der Losungsruf der Matrosen, daß sie vereint und gleichzeitig große Kraft anwenden, z. B. um eine Last zu heben, aber das monotone, grelle Pfeifen der egyptischen Seetruppen tönte jetzt herüber. Wie ich den Matrosenruf zum ersten Male vernahm, machte er 58 einen höchst unangenehmen Eindruck auf mich, welchen nur nach und nach die Gewohnheit mildern konnte. Unser ra- gazzo (Schiffsjunge), beinahe immer auf dem Meere, ohne viel Anderes fingen zu hören, trillerte das Geleier der Matrosen zu einer Ergötzung daher. Gndlich hieß es: eingepackt, und ich fetzte Fuß ans Land, um mit meinem Gepäcke das Zimmer zu beziehen. Ohne Tagesordnung bringe ich verschiedene Denkwür- digkeiten von Alexandrien. L a g e. Die Stadt Alexanders (Skanderun) liegt auf einer Landzunge, die in der Richtung gegen Nordwest ins Meer fich verliert. Die Spitze verläuft in einen Lappen, der fich füdwestlich umbiegt, und in einen Faden, der fich in ent- gegengesetzter Richtung bis zu einer kleinen Festung aus- dehnt. Hier, an der Stelle dieses Vertheidigungswerkes, foll einst der Pharus gestanden haben. Der westliche Zun- genrand begränzt den alten Hafen und der östliche den neuen, welcher letztere indeß wegen feiner Untiefe, durch die gränzenlose Nachlässigkeit der jetzigen Beherrscher Egyp- tens, sehr wenig belebt ist, immerhin aber sich sehr hübsch herausstellt. Auf der Wurzel der Zunge hatte sich das alte Alexandrien ausgebreitet, und dieselbe ist jetzt nur wenig 59 angebaut. Dagegen strotzt es gleichsam von Ruinen, sobald man den Schutt weghebt. Die schönsten Marmorsäulen sind von diesem bedeckt, und eben grub man eine hervor. Unlängst zog man auch ziemlich viel Goldmünzen heraus. Man kann heutzutage nicht mehr behaupten, daß die Stadt landwärts von einer Wüste umgeben sei. Gegen Mittag schließen sich schöne Gärten an, woraus die Dattel- palme den neu angekommenen Guropäer dem Afrikaner will- kommen heißt. Der am nördlichen Ufer des Mareotis an- gelegte Garten des Ibrahim-Pafcha verdient vor andern Lob. In der Nähe desselben übernimmt ein Strich ange- bauten Landes die versöhnende Rolle zwischen dem üppigen Garten und dem kahlen Sandmeere der Sahara. Der Ma- reotisee selbst, mit feinen wenig aufragenden, wüsten, gelb- fandigen Ufern, sieht eher einem Sumpfe gleich, und ge- währt daher keinen angenehmen Anblick. - G e b ä u. d e. Die Moscheen find meistens häßlich; die Minarets oder Thürme steigen nicht hoch empor. Beide weiß, überkalkt, ohne Schmuck, ohne ein Bild, mit dem Gepräge des Zer- falles. Antike Säulen tragen hie und da den Söller (Decke) des Tempels oder den Thurm. Der Zerstörungswuth, die vor Zeiten den Ton angegeben hatte, entgingen doch zum 60 Theile die Säulen, und als brauchbare Baustoffe trifft man fie auch an andern Gebäuden. Indeß liegen Säulenstücke noch müßig herum. Eine einzige Moschee erspähete ich, die man fchön nennen darf. Der Sommerpalast des Vizekönigs liegt auf dem bezeich- neten Zungenlappen (Ras-el-tin), vortheilhaft für das Auge. Auf der Morgenseite trat ich durch ein bewachtes Thor der Umfangsmauer, und ich gelangte auf einen fchö- nen, geräumigen Platz. Mit gespanntem Gemüthe richtete ich meinen Blick umher, rechts auf das einstöckige, statt der Glasfenster – mit hölzernem Gitterwerke versehene Ha- rem, links auf den Palast des Pascha, der, ebenfalls nur ein Geschoß hoch, in einen Giebel fich aufdachet. Das Wohn- oder Audienzzimmer des Vizekönigs schaut gegen den Hof oder gegen Mitternacht. Diese Lage erklärt sich leicht, da unter einem so heißen Himmel die Sonne geflohen und der Schatten gesucht wird. Den Gingang in den Pa- last bildet eine Halle, welche fchöner, weißer Marmor aus- kleidet. Hier immerwährender Schatten, angenehme Küh- lung. Da sieht man Höflinge in ihren orientalischen Pracht- gewändern ein - und ausgehen, um nicht zu sagen, ein - und ausschlendern. Die Hoflakaien warten ihrer Herren. Stolze Hengste stehen an einer Reihe gesattelt in Bereitschaft. Das Roß des Pascha, mit nicht fehr ausgezeichnetem 61 Schmucke, wird vom Sattel nie befreit, auf daß es immer gerüstet sei, feinen Herrn von hinnen zu tragen. Ich fah eben eine Truppe Araber in ihren mitunter schmutzigen Mänteln einherschreiten, denen man zwar Faf- jung genug, aber doch fo viel anfah, daß fie fich zu einer Vorstellung vorbereiteten, indem sie die Mäntel etwas zu- recht legten und ihre Köpfe zusammensteckten. Die Truppe zog festen und weidlichen Schrittes die breite Marmorstiege hinauf. Als sie vor dem Pascha erschien, erblickte ich die- fen vom Hofe aus; denn das Fenster war offen. Mehe - met-Ali imponierte durch feine Haltung, trug eine rothe Mütze, einen auf die Brust herabwallenden, dichten, grauen Bart, uud hatte das schöne Aussehen eines muntern Greises. Ich fchaute neugierig hinauf, und keine Seele hinderte mich, daran. Man sagte mir später, daß ich hätte hinaufgehen und an der Thüre des Audienzzimmers zusehen dürfen. Solche Dinge geschehen im Morgenlande weniger geheim, als in Europa. Freilich darf man nicht unberücksichtigt laffen, daß die physische Kälte die Europäer fo oft zum Schließen der Fenster und Thüren nöthigt. Die Leibwache des Pascha ist mit blauem Tuche, einer rothen Mütze und mit gelben, plumpen Schuhen bekleidet. Gin Wachposten kam aus dem Palaste, die Füße ungleich bewegend, die Schuhe gleichfam nachschleppend, lachend, beinahe spielend. 62 Bei aller Leichtigkeit des Karakters fällt es dem französischen Militär doch nie ein, am Posten oder unterwegs von einem Posten zum andern Spaß zu treiben. Selbst unsere Kna- ben von acht bis vierzehn Jahren benehmen fich ernster, wenn sie fich in den Waffen üben. Die Häuser sind von dreierlei Art: europäische, türkisch- egyptische und die Hütten. Die europäischen Häufer liegen im Frankenviertel. Ein Theil derselben hat flache Dächer oder Söller. Ibra- him-Pafcha ließ ansehnliche aufbauen – um einen fehr geräumigen Platz. Ibrahim (Abraham) thut wirklich zur Verschönerung und Belebung der Stadt sehr viel, wo- bei er durch Beziehung schwerer Hauszinse eine Rechnung recht gut findet. Die Konsulatsgebäude stehen nahe bei- fammen. Hoch über ihren Dächern flattern die Flaggen, welche dem Abendländer einen sehr wohlthuenden Anblick gewähren, und ihm gleichsam Schutz und Sicherheit zu- lispeln. Wenn ein Schutzempfohlener stirbt, so wird eine besondere Flagge, doch minder hoch gehißt. Den Söller der hohen fränkischen Häuser heißt man Terraffe, auf der man fich angenehm aufhält. Von derselben erhebt sich ein offenes Thürmchen, Belvedere genannt, und mit Recht, da man darauf eine schöne Aussicht genießt. Man kann auf einem Thürmchen die ganze Stadt und die Häfen 63 übersehen. Die Flachheit der Dächer beklagen manche Eu- ropäer. Während der Regenzeit dringt durch das Deck Waffer, welches das Wohnen nicht weniger unangenehm, als ungesund macht. - Man will behaupten, daß der Regen, welcher im Win- ter tageweise und in starken Güffen anhalte, in Alexan- drien von Jahr zu Jahr häufiger falle, und man schreibt dieß den im Weichbilde angepflanzten Bäumen zu. In der That ist der Regen in Mexiko seltener geworden, feit der in feiner Nähe belegene Wald ausgehauen ist. Die Fran- ken scheinen sich zu überzeugen, daß geneigte Dächer zum Bedürfniffe gehören, und während meiner Anwesenheit zog man einen Kanal durch die Frantengase, um das Regen- waffer abzuführen. Weil ohnehin in der Stadt keine Gaffe gepflastert ist, so wird der Schmutz, bei starkem Regen, tief und lästig. Ich vermuthe aber, daß man von rafcher. Abänderung des Klima und vom jährlich zuwachsenden Regen ein wenig träume, wie denn auch die Vorstellung von der sengenden Gluth der egyptischen Sonne bei Man- chen übertrieben fein mag. Ich könnte den Doktor Pro- fper Alpinus*), der vor zwei Jahrhunderten Egypten ») Prosperi Alpini medicina Aegyptiorun. Editio nova. L. B., officina Boutesteinia, 1719, - - 64 bereitet hat, zum Zeugen anrufen. Er bemerkt, daß in einem Theile dieses Landes, wie in Kairo, der Regen eine seltene Erscheinung fei, wogegen es an der Meeresküste, in Alexandrien und Damiat, oft und sehr stark regne. „ Wenn auch, vor Christo, Pomponius Mela, das wahrschein- lich viel baumreichere Egypten ein regenloses Land („terra expers imbrium") nennt, fo darf man wohl immerhin nicht glauben, daß dieß zur Zeit des Autors durchhin wahr fein mochte, sondern vielmehr, daß er die Regenlosig- keit auf einzelne Gegenden bezogen, und diese für das Ganze genommen hat. Mischten die Ggypzier fich nicht in das Schauspiel, wenn man in das am neuen Hafen liegende Frankenquartier kommt, man würde gerne läugnen, daß man den Boden Afrikas unter den Füßen hätte, fo fehr ist Alles über den europäischen Leisten geschlagen. Laden an Laden, Kaffeehäu- fer und zwei Wirthshäuser sorgen für die Bequemlichkeiten der Europäer. Alexandrien ist halb europäisch, halb afri- kanisch, und darum erscheint es dem europäischen Ankömm- linge eben so freundlich, als merkwürdig. Die türkischen Häufer, in der Regel ziemlich nied- rig, haben gegen die Gaffe einen großen Vorsprung oder Grker, worin man zu faulenzen pflegt; die Fenster werden meist von einem niedlich gearbeiteten engen Holzgitter ver- 65 sehen. Solches kann unter einem milden Himmel gut an- gehen; allein es dürften nur Kälte und Regen stärker wer- den, fo würden die empfindsamen Bewohner unfehlbar leiden. Manchen Häusern verleiht der Kalk ein fchneeichtes Weiß. - - Die Hütten zeugen von Ginfachheit und Elend. Von der Form eines unordentlich kantigen Würfels, enthält die Hütte bloß ein Gemach, und in dieses führt eine einzige Oeffnung zur Aufnahme der Thüre, welche mit einem höl- zernen Schloffe gesperrt werden kann. Wenn man nicht mehr als das Hausgeräthe auf arabisch nennen müßte, fo würde man im Nu arabisch verstehen. Der Boden dient als Seffel, als Tisch, als Bettstelle u. dgl., und ist fomit ein wahres Wunderding. Mann und Weib, Kinder, Freunde und Verwandte legen sich neben einander, und fül- len, wenigstens auf dem Boden, den Raum der Hütte. Die Kleider, womit Manche fich des Tages bedecken, find im guten Falle die einzige Bettung für die Nacht, und die Leute entkleiden fich in der Regel nur dann, wenn sie der allzu dienstfertigen Kreaturen auf die anständigste Weise los werden wollen. Es foll die Armuth eines Theiles der Alle- xandriner so groß sein, daß nicht beide, welche eine Hütte bewohnen, ausgehen können, weil sie nur ein Kleid be- fizen. Darum warte der eine Elende nackt in der Hütte, 66 bis der andere in dem gemeinschaftlichen Kleide zurücktreffe. Die Hütten find von Grde aufgeführt und von Farbe schwarz- grau. Sie vermögen lange andauernden Regen nicht zu bestehen. Es ist nicht lange her, daß in einer kalten Re- gennacht viele Hütten einstürzten; eine Menge obdachloser Bewohner erkrankte und farb. Grft jetzt mochten die Leute den Segen ihres Himmels dankbarer erkennen. Wie viel Schweißtropfen rinnen über die Stirne herunter, bis der Europäer fein Heizungsholz, feine Strümpfe, Schuhe, feine Winterkleider zusammengebracht, bis er feine Wohnung mit allem Nöthigen ausgerüstet hat. Ein Theil der Hütten gefällt sich in der Nähe des vizeköniglichen Palastes. Dort bietet sich die beste Gelegenheit dar, über den schroffen Gegensatz von „Herr und Unterthan” Betrachtungen anzu- fellen. Eine andere Abtheilung von Hütten besetzt den Süden der Stadt, neben den vielen schönen Zisternen des Alterthums, und verspottet die Ruinen, jene Mauern, welche Jahrtausenden widerstanden, und noch die baufälligen Hütten unserer Tage tragen müffen. Das find die polsterarmen Hütten, und werden so viele Alexandriner darin geboren, und wo anders strecken sich diese auf das Sterbelager? Und doch werden die polster- reichen Europäer mit nicht minder Schmerzen geboren, und 67 doch müffen sie auch sterben, todt werden müffen sie trotz ihrer Eiderdunen. - K r a n k e n h ä u f e r. Das europäische, das am Mahmudiehkanal, das auf dem Ras- el-tin und die Observationshütten. Das europäifche Krankenhaus ist für die Euro- päer bestimmt, wie schon der Name bezeichnet. Es liegt, von kleinen Araber-Hütten auf der einen Seite umgeben, unweit des Frankenquartiers. Das Gebäude, nach euro- päischem Geschmack, nimmt fich für das Auge recht gut aus*). So weit mir ein Blick in das Krankenhaus, das wenigstens eine gute Verwaltung ankündigt, vergönnt war, schöpfte ich die Ueberzeugung, daß der Guropäer in feinen kranken Tagen hier gut verpflegt wird, und in dieser Be- ziehung Guropa ihn nicht mit schmerzlichen Erinnerungen quält. Diejenigen, welche mehr (täglich einen levantischen - *) Da ich eine genauere Beschreibung der Krankenhäuser für das größere Publikum nicht berechnen durfte, so übersandte ich fie dem Herausgeber der schweizerischen Zeitschrift für Natur - und Heilkunde, (Heilbronn bei Drechsler), Herrn Professor von Pommer, wo auch andere auf der Reife gefammelte medizi- nische Kleinigkeiten aus meiner Feder sich finden. S. 1I. Band 2. Hefr S. 314 ff., III. Bd. 1. Heft S. 130 ff., und III. Bd. 3. Heft S. 435 ff. - 68 Thaler) bezahlen, bekommen ein eigenes Zimmer, damit ihren Wünschen noch besser entsprochen werden könne. Was vielleicht am hemmendsten auf die Unternehmung einer Reise ins Morgenland wirkt, ist die Vorstellung von der Ver- laffenheit und den Scheufalen in den kranken Tagen; die Bemerkungen über die Krankenanstalt aber können kaum verfehlen, diese irrige Vorstellung zu verdrängen. Das Mahmudie hkrankenhaus steht nahe am Mahmudiehkanale, den großen Baumwollenmagazinen ge- genüber. Ehe man zum Gebäude kommt, geht man durch ein Gitterhor, womit eine Art Verschlag oder ein Pfahl- zaun geschloffen wird. Der Eintritt durch diesen ist Je- dermann gestattet. Von der Gitterthüre bis zum Kranken- hause beträgt die Entfernung nur wenige Schritte. Den Zwischenraum kleiden, dem Auge fehr wohlthuend, Gar- ten- und Waldgewächse. Am Thore des Krankenhauses felbst stieß ich auf Schwierigkeiten. - Der Soldat, welcher Wache hielt, wies mich zurück, doch nicht umsonst. Ich wurde eben einen Mann gewahr der schrieb, und der mir ein Arzt zu fein fähien. Ich redete ihn in französischer Sprache an. Es war ein französischer Arzt, mit Namen Gtienne, der mir sogleich die Gefälligkeit erzeigte, mich im Krankenhause herumzuführen. Von allen Krankheiten intereffirte mich am meisten die 69 gyptische Augenentzündung. Die daran Leidenden füllen mehrere Säle. Sie ist beinahe ein größeres Uebel zu nennen, als Pest und Cholera. Denn entweder genesen die an diesen beiden Krankheiten Leidenden, wie meistens, ganz, oder sie sterben – ganz. Der letztere Fall kann für die Betreffenden im Grunde nicht unglücklich fein. Welch ein Uebel dagegen ist es, völlig blind zu werden. Von zehn Arabern wird man einen entweder Halb- oder Ganz blinden finden. Ich sah weniger blinde Weiber, als blinde Männer, und die Krankheit scheint den Grwachsenen feindlicher als den Unerwachsenen. - Aus den Krankenzimmern trug ich die Ueberzeugung, daß die Leidenden, wo nicht auf eine glänzende, doch auf eine befriedigende Weise behandelt werden. Meine Erwar- tung ward übertroffen. Mag ein. Anderer das Kranken- haus eine Nachäfferei der europäischen heißen, es wird in demselben fo zu fagen. Alles geleistet, was fich unter den obwaltenden Umständen thun läßt. Davon, wie Diät und Regimen gehalten wird, kann ich übrigens nichts mitthei- len, wenn nicht das Wenige, daß in der Küche Reinlich- keit und guter Geruch mich bewillkommten. Das Haus ward von etlichen neunzig Kranken bewohnt. Beiläufig 2- wähne ich, daß diejenigen, welche außer dem Bette sich aufhielten, Achtung für Etienne erwiesen, indem fiel mi- 70 litärisch fich stellten. Ich konnte nicht umhin meine Glos- fen zu machen, wenn der Eingeborene gegen den Fremden fich fo unterwürfig geberdete. Geht man zu dem Palaste des Vizekönigs, fo fieht man rechts, in der Nähe des Residenzschloffes, ein dem Umfange nach großes, aber niedriges, einstöckiges Gebäude, das von Palisaden umzingelt ist: wie das letzte, ein Mi- litärspital. Gs ist das Krankenhaus auf dem Ras- el-tin (Feigenkap) oder das Tafikispital. Früherhin eine Kaserne, bildet es mehrere Höfe, und ich konnte keine regelmäßige Bauart wahrnehmen. In der Bade- und Dampfbadeanstalt, deren Pracht mich überraschte, begegnet das Auge allenthalben weißem, geschliffenem Marmor bis an die Kuppeln, welche von zahlreichen, runden, mit Glasscheiben verstopften Oeffnungen zum Einlaffen des Lichtes durchbrochen find. Auch dieses Krankenhaus erfreut sich einer Einrichtung, welche den Bedürfniffen abhel- fen dürfte. Das Obfer vazionsfpital oder die Obfer va - zionshütten. Ich ritt eines Nachmittags dahin; allein der Arzt war - noch nicht eingetroffen. Ich ging unterdessen zum Mah- mudiehkrankenhause, welches, dem Meere etwas näher, 71 den Observazionshütten gegenüber liegt. Dr. Etienne ritt eben auf einem Esel daher. Kaum unterhielt ich mich mit ihm, als ein Kranker plötzlich umfiel. Ich fagte: Es ist ein Cholerakranker. Dr. Gtienne verneinte, wahr- scheinlich weil er glaubte, er könne mir einen Schrecken ersparen. Seine Geschäfte riefen ihn hinweg, und ich be- gab mich zu den Observazionshütten. Hören wir später das Weitere. - - Diese Hütten find mit einer Palliadierung umgeben. Man laffe aber den Pinsel der Einbildung fallen, welcher fchöne Gemälde entwirft; zur Seltenheit ist ein Pfahl ge- nau fo dick, und fo hoch wie der andere. Die Pallifadi- rung feffelt durch ihre Unordentlichkeit schon von weitem das Auge, und wenn ein Europäer das Militär noch nicht kennte, welches, mit dem schwarzbraunen Gesichte, zwar einen Säbel und ein Kleingewehr trägt, aber fonst in Wenigem einem der europäischen Krieger gleich, oder auch bloß ähnlich fieht, fo würde er schlechterdings die Hütten für Alles eher, als für ein Staatsgebäude erklären. Die Palliadierung wird vom Militär bewacht, und dieses läßt Niemand, wenigstens den Guropäer nicht, durchschlüpfen. Ich wartete wenige Minuten am Gatter der Observations- hütten, und es kam der Arzt, Herr Gallo, ein Grieche, auf dem Esel geritten. Ich machte schon in einem gesel- 72 ligen Kreise seine Bekanntschaft, und so durft' ich auf feine wohlwollende Aufnahme zählen. So eben trug man einen Kranken daher über die Gat- terschwelle. Plötzlicher Lärm entstand. Die Wärter eilten mit Pefzangen herbei, feinen Träger zurückzufoßen. Nun wurde der Kranke auf den Boden gestellt; allein zu schwach, um fich aufrecht halten zu können, fank er auf die Erde nieder: Der nämliche Kranke, welchen ich an der Pforte des Mahmudiehkrankenhauses umfallen fah. Er war wirklich cholerakrank. Die Observazionshütten find nichts, als Hütten, und zwar elende, fensterlose, fchlecht ausgezimmerte, daß zwi- fchen den Brettern, woraus die Wände bestehen, Licht ein- trat, und zu einer andern Zeit unzweifelhaft Wind und Regen eindringen werden. - Die Thüren werden mit einem Vorlegeschloffe gesperrt. Der Boden ist die nackte Erde, und Brutus hätte nur den Spitalboden küfen dürfen, um den Götterspruch von Delphi, zu erfüllen. Das Ganze stellt eine Art Dörfchen vor. Die Hütten sind dazu be- stimmt, eines pestartigen Uebels verdächtige Fälle zu ob- ferviren, Pest- oder Cholerakranke, fo wie auch kranke Sträflinge aufzunehmen. Einen schauderhaften Anblick für mich erregte die Kette, welche von einem Krankenbette zum andern, von einem Leidenden zum andern in gesenktem 73 Halbbogen hinüberlangte. Die Bettstellen sind ein hölzer- ner Käfich, welchen ich zum ersten Male im Krankenhaufe auf dem Ras-el-tin wahrnahm. Wenige lagen nur auf einem Strohteppich, und auf etwas Wollenzeug, welche die Blöße der Erde zudeckten. - Die erste Hütte, in die ich geführt wurde, war zur Obervazion bestimmt. Nicht Bettstellen darf man hier. fuchen, noch Sönderung. Cholerakranke und ein von Wechselfieber Befallener waren neben einander auf nackter Erde ausgestreckt; einer der erstern kreuzte seine Beine über den andern. Im Ganzen fanden fich drei neu hereinge- brachte Kranke zur Obervazion, wovon einer als nichtcho- lerisch erklärt wurde. Ueberdieß fah’ ich noch etwa fechs andere Choleristen. - Ich nahm die Weltcholera in den Hütten zum ersten Male wahr, und ich werde nun bei dieser Seuche ein wenig mich aufhalten. Man setzt in denselben voraus, daß die Cholera fich durch einen Ansteckungsstoff fortpflanze, und es werden gegen fiel ungefähr die nämlichen Maßregeln ausgeführt, wie gegen die morgenländische Pest. Ehe Herr Gallo einem Kranken den Puls fühlte, ließ er sich die Hände mit Baumöl begießen, ohne daß jedoch die Schuh- fohlen beölt worden wären. - , Das Bild der Cholera ist dasselbe wie in Europa. Tobler, Morgenland. 4 74 - Gänzliche oder fast gänzliche Abwesenheit des Pulses an der Hand, die Haut kalt, über den Phalangen schrumpfig, wie bei einer Wäscherin, der Abgang einer wäfferigen, weißlichen Flüffigkeit sursum et deorsum, das Auge gläsern, wie erforben, der Blick fier und bedeutungslos, die Nase dünn und spitzig, die Löcher mit Staub, die Lippen trocken und bläulich, die Zunge beinahe starr und wird vom ftoßweife Lallenden nur mit Mühe gezeigt, die Backen zu eckigen Vertiefungen eingefallen u. f. f. Kurz, im höhern Grade der Krankheit hat man einen lebendigen Todten vor sich. Der Anblick von Cholerakranken ergriff mich nicht besonders; denn die fchwarzbraune Farbe der Araber ist nach europäischen Begriffen ohnehin widerlich, und fiel veränderte fich nicht bedeutend, außer daß fie schmutziger wurde. Die Kranken schienen mir keineswegs auffallend zu leiden; fie gaben kein Gestöhne oder irgend einen Schmerz laut von sich. Die asphytich Cholerischen waren vom tiefen Schlafe trunken. Diejenigen, welche in die Hütten untergebracht werden, ziehen beinahe. Alle das traurige Loos eines frühzeitigen Todes. So angenehm das Mahmudieh- und Ras-el-tin-Kran- kenhaus meine Erwartungen übertrafen, so sehr ich auch geneigt wäre, ein günstiges Urtheil zu fällen, so wenig kann ich der Observazionsanstalt Lobprüche ertheilen. Es - 75 stellt sich in der That zwischen einer solchen und keiner Anstalt wenig Unterschied heraus. Dagegen lauten die Forderungen, daß gerade das Pestlazareth auf dem hu- manften Fuße stehe. Wo ist die Hülfe dringender, als bei Pest und Cholera? Wo ist es für einen Kranken, mag er selbst ein gefeffelter Sträfling fein, peinlicher, als zwischen oder doch in der Nähe solcher Kranken, welche der ganze Rüstzeug der Regierung und die öffentliche Meinung der Franken für ansteckend ausgibt? Wie leicht werden die Erkältungen in der Regenzeit. Gs ist für den Ruhm nicht genug gesorgt, daß man einen Obersten des Landes reich befolde, oder einen fremden Marschall mit GEhrenbezeugungen überhäufe, so lange die Noth armseliger und beladener Unterthanen aus einem Krankenfalle schreit. Nach der einmal gefaßten oder vorgefaßten Meinung von dem ansteckenden Karakter der Cholera sperren fich die mei- ften Europäer in Alexandrien gegen diese Seuche, wie ge- gen die Pest, ab. Ich kann nicht umhin, das völlig um- gekehrte Verfahren der Kontagionisten in Guropa, in Gedächtniß zurückzurufen, nach welchem die Kranken selbst isoliert werden. Ein sicheres und das beste, aber das in- humanfte, die Pflichterfüllung und Berufstreue schnur- stracks verhöhnende Mittel, sich vor der Cholera zu fchir- men, ist die zeitige Entfernung vom Orte, wo 76 die Krankheit herrfcht, an einen folchen, wel- cher davon frei ist. Ebenso betrachten die europäischen Alexandriner die Pest durchaus als kontagiös. Sie schließen fich ihretwillen ein, doch nicht überall fo, daß gar nicht mehr ausgegangen wird. So besorgte ein Handelsmann die Geschäfte außer dem Hause, in welchem feine Mitarbeiter und das Gefinde stets eingesperrt waren. Er fülpte unten die Beinkleider auf, beölte die Schuhsohlen und, mit einem großen Stocke bewaffnet, machte er fich auf der Gaffe Bahn, damit ihn Niemand berühre. Der Araber weicht ohne Anstand aus. Jener Mann, den ich zum Beispiele wählte, rettete sich durch die Pestzeit*). Wenn sonst auf der Straße die häßlichsten Weiber jeden Augenblick erhaschen, ihr Antlitz vor dem Europäer zu verhüllen, so überraschte es mich, in einer der Pest- hütten kranke Weiber unverschleiert zu sehen. Sie ver- riethen beim Erscheinen des Arztes, feines Affistenten und *) Er erlag der Pest in der peffreien Zeit, wenigstens in einer Zeit, da die Europäer keine Vorsichtsmaßregeln gegen die Pest - nahmen. Die Nachricht feines Ablebens erhielt ich, nachdem ich schon von Alexandrien abgereist war. Vierzehn Tage vorher drückte ich die Hand des wackern Landsmannes, Herrn Wehrli, wenn ich nicht irre, aus dem Kanton Aargau. 77 meiner Person nicht die mindeste Verlegenheit, und rollten ihre schwarzen Augen rechts und links, so oft es fiel ge- lüftete. Unter den Kranken befand sich, wie sich etwa der Pariser vornehm ausdrücken würde, auch eine Galante. »k k k Die Gesundheitspolizei würde in der Stadt noch Man- ches aufzuräumen haben. Dem Garfigsten vom Men- fchen begegnet man an den meisten Orten. Ueber den Baffar, nämlich auf den Deckbretern, häufen sich Unreinig- keiten fast jeder Art, die wohl selten weggeschafft werden. Aleser erblickte ich wenige. Wie dem auch sei, so werden immerhin einige Gaffen gekehrt und etliche Plätze mit Waffer besprengt*). Gleichwie die Unreinigkeiten am Gefichte auf Nachlässigkeit und fählechte Gesundheitspolizei des Mikrokosmus schließen lassen, fo zeigen die Unreinig- keiten an den Gebäuden und auf den öffentlichen Plätzen mit der Gewißheit der Uhr an, wie wenig fich der Staat um das öffentliche Gesundheitswohl bekümmere. •) „. . . ut a propinquarum urbium plebe verrisibivias, et conspergi propter pulverem exigeret.” Suetonius aus dem Leben Caligula"s (XLIII). 78 Die Katakomben und der Pferdestall. Hat man den Mahmudiehkanal überschritten, und ist man an den großen Baumwollenmagazinen vorüber, fo leitet der Weg durch eine wüste Gegend, und bald ge- langt man zu den Katakomben, welche, füdwestlich von Alexandrien, an der Seeküste sich hinziehen. Wo das Meer in Gemächer fließt, heißen diese die Bäder Kleo- patra's. Sie waren es auch wahrscheinlich, und jetzt noch könnte man hier mit Bequemlichkeit Seebäder ge- brauchen. Von da ging ich in eine der vielen Oeffnungen. Der Gingang bildet eine geräumige Höhle, welche jetzt als Pferdestall dient. Am Lichte der Fackel wendete ich mich links. Ich trat in einen Tempel, welcher, mit forgfälti- ger Hand in den Felsen ausgehauen, durch feinen einfachen und edeln Styl mir ungemein gefiel. Weiter kam ich in eine Menge viereckiger, kleinerer und größerer Gemächer. Bald durfte ich aufrecht gehen, bald mußte ich durch eine Oeffnung oder einen Gang geduckt mich durchhelfen; selbst war ich genöthiget, durchzuschlüpfen oder durchzukriechen. Ich hatte mich wie in einem Labyrinthe verloren. Der Araber, die einzige Seele mit mir, hätte mich an den Ort des Verderbnisses führen können, ich würde ihm nachge- gangen oder nachgekrochen sein, wenigstens bis an die 79 Schwelle. Die Größe der unterirdischen Arbeit beschäf- tigte in diesem Augenblicke am meisten meinen Geist. Ich vergaß der Schakals und Hyänen, die Herr von Pro- ke sich in den Katakomben haufen läßt. Denn ich fah nichts Böses, nur Alles leer, öde, ausgestorben, höchstens einige Gebeine herumliegen, oder ein Käuzlein auf fliegen*). Ich athmete bei meinem unterirdischen Spazie- rengehen und Spazierenkriechen keine erstickende Luft, wie Herr von Prokesch (I. 23). Allerdings fühlte ich Hitze, doch keine drückende. An den Wänden konnte ich weder „Zeichen, noch Farben finden. Wer mochte wohl die Katakomben geleert, geraubt, entweiht haben? Wie sehr sind die Religionsformen der Wandelbarkeit unterworfen. Mit faurer Mühe brach man einst die Zellen in den Felsen, mit religiöser Verehrung fetzte man die Todten bei; nun ist Alles Heilige aus den heiligen Oertern entwichen, und es fehlt dem Araber nur noch der Geldreiz, daß er seinen Auswurf nicht in den Zellen aufhäuft. Mich beschämte der Gedanke, wie viel -) „Ich wagte nicht”, sagt Dr. Jakob Röfer (224), „in die Höhlen zu kriechen, theils wegen meines Uebelbefindens, „von dem ich noch nicht ganz frei war, theils der Schlangen „und des Ungeziefers wegen, das sich häufig darin aufhält.” 80 mehr Ehre die Alten den menschlichen Ueberresten erwiesen haben, als unsere Zeitgenoffen bezeugen. Vielleicht wür- den fie, wenn sie wieder lebendig wären, uns der Un- menschlichkeit oder des Barbarismus beschuldigen, weil wir den Leichen fo wenig Rechnung tragen, daß sie in unlanger Zeit fpurlos verschwinden, und auch nicht einen Halt- punkt des Andenkens darreichen, etwa mit Ausnahme der Leichenbeine, welche, unter Zerstörung des Individualitäts- werthes, herumgeworfen, oder in der größten Unordnung aufgestapelt werden. Die Nadeln der Kleopatra und der Flohfänger. Hart am neuen Hafen fieht man die Nadeln oder Obe- lisken der Kleopatra, den einen stehen und den andern liegen. Ich näherte mich dem stehenden Obelisken von der Südseite. Ich erblickte einen verwitterten Stein. Ich wendete mich um, die Ostseite zu besehen. Gleicher An- blick. Wie ich mich gegen die Nordseite wendete, fiehe, da faß am Schatten des Obelisken ein nackter, erwach- fener Mann, welcher die Nähte feines Hemdes durchspio- nirte und an dem Todschlage oder Toddrucke eines gewis- fen Missethäters wahrscheinlich eben so sehr sich ergötzte, als ich mich an den Obelisken. Daß es ernsthaft zuging, mußte ich daran merken, daß der neue Adam kaum auf- 81 schaute, und ein daneben sitzendes Mädchen in aller Un- schuld ihn in feinen Bestrebungen bestens unterstützte. Ist es nicht eine halbe Gotteslästerung, daß man vor einem so erhabenen Denkmale, welchem die Seele in edler Begeisterung zugelenkt wird, ein Scheusal von Profa aus- kramt? In der Natur ist aber überall Gegensatz – neben dem Erhabenen das Niedrige, neben dem Edeln das Un- edle. Wenn wir uns dergleichen erhabene Monumente vorstellen, so dichtet freilich unsere Einbildungskraft. Allem um fie herum den Anstrich des Erhabenen an; es dürfen keine lumpige oder entblößte Leute in ihrer Nähe herum- fiehen, herumwandeln oder herumsitzen, fondern nur edle, halbverklärte Geister müffen herumschweben. Wie denn von jeher das Große, Grhabene und Gdle feine Verächter und Spötter fand, fo wiederholt sich diese Verachtung und dieser Spott im Angesichte der Obelisken. Kann man sich wohl eine größere Verachtung oder einen ironischern Spott auf ein Werk, welches die vereinte Anstrengung fo vieler Menschen kostete, denken, als einen Flohfänger, der von aller Pracht nichts wollte, als den Schatten? Ein solches Schauspiel gewinnt selbst höhern Sinn in poe- tischer und politischer Beziehung. Schon beherrscht mein Auge die Nordseite des Obe- isfen. Diese hat fich mit den Hieroglyphen noch in gu- 82 tem Zustande erhalten; so auch die Westseite. Der Obe- lisk besteht aus rothem Granit und erhebt sich fiebzig Pa- riferfuß. Nicht durch feine Größe, noch durch feine Form macht er Gindruck, fondern man betrachtet diefen Stein erst mit rechter Aufmerksamkeit, wenn man weiß, daß er ein einziges Stück und ein sehr altes Geschichtbuch ist. Die Sache beim Lichte besehen, bewundern wir nicht den Stein selbst, sondern einzig den ihm aufgeprägten Geist der Menschen. Sonst dürften wir jede Handvoll Erde, die fo gut ein Alterthum ist, wie der Obeliskenstein felbst, in die Liste der Denkwürdigkeiten aufzeichnen. Der zweite Obelisk liegt gleich neben dem stehenden. Die Hälfte bedeckt der vielmächtige Sand; die andere ver- zeigt Hieroglyphen. Die Engländer sollen ihn umgestürzt Haben, in der Absicht, denselben nach ihrem Vaterlande zu bringen, wovon sie bloß die Berechnung des kostspieli- gen Transportes abgehalten hätte. Der Luxor wurde in der That von den Franzosen freundlicher behandelt. Die Pompejusfäule und die Schandfäule. Man hat mir so viel von der Pompejusäule vorge- fchwatzt, daß ich fiel zuerst nicht fehen wollte. Ich fand lieber still bei den Kameelen, in dem Baffar und zu auf 83 merksam bei den elenden, beinah mehr mit Ketten, als mit Kleidern bedeckten Sträflingen. Die Säule wurde zu Ehren des Kaisers Diokletian errichtet. Die Statue steht nicht mehr. Die Engländer, welche 1776 den Schaft bestiegen, und auf dem Fußge- stelle eine Schale Punsch tranken, entdeckten noch einen Fuß. Die Säule ruht auf einer vortheilhaft erhobenen Stelle im Süden der Stadt. Gleich an ihrem Fuße brei- tet fich ein Leichenacker aus, auf welchem ich die Turbane durchmusterte. So eben lag eine, in ein blaues Tuch gewickelte Leiche auf einer Bahre, neben Weibern ohne Klage, während gegraben wurde. An manchen Orten Guropens hat man das Grab im Vorrathe, und hier muß die Leiche darauf warten. Um keine Verletzung der Sitten und Gebräuche mir zu Schulden kommen zu laffen, stieg ich vom Efel und ging zu Fuß querein durch den Leichen- acker. Der Treiber wollte den Gfel mir nachführen; allein er wurde angewiesen, mit dem Thiere den Weg um das Leichenfeld einzuschlagen. Man mußte dießmal von der Ansicht geleitet worden sein, daß der Eifel nicht würdig wäre, auf den Gräbern der Menschen zu wandeln. Mit dem Purismus ist es aber eine kitzliche Sache; immer und immer wirft er den Fallstrick des Widerspruchs vor. Läßt man jetzt den Gfel nicht über die Gräber traben, so ver- 84 fenkt man vielleicht später Ungeziefer in die Gräber. Ich muß es ganz herausbrocken; font haben die Worte keine Kraft. Vom Leichenacker aus gesehen, prangt die Säule des Pompejus als ein großartiges Denkmal, auf welchem das Auge mit Luft weilt. Die ganze Höhe der Säule, nämlich des Schaftes mit Knauf und Piedestal, mißt 98 Pariserfuß. Der Schaft besteht aus einem einzigen Stücke rothen Granits. Billig staunt man darüber, wie ein 68 Pariserfuß langer und 7 bis 8 Fuß im Durchmesser hal- tender Stein (der Schaft) gebrochen, fortgeschafft, ausge- arbeitet und aufgestellt werden konnte. Das Verdienst, daß die Säule noch aufrecht steht, verdankt sie dem Umstande, daß fiel von fummem Stein und schwer ist. Wäre sie mit D. O. M. überschrieben gewesen, so würde sie wahrscheinlich zerstört worden sein, wie die Alexandriner-Bibliothek, deren Verlust einer der unersetzlichsten für die Menschheit genannt werden darf. Gs erregt Abscheu im höchsten Grade, daß die Leidenschaften der Menschen fchadenfroh zerstören, was Andere Schönes und Erhabenes mühsam zu Stande brachten, und nichts vermag mehr, den Hochmuth unferes Zeitalters zu beugen, als die Betrachtung, daß die gleichen Leidenschaften den 85 Krieger ohne Aufhören in den barbarischen Kampf rufen, in welchem so manches unschuldige Leben verblutet. Reisende, welche die Säule bestiegen, bezeichneten diese mit ihren Namen. So viel Namen; fo viel Entweihun- gen, so viel Beschuldigungen der Gitelkeit, so viel Stoff zum Aergerniffe. Man würde sich fcheuen, einen altrömi- fchen Kriegsmann in eine Pariser-Jacke zu zwingen, aber die gleiche Thorheit an der alten, ehrwürdigen Säule zu begehen, trägt man kein Bedenken. Bei der Pompejusäule genießt man eine fchöne Aus- ficht auf Stadt und Land, Gärten und Wüsten, Hafen und Meer. - - Die Nachgrabungen. Wenn auch nicht das wissenschaftliche, fo regt fich ein anderes Intereffe, welches die Nachgrabungen im Schutte veranlaßt. Ibrahim-Pafcha will neue Bauwerke, und fo läßt er die von den längst entschwundenen Vorfahren gemeißelten Bausteine aus dem Schutte heraufholen. Da- her fieht man an den im modernen Style fich erhebenden Gebäuden Steine aus der grauen Vergangenheit, die man bloß zurechtsägt, damit sie sich desto beffer in die lästige Gegenwart fügen. 86 Ich fah zwei Schachte, in denen man Nachgrabungen anstellte, und meine Aufmerksamkeit wurde doppelt ange- spannt: in den Rahmen der neuen Welt waren die Arbei- ter und die Behandlung derselben, so wie die Art und Weise in Verrichtung der Arbeit u. f. f., in denjenigen der alten Welt die Antiquitäten gefaßt. Wenn die lebens- reiche Jetztwelt mich mit größerer und unwiderstehlicherer Macht zu ihr hinreißt, fo wolle der Vorweltler mir nach Herzenslust grollen, aber nur nicht eher, als bis er sich den Alterthumschlaf aus den Augen gerieben hat. Gs fanden zwei Aufseher da, ein Grieche, ein dem Anscheine nach unwiffender Mensch, und ein farbiger Mohammetaner. Beide hielten Peitschen in den Händen. Mich empörte es, wie der letzte ein etwa zwanzigjähriges Mädchen, welches eine ungemeine Lebhaftigkeit zeigte, und feine Arbeit mit Gesang begleitete, liebkosete, und später ihm mit der Peit- fche aufmaß, so daß es entsetzlich schrie, freilich nicht ohne Verstellung. Mehr noch, als das Schlagen ärgerte mich, daß man es duldet. Schimpft nicht auf die Tyrannen, aber auf diejenigen, welche fiel leiden. Wenn die Leute nicht in eine Art thierischer Unterwürfigkeit versunken wären, wenn bei ihnen die Selbstachtung nicht gleichsam erloschen wäre, fo würde bald eine andere Saite aufgezogen fein. Die Europäerin meint nun zum allermindesten, daß jenes 87 gyptische Mädchen vom bittersten Zorne und Haffe gegen den Aufseher ergriffen wurde. Nichts weniger, als dieß. Kaum schien der Schmerz ausgefumfet zu haben, fo kehrte die frühere Fröhlichkeit zurück, und man konnte aus dem freundlichen Benehmen des Aufsehers gegen das ihm wie- der freundlich zulächelnde Mädchen deutlich schließen, daß nach der Arbeit zwischen diesen zwei Leutchen ein herzliche- res Verhältniß obwalten müffe. - Fast ganz nackte Männer hoben den Schutt hervor; man dürfte wohl fagen, ganz nackte, weil fo nichts vor den Blicken verborgen war, indem die Lumpen bald diesen, bald jenen Theil kümmerlich verhüllten. Ich war an den Anblick folcher Leute noch nicht gewöhnt; allein die kleine- ren und größern Mädchen schienen das nicht zu beachten, was in der Meinung des Europäers die Wohlanständig- keit so tief verletzen würde. Der Schutt wurde in, aus Dattelblättern geflochtene, kleine, runde Körbe geworfen, und fo auf dem Kopfe weggetragen. Zugleich richteten es die Lastträger, um sie fcherzweife fo zu nennen, gar fein ein, dergestalt, daß der eine auf den andern warten konnte, damit ja wieder einige Augenblicke in füßem Nichtsthun dahinfließen. Man las auf den Gesichtern der Arbeiter, und auch alle ihre Bewegungen verriethen es, daß nicht die mindeste Luft zur Arbeit fiel befeelte, und daß fiel ledig- 88 lich aus Furcht vor der Gewalt oder aus Zwang sich dazu anschickten. Viele in Alexandrien wohnende Guropäer hegen die Ueberzeugung, daß ohne Peitsche und Stock der Ara- ber von feinem Hange zum Müßiggange nicht loszurütteln und zur Arbeit zu bewegen wäre. So bald er etwas er- spart habe, behaupten fie, lege er fich auf die Bärenhaut, und verthue oder vergeude wieder Alles. Uebrigens sorgt der Pascha mit väterlicher Theilnahme dafür, daß die Ar- beiter nicht zu viel Geld in die Hände bekommen; denn die 30 bis 40 Para, welche er ihnen täglich in die Hand preßt, reichen kümmerlich für die allernothwendigsten Be- dürfniffe hin. Würden Mehemet-Ali und Mahmud den abendländischen Fürsten darin nachahmen, daß fie, statt der Chiffres, ihre Köpfe auf der Silbermünze abprägen ließen, fie dürften gewiß nicht besorgt sein, daß sie in den Händen dieser egyptischen Arbeiter rothe Backen bekämen. Leute. Bevölkerung. Auf den Straßen ist es ungemein lebhaft. Die Bu- dengaffen (Baffar) find theilweise gedrängt voll. Man darf sich mit Recht wundern, daß, bei allem Gedränge, die in ein bloßes Hemde gekleideten mohammetanischen Wei- ber den Franken felten berühren. Die bunte Kumpanei von fo verschiedenen Menschen mit ihren abweichenden Sitten 89 und Religionsformen, der bunte Wechsel von so verschie- denen Thierarten, als von Kameelen, Büffeln, Gfeln, Pferden, hin und wieder das Knarren von Lastkarren (welche der Regierung gehören) wirkt beinahe betäubend. Nirgends traf ich mehr Getriebe und mehr Rührigkeit, als im Arsenale und in den Schiffswerften. Tief in die Nacht dauert der Lärm, und wenn das Getümmel der Menschen verstummt, fo erhebt sich das Gebell der herren- losen Hunde. Schwerlich wird dem Schlaflosen je eine feierliche Stille vergönnt. r Der arabische Alexandriner ist eine wahre Lärmtrompete. Er lernt laut; arbeitet er, so singt er. Wenn dreißig bis vierzig Arbeiter eine Last heben, so tönt nicht unan- genehm für das Ohr der Chor der Menge, welcher dem Solo des Kommandierenden antwortet. Alle die Lärmereien follen eine religiöse Bedeutung haben. So rufen die Mo- hammetaner gar oft ihren Propheten an, der auch Hamma heißt. - - Ueber die Bevölkerung der Stadt konnte ich nichts Zu- - verläffiges in Grfahrung bringen. Jährlich follen, nach einem eben fo gut unterrichteten, als angesehenen morgen- ländischen Bewohner Alexandriens, im Durchschnitte drei- tausend Menschen sterben. Gs leidet kaum einen Zweifel, daß die Sterblichkeit in Alexandrien, defen Lage allgemein 90 für ungesund gehalten wird, groß ist. Laffen wir, wie in Rußland, den fünfundzwanzigsten Theil der Bevölkerung jährlich sterben, so erhalten wir eine Gefammtheit von fünf undfiebzigtausend Menschen. Jedenfalls steigt die Einwoh- nerzahl weit höher, als man sie in Guropa glaubt. Uebri- gens hat sie durch die letzte Pest (183%) bedeutend ab genommen, obwohl man, wie man mich versicherte, am Gedränge in den Gaffen keinen Unterschied bemerke. Nach den Ginen sollen unter dem Todesfreiche der letzten Pest 13,000, nach Andern selbst 20.000 Menschen gefallen fein. Man muthmaßt, daß die Regierung gefliffentlich die Zahl der Gestorbenen minder groß (etwa 11,000) angab, und man will bestimmt wifen, daß manche in den Hütten an der Pest Verstorbene gleich unter denselben in die Erde verscharrt wurden, weil die Gesundheitspolizei gegen ver- pestete Hütten sogleich zu Maßregeln fchritt, welche den Araber belästigten. Die Bevölkerung Alexandriens gleicht einem Polypen. Schneidet man ein Stück davon, alsbald wird das Verlorene wieder ergänzt. Wenn die arabische Bevölkerung der Stadt auch viel einbüßt, so wird der Ver- lust doch wieder in kurzer Zeit ersetzt, theils weil das arabische Weib gerne und leicht Kinder bringt, theils weil vom Lande immerfort Lückenbüßer einrücken. Gs mag ne- benbei die Bemerkung nicht überflüssig erscheinen, daß der 91 Pascha feine Stärke in der größtmöglichen Vermehrung seiner Unterthanen fucht. Gr thut ihr daher jeden Vor- schub. So darf ein Seesoldat nicht ans Land gehen, wenn er kein Weib nimmt. Wie wenig wurzelfest ein solches Prinzip sei, könnte er von unsern Lehrern der politischen Oekonomie lernen. Hohl und trügerisch ist der Gewinn für das Ganze, wenn die Zunahme und der Verlust der Bevölkerung in gleichem Grade steigen. Gine klein schei- nende Sache ist manchmal von großer Wichtigkeit, und hier die Grhaltung der Bevölkerung, und wollte der Pascha nach diesem Ziele ringen, fo könnte er nicht nur über die gleiche, sondern felbst über eine intensiv stär- kere Bevölkerung gebieten, sich nicht nur einen Theil seiner Laufbahn von Dornen säubern, fondern auch Andern tau- fend unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten, tausend Kümmer- niffe und Seufzer ersparen. Der Ritt zur Beschneidung. Was ist das für ein Reuter dort auf stolzem Roffe, den Baffar durchziehend? Was für eine gellende Musik ? Was für ein rufendes, wogendes Menschengedränge, aus dem – Salz gegen das Roß anfäubt? Ach, eine Ko- nähieankündigung; mit folchen Ausposaunungen füllt man die Ohren in allen Krähwinkeln der Welt. O Wahnsinn, 92 welches dergleichen verdeutet! Das wohlaufgeputzte Kind, welches der Reuter auf dem Schooße hält, ist ein moham- metanischer Knabe, mit dem man an den Ort reitet, wo die Beschneidung vorgenommen werden foll. Freilich foll, muß u. f. f., mögen nun feine Augen triefen von Krank- heiten und naß fein vor Wehmuth. Was – Wehmuth? Sein Weinen hört man ja nicht, weil das Ohr von Pau- ken und Tambour und Schalmeien übertäubt wird. Die Mohammetaner halten auf der Beschneidung sehr viel. Erst wenn der Knabe beschnitten, ist er ein Moslim (Rechtgläubiger). Die Großen begleiten dieselbe mit fehr viel Gepränge. Die Beschneidung des nachherigen Sultans Mehlemeit dauerte vom 21. Mai bis zum 30. Brachmonat 1582. Die abgeschnittene Vorhaut wurde in einer goldenen Schale der Mutter des Sultans, und das Barbiermeffer blutig der Großmutter zugeschickt. Wenn man damit zugleich die Rohheit der türkischen Sitte bezeichnen möchte, so ver- steht sich von felbst, daß auch Sauls Forderung (1. Sa- muel, 18, 25 und 27) in der Vorderreihe roher Sitten- züge steht. Primar fchule. Du gehst auf den Gaffen. Du hörst einen Lärm, ein Brumsen und Sumfen. Anf einmal erblickst du eine Menge 93 Kinder, die in einer offenen, über die Gaffe nur wenig erhöheten Bude hocken*), den Körper vor- und rückwärts bewegen, eine weiß bemalte, hölzerne Schreibtafel in der Hand halten. An einer Wand hockt der Schulmeister, und macht mit feinem Körper eben so komische Bewegungen. Er lehrt und ißt Bohnen zu gleicher Zeit. Das ist eine Kinderschule. Nirgends fah ich die fröh- liche Ausgelaffenheit der Kleinen in höherm Grade als hier. - In Alexandrien gibt es mehrere Schulen. Ich glaube nicht, daß sie gesetzlich bestehen. Weil in den Schulen die Religion nach dem Koran gelehrt wird, so schickt der Mohammetaner aus religiösem Eifer die Kinder in dieselben. Der Schreiber wird unter dem Volke fehr geachtet. Mäd- chen nahm ich unter den Schülern nicht wahr. Die Zeichenschule. - Ich begegnete im Arsenale einem Europäer, den ich um Auskunft fragte. Sein Aeußeres wollte eben nicht viel *) Ich kenne im Deutschen kein Wort für den morgenlän- dischen Sitz mit kreuzweise über einander geschlagenen Beinen. Um kurz zu reden, wählte ich hocken; von Prokesch schreibt hockern. Wenn die Leute, zumal häufig die Weiber, ei- gentlich kauerten, oder mit aufgehobenen Knieen faßen, fo will ich mich auch so ausdrücken. Hocken klingt für die Abend- der freilich niedrig, aber es wäre für diese auch nicht fein, schneidermäßig hinzufisen. - 94 versprechen. Mit zuvorkommender Gefälligkeit führte er mich in ein Zimmer, wo etwa zwanzig ältere Zöglinge zeichneten, davon mehrere fchon an zwei Weiber verheirathete. Mein Führer, aus Marseille gebürtig, fand der Schule, die er erst vor kurzem gegründet hat, selbst vor. Die Ara- ber faßen auf Bänken vor Tischen, und die Muster lagen oder hingen vor ihnen. Mir schienen die Zöglinge Eifer an den Tag zu legen, und ihre Arbeiten, Laub- und Blumenwerk, z. B. für Tapeten, geriethen nicht übel. Der Zeichenlehrer eröffnete mir, daß der Araber viel Ta- lente befize, daß er aber zu fehr Schlaraffe fei, um sie anbauen zu wollen. Er bestätigte, was ich von Andern vernahm, daß er denselben nur durch strenge Zucht zur Arbeit und zum Fortschritte bringe. Von Stockschlägen faselte der Franzose ganz geläufig, als wäre er mit ihnen aufgewachsen. Der Mangel gründlicher Kenntniß in der arabischen Sprache stellt dem Lehrer viele Hindernisse in den Weg. Indeffen bemüht er sich eifrig, diese Sprache in seinen Besitz zu erlangen, damit seine Mittheilungen leichter werden. Da der Lehrer felbst nicht gar viel Zeit im Schulzimmer zubringt, fo fucht er sich durch eine Art Lancaster fchen Unterrichtes zu helfen. Während feiner Abwesenheit vertritt der beste Zögling die Stelle eines Lehrers. Die Lehrlinge werden im Ganzen strenge gehalten. 95 Des Mittags dürfen sie nicht ausgehen, und sie speisen im Zimmer. Eben hockten zwei auf dem Boden, und langten mit ihren Fingern eine Art Brei aus einem großen Teller heraus. - Der Pascha verbindet mit dieser Schule offenbar den „Zweck, fich von den Abendländern mehr und mehr unab- Hängig zu machen. … Vielleicht find die goldenen Tage des letztern in Ggypten vorüber, so bald er den Pascha und feine Leute einen solchen Schatz gelehrt haben wird, daß die Anleitung und die Mithilfe des Fremdlings entübrigt werden können. - - WI e i b e r h ä n d e l. „Zum Troste der Europäerinnen gibt es auch in Afrika Weiberhändel. Ich lag unter dem Fenster, über einem Baffar. Auf einmal wendete fich eine Mohrin kreischend und, mit einem Schäufelchen drohend, rasch gegen einen Türken. Das Weiße des Auges gegen die Schwärze der Haut, wie das Licht gegen den Schatten, abstechend, warf den lebhaften Glanz der Gemüthsbewegung. Der Türke stand in stolzer Ruhe; fest heftete er feinen Blick an das Weib. Auf ein- mal fiel ein minder schwarzes Weib der ersten in diejenige Hand, welche das Schäufelchen hielt. Die Weiber wett- 96 eiferten mit Lärmen. Was für ein Ende wird der Auftritt noch nehmen? Wie treffen doch die zierlichen Europäerin- nen und die plumpen Afrikanerinnen den gleichen Punkt, ob auch nicht fo haargenau; denn in Europa raufen sich Weiber die Haare, hier dagegen greifen sie nicht nach dem Kopfe, fondern halten sich einander die Hand, oder kneipen und reißen an den Kleidern. Daß die auf einander erbos- ten afrikanischen Damen mehr nach dem in der Gemüths- aufwallung gepreßten Herzen greifen, ist es etwa instinkt- mäßiger ? Ich glaube nicht, daß, wenn es keine Männer gäbe, die Welt aussterben, sondern bloß, daß die übrig bleibenden Weiber von einander aufgerieben würden, näm- lich zuerst die guten von den bösen, dann die bösen von den böseffen. Und das habe ich nicht nur schon im Stillen gedacht, sondern ich wollte es auch vor Männiglich sagen, wozu es freilich keines Muthes bedarf; denn sollte ich mit meinem harten Urtheile irgend eine Schöne zum Zorne auf regen, so bin ich überzeugt, daß sie sich felbst, im Schmucke desselben, vor dem Mann mißfiele, und daß sie ihn viel lieber an einer schwachen Mitschwester entlüde. Es kam, um zu unferm Spektakel zurückzukehren, Po- lizei dazwischen, und so nahm der Handel flugs ein Ende. Natürlich wurde ich an der Fortsetzung meiner nicht ganz unangenehmen Beobachtung gestört. 97 Geld und Geldnoth. Eine englische Guinee gilt 100 Piaster (Krusch); 40 Para (Medi) machen einen Piafter aus. Beiläufig 8 Pia- fer kommen einem Gulden Reichswährung gleich. Die egyptischen Goldmünzen find 10, 9, 4 und 3 Piasterstücke. Diese letztern empfehlen sich wegen ihrer Kleinheit wenig. Man darf ordentlich auf der Hut sein, um sie nicht zu ver- lieren. Die Silbermünzen find 1, %, 1/4 und 1%. Pia- fer, felbst ein Para. Gs gibt übrigens auch 1%, 1% Piafter und 1 Paraftück in Kupfer. Dieß die Hauptmün- zen. Man könnte wohl noch mehr angeben, wenn man weitläufiger fein wollte. - In Alexandrien ist Noth an Scheidemünze, so daß bis- weilen für das Wechseln von 4 Piafter in Gold ohne An- fand 10 Para abgezogen werden. Ich war einmal ge- nöthigt, einem Araber, der meine Sprachen nicht beffer als ich feine verstand, fo viel Para zu bezahlen. Anfänglich glaubte ich freilich hintergangen worden zu sein, weil eine fo beschaffene Ordnung von Unordnung mich allzusehr be- fremdete. In Kaffee- und Wirthshäusern tritt gewöhnlich der Fall ein, daß man nicht quitt rechnet. Bald bleibt der Wirth, bald der Gast schuldig. Einmal konnte der Wirth mir keine kleine Münzen zurückgeben, und erklärte, mit An- Tobler, Morgenland. 5 198 nahme der Zahlung zu warten. Wie faunte ich über das gastwirthliche Zutrauen, welches das Morgenland so lieb- lich verkündiget. Man faffe fich wohl, dieses Zutrauen ging auf den Stelzen der Münznoth. Ein andermal blieb ein Kaffeewirth, aber ein Grieche, mir eine Kleinigkeit schuldig. Die Begehr nach Scheidemünze fällt, wenigstens dem Frem- den, ungemein beschwerlich; man muß gleichsam auf dieselbe Jagd machen, indem man jede Gelegenheit auffängt, um eine größere Münze auszugeben, die beim Umwechseln klei- nere zurückwirft. Dazu kommt noch eine andere Unbeliebig- keit, daß schwierig zu erkennende falsche, oder gebrochene und beschädigte Münze im Umlaufe if, welche nicht ange- nommen wird. Zählen wir doch nichts zu den Unmöglichkeiten. Viel- leicht rührt die Scheidemünznoth vom Kometen her, den ich in Egypten gerade zum ersten Male, als einen hübschen, langen Schweif, in der nördlichen Himmelsgegend zur Sicht bekam. Im Kaffeehause erregte diese Grscheinung plötzlich ernstes Rufen, lautes Lärmen, eiliges Laufen, anders nicht fürwahr, als wäre Feuer ausgebrochen. Wenn der Schwanz- fern nun dieses zu bewirken, und, wie es denn bekannt ist, Krieg und Pest heraufzubeschwören vermag, wie soll er die Leute nicht auch in die Klemme des kleinen Geldes treiben können? Uebrigens bin ich felbst froh, daß die 99 Sterngucker den Spaß dort ungefähr errathen haben; denn mich bangte nicht wenig, der Komet werde gar ausbleiben, dieweil er aus dem Wirrwar der Himmelspropheten sich etwa nicht herauszufinden wiffe, die in der Festsetzung des Tages oder der Nacht für das Stelldichein so nicht einig werden wollten oder konnten. Das Schiff der Wüste. Auf Alexandriens Boden reichten auch die vielen Ka- meele meiner Neugierde Nahrung dar. Zu Lande werden meist auf dem Rücken dieser Vierfüßer die Lasten fortge- fchafft. Wie ein Faden spinnt sich eine lange Reihe von Kameelen oft mitten durch das Menschengedränge in den Gaffen, eines hinter das andere gebunden. In ein weit- fenfriges Netz von Stricken werden größtentheils die Lasten aufgeladen; so Steine, so Säcke, fo Anderes. Das hohe Kameel bewegt sich in gemeffenen langen und eher langsamen Schritten, während der niedrige Eifel mit feinen kurzen Fü- ßen trippelt. Der Fuß des Kameels ist wie das Pendul einer Thurmuhr, der Fuß des Esels wie dasjenige einer Taschenuhr. Und noch mehr Gegensatz. Das Kameel ernst, der Gfel flatterhaft; das Ohr des großen Kameels klein, des kleinen Esels groß. Es macht Spaß, diese zwei Thiere neben einander zu sehen. 100 Anleitung für den Reifenden. Langt man im Hafen an, so fährt der Kapitän in seiner Schaluppe ans Land. Grgreift man nicht gleich diese Ge- legenheit, so holt man später auf einer der Barken, die im Hafen jederzeit bereit liegen, die Effekten, höchstens für einen Piafter. Zu Lande wird das Gepäcke von den Mauth- beamteten untersucht, welche einen Piafter von mir forderten. Ein Lastträger bringt für einen Piafter das Gepäcke bis ins Logis. Eine größere Last würde man am besten auf Esel oder auf Kameele laden, und auch auf letztern kostet die Fortschaffung des Gepäckes nicht viel. Ehe ich das Zim- mer im Wirthshause zu den drei Ankern (welches sonst dem kostspieligeren zum goldenen Adler nachgesetzt wird) bezog, fand ich mich mit dem Wirthe ab. Das Zimmer war ge- räumig, mit der Aussicht auf einen Baffar, das Bett rein; die Flügeltüren mußten mit einem Vorlegeschloß gesperrt werden. - Mein Paß war von der Polizei in Triest mit nicht mehr Umständlichkeiten nach Alexandrien visiert, als reifete ich von dort nach Venedig, und der Kapitän händigte am Orte der Bestimmung ihn selbst dem österreichischen Konsul ein. An das Reisen nach Ggypten binden sich überhaupt keine polizeiliche Schwierigkeiten. Nachdem mein Paß in 101 meinem Kantone ausgefertigt war, wurde er einzig dem österreichischen Gesandten bei der schweizerischen Gidgenoffen- schaft zum vifiren übersandt, weil ich in Europa keinen andern als österreichischen Boden beschreiten wollte. Die Polizei abgerechnet, fiel er hier weder in die Hände eines Konsuls, noch font-Jemandes. Als ich mich beim öster- reichischen Konsulate in Alexandrien anmeldete, eröffnete es mir, daß es mir den Paß nach Kairo unterschreiben werde, wenn ich hinauf reifen wolle, und daß ich ihn dann abho- len könne. Das Visum erhielt ich „gratis“, und ich mußte nur einem egyptischen Angestellten, welcher fich auf der Konsulatskanzlei befand, für einen Vorweis bei der Douane am Mahmudiehkanale einen oder zwei Piaster, so wie den Douaniers felbst, welche auf eine den Fremden sehr belästi- gende Weise die Effekten durchsuchen, wiederum einen klei- nen Tribut bezahlen. Manche bedecken den Statthalter mit Ruhm wegen seiner Liebe zu den Abendländern, und die gleichen Abendländer dürfen bloß den Fuß auf Egypten setzen, und er benützt, wie es am Tage liegt, jede Gelegen- heit, um ihnen das Geld aus der Tasche herauszudrücken. Als Arzt hatte ich nur meine notwendigsten Effekten mit einer Zugabe weniger Arzneien bei mir, und dem- ungeachtet mußte ich den Inhalt des Felleisens in Alexan- drin zweimal untersuchen lassen. - - 102 Wer sich mit Empfehlungsschreiben versieht, thut wohl daran. Die meinigen leisteten mir wesentliche Dienste, was ich auch dankbar anerkenne. Ich stellte mir etwas schwer vor, daß ich, als Ankömmling auf Afrika, in Mitte ara- bischer Zungen mich zurecht finden werde. Mein Erstes war, durch einen Araber geführt, meine Gmpfehlungsschrei- ben an einen Schweizer aus Schaffhausen abzugeben. Ich fand ihn – einen Freund; ich fühlte mich in feiner Nähe fo traulich wie zu Hause. Er ertheilte mir zu Allem An- weisungen, deren ich so fehr bedurfte. In der Gesellschaft der Herren Ott, Wehrli, Wyß, Korvettenkapitäns Baumgartner, welche Schweizer find, und des Ober- arztes der Marine, Dr. Koch aus München, hatte ich erfreuliche Gelegenheit, die nöthigen Erkundigungen ein- zuziehen. Wenn man einen entferntern Gegenstand befehen will, fo bedient man sich am besten eines Gfels. Fiacres gibt es gar nicht und im Ganzen äußerst wenig Gefährte. Man kann aber auch zu Fuß gehen, was ich meistens that, und felten wurde ich von den Gfeltreibern bestürmt. Diese fan- gen eigentlich nur an, in Jemand zu dringen, oder sich in den Weg zu stellen, und ihn so aufzuhalten, wenn fiel ihm anmerken, daß er einen Esel fucht. Als dann ist er augen- blicklich von zwölf- bis zwanzigjährigen Leuten umringt, 103 welche, laut lärmend, sich anbieten und so nahe sich an- drängen, daß sie Ginem die Kleider verunreinigen. Das unverschämte Andrängen war mir immer höchst widerlich, felbst wenn ich dadurch im beengten Raume nicht gehindert worden wäre, den mir beliebigen Gfel und Treiber auszu- wählen. Man schwingt sich endlich auf ein Thier, bloß um die Stürmer los zu werden; denn fobald man auf dem Gfel filzt, ändert fich die Szene, als wäre ein Licht aus- geblafen, – gänzliche Stille tritt plötzlich ein. Außer dieser Kriegslist fchützt auch noch die Peitsche vor der Un- verschämtheit. Einige Male folgten mir Eseltreiber, Esel voran, mit dem ermüdenden : Volete un" buon" burrico? weit nach. Ich kehrte rasch um, und dann wandelte ich wieder vorwärts. Gs half wenig. Die Drohung mit der geballten Faust wies zu guter Letze die Meister in der Zudringlichkeit zurecht. - - - In einem halben Tage kann man das Sehenswürdigte finden. Man reitet zuerst zu den Katakomben, wo Leute aus den arabischen Hütten den Wißbegierigen unter die Erde führen. Von da zu dem Garten Ibrahim-Pa- fchas, mit den Blicken über den See Mareotis. Weiter zu der Pompejusfäule, zu den Obelisken und zuletzt zum Pharus. Für den Ritt nach den Katakomben, zur Pom- pejusfäule und zu den Nadeln Kleopatras gibt sich der 104 Gfeltreiber mit vier Piafter zufrieden. Vielleicht verdienen auch die Ruinen der Athanasiuskirche und der Katharina- kirche besehen zu werden. Die Nilfahrt nach Kairo. Linkische Lastträger; feichter Kanal; licentia poetica; Korn- fpeicher; Fruchtbarkeit des Nilthals; possierlicher Hühnerhandel; eine Abendunterhaltung; das Schlachten eines Lammes; Ge- wandtheit der Barkenknechte; die reifende Familie; Truppe nack- ter Kinder; Einerlei der Aussicht; Kaffeewinkel; Bewäfferung des Landes; feltsame Schiffsladung; Pyramidenanblick; Tele- graphen; Bulak; hôtel de l'Europe. Freitags den 16. W ein monat. Ich schied von Alexandrien. Aus Rücksicht für die gute Gesellschaft mit einem Dragoman der französischen Regie- rung und einem jungen, piemontesischen Kaufmanne reitete ich nicht eher ab, wie ich vorhatte, ja ich ließ mich sogar lieber während dieses Tages bis gegen Abend ins Wirths- haus einsperren. Denn da die Cholera immer weiter um fich griff, und der Wirth keine Maßregel dagegen versäumen wollte, fo unterstellte er fein ganzes Haus der Quaran- täne. Ich weiß nicht, wie ich fagen foll, ob die neue Ordnung der Dinge, z. B. der Einkauf von Lebensmit- 105 teln, das Parlamentieren vom Rastelle aus, bei dem Besuche eines Freundes, mich mehr betrübte oder belustigte. Noch wunderlicher kam es mir vor, wie der italienische Wirth mich als Verpesteten behandelte, weil ich über Nacht Bre- chen und Anderes litt, und eine Zeitlang mich wirklich von der morgenländischen Brechruhr ernsteren Grades befallen glaubte, Die mit Reiswaffer gefüllte Flasche übergab der kummervolle Italiener nicht mir unmittelbar, sondern mittelst eines vor meiner Zimmerthüre stehenden Geschirres, in welches die Flasche ging. In das Weite der Menschen flicht sich auch manchmal fo viel Thörichtes, daß man oft nicht weiß, wo der Verstand aufhört oder anfängt. Ich forgte für einen kleinen Vorrath an Lebensmitteln, auch Holz, und zwar kaufte ich dieses nach dem Gewichte. Die eine Fürsorge ist vergeblich, und nur für Leckergaumen räthlich. Ueberall am Nil bekommt man gutes Brot, Hüh- ner, Gier, auch Reis, und in den meisten Dörfern Milch, Alles in geringem Preise. Einzig Zitronen, Zucker und Rhum mögen nebst Kohlen und einem Kochofen dienen. Ich kann voraussetzen, daß der über Meer. Gelangte auch ein Bett mit fich fchleppe. Von zwei Arabern wurde mein Gepäcke aus der Anker- taverne nach dem Mahmudiehkanal getragen, aber täppisch oder träge genug, indem dieselben, im Schweiße gebadet, 106 die Bürde bald los - bald zusammenbanden, jetzt niederleg- ten, dann aufnahmen. Ich traf eben da meine Reisegefähr- ten. Es follte mein Gepäcke nur noch unter den bekannten Förmlichkeiten die Zolllinie überschreiten; ich bestieg das Fahrzeug, und wir fließen in den Kanal. Der Wind blies günstig. Bald verschwand die Pompejusäule aus unsern Augen – und der Tag. Den 17. Die Ufer des Kanals sind niedrig, oft wüst, genußarm. Der Kanal ist fchmal, hie und da feicht, und Manche glauben, daß in kurzer Zeit der immer mehr anwachsende Niederschlag des Nilschlammes ihn unschiffbar machen werde. Dergestalt würde das glänzende Unternehmen Mehemet- Alis, den Nil mit der See Alexandriens zu verbinden, in Schatten finken, nachdem es in aller Welt so hochge- priefen war. Wir fegelten einer französischen Dame voran. Vornehm steckte fiel durch einen baufälligen Laden ihren Kopf heraus. Von einem Monsieur unserer Barke wurde fie nur befragt, ob fie des Nachts viele Flöhe gehabt hätte. Das war eine fchlechte licentia poetica, aber eine natürliche. Gegen- feitige Theilnahme an den Plagen ist wenigstens ein Erguß der Gemüthlichkeit. Um Mittag langten wir in Altfe an. Hier verbindet 107 fich der Kanal mit dem westlichen Arme des Nils. Das Dorf mit feinen elenden, schwarzgrauen Hütten gleicht einem Ameisenhaufen, so viel Leben und Regsamkeit zeigt sich in dem Baffar und an den Stapelplätzen. In der Kornhalle, aber keinem Konterfei der Pariser, liegt das Getreide auf dem Boden an einem Haufen unter freiem Himmel. Der Kornhändler hockt auf dem Kornkegel und schmaucht mit aller Behaglichkeit eine Pfeife. Auf diesen Markt foll man nicht gehen, um Gßluft zu fördern. Solche Getreidemärkte besitzt auch das übrige Egypten. Die Kornspeicher stellen indeß andere Male einen, mit einer Mauer umfangenen, unbedeckten Platz vor. Ich wollte im Baffar eine Limonade trinken; allein den widerlichen Geschmack dieses mit Meth oder Melis zubereiteten Getränkes konnte ich nicht über- winden. Ich war noch nicht fo weit in das Reifen ein- gefchoffen, daß ich Alles verschlingen wollte. Im Baffar gewahrte ich eine Höckerin mit einem nackten Kinde, das an den Blattern litt. In Ggypten haufen diese auf eine schreckliche Weise. - Billig nahm der Nil mit feinem weißgelblichen Schiller meine Aufmerksamkeit in Anspruch. So habe ich denn ein Ziel meiner Reife erreicht. Mit Recht danken dir, o Nil, die Bewohner des Landes, daß du die von dir überschwemm- ten Ländereien fegnet. An andern Orten fchadet im Ge- 108 gentheile der Fluß durch Ueberschwemmung. In der Mitte zwischen den Quellen und Mündungen ist der Weltfrom am größten, und an andern Orten wird der Fluß um fo größer, je näher er gegen das Meer anströmt. Nicht durch majestätische Größe, mehr aber durch den reißend fchnellen Lauf zeichnet sich dieser Nilarm aus. Und welch" eine Fruchtbarkeit der Nilufer! Alles keimt üppig, und man sieht der Natur an, daß sie mit der größten Leichtig- keit hervorbringt. Sie scheint den Bewohnern zuzurufen: „Nehmet von mir, so viel ihr wollet; denn ich ermüde nicht mit Wiedergeben.” Der Karakter der Nilgegend ist eigentlich kein schwerer, sondern ein leichter, kein ernster, sondern ein frohmüthiger, ein jugendlicher. Das alte, das fchon so oft und oft geerntete Land ist noch ein Kind. Es war Mittag. Die Sonne brannte durch einen Flor atmosphärischer Dünfte. Wir verweilten einige Stunden, weil die Waaren von unserer Barke auf eine andere umge- packt werden mußten. Gepäcke um Gepäcke aus den Hän- den legend, schrie der das Schiff beladende Araber Zahl um Zahl laut: für mich eine gute Gelegenheit, die arabi- fchen Zahlen zu lernen. Bei diesem und andern Auftritten verging mir die Zeit leicht, doch angenehmer, als gegen Abend ein herrlicher Wind daher säuselte, die etwas drü- - - - - 109 kende Hitze zu mildern. In Altfe hält fich ein französischer Konsularagent auf, welcher uns besuchte. Gegen die Neige des Tages stachen wir in den Nil. Die zwei lateinischen Segel schwollen lustig an, wie die Backen der Kinder, welche dem Aeolus ins Handwerk grei- fen wollen. Bald lagen wir vor der Stadt Fuah, in der ein Thurm am andern emporragt. Jetzt trat Windstille ein. Der Abend war lieblich warm. Die Leute vertrieben ihn mit Spiel und Tanz, und ich glaube zuversichtlich, daß fiel wenig Gmpfänglichkeit für die Lehren unserer Myfti- ker gehabt hätten, nach denen das lachende Nilthal ein Jammerthal wäre oder hoffentlich werden sollte. Sonntags, den 18. Gegenwind. Das Schiff an einem Seile gezogen. Ich kaufte drei Hühner für etwa 30 Kreuzer R. V. Man darf aber Eines nicht außer Auge fetzen: die egypti- fchen Hühner erlangen keineswegs die Größe der unferigen. Eine Henne fieht aus wie bei uns ein junges Huhn. Es fiel mir zum ersten Male nicht wenig auf, wie eine Gluck- henne (von der Größe eines europäischen, halbausgewach- jenen Huhns) fich bemühte, ihre so außerordentlich winzi- gen Küchelchen mit den Flügeln zu beschirmen. Hätte ein Säugling an die Brust eines zehnjährigen Mädchens sich 110 geschmiegt, es wäre mir kaum spaßhafter vorgekommen. Auch die Eier der egyptischen Hühner find bedeutend kleiner. Ich nahm sofort meine angekauften Hühner zur Hand, wendete mich gegen das Nilufer und ging an diesem hin- auf, um an einer vortheilhaften Stelle zu warten, wo ich wieder in den Kahn steigen könnte. Auf einmal verfolgte mich ein Weib wehklagend, juh, juh fchreiend. Ich wußte nicht recht was es wollte; nur glaubte ich aus feiner Stimme und aus feinen Geber den entnehmen zu müffen, daß es wähne, ich hätte die Hühner ihm gestoh- len. Schon umzingelten mich Leute, selbst von der Poli- zei; ich sollte mein Gigenthum abtreten. Was anfangen? Ich fuchte durch Deuten verständlich zu machen, daß ich mich zur Barke begeben wolle, wo man Aufschluß erthei- len werde. Das Glück brachte gerade den Piemonteser. Meine Vermuthung wich der Gewißheit. Grfagte mir, das Weib habe feine Hühner bezeichnet, und ich folle fie ihm zeigen. Ich that es, und die Bestohlene – über- zeugte sich sogleich von ihrem Irrthume. Das Weib war wenigstens moralisch fo gut, daß es diesen eingestand. Es gehört zur Macht des Irrthums, wie kleine Zwiste, fo felbst blutige Kriege zu entzünden, und ich durfte mich 111 in der That glücklich preisen, daß aus diesem Handel nicht gar ein Krieg entsprang. - Wir rückten heute vor bis Mohalèt-Abu-Ali, einem Orte am Ufer des Delta. Nach einem nebelichten Tage war der Abend fehr schön und wie ergötzlich, das will ich in Kürze erzählen. In diesem Dorfe wohnt eine Art Großer, welchem die Barken des westlichen Nilarms zugehören sollen. Er kannte den Vater des Piemontesen. Wir schickten ihm Rhum, oder er ließ vielmehr holen. Bald beehrte er uns felbst mit feiner Gegenwart, und trank den Rhum vor Aller Augen. Er erfreute die Gesellschaft zugleich mit einer blinden Sängerin. So wurde der Abend mit rau- fchendem Vergnügen, unter Sang, Tanz und Spiel ver- bracht. Wenn die Egypzier mit der Schalmei (Surna) und dem Tambur (Deff) spielen, fo klatschen fiel mit den Hän- den den Takt, manchmal unter dem Rufe Hamma. Mich belustigte das fröhliche Geber denspiel. Man versicherte mich, daß die Sängerin ihre Rolle vortrefflich spielte. Es feffelte mich vor Allem das lange Pausieren, die vielen Molltöne und der Liebeston, eine Art Ach (a-a), der letzte, erster- bende Seufzer der Liebe. Dem Dragoman, einem mit den Sitten und der Sprache des Landes vertrauten Manne, schmeckte die Soirée überaus köstlich. Ich genoß dabei im 112 - Ganzen wenig. Weil ich die Nachtluft im Freien fürchtete, stellte ich mich bloß dann und wann, kein Vaterunser lang, unter die Thüröffnung der Kajüte. Ein Kind würde kaum fcheuer, unter den Polizeiaugen des sparsamen Vaters, in den Honigtopf gelangt sein. Wenn die Araber mich aus- lachten, fo hatten fiel – Recht. - - Ich laffe nun ein Verzeichniß der an den Nilufern ge- legenen Ortschaften in der Reiheordnung folgen, wie wir an ihnen vorübergefahren find*). *) Um der Wahrheit nichts zu vergeben, finde ich mich zu der für mich unangenehmen Bemerkung verpflichtet, daß die an einem Tage zurückgelegten Ortschaften nur für dasjenige Ufer eigentlich verläßlich find, wo wir ankehrten, weil ich damals der Sache nicht genug Aufmerksamkeit schenkte, um zugleich den Namen des Ortes am anderseitigen Ufer zu erfragen, welcher dem Uebernachtungsplatze am nächsten lag. Meine Ortsnamen weichen hin und wieder von denen des von Prokesch ab, in- dem ich der verbeffernden Hülfe des französischen Dragoman ver- traute. Wenn z. B. eine Dorfchaft nicht wieder in diesem Verzeichnisse aufgeführt wird, so muß der Grund darin gesucht werden, daß sie feit von Prokefchs Nilfahrt verschwunden ist. Müffen im Abendlande außerordentliche Umstände zusammen- fließen, bis ein Dorf der Erde gleich wird, so ist es in Egyp- ten anders, wo das furchtbare Szepter des Wütherichs am Haare der Laune hängt, und die leichtfertige Hand der Landes- knechte sich Schwalbennester baut. Wer auf eine richtigere Aus- 113 Rechtes Ufer. - Linkes Ufer. Allah-uhu. Sanahbahdieh. Schurafa. - Iluieh, Salamunih. Kaffer-Schech-Hasan. Mahalt-Malek. Somchroat. Diffuh. Rachmanieh. Kaffer-Ibrahim. Margaff. Dimik unum. Miniet-Selamme. Mahalèt-Abu-Ali. Den 19. Gs wird ein Schaf von einem Manne auf dem Rücken in die Barke getragen: ein Geschenk von Seite des Barken- inhabers, der uns gestern Abend einen Besuch abstattete. Das schien mir echt morgenländischer Ton. Das Geschenk galt dem Piemonteser. Kurz darnach kam der Barkenin- haber mit feinem jungen Sohne. Sie ließen fich voller Würde am Borde nieder und wurden mit Kaffee bewirthet. Mich wunderte, wie gar der Junge sich so ernst, männ- lich und geschickt benahm. Mißtrauen wir doch nie dem sprache der Ortsnamen einiges Gewicht legen möchte, findet die Zeichen im folgenden, von mir herausgegebenen Werke erklärt: Appenzellifcher Sprachfchatz. Zürich, 1837, bei Orell, zügli und Comp. S. XXVI. und XXVII. 114 vielvermögenden Ginfluffe des Beispiels in der Erziehung. Vater und Sohn begleiteten uns eine Strecke weit, und ließen fich fodann ans Land tragen. Bald ward das Schaf geschlachtet und zerhauen. Ein Jeglicher hoffte auf einen guten Biffen. Wir feierten mun- ter die Ostern. Die Barkenknechte find Leute von erprobter Geschick lichkeit. Wenn, aus Mangel an Wind, die Barke am Seile geschleppt werden folte, fo nahmen fiel die Kleider, wickelten diese zusammen, legten sie über den Kopf, spran- gen ins Waffer, schwammen davon, bis sie waten konn- ten, und , ans Ufer gekommen, zogen fie, bisweilen ohne einen Faden am Leibe, das Schiff. So geschieht es bei Tage, wie bei Nacht, und nicht einmal selten. Auch dem auffizenden Fahrzeuge zu Hülfe springen die Amphibien ins Waffer, und heben mit Rücken und Händen die Barke vom Strande. Zu diesem Ende find sie genöthigt, unter- zutauchen, und bemerkenswerthe Zeit bleiben sie manchmal unter Waffer, um die Last zu bewegen. Wir kamen an einem Landhaufe des Pascha vorbei. Unsere Gesellschaft auf der Barke war zahlreich. Stelle man sich vor die gebieterischen Franken und die beugsame Mannschaft des Schiffes, ein Weib mit Kindern und einen alten, magern Kuppler, ein altes Weib neben einem 115 jungen, welches Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, und feinen häßlichen, großen Mund mit Aengstlichkeit verbarg, und man hat das bunte Bild von unserer reisenden Fa- milie. Beinahe aber hätte ich die liebenswürdige Puppe vergeffen, welche, eher einer Vogelscheuche ähnlich, einem kleinen Mädchen viel Freude bereitete. Gine Mutter be- handelte ihren Säugling mit einer Grausamkeit, welche dem zarten Geschlechte wenig zur Ehre gereicht. Wenn er weinte, fo schlug sie ihm mit der Hand fort und fort auf den Mund. Das ist die liebenswürdige Kunst der Egypzierin das Weinen zu zerschlagen. Bei den arabischen Müttern überhaupt nahm ich wenig Zärtlichkeit für ihre kleinen Kinder wahr. Die Brust reichen sie zwar jeden Augen- blick, aber, wie es beinahe scheint, mehr aus Gewohnheit und darum, weil sie selbst daran Freude finden, als weil fie solche den Kindern gönnen. Die Beschreibung meines Zahnwehes dürfte Nieman- dem angenehm sein. Man wird lieber vernehmen, daß den Araber in der Regel schön weiße Zähne zieren, und daß er felten an Zahnschmerzen leidet. Das zweite Zahnen erfolgt bei den gyptischen Kindern in einem Alter von 61/4 Jahren. Sogar ältere Leute erfreuen sich noch weißer Zähne. Es wird allgemein von den Franken behauptet, daß die arabischen Weiber früh altern. Dies dürfte nicht 116 - fo durchgängig wahr fein. Gben weil bei ihnen, die blen- dend weißen Zähne lange erhalten werden, fo erscheinen fie nicht besonders alt. Die Franken hätten auch bedenken können, daß die geringe Korpulenz, welche fo gerne die Jahre multipliziert, unter den Arabern jedes Alter begleite. Bis Tun up. Rechtes Ufer. Linkes Ufer. Dimènki. Kaffer-Osmann. Kaffer-Meger. Sibrécht. Saffich. Maffra. Möhaledi. Hali-Dächmèt. Minidschihnä. Sibiris, Kaffer-Döwäe. Kaffer-Senägli. Génaht. Kaffer-Chadr. Salhadschar. Nikl. El-Kötabé. Dahrygieh. Färahftak. Ami. Mohallêt-el-Läbben. Kaffer-Ibn-Schäet. Abitsch. Kaffer-Laihs. Kufur-Bilfe. - Schabür. Kaffer-Höfär. - - Sèlamün. - - - - Kaffer-Schech-Ali. Kaffer-Harimm. Manütur. - Chäi-Däch mit Halte Dichnet) Kaffer-Sajid. - - 117 Rechtes Ufer. Tschalgamün. Kufur-Hafchafch. Kaffer-Juküb (Jabobsdorf). Kaffer-Bägi. Kaffer-Tscheddid. Kaffer-Mischleh. Mischleh. Sahyahra. Tunup. Den 20. Am Ufer fanden mehrere Bettler, die auch in andern Gegenden von Egypten nicht selten find. Doch laufen oder rennen fie nicht so unverschämt nach, als in einigen Schwei- zer-Gauen. Wie in Europa, fo spazieren hier die Fliegen auf Zucker. Man jammere nun aber nicht über den Flie- genschwarm, so lange man den Zucker nicht weghebt. Die Reisebeschreiber erwähnen der Weiber die zahlreich in Krügen aus dem Nile Waffer holen. Ich fah fie fehr selten, und ihre Scheu vor den Männern konnte ich nicht bestätigen. Nichts weniger, als daß sie aus Zartgefühl mit ihren Händen das Gesicht verhüllten. Es muß feit einiger Zeit Manches anders geworden sein. Mich wun- dert, daß die Reisebeschreiber die ungemein geringe Menge 118 - Waffers nicht hervorhoben. Bei uns würde man ein Mäd- chen auspotten, wenn es nur einen Krug voll Waffer holte. Man weiß, daß unsere Weibsleute große Gelten voll Waffer auf dem Kopfe oder an den Händen tragen. An vielen Fellahs (Bauern) würde man vergebens mehr fuchen, womit fiel ihren Leib bedecken, als eine Lenden- schürze. " Ich fand jedoch wenig Unanständiges in dieser Kleidungsart, vielmehr etwas Vernünftiges in Beziehung auf die heiße Sonne. Gar viele Kinder, selbst größere, wandeln völlig entblößt herum. Der Anblick einer Truppe nackter Kinder unter freiem Himmel hat immerhin etwas Eigenes. Ihre auffallend großen Bäuche könnten sie wahr- fcheinlich mit andern Kindern theilen, wenn diese nackt aus- gingen, und fomit ihre Bäuche den Blicken zugänglicher würden. Mir thut es leid, den Nilufern nachsagen zu müffen, daß fie, in die Dauer besehen, langweilen. Beinahe im- mer das nämliche Ginerlei. Keine Hügel, keine Berge, keine Seen, dafür flaches Uferland, welches unmerklich in den Horizont verfließt. Selten stützt sich der Himmel auf eine Landlehne. Am Nilufer erblickt man zwar viele Dör- fer, aber auch die fehen in der Regel einander beinahe gleich, wie ein Gi dem andern. Aus der Ferne verheißen fie eine feltene Pracht, schon bewundert man antike Pa- 119 läste, über welche der fchlanke Minaret emporsteigt; die runde Moschee füllt das Maß der Täuschung. Alles scheint in Palmen und Sykomoren gebettet. Ja recht viel Reiz in der Ferne, aber in der Nähe Kothhaufen als Mauern, enge, von armseligen Leuten betretene Gäßchen, krumme Minarets, kärgliche, von fchönen Waschhäusern überbotene Moscheen. Nichts schmerzt so sehr, als fortwährend ge- täuscht zu werden. Einfacheres kaum, als ein Häuschen an den Nilufern. Ein viereckiges Zimmer ohne Fenster, mit einer Thüröffnung über dem Erdboden; das Dach platt; der Baustoff aus einer Art von Backsteinen, welche von Schlamm und Mist geformt und an der Sonne ge- dörrt werden. So die große Mehrzahl der Häuser. In Ghisahi bieten fiel eine andere Gestalt. Sie erheben sich kegelförmig. Diese Zuckerhüte dienen den Tauben zur Wohnung. - Gegen Abend langten wir in Nadir, einem Markt- flecken, an. Hier sprach ich deutsch mit einem Hannover- aner, welcher auf einer andern Barke hergefahren war. In Kaffeewinkeln fchienen zwei Frauenzimmer fich wenig zu freuen, daß der Vizekönig das berüchtigte Patent zu- rückgezogen hat. Der Aufenthalt der französischen Armee in Egypten, während dessen freier Verkehr unter den Leu- ten beiderlei Geschlechts gestattet war, so wie die vom - 120 Pascha ausgefertigten Patente lehren, zu welcher unsäg- lichen Ausgelaffenheit der heiße Himmelstrich führte. Der Vizekönig hat wohl weniger aus religiösen Gewissensbissen diese Patente zernichtet, als vielmehr aus dem Grunde ge- fellschaftlicher Ordnung. - Auf unserer Barke wurde mancher Spaß getrieben, mit- unter auch folcher, welchen zu beschreiben die Feder fich weigert. Der Reis (Kapitän) schlug z. B. einen Barken- knecht. Er genießt übrigens das Recht, feine Leute zu fchlagen, wenn sie fich gegen ihn vergehen. Ein Knabe von etwa zwölf Jahren wurde von Jedem, wer wollte, durchgeprügelt. Er bekommt als Barkenjunge monatlich fünf Piafter zum Lohne. Es gibt europäische Burschen, welche fich für 38 Kreuzer nicht so viel prügeln ließen, ge- schweige daß sie noch als Zugabe einen Monat lang arbei- ten würden. Die meisten Nächte brachte ich ziemlich gut zu. Das Schiff fuhr selten, und wenn es auch unter Segel ging, fo gleitete es so sanft dahin, daß ich keine Bewegung ver- spürte. Alles, was ich während der Nächte erlauchte, war das Bellen der Schäferhunde, das Krähen der Hähne, das Quacken der Frösche und das eigene Pfeifen der Nacht- vögel. Hingestreckt auf mein Bett in einem engen und dun- keln Winkel wurde ich, bei meinen Gedankenausflügen in 121 die weite Ferne, durch die Laute jener Thiere an die Magier- lichkeit meiner Lage erinnert. Wir kamen heute bis Abu - Nefchabe. Recht es Ufer. Linkes Ufer. Gömäfi. Nigil. Amrüß. Sauüt-el-Bacher. Béftäma. Sawaff. Sanüt-èl-Bagli. Machnm. Danafür. - Köm-Scherif. Kaffer-Hédgläft. Darleh. Gifiret-èl-Hagar. Abu-Chaui. Nadir. - - El-Gamm. Schabfchir. Dimichle. Dannaléhé. Buratfchatt. Ghiahi. Kaffer-Dahid (Davidsdorf), Sönföft. Träneh. - Kömmagnuß. Lëchmas. - Abu-Näfchäbe. Den 21. - Man würde irren, wenn man den egyptischen Himmel fich wolkenlos vorstellte. Beinahe alle Tage trübten Wol- ken den unferigen; einmal warfen sie uns so schwarze Schatten, daß der Europäer gewettet hätte, es müßte aus Tobler , Morgenland. 6 122 ihnen Regen platzen. Allein vor Nacht verstrich in der Regel das Gewölke. Ich höre ein fchwerfälliges Gewirre vom Ufer her. Was soll denn das? – Blindgebundene Thiere treiben in ihrem kreisenden Gange ein Wafferrad (Sakyeh). Das Waffer wird entweder mit einem fächerigen Rade oder mit an einem Rade befestigten Krügen aus dem Nile geschöpft und in einen Graben ausgeleert, welcher das Waffer dem Felde zuführt. Man begreift leicht, daß die Fächer oder Krüge unten am Rade aufwärts stehen, um so das Was fer zu fchöpfen. Wenn das Rad fich halb um eine Achse gedreht hat, so stellen sich dieselben umgekehrt und gießen das Waffer aus. Das einige Schritte vom Nilufer ablie- gende Wafferwerk, zu welchem ein Kanal gegraben ist, besteht aber nicht bloß aus dem beschriebenen Schöpfrade, sondern noch aus zwei andern Rädern. Gin wagerechtes greift in ein kleines, perpendikuläres, welches mit dem Schöpfrade eine Achse hat. Das Thier, der Büffel z. B., zieht bloß an einem Stricke, womit das wage rechte Rad in Bewegung gesetzt wird. Diese Wafferräder find meistens so einfach und mit so wenig Gifen zusammen- gehalten, daß sie nicht viel ausdauern. Gs wird daher manche Zeit nur mit dem Nachbessern verloren. Mag meine Beschreibung des Paternosterwerkes auch ein wenig 123 schwierig zu faffen sein, es ist doch die Wafferschöpfung fo einleuchtend und so leicht zu bewerkstelligen. Als Auf- seher oder Treiber faulenzt in der Nähe ein Knabe oder Mann, nie ein Weib; bei ihm steht eine kleine Kochein- richtung. Den Treiber fcheint kaum fo viel Luft zur Ar- beit anzuspornen, daß er beim Stille stehen des Thieres chöh chöh ruft, um es aufzumuntern. Nach den Gesetzen der strafenden Gerechtigkeit fällt dem Faulenzer das Leichte fo fchwer, als dem Arbeitsamen das Schwerfe. Das Waffer wird überdieß, ohne eine solche Vorrich- tung von Menschen aus dem Nile geschöpft. An dem Arme eines Hebebaumes ist ein Gewicht, gegen das Land, – an dem andern der an einem Stricke befestigte Wafferkorb, gegen den Nil. Gin Mann schöpft, und das Gewicht des Hebebaumes hilft ihm den mit Waffer gefüllten Korb heben. Weil das Schöpfen und Ausleeren mit großer Schnelligkeit nach einander geschieht, fo verliert dieses enge geflochtene Gefäß wenig Waffer. Gewöhnlich schöpfen, statt eines, zwei Männer neben einander, die Gesichter sich zuwendend, fast nackt, vom Waffer benetzt, von der Sonne gebrannt und fo fleißig, daß sie kaum fich umsehen, wenn ein Schiff vorüber segelt. Sie bilden den schroffen Gegensatz zu den 2hierhütern an den Wasserrädern und zu andern arbeits- scheuen Arabern- Es geschieht wohl auch, daß, ohne wei- 124 tere Vorrichtung, ein Mann mit einem Korbe aus dem Nile Waffer fchöpft und in einen Kanal ausschüttet. Wenn die Ggypzier freilich so viel Stammholz besäßen, wie die Europäer und Amerikaner, so würden sie unzweifelhaft ihre Körbe an wafferdichte Kübel vertauschen. Eine Menge Was fergräben durchkreuzen netzweise die Feldereien, damit diese überall bewäffert werden. Daher die kleinen Feldbeete, ähnlich unsern Gartenbeeten. Gewöhnlich zieht man bei uns Gräben, um das Waffer abzuleiten, bei den Egyp- ziern aber, um dasselbe zuzuleiten. Gs wäre voraus zu fehen, daß die egpptischen Gräben nicht tief fein dürfen, während ihnen in Guropa, wo man dem Waffer Abfluß verschaffen will, die entgegengesetzte Gigenschaft zur Tugend angerechnet wird. Wenn man in Egypten das Waffer nicht mehr in ein Beet fließen lassen will, fo wird, ver- mittelt der Hände, der Graben mit Koth und Schlamm zugedämmt. Um einen Begriff zu geben, wie stark die Pflanzen unter Waffer gesetzt werden, so stand der Mais, welcher hier blühte, dort klein war, hie und da einige Zoll hoch in zugeleitetem Waffer. Die Bewäfferung ist die Hauptarbeit, welche der Boden erfordert. Sicher bereitet sich der egyptische Bauer mit Waffer, fofern, im seltenen Falle, der Nil es ihm weder zu reichlich, noch zu sparsam zutheilt, den Feldsegen. Der 125 europäische Bauer schwankt wie der Segelmann. Will die- er glücklich fahren, so muß günstiger Wind wehen; will jener ernten, so muß lauer Regen das Feld netzen. Der Wind aber, wie der Regen, kommen von der unsichtbar waltenden Hand, welche kein Sterblicher zu leiten vermag. Und wenn auch dem europäischen Bauer ein lauer Regen Segen zuwinkt, ach, es muß ihn noch bangen, daß das Waffer des Himmels nicht durch Ueberschwenglichkeit, oder daß kein harter Frost, kein schwerer Hagel die Hoffnung auf Ernte vereiteln. Wenigstens kann kein Hagel die Hoff nung des egptischen Fellah zernichten. - Neben dem Bewäfferungsgeschäfte find Säen, Hacken oder Pflügen und Ernten die Arbeiten des Ackerbauers. Man machte mir die Mittheilung, das, wenn das Ueber- fchwemmungswaffer ganz niedrig stehe, bloß der Same auf das Waffer ausgestreut werde. Mit dem Versiegen des Waffers, hieß es, ziehe sich der Same in die Erde, und man dürfe nur die Ernte abwarten. Das erzähle ich einem Franken nach; ich will nun aber deffen gedenken, wovon ich selbst Zeuge war. Ich fah fäen und hacken oder pflügen. Sobald das Waffer verschwunden war, wurde der Same mit einer krückenförmigen Hacke oberflächlich uns er die Erde gebracht oder viel eher gescharrt. Ich glaube nicht, daß die Hacke fechs Pariser-Zoll tiefgriff. Der 126 Pflug, welchen ich genauer ins Auge faßte, hatte nur ein Sech, keine Schar. Er ging nicht tief, und ließ eine un- deutliche Furche zurück. Es konnte mit diesem Pfluge lediglich bezweckt werden, die Erde etwas durch einander zu wühlen. Zwei Thiere zogen ihn, jedes an einem Stricke, welcher am Halse festgemacht war. Von den Ackergewächsen erwähne ich einzig des Hanfes und der Baumwollpflanze. Der Hanf wird fehr hoch, ja manneshoch und riecht gewürzhaft. Wegen feines an- genehmen Geruchs ist es eine Lust, in der Nähe eines Hanffeldes zu wandeln. Eben bereitete er sich zum Blühen vor. Ohne an mein Vaterland mich zu erinnern, wo die Baumwolle mit vielem Fleiße verarbeitet wird, konnte ich den merkwürdigen Pflanzenstengel nicht betrachten. Dieses Gewächs bedeckt ungeheure Strecken des Delta. Es wuchs gleichsam vor den Augen beinahe durch alle feine Entwicke- lungsperioden heran : „Hier Knospen, dort Blüthen, hüben Kapseln, drüben Wolle, gerade fo, als würden alle Auf- züge und Auftritte eines Schauspieles auf einmal sich auf- rollen. - - Wenn der Herr des Himmels und der Erde ein beson- deres Füllhorn des Segens über das Egyptenland ausge- goffen zu haben scheint, so wird befremdlich, daß das We- nigte dem Bauer angehört, was er dem Boden abgewinnt. - 127 Den Stoff zur Kleidung, welche er sich verfertigt, ver- kauft er an den Pascha, und dieser gibt ihn um die Hälfte theurer zurück. Der Fellah darf keinen Faden am Leibe tragen, wenn er ihn nicht dem Pascha, dem ersten Kauf- manne in Ggypten, abgekauft hat. Die ganze Last von Baumwolle drängt sich in die Hand des Vizekönigs zusam- men, welcher damit allein Handel treibt. Kurz, die Bauern find nur Lehenbauern. Der Pascha ist der Grund- herr, der Grundbesitzer des Landes, und dieses Verwal- tungssystem bewirkt, daß der Fellah, unter dem Drucke des Monopols, felbst zur frohen Erntezeit feufzet. Es ist feltsam, daß noch kein fränkischer Ulema die Härte des Pafcha darum vertheidiget , weil fiel dem rechtgläubigen Bauer den Anlaß gebe, fich um so inniger nach den Freu- den des ewigen Lebens in dem immergrünen Garten zu fehnen. Wir begegneten einer Schiffsladung getrockneter Mist- fläden. Wo das Holz, wie hier, fotheuer ist, läßt man sich selbst den Gebrauch folcher Dinge gefallen; fiel dienen als Brennstoff, und kann der Abendländer glauben, daß sogar mit dem Gckelhaftesten vom Menschen geheizt wird? und wenn es der St. Louisianer in Amerika glaubte, würde er sich nicht davor entsetzen, da er nicht einmal die Milch 128 von einer Kuh genießt, welche Gras von einer mit Haus- jauche besprengten Wiefe fraß"? Ueber Warnäm begann rechts die Düne; links Weide- land und Hirtenzelten. Ich erging mich an einer Herde schwarzer Büffel. Dieses Thier ist für Egypten gar nütz- lich. Der Büffel hält fich fehr gern im Waffer auf, auch liegend und wiederkauend. Es ist kurzweilig, zu fehen, wie er über das Waffer fchwimmt, um an den Ort zu ge- langen, wo er zu übernachten pflegt. Der behende Hirte fchwingt sich wohl auch auf den Rücken des Thieres, das ihn schwimmend ans Land trägt. Erft von Schmün aus erblickte ich die Pyramiden von Gizeh. Sie halten mit der aufragenden Düne gleiche Höhe, und ich hielt sie zuerst für Schiffsegel, vielleicht weil ich kurzsichtig (myops) bin. – Bis Abu-èl Gheie d. Rechtes Ufer. Linkes Ufer. Samüt-Rofiéh. El-Chatabe. Sagieh. Bini-Sèlämé. Tagwueh. Awlatt-Fêradfch. El-Hamum. Dé-Riß. Karförterein. Wardän. Munfi. Abu-Ghalibb. El-Manschie. El-Katta. Dschures. - Giahijeh. Rechtes Ufer. Abu-Awuali. Sidi-Ibrahim. Schmün. Tälié. Gawadi. El-Baranieh. El-Gonamikh. Mimêt-èl-Arüß. Kaffer-Manfür. Schafhä. Schatanöff. Darawü. - - Schalakan. Charabanich. Abu-èl-Gheied. Linkes Ufer. Rifle, Donnerstags den 22. Weinmonat. Die Nachricht, daß wir in der Nacht an der Spitze des Delta vorüberfuhren, betrübte mich zum Theile, weil ich von ihr nichts fah. Des Morgens lagerte ein wenig Nebel, der aber bald fich verzog. Durch die Vereinigung der Nilarme erscheint der Nil kaum breiter, wohl aber ge- ben ihm zahlreichere Schiffe mehr Leben. Der Berg Mo- katam, links oben die westliche Kuppe des arabischen Ge- 130 birges, der Bafanites Lapis der Alten, an dessen Fuße Kairo fich ausbreitet, brachte angenehmen Wechsel in die Aussicht. Seit einiger Zeit mußte ich den Anblick eines höhern Hügels entbehren, und darum ruhte auf jener Kuppe mein Auge mit besonderm Wohlgefallen. Man fühlt eine gewiffe Leere in der Seele, wenn liebgewonnene größere Eindrücke auf längere Zeit keine Nahrung finden, und ein neues, erquickliches Aufleben durchzuckt das Innere, wenn liebe alte Gindrücke durch verwandte neue in einem Male aufgeweckt werden. Mittlerweile wuchsen die Pyramiden immer stattlicher heran. Meine Reife fiel in die Ueberschwemmungszeit. Die Waffer, wiewohl im Fallen, strömten doch noch in ziem- licher Höhe, ein Umstand, der für uns gerade günstig war, da bei niedrigem Wafferstande das Fahrzeug leicht strandet; denn es kostet oftmals viel Anstrengungen, bis es flott wird. Eine neue Erscheinung für Egypten find die Telegra- phenthürme. Dann und wann unterbrechen sie während der Nilfahrt die Gleichförmigkeit der Aussicht. Für ein „Zei- chen der höhern Kultur möchte ich fiel eben nicht ausgeben, und wahrscheinlich thun fiel ihr nicht den leisesten Vorschub. Dem Guropäer mögen fiel Vergnügen gewähren, indem sie ihn an das Land feiner Väter zurückmahnen, und indem er sich aufs neue der Wahrheit bewußt wird, daß nun Eu- 131 ropa mit feinem Tochterlande Amerika den eigentlichen Brennpunkt der Wissenschaften und Künste, der Entdeckun- gen und Erfindungen bildet. Vielleicht kommen die Tele- graphen, die schnellen Ueberbringer oberherrlicher Befehle, in Egypten der seidenen Schnur trefflich zu Statten. Links fahen wir noch nach Subbra, welches fich eines vizeköniglichen Gartens von seltener Schönheit rühmt, und an einer Stadt ergötzte fich das Auge fchon von Ferne her. Es war Bulák, in dessen Hafen wir bald einliefen. Recht es Ufer. Linkes Ufer. Galiubb. Burgaschi. Bafüß. - Errahauwi. - - Mid-Halfé. - Om-dinär. Damanhur. Dikelkö. Schubbra. El-Achsäß. Minièt-el-Sirik. Dschaladmé. Gefiret-èl-Baträn. Haffan-inn. Buläk. E-Görötin-Hin. Ruffim. Sigil. Tanäsch. Géfiret-Mohammet. Waran. - Embäbe. 132 Wir langten in Buläk eben in der größten Sonnenhitze an, und wir konnten zwischen der großen Menge von Käh- nen uns nur mit Mühe Platz verschaffen, auf daß wir das Ufer erreichten. In Altfue zerschmetterten wir beim Anlan- den den Hintertheil einer Barke, ohne daß es viel Krieg abfetzte. Unsere Barke war nicht schön, doch gut. Der euro- päische Holzarbeiter würde an ihr Manches ausgesetzt haben. Dafür leistete sie reichlichen Grfatz mit Mäufen und andern Plaggeistern. Ich wußte mehr als einmal beinahe nicht: Wo wehren? In der Kajüte stand, nach der Uebersetzung des französischen Dragoman, an der Wand auf arabisch, daß man fich den Verordnungen zu unterziehen habe. Etwa den Verordnungen dieser Unholden? Ueber unserer Barke schwebte die dreifarbige Flagge der Franzosen. Nachdem meine Gffekten untersucht waren, wurden fie auf einen Esel gepackt, und einen andern bestieg ich. An hohen Häusern, zwischen denen angenehme Kühlung herrschte, ritt ich vorüber, und bald war ich außerhalb der Stadt. Jetzt, im Freien, erblickte ich das große Kairo, ehedem das Kahira, jetzt das Mater des Arabers. Ergreifendes Schauspiel. Keine halbe Stunde mehr, und ich befand mich in den Ringmauern der Hauptstadt. Da verließen mich die beiden Franken, und, mit einem Gfeltreiber allein, 133 zog ich für bas. - Kairo machte gleich Anfangs einen unge- mein günstigen Eindruck auf mich. In dem Wirrwarre von Häusern und Gaffen folgte ich getrost der Führung des Gfeltreibers. Er hätte mich in eine Casa di Diavolo ver- führen können. Ich wollte freilich nicht dahin, sondern ins Quartier der Franken (el-Musky), die übrigens in Kairo vielmehr zwischen den Mohammetanern zerstreut leben, als in Alexandrien. Lange ritt ich durch Gaffen und Gaffen, jetzt krumm herum, dann gerade dahin, ohne daß ich einem Abendländer begegnete. Ich war auf dem Punkte, Zwei- fel zu faffen, daß mein Geleitsmann das Quartier der Franken wife. Auf einmal bog er um, und ich erblickte Hüte. Ich war richtig im Quartiere; umsonst aber fuchte ich die Lokanda, die man mir empfahl. Und kurzen Pro- zeß, – ich ritt zum ersten besten Wirthshause. Der Wirth des Hôtel de l'Europe wies mir ein ge- fälliges und hohes Zimmer an; aber kaum fah ich mich recht um, so fand ich ein Licht ohne Glasfenster. Das fiel mir schwer; denn bei offenem Fenster wollte ich nicht fehla- fen. Dem uebel war auch bald geholfen; der Gastgeber eröffnete mir ein anderes Zimmer, welches mit Thüre und Fenster gesperrt werden konnte. Die heimatlichen Gefühle erneuerten sich, als wäre ich in einem Gasthaufe des Abende landes; eine Mousquetiere (Vorhang um das Bette, gegen 134 die Stechfliegen) und eine gute, reine Bettung ließen mit Recht eine füße Schlafnacht erwarten. Man lernt den ru- higen Genuß des Schlafes erst recht schätzen, wenn man desselben, fei es durch die Plage des Ungeziefers, oder durch andere störende Einflüffe, eine Zeitlang beraubt war. K. a i r o. Lage der Stadt, Strich des Himmels und Gesundheitszustand der Menschen. Kairo oder Großkairo liegt fünfzig deutsche Meilen süd- lich von Alexandrien, unweit vom rechten Ufer des Nil- froms und auf einer Ebene bis an den Hügel Mokatam. In hohem Grade beneidenswerth find die Guropäer in Alexandrien und Kairo. Die Alexandriner rühmen das Klima von Alexandrien und tadeln dasjenige von Kairo. Die Kairaner dagegen erheben den Himmel von Kairo auf Kosten desjenigen von Alexandrien. Es ist mit besonderer Güte dafür gesorgt, daß die Einen mit dem zufrieden sind, womit die Andern unzufrieden wären. Kairo streift an den 30. Grad nördlicher Breite. Wenn die Sonne am höchsten steht, brennt fie fehr heftig. In- deffen wird die Hitze eines Windes aus der Wüste, von 135 den Pyramiden her, weit weniger leicht ertragen, als die größte Hitze des Sommers. Diesen Wind nennt der Ara- ber Cham fin, das heißt, Fünfzig; denn er weht fünf- zig Tage und fünfzig Nächte, aber einige Tage und Nächte mit ausnehmender Stärke und Verderben. Er hebt Mitte Aprils an, und treibt viel Staub vor fich hin, fo daß vor demselben, auch mit möglichster Sorgfalt, die zuberei- tete Nahrung auf dem Tische des wohl verschloffenen Zim- mers nicht leicht geschützt wird. Im Winter fällt der Re- gen, doch in der Regel sehr wenig. Gewölfe fah ich auch hier zur Genüge, und ich zählte keinen einzigen wolkenlosen Tag. Man will ebenfalls in dieser Gegend von Ggypten eine Veränderung des Klimas zu Gunsten des Waffernie- der fchlages wahrgenommen haben. - Um mich des Gesundheitszustandes einigermaßen zu vergewiffern, fuchte ich in dem Tauf- und Sterbe- register der lateinischen Gemeinde bei den Kapuzinern (Klo- fer de propaganda fide) nach. Ich rühme die Freunde lichkeit und Bereitwilligkeit, womit der würdige Guardian meine Nachforschungen unterstützte. So wenig meine E- wartung durch die Anlage des Todtenbuches gerechtfertiget wurde, fo wäre noch weit minder bei den Mohammetanern auszubeuten gewesen, die auf dem Kiffen des Fatalismus gar zu fanft schlafen. Ich möchte das von der lateinischen 136 Gemeinde (die namentlich auch Levantiner zählt) gewonnene Resultat allerdings nicht als Maßstab für die gesammte Be- völkerung von Kairo vorhalten. So viel leidet indessen kaum einen Widerspruch, daß es, weil es eben von Ein- wohnern dieser Stadt abgezogen wurde, eher im Allgemei- nen die Bevölkerung Kairo's ankündigt, als irgend eine andere. Im jährlichen Durchschnitte starben, mit Ausnahme des Jahres 1831, in den 10 Jahren 1824 bis und mit 1834, 36 Personen, und 47 wurden getauft. Wenn der Getaufte zur Bevölkerung fich verhielte gleich 22 zu 1, wie in dem französischen Finistère-Departement, wo gerade 1 auf 22 geboren wird, so wäre die lateinische Gemeinde 1034 Seelen stark. Jeder Sachkundige sieht ein, daß die- fer Schluß um so mehr Mißtrauen erregt, je gewisser die Gemeinde eine fehr zusammengesetzte und wandelbare Be- völkerung enthält. Das Alter der Verstorbenen fand ich bloß in den Jahren 1833 und 1834 genügend verzeichnet. In diesen Jahrgängen fehlt es einzig bei zwei erwachsenen Personen, denen ich willkürlich 20 Jahre gab. Die ins- gesammt (durch diese zwei Jahre) 114 Verstorbenen hatten zusammen ein Alter von 2180 Jahren, 10 Monaten und 14 Tagen. Die durchschnittliche Lebensdauer beträgt dem- nach 19 Jahre. Die älteste Person, welche ich im Sterbe- register traf, war eine Maria Hadad aus Jerusalem; 137 fie brachte ihr Leben auf 95 Jahre. Profper Alpinus gibt den Egypziern ein fehr langes, und selbst ein längeres Leben, als den Europäern, ohne jedoch einen Beweis für seine Behauptung anzuführen. In den genannten Jahren farben im Durchschnitte während der Monate Julius und August am meisten, und während des Hornungs am we- nigsten. Der Weinmonat gilt als der gefundeste Monat des Jahres. Kaum weniger gefund dürften - November, Jenner und Hornung sein, wie die Sterbeliste andeutet. Die Krankheiten, welche vor den übrigen Schrecken verbreiten, find Peft und Cholera. Die Bubonenpest verschonte Ggypten in der neuern, Zeit feit dem Jahre 1824 bis zum Chrifmonat 1834, hiemit ein ganzes Jahrzehn. Indeffen wüthete fie im Jahr 1824 nicht besonders heftig, und es gingen aus der lateinischen Gemeinde bloß 37 Personen in den Monaten Merz, April und Mai mit Tode ab. Nach ältern Beobachtungen be- ginnt fiel im Jenner oder Hornung, fchreitet verheerender während des Chamafens vorwärts, und wird durch die größte Sonnenhitze gleichsam abgeschnitten. Am St. Jo- hannes tage glaubt der Europäer sich ficher. Im ersten Halbjahre und im Monate Julius 1835 verlor die latei- nische Gemeinde zweihundert und elf Pefttodte, und zwar weitaus die größte Zahl im April und Mai. Man 138 schätzte die Summe aller in Kairo an der Pest Hingeschie- denen, wohl doch in übertriebenem Maße, auf 100.000. Die Guropäer, welchen in der letzten Pestzeit die Mittel zu Gebote fanden, sperrten sich ein. Unter alle Einge- sperrte fchlich fich während der letzten Seuche die Pestkrank- heit nie und nirgends ein. In einem Hause brach zwar die Pest aus; allein fiel wurde durch einen besonderen Fall eingeschleppt. Aus einem verpesteten Hause ließ man ohne alle Gefährde einen fogenannten Drachen zur Belustigung auffliegen. Gin Kind jenes Hauses befand sich auf dem Söller, der Drache fiel auf dasselbe, und in wenig Stun- den erkrankte es und erlag dem Drachen – der Pest. So lange keine Todtenregister geführt werden, dürfen die Sterbe- ziffern nicht anders, als mit Zweifel betrachtet werden. Dieß gilt namentlich auch von der geschichtlichen Angabe, daß zu Kairo im Jahr 1472 während fechs Monaten 600,000 und, nach Profper Alpinus, im Jahr 1580, 500.000 Menschen in ebenso viel Zeit an der Pest farben. In der neuern Zeit erklärten vorzüglich die französischen Aerzte, an ihrer Spitze Clot-Bei, aber auch der beson- nenere Gaëtani die Seuche für miasmatisch. Mit einiger Vorficht öffneten fiel viele Leichname und blieben verschont. Mittlerweile verschwanden drei deutsche Aerzte als ein Opfer der Pest. Die Bravour Clots gefiel Mehemet-Ali 139 in so hohem Grade, daß letzterer ihn in den Generalstand erhob, und der glänzende Halbmond hängt als Ghrenzeichen an der Brust von Clot, wie beim vizeköniglichen Musel- mann von Auszeichnung. Die Ansicht der neuen Prophe ten, daß die Pest nicht anstecke, erfreute sich übrigens zu meiner Zeit keiner Popularität bei den Europäern in Kairo. Diese verwarfen sie vielmehr fortwährend als überspannt. Sie werden mit höchster Wahrscheinlichkeit sich durch den neuen Petfirman inskünftige am Beobachten der Quaran- täne nicht im mindesten stören laffen. Huldigten doch öf- fentliche Anstalten, wie die Kadettenschule, dem Grundsatze der Sperrung, ungeachtet der Pascha einen Miasmatiker zum Bei adelte. Die Cholera ist eine frisch gebrochene Geißel Ggyptens. In den Monaten August, September und Oktober 1831 zwickte sie aus der lateinischen Gemeinde in Kairo 94 Per- fonen hinweg. Manche Kairaner fürchten die Cholera mehr, als die Pest, weil die Sperre dagegen nichts oder gar we- nig vermöge. Führe ich fort, von andern Krankheiten der Ggypzier, wie von den Pocken, den Augenentzündungen, den Ruh- ren, umständlicher zu reden, manche Abendländer würden einen allzu trüben Gesichtskreis finden, und das Land der Fleischtöpfe als ein Land unnennbarer Plagen ansehen. Ich 140 möchte aber nicht zu Vorurtheilen Stoff darbieten, deren Angel man begierig verschlingt, ohne zu beherzigen, daß man an derselben gefangen und gequält werde. Die Natur vergißt nicht, darüber zu wachen, daß, wo die menschliche Vernunft ihre Aufgabe löfet, das Gesetz des Gleichgewich- tes erfüllt werde. Die Stadt nach ihrer Bauart. Die Häuser bestehen aus Mauern, und das Holz ward dazu ziemlich sparsam verwendet. Daher die Seltenheit der Feuersbrünste in Kairo. Das häufige Brandunglück des hölzernen Konstantinopel kennt das steinerne Kairo nicht. Als vor wenigen Jahren eine Feuersbrunst ausbrach, wurde fie bald gedämpft, ohne einen großen Rüstzeug von Spri- zen, Feuerordnungen, Feuerpolizei, Feuerkompagnien u. dgl. Von Mittag nach Mitternacht bildet die Stadt die längste Linie, und in dieser Richtung wird man den Weg von einem Thore zum andern vor anderthalb Stunden zu Fuße fchwerlich zurücklegen. Lange, gerade Gaffen gibt es nicht. Sie lenken meist bald um, und verlaufen oft in ein Gewölbe, in eine Art Paffage oder Schwibbogen. Manche find sehr schmal, und in der Judengaffe können nicht zwei Personen neben einander gehen, ohne an einander zu frei- fen. Hier langen die Erker bereits zu der entgegengesetzten 141 Seite der Gaffe hinüber. Auch springen dieselben hie und da in andern Gaffen, wenigstens über die Mitte in diese, hervor. Dann und wann fieht man eine Brücke über dem Haupte. Manche Gaffen find mit einer Art Dach versehen oder auch zeltartig zugedeckt, zumal die Baffar. Wegen der Gnge der Gaffen und der Höhe der Häuser herrscht in manchen der ersteren ein gewifes Halbdunkel, das mich nicht unangenehm fimmte. Die Gaffen darf man nicht beurtheilen, ohne das Klima in Anschlag zu bringen. Große, offene, gerade Gaffen würden in der heißen Jah- reszeit den Aufenthalt fast unerträglich machen; wie fie aber wirklich angelegt sind, gewähren, fiel die möglichste Kühlung, und stehen in einem fehr verständigen Verhält- niffe zum Himmelstriche. Hier, wo felten Regentage eintreten, und wo kein Wagenrad den Boden durchfurcht, wäre das Straßenpfla- fer überflüffig. Gs ist ungleich angenehmer, auf der hart getretenen Erde dieser Stadt zu gehen, als auf den fchönen Pflastersteinen zu Paris und Wien, und der Gfel, in lei- fem Tritte, gleitet beinahe über die Gaffe hinweg. Wenn es aber regnet, so werden die Klagen groß, und voraus dem Kameel ist das Gehen beschwerlich. Dann ereignen sich wohl auch Unglücksfälle. Es verdient bemerkt zu werden, daß in den neuntehalb Jahrhunderten feit Gr- 142 bauung der Stadt die Gaffen fo wenig ausgetreten wor- den find. Unreinigkeiten eckeln nicht öfter an, als in italienischen Städten. Man glaubt im Anfange nicht, wie schnell ein Theil der Garfigkeiten von der heißen Sonne in Staub verwandelt wird. Auf Aeser stieß ich nie im Umfange der Mauern, wohl aber zur Seltenheit in der Umgebung der Stadt. Auf dem Wege nach Abu-Sabel labte sich eben ein halb Dutzend herrenloser Hunde an einem todten Thiere. Ueberall, wo der Mensch liebt, ist ihm beim Baue der Wohnungen die ferne Sonne am Himmel das erste Augen- merk. Bei der Bauart der Häuser von Kairo faffe man, wie bei den Gaffen, das Bedürfniß wohl ins Auge. Sie müffen gegen die Hitze schützen, während fie in Guropa gegen die Kälte fchirmen sollen. Man findet daher die Zimmer in den nördlichern Gegenden gewöhnlich klein, d. h., nicht breit und nicht tief. In Kairo sind die Ge- mächer umgekehrt fehr geräumig, tief, kapellenartig. Ja es übertreffen viel Zimmer der Stadt an Raum europäische Kirchen. Manches staunte ich mit Wohlgefallen an, theils auch wegen der hohen Bögen und der maurischen Ziera- then. Wie dem Fußgänger und Reiter auf der Gaffe die hohen, einander nahe gegenüber stehenden Häuser lieblichen 143 Schatten werfen, so beschatten sie einander selbst, und je fchattenreicher ein Zimmer ist, desto mehr wird es geschätzt. Die Dächer find flach oder nur ein Boden (Söller), und das Licht fällt nicht bloß durch Fenster, die über einander fich folgen, herein, sondern auch durch das Dach. Ueber die Oeffnung an diesem wirft sich gegen Mitternacht eine Nafe auf, welche geschloffen werden kann. So frömt er- frischende Luft an der Spitze des Hauses bis unten auf den Boden von Grde oder Stein. Die Fensterscheiben felbst find viereckig, und es wird an einigen Orten Europas keineswegs eine neue Mode eingeführt, wenn man dort auf runde Scheiben verzichtet, um viereckigen Platz zu machen. Viele Häuser find einstöckig. Ein großes Thor führt durch den Eingang in einen Hof, wo die Küche frei steht; der Hof ist zugleich der Rauchfang. Manches große Thor wird felten geöffnet. Dafür steht in demselben eine kleine Thüre offen, durch die man geduckt und mit hochgehobenem Fuße schreiten muß. Ueber dem Gingange, wenn man will über dem Grdgeschoße, finden sich die Zimmer, welche bis zum Dache 15 bis 25 Fuß fich erheben. Gs gibt wohl auch Zimmer, die von ebener Erde an 40 Fuß hoch anstreben. Zweistöckige Häuser gehören zwar immerhin nicht zur Sel- tenheit, aber drei- und vierstöckige. Der Europäer kann sich sehr leicht täuschen, wenn er die Häuser bloß von 144 Außen befieht. Er stellt sich hohe Gebäude vor, in denen drei Familien über einander wohnen würden. Verschwen- derich birgt hier manchmal nur ein Stockwerk eine Familie. Dieses berücksichtigend, könnte man nicht begreifen, daß etwa 300.000 Menschen in Kairo wohnen oder einst ge- wohnt haben, fofern man nicht wüßte, daß viele Araber einer Wohnung entbehren. Wandelte ich Nachts nach Haufe, fo wurde es mir zuerst unangenehm zu Muthe, wenn ich hier auf dem Boden der Gaffe, dort auf der Bettstelle an einem Haufe einen vermummten Araber ruhen fah. In der offenen Herberge der Gaffe brachte er die Nacht hin. Die Milde eines Himmelstriches bettet den Menschen mit wenig Mühe. An oder in den Häusern verdienen zwei Dinge noch besondere Erwähnung; das Schloß und die Stiege. Die meisten Schlöffer find von Holz. Gin Joch, an der Thüre befestiget, nimmt den Riegel auf. An dem obern Theile der für den Riegel bestimmten Jochöffnung ragen, ohne strenge Ordnung der Entfernung von einander, mehrere drähtene Stifte hervor, die gehoben werden können, und ohne eine hebende Kraft von selber herunterfallen. In den Riegel, als den zweiten Theil des Schloffes, dringt auf einer Seite und an dem einen Ende eine kantige Rinne. Oben besitzt der Riegel den Stiften entsprechende Oeffnun- 145 gen, und diese find in folcher Ordnung angebracht, daß, wenn er vorgeschoben ist, die drähtenen Stifte vom Joche herunterspringen und eingreifen, wodurch der Riegel ge- sperrt wird. Der Schlüffel, als der dritte Theil des Schloffes und gleichfalls von Holz, ist ebenso einfach, als die vorigen Theile. An einem Ende, das in die Rinne des Riegels läuft, stehen gerade so viel drähtene Stifte unbeweglich herauf, als der Riegel Oeffnungen zählt. Drückt man die Stifte des Schlüffels in diese, so heben fie die Stifte des Joches, und der Riegel kann herausge- zogen werden. – Mit der Konstrukzion der Stiegen konnte ich nicht ins Klare kommen. Sie find von Stein, und von der Gestalt eines gezahnten Rades, wenn dieses keinen Zirkel beschriebe. Sie haben ihre Befestigung nur an einer Seite, an der Mauer des Hauses; im Uebrigen liegen flie ganz frei heraus. - Aus Furcht vor dem gräuelvollen Götzendienste verbietet der Islam die Abbildung von Menschen und Thieren. Es fehlt indessen noch viel, daß dem Verbote von allen Mo- hanmetanern nachgelebt wird. Es wird schon von Selim I. erzählt, daß er dem Sohne Soliman II. fein Bildnis hinterließ, über dem man die Worte las: Sultan Selim Ottoman, ein König aller Könige, ein Herr aller Her- en, ein Fürst aller Fürsten, ein Sohn und Kindskind Tobler, Morgenland. 7 146 Gottes. Von dem jetzigen Sultan Mahmud II. weiß man, daß er, zum Verdruffe der Gesetzlehrer, ein Por- trät dem Pascha zuschickt. Bei Beschneidungsfestlichkeiten im Jahr 1582, zu Ehren des nachherigen Sultan Me - hemet, wurde in einem Prachtzuge Zuckerwerk herumge- tragen, das verschiedene Arten von Thieren vorstellte, z. B. Glephanten, Löwen, Tiger, Leoparden, Affen, Pferde, Kameele, Giraffen, Syrenen, Falken, Habichte, Sperber, Storchen, Kraniche, Gnten, Pfauen, ein Ungethüm von riefenhafter Mannesgröße, nackt und fitzend wie ein Schnei- der. Kehren wir nach Kairo zurück. Gemälde trifft man an den Häusern felten, und wenn noch, so laffen fiel allenthalben die Schülerhaftigkeit durch- blicken. Europäische Primarschüler von acht Jahren wür- den treuer und geschmackvoller malen. Die Malereien an den Mauern der Häuser stellen meistentheils Laub- oder Blumenwerk dar, das etwa aus fchnörkelreichen Töpfen fich entfaltet. Die rothe Farbe herrscht vor. Auch trägt die Mauer einiger Häuser, rechts und links an der Thüre, einen gemalten angebundenen Löwen zur Schau. An einem Hause ist auf ein Thier ein kleines Gebäude gepackt; allein ich konnte nicht errathen, was für ein groteskes Ding es war, weil die Pfuscherei wirklich zu hoch sich überbo- ten hat. An andern Häusern, und zwar an vielen, wech- 147 felt einfach die rothe und weiße Farbe, so daß, wenn eine Reihe Quader weiß, die erste darüber roth ist. Hie und da steht über den oben abgerundeten Thüren ein Stern. Mehr, als an Farben versucht sich der Kairaner an For- men, und diese find es, die feine Geschicklichkeit verkündi- gen. Wo Holz verbaut ist, da liefert es beinahe durch- gängig Beweise von kunstreichen Schnitzarbeiten. Noch triumphierender aber zeigen die Mauern das Gepräge der Kunst. Die Moscheen (Gäma") empfehlen sich in der Re- gel durch ihre Pracht, und die hohen Thürme find bis an die Spitze von lauter Quadern aufgeführt. Die meisten umkrämpen zwei frei herausragende Galerien mit Geländer, und auf dem Helme schießen Arme schief hinauf, um dar- an, zu Verherrlichung der Festtage, Laternen zu hängen. Auf den Galerien hingegen wird vom Thürmer (Muezeinn) fingend der Gläubige zum Gebete ermahnt. Dadurch wird die fehlende Glocke entbehrlich. Ueberall erregten die fara- zenischen oder maurischen Werke meine Bewunderung. Obschon ich in meiner Kunsteinfalt einem einfachern Styl mehr Geschmack abzugewinnen vermag, fo ergötzte ich mich gleichwohl manchmal an dem Laub- und Blumenwerk, an den bizarren geometrischen Figuren oder Arabesken. Eine Bildfäule würde man vergebens suchen. Es geschieht nicht selten, daß man beim Ausjäten des Unkrautes auch das 148 nützliche Gewächs herausreißt. So hat der Islam, bei Zerstörung der Götzendienerei, die bildende Kunst überhaupt mit Füßen getreten. Aufschriften in arabischer Sprache liest man ungemein felten. Paris fieht gegen Kairo wie ein aufgeschlagenes geschriebenes Buch aus. Die Tochter Mokatams ist Al- bum. Die europäischen Städte find Erklärungswörter- bücher (Reallexika), belehrend für Kinder und Fremde, ein Cornu, Copiae von Pleonasmen für die Unterrichteten. In Italien lernte ich manche Handwerksnamen über den Buden, und Niemand hätte es mir verarget*). Das Schloß, der Juffufsbrunnen und die Grab- male von Káyd-Bei. Wollen die Europäer wohin gehen, laufen, reiten, fah- ren, fo werden die gebieterischen Witterungs- Wenn an- geknüpft. Morgen, wenn es gut Wetter ist, heißt es. Wenn das Frauenzimmer schon ihren Flitter bereit hielt, wenn Pferde und Wägen bestellt waren, wenn die *) Die Hütten, noch aus. Alexandrien in frischem Andenken, erwähne ich nicht. Die Gelehrten des französischen Feldzuges zählten in Kairo zwei und dreißig mit Hütten besetzte Plätze (Höfch, place avec des cahutes). 149 Liebe und Freude den Schlaf verscheuchten, und wenn dann in der Frühe Waffer oder Schnee vom Himmel fällt; – ach, welch faures Gesicht wird geschnitten, welche Seufzer werden ausgestoßen, wie werden mit beklommenem Herzen die Hände zusammen und über einander gerungen, weil – es regnet oder schneit, und weil der Regen oder Schnee den Gang, den Lauf, den Ritt, die Fahrt hin- dern. Man darf in Kairo während der fichern Jahreszeit gut Wetter auf morgen fo zuversichtlich erwarten, als das Tageslicht selbst. Die europäischen Witterungs-Wenn find hier daher außer Tagesordnung und werden, Wunder genug, nicht einmal gewünscht, um sich damit zu euro- päifiren. Ich lud einen Freund zu einem Spazierritte ein. Ich zählte auf diesen mit einer Sicherheit, welche nicht vom fernsten Zweifel beengt war. Doch haben, daß ich es zu melden nicht vergeffe, die Kairaner manchmal ein anderes Wenn und zwar ein noch schlimmeres; ich meine das Pest- Wenn. Du ladeft Abends einen muntern Freund auf mor- gen zu einem Spazierritte ein; ehe der Tag graut, ereilt ihn die Pest mit ihrem tödtlichen Gifte. Gs war Sonntag. Am frühen Morgen trugen uns die Gfel im Geschwindschritte durch die Gaffen und Baf an. Die Läden waren noch nicht überall offen. Die farazen- 150 fchen Schnörkeleien an den Häusern, Thürmen und Tem- peln, die arbeitenden Mohammetaner eigneten sich gleich fehr, die Aufmerksamkeit zu feffeln. Nun etwas bergan. Der Eifel schritt immer noch fchnell, und der Gfeltreiber rannte keuchend nach. Schon erblickte ich das Schloß in der Nähe. Ich verging in Staunen. Wir bogen rechts ein, um auf der günstigsten Stelle die Stadt und ihre Umgebung zu überschauen. Man kommt an stehenden und gestürzten mächtigen Granitsäulen vorbei, welche, wahr- scheinlich Trümmer von Memphis, über dem Grabe der Altzeit prangen. Das ist nun Kairo unter meinen Füßen, feit Jahrhun- derten ein Gegenstand der Bewunderung, früher weniger gekannt und von den Europäern nicht selten mit Fabeln angefüllt, von den französischen Heerschaaren bezwungen, von ihren Gelehrten gemeffen, beschrieben, gezeichnet bis auf die kleinsten Ginzelnheiten; das ist nun Kairo vor meinen Augen, die größte bekannte Stadt in Afrika, die zweitgrößte des osmanischen Reichs, eine der größten der Welt, mit den vierhundert Tempeln, mit den graulichen plattdächigen, kaminlosen Häusern in dem weiten Umkreise, mit den 200.000 Einwohnern *). Kaum kann das Auge *) Nach den Gelehrten des französischen Feldzuges hatte Kairo 233 mohammetanische Großkirchen (Gáma), 158 Klein- 151 ausruhen. Südwestlich liegt Altkairo, weiter weg, der die Inseln umspülende Nil, dann die hoch aufragenden Pyra- miden von Gizeh (Giä) und Sakära, der wüste lybische Hügelstrich, und gegen Morgen der letzte Absenker des arabischen Gebirges. Vor allen Gebäuden zeichnet sich durch Größe der Haffantempel und gegen Sonnenaufgang die vielen Grabmale aus. Wo ist aber Babylon, wo Memphis? Du bist stumm, Maser el-A"tykah, und du, Gelände jenseits des Nilfroms. Das Schloß stützt sich auf einen Abfall des Berges Mokatam, im Süden der Stadt. Gs ist von festem Mauerwerk und sehr groß, so daß es für sich schon eine ordentliche Stadt bildet *). Das Stockhaus liegt im um- fange der Burg. Wegen der Schönheit wäre das Harem nicht nennenswerth. In der Nähe desselben standen Ent- kirchen (Kapellen, Sáuyeh), 27 christliche Kirchen (in Alt- und Großkairo), 10 Synagogen, 45 Hauptbäder, 171 Außen- und Binnenpforten. - *) Die Gelehrten des französischen Feldzuges geben, ohne eine zertrümmerte Moschee zu rechnen, der Burg allein sieben Gáma", nämlich: Gáma" Täg el-Dyn, Gáma el-Schâ- ryeh, Gáma" el-Dahâyfche, Gáma" fultán Kalaun, Gáma el- A'ffab, Gáma" el-Moyed, Gáma” el-Mustafàujeh. Description de l'Egypte, 2. édit. Tome XVIII. (E. M.) 2. part. Paris, Panckouckc, 1829- Pag. 288. sqq. - 152 mannte. Ein ungewöhnlich großer Mohr verrieth durch Haltung und Geberde, durch Stimme und Gesichtszug fo völlig das bis zum kindischen unmännliche Wesen, daß der Kontrast fich tief in meine Seele prägte. Dem Auge des Kastraten fehlt der Glanz der Kraft und Liebe. Die ersten Frauenhüter fah ich eben in einem Schloßhofe um ein Pferd fehen, das, mit zusammengebundenen Füßen, auf dem Boden ausgestreckt war. Man fchnitt demselben den Schweif ab, brannte defen Stumpf mit einem Glüheisen, und brühte ihn dann in einer mir nicht bekannten Flüffigkeit. Die Kastraten schienen mit Wohlgefallen der blutigen Ope- razion zuzusehen. Man kann fich doch nicht bergen, daß man in Kairo leichter und schneller die Roffe englisiert, als die Araber zivilisiert. Vom Militär, durch welches das Residenzschloß bewacht wird, stellt der Abendländer sicher nichts Geringeres fich vor, als von der orientalischen Pracht geblendet zu wer- den. Nichts weniger als Luxus. Dafür findet man zerriffene Kleider in Menge. Wir traten in viele Hallen und Zimmer des Schlof- fes. Die Kanzlei hatte ganz den orientalischen Zuschnitt; ringsum der Diwan, d. h. eine niedrige, breite Polster- bank, ohne einen Tisch, bloß ein unbemaltes Pult steht einfam in einem Winkel. Die Kanzlei war heute leer, 153 weil die Kanzlisten, koptische Christen, eben den Sonntag begingen. Es klingt in Wahrheit sonderbar, daß in Egyp- ten die Staatskanzlei eines mohammetanischen Fürsten den christlichen Sonntag feiert. An den Werktagen wird der Diwan um und um von den Schreibern besetzt, um nicht zu fagen, belagert. -- Was auf dem Schloffe meinen Geist am meisten und mein Gemüth am angenehmsten beschäftigte, war der soge- nannte Jussufsbrunnen. Ein mohammetanisches Weib führte mit brennender Kerze mich hinunter. Es war un- verschleiert; doch bisweilen schnappte es in das Kopftuch, um das häßliche, fchwarzbraune Gesicht zu verhüllen. Zwei Kinder leuchteten mir nach. Der Brunnen, über 280 Fuß tief in den Kalkfelsen gearbeitet, ist viereckig. Man steigt auf einer Felsentreppe hinunter. Die Stufen laffen fich jedoch an vielen Orten wegen der darauf liegenden Erde nicht erkennen. Die innere Wand der Treppe durchdrin- gen an vielen Orten Oeffnungen zum Ginlaffen des Lich- tes. Wenn man zu einer gewissen Tiefe hinabgelangt, endet die Treppe, und mittelst eines Rades wird das Waf- fer in Krügen, welche an einem Seile befestiget sind und mit diesem umherlaufen, aus der Tiefe geschöpft und hier ausgeleert. Ein zweites Rad findet sich oben, welches mittelt der Krüge das Waffer von der nächsten Stazion 154 herausholt, um es dort ans Tageslicht zu bringen. Von dem Orte, wo das untere Wafferrad angebracht ist, fenkt sich der Brunnen bis zum Wafferspiegel, welcher mit dem Nil die Höhe theilt, so tief, daß einige Sekunden verstrei- chen, bis man den Fall des hinabgeworfenen Steins ver- nimmt. Neben dem untern Rade greift eine Kerbe in den Fels, wo ein weiß marmorner Turban, das Grabmal des Jufef Saläh el-Dyn (des berühmten Saladin), ruht. Man fühlt in der Tiefe eine angenehme Tempera- tur, und es fällt eben fo leicht, als es die Mühe lohnt, Zeuge eines so merkwürdigen Denkmals zu sein. Mich erinnerte dieser Erdenthurm und die Treppe an den Mar- kusthurm und defen Treppe in Venedig. Vom Schloffe weg wendeten wir uns, indem wir die auf einen Schutthügel gebauten Batterien zur Linken ließen, gegen den nach Suez führenden Wüstenweg, um die Mo- fcheen und Grabmale der Großen (Turäb Käyd-Bei) zu durchstreifen. Jener Hügel verdeckte unsern Blicken die Stadt, und das Schloß sperrte die Aussicht nach Süden. Die Grabmale, in einem Thale auf fandigem Grunde, stellen meist Thürme oder Moscheen dar. Von diesen um- ringt, glaubt man sich mitten in einer Stadt; man ift in einer Leichenstadt. In der Bauart der Grabmale bespie- gelt fich offenbar der schmuckelige Sarazene, welcher Fleiß 155 mit Geschmack verband. Große Schätze find an den unbe- wohnten ansehnlichen Gebäuden aufgegangen; aber leider zerfallen diese, und laffen den Genoffen unserer Tage eine Reihe von Jahrhunderten aus der Urne der Zeit verwün- fchen, damit er dieselben in dem Zustande der Unversehrt- heit bewundere. Beim Anblicke zerstörter oder der Zer- förung entgegeneilender, ausgezeichneter Kunstwerke möchte man beinahe vorziehen, daß sie nie entstanden wären, nur um des bittern Schmerzes über ihren Zerfall überhoben zu werden. Das Militärkrankenhaus. In der Esbekieh nimmt ein Krankenhaus den Kriegs- mann auf. Für das Zivil würde man eines nach euro- päischer Einrichtung vergebens suchen, – doch mit Aus- schluß der Franken, welche in ihren kranken Tagen aller- dings öffentliche Pflege erhalten, indem sie in dem Mili- tärkrankenhause untergebracht werden. Ausnahmsweise hat das arabische Zivil ins Spital ein junges Mädchen gelie- fert, bei welchem die Steinoperation vorgenommen wer- den mußte. Das Gebäude ist massiv von Stein erbaut, und be- greift zwei Höfe in sich. Es enthält große Säle; so einen mit 24, einen andern mit 60 Kranken. Die Krankenzim- 156 mer find auch licht; aber in einigen kam dem Gintretenden ein unangenehmer Geruch entgegen, das zu verläffigste Zeichen, daß sie nicht reinlich genug gehalten werden. Man traut den eigenen Augen kaum, wenn man zu einem Araber geführt wird, welcher mit Arsenik das Ge- ficht sich raubte, um des Militärdienstes unfähig zu werden. Fälle, daß die Araber in dieser Absicht fich mit Blindheit fchlagen, ereignen sich nicht felten. Aus dem gleichen Grunde werden auch Finger verstümmelt, Zähne ausge- brochen u. f. f. Gine Mutter stach ihrem Sohne ein Auge heraus, um ihn nicht verlieren zu müffen. Die Apotheke des Spitals fieht fehr unscheinbar aus. Es ist merkwürdig, wie hier Leute zu Apothekern geschnell- bleicht werden. Ein polnischer Offizier berechnete, daß er als Apotheker beffer stehen würde. Er meldete sich an, ist gegenwärtig als Apotheker angestellt, und bildet sich auf feine Kunst sehr viel ein. Unwiffenheit und Eigendünkel gehen Hand in Hand. Gin weiland österreichischer Aide- Major hielt sich einst eine Zeitlang in einer Droguerie auf. Gr bewarb sich um eine Apothekerstelle, bekam Anstellung, und eben während meines Aufenthaltes in Kairo durch sprang er einen Theil der kurzen Lehrzeit (von beiläufig einem Monate). Dieser Leichtsinn, womit die Stellen im Gesund- heitsdienste verliehen werden, erscheint indeß in einem mil- 157 dern Lichte, wenn man den großen Mangel geeigneter Subjekte ins Gedächtniß zurückruft. Gs unterliegt keinem Zweifel, daß die Regierung der Aufnahme solcher Glücks- ritter in den Staatsdienst einen Riegel vorschöbe, wenn ihr eine Auswahl zu Gebote stände. Man macht in Egyp- ten, wie anderwärts, aus der Noth eine Tugend. Die Narrenmenagerie. Es gibt Leute, die sich an den Namen mehr ärgern, als an den Dingen. Bei solchen besorge ich wohl, daß fie an dieser Ueberschrift Anstoß nehmen. Vorläufig möchte ich fiel aber damit beruhigen, daß der Ausdruck, so hart er klingen mag, doch nicht härter ist, als die Sache, die er bezeichnet. Um denn Gfeltreiber verständlich zu machen, wohin ich wolle, ließ ich ihm fagen, daß er mich dahin führe, wo die Narren und die Närrinnen feien. Ich kam in einen Palast, das berühmte Spital Mu- rift an, welches mit der schönen Moschee gleichen Namens zusammenhängt. Gin geduckter, etwas kleiner Mann mit einem grauen Barte, fand in einem Vorzimmer; er fiel mir zuerst nicht auf. Es war der Menagerieinspektor. Mein Führer eröffnete ihm meine Absicht, – denn ich 158 konnte durchaus nicht arabisch, – und ohne Anfand ward mir der Eintritt bewilligt. Noch aber ließ ich Brote ho- len, um fiel unter die Kranken zu vertheilen. Die Zufrie- denheit mit Wenigem ist in der Regel ein Zeichen echter Selbstbeherrschung; die Zufriedenheit mit einem geringen Geschenke zeugt gemeinhin von wahrer Dürftigkeit. Auf diese zählend, hoffte ich mit meinen Kleinigkeiten Liebes zu thun. Nun wurde die Thüre aufgeschloffen. Ich war nur Auge, nur Ohr. Ein viereckiger Hof, in dessen Mitte ein feinernes Becken, felbst mit dem unlautern Waffer, fürs Auge gute Wirkung macht, zieht voraus, den Blick an fich. Der erste Eindruck verspricht Gutes; allein er trügt nur zu gewiß: denn den gefälligen Hof umgeben lauter Käfiche, an Stattlichkeit und Solidität gleich den- jenigen für die Thiere, welche zur Schau gestellt werden. Um den Schein einer Menagerie zu vollenden, erheben sich die Krankenzellen bühnenartig. Das Licht und die Spei- fen gelangen durch ein eisernes Gitter, welches nicht Man- neshöhe erreicht. Die Zelle ist fchmal, doch hoch. Ich konnte die Zellen und die Kranken nicht zählen; denn der Menagerieinspektor sputete sich zu sehr, weil er vielleicht meinte, daß die Kranken beim Anblicke eines Giaur (Un- gläubigen) gewaltig beunruhiget würden. Ich glaube, daß 159 den Hof fechszehn Zellen umfaffen. Sie find sämmtlich von festem Mauerwerk. In den meisten Zellen fand ich einzig einen Kranken, in einer andern aber selbst drei, wovon einer angekettet war. Der letzte nämlich trug ein Hals- eifen mit einer langen Kette. Diese lief durch das Gitter, und ward fo weit unten festgemacht, daß der Kranke mit den Händen die Endglieder derselben nicht ergreifen konnte. Hände und Füße blieben dabei ungefeffelt. In Europa würde man bei solcher Anfeffelung das Selbsterdroffeln be- fürchten. Zur Bettung dient dem Kranken im besten Falle etwas Stroh, sonst der harte Boden. Dieß ist nicht das Herbste des Schicksals. Wie der Hunger die Küche bald gut bestellt, so bereitet der Mangel an Schlaf dem fchwan- kenden und trunkenen Haupte ohne Schwierigkeit einen Polster, und am Gnde macht sich die Macht der Gewohn- heit geltend. Vielleicht werde ich letztern Satz gelegentlich einmal wiederholen, weil dessen Wahrheit beinahe nie ge- nug ausgesprochen und beherziget werden kann. Einige Kranke waren ordentlich gekleidet, andere aber wenig oder fast gar nicht. Wie ich vor die ersten Käfiche trat, wollte ich das Brot felbst austheilen; allein der Menagerieinspektor wand mir es mit einer Meisterfertigkeit aus der Hand, und mir - war klar, was ich thun oder laffen folte. Meine fränki- 160 fche Person schien den Unglücklichen wenig Aergerniß zu geben; sie hafchten, wie kleine Kinder, nach dem Geschenke, welches ihre Aufmerksamkeit für den Augenblick verschlingen mochte. Nur ein Andächtiger, der betend auf den Knieen lag, und den Boden anglotzte, nahm von Allem, was vorging, keine Notiz. Dagegen betrug sich fein Nachbar um fo rühriger, und er erhob ein betäubendes Geschrei. Der Aufseher warf einen Lappen Brot ihm zu. Das war der Friedensbote, welcher alsobald den Sturm besänftigte, nachdem eine Art Mensch, vielleicht ein Menagerieknecht, vergeblich den Stock über ihn geschwungen hatte. Schla- gen fah ich nicht. Uebrigens hält man mit dem Schlagen oder Peitschen in Ggypten keine genaue Rechnung. Jeder Herr peitscht oder prügelt feinen Diener. Das Schlagen des kranken Irren wird in Ggypten unzweifelhaft nicht die gleiche Wir- kung hervorbringen, welche man sich in Guropa versprechen würde, und wenn in diesem Welttheile mit dem verwerf- lichen, barbarischen Mittel zur Seltenheit Heilungen er- zielt wurden, so würde es von dem ans Schlagen bei nahe mehr als ans Broteffen gewöhnten Araber mit Gleichgültigkeit, wenigstens mit abprallender Härte ertra- gen werden. In der Flüchtigkeit ward ich ruhige Gesichter und gut 161 genährte Leute in den Käfichen gewahr. Gs beschwichtiget gewiffermaßen zuletzt der gegründete Glaube, daß die Ein- gekerkerten doch nicht mit Hunger gequält werden. Als ich schon zur Thüre hinaus war, hörte ich noch den Lärm der Irren, felbst vor dem Geklirre der Ketten. Von der Besorgung der Närrinnen weiß ich weder etwas Rühmliches, noch etwas Tadelnswerthes. Den Männern ist der Eintritt in die Weiberzellen untersagt, wohl aber Knaben bis zum Alter von ungefähr neun Jahren erlaubt. Bei einem zweiten Besuche vergönnte man mir mehr Zeit. Ich konnte achtzehn Käfiche zählen. Dießmal über- zeugte ich mich von der zurückstoßenden Unreinlichkeit. Daß in diesen Krankenställen keinerlei Versuche zur Heilung vor- genommen werden, versteht sich von selbst. Das kultivierte Europa schaudert wie vor der Einrichtung der Observazionsanfalt in Alexandrien, fo vor einer solchen Behandlung unglücklicher Irren. Wie lange her ist es aber, daß dort das Licht der Humanität glänzt? Noch vor einem Jahrhunderte wurden die unschuldigten Gemüths- kranken, gleich wie die schuldigten Verbrecher, fast durch- gehends in Ketten geworfen. Vielleicht werden die bemit- leidenswerthen Gemüthskranken an das eiserne Kriegsherz des Pascha klopfen, daß es erweicht wird, und falls er dem gräßlichen Uebelstande wehrt, so flicht er sich schönere 162 Lorbeeren um fein Haupt, als wenn er noch einmal Mili- tärkrankenhäuser, Arzneischulen und andere Anstalten, Pul- vermühlen und andere Fabriken ins Dafein riefe, und er bleibt unsterblicher unter den Sterblichen, als wenn auf fein Machtwort der Anbau einer zweiten Baumwolle und eines zweiten Oelbaumes u. dgl. gediehe. Insbesondere die edeln Züge des Zartgefühles für das Wohl und Weh aller Menschen, ohne Ansehung des Standes und des Ver- mögens, erwartet das aufmerksame Europa von dem schöpfe- rischen und durchgreifenden Vizekönige des Ggyptenlandes. Die Stadt der Einäugigen und der Blinden. Man nennt wohl keine Stadt in der Welt, worin so viel Einäugige und Blinde wohnen wie in Kairo. In kei- ner Stadt, würde der Spötter sagen, wird öfter ein Auge zugedrückt, und ist die Liebe blinder. Man ziehe bloß die Gaffe hin und her, und bald wird die Anfmerksamkeit von einem Manne gereizt, der mit einem Stock den Weg be- fühlt, oder feine Rechte auf den Kopf oder die Schulter einer Person legt, die als Wegweiser vorangeht. Selbst die Blinden wandeln nicht mit Andern wie in Europa, wo fie am Arme geführt werden. Man weiß beinahe nicht, ob man über das Glück. Unglücklicher lachen darf, wenn 163 man wahrnimmt, wie etwa drei Blinde einander leiten und leiten können. Einst schilderte man das Gedränge in der Stadt als so groß, daß man jeden Augenblick Gefahr laufe, Jemand umzubringen oder umgebracht zu werden. Diese Schilde- rung kann für die jetzige Zeit nicht gelten. Ich fah in einer sehr besuchten und belebten Gaffe, gleich vor der Hauptwache über der Brücke, einen blinden Greis allein, freilich in kurzen und furchtsamen Schritten, fich worwärts bewegen, ohne daß er umgebracht oder auch nur unsanfter berührt wurde. Es ist hin wieder eine natürliche Sache, daß die Sehenden noch gefahrloser ihres Weges gehen, als die Blinden. Das öffentliche Bad. Die Südländer haben eine frischartige Natur. Bäder find ihnen Bedürfniffe. - - - - - Ich trete in ein großes, von oben beleuchtetes Zimmer. In der Mitte ein Wafferbecken. Darum ein mit Marmor ausgelegter Boden. An den Wänden eine Bühne; darauf Bettpolster in Menge. Neben der Pforte eine Art Kan- zel. Von der Bühne streben jonische Säulen empor. Am Eingange in das Dampfgewölbe eine kleine Kaffeeküche, aussehend wie ein Doppelkästchen mit einem Raume da- 164 zwischen*). Ich bin im Gntkleidezimmer; auf den Pol- fern der Bühne die Badegäste; auf der Kanzel der Geld- einnehmer. Der Badende steigt auf die Bühne. Gr entkleidet sich. An der flinken Hand des Badeknappen fliegt im Nu ein weißes Tuch ihm um die Lenden. Gin Tuch von bunter Farbe schlägt der Badeknecht ihm über die Brust, und ein anderes über den Rücken, das erste hinten und das letztere vorne bindend. Den Kopf umwickelt er, auf daß ihn ein Turban fchütze und ziere. Das die vollkommene Bade- montur, es fehlen einzig noch die Kapuzinerschuhe, in die man schlüpft, fobald man von der Bühne herunter ge- stiegen ist. Jetzt geht der Badende behutsam davon, damit er nicht auf dem naffen und glatten Marmorboden niederglitsche. Durch einen engen, düstern, gewölbten Gang gelangt er in ein Zimmer: das Ent- und Ankleidezimmer in der kältern Jahreszeit, weil es gewärmt werden kann. Gr kommt durch eine Thüre in ein Gewölbe. Das Licht dringt mühsam und spärlich durch kleine, runde, mit Glas hermetisch verschloffene Oeffnungen von der Kuppel *) Schweizerisch Buffert. 165 herab. In der Mitte ruht ein Wafferbecken. Aber er weilt dießmal hier nicht. Durch den warmen Dampf links oder rechts einige Treppenstufen hinauf, er befindet sich in einem kleinen, noch düsterern Gewölbe, worin warmer Nebel ihn umschwebt. In der Mitte ein Wafferbecken, tief bis an das Kinn. Der Knappe entwindet ihm all' das Badegewand bis an die Lendenschürze. Es ist das Waffer aber allzu heiß, und er taucht nicht unter. Andere scheuen indeß die Hitze minder, und man erblickt, spaßhaft genug, bloß noch ihre Köpfe. Er begnügt sich, neben dem Wafferbecken auf dem harten Marmorboden sich hinzustrecken und daraus auf seinen Körper fleißig Waffer zu fchwenken. Ein Araber, nur mit einem Tuche an den Hüften umschürzt, legt ihn zurecht, und, mit einem wollenen Handschuhe versehen, reibt er feine Haut in geschäftigem Hin und Her, doch fanft und ohne wehe zu thun. Hierauf in das letzte Gewölbe zurück. Hier feift ein Bursche den ganzen Körper ein, und der Badende tritt mit dem fhaumigen, feifenweißen Leibe in ein kleines Neben- gewölbe, wo zwei Röhren mit Hähnen über ein Becken sich krümmen. Aus der einen Röhre fließt warmes und aus der andern kaltes Waffer. Hier wird die Seife am Leibe ab- gespült, indem dieser den prallen Strahl der Röhre bricht, 166 und zu guter Letze hilft die Hand dem schwemmenden Brunnen. Zurück in das gleiche größere Gewölbe der Mitte. Hier hätte der Badende, statt die Stiege hinaufzugehen, in einem Becken an der Wand, wie in einer Badewanne, filzen können, worein das Waffer mit der beliebigen Wärme ge- frömt wäre. Schon ist der Badende ausgedämpft, ausgespült, ausgerie- ben, ausgewaschen, hoffentlich fix und fertig. Er tritt, allenthalben von trockenen Schürzen und Quehlen umfangen, aus der Dämmerung ans Licht, aus dem Qualm ans Tro- ckene, aus dem heißen Mittag in den kalten Nord. Er besteigt die Ankleidebühne, beinahe vor Kälte schaudernd. Er lagert sich auf dem Polster. Ein Bursche deckt ihn zu. Sanft drückt dieser ihm die trocknenden Hüllen an den Kör- per. Er will den Badenden an der Fußsohle kitzeln. Dieser kann es nicht leiden, und weigert sich defen. Er hat Zeit genug, seine Schaulust an Andern zu befriedigen, welche dort eben eintreffen, hier zum Ausgehen sich anschicken. Er ist frei vom Naß, und es fehlt nichts mehr, als daß er sich anziehe und dem Geldeinnehmer eine Kleinigkeit gebe. Der Dampf in den Gewölben übte weder den beklem- menden Ginfluß auf mich, wie auf andere Franken, aus, noch wirkte die kältere Atmosphäre im Ankleidezimmer mit 167 – - - ausnehmend erfrischender Kraft. Ich fühlte mich nach dem Bade allerdings leicht, und damit vertrieb ich eine leichte Unpäßlichkeit, welche ich dem Zurücktreten der Hautaus- dünstung in einem innern Theil zuschrieb. Bei dem morgenländischen Bade müffen drei Dinge er- wogen werden: der Dampf, das warme oder heiße Waffer und die Reibungen. Es find dieß so wirksame Agenzien, daß die hohe medizinische Wirksamkeit selbst demjenigen, dem gründlichere Kenntniffe in der Arzneiwiffenschaft abge- hen, nicht begreiflich gemacht werden darf. Andrerseits will ich nicht verhehlen, daß der schnelle Uebergang aus dem hei- ßen in ein kaltes Mittel, also der rasche, schnelle Wechsel der Temperatur, manchmal Schaden zufügt. Einen folchen Fall nahm auch ich wahr. - Der Apparat des Bades scheint ursprünglich nur die Reinigung des Leibes zum Ziele sich gesetzt zu haben, mithin mehr der Hygieia, als der Heilkunde anzugehören. Diesen Zweck erreicht das Bad mit Leichtigkeit. Nach dem Bade erscheint viel geschmeidiger auch die Haut, von wel- cher die Unreinigkeiten sich ordentlich abschuppen, fo völlig rein wird fie. - Der Dampf wird nicht förmlich bereitet. Er steigt von den heißen Waffern auf, und man wendet bloß Sorgfalt an, ihm jeden Ausweg abzusperren. Es liegt an Tage, 168 daß darunter die Reinheit der Luft leidet. Ich soll übrigens bekennen, daß kein besonders unangenehmer Geruch in den Gewölben mir aufstieß. Man liest in den Schriften, daß von Seite der Bader, außer dem Kneten der Glieder, auch eine Art Aus- und Einrenken geschehe. Ich ließ diese Manipulation an mir nicht vornehmen, noch fah ich fiel an Andern. Das komplizierte Bad ist so außerordentlich wohlfeil, daß es auch der ärmere Araber benutzen, und dadurch dem Gesetze Mohammets nachleben kann. Man darf die Badeanstalt des Morgenlandes nicht ver- laffen, ohne zu bedauern, wie sehr die Hautkultur im Abend- lande vernachlässigt wird. BWie die Egypzier im fechszehnten Jahrhunderte die Bäder gebrauchten. Ich wähle einen treuen Beobachter, den Doktor Pro- fper Alpinus, als Führer in die Hallen der Vorzeit. Darf denn der Reisende nicht auch bisweilen einen Schritt in dieselben wagen ? - - Wie die Nordländer, so überliefert Profper Alpi- nus, Vieles zum Wärmen, so haben die Ggypzier Vieles zum Kühlen, als : die vielen Brunnen in den Wohnungen, insbesondere aber die Süßwafferbäder, diese jedoch auch zu 169 Verschönerung des Körpers. Zu den Bädern nimmt man einfaches, geläutertes Nilwaffer, ohne Beimengung von Medikamenten. Die Badeanstalten sind sehr zahlreich, ge- räumig und prachtvoll. Das Badehaus besteht aus meh- rern von einander geschiedenen Gewölben, worin die Leute schwitzen, gerieben und gewaschen (gebadet) werden. Unge- fähr im Mittelpunkte der Badeanstalt steht das An- und Gntkleidegemach. In den verschiedenen Badegewölben herrscht ungleiche Temperatur, nach den Bedürfniffen der Badenden. Die Böden find mit Marmor zierlich ausgelegt, und jeder ab- geschloffene Raum hat zwei marmorne Becken, in welche das Waffer herabfällt. An dem gewölbten Dache find die Glasscheiben gleichsam eine Zierde, und fügen sich so ge- nau, daß von Außen keine Luft eindringen kann. Die Ba- - degewölbe empfangen ihre Wärme vom Dampfe des in die Marmorbecken fallenden heißen Waffers. Wer da will, kann jederzeit zwischen heißen, lauwarmen und kalten Bä- dern wählen. Die mäßig warmen find die gemeinten. Weil die Ggypzier das ganze Jahr vom Staube um- geben sind, und beständig von Schweiß triefen, so werden fie der Träger vieler Unreinigkeiten, weßwegen sie übel rie- chen, und an Ungeziefer nichts weniger als Mangel leiden. Darum ist bei den Ggypziern das Baden fo gebräuchlich, Tobler, Morgenland 8 170 zumal beim weiblichen Geschlechte, das sich mehr angelegen fein läßt, durch Beseitigung der Unreinigkeiten und durch Verscheuchung des übeln Geruches den Körper gefällig zu machen, auf daß es den Männern um so lieber sei. Die Frauenzimmer waschen fehr oft den Körper in den Bädern, und überziehen ihn mit wohlriechenden Salben, die ver- möglichen mit solchen von Bifam, Ambra, Aloe. Beinahe unglaublich groß ist der Geruch von Salben zu Verbesserung des Geruches und zu Weckung finnlicher Begierden. Wie aber die Italienerinnen und andere Abendländerinnen allen Fleiß auf den Haarputz und auf die Verschönerung des Gesichtes verwenden, so vernachlässigen die Ggypzierinnen wenigstens erstern. Viele Weibsleute trachten durch das Baden auch fetter zu werden. Je dickleibiger fiel find, desto lebhafter werden fie von den Männern begehrt. Man wird daher eine große Menge ungemein fetter Frauenzimmer antreffen. Gs hielt sich in Kairo ein Weib auf, welches in der Kunst, fett zu machen, ihren Broterwerb fuchte. Man legt es ordentlich darauf an, fett zu werden. Zu dem Gnde baden die Frauenzimmer in lauem Süßwaffer viele Tage hinter einander. Indeß sie lange im Bade verweilen, effen und trinken sie darin, und gebrauchen Lavements, die aus ver- fchiedenen fetten Substanzen bereitet werden. Gleichzeitig 171 nehmen fiel viele innerliche Medikamente ein. Gs steht durch eigene Grfahrung fest, daß mehrere Frauenzimmer durch ein solches Badeverfahren viele Tage hinter einander, in Ver- bindung mit reichlicher Grnährung durch den Mund, fett wurden. Unter den Speifen wählen die Kandidatinnen der Fettigkeit viel fette Brühen mit Bammia, Melochia und Kulkaffia, gewöhnlich eine Suppe von fetten Hühnern, auf egyptisch Maluf. Jedwedes Frauenzimmer trinkt die ganze Suppe von einem Huhne, und verzehrt hernach dieses felbst, Viele dürftige Weiber nehmen das sogenannte Thaine, oder das Oel von indischen Nüffen, oder den Abfud von Chinawurzeln, oder den Sesamölkuchen, welcher mit dem Fleische fetter Hühner und mit der indischen Nuß zugleich gekocht wird u. dgl. Allein vor Allem preist man den täglichen Genuß zehn gerösteter, gemeiner Zwiebeln vor Schlafengehen, und zwar etwa fünfzehn bis zwanzig Tage hinter einander. Bei dieser Kur verspüren die Frauenzimmer nicht die mindeste Beschwerde. In Ggypten verläßt Niemand das Bad, ohne gerieben zu werden. Die Reibknechte laffen die Person, welche zuerst beinahe eine Stunde im Bade ausgehalten, und ab- sichtlich gebrochen oder wenigstens geschwitzt hat, auf einen Stuhl sitzen, sie kneten und behandeln alle Körpertheile des Dafitzenden auf verschiedene Weise. Sie fangen bei den - 172 Füßen an, und bewegen fie vorwärts, rückwärts und feil- wärts, bald dann die Unter- und Oberschenkel nach allen Richtungen; sodann die Hände, jeden Finger besonders, darauf die Arme, die Schulter und ihre Blätter, hernach den Hals, den Kopf, die Brust und den Rücken nach allen Seiten. Es geschehen diese Bewegungen drei- bis viermal. Darauf heißen die Reibknechte den Badenden auf den gmarmorboden rücklings sich legen, und beginnen den ganz zen Körper zu reiben. Es gibt dreierlei Reibungen: 1) die fanfte und mittelmäßige, mit der bloßen flachen Hand, welche manchmal mit Sesamöl eingerieben wird, 2) die mittelmä- ßige und häufige, welche mit roher Leinwand geschieht, und 3) die harte und mittelmäßige, mit rauhem Tuche von Ziegenhaaren. Man fängt, beim Reiben der vordern Kör- perfläche, an den Füßen an, ihre Muskeln werden der Länge nach gerieben, indem die Hände von oben nach unten fahren – von Gelenke zu Gelenke, was mit großer Ge- schicklichkeit und Zierlichkeit ausgeführt wird, ohne ein Ge- lenk zu überhüpfen; dann kommt die Reihe an alle Gelenke und Muskeln der Schienbeine, Wadenbeine, Kniescheiben, Oberschenkel, hernach der Hände, Arme, der Schultern und Schulterblätter, so wie des Gesichtes, des Halses, der Brust, der mittlern Gegend des Abdomens. Nachdem die fes geschehen, wird der Körper auf den Bauch umgelegt, 173 und die hintere Fläche nicht anders behandelt, als die vordere. Die drei Arten von Reibungen werden eine um die andere, von der fanften zur harten ansteigend, vorgenommen. Nach den Reibungen wird der Körper von der Fußsohle bis zum Scheitel hinauf eingeseift, darauf in heißem Süß- waffer abgewaschen und der Schmutz abgestreift. Ueberdieß bringen die Badeknappen die Füße des Badenden in eine gewiffe Pflastermaiffe, welche gegen die feuchten und übel riechenden Füße herrliche Dienste leistet, auch diese orange- gelb färbt. Gs ist Sitte gemeiner Frauen, die Nägel der Hände und Füße fo zu färben. Der Sklavenmarkt. Den fühlenden Menschen nimmt nicht leicht etwas leb- hafter in Anspruch, als der Sklavenmarkt. Wie die Welt anfing, zu glauben, daß Gott die Hände und Fäuste nicht derb genug geschaffen habe, womit fie fich plagen und züchtigen könne, entsprangen die Waf- fen. Diese find nun die seltsamsten Wappen des Menschen- adels. Mit folchen Gedanken betrachten wir die Karbatschen oder Peitschen, die aus der Haut des Nilpferdes gearbeitet sein sollen. Dort werden sie am Eingange eines Hofes verkauft, und deuten den Markt so gut an, als wäre er mit großen Buchstaben überschrieben. Sklaven in einem 174 Hofraume, andere in daran liegenden Zimmern, andere hinwieder oben in Kammern und auf einer Gallerie – das ist das Sklavenokel. Die fchwarze Farbe, die Blöße der Weiber bis zu den Lenden herab, das müßige Sitzen oder Liegen der Sklaven auf kleinen Gerüsten (egyptischen Bett- stellen) oder auf dem Boden befremden den Ankömmling in gleichem Grade. Ich fah keinen Sklaven weinen, manchen lachen und scherzen. Die meisten waren jung; ein einziges altes Weib erblickte ich. Wie ich das erste Mal in den Sklavenmarkt trat, mochten an zweihundert Sklaven zum Verkaufe ausgestellt gewesen sein. In wenigen Tagen wa- ren davon viele aufgekauft. Die Sklavenverkäufer, welche, mit der Pfeife im Mund, wie ein Krämer auf den Käufer mit gespannter Seele harren, verübten vor meinen Augen keine Grausamkeit an den Sklaven. Giner unter ihnen be- mühte sich nicht wenig, ein weißes junges Mädchen, die einzige weiße oder doch halbweiße Sklavin, mir auf zuschwatzen. Mehrere Weiber besuchten den Markt und waren eben im Kaufe begriffen, ohne daß sie die Sklaven berührten. Diese werden zu sehr ungleichen Preisen losgeschlagen; ein junger Bursche etwa zu 50 bis 60 Reichsgulden und ein ausgewachsenes schwarzes Mädchen zu 120 Gulden R. W. Auch dem Europäer wird der Kauf von Sklaven gestattet. 175 Auch er erzählt mit Freude oder Reue, was für einen gu- ten Handel von Menschen er getroffen habe. Die Polizei mischt sich nicht ein, welche Laster er an den Sklaven, als seinem Eigenthume, abkühlen würde. Ihr gilt völlig gleich, wenn er zwanzig Sklavinnen, zu jedem beliebigen Zwecke, erhandeln sollte, selbst wenn sie fich schon zum Mohamme- tanismus bekennen. - Jüngere Sklaven zeigten sich noch in ihrer ganzen Na- zionaltracht, wie man bei uns die Wilden abgezeichnet fin- det. Von einem Gürtel um die Hüften hangen etwa einen halben Fuß lange Fransen herunter. Den Hals schmücken Korallen, darunter weiße, welche mit den weißen Zähnen, und dem Weißen im Auge gegen die schwarze Hautfarbe grell abstechen. Unter den Mohren gab es selten einen mit fchlechten Zähnen. Mehrere Sklaven waren über und über blatternnarbig; andere litten an einer Art Krätze, welche man Nilkrätze nennt. Die meisten Weibsleute behielten den Haarputz aus ihrem Geburtslande, so viel ich weiß, Nu- bien oder Abyffinien. Winzig gerollte und ziemlich lange Locken erwecken eine günstige Meinung; allein der Schmutz widert im höchsten Grade an. Manche trugen die Locken fcheitelförmig. Der häßliche Geruch, welchen das Zusammenleben vieler Menschen begleitet, macht den Sklavenmarkt zu einem 176 wenig einladenden Orte. Die Stiege, welche auf die Gal- lerie führt, deckt das Garstigste, was der Mensch von sich wirft, in dem Maße, daß man ihm kaum ausweichen kann, sofern man jene ersteigen will. Die Unreinigkeiten würden auf dem Sklavenmarkte wahrscheinlich noch mehr fich häu- fen, wenn nicht das Intereffe wohlthätig ins Mittel griffe. Zuviel Nachsicht fchadet der Gesundheit – fo studiert man praktisch die humaniora – und – – kranke Sklaven gelten minder, und todte verderben den Handel ganz. Gs fucht doch allenthalben die Natur an der Unnatur fich zu rächen. Nirgendwo mag man ernster aufgefordert werden, Be- trachtungen über Selbstständigkeit und Freiheit des Men- fchen anzustellen, als auf dem Sklavenmarkte, dort wo nicht die Vernunft über dem Materiellen, sondern das Geld über der Vernunft steht. Für was Anderes wird denn die Ver- nunft angesehen, als für etwas grobes Wägbares, wenn man fo und fo viel Gold oder Silber in die eine und die von Gott verliehene Vernunft in die andere Wagschale legt? Da wird das zerknirschte Herz jubelnd dem Schöpfer dan- ken, daß man frei geboren ist, und daß man nicht, wie das Vieh ohne freien Willen, einem Herrschlinge blinden Gehorsam leisten muß. So lange indeß der Sklavenhandel nicht abgeschafft wird, fo lange ist unser jubelnde Dank 177 nicht völlig ungetrübt von Besorgniffen, so lange ist Nie- mand sicher vor dem traurigen, wiewohl für die große Mehr- zahl von Menschen höchst unwahrscheinlichen Schicksale der Knechtschaft. Sowohl Mitleiden, das man für den Näch- fen hegen sollte, als der mögliche Fall, daß man selbst in Sklaverei gerathen könnte, fordern fo laut die Verstopfung jener unmenschlichen Grwerbsquelle mit einer Festigkeit, daß fie auf immer verfiege. Das Katzenstift. Wenn man an der schönen Gäma” (Tempel) el- Muri- fän vorbeikommt, so lenkt man in eine gewölbte Gaffe ein. Im Halbdunkel windet man gleichsam sich fort. Endlich erblickt man ein heiteres Gebäude. Man ist schon im Hofe des Kadi und Mufti, wo die Katzen gefüttert werden. Das Gebäude heißt, meines Wiffens, das Murifän- el- Kadym. Wir waren noch zu frühe, um der Fütte- rung zusehen zu können; wir mußten el-Affer (etwa vierte- halb Stunden nach Mittag) abwarten. - Indeß wir müßig herumstanden, näherte sich uns ein Mann in fehr freundlichem Tone. Weil wir in dem Hof des Hohenpriesters oder Mufti uns befanden, fo meinte er, daß wir unsere christliche Religion abschwören wollen, und er fragte wer beschnitten zu werden, wünsche. Er bot sich 178 an, die Beschneidung für 20 Para zu unternehmen. So verteutschte einer der Franken, wenn diesem anders zu trauen war. Es bedurfte nur eines Jawortes, und wir vier wä- ren fämmtlich, ohne weitern Vorgang, in einer Viertelstunde Moslim geworden. Wie vieles Fragen, Bekennen, Schrei- ben und Laufen dagegen in Guropa, bis man in den Schooß einer andern Kirche treten darf, während doch so viel Zeit aufgeopfert wird, um Andere zu belehren, welche Zeit der Mohammetaner in der Regel, mit der Pfeife Tabak, auf dem Diwan zubringt. Wir wollten begreiflich keine Mohammetaner werden. Inzwischen folgten wir der Einladung zum Kadi. Erst traten wir durch den offenen Gerichtssaal, der leer war; dann schritten wir durch die Vorfälle. Ein rother Vor- hang vertrat an einem Orte die Thüre. Wir wurden hier durch in den großen Saal geführt, worin sich der Kadi aufhielt. Gs gibt nichts. Einfacheres, als den Saal. Den weiten Raum schmückt - nicht eine einzige Geräthschaft, außer dem Diwan, welcher an den Wänden herumläuft. Daß man keinen Glanz fuche. Bloß die Decke des Zim- mers war bemalt, doch nicht mit Figuren und ohne Ge- schmack. Der Kadi hockte auf dem Diwan, in einer Gcke am Fenster, die Pfeife im Munde: ein Mann von etwa vierzig Jahren, mit blaffem Angesichte, lieblichem, fchwar- 179 zem Auge, und schwarzem Bartbufche. Er trug einen dunkel- farbigen Turban und Rock. Kein Buch lag ihm zur Seite. Nur las neben ihm ein Mann für sich ein großes, geschriebenes Blatt. Wir machten unsere Komplimente, so gut wir konnten. Wir fuhren mit der Rechten auf Brust, Mund und Stirne, und fenkten unsere Köpfe, worauf die Mützen fein blieben. Der Kadi lud uns ein, Platz zu nehmen. Wir setzten uns, nach europäischer Art, auf den Diwan. Sogleich wurden wir mit fchwarzem, unversüßtem Kaffee bewirthet. Die Diener trugen ihn in kleinen Schalen, welche, von bemaltem Porzellan, in einem goldenen Becher ruhten. Der Kaffee dampfte vor Hitze, wie man ihn in Kairo zu trinken pflegt. Ich befand mich in einiger Verlegenheit, weil ich ihn fchnell trinken sollte, und ich mir nicht gerne wehe thun wollte. Trotz meines fleißigen Blasens, als hätte ich verfrorene Hände aufzuwärmen, und trotz meines langsamen Trinkens, so daß ich der letzte die Schale dem auflauernden Diener zurückgab, brennte ich mich doch ein wenig an der Zunge. Die Gesellschaft fordert allezeit von der Freiheit ein Opfer. Fragte der Kadi, ob unser Gewissen in Ordnung wäre, ob wir Beruf fühlten, es bei den Mohammetanern gehörig einrichten zu laffen. O nein. Unsere Unterhaltung be- rührte weltliche Dinge. Er erkundigte sich nach dem Vg- 180 terland eines Jeglichen von uns. Nachdem wir sodann feine Neugierde und wir mit Herumschauen die unserige befriedigt hatten, wiederholten wir unsere Komplimente und gingen hinweg. Endlich war Mahlzeit für die Katzen. Ein Knabe rief mit einem eigenen Laute, und plötzlich fammelten sich etwa zwölf Katzen. Er warf ihnen Fleischstücke vor, die fie fogleich verschlangen. Kaum aber lag das Fleisch auf dem Boden, fo wurde der Hofhimmel plötzlich lebendig von mehr denn einem Dutzende herumflatternder Raubvögel. Diese erfrechten fich fo weit, daß sie das Fleisch zwischen den Katzen wegpickten, und hart an meinem Kopfe vor- beischwirrten. Die Katzen selbst, auf ihre Speisen nicht minder verfeffen, achteten nicht einmal der fliegenden Räu- ber. Der Knabe fchleuderte einige Male Stücke Fleisch nur ungefähr in die Luft, und sie fielen nicht mehr herun- ter; denn die Vögel pickten im Fluge fiel weg. Es ist nicht ohne Werth, zu beobachten, wie fich auch die Thiere an eine Zeitordnung gewöhnen. Warum sollen denn ge- wiffe Menschen allein fo ordnungslos leben? - - Gine Frau, unzweifelhaft eine Liebhaberin der Katzen, fiftete, heißt es, ein Vermächtniß zu dem Zwecke, daß Katzen, namentlich auch kranke, gefüttert werden. Somit erklärt sich das Katzenstift. Wahrscheinlich werden die 181 Pfaffen das Vermächtniß so gut verwalten, daß mehr in ihre Magen, als in die Katzenmagen spaziert. Man trifft auch an andern Orten des Islams, z. B. in Damaskus, Katzenspitäler. „Es ist bräuchlich“, er- zählt Salomon Schweigger, „daß die Türken den Katzen und Hunden Almosen geben; denn bei dem Stifte Sultan Mehlemet-Jeni in Konstantinopel pflegen sich durchweg um Vesperzeit dreißig oder vierzig elende Katzen zu versammeln, und diesen werfen etliche Türken, die auf demselben Platz vorhanden, etliche Brocken Fleisch oder ge- bratene Leber vor, die man an kleinen Spießlein herum- trägt. Solches wird für ein herrlich Almosen gehalten.” Es liegt ein eigener Zug in dem Mohammetaner, daß er die Katzen so gütig bepflegt. Gs foll daher kommen: Dem Propheten Mohammet warf eine Katze in den Rockärmel Junge. Um diese aber nicht zu beunruhigen, schnitt er den Aermel ab. Daraus fchloffen die Mohammetaner, daß ihr Religionsstifter die Katzen verehrte, und darum vereh- ren fiel die Katzen bis auf den heutigen Tag. G ä r t e n. Ginen ziemlich großen Theil der Stadt nehmen Gärten ein*). Doch fallen fie wenig auf, und gleichsam ver- *) Die Gelehrten des französischen Feldzuges zählten über achtunddreißig- 182 stecken sie sich, wie die Ochsen darin, welche, phlegmatisch in der gleichen Runde herumtappend, das Wafferrad trei- ben. Der Europäer geht nicht ohne unangenehme Gefühle in den Garten, worin der General Kleber ermordet wurde. Der von den fränkischen Spaziergängern besuch- teste Garten ist der Ro fettifche. Wenn in den euro- päischen Gärten die Kunst mehr prangt, mehr Nettheit in der Anordnung, mehr Regelmäßigkeit in der Gintheilung, mehr Fleiß in der Behandlung angetroffen wird, so über- trifft hier die Natur jene weitaus an Pracht und Fülle. Niemand erwartet einen Roman oder eine Novelle aus einem der Luftgärten, und ich wäre wenig geneigt und, meines Dafürhaltens, nicht berufen, dergleichen zu schrei- ben. - Nur möchte ich den Wunsch äußern, daß ein euro- päischer Romanschreiber, dessen Kopf einen Bankerott machte, einen Garten von Kairo besuchte. Hier dürfte er einzig seine Augen aufschließen, und dann in seinem Käm- merlein den Bogen füllen, es würde der Roman über manche von Europa den Sieg davon tragen, daß er zu- gleich die Leserin und den Leser, auf belehrende Weise, in fo abweichende Sitten einweihte. 183 D ie E s bek ie h. Man fühlt sich in den schmalen Gaffen, die von ho- hen Häusern eingemauert find, manchmal so beengt wie in einer Felsenkluft. Man sehnt sich nach einem geräumigen Platze. Das Auge will unumschränkter sehen, und die Brust freier athmen. Im Freien ist Wonne. - - Der berühmte und berüchtigte Platz Gsbekieh versöhnt Einen vollkommen. Bei meiner Ankunft in Kairo bot er das Aussehen eines der reizendsten Seen dar. Ich konnte mich beinahe nicht satt an dem Wafferspiegel ergötzen, def- fen Rahmen ringsum Häuser vorstellten ; weiße neben fchwärzlichen malten ihn bunt, hohe neben niedrigen mach- ten ihn vielzackig. Ich wandelte am Ufer hin und her, und fortan ergriff mich die zauberhafte Stelle der Stadt. Ich schwebte in einer Feenwelt. Wo ist eine europäische Stadt, welche dergleichen befizt? Der Zauber wächst bei dem Gedanken, daß der Grund dieses kurz dauernden Sees, nach der Austrocknung als Spaziergang und Feld benutzt wird. Auf dem gleichen Platze spaltet abwechselnd zu einer Zeit der Schiffskiel das Waffer und zur andern das Feldgeräthe den Waffergrund. Ich weilte in Kairo gerade zur Zeit, da der Esbe- kiehfee abnahm und nach und nach fast ganz eintrocknete. 184 Kaum kam der fchlammige Boden recht zum Vorschein, als ihn schon das Grün wuchernd überspann, und wenn ich zuerst, die ansehnliche Wafferfläche betrachtend, futzte, daß darunter in einer andern Jahreszeit die fchönsten Feldfrüchte gedeihen follen, fo ward mir nachher klar, da ich mit eigenen Augen fah, wie die nackt hervortretende Erde so bald mit einem grünen Teppiche sich bekleidete. In Egypten zeigt die Natur, ich möchte fagen, ihre Reize unverhüllt. Im Wesentlichen würde der See nicht gewinnen, wenn der alte Römer feine Kunst und feinen Luxus daran verschwendete; bloß würde fo etwas mehr be- rauschen und dem verwöhnten Geschmacke mehr schmeicheln. Wo aber wäre wohl die Kunst ohne die Natur? Phyfiologischer und psychologischer Karakter der Einwohner. Die Bevölkerung Egyptens ist ein Mischmasch aus Türken und Mamelucken, aus Kopten und Mohren, aus Arabern und Beduinen, aus Juden und Franken und aus andern Fremdlingen. Erstände Adam aus dem Grabe, er würde fich verwundern, daß fo viele Gnkel von ver- fchiedenen Hautfarben, Religionen und Sprachen im Frie- den beisammen wohnen. - - - 185 Der Kopte, der wahrscheinliche Abkömmling der alten Egypzier, und noch im Besitze einer eigenthümlichen, wenn auch todten, Sprache, ist nicht groß, aber wohl untersetzt; der Teint weißgelblich; Haupthaare, Augenbraunen und Iris fchwarz; das Gesicht voll, kurz, breit; die Stirne breit, nicht hoch; die Augen etwas tief liegend, der Blick mehr brütend, als lebhaft, mehr ernst, als lieblich; die Nafe kurz und ausgebogen; der Mund ziemlich weit ge- spalten und die Lippen dünn; die Zähne fenkrecht und schön weiß; der Unterkiefer hervorstehend und stark. Die Koptinnen, fo viel ich fah, haben roth gefärbte Fingernä- gel, und tragen auf der Haut des Kinnes und in der Nähe des Handgelenkes blaue Figuren. Sie treffen, unter uns gesagt, den europäischen Geschmack nicht ganz genau. Man muthmaßt, daß etwa 200,000 Kopten Egypten be- wohnen. - Der Araber bildet weitaus die größte Anzahl der Ggypzier. Unter diesem letztern Namen find auch vorzugs- weife die Araber begriffen, welche den meisten Boden an- bauen. Die Maffe der egyptischen Bevölkerung ist daher kein alter eingeborener Volksstamm, sondern ein im Laufe der jüngern Zeit eingewanderter und fremder, der sich selbst als fremde zu betrachten scheint. Der Araber, in der Regel nicht fchön, ist mittelgroß; 186 die Leibesfarbe schwarzbraun oder auch kaffeebraun; das Haar, wenn es nicht wegrafiert wird, klein gelockt (doch nicht wol- lig) und schwarz; der Schädel nicht geräumig, das Hin- terhaupt etwas zugespitzt; die Stirne ziemlich hoch, nicht breit; die Regenbogenhaut schwarz, die Augenlieder meist dick, wie aufgewulstet; die Augenbraunen nicht stark; die Nase kurz, die Flügel weit aus einander gesprengt; der Rücken gerade oder ein wenig konkav, der Rand der Scheidewand etwas aufwärts geneigt; der Mund groß, die Lippen dick und auswärts geworfen; die Zähne ein wenig auswärts stehend, weiß, an einander geschloffen; das Kinn etwas hervorragend, die Kinnbacken stark; das Ohr wulstig; die Linie von der Nase bis zum Kinne lang; der Gesichtswinkel demjenigen der Aethiopen sich nähernd, Das Fleisch ist sehr derbe, der Fettapparat unbedeutend, und die Formen nehmen einen Grad von Niedlichkeit an, welcher bei den europäischen plumpen Gebilden, die noch für Vollkommenheiten gehen, vermißt wird. Also der eigentliche Typus der Araber, welche mit den Weißen unvermischt find. Der schwarzbraune Araber hält das Uebergangsglied zu den Mohren. Die Mischung dieses Arabers mit Weißen artet in unzählige Mittelformen aus, welche zuerst den Beobachter verwirren. Des Arabers tiefgelbe Farbe, feine gebogene Nase, feine breite Stirne, fein starker Gesichts- 187 winkel u. f. f. zeugen offenbar von der Vermischung und Verwischung der Typen. - - Die Weiber werden von den Männern an Schönheit übertroffen, und der häßlichere Theil ist mithin das fchöne Geschlecht. Es gibt Mädchen, die schön genannt zu werden ver- dienen, allein zu der Lieblichkeit einen eigenthümlichen Schmerz ausdrücken; dieser aber vermehrt nur ihr anzie- hendes Wefen. Der eigenthümliche Zug, den ich sonst nirgends wahrnahm, liegt in den Mundwinkeln. Hauptsächlich um die Schönheit zu erhöhen, zeichnen beide Geschlechter, nach alter Sitte, verschiedene blaue Fi- guren auf die Haut des Vorderarmes und des Handrückens, meist Sterne, z. B. in Zirkelform, manchmal auch im Zikzak laufende Striche, etwa drei an der Zahl. Die Weiber haben überdieß blaue, fenkrechte Striche auf dem Kinne, manche – gefärbte Augendeckel. Es gibt Män- ner, welche auch auf jeder Seite der Brust mit blauen Punkten bezeichnet find. Alle Zeichnungen auf der Haut erschienen in meinen Augen höchst überflüffig, um nicht zu fagen, fehr häßlich, und niemals konnte ich mich in den sonderbaren Geschmack finden. Das Sprichwort freilich will, daß man über den Geschmack nicht hin- und wider- reden dürfe. 188 Der Kopf der Männer ist, wie beim Morgenländer überhaupt, bis auf die Haut geschoren. Nur ausnahms- weise tragen gewife Religiose oder Heilige*) fliegende Haare auf dem ganzen Kopfe. Die Muselmänner laffen übrigens nicht den ganzen Kopf scheren, fondern auf dem Scheitel eine kleine Scheibe groß Haar wachsen, das manch- mal geflochten, bis zum Nacken herabfliegt, und unter der rothen Mütze mitunter hinten hervorguckt. Mit die fem Büschel Haare könnte man genau die Tonsur der rö- misch-katholischen Priester decken*). Ich geißele die Kopf- fchur als eine abscheuliche Mode, mögen ihre Bequemlich- keit auf dem heißen Erdgürtel immerhin manche Franken aus eigener Grfahrung preisen. Wenn wahr ist, daß das Barbieren unter den Abendländern deswegen aufkam, weil die gütige Natur, die hoch über die Fürsten erhabene, ein- *) Früher gab es sogenannte Santone (Heilige), welche fadennackend auf Pferden herumritten. Es ist nicht lange her, daß der Vizekönig fiel in ein Versorgungshaus schickte, und so begegnet der ärgerliche Auftritt nicht mehr. *) Salomo Schweigger fragte in Konstantinopel nach dem Grunde dieses „Schöpfleins.” Es ward ihm geantwortet, daß, - wenn der Moslim dem Feinde zu Theil werde, und um das Haupt komme, als dann der Kopf am Haarbüschel gefaßt, und ihm nicht mit der Hand in den Maulkorb (Mund) gegrif fen werde, die ihn verunreinigen würde. 189 mal einem französischen Könige einen Bart zu schenken ver- geffen hatte, so dürfte man mit eben so viel Recht glau- ben, daß die Morgenländer ihre Kopfschur einem kahlköpfi- gen Großen verdanken. Man weiß auch, wie gerne Ju- lius Cäfar feinen Kopf vertauscht hätte, nämlich feinen kahlen an einen haarichten, und wie sehr der große Geist fich abmühte, die ausfallende Kleinigkeit zu ersetzen. Der Bart des Arabers ist schwarz, undicht, und wird nicht lang. Er zerschiert ihn zu den wunderlichsten Dingen. Es laffen die Wenigsten ihn ganz stehen; Andere rafieren bloß einen Halbmond über dem Adamsapfel; die Meisten tragen nur den Schnurrbart und den Bart neben den Ohren und über dem Kinnbacken, den Kinntheil nicht aus- genommen. Dies thut so üble Wirkung, als wenn man einem Hahne den Kragen abschneiden würde. Die Bewegungen der Araber sind leicht und ange- nehm, man dürfte beinahe sagen, graziös. Der Mann geht in gerader Stellung und mit Schnelligkeit; ebenso das Weib, welches dabei die gebogenen Arme, mit einer nied- lichen Haltung der Finger, ein wenig emporzuheben pflegt. Die antikförmigen Wafferkrüge trägt es sehr leicht und zierlich. Es nimmt keine Lasten auf den Rücken, felten auf die eine Schulter. So darf das Kind ihm wie ein Reiter auf die Achsel sitzen, indem es ein Bein über die 190 Brust, das andere über den Rücken hängen und mit den Händen ihren Kopf umklammern läßt. Von dem Weibe felbst wird das Kleine nicht gefaßt, und ich mußte mich ordentlich wundern, wie fich kleinere Kinder in dieser Stel- lung gut zu erhalten wußten, während die Tragende da- von eilte. Der Kopf ist der eigentliche Träger, und fo- gar winzige Dinge müffen auf demselben getragen werden. Kauft ein Mädchen in einer Bude für einen Piafter Kaffee, fo wird es ihn auf dem Kopfe nach Hause bringen. Es wurde in Alexandrien auf eine Mauer, die man eben auf führte, einmal über das andere so wenig Mörtel und am Orte der Nachgrabungen so wenig Schutt auf dem Kopf weggetragen, daß fast jede Europäerin sich weigern würde, die Wenigkeit zu tragen. In Kairo wird übrigens so spärlich gebaut, daß man diese Wahrnehmung nicht immer leicht wiederholen könnte. Der Mann schafft die Lasten am liebsten so fort, daß er den Strick über die Stirne anlegt, welcher die Bürde umfängt. Diese liegt am Rücken auf. Er trägt mithin ebenfalls am liebsten auf dem Kopf, aber zu gleicher Zeit auf dem Rücken. Gtwa das Waffer, in ein Ziegenfell aufgefaßt, trägt er über einer Schulter, wie der europäische Jäger seine Waidtasche. Der Lastträger bietet das Eigenthümliche, daß er, außer dem Singen, auch föhnt. Es ist dieß mit nichten gleichsam das letzte 19 Zeichen der Kraftanstrengung, welches das Mitleiden erre- gen folte, fondern der Araber, im Lärmen ein Meister, sucht sich nur durch das Gestöhne das Geschäfte zu erleich- tern. Als Lastträger macht sich der Araber eben nicht be- merklich; darin aber thut derselbe es dem Europäer zuvor, daß er leichtere Bewegungen, wie das Gehen oder Laufen, außerordentlich lange ausdauert, ohne daß er Speisen oder Getränke zu sich nehmen muß. Dem Araber sind, wenn ich mich fo ausdrücken darf, federleichte Lungen und fäh- lerne Muskelfibern gegeben. Wollte man den arabischen Soldaten nach den nicht selten schlechten Kleidern beurthei- len, man würde zur Einseitigkeit verleitet werden. Zu anhaltenden Märschen, bei kärglicher Nahrung taugt kaum ein Soldat beffer, als der arabische. Neben dem Schat- ten erblickt man immer auch Licht. - Was den psychischen Karakter des Arabers anbelangt, fo ist er mohammetanisch finster, und haßt im Grunde fei- nes Herzens den Andersgläubigen. Viele besitzen bemer- kenswerthe Geistesfähigkeiten, doch keine ausgezeichnete, wofern man nicht zur Annahme berechtigt ist, daß ein großer Schatz schlummert. Ruhe und Faulenzen geht nicht bloß dem Alexandrinischen- und Deltaaraber, sondern auch andern über Alles. Damit er nicht die Mühe zu denken sich geben müffe, leiert er gedankenlos nach, was seit Jahr- 192 hunderten wahrscheinlich schon gesungen war. Er lebt blind in den Tag hinein; blindlings nimmt er Weiber und zeugt Kinder. Wenn ihm die Kunst, durch Ersparniffe eine, wo möglich, sichere Zukunft zu begründen, abgeht, so dürfte man freilich auch anfragen: Wird in einem Lande, wo das Eigenthum vor der Regierung nicht ficher steht, zur Sparsamkeit aufgemuntert? Vielleicht beschleicht den Araber dann und wann der Gedanke, daß er am Gnde doch nicht mehr, als Hungers sterben könne. In ihm wohnt eine wahre Diebeseele, aber eine feige. Große Diebstähle begeht er nicht leicht, allein keineswegs aus Gewissensbis fen, sondern aus Feigheit oder Trägheit. Am liebsten fiehlt er Eßwaaren; denn, ein Kind des Augenblickes, weiß er, daß dieselben ihm ohne ein Weiteres nützen. Um Anderes als Eßwaaren zu entwenden, wäre fchon mehr ueberlegung erforderlich, z. B. wie man sie an den Mann bringen könnte, um dafür Nahrung zu bekommen. Im merhin schaut man jeden Araber für einen Dieb an, und wenn der Fremde nicht befohlen werden will, fo muß er in Beziehung auf denselben stets auf der Hut sein. Ein ernstes, muthiges, karakterfestes Benehmen hält ihn leicht im Zaum. Im Uebrigen ist er von Natur fröhlich und aufgeräumt; diese Fröhlichkeit und Aufgeräumtheit streift 193 – – – –- - aber mehr an Leichtsinn, felbst an feile, für den Zuschauer ekele Ausgelaffenheit. Ich beobachtete den Beduinen, diesen unsteten Sohn der Wüste, zu wenig ungestört, als daß ich mir erlaube, von ihm ein Karaktergemälde zu entwerfen. Er schreitet oder reitet stolz einher, felten ohne Feuergewehr, Säbel oder Pistolen. Das Land, wo ein Jofef, Mofes und Aaron ge- lebt hatten, zählt immer noch Kinder Ifraels, aber nicht mehr in jenem Hause der Knechtschaft. Der Mangel an Bekanntschaft mit den Juden Kairo's nöthigt mich, den Faden eher abzureißen, als mir lieb ist. Und die Franken in Kairo will ich hie und da, mehr oder minder leise berühren. Bloß mag ich es hier nicht thun; denn da fie überall ihre Besonderheiten, ihr Fran- kenquartier wollen oder haben, so ist billig, daß ich ihnen auch in diesen Blättern ein Frankenquartier anweife. Ein- zig die levantischen Christen, welche ich wegen ihres An- zuges zuerst immer für Türken hielt, so wie die Griechen, darf ich, ohne eine große Lücke fühlbar zu machen, mit Stillschweigen übergehen. Tobler, Morgenland. 9 194 T r a ch t. Bei der Tracht der Araber muß diejenige des Mannes von derjenigen des Weibes unterschieden werden. Der gemeine Araber geht beinahe immer barfuß. Der aufs einfachste gekleidete hat im Sommer und Winter ein grobes, weißes, gegürtetes Hemde an, und eine weiße oder rothe Mütze auf. Andere tragen dieses Hemde und darüber einen grauen, blauen, schwarzen oder weiß und schwarz gestreiften Rock mit weiten Aermeln (Abba). Zu einer zusammengesetztern Kleidung gehören weite Hosen, welche, unmittelbar auf dem Leibe getragen, um den Len- den und unter dem Knie zusammengebunden werden. Diese zusammengesetzte Kleidung ist jedoch nicht echt egyptisch- arabisch. Ueber den Röcken auf dem Rücken trägt der Araber wohl auch ein Thierfell, defen Pelzseite nach innen gewendet wird. Außer einem Rocke mit weiten Alermeln, hüllt der Araber sich in einen Mantel der nicht umschließt, und der oft über beide, meist aber über die eine oder an- dere Schulter geworfen wird. Mit diesem Mantel bekom- men die Männer ein alttestamentisches Aussehen, und statt- lich ging derselbe schon unterm Steuermanne. Die Fran- ken in ihren engen Kleidern erscheinen gegen so gekleidete Araber als närrische Fratzen. Mich belustigte oftmals, 195 wie der Araber den Mantel in fo verschiedenen Gefalten umhängen konnte. So wenig ich darin etwas Spaßhaftes oder Spotthaftes fand, fo konnte ich mich dennoch der Vergleichung mit dem geschmeidig die Gestalt wechselnden Hute eines Harlekins nicht erwehren. Dieser Mantel oder Ueberrock leistet den Arabern die besten Dienste. Brennt die Sonne, so legen fiel sich nieder, und beschatten damit ihr Angesicht; vor dem Regen schützt er nicht minder wohlthätig, und Nachts sinkt das müde Haupt auf dieses unentbehrliche Gewand. Die Kopfbedeckung hält fehr warm. Wer nur die Kosten zu bestreiten vermag, trägt un- mittelbar über dem Kopfe eine weiße Mütze, welche fich zum Waschen eignet. Diese wird von einer rothen mit einer blauen Troddel (Fis) bedeckt, welche der Turban, eine Auszeichnung des Orientalen, umfängt. Den kleinen Finger schmückt der Araber mit einem Ringe, z. B. von Silber. Die einfachste Kleidung der Weiber ist ein blaues weites Hemde mit einem Schlitze über der Brust, so daß diese selten vor den Blicken sich verbirgt; dazu noch ein Kopf- und Gesichtstuch. Die zusammengesetztere Kleidung erfordert Hofen, die, um die bloßen Lenden geschürzt, in der Mitte geschlitzt, dabei weit find und um den Knöcheln enden, wo fie fest gebunden werden. Das Kopftuch ist 196 viereckig und eine Arr Schleier. Damit wird der ganze Kopf bis zu den Augenbraunen verhüllt, ohne daß es den übrigen Theil des Gesichtes berührt. Dafür fällt es in zierlichen Falten über Schultern und Rücken, beinahe bis zu den Fersen herunter. Dieser Kopfschleier ist nicht im- mer blau, am Rande oft buntfarbig gestreift und mit Fransen besetzt. Ein anderes Kleidungsstück, vielleicht das überflüffigste von allen – – das Gesichtstuch oder der Gesichtsschleier. Diesen stellt ein einige Zoll oder die Breite des Gesichts haltender fchwarzer Lappen vor, wel- cher nichts als die Augen frei läßt, abwärts aber das ganze Gesicht verhüllt, ja manchmal, fchmäler werdend, bis zu den Füßen reicht. Was der offene Brustschlitz des Hemdes unbedeckt läßt, wird bisweilen mehr oder minder kümmerlich von diesem Gesichtstuche verschleiert. Es wird durch zwei Bänder befestigt: durch eines, welches in der Quere um den Kopf herumläuft, und durch ein anderes, welches zwischen den Augen gerade zum Kopfschleier hin- aufsteigt. Das letztere Band wird oft auch durch eine Kette oder Spange vertreten. Hier schlägt eigentlich der Putz feinen Hauptsitz auf. Goldstücke, eines unter dem andern, find in gerader Linie mitten auf das Gesichtstuch genäht. Diese Goldstücke, oft christliche Münze, Duka- ten z. B., besetzen meist die ganze Länge der Gesichtsklei- 197 dung. Die Araberin lockt die Aufmerksamkeit des Mannes auf das Gold über dem Gesichtstuche, als wollte sie da- mit andeuten, daß unter demselben noch mehr Gold glänze. Die Mehrzahl der Weiber trägt keine Schuhe. Mit Rin- gen schmücken die Araberinnen Finger und Ohren. Auch fah ich zwei Weiber mit einem großen Ringe am rechten Nasenflügel. - Es ist ein seltsam Sprichwort: Circulus AUl"GUS in naribus ejus mulier pulchra. Die Jüdinnen tragen fich ganz levantisch. Ich konnte fie von den Türkinnen nicht erkennen. Die Franken find am launigten. Viele richten fich nach der Tracht der Mor- genländer; Andere halten steif an dem Europäer, wieder Andern beliebt ein profosmäßiges Durcheinander. Wenige laffen den Bart ganz wachsen, wie hauptsächlich die Trüm- mer des Saint-Simonismus. Klage man noch nicht über die Flatterhaftigkeit des Franken in feiner Kleidungsart. Die Tracht ist ein Spiegel der Seele. Jeden Weg, wel- cher in diese führt, muß der Beobachter willkommen heißen. Wenn wir gerecht fein wollen, müssen wir im Allgemeinen die Flatterhaftigkeit des Franken geistes ankla- gen, der als ein wahrer Proteus erscheint. – Die Grie- chen verläugnen sich ungleich weniger, als die Franken. 198 Speisen und Getränke. Das Brot macht eine Hauptspeise auch der Araber aus. In Alexandrien findet man recht schön weißes und schmack- haftes (gesäuertes) Brot (pane Francese), welches aber vom Araber bloß als Leckerbissen genoffen wird. Sein ge- wöhnliches Brot ist von schlechter Beschaffenheit. Gr nimmt zermahlene Gerste oder anderes Mehl, knetet bloß mit Waffer einen Teig in einem großen, dicken Napft, und bäckt denselben, in Form eines großen, flachen Kuchens, in der heißen Asche. Dieser Kuchen wird für eine Mahl- zeit gebacken und meistens warm genoffen. Gr ist nicht unschmackhaft, doch etwas schwer verdaulich. Beffer, als dieses grobe Hausmannsbrot, aber minder fein und weiß als das pane Francese, ist jenes egyptische Brot, welches arabische Weiber, z. B. in Alexandrien, mittelst einer brei- ten Unterlage auf dem Kopfe in den Gaffen herumtragen, und unter Anpreisungen: „Kauf Brot, es ist schön und gut”, feil bieten. Die eigentliche Hauptnahrung der dürftigern Klaffe sind Datteln, Feldbohnen (Fül) und Mais, letzterer als Sange, indem er ohne Weiteres, wo es angeht, in dem Ofen ge- fengt (geröstet) und dann abgespeist wird. Als eine häu- fige Nahrung dienen auch Zwiebeln und Rüben oder Reit- 199 tiche. Beide werden frisch genoffen. Alpinus nennt vor allen Speisen faure Milch und das gekochte Zuckerrohr. Wenn man delikater effen will, so greift man nach Gal- lerte (Sulz), viereckigen oder runden, fetten Kuchen, auch nach kleinen Stücken fetten Fleisches, die, mit Petersilie durchwürzt, über dem Feuer geröstet werden u. dgl. Hüh- ner werden viel gegessen“). Die Würste sind von schlech- tem Geschmacke, die Zuckerbrote dagegen vortrefflich. Von Pillau (in kochendem Waffer erweichter und dann mit But- ter gewürzter Reis) hörte ich, wo nicht selten, doch nicht häufig. Der inländische Reis enthält zugleich viel beig- mischtes Salz, entweder des Gewichtes, oder der beffern Grhaltung willen. Man muß ihn daher, vor dem Kochen, *) Es ist bekannt, daß es in Egypten Oefen gibt, worin die Hühnereier ausgebrütet werden. Es verdrießt mich, keinen ge- fehen zu haben. Hundert eben aus dem Ei gekrochene Küchel- chen gelten drei bis vier Piaster (höchstens einen Reichsgulden) bei Kairo. Zur Brütung gehört Wärme überhaupt. Die Hüh- merwärme ist nicht unerläßlich. Als Livia, die Mutter des Tiberius, ein Kind unter ihrem Herzen trug, wollte sie durch verschiedene Wahrzeichen erfahren, ob es ein Knäbchen sei. Von einer Bruthenne nahm sie auch ein Ei, erwärmte dieses bald mit ihrer Hand, bald mit derjenigen ihrer Zofen, fo lange, bis ein Küchelchen mit einem ausgezeichneten Kamme heraus- schlüpfte. 200 fleißig schwemmen, und wäscht man das ausgeschwemmte Salz, so nimmt dieses eine fehr schöne weiße Farbe an, und eignet sich vortrefflich zum Gebrauche. Das käufliche Salz ist von schmutzig gelber Farbe und unrein. Die Milch ist gut; die Abendländer aber behaupten, daß fiel zu fett für sie sei. Häufig wird Milch genoffen, nachdem sie künstlich gesäuert, und zum Schlottern gebracht worden. Die Butter schmeckt gut; man darf nur das Salz auswa- fchen, ehe man fiel genießt. Wie bei uns der Maibutter, fo wird in Ggppten der Christmonat- oder Jennerbutter der Vorzug eingeräumt. Der Käse mürbe, fchmackhaft, aber überfalzen. Der Araber ißt im Ganzen wenig und frugal, fagten die Alten, und diese Frugalität hat fich bis auf heute er- halten. Das Rauchen bleibt immer feine Hauptsache. Ge- bietet er über die volle Pfeife, so gibt er sich zufrieden, wenn er vor dem Einschlafen nur wenige Rettiche zu zer- beißen hat. Die meisten Speisen werden kalt genoffen, ohne Löffel und Gabel. Die gelenkigen Finger müffen diese ungelenken Werkzeuge vertreten. Man darf die Ginfachheit tadeln; aber man muß dann zugleich die vielfältigen Be- dürfniffe und ihre strenge Herrschaft loben. Wenn irgend eine Regel fich aufstellen ließe, fo speist der Araber bei 201 Sonnenaufgang, bei Sonnenhöhe und nach Sonnenun- tergang. Unter den Getränken steht das schlammige Nilwaffer oben an. Gs wird aus dem Nile geschöpft, und in Menge getrunken, ohne vorher gereinigt zu werden. Es war zur Zeit meines Aufenthaltes, nämlich zur Ueberschwemmungs- zeit, im Glase gelblichweiß. Filtriert man es, was bei den Großen geschieht, so wird es lauter und farblos. Es gibt in vielen Häusern Krüge (Bardäka), welche, von einer be- sondern Erde gebildet, die Eigenthümlichkeit besitzen, daß sie das Waffer langsam durchsickern lassen. Dadurch wird es kühl und angenehm. Das Nilwaffer wird aus dem Fluffe auf dem Rücken der Kameele in die zahlreichen Zi- fernen Kairo's geschafft, und aus diesen können es die Einwohner unentgeltlich holen*). *) Die Gelehrten des französischen Feldzuges zählten 120 Zisternen. Der obere Stock dieser Waffergebäude nimmt ge- wöhnlich eine Freischule ein. Es waren nach einer Beschreibung von Alt - Kairo aus dem sechszehnten Jahrhunderte in dieser Stadt bei 8000 Menschen, die allein mit Kameelen Waffer von dem Nil in dieselbe schafften, um es zu verkaufen, wovon der größere Theil dazu diente, die Gaffen zu benetzen, und dadurch den Staub niederzuschlagen. 202 Man wähne übrigens nicht, daß die Araber sich des berauschenden Getränkes gänzlich enthalten. Ein solches heißt Böfa oder Bufa, eine Art Bier, das aus Getreide gegohren wird. Es ist von Farbe weißgrau und schäumt wie Bier, wenn man es rasch rüttelt. Mit dem Bösa be- rauschen fich. Viele. Salomo Schweigger fagt vom „Bösa”, daß es ein gedörrtes, mit Waffer angerührtes Griesmehl fei, und von Türken, wie Egypzern getrunken werde. Nach Profper Alpinus ward „Bösa” aus Lülchmehl (farina loliacea), aus Hanfsamen und Waffer zu einem Getränke oder zu einem Teige bereitet, und es foll in einem gleichen oder noch höhern Grade als Hanf kraut (Affis) einen Zustand der Berauschung, der Entzü- ckung und füßer Träumereien herbeiführen. Zum feierlichen Konstantinopler-Umzuge vom Jahre 1582 gehören die Bio- fatfchi, fo einen graulichen Trank von Brei wie ein Bier machen; den Laden zogen zwei Ochsen, worin ein Knabe den Brei oder Hirsen rieb, der andere das Bösa oder den Trank bereitete. Gleichermaßen wird nach Tavernier das „Bösa” mit Hirsen zubereitet und macht, sagt er, einen Rausch wie der Wein. Allein nach Burckhardt ist Durra der Lieferungsstoff zum Bufa. Wein oder Branntewein trinkt der gemeine Araber nicht oder felten, wohl aber der vornehmere Mohammetaner, 203 am liebsten geheim. Ich fah einen folchen in einer frän - kifchen Wirthschaft, in welcher beinahe nur Franken ein- kehren, fo gewandt den Spiritus trinken, daß ich mich be- wogen fand, mich über den Mann zu erkundigen, und ich vernahm, daß er regelmäßig zuspreche. Gs verdient Er- wähnung, daß mir auf der Fahrt von Alexandrien nach Kairo nichts gestohlen wurde, als eine halbe Flasche Rhum, mein ganzer Reft. Ich fah zwar während derselben keinen Barkenknecht nach dem geistigen Getränke langen, oder sich damit berauschen, welche Enthaltsamkeit den Europäer an- genehm überraschte; selbst als man mir einen kranken Bar- kenknecht vorstellte, und ich ihn Rhum trinken hieß, folge- berdete er sich ziemlich unwillig, und schluckte möglichst in Duodez. - Indeffen konnte die Lüsternheit im Verborgenen nicht gefehlt haben. Ueberall wird der Damm, welcher der Trunkenheit wehren sollte, eingeriffen. Sollte man es nicht dem Schöpfer klagen, daß er den Menschen Vernunft gab, weil fie, nur vermöge dieser himmlischen Gabe, so viel Mittel erdenken können, um dieselbe in ihrer Thätigkeit zu verirren oder zu hemmen ? Von einem echt morgenländischen, und wenn auch nicht unter den Fellah, doch unter der wohlhabendern Klaffe sehr häufigen Getränke will ich so eben besonders reden. 204 Kaffeehäuser. Es gibt sehr viel Kaffeehäuser. Ich besuchte dasjenige, welches nach fränkischer Weise eingerichtet war. Im Vor- übergehen konnte ich wohl die egyptischen sehen. Sie liefern aber, ihrer Einfachheit willen, wenig Stoff zum Beschrei- ben. Sähe man nicht einen Kochofen und die rauchende Kaffeeschale, fo würde man das Kaffeehaus verkennen; man müßte vielmehr glauben, daß die Leute nur deswegen den einsamen Diwan belagern, um Tabak zu rauchen. Aller- dings ist in einem Kaffeehaufe das Tabakrauchen nicht das Geringste, und der Egypzier läßt sich nicht minder gern mit Pfeife und Tabak bedienen, als mit Kaffee. Die Mor- genländer genießen den Kaffee ohne Milch und ohne Zucker. Die Franken heißen einen solchen Kaffee türkischen (alla Turca). - Der Genuß des Kaffees ist in einem großen Theile der Welt gleichsam zum Bedürfniffe geworden, und tausend Napoleone wären wahrscheinlich nicht im Stande, ihn vom Erdballe zu verbannen. Und doch haben unsere alten Vorväter vor nicht einmal anderthalb Jahrhunderten ohne den Kaffee gelebt. Es macht ungemein viel Spaß, wenn man über den Kaffee, als ein den Abendländern unbekanntes Getränke, 205 in den Beschreibungen derjenigen liefert, welche Egypten und Konstantinopel gegen Ende des sechszehnten und zu Anfange des fiebenzehnten Jahrhunderts besucht haben. Ich führe zuerst Salomo Schweigger, welcher im Jahr 1581 in Egypten war, redend ein: Ein anderes Trank wird Chaube genannt, welches man in den Ta- bernen ausschenkt, ist schwarzbraun von Farbe. Das ge- brauchen Gtliche des Morgens. Da versammeln fich viel Türken (des Ggyptenlandes) vor der Taberna, laffen ihrer etliche in einer Kumpanei ihnen eine Schale oder ein irde- nes Schüffelein voll nach dem andern hergeben. Das trin- ken fiel nach einander fein höflich aus, so heiß, als fiel es mögen erleiden. Gleichwie das deutsche gemeine Volk den Brantewein oder Wermuthsgeist des Morgens trinkt, also foll jenes auch den Magen zu erwärmen dienstlich fein. Profper Alpinus, welcher im nämlichen Jahre, gleich auf Schweigger, nach Egypten kam, gibt eine genaue Beschreibung von dem Absude (decoctum) Chaova. Sehr häufig im Gebrauche, sagt er, ist der Absud Chaova, welchen man aus gewissen schwarzen, den Bohnen ähnlichen Samen zu bereiten pflegt. Gr wird übrigens auch aus den Samen decken bereitet, und im letzteren Falle zeigt er sich kräftiger. Die Bereitungsart ist folgende: Man nimmt anderthalb Pfund von den Hüllen befreite Samen, röstet - 206 diese ein wenig über dem Feuer und siedet sie in zwanzig Pfund Waffer, während Andere von den gerösteten und in kleine Stücke zerbröckelten Samen einen Aufguß machen und folche einen Tag lang am Waffer stehen laffen, diejeni- gen aber, welche die Samen ohne Aufguß behandeln, die Hälfte Waffer einkochen. Die durchgeseihte Abkochung dient in wohl verschloffenen irdenen Gefäßen zum Gebrauche. Werden die Samendecken abgekocht, so nimmt man davon fechs bis neun Unzen auf zwanzig Pfund Waffer, wovon die Hälfte eingekocht wird. Der Same heißt bon, und den Baum, welcher ihn trägt, fah ich in dem Garten eines türkischen Bei, wohin er aus Arabien verpflanzt war. Die Egypzier sind dem Chaova nicht minder leidenschaftlich ergeben, als die Franken in ihren Kneipen dem Weine. In der „Hoffhaltung des Türckhischen Keysers,” worin ein im Jahr 1582 zu Konstantinopel gehaltener feierlicher Umzug beschrieben wird, heißt es: „Die Calahuetfchi, fo einen fchwarzen, warmen Trank verkaufen, welcher zu Verdauung der Speisen, Verhinderung des Schla: fes und der Traurigkeit dienen soll, mit rothen und weißen Fahnen, darinnen etliche Buchstaben. Zwei und dreißig haben Verehrung getragen; der andern, Knaben, jungen Leute und Meister, find in die zweihundert gewesen.“ Johann Jakob Ammann, welcher im Jahr 1612 207 in Konstantinopel weilte, läßt sich dahin vernehmen: „Auch haben die Türken noch andere Wirthshäuser, darinnen die Wirthe nichts Anders geben, als schwarz Waffer zu trin- ken, von ihnen Gah wie und von Arabern Lorbeeren ge- nannt, welches mehrentheils von Gerste und andern Sachen gemacht wird. Sie kochen ganze Keffel voll, pflegen es den Gästen in kleinen irdenen oder porzellanenen Schüffeln fiedheiß zu geben. Solches trinken die Türken, wie auch die Araber, fo warm sie immer können, jederzeit ein Schlück- lein auf einmal, bis es aus ist. Welches gar ein gemeiner Brauch bei ihnen, dieses Waffer zu trinken, bei Tage, wie auch Morgens und Abends. Etwa bei fünfzig mehr und minder fitzen da und dort beisammen; währet oft lang mit Trinken, Reden und Konverfiren; wird aber Keiner von dem gedachten Waffer betrunken. Sie vermeinen, es trockne die Flüffe auf, und sei gar ein gesundes Waffer.” Ich vergeffe des Adam Wenn er nicht, welcher im Jahr 1616 nach Konstantinopel gereift ist. „Die Kafu- annen," sagt er, „sind Häuser, in welchen schwarz. Was fer gesotten und von Türken und Andern täglich warmgetrunken wird, fo dem Magen und sonst sehr dienlich. Sie filzen gemeiniglich einen halben Tag dabei, spielen im Schach und Bret (darinnen fiel trefflich erfahren), aber um kein aufgefetzt Geld, sondern wer für den Andern die Zeche 208 zahlt. Gben an folchen Orten finden sich auch Personen, welche unterdessen von ihrer Kaiser und anderer Vorfahren Thaten, auch Historien öffentlich lesen, und hernach des- wegen von den umfizenden Zuhörern etwas Geld bekommen." Wie mühsam mußte man ehemals thun, um fich den Abendländern verständlich zu machen, daß von Kaffee die Rede sei. Dieser Fremdling war damals ein felten Ding in der großen Schatzkammer der Gelehrten, und jetzt kennt ihn jedwedes Kind. Haben Rauwolf und Schweig- ger, Alpinus und Ammann, Wenner und Andere geahnt, daß das schwarze Waffer einst eine Weltherrschaft ausüben, und die besorglichen Aerzte des Abendlandes das- felbe beklagen werden? Die Götter allein entziffern die Zukunft. Schneller Justizgang- In Egypten wird gerichtet und sogleich vollzogen. Das hat wohl fein Gutes, aber auch ein Schlimmes. Durch den lang famen Gang der Justiz windet sich am Gnde mancher Schuldige hinweg, und im kurzen Gange wird mancher Unschuldige erdrückt. Ein Deutscher geht mit einer Flinte auf die Jagd. Auf dem Wege bleibt er in einer Nilbarke über Nacht. Er legt seine Flinte neben fich. Morgen ist sie nicht mehr, 209 Er wendet sich an die Polizei; der Barkenführer (el-Reis) mit ihm. Der Polizeidirektor läßt auf den Vortrag des Franken, ohne weitere Umstände, dem Barkenführer hun- dert und zwanzig Hiebe auf die Fußsohlen messen, weil er nicht beffer für das Eigenthum des Reisenden gesorgt habe, und es kaum möglich sei, daß ohne fein Einverständniß hätte etwas gestohlen werden können. Zugleich muß der Reis für den Schaden einstehen. Das ist ein Beispiel von dem fchnellen egyptischen Ju- fizgange; der Fall ereignete sich eben während meines Au- fenthaltes in Kairo. - - - - Die Sache von geringem Belange richtet und exequirt der Franke selbst. Hochmüthig treibt er sich ordentlich in Kairo mit der Peitsche herum, und traktiert damit den Araber, fobald dieser ihm nicht den Weg räumt. Lebt in Ggypten nicht noch die alte flotte Zeit der deutschen Studenten, welche eben so hoch über die obskuren Philister trabten ? Andere Male regalirt der Franke mit Stockschlägen, mit Ohrfeigen oder Fußstreichen. Kaum wehrt sich der Araber dagegen; viel weniger würde er Gleiches mit Gleichem ver- gelten. Wie müffen die Leute gesunken sein, welche, der Zahl nach, die Herrscher des Landes sein könnten, und sich von Fremden, ich will nicht sagen, von Andersgläubi- 210 gen, auf eine Weise mißhandeln laffen, wie man in Europa nicht überall die Thiere behandelt. Der egyptische Tanz. Man machte früher viel Aufhebens von den Bajaderen. Man bekommt fiel heutzutage minder oft zu fehen. Gleich- fam ein Spiel des Zufalles rief mich auf den Schauplatz des fo feltsamen Tanzes. Ein arabisches, züchtig gekleidetes Mädchen oder, wenn ich der Versicherung trauen darf, gar ein Soldatenweib stellte sich in die Mitte des Zimmers. Es wollte feinen Gesichtsschleier nicht lüften, denn ein häßlicher Mund ver- fäuerte das sonst füßliche Gesicht. Nirgends zeigt man dasjenige gerne, was eine vortheilhafte Meinung trüben könnte. Die Hände femmte die Tänzerin auf die Flanken des Leibes. Nun bestand der Tanz darin, daß das Mäd- chen die Hüften rasch in die mannigfachsten Bewegungen fetzte, während der Körper, so viel als möglich, steif ge- halten wurde. Dieß nahm ein ganz fonderbares Aussehen an, und ich mußte die eigenthümliche Art, das Becken zu bewegen, in der That bewundern. Der Schein meiner Bilder blieb weit hinter der Wirklichkeit zurück. Diese 211 Bewegungen kosteten gewiß Mühe und Anstrengung*), letztere augenscheinlich in dem Maße, daß den tiefbraunen Grund des Gesichtes ein dunkles Blau überflog. Mit den Füßen machte das Mädchen wenig Bewegungen, nicht ein- mal viel trippelte es, und nicht das Kreisende zeichnet den egyptischen Tanz aus. Die Bajaderen fingen wohl auch; unsere ließ sich felten hören. Gin ältliches Weib pauckte mit ausgelaffenen Geberden und fchmetterndem Sange einen Tambour zum Tanze. Nachdem die junge Bajadere ihre Rolle geendet, wollte auch die ältere Matrone eine übernehmen. Sie schürzte den Rock ein wenig auf, und gürtete ihn also um den Leib. Wie wahnsinnig trieb sie den Schooß nach allen Richtungen. Das Alter fchützt vor Thorheit nicht. Jetzt bedurfte ich nicht des Mehrern, um mich von dem Unanständigen des Tanzes vollkommen zu überzeugen. Noch unanständiger erscheint der Tanz beim Manne. Gr fchürzt ebenso den Rock auf, und rüttelt auf gleiche *) Man mag eine Stelle des Juvenal (Jun. Juvenalis sat. I. v. 19) beliebig mit der Bajadere in Verbindung bringen. Von den aufrichtigen Sündern redend, fährt er fort: Sed pejores, qui talia verbis Herculis invadunt et de virtute loquuti Clunem agitant- 212 Weise das Becken. Derjenige Tänzer, welcher feine Fan- tafien auf unserer Nilfahrt zum Beßten gab, führte auch ein Stöckchen in der Faust, und Männer an der Reihe klatschten mit den Händen den Takt. Wenn der Fremde diesem Beckentanze zuerst zuschaut, fo kann er Anfangs wohl das Lachen nicht verhalten. Nachher gewinnt er Zeit, eine moralischen Betrachtungen anzustellen. Ich möchte den egyptischen Tanz nicht verlaffen, ohne einer Merkwürdigkeit aus dem Jahre 1582 zu gedenken. An dem mehrerwähnten großen Prachtzug, zu Ghren des neubeschnittenen kaiserlichen Prinzen Mehlemet, fchloß fich der Dulumtschi: Pascha oder der Hauptmann der Fünf- hundert mit den geschmierten Ziegenhäuten. Gr entblößte fich oberhalb der Gürtel, entkleidete sich bis aufs Hemde, geberdete sich seltsam mit Kopf und Augen, Händen und Füßen. Hierauf zog er das Hemde über den Kopf, machte in dünnen leinenen Hofen feltfame Sprünge, tanzte, zog den Bauch bald ein, bald trieb er ihn hervor, warf die Hüften hin und her, daß es fchändlich und abscheulich zu fehen war. Allein die Türken fanden daran Wohlgefallen, lachten des Tänzers und lobten ihn. Gs wäre freilich vor- eilig, von dieser Einzelnheit auf den fittlichen Karakter 213 überhaupt zu fchließen. - Große Volksfeste haben jederzeit - einzelne Ausbrüche von Rohheit in ihrem Gefolge. Der Brautzug. Voran lärmen Tambour und Pauken. Hier Männer, dort Knaben, hier ein Halbblinder, dort ein Zerlumpter fchlagen darauf los: Alle in Unordnung, in ungleicher Reihe, in ungleichem Schritte, ohne Ernst, herumgaffend, und die Knebel oder Stäbchen scheinen ohne Takt auf die Felle zu fallen, wie die Regentropfen auf die Erde. Im Reiche der Töne Mangel an Takt, wie an den Gebäuden Mangel an Ebenmaß. Daß es dem Egypzier etwas ge- falle, muß es ein Spiel der Ginbildung sein, das kaum Schranken kennt. Jetzt kommen hübsch geputzte Knaben in befferer Reihe, in geschloffener Ordnung. Sie tragen fchönfarbige Krüge von antiker Form. Daraus sprengen fie wohlriechende Flüssigkeiten; so das Rosenwaffer, welches, wie frische Rosen im Garten, den süßen Geruch düftet. Die Weiber mit ihren Lappen über das Gesicht, diese Masken fchreiten zierlicher daher, je zwei neben einander, eines mehr wie das andere bestrebt, damit hochlaut aus ihrer Kehle das Freudengeschrei erschalle, welches dem Frosch- gequak am Nile oder dem Laute ähnlich ist, wenn bei uns 214 die Kinder, die Stimme erhebend, mit dem Finger über die etwas hervorgestreckten Lippen auf- und abwärts klim- pern. Je näher dem Traghimmel, desto fchmuckreicher die Weiber; ihr Gesichtsschleier prangt von größern und klei- nern Goldstücken, und fiel heben ihre Arme aus den weiten, faltigen Seidengewändern, gleich dem Priester, welcher das Volk benedeit. Einen runden Wedel, auf defen einer Seite die Eitelkeit ein Spiegelchen anbrachte, hält ein Weib in der Hand. Es bietet alle seine Rührigkeit auf, damit die Braut zu befächeln. Andere Weiber fpritzen wohlrie- chende Flüssigkeiten. Männer mit kleinen Stäben gebieten und schaffen zur Seite links und rechts Ordnung. In der Mitte zwei schön gekleideter Weiber, unter dem von vier Männern getragenen blutrothen Baldachin erblickst du die Braut. Der Guropäer möchte gern ihre Schönheit bewundern. Vergeblich; sie ist in einem rothen Schleier so ganz und gar verhüllt. Den Kopf kleidet fürstlich ein kronartiger Aufsatz. Um die Stirne und das Gesicht drängt fich ein Goldstück an das andere, ein Gdelstein an den andern; die Braut legt mit morgenländischer Ueppigkeit hier Alles zur Schau, was sie nur Glänzendes auftreiben konnte. Geblendet von den ausgehängten Kostbarkeiten, wünscht man beinahe nicht weiter zu fchauen, obschon das Geheim- mißvolle die Neugierde stachelt; denn man fürchtet, bei 215 gelichtetem Schleier, mit getäuschter Phantasie das Auge wegwenden zu müffen. Hinter dem Baldachine fchalmeien fie in das Getümmel der Pauken und Tambour. Langsam schreitet der Zug, aber immer noch rasch für das neugierige Auge, um das Mannigfaltige aufzufaffen. Wenn der Zug mehr oder weniger pompös ist, so gibt es noch manche Zugaben und Anderes mangelt Einmal gerieth der Brautzug ins Gedränge in einer ziemlich schmalen Gaffe; denn es kam ein langer Zug Ka- meele, deren Ladung am Bauche wie ein Kobold hin- und herpurzelte, und durch ihre Gespenstergröße die Gaffe buch- stäblich mehr als halb füllte. Ich befand mich eben am Baldachine, und die kleine Braut rückte mir nahe. Nur ihre Nase prägte sich unter dem anliegenden, rothen Schleier aus. Die Sonne lauerte fortwährend hinter dem rosigen Gewölke. Auf der Stelle ward die Bedrängte von dienst- baren Geistern umringt, und ein Schwarm von Fingern flog auf den Kopf, feinen Putz zu halten, nicht anders, als führe man eine Glasfigur herum, die man an dieser gefähr- lichen Stelle mit allen Händen beschirmen müffe, auf daß fie ja nicht breche. - - An der äußerst reich ausgeschmückten Mohammetanerin fiel mir ein goldenes Kreuz auf, welches von der Stirne herunter hing. Dieser Theil des Kopfputzes war wahr- 216 - fcheinlich ursprünglich im Besitze der Christen. Putzliebe überwiegt nicht felten sogar religiösen Skrupel. Die Mo- hammetanerin fragt wenig nach der Form, wenn nur Glanz, nur Gold, nur Flitter. Sie versteht die mit Brüchen rechnende Engherzigkeit mancher Protestantinnen nicht, welche, Gott weiß, wie tief sie in die Finsterniß des Papst- thums plötzlich gerathen würden, wenn sich einmal ein Kreuz auf ihre Stirne verirrte. - Wo der Brautzug aufhörte, und wie die weiteren Fest- lichkeiten waren, defen war ich nicht Zeuge, und das ist der Grund, warum ich nicht davon rede. Der Leichenzug. Knaben mit fröhlichen Mienen gehen voran in Reihe und fchlagen Liedeslärm. Ihnen folgen blinde Männer, Hand in Hand, mit vereintem Gesang, ohne Sinn für einen geregelten Zug. Drei Männer tragen hier einen vier- kantigen, dort einen mit einer Firste versehenen fünfkantigen, so flüchtig verfertigten, breternen Sarg, daß der Blick in die Fugen unschwer sich stiehlt. Von ihm erhebt sich ein Turban, auf dem Sarge das Kreuz des Mohammetaners. Liegt ein Mann in den Bretern, so werden fiel mit einem rothen Tuche umwunden, beim Weibe – drängt sich defen 217 Kopfschmuck darum. Hinter dem Sarge selten ein Mann, aber Weiber, verwandte und bekannte, voll bitterer Klagen über den Verlust. Die Hände und das Gesicht dieser Klageweiber find, zum Zeichen der Trauer, blau gefärbt. Am Nile das Trauerblau, bei uns das Trauerschwarz, anderwärts das Trauerweiß, – was ist denn die Trauer- farbe? Ein hellblaues Tuch, um in der Schilderung fort- zufahren, umflattert über dem gewöhnlichen Schleier den Kopf, – und ein blaues Tuch, an den Zipfeln mit bei- den Händen faffend, fchleudern die Klagefrauen mit gellen- dem Schrei gegen den Sarg, als wollten fiel dem Sensen- träger die Beute abringen. Nur die weiblichen Verwandten tragen die blaue Trauerfarbe, kein einziges Trauerzeichen die Uebrigen. - Ach, der Todte bleibt todt, todtenbleich und todtenstarr, mögen ihm die Einen leise nachweinen oder laut nachschluch- zen, die Andern gellend nachschreien. In Alexandrien hörte ich von einem Haufe herab zuerst den unvergeßlich gellenden Lärm; ich wußte nicht, ob von einigen verrückten oder im Zanke begriffenen Weibern. Ich fand wie verdutzt da, als man mir die Erscheinung dahin aufklärte, daß darin eine Person gestorben wäre, und daß, zur Bezeugung der Trauer, so lange in demselben Haufe geschrieen, bis sie daraus getragen würde. Es wäre manch- Tobler , Morgenland, 10 218 mal an einem Trauerfalle fol genug, daß man diesen nicht überlaut verkündigen oder amplifizieren dürfte. Der Straßenfänger. Da steht ein Jüngling, der mit der einen Hand das Ohr zuhält, mit der andern dann und wann hinter den fchwarzbraunen Nacken fährt. Gr fcheint Galls Tonor- gan nachfühlen zu wollen. Er trägt eine Mütze und eine Jacke, weiter aber keinen Faden am Leibe. Das ist ein Sänger in einer der Hauptstädte des osmanischen Reichs. Die Stimme klang nicht unangenehm ; aber wenig Wechsel in der Singweise, zum Unglücke verstand ich kein Wort. Ich zweifle nicht, daß Alles artig und poetisch gewesen fei; denn es hatte ja sich in dem Sänger felbst der Ausbund von Poesie personifiziert. Was ich gut ver- fand und mich zum herzlichen Lachen rührte, war das Gekrähe eines jungen Hahns, das Gebell eines Schoß- hündchens und das Gefauche einer Katze, welche anmuthi- gen Töne der Virtuose nach jeder Strophe vortrefflich nach- ahmte. Die Nachahmung der Thiere ist freilich mehr er- götzlich, als des Menschen würdig. Der Guropäer meinte in Ggypten, er lebe in einer ganz andern Welt, wenn ihn nur zur rechten Zeit und 219 zur Unzeit, mit Erlaubniß zu fagen, die Flöhe und die Wanzen nicht fechen, wenn nur die Sonne viereckig und der Mond hornlos, das Feuer kalt und das Waffer tro- cken wären, wenn nur, worauf es eben jetzt ankommt, nach einer andern Melodie die Hähne krähten, die Hunde belten, die Katzen fauchten; aber fogar die egyptischen Menschen kennt der Europäer auf dem Resonanzboden Europas, wenn fie. fchwatzen, wie die egyptischen Hähne, Hunde und Katzen. Dagegen liefert Europa manchmal Konterfeie feiner selbst, welche dem Urbilde gleichen wie John Bull einem Känguruh. Der Versteigerer. um etwas dem Meistbietenden zu überlaffen, find in Europa erst lange Berathungen, Edikte, Zeitungen, Liz- tazionskommissarien nöthig. Niemand versteht besser, auf krummem Wege das Ziel zu verfolgen, als der Abend- länder. Ein Araber ging die Frankengaffe, in der Hand ein Hausgeräthe, womit er die Schaulust möglichst reizte, und rief den Preis desselben mit lauter Stimme aus. Er hört aus einer Bude ein Gebot; er wiederholt es; aus einer andern Bude vernimmt er ein höheres Gebot; er wieder- 220 holt auch diefes. Hin- und herrennend, als hätten ihn die Bremsen angebohrt, wiederholt er die Gebote, bald in arabischer, bald in italienischer Sprache. Sobald die Ge- bote nicht höher steigen, und das höchste dem Versteigerer anständig ist, so überläßt derselbe den Gegenstand dem Meistbietenden. Hier befindet sich der Araber in der That auf dem rechten Flecke, wo es ihm denn trefflich zu Stat- ten kommen mag, daß er so gerne lärmt und fchreit. Der Barbier. Gs ist ein kurios Ding um den Bart, daß er am Ant- litze des Mannes zur Schererei entsproffen sein soll. Die beffern Barbierstuben Kairos find prächtig ausge- stattet. An die Wände lehnen sich unbewegliche Reihen fchnörkelhafter Sitze von hartem Holze, wie in einem Kir- chenchore. - Da zwängt man Ginem den Kopf über die Brust, um die Schwarte nackt zu scheren; dort wird die Lippe fraff angestreckt, um die Mundwinkel auszuputzen, dort der Kopf rücklings umgebogen, über dem Adamsapfel einen Streifen wegzubarbieren. Wenn in einer Stube. Mehrere barbiert werden, fo machen die Köpfe so verschiedene Rich- tungen, als wären sie aufs allergutmüthigste illuminiert. 221 In den Barbierstuben wird man nicht in hockender Stel- lung rafiert, wohl aber auf den Gaffen. Der Barbier schneidet die Stoppeln völlig auf der Haut, fähier wie ätzend, und er versteht in Summa feine Kunst meisterhaft, Leicht handhabt er das scharfe Meffer, es bald auf- bald abwärts, bald seitwärts führend über fast alle Theile des Kopfes. Jeder mag sich im runden Spiegel, welcher, in einen fchmucken Rahmen gefaßt, von dem Barbier mit Selbstzufriedenheit unfehlbar dargeboten wird, selbst über- zeugen, ob ich in guten Treuen schilderte. Der Lagerstellenmacher. Die Lagerstellen der Egypzier haben etwas eigenthüm- liches, da sie gleich einem Käfiche zusammengefäbelt find. Lagerfellenmacher, wie hier, dürften in Europa fchwerlich gefunden werden. Die Noth fchuf im Nilthale die Gigen- thümlichkeit; es gebricht an größerm Holze, welches den Hobel zuläßt. - - Der Lagerstellenmacher besitzt keine Bude; er begnügt fich, in dem Winkel einer Gaffe oder sonst wo zu hocken. Ein Schneide- und ein Hohlmeffer find feine Werkzeuge. Mit erfterm fchnitzelt er die Holzstäbchen etwas zurecht, und gibt ihnen die gehörige Länge; mit letzterm schlägt er Oeffnungen, dadurch die rundlichen Stäbchen zu ziehen. 222 Kein Pinsel beleidigt je diese Lagerstellen. Sie tragen den Schweren, wie den Leichten, den Müden wie den Muntern, den Schlafenden wie den Wachenden; dem Sün- der aber nehmen fiel die Last feines Herzens ebenso wenig ab, auf daß ihn eher der fanfte Schlaf erquicke, als die europäischen köstlichen und bequemen Bettstellen solch ein Wunder zu bewirken vermögen. - - - Der Glaser. Als ich die Einsetzung von Scheiben verlangte, kamen zwei Menschen, ein gefetzter Mann und ein Jüngling von etwa fechszehn Jahren. Der Kontrakt in Betreff der Schei- ben war bereits geschloffen. Wer sich eine Bedeutung ge- ben will, muß doch die Kleinigkeiten umständlich be- handeln. - Der Glaser ließ sich auf den Boden nieder; der Ge- hülfe ihm gegenüber. Sorgfältig fehlug jener die hölzernen Nägel aus den Fensterrahmen. Gr arbeitete langsam, aber sicher; so war fein Augenmaß. Statt eines Diamants be- diente er sich eines Bröckchens Granit. Wenn dieser nicht tief genug fchnitt, so führte er ihn auch über die Rückseite des Glases. Dann ballte er die rechte Hand, nahm die Scheibe zwischen den Zeigefinger und den auslangenden - 223 Daumen, und drückte folchergestalt mit Behutsamkeit ab- wärts, um das Glas über den Riß abzubrechen. Dieß gelang ihm freilich nicht, daß er eine schöne, ebene Linie bekam, doch brach er auch nicht fehl. Ich glaube, der beste europäische Glasermeister würde mit einem solchen Hülfsmittel kaum beffer das Glas gebro- chen haben. Gs ist immer eine Kunst, mit Wenigem ge- hörig auszureichen. Der Schuhmacher. Ohne eine lederne oder tüchene Schütze, ohne pech- schwarze Hände fitzt der Schuhmacher auf einem niedrigen Stuhle vor einem runden, ebenfalls niedrigen Tische, wel- cher der Querabschnitt eines Baumstammes und auf drei breite Füße gestützt ist. Die Schuhleisten weichen von den europäischen kaum ab, wenn nicht darin, daß fie, ohne den Moden unterworfen zu fein, alle fpitz find. Wie oft wird der europäische Schuhmacher durch die Modefucht . Anderer geplagt, und wie ruhig kann deshalb der egypti- fche fchlafen. - Der Flatterfinn der Modenjournalisten er- zeugt fürwahr eine Menge Qualen. Mit einem Stücke - Meffing, welches die Form eines Mörferpistils, nur eine breitere Birne zum Schlagen hat und kürzer ist, werden Leder und Nähte geklopft. Flink 224 schneidet dasselbe mit einem leichten Schroteifen der Schu- fer, der überhaupt mit einer großen Fertigkeit arbeitet. Der Mohammetaner näht nicht mit Schweinborsten, weil nach feiner Ansicht. Alles, was vom Schweine kommt, un- rein macht. Den gelben und grobkörnigen Stoff oder den Kleister, womit ein Lederstück auf das andere gekleibt wird, erkannte ich nicht. Die egyptischen Schuhe find dem Klima angemeffen: leicht, halten fiel wenig warm, werden aber bald durchnäßt. Der Töpferwaarenflicker. In einem Lande, wo man mit schönen Porzellangefäßen so viel Aufwand treibt, ist es oft keine Kleinigkeit, wenn etwa eines bricht. Porzellan kommt hoch zu stehen, und fo wird leicht erhellen, daß man fich Mühe gibt, die Bruch- flücke zu einem Ganzen zu vereinigen. In Europa fehlt es nicht an gutem Kitte für Töpfer- waaren; doch hält felten einer längere Zeit, und in die Bauernhäuser fand er den Weg noch nicht. Sehr pfu- fchermäßig werden bei uns die Bruchstücke mit einem Drahte auf die Weise zusammengeheftet, daß er, nachdem er an beiden Enden sich berührt, gezwirnet, und an das Gefäß gedrückt wird. 225 Was ist denn das für eine Bude? fragte ich mich, als ich darin einen Haufen gemalter Scherben, davon die mei- fen von Porzellan, erblickte. Gin Mann hockte an der einen Wand, und bog den rechten Fuß auf den linken Schenkel. Er legte eine Scherbe auf die große Zehe, an der Stelle, wo er bohren wollte. Ohne jene mit einer Hand zu fixieren, setzte er den Bohrer an. Diesen brachte er mit einer Art Geigenbogen in Bewegung. Nämlich die Schnur des letztern umschlang den Bohrer einmal, unge- fähr in der Mitte, und indem der Arbeiter den Bogen hin- und herbewegte, drehte sich der Bohrer bald rechts, bald links um die Achse. Das Loch ließ der gewandte Handwerker nicht durchdringen. Nachdem zu den Seiten des Bruches ein Loch neben dem andern angebracht war, wurde der klammerförmige Draht, indem er quer über den Bruch fich zog, unter fanften Schlägen eingehämmert. Die Bruch - und Bohrstelle beftrich der Tausendkünstler mit einem Kitte, welchen er fogleich bereitete. Er knetete bloß Gierklar und Gips ohne Feuer zu einem Teige. Ich darf nicht erst beifügen, daß die Hefte beinahe niedlich aus- fahen, und an der innern Seite des Gefäffes nahm man fie nicht einmal wahr, eben weil die Bohröffnungen nicht durchdrangen. Die fleißige Arbeit verfehlt den Beifall - 226 nicht, und schiene fie felbst ihrer Geringfügigkeit willen keinen Fleiß zu verdienen. Die Missionarien. - Das protestantische Frommthum und Frommthun be- wacht Kairo mit nicht weniger denn drei Miffionarien, und zwar mit lauter Teutschen: Krufe, Lieder und Müller. Ich erblickte in diesem Missionariate weniger minder, als protestantischen Luxus. Die vielen Bemühun- gen, bisweilen nicht ohne übertriebenen Gifer, werden äußerst selten mit einer Bekehrung belohnt. Auch darf das Christenthum nicht durch die Zahl seiner Bekenner nach einem arithmetischen Scheinwerthe gelüften, sondern es soll durch feinen innern Reinwerth glänzen. Den in Kairo angekommenen und niedergelaffenen Frem- den aus dem Abendlande, mögen die Miffionarien nicht überflüffig erscheinen. Wenn der Ankömmling nicht gerne in das Gewühl der fränkischen Kumpanei fich wagt, so kann er sicher fein, bei diesen Männern gute Gesellschaft zu finden. Er leite das Gespräche nur anfänglich so, daß fie ihn nicht mit überfrommen Dingen bestürmen. Nir- gends fließe man sonst auf größeren Kontrast. Dießseits die Jesusherzeleien, jenseits die unfläthigste und unzüchtigte 227 Zunge und zwischen zwei Enden – – Einsamkeit und Langeweile, wofern man nicht glücklich genug ist, in der Mitte derselben Gleichgesinnten fich anschließen zu können. Mit Lehren und Predigen, Briefeschreiben und Diskuri- ren verbringen die Missionarien ihre meiste Zeit. - Man- chem Abendländer helfen sie auch wohlthätig aus der Noth. Der Sonderbarkeit muß ich gedenken, daß das Auditorium der Prediger eben auszusterben im Begriffe war, und daß bloß noch zwei Katholiken, doch mehr aus Liebe zur deutschen Sprache, den protestantifchen Predigern zuhörten. Lieder macht auch den Arzt nach den Grund- fätzen der Homöopathie. Müller langweilte mich durch feine mystische Deutelei des Hahnemannianismus außerordentlich, und ich überzeugte mich aufs Neue, daß die Homöopathie der Mystizismus der Medizin ist. Daß die neuen Apostel nicht bloß lehren und predigen, schreiben und diskurieren, liegt in der Natur des Men- fchen. Gin wohlbestellter Tisch wird nicht etwa nur ange- schaut, und Krufe ritt einen ebenso fchönen, als präch- tig gesattelten Gfel. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß man hie und da die Demuth, gleich einem Kruzifix, in Gold einfaßt. 228 Die Menegaten. Frankreich fchuf die neue Lehre des St. Simonismus. Die Anhänger desselben, in ihrem Vaterlande von allen Seiten beunruhigt, ausgelacht, verspottet, gehaßt, vermin- derten sich dadurch, daß ein Theil den Wanderstab ergriff. Der Pabst Enfantin und Andere zogen nach Ggypten. Man zeigte mir in Kairo öfter Saint-Simonisten. Sie zeichneten fich vor den übrigen Franken durch einen langen Bart aus. Sie führten ein ziemlich gesondertes Leben. Auch eine St. Simonistin fah ich, und billig machte ich meine Gloffen. Enfantin scheint entweder wenig gekannt, oder beinahe vergeffen zu sein. Wenn ich auch nach ihm mich erkundigte, fo wollte man doch in der Regel nichts von ihm wissen. Nach den Ginen lebe er, von dem Geräusche der Städte entfernt, in der Ginsamkeit; nach einem An- dern habe er das Zeitliche gesegnet*). Egypten gibt allen Glaubensbekennern Zuflucht, ohne daß es jedoch mit der eigentlichen Toleranz, Humanität und Liebe den Andersgläubigen begegnet. So werden von den Abendländern die Juden geduldet. In der neuern Zeit zogen die St. Simonisten deswe- *) Später kehrte Enfantin wieder nach Frankreich zurück. 229 gen das Gerede auf sich, weil einer um den andern zum Mohammetanismus hinübertrat, ob aus Ueberzeugung oder aus Habgierde, oder aus Rache gegen die Christen, weiß derjenige, welcher die Nieren der Menschen prüft. Es gibt indessen hin und wieder auch andere Franken, welche ihren Glauben verläugnen. Ich habe, um mich felbst anzuklagen, mit meiner Toleranz es noch nicht fo weit gebracht, daß nicht unangenehme Gefühle fich meiner bemächtigten, wenn ich einen Renegaten erblickte. Im Falle wirklich reine Ueberzeugung als Triebfeder zur Rene- gazion wirkte, fo laffe ich mir diese gefallen. Wie schwer hält es aber, daran zu glauben, wenn man lediglich erwägt, daß die Renegaten die Religion der Zivilisierten unfers Grdballs verlaffen, um fich zu derjenigen der Halb- barbaren zu bekennen. - Ich kannte einen Renegaten, welcher in Verachtungs- würdigkeit seinesgleichen sucht. Durch die Abschwörung feines Glaubens hoffte er steif und fest auf Beförderung. Er sprach von nichts lieber, als von einem zu erhaltenden Orden, z. B. wie er die beste Wirkung für das Auge thun werde. Er wählte sich ein Weib. Die Hochzeit ver- fchlang feine Barschaft. Gr wünschte ein hübsches Mäd- chen. Er bekam, im Sinne der Egypzier, eine Vettel, Er verstieß fie. - Wenn die Sperlingfeele würdig wäre, 230 dem großen Cäfar verglichen zu werden, fo träfen ihn die Worte, deren Curio für diesen Römer sich bediente, daß er der Mann aller Weiber und das Weib aller Männer sei (omnium mulierun virum et omnium verorum mu- lierem). Mehr darf man nicht fagen, um den niedrigen fittlichen Standpunkt anzugeben. Und das ist ein Re- negat, ein gewesener Christ und ein nunmehriger Mo- hammetaner. Soll die Religion dienen, zu irdischem Wohlleben und Glanze emporzuhelfen, fo würdiger man sie mit ruchlosem Herzen zur Magd roher Sinnlichkeit herab. Müsterchen von Europäern in Egypten, oder ein - Porträt über Kairo aus Europa. - - Zu den pikanteren Dingen, nach meinem Geschmacke, rechne ich den Lebenslauf der nach Kairo zerstobenen Euro- päer. Weil diese Stadt so weit von Guropa abliegt, so müffen Neigungen und Verumfändungen seltener Art die große Reise veranlassen. Die Europäer in Kairo verdienen im Ganzen den Ruf der Lockerheit. Gut effen und trinken, reiten und müßig gehen u. dgl. treten als Hauptzüge in ihrem Leben hervor. Das Schuldenmachen ist das Allerunschuldigte, und das Nichtbezahlen der Schulden etwas Gewöhnliches. Daß 231 auch Personen höhern Ranges in Schulden stecken, ist frei- lich nichts Bezeichnendes für die egyptischen Franken, und, dem guten Tone der Europäer zu lieb, möchte ich es ja nicht tadeln. Ich kannte einen General, welcher einem armen Schlucker an 100 Piafter schuldete. Dieser begab fich oft zu ihm, die Anforderung zu erledigen. Es hieß immer morgen. Und warum: Morgen? Weil der Sold schon ein Zahr lang beim Pascha ausstehe. Uebrigens bewegt sich dieser General auf einem sehr glänzenden Fuße; viel Gefinde, Pferd und Kameel, Strauß und Fasan und dgl. reden von feiner Herrlichkeit. Solchen Aufwand zieht er dem Abtragen der Schulden und der Erleichterung eines geldbedürftigen Mannes vor. Ein Angestellter, welcher bei einem monatlichen Einkommen von 500 Piafter (an 200 Gulden R. W.) demselben ehrlichen Schlucker schuldig war, überschwemmte sich lieber die Nacht hindurch in der rauschenden Gesellschaft des theuren Bacchus, lieber bezahlte er Andern die Zeche, lieber hielt er einen eigenen Esel lieber bereitete er sich andere Lustbarkeiten und Bequemlich- keiten, als daß er seinen Gläubiger zufrieden stellte. Ich hüte mich wohl, den großen Ton lächerlich zu machen, aus Besorgniß , daß man mich des kleinen Tones zeihe. Wer frisch in Kairo ankommt, und gerne Geld aus- hängt, der rechne zuversichtlich auf Freundschaft, aber, mit 232 Erlaubniß zu fagen, auf eine Zungen-, keine Herzensfreund- fchaft. Der schwärzeste Undank folgt meistens der Gabe oder dem beßtgemeinten Darlehen. Manche Guropäer langen in Kairo an, ohne daß fie etwas mitschleppen, als das Kleid am Leibe; denn auf alsbaldige Anstellung und damit auf Eröffnung der Gold- gruben zählen fie fo ficher, als der gläubige Christ auf das Erbe des Himmels. Wenn fiel dann nicht geradezu betteln oder, nach ihrer vornehmen Redensweise, Geld entlehnen, fo fchenkt ihnen noch ein Gastwirth Kredit. Wunderbar find die Künste der Berechnung. Bei aller Armuth aber find fie, in ihrer verbindlichen Stellung gegen den Wirth, genöthigt, wohl zu leben, z. B. Wein zu trinken. So natürlich; je mehr der Wirth aufschreibt, desto mehr ge- winnt er; denn an irgend einer Anstellung zweifelt Nie- mand. Aus einem Militär erfümpert man exempelsweise einen Zeichenlehrer für die medizinische Schule. Der Wirth spielt mit den neuangekommenen und geldentblößten Abend- ländern Lotterie, welche ihm jedenfalls Vortheil bringt, muß er auch hin und wieder eine Niete ausbezahlen. Daß Stümper, Weltlinge, am meisten noch Glücksrit- ter, manche Verschuldete, felbst auch Verbrecher eine große Zahl der Franken in Kairo bilden, leidet wohl keinen Zweifel. In dem Kaffeehaufe, wo Spanier, Franzofen, 233 Engländer, Deutsche, Polen, Italiener und Griechen bunt durch einander gemengt waren, konnte ich mich oft der wunderlichsten Gedanken nicht erwehren: links faß vielleicht ein Betrüger, rechts ein Dieb, vor mir ein Todtschläger. Ich will nun eine biographische Skizze der Mittheilung nicht vorenthalten, ohne daß ich jede Ginzelnheit verbürgen möchte. Undank für treue Liebe. Ein junger Mann gewann ein Mädchen lieb. Er war Katholik und fie: Protestantin. In feiner heimatlichen Ge- gend warf die Gingehung einer gemischten Ghe ungemein viel Staub auf. Um die Schwierigkeiten auf dem richtig- sten Wege zu beseitigen, unternahm er eine Reise nach Rom. Hier erlangte er von der Kurie die Grlaubniß zu einer pa ritätischen Ghe. Auf der Heimreise hielt er sich eine Zeit lang in Triest auf, wo er, als Mechaniker, das Auskom- men zu einer gänzlichen Zufriedenheit fand. Gr schrieb feiner Geliebten, daß ihm die Heirathsbewilligung ertheilt worden sei, und daß auch fiel die weitern Schritte thun folle, wo dann er ohne Verzug zurücktreffen werde. Die Eltern indeß, schon lange dem katholischen Freier ungünstig, wußten während der Abwesenheit des Liebhabers überwie- 234 genden Einfluß bei der Tochter geltend zu machen. Kurz, fie knüpfte eine andere Bekanntschaft an. Wem auch schon ruhige Augenblicke vergönnt waren, das Seelenleben nach feinen Ursachen und Wirkungen zu durchschauen, findet in der Liebe eine mächtige Triebfeder zu vielen eigenthümlichen und außerordentlichen Unterneh- mungen. Tief ergriff die Nachricht von der Untreue des Mädchens den Geliebten, welcher ein so großes Opfer, wie die Reise nach dem entfernten Sitze des römisch-katholischen Oberhauptes, nicht scheute. Es verdüsterte sich fein Ge- müth in dem Grade, daß er Europens überdrüssig wurde. Er reitete nach Jerusalem, und von dort nach Kairo. In der Hauptstadt Egyptens fuchte und erhielt er als musika- lischer Instrumentenmacher eine Anstellung bei der Regierung, obschon er von der Musik so viel als nichts verstand, mithin auch die Instrumente nicht stimmen konnte. Musikanten von feiner Bekanntschaft halfen ihm aus der Klemme. Mitt- lerweile vervollkommnete er sich in der Kunst, bis er durch Ohrenbläsereien und durch geheime Untergrabungen von fei- ner Stelle verdrängt wurde. Später eröffnete er eine Bude, worin er arabische Bibeln“), andere Bücher und auch an- * Sie gehörten dem protestantischen Missionariate. Es wur- den ungemein wenig abgesetzt. Ich fah einmal einen vorüber- 235 dere Dinge feil bot. Hart prüften langwierige Ruhr und andere Mißgeschicke sein Leben. Unter österreichischer Protekzion. In Ermangelung eines schweizerischen Konsulates mußte ich mich in ein fremdes fügen. Ich hatte Ursache, das österreichische zu wählen. Als ich in Wien die Arzneiwif- fenschaft studierte, wurde mir von Seite der Hochschule zu viel Gutes zu Theil, um Oesterreich undankbar vergeffen zu können; als ich im Jahr 1834, zum Theile in fchrift- stellerischer Absicht, eine Reise nach Wien unternahm, ward mir so viel Unterstützung gewährt, wie ich fiel kaum erwar- ten durfte. Zudem war es Anfangs fchon nicht ganz un- wahrscheinlich, daß ich über Oesterreich zurückreifen werde, in welchem Falle, dachte ich, am zweckmäßigsten der Reise- paß mit den Visa der österreichischen Konsuln versehen wäre. In Kairo bedarf man, strenge genommen, keiner Auf- enthaltsbewilligung. Die egyptische Polizei bekümmert sich in der Regel um die Franken wenig oder gar nicht. Einen gehenden Mohammetaner anhalten und eine Bibel aufschlagen; kaum schielte er den Titel recht an, als er sie wieder aus der Hand legte. 236 Tag nach meiner Ankunft stellte ich mich bei dem österrei- chischen Konsul, Herrn Champion, und drückte ihm meinen Wunsch für österreichischen Schutz aus. Er nahm auf eine verbindliche Art den Paß in Verwahrung, und damit war Alles in Ordnung. Der Aufnahme von Seite des Herrn Champion fowohl als des österreichischen Ge- neralkonsuls in Alexandrien, eines eifrigen Freundes der schönen Künste und des Besitzers einer ansehnlichen Ge- mäldesammlung, zolle ich meine wärmste Anerkennung. Ich fand an beiden Männern ebenso gut unterrichtete als gefäl- lige Rathgeber. Vielleicht würde man es miffen, wenn ich mit Stillschweigen überginge, daß mein Paß auch an der letzten Stelle „gratis” visiert wurde, weil es nicht überall der Fall ist. - Ehemals herrschte die nicht felten lästige Sitte, daß die Reisenden von den Konsuln zu Mahlzeiten eingeladen wurden. Es scheint sich dieselbe zu verlieren. Meine Wohnung. Am Tage meiner Ankunft fuchte mich ein Schweizer auf, weil er vernahm, daß ein Landsmann angelangt sei. Die Ferne nähert die Gemüther. Wiewohl ich mich außerordent- lich freute, einem Schweizer in fo großer Entfernung die 237 Hand zu schütteln, so wollte ich dennoch mit einiger Vor- ficht mich einlassen. Denn die Schilderung der in Kairo fich aufhaltenden Franken, die mir zu Gesichte kam, machte mich bei Anknüpfung freundschaftlicher Bande eher furcht- fam. Ich erfuhr aus guter Quelle, daß der Schweizer ein wackerer Mann sei, und da ich dieß bei jeder Gelegen- heit felbst bestätigen konnte, so nahm ich keinen Anstand mehr, mit ihm in freundschaftliche Verhältniffe zu treten. Er ist aus dem schweizerischen Kanton Thurgau gebürtig, und fein Name Karl Baumgartner: gewiß einer der edelfinnigsten Franken, die in Kairo leben, ein Mann, deffen Andenken mir immer theuer bleibt *). Baumgartner hatte ein halbes Haus in Miethe, und bei ihm lebte ich in Aftermiethe. Daß ich auch hier auf zerbrochene Scheiben stieß, defen verwundere man fich nicht. In keiner größern Stadt fah ich so wenig auf die Glasscheiben verwendet, als in Kairo. Blind vor Staub ist die Menge, man läßt sich die Mühe zum Waschen reuen, und zerbrochene Scheiben oder Scheibenlücken verun- zieren felbst manches beffere Haus. Die zerbrochenen Schei- *) Der Mann starb auf einer Kurreise nach Oberegypten im Jahr 1837. - 238 ben mochte ich aber auch hier nicht leiden. Wir ließen den Glafer rufen. Ich wohnte im Frankenquartiere (Härah el-Musky). Wo? kann ich hier fo wenig genau angeben, als ich es vor dem Konful konnte. Die Franken fagen, bei wem fiel wohnen, oder nennen auch einen Hauptplatz, ein Thor u. f. f. Mein Zimmer war fo hoch, wie eine Kapelle, und man hätte nur einen Altar bauen dürfen, um in einer wirklichen Kapelle zu wohnen. Eine Fledermaus, welche Nachts herum flog, erfreute sich eines fo großen Spielraums, daß fie, hin- und herflatternd, nie nöthig fand, an meinen Kopf zu freifen. Meine Nahrung und Getränke. Aus dem gebirgigen und kaltwinterigen Lande Europas in das niedrige und heiße Land der Afrikaner versetzt, nahm ich mir vor, Alles pünktlich zu meiden, was meine Ge- fundheit beleidigen könnte. Der Magen würde fchwerlich unter dem Haupte liegen, wenn er Herr im Leibe fein müßte. Vorzüglich hütete ich mich vor dem Gemüse, vor grünen Früchten, als: Bananen, Granatäpfeln, Datteln, Melonen, fo gerne fie mich verführt hätten. Sogar ge- kochtes Gemüse schlug ich aus. Dadurch war ich an den 239 Tischen freilich nicht wenig geplagt. Man wartet hier mit Fleisch und immer wieder mit Fleisch auf; viel Fleisch aber bekam mir nicht gut. Zudem genießt es der Franke mehrentheils geröstet oder gebraten, daß es leicht. Durft verursacht, dem man beinahe um jeden Preis vor bauen foll. Neben leichtem Fleisch aß ich Reis, mit besonderer Vorliebe Milchreis (riso con latte e zucchero), und nicht felten genoß ich Kartoffeln. Die Fische kostete ich nicht einmal, weil fie. Niemand für gesund hält. Des Morgens erquickte ich mich am Milchkaffee, oder ich be- gnügte mich auch nur mit Milch und Brot. Es trieb in der Frühe ein Araber Ziegen vor die Hausthüre. Wenn ich ein Schnalzen mit der Zunge hörte, fo waltete kein Zweifel, daß der Melker angelangt war. Vor meinen Augen molk er mit der geballten Hand, indeß er mit der andern Hand das Gefäß vorhielt. Ich konnte mich über- zeugen, daß ich unverfälschte Milch bekomme. Noch warm getrunken fchmeckte sie mir köstlich, und ich spürte davon nicht im mindesten nachtheilige Wirkungen. Ich füge dem Gesagten bei, daß die Milch der egyptischen Siegen mit ihren Schafsohren, angenehmer und milder schmeckt, als diejenige der Schweizerziege. Mein Hauptgetränke war Nilwaffer. Ich trank 240 es meistentheils fo, wie es aus dem Fluffe kam, bisweilen jedoch mit einem geringen Zusatze von Rhum. Ich wußte recht gut, daß viele Arten von Unreinigkeiten in den Nil fallen. Ich schöpfte mit der Hand aus dem Nil in den durstigen Mund, während Stroh herumschwamm. Was hätte hier zögern und prüfen gefrommt? Durft quälte mich, und mir fand nur ein einziges Waffer zu Ge- bote. Darum überließ ich das Grübeln. Andern, und trank mit Herzenslust. Das Nilwaffer ist leicht und schmeckt vor- trefflich. Von jeher wurde dessen feiner gesunden Eigen- fchaft wegen mit Lob gedacht. Gs soll selbst auf den Tisch des Sultans in Konstantinopel gesetzt werden. Man will beobachtet haben, daß der Nilfchwamm, welcher mit dem Waffer häufig getrunken wird, auf der Haut Knötchen (boutons) erzeuge. Davon nahm ich an mir nichts wahr, ohne daß ich diese Beobachtung in Abrede stellen möchte. Alpinus fagt geradezu, daß sich gewöhnlich alle Ankömm- linge in Kairo eine Diarrhöe zuziehen. In den fränkischen Wirthshäusern, will sagen, sowohl in dem Gasthaufe. (locanda), als in den Speisehäusern (trattoria), wird viel Wein ausgeschenkt. Ich vermied ihn forgfältig. Mich wunderte, daß die Franken nach die fem fchlechten Getränke, wie es in Kairo beschaffen ist, fo begierig hafchen, wenn fiel auch vor der Schuldenlast - 241 nicht wissen, was sie anfangen sollen. Gs fehlenderten so häßlich berauschte Franken auf der Gaffe herum, daß ich mich für fie, des fränkischen Namens willen, fchämte. Willkommen war mir dagegen das fränkische Kaffeehaus eines Griechen, wo ich keinen Tag fehlte, um Kaffee zu trinken, deffen, man fich unter diesem heißen Himmel nicht enthalten darf. Ich trank ihn meist alla Franca, d. h. mit Zucker, seltener alla Turca, und in letzterem Falle, wie Andere, mit dem Satze, was mir wenig Mühe kostete. Bisweilen genoß ich die köstlich bereitete Orgeade oder eine Limonade. Nach 1efe. Bei diesem Anlase will ich mit wenig Worten meines regiminellen Verhaltens erwähnen. Mehr als die Morgen- und Abendkühle floh ich die Mittagshitze, welche, meines Bedünkens, am fchädlichsten wirkt. Der Abendkühle könnte ich nichts Nachtheiliges nachreden. Sie war während meiner Anwesenheit in Kairo nicht vorhanden, sondern es herrschte vielmehr des Abends bis zehn Uhr eine ge- mäßigte Temperatur, die nicht angenehmer hätte fein können. Wenn ich des Abends, bei der lieblichen Witte- rung des Wintermonats, im windoffenen Kaffeehause faß, konnte ich das herrliche Klima nicht genug preifen. Außer der Mittagshitze, klage ich allerdings noch die Morgen- kühle an. Der Zureifende bringt, gleich den wohlhaben- den Ginwohnern, die frühen Morgen am besten im Bette Tobler, Morgenland. 11 242 zu. Immerhin fuchte ich den Unterleib warm zu pflegen, und das Duften der Haut, wenn es einmal begonnen, zu unterhalten. Gs sollte. Niemanden schwer fallen, eines fa großen Gutes willen, wie die Gesundheit ist, in gewis fen Schranken zu leben. Umgebung von Kairo. Bereits besuchte ich außerhalb der Stadt die Grabmale der Großen (Turäb Käyd-Bei). Die Umgegend verdient, daß man sich weiter umsehe. Rückerinnerungen an erstere erweckte der Anblick der Todtenstadt el-Seydeh Omm Käfim. Reitet man von Altkairo gegen die Burg, so tönt es oft hohl unter den Hufen des Thieres; es scheinen die Gei fer der grauen Vorwelt zu klagen; man kommt über Schutt, über fandichte Schutthügel, welchen die vielen rothen Ziegelscherben ein fcheckiges Ansehen verleihen; es ist Wüste; das Auge erholt sich nicht an einem einzigen grünen Gräschen. Das Turäb (Todtenstadt) el-Seydeh Omm Käfim liegt füdlich unter der schroffen Wand des Mokatam, gleich am Fuße des Schloffes. An Umfang gibt dasselbe einer kleinen Stadt nicht nach. Selbst das Bauwerk stellt sich ansehn- 243 lich heraus, und mit defen Kosten hätten mehrere hundert egyptische Dörfer gebaut werden können. Auf diesem Lei- chenfelde verirrt man sich staunend mit dem Auge in den Wald von kleinen Moscheen und Minarets. Manches Pracht- werk aber zerfällt in einen Wirrwarr öder Steine. Im- merhin bleibt es eine Seltsamkeit, daß die Mohammetaner den Todten mehr Ehre erweisen, als den Lebendigen. Wie fich allerwärts bei den Muselmännern der Unter- schied zwischen den Großen und den Geringern durch das Aeußere laut ankündigt, daß z. B. der Große fein Weib einsperrt, während der Geringe das feine frei herumgehen, selbst bei einem Christen den Hausdienst versehen läßt, so besonders zeichnen fich der Großen Denkmäler, diese feiert lichen Grabesdome, aus. Was ist das Grab und Grab- mal des Geringen? Wenige Fuß tief wird Grde aufgewor- fen, die Leiche hineingelegt, und darüber ein kleines Ge- wölbe flüchtig gemauert; obenher bringt man einen, aus Stein gehauenen, auf einer dünnen Unterlage ruhenden Turban an, welchen ich deswegen fo nenne, weil ich weiß, daß er einen vorstellen muß, und an der entgegengesetzten Seite erhebt sich etwa ein plumper Halbmond mit feinen stumpfen Hörnern. Wenige Jahre halten die zusammenge- pfuschten Steine aus, und fiel verlieren ihren Zusammen- hang, als wären sie bloß zusammengedacht gewesen, wer 244 den jetzt aber dem Grabmaurer als Baustoff erst wieder nützlich. Das ist das Grab und Grabmal eines musel- männischen Geringen. Selbst auf dem stummen Leichen- acker, möchte man ausrufen, herrscht unter den Mohamme- tanern der fchreiende Despotismus der Großen; allein im Innern der Gräber bebt derselbe beschämt vor der Wahr- heit zurück: Der Staub aller Todten ist gleich. Die Nekropolis steht an Pracht und Aufwand weit hin- ter dem Gottesacker Käyd-Bei zurück. Auf den Grabstätten erzeigen sich diejenigen Moslims, welche dem Christen den Gintritt in ihre Kirchen verweigern oder erschweren, fehr tolerant. Ungehindert ritt ich in Kairo auf einem Esel kreuz und quer über die Gräber. – Die größten Todtenfelder liegen außer dem Umkreise der Stadt *). Die Wafferleitung. Schon auf der Burg empfahl sich meiner besondern Auf merksamkeit eine auf vielen Pfeilern ruhende, lange, fei- *) Die Gelehrten des französischen Feldzuges rechneten sechs zehn Leichenfelder auf das Innere der Stadt. Die Franken werden in Altkairo begraben. - 245 nerne Brücke, die Wafferleitung, und ich war sehr begie- rig, in der Nähe fiel zu besehen. Will man nach Altkairo sich begeben, fo ist es ihrer Bögen einer, unter welchem der Weg durchführt. Der Wafferthurm (el-Migreh), als das Haupt des Aquädukts, steht rechts am Rande des Nils. Man kann auf ihn in einer unbedeckten Bahn reiten. Eben traf ich einige Weiber, welche die Brustwehre mauer- ten; ihr Mörtel war Viehmist, welchen fiel mit heitern Mienen und zierlich mit ihren kleinen Fingern herumdrückten. Die Hände der Schönen waren Mörtelkellen, um welche diese Ggypzierinnen von den Schönen Europas wahrschein- lich nicht wenig beneidet werden. Oben kirren sechs Räder, von zwölf Ochsen getrieben, um das Waffer aus der Tiefe zu schöpfen. Dasselbe wird in ein Becken ausgeleert, das in den Kanal ausmündet. Der liefert das Waffer in die Burg. Eine weite Strecke erhebt er sich hoch über die Erde. Erst in der Todtenstadt el-Seydeh Omm Käfim greift er in das Erdreich. Die Rinne felbst mißt etwa zwei Fuß in der Breite und Tiefe. Der Nilschlamm, welcher sich aus dem Waffer niederschlägt, wird mit Sorgfalt her- ausgeschafft. Ich ging ein Stück weit neben der Rinne bis an einen Ort, wo die Wafferleitung ausgebeffert wurde. Nahe an dem Wafferthurme fängt der ungemauerte Nil- kanal an. Dieser wird jährlich zu seiner Zeit mit einem 246 Damme querüber gesperrt, defen Durchschneidung dann die Anwohner mit großem Jubel feiern. Allahu akbar (Gott ist groß); Gott läßt keinem Volke des Elendes so viel werden, daß er nicht dann und wann in dasselbe eine Rose der Freude freute. - Altkairo und das armenische Kloster. Altkairo oder ehemals Foftät, dann Mafer el- A't ykah der Araber ist eine besondere, mit Mauern und Thoren verwahrte, nicht unbedeutende Stadt im Süden und eine halbe Stunde von Großkairo, hart am Nil. Es gewährt ein einförmiges, schwarzgraues Aussehen. Die Häuser sind hoch und von Thürmen weit überragt; die Gaffen enge und belebt, letzteres wenigstens diejenigen am Hafen. Altkairo wurde im 20. Jahre der Heschira gegründet und 564, in Brand gesteckt. Weil ich noch nie in einer armenischen Kirche war, so hatte ich kein geringes Verlangen, das Kloster der Armenier zu fehen. Ich weiß nicht, mit welchem Rechte man den Namen Kloster gebraucht, da ich eben keine klösterliche Einrichtung fand, wenigstens keine Mönche antraf. Die Kirche stellte einen Saal mit weiß überkalkten Wänden vor, 247 ohne Glocke, ohne Beichtstuhl, ohne Stühle oder Bänke, ohne Seitenaltar. Der Choraltar vergegenwärtigte mir die römisch-katholische Kirche. Als der Führer in die Kirche trat, fuhr er mit der Hand öfter vom Herzen zum Munde, nachdem er fiel in einem kleinen Becken benetzt hatte, das an der Mauer fich befand. Ich machte keine Zeremonie, so wenig als ein Muselmann sich in Zeremonien eingelaffen hätte, und der Führer glotzte mich sehr feltsam an. Meiner- feits konnte ich mich damit nicht befreunden, daß er als Christ im Wesentlichen wie der Mohammetaner gekleidet war. Vom armenischen Kloster wird nördlich Altkairo ge- fchloffen. - Das griechische Kloster und der Altar der heiligen Frau im koptischen Kloster. * - Das griechische und koptische Kloster liegen nicht im Umfange von Altkairo, sondern in einiger, wiewohl fehr geringer Entfernung davon, nämlich in Kafer - el- Schäma, und fiel bilden mit den um sie gedrängten Häu- fern ein eigenes Städtchen. Noch nirgends fah ich die Häuser fo nahe beisammen, gleichsam auf einander gescho- ben wie hier. - Der Sonnenstrahl kann an den wenigsten Orten die Gaffe erreichen. Mir kam es vor, als sei ich 248 von hohen, unförmlichen Felsenriffen umlagert, als wären die ersten Einwohner in der Verwirrung hieher geflüchtet, und als hätten fiel fich in der gleichen Verwirrung ihre Gebäude aufgeführt. Als ich in das griechische Kloster des seligen Geor- gius kam, wollte ich gleich wieder umkehren; denn es zeugte hier das wenigste von einem Kloster. Wie in der Verborgenheit fand fich auf dem anderoberten Stockwerke die griechische Kirche, die ich nur flüchtig anschaute. Mehr sprach mich einen Stock weiter unten eine Säulenhalle an. Ich entscheide nicht, ob ich mich glücklich preisen soll, daß ich keines griechischen Priesters ansichtig werden konnte“). Nicht weit vom griechischen Kloster liegt, an einer fehr fchmalen Gaffe, das koptische zum feligen Sergius. Ich war schon ein Stockwerk hoch und kehrte wieder um, weil fich mir nichts Klösterliches darbieten wollte. Mein *) Der Leser darf der Bezeichnung des armenischen und griechischen Klosters nicht mehr trauen, als ich felbst traue, unter der Leitung eines Arabers. Im griechischen Kloster fchon wollte er mich im koptischen wifen. Hier gelang es nicht, mich zu täuschen, da ich nichts einer Höhle ähnliches erkannte. Am armenischen und griechischen Kloster liegt indes fen sehr wenig, und am koptischen Alles; letzteres aber zu be- zweifeln, wäre Zweifelsucht. 249 Geruchsorgan hatte sich an den Weihrauch und an das Kellerichte feuchter Mauern, denen man in den Klöstern der Lateiner begegnet, so fehr gewöhnt, daß ich an kein Klo- fer glaubte, wenn jene fehlen. Doch alsbald trat ein alter, langbärtiger Mann mit einem Turban daher; er hielt in feiner Hand einen großen, hölzernen Schlüffel, mit dem er rüttelnd das Schloß öffnete. Ich war in ho- hem Maße gespannt, die koptische Kirche zu sehen. Was ich von ihr fagen muß – – fie ist nicht schön, und im Zerfalle begriffen; vor dem Altare erhob sich etwas Pult- artiges wie bei den Griechen; am Altare selbst nahm ich das Christusbild nicht wahr. Mehrere Bilder, z. B. eines, welches die Jefum auf dem Schooße haltende Maria vorstellte, waren um den Altar auf eine zu überladene Weise gehängt, fogar wenn sie keine Stümpereien gewesen wären. Ist es wohl dem heiligen Zwecke gemäß, daß ehrfurchts- volle Erinnerungen durch stümperhafte Bilder beleidigt wer- den? Nur blinder Fanatismus, verbunden mit kraffer Unwiffenheit auf dem Gebiete der Kunst, kann an geweih- ter Stätte Fratzen leiden. - Zwei Treppen führen in ein Gewölbe, an den Ort, wohin die heilige Frau mit Joff und dem Christus- kinde geflohen sein soll. Am Lichte einer Kerze stieg ich hinunter. Vergebens, daß man hier eine Grotte oder 250 Höhle fuche. Alles ist Mauerwerk. Zudem müßte, mei- nes Grinnerns, die Höhle eine überirdische sein, weil die Kirche einen Stock hoch liegt, und man gerade ebenso tief bis zu jener hinabsteigen muß. Die Katholiken und Kop- ten haben ihre Verehrungsstellen durch eine Mauer gefön- dert, und, um recht billig zu fein, möchte ich fragen: Wer weiß es, daß die gefeierten Flüchtlinge gerade die Stelle am meisten berührt haben, welche die Eifersucht der in verschiedenen Meinungen lebenden Christen mit einer Mauer zudeckte? Den Lateinern gehört ein kleines, ganz niedriges Gewölbe, auf defen Boden ein Kreuz eingegra- ben ist. Davor hängt ein Oelgemälde auf Holz, welches die heilige Familie vorstellt. Die Kopten besitzen ebenfalls ein Gewölbe, auf defen Boden aber ein viereckiger Stein oder ein Altar ohne ein Zeichen steht. Beim Herausgehen aus der Kirche fielen mir in einem Winkel mehrere Krücken auf. Sie werden von denjenigen, welche während des langen Gebetes durch Stehen müde geworden sind, als eine Stütze gebraucht. Der Tempel M'm rus. Bei dem alten Kairo liegt die älteste Moschee des Mo- hammetanismus, nach ihrem Gründer A'mru genannt. Sie ist bereits verlaffen, und leicht wird den Andersgläu- 251 bigen der Zutritt gestattet. Ich möchte diese Moschee, von der noch zwei Thürme emporstreben, den Säulentem- pel nennen; denn durch die Zahl der Säulen, welche auf 244 ansteigt, hat sie etwas Ueberraschendes. In den Tem- pel getreten, und der Blick wird gleichsam irre vor der Menge der Säulen. Die Gingangsseite, so wie die öst- liche und westliche Seite find zwar nicht sehr breit, wohl aber die mittägliche, die allein über hundert Säulen zählt. Die Mitte zwischen den Säulenhallen steht unter freiem Gotteshimmel, und in diesem offenen Raume des Tem- pels bietet ein Kuppelbrunnen ein freundliches Aussehen. Die Kuppel wölbt sich über ein Becken voll Waffers, und den Brunnen umgibt außen eine Reihe kleiner Röhren, welche mit dem Wafferbecken in Verbindung gebracht find. Ich zog den Stöpfel einer solchen Röhre und das Waffer quoll fogleich heraus. Dieser Brunnen dient den Moham- metanern zu der religiösen Handlung der Waschungen. In der Nähe des Brunnens erholt sich der trümmermüde Be- obachter an dem Grün einer Palme, und gleich daneben an den Blüthen eines andern, in eine Mauer eingesperrten Baumes. Diese Bäume werden unzweifelhaft für heilig gehalten. Vermag das Abendland auch unter freiem Him- mel aufwachsende Bäume in den Kirchen aufzuweisen? Die mittägliche Seite der Gäma A"mrus will als der eigent- 252 liche Tempel betrachtet werden. Gegen den offenen Hof raum findet sich eine kleine Gmporkirche von mühsam ge- arbeitetem Holze. An der Mauer erhebt sich in der Mitte eine Kanzel (Mambar) ebenfalls von Holz. Weiter grei- fen in die Mauer etliche Nischen (Mahrab). Nach den Mahrab wendet sich das Volk beim Beten, indem sie ge- nau die Lage der Käba in der großen Moschee zu Mekka angeben. Vom platten Dache hängen Vorrichtungen zu Be- leuchtung herunter. Der Hauptkarakter der Kirche ist ein frohmüthiger, offener, und der völlig entgegengesetzte man- cher katholischer Kirchen, in welche das Sonnenlicht erst fallen darf, nachdem es durch farbige Scheiben gebrochen worden. Oder nicht zufrieden mit dem Düsterlichte in der Kirche, welches zur Wehmuth stimmt, gräbt man sich Kapellen, um während des Tages die Nacht heraufzube- fchwören, welche man durch ein künstliches, von vielen Seiten her zusammengebetetes Lichtchen erhellt. Das Licht der Sonne, als Geschenk des Himmels, wird fonderbarer- weise ungern gelitten. Um auf die Säulen zurückzugehen, fo find, wo nicht alle, doch die meisten antik. An vielen haben sich die ko- rinthischen Knäufe recht schön erhalten. Von Säule zu Säule springt ein Bogen. Gine Reihe Säulen ist am of fenen Raume verwittert. Gs fcheint, der faumselige Vize- 253 könig erwarte eine Subskripzion von Seite abendländischer Christen, um die älteste Moschee Ggyptens vor gänzlicher Zertrümmerung zu retten. Schwerlich macht der herschende Moslim das Vernachläffigte dadurch gut, daß er mit den Großen, Beamteten und Offizieren des Reichs jährlich ein- mal die greife Gäma" des Helden A'mru besucht. Aeußerer Pomp wird von der Welt oft für innige Herzlichkeit tausch- oder täuschweife gegeben und genommen. Der Garten Ibrahim-Pafchas und der Milometer auf der Insel Ruda. Man geht durch die fruchtbaren Felder Gabel, ehe man zum Nilarme gelangt, über den man fetzt, um das Eiland Ruda zu erreichen. Der Garten Ibrahim-Pafchas, welcher von einem Engländer angelegt ward, gewährt einen paradiesi- fchen Anblick. Manches, welches der Okzident und der Orient fpenden, findet man hier geschmackvoll zusammen- gestellt. So schön der Schwarzenbergische und Lichtenstei- nische Garten in Wien find, fo gewiß erscheinen sie als Gerippe, wenn man sie dem Garten Ibrahims entgegen- halten wollte. Datteln, Sykomoren, Pappeln, Maulbeer- bäume, Birken, Aloe und fo viel einjährige Pflanzen find 254 alle in einen Rahmen gefaßt. In den Armen dieser schwel- gerischen Natur beneidete ich, ich darf bei meiner Treue versichern, den Nordländer um feinen Herbst nicht im min- defen. Ginzig die gepflückte Rebe vergilbte zum Theile, trieb indeß neben dem gelb gewordenen Laube die schönsten grünen Schoffe. Die Rebe wächst zahlreich, und wird ebenso wenig an Pfählen aufgezogen wie in Loffin. Das Lufthaus im Garten birgt eine künstliche Grotte, die mit prächtigen Muscheln vom rothen Meere ausgekleidet und eine wahre Augenweide ist. Manche, welche den Gar- ten besuchen, denken jedoch nicht billig genug; schon find mehrere Muscheln weggeriffen, weil diese zum Andenken mitgenommen wurden. Der Selbstsüchtige zerstört. Andern, was er selbst bewundert. In dem Haupttheile des Gebäu- des, gegen Mittag, steht ein großes Wafferbecken. An den Wänden desselben befinden sich mehrere Oeffnungen, wodurch das Waffer fließt, um das Becken zu füllen. Es fand leer, und mir fähien das Pavillon nicht ganz ausge- baut zu fein. Mich zog noch ein ungemein poetischer Gegenstand an, wenn man anders für des Abbate Castigli animalipar- lanti Begeisterung fühlt; ich meine, sit venia verbo, den – Viehstall. Eine Mauer schließt das Vieh ein; kein Dach schützt vor Sonnenhitze. Der Viehstall ist daher nur 255 eine Art Viehhof oder eine Art Pferch. Zwei Krippen liegen neben einander, von einer Mauer getrennt, welche die Höhe des Viehes hat. Ich zählte im Hofe fünf und zwanzig Ochsen, welche die erforderlichen Eigenschaften be- feffen hätten, ein Küheharem zu bewachen. Alle Ochsen waren mit einem Stricke um den Hals an die Krippe ge- bunden. Durch diese drang zu folchem Zwecke an der Vorderwand eine längliche Oeffnung. Der Stallboden war die Erde und zwar fo trocken, als unsere hölzernen Stall- böden. Als Futter erhält das Vieh gehacktes Stroh, wel- ches in einem Winkel des Hofes unter freiem Himmel auf gespeichert war. Das Vieh fcheint mit dem Häckfel zufrie- den zu fein. - Die europäischen Viehärzte dürften fich hier nicht darüber ärgern, daß die zu sparsame Lüftung der Ställe eine Menge Krankheiten hervorrufe. - Der Nilometer oder Mekia, auf der Spitze der Insel Ruda, liegt Altkairo gegenüber. Ehe ich den eingefangenen Nil zu sehen bekam, mußte ich mich zu einem Effendi verfügen, um von ihm die Erlaubniß auszubitten. Ein graubärtiger, schöner Mann hockte auf dem Diwan, die Pfeife im Munde; daneben mehrere Männer, wahr- fcheinlich Schreibgefellen. Ich zog den Hut ab, wozu mich der Dragoman, anwies, und dieser fragte mich, was ich wünsche? Ich möchte den Nilometer fehen, antwortete ich 256 ihm ohne Titel und Komplimente. Es bedurfte des Wei- tern nicht, noch der Bezahlung einer Gebühr, die Er- laubniß ward ertheilt, und der Dragoman ging mit mir von hinnen. Wir kamen an der polternden Pulvermühle und an der Salpeterfabrik vorbei. Ich fchüttelte beinahe ungläubig den Kopf, als der Dragoman mir eröffnete, daß wir beim Nil- meffer wären, so wenig wurde meine Erwartung befriedigt. Ueberspannte Erwartungen fchaden gerne der treuen An- fchauung des Gegenwärtigen; denn von der Höhe stürzt die Phantasie in die Tiefe, und verfehlt fo die rechte Mitte. Der Nilmeffer wird von zerfallenen Mauern umgeben, welche einen fehr übeln Eindruck hervorbringen und zurück laffen. Er fieht wie ein viereckiger Brunnenkasten aus. Der Mitte entsteigt eine nicht fehr dicke, achteckige, mau- rische, mit einem ganz kunstlosen Vierecke bedeckte Säule. Diese bezeichnen, wie einen Zollstab, regelmäßig von ein- ander entfernte, jedoch nicht mehr fehr fcharfe Kerben. Das Waffer in dem Nilmeffer steht mit dem Wafferspiegel des Nils in gleicher Höhe, und darum kann man an der Säule das Steigen und Fallen des Nils genau beobachten. Frü- her soll der Aufseher über die Nilmeffung fein Leben im Spiele gehabt haben, wenn er die bestimmte Höhe nicht sogleich verzeigte. Man leitete meine Aufmerksamkeit auf 257 den hohen Stand des Waffers, welcher der Befruchtung des Nilthales günstig sei. Man glaubt hie und da in Europa irrig, daß je höher der Nil steige, desto mehr Vortheil dadurch Egypten er- wachse. Gerade in einem der letzten Jahre verstieg sich der Nil, und die Ernte einiger Bodenerzeugniffe fiel minder ergiebig aus. , Der Nil fängt in der Mitte Brachmonates an zu schwel- len, und Ende Herbstmonates nimmt er feinen höchsten Standpunkt ein, wo dann viele Gegenden unter Waffer ge- fetzt find*). - Die Goldader Egyptens gibt zum größten Volksfeste Anlaß, wenn fiel am stärksten angelaufen ist. Früher foll die barbarische Sitte geherrscht haben, daß man, zu Grhö- hung des Festes, allemal eine Jungfrau in den Nil warf. Von der Sitte blieb nur noch die reich ausgeschmückte Barke übrig, in welcher man auf dem Fluffe herumfährt. *) Die Schriftsteller verlegen den Anfang des Nilwachses in ein wenig verschiedene Zeitpunkte; in den ersten Neumond nach dem längsten Tag Plinius, in den sechszehnten Tag nach demselben die offizielle Mittheilung des französischen Feldzuges, in den 5. Junius Alpinus, in den 19. Volney, in das Ende vom Junius Rifaud. Alpinus erzählte von sehr inte- reffanten Versuchen, um nach gewissen Zeichen vorauszusagen, wie hoch der Nilfrom feigen werde. 258 Ausflug nach Heliopolis und Abufabel. Es war Frühlingsanfang, der letzte Tag des Weinmo- nates und der erste des Wintermonates. Verläßt man auf der Morgenseite die Stadt, da stellt sich der stattlich emporsteigende Mokatam, und selbst der Schweizer muß diese Kuppe des arabischen Gebirges der Aufmerksamkeit würdigen. - In der Nähe hörte man zur Linken das Rauschen der Marktleute, zur Rechten das Trommeln und Trompeten der Kriegsknechte; zur Linken fah man hier ein Kaffeezelt, einen Garkochofen, dort für ein Soldatenweib eine Hütte von folcher Höhe, daß es da- rin weder stehen, noch gehen, fondern nur kriechen kann, manche Wohnung selbst ohne Obdach, und zur Rechten eine Menge „Zelten, unter denen das Kriegsvolk gelagert ist, zur Linken den dornreichen Kaktus in üppiger Zahl, und zur Rechten weiterhin das Nichts der Sandwüste. Mein schauendes Auge wetteiferte mit dem horchenden Ohre, und der Nebel, welcher jenem die Sehenweite streitig machte, konnte den Wetteifer nicht lähmen. - Kaum hatte ich das Freie gewonnen, so wendete ich mich links. Die noch nicht gänzlich zurückgetretenen Waf fer der Ueberschwemmung erschwerten mir ein wenig das Reiten. Ich lustwandelte in einem Walde von Zitronen- 259 bäumen, auf denen, felbst auf dem gleichen Baume, wohl- riechende Blüthen mit grünen und reifen, gelben Zitronen wechselten, und schon stand ich in Mattarieh vor dem Baume, wo die heilige Familie ausgeruht haben foll. Ich dachte zum Voraus, die Araber wer den mich nicht täuschen können, weil die geschäftigen Chri- ften ohne Zweifel ihre Namen in den Baumstamm einge- schnitzt haben würden. Und dem war also. Frömmigkeit, mit Eitelkeit gepaart, hinterließ mehrere Denkmäler, welche dießmal übrigens den Nutzen stiften, daß sie den Baum den Neugierigen kenntlich machen. Mitten in einem Zi- tronenwalde erhebt sich ein fehr dicker, ein gespaltener, leicht zu erfteigender Strunk. Darauf trieb ein dünner, kaum zehn Fuß hoher Stamm mit frischem, grünem Laube, eine Sy- komore. Das ist der Marienbaum. Der Schatten desselben zerfließt in den Schatten der umstehenden Zitro- nenbäume, und verbreitet angenehme Kühlung. Ich möchte fein hohes Alter nicht bezweifeln. Außer dem Walde erblickt man gleich nordwärts den Obelisken bei Samur Baosbeh oder in der verschwundenen Stadt Heliopolis (On)*). Elende Hütten stolzieren *) Auch die Bibel hat uns das Andenken dieser Stadt be- wahrt. Wir lesen aus dem 1. Buche Mofes im 44. Verse 260 jetzt auf einer Stätte, die so reich an Erinnerungen ist. Das Hinschwinden der aus den Händen der Menschen her- vorgegangenen schönsten Werke quälte auch hier meine Seele mit bittern Gefühlen. Wie werden die Werke unserer Tage nach Jahrhunderten zerschlagen und zerstört sein? Der ein- zige heliopolitanische Ueberrest von Bedeutung ist ein Obe- lisk, dem ich mich mit geflügeltem Fuße näherte. Derselbe steht aufrecht, scheint mir aber etwas niedriger, als die Nadel der Kleopatra. Die Hieroglyphen find auf allen vier Seiten deutlich, zumal diejenigen auf der nördlichen und westlichen Seite. . Die füdliche Seite wurde von der Sonne etwas gebleicht. Sogar der Farbstoff im rothen Granit des Obelisken vermag sich nicht in die Länge un- verändert zu erhalten. Die Stabilität kann vor den immer mehr fich erneuernden und häufenden Lehren der Wandel- barkeit nicht bestehen; allein dieß hindert sie nicht, sich recht bequem zu machen und niederzulegen, und fo vegetiert fie, wenigstens in der Ginbildung, doch fort. Die Hiero- glyphenfurchen auf der östlichen Seite find mit Sand voll- geblasen. Der Regen bildete mit dem Staube eine Paste, des 41. Kapitels, daß der egyptische König oder Pharao dem Statthalter Jo fef, Jakobs Sohn, Afen eth, die Tochter Poti- phars, eines Priesters zu Heliopolis (Sonnenstadt), zum Weibe gab. 261 welche fich in jenen Furchen ansetzte. Die Nordseite hat die frischeste Farbe und ist am fchönsten. Vergleicht man die Obelisken der Kleopatra und der Heliopolis, so fragt man sich: Warum hat das Denkmal zu Alexandrien im Laufe der Zeit weit mehr gelitten als letzteres ? Es wird einleuchten, daß der an der Küste, häufiger als in Helio- polis, fallende Regen zerstörender wirken mußte. Die Gr haltung mancher Alterthümer in dem guten oder erträglichen Zustande hat Egypten dem seltenen Regen zu danken. Es rettet manchmal, wenn man so sagen darf, ein blindes Ge- schick, indeß vor den offenen Augen der Vorsicht und Sorg- falt etwas zu Grunde geht. Hätten die gyptischen Denk- mäler, z. B. die Pyramiden, Europa gehört, so wären fie viel unscheinbarer, manche wohl nicht mehr. In 2000 Jahren wird der Obelisk von Luxor in Paris von dem Gesagten Zeugniß ablegen. In Ggypten gab es einen wunderbaren Zusammenfluß günftiger Umstände, um der spätern Nachwelt fo Vieles zu überliefern. Der Obelisk fand so einfam als ehrwürdig mitten in halbgroßem Mais. Eines Fellahs konnte ich nicht so leicht los werden. Gr meinte, ich follte ihn dafür beschenken, daß ich einen Stein im Freien der Welt Gottes betrachtete. Wären derlei Leute Gebieter, so würden sie vielleicht einen jährlichen Tribut von den Mitmenschen dafür erpreffen, daß 262 er sich am Scheine der Sonne erquicken dürfe. Wo die Leute im blindeten Despotismus erzogen werden, da ver- fchließt sich auch ihr Sinn, wie des Despoten felber, für die natürlichen Rechte der Menschen. Dieser Sehenswürdigkeit wegen mußte ich einen kleinen Abstecher machen. Bald aber hatte ich den breiten Weg der Wüste wieder eingeholt. Ich dachte an unsere wohl löblichen Straßenbaukommissionen und Baumeister, an uns fere Zölle und Zöllner, an unsere Straßenbüreaukraten und Bauern, welche den Schweiß ihres Angesichtes wie den Kies auf die Straße schütten u. dgl. Zwischen Kairo und Abufabel nichts von Allem. Die Wüste ist die breite Straße für Jedermann sonder Hinderniß eines Schlagbaumes. Ohne den Staat oder die Ortschaft mit Kosten zu belasten, tre- ten die Kameele in ihren langen Zügen gleichsam Geleit in den Sand, und das Abfordern des Zolles wäre eine Stimme in der Wüste. Ich kam nach El-Mark. Hier steht ein Kaffeehaus alla Turca. Ich fprach zu. Die arabischen Kaffeehäuser fielen einen, um es fchlicht zu nennen, offenen Schuppen vor. Das Wandwerk ist von Mauer. Vom irdenen Bo- den des Kaffeehauses genießt das Auge Freiheit bis ans – Dach hinauf. Auf einer Seite sieht man die Kaffeeküche, auf der andern den mit Strohteppichen belegten Diwan, 263 welcher wie ein Sims die Mauer begleitet. Da hocken denn die arabischen Kaffeetrinker, deren lange Pfeife bis auf den Boden herabsteigt. In El-Mark beginnt ein bedeutender Wald fchattenart mer Dattelpalmen. Darauf erreichte ich den belebten Ort Chanka. Von da führte mich der Weg durch eine wüste Gegend, die häßlichste Ginöde, nach der egyptischen medi- zinischen Fakultät Abufabel; das biblische Golfen zur Rechten. Der in Ggypten angekommene Abendländer ist in der erften Zeit von mancherlei Aengstlichkeiten befangen. Er glaubt sich unter die Araber kaum recht mischen zu dürfen; mit unrecht. Der Weg von Kairo nach Abutabel beträgt vier Stunden, und ich ritt unbedenklich allein, und man hat überhaupt weder bei Tage, noch bei Nacht Lebensge- fahr zu befürchten. Ich fand den Weg durch die vielen wandernden Menschen, die Kameele, Esel, Pferde so leb- haft, wie irgend eine europäische Hauptstraße, fogar in der Nähe einer Stadt. Im Vergleiche mit Europa bewegen fich weit mehr Leute auf den Straßen als auf den Feldern. Wegen der Lebhaftigkeit ergötzt auch die Straße nach Abu- fabel, man durchmustert die fremdartigen Gesichter und Geberden, Trachten und Ladungen u. f. f. Stolz fitzt der Beduine auf dem Pferde, einen kurzen Säbel und Pi- stolen im Gürtel. Zuerst macht der Anblick dieser Waffen 264 einen unangenehmen Gindruck; bald aber gewöhnt man sich fo vollkommen daran, daß man sie nicht mehr beachtet. Uebrigens tragen die wenigsten Leute Waffen. So bestellt der Bauer (Fellah) unbewaffnet sein Feld. Grinnern sich alle Europäer, daß vordem, sich mit einem Säbel zu ver- fehen, auch bei ihnen Sitte war ? Wenn man auf diesem Wege durch topfebene und wüste Gegenden, in denen selten ein kleiner Garten prangt, wan- dert, so wird man sich überzeugen, daß ein Theil der Wüste lediglich auf Rechnung menschlicher Nachlässigkeit fällt; er könnte bald in ein lachendes Gelände umgeschaffen werden. „Sorgfalt ersetzte oft, was die Natur versagte (Strabo)". Wirklich erblickt man hin und wieder Spu- ren von Bewäfferungskanälen, den unwidersprechlichen Zeu- gen einer vormaligen Bodenkultur. Würde der Pascha ge- ruhen, den Bauer dadurch aufzumuntern, daß dieser feiner Ernte sicher und froh werden könnte, große Striche Landes müßten in kurzer Zeit der Wüste, abgedrungen werden. ueberdieß verkündigen die angebauten Felder nicht allen- thalben Fleiß und Sparsamkeit. Wahr ist, daß z. B. das Delta die - Arbeit des Fellah mit schweren Grnten lohnt; allein ein so fruchtbares Land muß etwas hervorbringen, wenn man damit auch nur ein wenig fich bemühen mag; etwas im Feldbaue müffen die Leute jenes unermüdlichen 265 Landes doch wohl verstehen, auf welchem fo viele Jahrtau- fende hindurch unaufhörlich Früchte gediehen. Man gebe den Bienen des Nordens die gleiche Sonne, den gleichen Nilschlamm, die gleichen Ueberlieferungen, – was neue Wunder würden erstehen. Bei Abufabel ward ich an einen Italiener empfohlen, und diese Empfehlung erwies sich fehr nützlich; ein Wirths- haus mangelt, und in die arabischen Hütten zu kriechen, wandelte mich eben keine Luft an. Es ist eigentlich früh genug, das Kreuz aufzunehmen, wenn man dazu gezwun- gen wird, vorausgesetzt, daß man sich überhaupt – nicht verweichliche. Dießmal wäre es um fo umständlicher gewe- fen, über Nacht ein ordentliches Obdach zu finden, da die Nilüberschwemmung feit einem Monate das eigentliche Dorf Abusabel von den medizinischen Anstalten trennt, und man nur zu Schiffe von einem Orte zum andern gelangt; nicht eher als in zehn bis fünfzehn Tagen werde, hieß es, die Verbindung zu Lande wieder hergestellt. Die medizinischen Anstalten bei Abufabel, im Nordost von Kairo, liegen in einer fruchtbaren Gegend. In der gegenwärtigen Ueberschwemmungszeit gefiel sie mir nicht. Das Land war mit zu viel Waffer bedeckt, woraus Ge- büsche und Bäume einsam auftauchten; und wo es vom Tobler, Morgenland- 12 266 Waffer nicht bespült wurde, behauptete die Wüste ihre graue Herrschaft. Das niedrige, einstöckige Gebäude verspricht wenig von Ferne. Es bildet vier Höfe. Die nähern zwei gehören der Veterinärschule, und die entferntern oder dem Dorfe Abu- fabel nähern bilden den Sitz der medizinischen Schule. Zuerst fei von dieser die Rede. Nähert man sich der Hochschule von Chanka aus, so steht links ein ungewöhnlich langes Haus, die Wohnungen für die Angestellten, die Professoren, Pharmazisten, Ueber- fetzer u. f. f. Es öffnen sich eine Menge Thüren ebener Erde nach einander. Jede führt zu einer Wohnung. Rechts- hin tritt man in die eigentliche medizinische Schul- anstalt. Diese besteht aus einem viereckigen Gebäude, welches einen geräumigen Hof umfängt, und im Umfange des letzteren breitet sich, neben dem besonders stehenden Anatomiegebäude, der fogenannte botanische Garten aus. Das anatomifche Theater, ganz nach europäi- fchem Geschmacke, schön gemalt und mit arabischen Schnör- keln überschrieben, ist fehr hell, und entspricht feinem Zwecke vollkommen. Gine in ein Tuch gehüllte Wachs- figur fand beinahe in der Mitte. An einer Wand feffelt die Aufmerksamkeit ein Glaskasten, worin der Anfang einer ornithologischen Sammlung aufbewahrt wird. Vor dem 267 Theater, im gleichen Gebäude, aber auf der mittäglichen Seite, tritt man in den Sezirfa al. Auch an diesem wußte ich nichts auszusetzen. Gs lagen eben vier, mit einem Tuche zugedeckte, halbschwarze Leichen auf den Se- ziertischen, jede auf einem. Zwei waren von der beginnen- den Verwesung schon häßlich gefärbt, und erfüllten die Luft mit einem sehr übeln Geruche. Das heiße Klima stellt den Sezirübungen in Ggypten viele Schwierigkeiten entgegen, wenigstens viele Unannehmlichkeiten zur Seite. Bereits hatten Ferien begonnen. Gleichwohl begünstigte mich das Glück, einen Vortrag zu hören, nämlich dem Operazionskurse des Herrn Duvigneau“) beizuwohnen. Der Lehrer in europäischer Kleidung, auch mit einer Schürze angethan, stand am Seziertische, gleich neben ihm der Dra- goman, ein Araber von etwa fünfundzwanzig Jahren. Die arabischen Studenten fehaarten fich um den Tisch. Sie trugen rothe Mützen, eine weiße, über der Brust zuge- knöpfte Weste mit Grmeln, weiße, den untern Theil der *) Ich gebe zu, daß ich hier, wie weiter unten, in Schrei- bung der Namen vielleicht fehle; allein auch dieses Fehlen wird von Werth fein; denn ich verließ mich auf einen als Apotheker Angestellten, und so läßt sich dann mehr und minder beurthei- len, auf welcher Stufe von Kenntniffen dergleichen hochgestellte Männer bei Abufabel stehen. - 268 Wefe umfaffende Pumphofen und Schuhe, die weiter nicht auffielen, doch keine Strümpfe. Die jungen Leute moch- , ten ein Alter von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren zu- rückgelegt haben. Der Professor hob damit an, über die Amputazionen Lehren zu ertheilen; er unterschied fiel in solche, die in und außer der Kontinuität des Knochens vorgenommen werden. Jede Phrase übersetzte ein Araber leicht und schnell aus dem Französischen des Professors ins Arabische. Daß dergestalt die Mittheilung mühsam fich dahinschleppe, fieht Jedermann ein. Ohne Noth aber ver- frickt der Professor feine Gedanken in lange Perioden mit Zwischenfälzen. Daraus folgt unzertrennlich, daß die Auf- merksamkeit der Zuhörer mehr zerstreut wird. Uebrigens fchauten und horchten diese möglichst aufmerksam, als wären fiel die Grfinder der Aufmerksamkeit. Giner gab oft zu vermerken, daß er den Vortrag begreife. Ein empfindsamer Araber hatte feine Nase mit Papier oder etwas Anderem vor dem Wohlgeruche der Leichen verstopft, ungefähr so, wie man es einer sentimentalen Miß von Lon- don verzeihen würde. Unter den Augen der Zuhörer un- ternahm der Professor, nachdem er das blutige Heilverfah- ren aus einander gesetzt hatte, die Amputazion eines Fin- gers. Weder der Vortrag, noch die Art, wie der Lehrer operierte, verhieß Ausgezeichnetes. Er schien indeß mit 269 Gewissenhaftigkeit seinem Berufe abzuwarten. Jeder Mensch mag fich beruhigen, welcher ein Pfund redlich gebraucht. Apotheke. Es wäre unnöthig, eine europäische zu beschreiben. - - Laboratorium: Dieses ist hübsch ausgestattet, und ficher gebricht es nicht am Lehrstoffe, wenn nur die Zög- linge genug Luft und genug Fähigkeit zum Lernen besitzen. Die Krankenfälle sind zugleich die klinischen Säle, und sehr ähnlich denen in den Abtheilungen des allgemeinen Zivilkrankenhauses zu Wien. Der gefüllte Bettsack ruht entweder auf dem hölzernen Käfiche, der gewöhnlichen egyp- tischen Bettstelle von Palmzweigen, oder auf einem eisernen Gestelle. Das Kiffen fehlt nicht; die Bettdecke ist von grober Wolle. Neben dem Bette befindet sich ein Trink- geschirr oben und ein Pot de Chambre unten. ueber die ärztliche und wundärztliche Behandlung der Kranken kann ich, leider, das Wort nicht ergreifen. Die Visiten gesche- hen Abends 9 Uhr und Morgens um 11 Uhr. Alles aber empfahl sich nicht minder durch Reinheit und Ordnung, als durch einen beffern europäischen Geschmack, daß ich an der zweckmäßigen Behandlung nicht zweifle. Abends (zur Afferzeit) wurden die Speisen ausgetheilt. Ich kostete die Reissuppe, und, wegen ihrer Schmackhaftigkeit, würde ich gerne fogleich eine Portion genoffen haben. Das Schick- 270 fal der hiesigen arabischen Kranken leiht nicht den entfern- testen Grund, von den Europäern bemitleidet zu werden. Die Säle enthalten die Krankheiten nach der Eintheilung in innere und äußere (internes et externes). Diese Eintheilung ist in französischer Sprache über den Thüren aufgeschrieben. Hinwieder trägt jeder Saal eine Nummer. Demnach durften die Franzosen, wie es scheint, ihre Hei- ligen aus dem Hôtel-Dieu in Paris nicht herüberbringen. Um nicht den Verdacht zu wecken, daß ich bloß ein neu- gieriger Laie fei, wollte ich den Saal der Luftfiechen nicht betreten. In den Krankenzimmern führten mich etliche Studenten herum; denn sobald sie die Anwesenheit eines europäischen Hakim (Arzt) erfuhren, kamen sie mir mit Freundlichkeit zuvor. Sie drückten sich in französischer Sprache leidlich aus. Die Zahl der fämmtlichen Studen- ten, d. h., der Mediziner, Chirurgen und Pharmazeuten, wußten fiel mir nicht anzugeben. Man muß gestehen, daß die europäischen Studiofi lieber kalkulieren. Ich vernahm aus dem Munde der Abufabler-Studenten nur so viel, daß 41 die Klinik besuchen. Die Gesammtzahl der Zöglinge beläuft sich etwa auf 200. Von den Hörfällen fah ich zwei. Sie waren eben angefüllt; allein man ertheilte bloß Unterricht, der Me- thode nach wechselseitigen, in der französischen Sprache, 271 indem man den Koran übersetzte. Das laute Brummen in tiefem Baffe sticht schroff ab gegen das feinere Bienenge- fume unserer Primarschüler in Europa. Die Hörsäle ha- ben in ihrer Bauart nichts Ausgezeichnetes für den Abend- länder. Ein Katheder ist vorne für den Lehrer angebracht; Bänke folgen sich in regelmäßiger Reihung, so daß die auf europäische Weise sitzenden Schüler dem Lehrer ins Gesicht sehen. Auch während des Kollegiums bedeckte die rothe Mütze den Kopf. Es herrschte Ordnung und Grnst; kein Hin- und Hergehen, um sich zu zerstreuen. Die Steindruckerei. Ich wurde überrascht, als eine solche mir gezeigt wurde. Zwei Araber druckten eben etwas zum Behufe des Krankenhauses. Französisches und Arabisches standen neben einander auf den Druckbogen. Die französische Schrift war korrekt, der Abdruck aber dießmal ein wenig schmutzig. Die Korrektheit freute mich um so mehr, als man in europäischen Winkeln, nicht so gar felten, von den gröbsten Verstößen geärgert wird. Diese Steindruckerei ist einzig für die höhere Lehranstalt bei Abufabel bestimmt, Der botanische Garten. So heißt man im Hofe einen Garten, welcher an Ueppigkeit und Pracht wohl die europäischen Gärten übertrifft, dagegen der eigentlich weni- gen Pflanzen wegen diesen Namen in der That nicht ver- 272 dient, gewiß nicht einmal den eines Egyptiacum verdienen würde. Wie viel kann hier noch geleistet werden. An der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt, die im Jahr 1828 ihren Wirkungskreis eröffnete, find folgende Professoren angestellt: - - für Botanik und Arzneimittellehre: Figari; für Phyfiologie: Seiffon; für Pharmazie : Pacthon; für Chemie: Berron; für Pathologie und Therapie, so wie für medizi- nifche Klinik; Duvigneau; für Chirurgie und chirurgische Klinik: Seiffon. (Sonderbar aber, daß nicht Seiffon den Operazions- kurs gab.) - Der Lehrstuhl der Anatomie ist seit dem Austritte Fifchers einsweilen erledigt. Durch Eifersucht verdrängt, erwarb sich dieser Deutsche doch die bleibende Achtung der Beffern. Es ist für den Tugendhaften sehr aufmunternd, daß er, bei Mißkennung seiner Bestrebungen, an den Rath feines vor Gott offenen Gewissens und an das Synedrium der Befferen in der Welt appellieren kann. Die Veterinärfchule stößt an die eben beschriebene medizinische. Der Vorsteher derselben, mit Namen Am- mon, ein junger Franzose, bezieht von der Regierung einen 273 monatlichen Gehalt von 5000 Piafter (über 600 Gulden R. W.). 4. Das Vieh mit äußeren und inneren, fo wie insbeson- dere mit ansteckenden Krankheiten ist in den Ställen geschie- den. Diese, mit einem Dache versehen, werden reinlich gehalten. Ein Gefimfe von Mauerwerke nimmt ziemlich große, irdene Töpfe auf. Je einer für ein Stück Vieh, vertreten - fiel die Stelle einer Krippe. Harnrinnen fucht man indeß vergebens. Auch hier freffen die Thiere Stroh- häcksel. Bei eintretendem Mangel des Platzes in den Krankenfällen werden die Thiere unter freiem Himmel ge- halten. Wie in Egypten die Augenentzündung den Men- fchen häufig befällt, ebenso ist ihr das Thier unterworfen. Die Veterinärfchüler empfangen außer ihrem Fache Unter- richt im Reiten, so daß eine wirkliche Reitschule besteht. Hörsäle, anatomisches Theater, Sezirsaal, Apotheke und Laboratorium laffen an der guten Einrichtung keinen Zwei- fel übrig. Auf einer Tafel im Seziraale liest man die Namen derer, welchen der Operazionskurs vorgeschrieben war: Akmet Abdirahman, Akmet Ibrahim u. f. f. Das klingt nun einmal unchristlich. Im anatomischen Thea- ter trifft man bloß einige Skelete. Es ist Schade, daß uns ter diesem heißen Himmel überhaupt der wissenschaftliche Eifer leicht erkaltet. Die Veterinärschule zählt 120 Zög- 274 linge: ein bemerkenswerthes Mißverhältnis zu der Zahl der Mediziner. Die Zucht der Zöglinge beider Schulen ist eine klöster- liche oder militärische. Einmal fchon werden die Anstalten von Militär bewacht. Die Schüler find Alumnen; fast alle arm, werden fiel auf Kosten des Staates unterhalten und gelehrt. Sie schlafen in großen Gemächern, die Thierarzneischüler auf dem Boden, unter ihnen nur eine Strohmatratze und über ihnen die Kleider; für die Medizi- ner hingegen find ordentliche Betten aufgeschlagen. Wenn man in solchen Gemächern, wo fo viel Morgenländer bei- fammen leben, der orientalischen Laster fich erinnert, fo wird man von einem ordentlichen Abscheu ergriffen. Neben den Schlafgemächern gibt es für die Studenten noch be- fondere Speisesäle nach europäischer Art. Ich fah gerade eine ungemein lange Tafel gedeckt. Unzweifelhaft werden die Alumnen gut genährt. Die Studenten hatten kurz vor Sonnenniedergang Feier- abend. Gs muß zwischen Arbeit und Ruhe ein Gbenmaß fein, fonst leiden beide, Leib und Seele. Die jungen Leute zogen, je zwei und zwei neben einander aus. Am Thore gegen Abufabel hielt der Flöter und Trommler an, und flugs zerstob die Reihe, um sich in die Barke zu werfen, welche sie nach Abusabel führen sollte, darunter manche zu - 275 den Weibern. Jeder wollte der erste in dem Kahne fein. Auf die Rückfahrt der Barke wartende Studenten vergnüg- ten fich daran, daß sie Steine ins Waffer schleuderten, die wechselsweise in diesem niedertauchten und wieder her- vorhüpften (Epofrakismos der Griechen). Um neun Uhr Abends mußten die Einen zurückkehren; die Uebrigen durf- ten bis morgen in der Frühe ausbleiben. Letzteres erzähle ich nach Andern. - - Das Leben der bei Abusabel Angestellten gleicht so ziemlich einem Schlaraffenleben, und fiel können die Zeit mit genauer Noth hinbringen. Wenn ein europäischer Fremder die Anstalten besucht, so ist er beinahe Fingerzeig. Das Auge weilt fast lieber bei den die Höfe zierenden Dattel- und Akazienbäumen, als bei Leuten, wiewohl aus dem gleichen Welttheile , welche dem Schöpfer das Meiste vom Tage abfehlen. Gilt denn etwa hier die Aus- nahme von der Regel, daß der Müßiggang aller Tugen- den Anfang sei? - Von der Zugänglichkeit der Mohammetanerin hörte ich bei Abusabel Dinge, welche Erstaunen erregen. In ältern Zeiten wurde eine solche, welche sich mit einem Christen verging, den Wellen des Nils preisgegeben. Ob nun die Mittheilungen beweiskräftig genug seien, um zu entscheiden, daß der religiöse Fanatismus um manche Grade sich abge- 276 kühlt habe, wage ich kaum anzudeuten, und wenn ich an- deuten müßte, fo fiele die Bemerkung, daß die geschlecht- lichen Verirrungen auf eine höhere Sphäre konfeffionel- ler Nachgiebigkeit oder Strenge selten schließen laffen, weil fie aus einer tiefsinnlichen Quelle hervorsprudeln. Wahr- fcheinlich. würden sich, wie zur Zeit der Franzofen - und Patentherrschaft, wenige Araberinnen gegen die Verbin- dung mit einem Christen sträuben. Wenn sie auch nicht die Liebe dazu lockte, so doch das tönende Grz. Gröffnun- gen über das punctum sexus frömen unter den Franken in diesem Lande fo ohne Rückhalt daher, daß der galante Großstädter des Abendlandes nicht offenherziger sein kann. Wenn die Konkubinen in die Hoffnung kommen, so werden fie von Manchen ohne Theilnahme und Hülfe verstoßen. Die Mohammetanerin könnte vor dem Richter keine An- fprachen geltend machen; wohl aber ist gewiß, daß derselbe die Sache, sobald sie vor ihn gebracht würde, zum Nach- theile des gefallenen Mädchens nicht ungeahndet hingehen laffen könnte. Hinwieder steht der Europäer, in seiner großen Freiheit und Unabhängigkeit, nicht unter dem or- dentlichen egyptischen Richter, sondern unter dem Konsulate, um defen Schutz er nachsuchte. Etwa im Falle eines Ehe- bruches oder einer Defloration, im Falle, daß über die mohammetanische Religion geschimpft, oder daß falsche 277 Münze geprägt würde, müßte die Auslieferung an den egyptischen Richter erfolgen. Wie weit diese Unabhängige keit getrieben wird, lehrte unlängst ein handfester Englän- der. Es wollte ihn die Polizei aufgreifen, weil er Mo- hammetanerinnen ins Haus aufnahm, in einer Abficht, die leicht errathen werden konnte. Statt alles. Fernern schlug er die Polizei nieder. Das Konsulat fchützte ihn doch so sehr, daß er von der vizeköniglichen Polizei in Kairo nicht weiter beunruhiget wurde. Ich machte früher in Wirklichkeit einen Abstecher zu Lande, und jetzt einen auf den Schwingen des Geistes. Kehren wir zurück, um einen Rückblick auf die Schulan- falten bei Abufabel zu werfen. Im Andenken unferner Zeiten, da noch das ganze Egyptenland, seit der Herrschaft der Türken, in tiefe Bar- barei versunken war, wird man billig ein Loblied auf den nunmehrigen Herrscher, Mehemet Ali, anstimmen, wel- cher für jenes Land wirklich großartige, hoffentlich fegens- reiche Anstalten ins Dasein rief. Angenommen, daß die Stellen immer mit tüchtigen Professoren und keinen Stüm- pern, mit Freunden der Wissenschaft und keinen Aben- teurern, mit gewissenhaften Arbeitern und keinen bloßen Glücksrittern besetzt werden, so dürfen die Anstalten mit den medizinischen Fakultäten kleinerer deutscher Hochschulen 278 - in die Wette laufen; ich möchte noch weiter gehen, in praktischer Beziehung werden sie letzteren den Vorrang ab- laufen. Beherzige man nur, wie oft der Mangel an Lei- chen zum Behufe von Zergliederung auf manchen Hoch- fchulen beklagt wird. Umgekehrt werden die egyptischen Anstalten in theoretischem Bezuge gar keinen Vergleich aus- halten, und bis ein recht wissenschaftlicher Geist dieselben durchdringt, beseelt, erwärmt, kann über die viel zu neue Grundlage, selbst unter den günstigern Umständen, ein ganzes Jahrhundert verstreichen. Jedenfalls wird der Pascha mehr oder minder brauchbare Aerzte für die Armee bekom- men, und das ist es, was er zunächst bezweckt. Es würde ihn wahrscheinlich gar wenig befriedigen, wenn die Zöglinge fich in medizinische Spekulazionen vertieften, und in diesem Gebiete der Schriftstellerei fich versuchten, um vielleicht durch gelungene Arbeiten einen neuen Glanz auf das Leben des Regenten zu werfen. Der Gedanke thut wahrhaftig bis in das Innerste der Seele wohl, daß in dem Lande, wo einst Heliopolis und Alexandrien durch die Schätze der Wissenschaft weithin leuchteten, nach den vie- len Jahren der traurigsten Finsterniß, wenigstens einige Schritte versucht werden, um die Verlaffenschaft der erha- benen Vorfahren, ob auch nicht in ihrem vollen Werthe, doch einigermaßen zu würdigen. 279 Tages darauf trat ich meinen Rückweg an. Ein küh- ler Wind wehte fogar noch Mittags. Bald fah ich den erwähnten Obelisken, weiter oben die Pyramiden von Gizeh, dann den Mokatam, und aus ziemlicher Ferne fchon Kairo. Den Weg belagerten mehrere Bettler, die aber, bequemer oder anständiger als die unsrigen in der Schweiz, nicht nachrannten. Ein Knabe legte es darauf an, durch feine Klumpfüße Mitleiden zu erzwecken. Der auffallendste Bettler hielt sich behaglich in einer kleinen Höhle auf, die mit einem löcherigen Dache versehen war. Beinahe immer lief mein Eseltreiber den weiten Weg. Den Lauf setzen die Eseltreiber vier Stunden lang an Ginem fort, während die Hitze den nördlichen Europäer gleichsam erdrückt. Die Uebung hat jene Leute gestählt. Wie gestern Nebel, so verdunkelten heute die Atmos- phäre herumfliegender Sand und schwarze, regnerische Wol- ken, an deren Schatten ich beinahe bis Kairo ritt, und zwar ein Stück weit neben dem Direktor Ammon, der sich freundlich anließ. Ich traf gerade Mittags im Fran- kenviertel ein. Ich begrüßte es mit ebenso froher Stim- mung des Gemüthes, als ich der Gegend von Abusabel mein Lebewohl sagte. Es ist schwer, zu begreifen, daß Mehemet-Ali die medizinische Lehranstalt der Haupt- stadt so weit entrückte. Großköpfe sind mit Querköpfen 280 nicht felten verwandt. Jede Berührung mit wissenschaft- lichen oder gebildeten Leuten hätte den Professoren sowohl, als den Studenten leicht gemacht werden sollen. Was ent- bietet ein elendes Dorf armseliger Araber? Geschichtlicher Mückflug nach Mattarieh. Profper Alpinus erzählt: In „el-Mattharia" wird eine gewisse Sykomore besucht, welche von den Ein- wohnern für so heilig gehalten wird, daß es bei ihnen eine ausgemachte Sache ist, es habe die Frau Maria, um dem „Zorne des Herodes von Jerusalem zu entgehen, in eine Höhle des Stammes fich geflüchtet und dort das Kind Christus, unsern Heiland, für einige Tage verborgen. Gs wird daher dieser Baum von Vielen in hohen Ghren gehalten; dieß gilt zumal von den Aushöhlungen desselben, welche Christus bargen. Fabelhaft ist, was Mattäo- lus anführt, daß die Stämme und Aeste des Baumes nie verdorren, wenn fie zuvor ins Waffer getaucht werden, und darin eine Zeitlang liegen bleiben. – Der Pascha von Egypten, des Namens Meffir, besuchte in der letz- ten Hälfte des fechszehnten Jahrhunderts) aus Verehrung der gottseligen Frau den Ort el-Mattharia an jedem Frei- tage, als dem Sonntage der Mohammetaner, und er pflegte dafelbst fein Gebet zu verrichten. So weit Alpinus. 281 Hören wir noch einen andern Naturforscher, Johann Wesling, welcher im dritten Jahrzehn des fiebzehnten Jahrhunderts in Kairo lebte: „El-Mataaria” ist ein Gar- ten um Memphis, ein hehrer Name durch die Verehrung der Chriften. Dort treibt eine ungeheure Sykomore, um- dämmt mit einer niedrigen Rasenbank zur Bequemlichkeit der Besuchenden, und ehrwürdig, wegen des von Alpinus angegebenen Grundes, fchon feit anderthalb Jahrtausenden in den Augen der Christen. Munter grünen die Zweige, obschon der Stamm über dem Wurzelstocke auf eine häß- liche Weise zerstümmelt ist, weil diejenigen, welche den Baum mit dem Kuffe benetzen, ein Stück davon, aus thörichter Liebe zu Reliquien, wegschneiden, während es doch beffer wäre, den Baum in fromm ehrendem Gedächt- niffe zu bewahren. (Joannis Weslingii Mindani de plan- tis Aegyptis observationes et notae ad Prosperum Alpinum. Patavi ap. P. Franbottum 1638. P. 10.) Abenteuerlicher Mitt nach den Pyramiden von Gizeh. Ich fragte oft und oft nach Gesellschaft, um in solcher die Pyramiden von Gisa zu besuchen. Vergebens. Da wählte ich einen Eseltreiber, der etwas italienisch verstand, 282 - und brach, auf guten Ritt hoffend, am Mittage des fünf- ten Wintermonates auf. Noch aber war ich nicht auf dem Esbekiehplatze, als er feinen rothäugigen Bruder mir zu- rückließ. Zudem war dieser in Aussehen und Wahrheit kreuzdumm, und mehr als buono konnte er kaum etwas vom Italienischen. In Gottes Namen – vorwärts. In Altkairo über den Nil gefahren, gelangte ich zu einem Graben. Jetzt fprang mein Esel hinüber, er fiel und ich mit ihm. Erste Stazion des Elendes. Später leitete der Weg zu einem ziemlich breiten Ab- zugsgraben des Nils; wir durchschnitten diesen in einem Kahne ohne Schwierigkeit. Bald traf ich feichtes Waffer. Es liefen zwei Männer daher, und einer trug mich über dasselbe. Ich wußte nicht, daß diese – Führer fein foll- ten. Der Eseltreiber, voll jämmerlicher Angst vor dem Wege nach den Pyramiden, rief fie ohne mein Wissen und meinen Willen. Der eine, ein Scheik, mit nicht unange- nehmen Gesichtszügen, war mit einer Flinte, der andere mit einem langen Stocke bewaffnet. Mehrere Male wurde ich von den Leuten über das seichte Ueberschwemmungs- waffer getragen. Zweite Stazion des Glendes. Ungefähr anderthalb Stunden vor Sonnenuntergang er- reichte ich eine große Wafferfläche, welche man für einen 283 breiten Fluß hätte halten können. Darüber follten wir im Kahne. Es erschallte der Mahnruf an den Fährmann. Die Sonne verschwand hinter die libyschen Hügel, ohne daß man mich holte. Gs kamen mehrere Männer, die, wie ich, die Abfahrt erwarteten ; dann auch Weiber. Diefe kauerten an einem besonderen Orte, unordentlich im Kreise, schwatzten viel, lachten viel, guckten gerne, aßen Datteln, einzelne rauchten auch Tabak. Die Männer tru- gen ihre Worte auf den Flügeln des Gelächters, und schauten kaum gegen die Weiber. Nach zweistündigem Warten langte endlich der Fährmann an. Ich freute mich fehr wenig auf die Nachtfahrt, und doch brannte ich vor Verlangen, wegzukommen. Ein fester Blick nach einem Ausgange der Dinge kann den Menschen dahin bewegen, daß er sich nach Unangenehmem fehnt. Dritte Stazion des Elend es. - Die Nacht war hereingebrochen; der fhöne Mond fuchte indeffen die Finsterniß derselben zu verdrängen. Stelle man sich Jemand vor ohne Kenntniß der arabischen Sprache, mit einem albernen Gfeltreiber, bei Nacht, unter lauter Fremden, im fernen Auslande, und in der Ungewißheit, wo er die Nacht über sein Haupt niederlegen könne, und man fühlt jetzt das Peinliche meiner Lage. Geschehe, was Gott will, dachte ich. Man wies mir den besten und 284 geräumigten Platz in dem Fahrzeuge an. Es durften jedoch hier, wegen der Untiefe, nur wenige von den an- wesenden Leuten die Barke beschweren; die übrigen, auch die Weiber, hoben ihre Röcke, fo hoch ihnen die Tiefe des Waffers gebot, und wateten uns nach. Der Mond, fei- ner Schalkhaftigkeit eingedenk, lachte, während dieses Auf- trittes die keusch und anständig in schwarzen Flor geklei- dete Nacht ein wenig aus. Wie wir tieferen Grund ge- wonnen, bestiegen endlich alle den Kahn, natürlich nicht ohne viel arabischen Lärm. Es währte ziemlich lange, bis wir den vom Mond vergoldeten Spiegel in die Quere durchspalteten. Das lange Warten auf den Fährmann, die Fahrt auf Ueberschwemmungswaffer beim Mondescheine und andere Umstände prägten die Nilüberschwemmung un- auslöschlich in mein Gedächtniß. Wir landeten glücklich. Ich will vorwärts – zwischen ausgetretenen Waffern. Allein jetzt kam es ernster. Tiefes Waffer folte durch- watet werden. Unzufrieden mit dem niedrigen Gfel, fetzte ich mich auf die Schultern zweier Araber, faßte fiel um die Köpfe, und streckte die Beine wagrecht aus, so gut ich vermochte. Es half nichts, – ich ertränkte einmal einen Schuh. Vierte Stazion des Glendes. Ich konnte doch wieder auf dem Gfel davon reiten, und ruhiger an dem herrlichen Schauspiele mich abletzen, das 285 fich mir darbot. Der Mond entfaltete all' die Pracht fei- nes Lichtes, auf daß ich die Pyramiden bewundere. Diese fähienen nun fo nahe, daß mich bald gelüftet hätte, fiel mit der Hand zu berühren. Allmälig verminderten sich unsere Gefährten. Wo die Freihunde bellten, dahin zogen beide, Männer und Weiber. Mich begleiteten bloß noch der Eifel- treiber und drei andere Araber, Alle mir zu Schutz und Trutz. Jetzt hatte meine Gesellschaft ihre bestimmten Um- riffe; die Lage war feltsam; Furcht wurde von Vertrauen überwogen. Ich warne den Leser bei Zeiten. Es geschieht wohl auch, daß größere Gefahr in den Büchern aufgefaßt und gefühlt wird, als fie wirklich war. Gs mußte dem Efeltreiber fchon in Kairo erklärt wor- den fein, daß ich am gleichen Tage noch bis zum Dorfe wolle, welches von den Pyramiden am wenigsten entfernt liege. Ich fchrie dem Gfeltreiber oft ins Ohr, in den man- nigfaltigsten Wortwindungen und Radebrechereien, um es ihm ja recht verständlich zu machen, daß ich in einem Haufe die Nacht hinbringen wolle. Zum Ueberfluffe gackfete ich noch etwas arabisch; reden konnte ich fo nichts. Gs war mir, als follte ich einen Berg von der Stelle wälzen. Nicht ohne Ursache drang ich fo begierig auf ein Dorf oder auf ein Haus. Als Lebensmittel hatte ich nichts, als etwas Brot und Zucker mit mir genommen. Ehe ich mich ver- 286 -, fah, faß ich vor den Pyramiden, vor den Trümmern an ihrem Fuße, vor dem Sphinxe. Nicht zu den Pyramiden, sondern in ein Dorf will ich, fagte ich mit dem Nachdrucke eines bebenden Gemüthes. Ja, ja, erwiederte der Araber. Es ging an der großen Pyramide hinauf – zum Eingang. Da fei das Haus, und gut zu liegen, stammelte der Bube. Durstig und hungrig follte ich auf Stein mich niederwer- fen, an der Wüste mich fättigen, und das Gebläse des kühlen Nordens athmen. Ich war kein Engländer, um meine Gesundheit an das Rühmchen zu fetzen, daß man eine mondhelle Nacht in der dunkeln großen Pyramide ver- lebt habe. Hier wollte ich mit nichten bleiben. Allah, rief ich und ich stieg hinunter. Mittlerweile fing ich an, etwas umsichtiger zu überlegen: zu effen brauche ich wenig, und wenn ich bloß vor dem Winde geschützt sei, so dürfte die Nacht wohl erträglich werden. Ich ließ mich auf einige Zugeständniffe ein; meine Leute hatten ohnehin keine Zugluft nach dem Dorfe. Im Reifen darf man nicht mit Unbeugsamkeit an Nebendingen hangen. Ich konnte mehr oder minder merken, daß in der Nähe ein Haus des englischen Konsuls uns als Herberge dienen sollte. Wie ich ankam – wieder kein Leben, nur ein mit einer Thüre ver- fchloffener Pyramidenfumpf. „Zu meinem Troste erspähte ich neben jener eine Art Fensterloch, das nicht unbequem 287 schien, um mich zu beherbergen. Der Zugluft und den Thieren zu wehren, ließ ich die Lichtöffnung nach innen mit Steinen ausfüllen. Ich kroch hinein; den Kopf auf einem Gefimfe, den Leib auf dem Steine, eine wollene Decke unter, den Mantel über mir, so lag ich, und noch nie auf einem antikeren, nur einmal auf einem ebenso schlech- ten Bette. Die Leute thaten zu meinen Füßen an der Pyramide und auf dem Sande so recht behaglich, kauten mit Luftig- keit schmatzend ihre frischen Rettiche, und plauderten in fröhlichem Tone. Meines Durstes und meines Hungers nicht achtend, prüften sie eine Zeitlang meine Geduld. Un- geduldig endlich und drohend griff ich zur Karbatsche, mit den Worten: Bringet Milch und Waffer; voi mangiate e io ho fame (ihr effet und ich habe Hunger). Das Ding war gut; zwei Männer rückten bewaffnet aus. Sie brach- ten, schon spät gegen Mitternacht, mit einem Drittmanne Milch und Waffer. Ich schätzte mich fo glücklich, als un- fere Väter, denen Manna vom Himmel herabfiel. Ich ließ die Milch aufkochen, und noch nichts auf der Welt fchmeckte mir beffer. Den Durst gelöscht, den Hunger gestillt, was wollte ich mehr? Zufriedenheit goß wieder ihren erheitern- den und erwärmenden Sonnenstrahl in meine Seele, und nicht mehr drückte mich der Gedanke an eine Nacht im 288 Freien. Wiewohl in der Wüste und unter unbekannten Menschen fand ich keine Gründe, um für Leben, und we- nige, um für Gigenthum besorgt zu sein. Ich fchlief ziemlich gut, ohne zu frieren, und ich würde noch beffer geschlafen haben, wäre ich nicht von einer Maus und Fledermaus gestört worden. Fünfte Stazion des Elendes. Als der Morgen des 6. herannahte, grübelte ich mit meinen, gegen Sonnenaufgang gewendeten Augen, das fchwächste Grau ungeduldig aus dem hehren Dome. Die Morgendämmerung täuschte mich nicht mehr, nein, fie täuschte mich nicht mehr; auch verkündigte sie von Kairo her der Donner der Kanonen; ich begrüßte sie mit kindlich freudigem Herzen. Sobald der Tag heller war, verließ ich mit den fünf Männern den Pyramidenfumpf. Ich kam an einer Stelle vorüber, wo Nachgrabungen veranstaltet wur- den. Es lagen auf der Oberfläche viel Menschenknochen, fo wie Ginbalsamierungsmaterie, wovon ich zum Andenken aufhob. Im Augenblicke, da ich hart an der mittäglichen Seite der großen Pyramide fand, empfing ich den demü- thigenden Gindruck einer hohen Majestät; sie strebte ge- waltig empor, wie auf den Bergen die letzte erhabene Zacke. Bald befand ich mich wieder da, wo gestern, nämlich am Gingange der großen Pyramide. Am Lichte einer Kerze flieg ich hinunter, ging fort und hinauf. Ich be- 289 schreibe nicht die Gänge und Höhlen. Der Grabstichel des Künstlers stellt anderwärts deutlich vor Augen, was die Feder nur undeutlich vermöchte. Meine Bemerkungen beschränken sich auf Weniges. Der Besuch der Heiligthü- mer kostet wenig Schwierigkeiten. Ueberall guter Stand oder Halt oder beides. Der Saal des Königs ist sehr hoch, und einzig ein Sarg aus Granit unterbricht in demselben die Ginförmigkeit. Nach den französischen Gelehrten ergeben sich für die große Pyramide folgende Maße, die Verkleidung inbe- griffen: Höhe, 456“ 3“ 2“ Wiener-Maß. Kante, 689“ 6“ 6“ - Apothem, 584“ 8“ 8“ - Basis, 719“ 1“ 7“ - Der Flächeninhalt der Basis beträgt: 57,804“ 8“ 3“ Wiener-Maß. An den Pyramiden bewundert man mehr die Maffe und Ausdauer der menschlichen Leibeskräfte, als die Fein- heit und den Geschmack der menschlichen Geisteskräfte. Wenn man die ungeheuern Granitblöcke auf einander ge- fähichtet sieht, so drängt sich zuerst die Frage auf: Wie war es möglich, dergleichen Lasten herbeizuschaffen? Darü- ber zu erstaunen, hat man nicht das größte Recht. Sobald Tobler , Morgenland, 13 290 man über viel Menschenkräfte und Hilfsmittel verfügen kann, läßt sich Großes vollenden. Vielleicht hält es nir- gends leichter, mehr Menschenkräfte für Anderes, als für Brot und Hülle und Obdach zu verwenden, wie in Egyp- ten. Denn der Boden gibt leicht und üppig; die Sonne übernimmt so viel Tagewerke, daß zur Erwärmung des Körpers, in und außer der Wohnung, wenig benöthiget wird u. dgl. Gs kann nicht fehlen, daß, bei solcher Be- wandtniß der Dinge, viel Hände, oder doch die Hände viel Zeit müßig bleiben. Wem entschwebt nicht die Muthmaßung, daß die Pharaonen den Müßiggang der Unterthanen als Quelle von Nachtheilen für den Einzelnen und als Träger von Ge- fährden für den Staat ansahen, und daß sie darum auf Mittel fannen, um den Müßiggang nützlich abzuleiten? Ein Machtwort ohne Grund würde wahrscheinlich Murren unter dem Volke erzeugt haben; sie warfen den Mantel der Re- ligion über die tief liegenden Plane, und es entstanden die größten, massivsten, wenn gleich nicht die kunstreichsten Grabmäler unsers Erdkreises. Die Pyramiden find Grabhügel. Und so sagte ich treu, was ich einmal meine. Jede der vier äußern Flächen der großen Pyramide läuft in Stufen bis auf die Spitze. Diese kann von außen leicht bestiegen werden; allein weil sie eben vom Nebel umschlichen - 291 war, leitete ich auf das Besteigen, als ein eiteles Ge- fchäft, Verzicht. Hier wollte ich ebenso wenig die Rolle eines Gngländers spielen, was ich gerne und offen gestehe. Man wollte schon an dem Vorabende Bagschisch (Ge- fchenk), darauf in, dann außer der Pyramide, und später, als ich gegen eine ihrer Schwestern fortritt. Hier konnte ich die Leute nicht mehr mit dem Versprechen beschwichti- gen, daß ich am Ende ausbezahlen wolle. Ich hatte in Kairo nur fo viel Geld eingesteckt, um den Eseltreiber und etwa zwei Führer aus dem letzten Dorfe befriedigen zu können, von der Ansicht geleitet, daß, bei meiner Unbe- kanntschaft mit der arabischen Sprache, alles Geld mir aus der Tasche geschwatzt werden könnte. Für die Milch be- zahlte ich über Maßen. Jetzt fchon war meine ganze Baar- fchaft auf vier Piaster heruntergeschmolzen. Einer der Füh- rer fiel meinem Gfel in den Zügel. Ich zeigte all' mein Geld, und bezeugte, daß ich nicht mehr bei mir habe, daß ich aber das einzige Vierpiafterstück glatterdings nicht ent- übrigen könne, weil ich an einigen Orten für das Fahren über das Nilwaffer bezahlen müffe, welche Kosten nicht vorangeschlagen waren, und weil ich ohne Geld nicht ein- mal zurückkehren könnte; es folle einer der drei Männer mich nach Kairo begleiten, wo ich dann denselben und zu feinen Händen auch die Uebrigen gehörig zufrieden stellen - 292 werde. Ich kann nicht glauben, daß ich verstanden wurde; - denn man gab dem Anerbieten kein Gehör, und schwatzte mir das Goldstück und meinen Zucker aus der Tasche. Man ließ zu guter Letzte den Zügel los. Sechste Stazion des Elendes. Ich ritt weiter, fah indessen keine Pyramide mehr an; felbst thäte ich den ungeheuern Androsphinx mit fchelen Blicken regaliren, als ich, feinen Hügel von Kopf zur Lin- ken, über den Rücken ritt, den tiefer Sand begräbt“). Ich feufzte unter dem Joche des Mißmuthes. Meine Beschützer gingen fämmtlich hinweg, und, allein mit dem Eseltreiber, sollte ich nach Kairo ohne Geld, durch Nebel, über Wüste und durch Waffer. Von meiner Unpäßlichkeit ohnedieß gereizt, hörte ich fchon einige Krankheiten an der Pforte meiner Gesundheit pochen; ich rechnete hin und her, wie ich meine Peitsche zum Kaufe weggeben werde, um iüber das größere Waffer zu fetzen u. f. f. Kurz, es war *) Der Reisende, fagt Dr. Röfer, wird durch das ihn umschwärmende und gefährliche Beduinengefindel, die mit Keu- len und Pistolen hewaffnet sind, von der ernsten und ruhigen Betrachtung abgezogen, daher Jedem, der die Pyramiden be- fuchen will, zahlreiche Gesellschaft und Vorsicht anzurathen ist; denn es ist bekannt, daß dies arme, nackte Volk wegen einer Kleinigkeit einen Menschen todtschlägt. 293 Nacht in meinem Gemüthe. Je fester. Jemanden die ge- wöhnlichen Auswege versperrt werden, desto gewifer rafft er feine Kräfte zusammen, um ungewöhnliche ausfindig zu machen. Plötzlich ging ein Stern der Hoffnung auf. Ich hatte die Gewohnheit, in einer Geheimtasche in Papier gepacktes Gold mitzunehmen. Ich wußte, daß das Päckchen fehlte; indeß dachte ich, daß ein Stück herausgefallen sein könnte. Ich fpürte nach und, o holdes Glück, richtig glitt mir ein Goldstück in die Finger. Ich fühlte mich nun reicher, als hätte ich über Millionen zu gebieten, weil ich die Mittel besaß, fortan in pekuniärer Beziehung forgenfrei nach Kairo zu ziehen. Daß der Begriff von Reichthum fehr relativ fei, mag einen Theil der Reichen verdrießen, aber doch die minder Begüterten trösten. Zudem wählte der Eseltreiber einen andern und beffern Weg. Er richtete sich mehr gegen Mittag, und die Py- ramiden von Sakära rückten ziemlich nahe. Es war ange- nehm, über die vielen Dämme zu reiten; Waffer rechts und links; bald Feld, das aus dem Waffer eben auftauchte, noch naß, doch vom Fellachen betreten, bald Früchte tra- gendes Land. Ich konnte mich nie lebhafter als heute über- zeugen, wie vielfach die Verbindungen zwischen den Dör- fern von der Nilüberschwemmung erschwert werden. Der 294 Weg führte über mehrere Brücken, unter welchen das Was fer rauschte, als wäre es fließend. Die Ueberschwemmungszeit ist der Winter Egyptens und das Ueberschwemmungswaffer der Winterschnee. Der Schnee ist auch Waffer, bloß gefrorenes. Wenn das Waffer ab- gefloffen, kommt der Frühling; so wenn der Schnee ge- fchmolzen. Beide, Waffer und Schnee, decken das Erdreich. Auf dem Rückwege wurde ich nur über drei kurze Stre- cken getragen, einmal vom Gfel, dann aber vom Eseltrei- ber, weil jener das zweite Mal, gleich Anfangs, fammt dem Reiter, in den Schlamm stürzte. Siebente Sta- zion des Elendes. Der Anblick Kairos und des Mokattam fimmten mein Herz zur innigsten Freude. Nach vierundzwanzigstündiger Abwesenheit war ich wieder in der Hauptstadt, die mich wie eine zweite Heimath ansprach. Die vierundzwanzig Stunden machen mir das Pyramidenland unvergeßlich. Diese Schilderung belehrt, daß zur Ueberschwemmungszeit an den Besuch der Pyramiden von Memphis (Gizeh) fich ungewöhnliche Mühseligkeiten knüpfen. Gs gibt nichts angenehmeres, als nach großen Anstren- gungen wieder auszuruhen, und nichts Süßeres, als den Widerwärtigkeiten des Lebens aufrichtig zu zürnen. Gs war mir ein Labsal, den ganzen Zorn auf die Waffer, die Füh- 295 rer und die Pyramiden zu entladen. Ich wollte über tro- ckenes Land, da denn die mannigfaltigen Hindernisse der ausgetretenen Waffer; ich wollte zu rechter Zeit mich mit Speise und Trank erquicken, da denn die geschäftige Folter des Hungers und Durstes; ich wollte eine Wohnung unter Lebendigen, da denn das harte Ruhekiffen der Pyramide in der wüsten Todtenstadt. Wie ein Kind, dem man einen Spiegel vorhält, nach feinem Bilde greift, so langte ich nach einer Reihe von Truggefalten. Wer kennt nicht die Gespenster, die unablässig sich bemühen, die arme Seele des Menschen irre zu leiten? - Wegweiser in und um Kairo. Erster Tag. Man verfügt sich an einem Morgen frühe nach dem Nile, darüber zum Garten Ibrahim- Pafchas. Von da nach dem Aquädukt. Von hier nach Altkairo und dem Nilometer. Nun fieht man das arme- nische und koptische Kloster, in letzterem Mariens Altar, und dann die große Moschee A'm rus. Man reitet über Turäb-el-Seydeh Omm Käfim zurück. Nachmittags begibt man fich zum Konsul, der bis zum folgenden Tage die Erlaubniß für den Gintritt in den Garten von Schubbra auswirkt. - 296 3 weiter Tag. Man reitet, aber nur nicht an einem Sonntage, auf die Burg; hier der Juffufsbrunnen. Auf dem Rückwege bewundert man die Gräber von Käyd-Bei. Abends reitet man nach dem Schubbragarten. Dritter Tag. Man kann das Militärkrankenhaus, den Esbekiehplatz, etwa einen Brutofen ansehen, zur Zeit der Fütterung im Katzenstifte sich einfinden. Vierter Tag. Gehe man zu Fuß, um die verschie- denen Baffar zu durchmustern, denn auf dem Esel, der manchmal gallopiert, schwinden die Gegenstände zu schnell am Auge vorüber. Zwei Tage erfordert der Weg nach Abufabel, und ebenso viel derjenige über Sakära nach den Pyramiden von Gizeh. Daraus erhellt, daß die Merkwürdigkeiten, dazu noch der Haffantempel, die Kadettenschule u. dgl. in wenigen Tagen besehen werden können, wenn man sie nur gehörig in die Zeit zu vertheilen weiß. - Die Ritte find nicht kostspielig. Für einen Tag rech- net man fünf Piafter (nicht einmal 40 Kreuzer R. W.). Reitet man den Esel einen halben Tag, so gibt man dem Treiber höchstens drei Piaster (etwa 23 Kreuzer R. W.). 297 Rückblick auf Kairo. In dieser weitläufigen Stadt verbrachte ich mehrere der angenehmeren Tage meines Lebens, und ich gestehe, daß ich mich ungerne von ihr trennte. Die Verschiedenheit der klimatischen Einflüffe und Hervorbringniffe, die Ungleichheit der Sitten und Religionsgebräuche, die Sonderbarkeit in den politischen Einrichtungen und so vieles Andere hielten meine Seele stets in reger Gespanntheit, dergestalt, daß Langeweile in Kairo mich nie angähnte. Kairo ist ein großes, altes Weib, das falsche Haar- touren, Brillen und Krücke trägt; aber es vermag seine Runzeln nicht fpurlos auszuglätten, noch feine grauen Haare ganz zu verbergen, noch feinen halbblinden Augen die volle Sehkraft zurückzugeben, noch feinen gekrümmten Rücken in das Senkblei zu bringen. Wofern nicht ein wundersam belebender Hauch aufs neue die Adern der Alten durch- dringt, fo wird fie über nicht fehr lange von hinnen fchei- den, und ihr Grabmal wird dann wegen der schauerlichen Größe über die Grabmale beider Todtenstädte spotten. Meife durch die Wüste nach El-Arysch. Verspätete Abreife; Dromedarwechsel; der Pole; Hunger; Hochzeitsspektakulum; Postillon; Dromedarthränen; Kartoffel- 298 kunft; Ausmöblierung der Wüste mit Kameelgerippen; Kinder- fpiel mit Datteldornen; Eremitage à la Rouffe au; Dorfschaft Kátieh mit Allerlei; Fata Morgana; Sirbonis lacus; ein bef- res Getränke als Champagner, Idumäa u. f. w. Ich war Willens während der fehr angenehmen Früh- lingszeit länger in Kairo mich aufzuhalten; der Umstand aber, daß ich in der kältern oder Regenzeit durch die Wüste reifen müßte, und daß eben ein Pole, ein Kapitän aus der letzten Umwälzung, welcher des Arabischen kundig war, iüber El-Arysch nach Syrien fich begeben wollte, bewog mich, den Aufenthalt abzukürzen. Weh that es mir, daß sich keine Gesellschaft zur Un- ternehmung der Reise über Suez nach Jerusalem hervor- thun wollte. - - Um an die frische Küste zu gelangen, hätte ich zwar über Damiate zu Waffer reifen können; allein mehr denn ein Grund leitete mich durch die Wildniß: nicht nur laute- ten die Nachrichten, daß zu Lande keine Kontumaz gehalten werde, sondern ich wollte auch die Süßigkeiten und Bitter- keiten einer Wüste selbst kosten. Lebenserfahrungen sind echte Reichthümer des Menschen. - Der polnische Offizier besorgte die Thiere. Er zog Dromedare vor, weil sie fanfter gehen, und die Hälfte Wegs mehr in einem Tage zurücklegen als die Kameele. 299 Jeder von uns nahm ein Thier für sich, und eines bestimm- ten wir für den Geleitsmann. Die Gepäcke wurden mehr oder weniger gleichmäßig auf die Latthiere vertheilt. Am Tage meiner Abreise hatte ich keine geringe Noth. Ich follte mich bereit halten, daß ich vor Sonnen- aufgang aufbrechen könne. Schon des Morgens verfügte ich mich zum österreichischen Konsul, um den Reisepaß zu holen. Jetzt stellte sich eine Schwierigkeit entgegen. Ich follte den städtischen Auslaßschein haben, und der Ausfer- tiger war abwesend; ich beschwerte den Konful an diesem Tage mehrere Male. Er ließ sich die Sache sehr angelegen fein, und wie fich die Aussicht allenthalben trüben wollte, befahl er feinen Leuten, daß man auf die Ausfertigung dringen sollte, koste es, was es wolle. Schon lag die Nacht eine Stunde über Kairo, als ich eines Auslaßschei- nes noch entbehrte, indeß der Pole zur Abreife fest ent- fchloffen war. Endlich langte der Dragoman fammt dem Janitscharen und einem Menschen in dem Hause, wo ich wohnte, an, um mir den Auslaßschein und die Grlaubniß- karte für den Eintritt in den Schubbragarten zu überreichen. Letztere traf freilich zu spät ein. - Sonntags den 8. Wintermonat. Ich bin nicht im Klaren, ob der Pole oder der Besitzer der Dromedare mich in unnütze Geschäftigkeit jagte. Der 300 Geleitsmann kam mit feinen hochbuckeligen Thieren erst etwa zwei Uhr nach Mittag. Die getäuschte Erwartung fpannt auf die Folter. Der Dromedar fand fo schnell auf, daß ich mich zu- fammennehmen mußte, um nicht zu stürzen. Noch beschaute ich die Gaffen Kairos, die Leute und – Esel unter meinen Füßen. Wir ritten aus einer Stadt in die andere, von einem Thore zum andern, bis wir, wenn ich mich fo aus- drücken darf, dgs Ufer des Meeres von Häusern erreichten. Kairo ist gleichsam ein Gemengel von Städten. Außer den Umfangsthoren, womit nach Außen die Stadt gesperrt wird, befizt jedes Quartier feine eigenen Thore, damit es geschloffen werden könne. Das Isolieren der Stadt in ihre Viertel haben die Despoten gar weise berechnet. Bricht in einem Quartiere eine Gmpörung aus, so werden die Thore desselben auf der Stelle gesperrt, und der Aufruhr beschränkt sich auf einen Theil der Bevölkerung und zwar fo völlig, daß man in den übrigen Stadtvierteln die Vorfallenheiten manchmal erst später erfährt, mag auch im heißen Kampf nicht wenig Blut gefloffen sein. Schon begann der Dromedar zu traben. Er schüttelte mich fo kräftig, daß ich das Reiten nicht hätte aushalten können. Ich bestieg einen andern, und nun ging es recht gut. Das Reiten machte mir nur geringe Schwierigkeiten; 301 es war mir bloß nicht am beßten zu Muthe, wenn der Dromedar aufstand oder sich niederließ. Steht der Dromedar oder das Kameel auf, so stellen fie erst die Vorderbeine auf. Dabei neigt sich der Rücken von vorne nach hinten, und der Reiter bewegt feinen Kör- per vorwärts. Darauf stellen die Thiere fich auf die Hin- terbeine und der Rücken des Dromedars- oder Kameels be- kommt die entgegengesetzte Neigung nach vornen, wobei der Reiter feinen Körper rückwärts bewegen soll. Laffen die Thiere sich nieder, so fallen sie zuerst auf die vordern, dann auf die hinterm Knie, wobei der Reiter fich verhalten muß, wie wenn jene aufstehen. Eigentlich fenkt fich der vordere und hintere Theil des Körpers abwechselnd unter zwei Ma- len. Nach und nach gewöhnt man sich auch an diese Be- wegungen der Thiere recht leicht. Die eigene Art Gebrüll, welche fiel dabei und beim Packen erheben, spricht den Frem- den Anfangs unangenehm an, so daß er versucht werden könnte, zu wähnen, fiel seien böse und bissig. In den Jah- ren der Kindheit hatte ich keine geringe Furcht vor dem Kameele mit feiner wunderlichen fremdartigen Figur, und wenn ich damals fah, wie ein Mensch sich erkühnte, folch" einen Brüller zu besteigen, so erlangte mein Mitleiden für jenen den höchsten Grad. Die fremde buckelige Gestalt und das starke Gebrüll täuschen in gleichem Maße. Ka- 302 meel und Dromedar gehören zu den zahmten Hausthieren unter dem Monde. Vor der Stadt fahen wir eben die Rekruten sich in den Waffen üben, unter wildem Pfeifen und Getrommel. Beim Ginbruche der Nacht kehrten wir in Chanka, dem ehemaligen großen Lagerplatze der egyptischen Armee, zu. Ich war müde und hungrig. Wir betraten die Haus- fchwelle eines polnischen Angestellten, und er fegnete uns mit einem freudigen Gmpfange. Seine Frau, eine Koptin, war eben auf Besuch in Abufabel bei ihrer Schwester, einer Professorin. Er ging die Heirath unter der Bedingung ein, daß er treu fein wolle, so lange er sich in Ggypten auf halte. Ein Kind, welches ich fah, hatte weit mehr ein koptisches als ein polnisches Gepräge. Dieser Pole foll ein tüchtiger Gelehrter fein. Er sprach in der That fehr un- terrichtet, z. B. über den Unterschied der koptischen Reli- gion; allein, erst müde und hungrig, dann fchläfrig, ver: lor ich fast alle Aufmerksamkeit. Der Geist mag sich noch fo unabhängig dünken, er muß doch abwechselnd die Herr- fchaft dem Körper abtreten. Unser Gastfreund fetzte Pillau vor, der mir vortrefflich fchmeckte. Zu Hause kann ein ganzes Jahr vergehen, bis ich hungere. Die Befriedigung des Hungers ist wirklich ein großer irdischer Genuß. Ich war, wie viele Andere, ein 303 Stundenmann. Wenn die Glocke fchlug, mußte, ohne viel Nachfrage nach der Gßluft, gegessen werden. Auf der Reise wird diese Rechenkunft zur Null, und der Verbrauch der Kräfte durch die Uebungen des Leibes weckt dem gefun- den Menschen Appetit. Man sollte daheim fich zur Richtfchnur nehmen, mehr aus Nothdurft, als aus Gewohnheit zu effen, und man würde eine Menge Genüffe fich bereiten, und manche Uebel verhüten. Es gehört zu andern Verkehrtheiten des Menschen, daß er die fchlichte Wahrheit im Ganzen so we- nig würdigt, und daß die blendende Lüge fo bald und fo leicht in fein Herz eindrückt. Den 9. Um zwei Uhr Morgens reiteten wir bei hellem Mond- fcheine ab. Gegen Morgen blitzte es dann und wann, was ich unter unterm Himmel bei heißer Witterung wahrnahm, ohne daß sie sich zum Donnern und Regen entschied. Wir kamen durch schön bebaute Landschaften und kurz nach Sonnenaufgang zu dem Dorfe Bélb eys, wo wir bei der Post auf einer Anhöhe im Freien uns niederlegten, um zu speifen. Abends erreichten wir das Dorf Légrén, und blieben auf der Post in einem Zimmer über Nacht. Ich holte 304 meinen ganzen Schulwitz heraus, um Feuer anzumachen. Ich vergeudete so viel egyptische Schwefelfäden, daß der Schwefeldampf unsern europäischen Lungen bedeutend zu fetzte. Ein Araber, naturwitziger, als ich fchulwitzig, zauberte das Feuer flugs daher, und ich buk Eier in mei- nem Kochgeschirre. Das Gericht gerieth fo gut, daß es auch meinem Reisegefährten mundete. Als ich mich schon fchlafen legte, erhob fich ein wildes Gelärm und Gejauchze unter Schalmei- und Tamburtönen. Es ward eine Hochzeit gefeiert. Ungefähr fo lärmt man in der Schweiz, wenn man, mit Erlaubniß, einen Ochsen im Triumphe von der Schießstätte zum Wirthshause führt. Morgens hatten wir einen Begleiter; von Bélbeys wollte er uns in die Wüste führen. Wir trauten ihm nicht, viel- leicht mit Unrecht, und wir ließen ihn reiten, feelenver- gnügt, daß wir feiner los wurden. Den 10. Auch diese Nacht nahm ich das gleiche Blitzen wahr. Als ich vom Schlafgemache herunterfieg, lagen andere Leute noch im Schlafe auf dem Dache. Früh Morgens ritten wir mit einem Polizeidiener (Kafaß) von Gaza, wel- cher feinen Kondukteur hatte, davon. Die letzte und diese Poststazion sind, wenn die Mit- 305 theilung des Kapitäns Glauben verdient, wegen der Räu- ber am gefährlichsten. Wir frühstückten in Salehyeh, einem Dorfe mit einer Post, wo die eigentliche Wüste beginnt. Es langte eben die Post an. Der Postillon trug um dem Haupte einen Turban, und unter dem Kinne einen langen Bart, und über dem Leibe einen langen, faltigen Mantel (Abba). Das Posthorn schmetterte nicht, noch kirrte das Rad; nur fanft patschte die Hufe des Dromedars auf, und kein besonderes Abzeichen war an der Kleidung des Wüstenpofillons erkenntlich. Darin find die Europäer fehr erfinderisch, einem Jeglichen fein paffendes Hanswurst- kleid zu geben. Einzig trug der langtrabende Dromedar am krummen Straußhalfe eine kleine Glocke, was sich wohl fähickt, damit die Räuber zu rechter Zeit erinnert werden. Jetzt ging es in die Wüste, und als wir tiefer in der- felben uns befanden, begegnete uns zu Fuße ein Derwisch (ein mohammetanischer Pfaffe) mit fliegenden Kopfhaaren und langem Barte. - Es ist merkwürdig, daß die Wüste immer noch ihre Weltüberwinder begeistert. Es wäre viel- leicht doch schon mit den alten Säulenheiligen genug ge- wesen. Sage wenigstens dem blinden Religionszwange: In der Wüste ist Freiheit des Glaubens. 306 Die Wüste war nicht fo kahl, wie ich fiel mir vorstellte. Viele Sodagewächse bekleiden sie zur Steppe. An den meisten Orten zeigte fich dieselbe fo, wie ein Kartoffelfeld mit feinem einsam fehenden jungen Kraute. Hie und da erhoben sich kleine Hügel, uns in der Aussicht Abwechse: lung zu verschaffen. Auf meinem Dromedare traf mich ziemlich ferne von menschlichen Wohnungen der Unfall, daß es fich reisemüde niederließ. Unverzüglich hob der Geleitsmann das Gepäcke ab; jener fand auf, und trug mich weiter. Gs ist eine bekannte Thatsache, daß die Kameele oder die Dromedare auf die Kniee finken, sobald man fie überladet. Uebrigens war mein armes, an einer Lungenkrankheit leidendes Thier fehr fchwach, so daß es beinahe umfiel. Der polnische Reisegefährte rief in feiner Haftigkeit, daß unser Unglück mehr als gewiß fei. Auf dem ermüdeten, kranken Thiere wäre allerdings bei einem etwaigen Ueberfalle die Flucht unausführbar gewesen. Ich war kalter Skeptiker und ritt weiter mit Gelaffenheit. Fürchtet man Alles, fo hat man doch nichts mehr zu befürchten, und so gewährt wenigstens der Blick in die Zukunft Beruhigung. - Mit unnennbarer Freude erblickte ich gegen Abend auf einer kleinen Anhöhe das Posthaus. Ehe wir dabei an- langten, kamen wir hie und da über einen aufgedämmten Z07 Weg (Brücke), arabisch Kantera. Der Europäer würde das Posthaus zu Kantára nicht erkennen, und winkt es dem Wanderer doch freundlicher, als der stattliche Postpalast in Paris. Man denkt mit wonnigem Gefühle beim Anblicke der Posthütte, daß man hier unter Menschen Schutz und Ruhe finde. Dem plattdächigen Posthäuschen gegenüber fand mittagwärts eine Art Pavillon, von Dattelblättern gebaut. Weiterhin gruppierten sich einige Zelte für die Po- lizeisoldaten. Bei Kantära zieht vor den Blick eine kleine Bucht des Sees von Menzaleh (Tanis lacus), und in feiner Nähe steht ein Brunnen, welcher, wenn ich nicht irre, Byr-el-Dueydar heißt. - - - Wir waren von dem Durfte fark geplagt. Wir schlepp- ten bloß eine Wenigkeit Waffer, nicht einmal in den feste- sten Thierfellen, mit, so daß eines Morgens mein Bein ganz naß wurde, weil, wegen der schlecht angeordneten Ladung, dasselbe über einen Wafferschlauch gehalten werden mußte. Diese kleinen Vorräthe follten bis El-Arysch aus- reichen. Ich kostete das Waffer zu Kantära, und fand es falzig (kochsalzig); weil mein Durst aber sich wenig um den Gaumen bekümmerte, so gab ich mich zufrieden und trank. Ich laffe andere Aerzte ihre Qualen erzählen, welche sie von den immer anderes und anderes Getränke verlangenden Kranken zu erdulden haben; ich beschränke Z08 mich auf die Bemerkung, daß nur der schwache Durst schwer befriedigt wird, und daß man bei wahrem Durfte trinkt, was flüffig ist. Um meine heiße Trinklust einmal ordentlich zn löschen, kochte ich Kartoffeln (die 75 Prozent Waffer enthalten), nachher fößerte ich fie und ver- fetzte sie mit Waffer, worauf sie mit Butter abgekocht wur- den. Diese Speise hatte gerade die erwünschte Salzigkeit und schmeckte dem Hungrigen. Sonst verursachte mir das Waffer weder Erbrechen, noch andere Beschwerden. Begreiflich fuchten wir hier den Unfall, welchen uns der Dromedar bereitete, wieder auszusöhnen. Wir versprachen dem Posthalter, einem fhön gestalteten und bieder scheinen- den Manne, hundert Piafter für einen Dromedar bis El- Arysch. Die Verheißung einer nicht ganz unbeträchtlichen Geldsumme und die Thränen des Reisegefährten, welche dieser über unser Mißgeschick vergoß, vermochten den treuen Postbeamteten nicht zu erschüttern. Er antwortete mit kur- zen Worten, daß auf Auslieferung der Thiere, ohne Re- auifizion der Regierung, das Leben hafte. Was war wohl zu thun? Man mußte sich, ob gerne oder ungerne, in das eiserne Schicksal fügen. Wir vereinigten uns zuletzt in dem Vorhaben, morgen meinen Dromedar ohne Gepäcke versuchsweise zu reiten, was er wahrscheinlich aushalten 309 werde. Verläßt uns die Hilfe der Menschen, so vertrauen - wir wieder gerne der Vorsehung. – Den 11. Wir brachen bei Zeiten auf. Mein Dromedar lebte einmal noch, und zappelte unter mir weiter, damit doch die Augen des Hauptmanns, nein, ich sage, unsers Schick- fals trocken werden. Wir hatten den ganzen Tag Sand- hügel vor den Augen, und wären diese wirklich naß geblie- ben, fo hätte es uns an Stoff nicht gefehlt, fiel trocken zu freuen. Der Weg führte uns über mehrere Hügel und war beschwerlich wegen des lockeren Sandes. Das Thier glitt bei jedem Schritte einen halben Fuß tief in denselben. An der Post Du edär, welche an die Abendseite eines Hügels fich lehnt, ritten wir vorüber. Um meinem armen Thiere Erleichterung zu verschaffen, flieg ich hier ab. Mein Gehen war außerordentlich mühs felig, gerade fo, wie bei uns, wenn der Schnee fehr weich ist, daß man mit dem Fuße tief einfinkt und rutscht. Wie der Sandstaub, fo ist eine lügenhafte, trügerische Seele ohne Festigkeit, ohne Halt, ohne Zusammenhang. Ich dauerte das Reifen zu Fuße nicht lang aus; denn ich fühlte Leere im Magen, und bald drückte die Hitze. Den Weg fand ich übrigens ziemlich angenehm. Fortan waren in den 310 Sand die Sodagewächse gesteppt, worin sich die Vögel be- luftigten. Bald sprang Gewild vorüber, wenigstens Ga- zellen und ein Schakal (Fuchs). Auf dem meistens deut- lichen und breiten Wege durchmusterte ich die Stapfen der Menschen und Thiere, oder die Kameelgerippe, welche, wie gebleicht, auf dem ganzen Wege oft wahrzunehmen find. Allerdings athmet mehr Leben in der Wüste, als auf dem Meere; felten aber begegnete uns ein Sterblicher. In der kleinen Oase (Wüsteninfel) Bir-Anoß, welche die Dattelbäume freundlich stimmen möchten, kehrten wir an, uns zu erfrischen. Hier ergötzte mich ein Spiel der Kinder. Sie spießten an drei Datteldorne eine Dattel. Da vergruben die Datteln nahe an einander in den Sand. Jetzt warf Giner nach dem Andern jene drei an der Dattel vereinigte Dorne nach den unsichtbaren im Sande vergrabe- nen Datteln, und wer am meisten an den Dornen hervor- zog, trug den Sieg davon. Das Spiel will eben nicht. viel Gewandtheit, und zeugt von Gewinnluft. - Als wir dann weiter rückten, entzückte mich ein Pal- menwäldchen am Fuße der Morgenseite eines Hügels. Die Schalmei erklang lieblich aus dem einsamen Haine. Dort waren Hirten angesiedelt. Diejenigen Araber, welche die Freiheit der Unterwürfigkeit vorziehen, entfernen sich lieber von den Menschen, als daß fiel nach den Gesetzen und Lau- 311 nen eines Fürsten leben. Daher wurde felbst die Wüste zum Theile bewohnt. Mich mahnte oft die Wüstenei an unsere Berge und die Leute der Wüste an unsere Bergleute. Einst trieb die Freiheitsliebe die Alemanen vom Rheine auf die Berge der Schweiz. An beiden Orten, in der Wüste der Berge wie der Niederung, waltet mehr oder minder Oede für ein einfiedlerisches Leben. Es ist denk- bar, daß man sich an die mit Sodagewächsen bekleidete und mit Hügeln bedeckte Sandwüste ohne viel Ueberwindung gewöhnen könne. Es verdient, bemerkt zu werden, daß in dieser Gegend die Sandhügel, ihrer eigenthümlichen Form wegen, Pyra- miden gleichen. Dieselben find so glatt vom Winde aus- geblasen, wie unser Schnee oder unsere Windwehen. Sie ziehen im Allgemeinen von Osten nach Westen. Ehe wir die Post erreichten, genoffen wir auf dem letzten Hügel eine fehr ausgedehnte und wahrhaft erquickende Aussicht – Wieder etwas Waffermangel. – Der Drome- dar trug mich bis hieher die meiste Zeit, und mit Leicht- finn vergaßen wir bald den gestrigen Kummer. Wir entschloffen uns, in Käty eh zu übernachten. Man wies uns in der Post ein Zimmer an. Es waren so eben auch Mann, Weib und Kinder eingetroffen. Um fich das Reiten bequem zu machen, faßen sie in geflochtenen Kasten 312 (Schekdof), einander das Gleichgewicht haltend. Die Frau begab sich in das Harem. Kätyeh ist ein kleines Dorf mit zwei kleinen Moscheen ohne Minaret. Die Gebete werden an denselben gar fleißig und laut vom Muezeinn (Thürmer) gesungen. Abends, etwa anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang, glaubte ich in der Schlaftrunkenheit den Nachtwächterruf zu hören; ich vernahm die filberne, lieblich ernste Stimme des Asche (des fünften Gebetes). Die Wohnungen der Dorfleute, einfacher als alle, fo ich bisher fah, find ohne Dachung. Dattelblätter bilden die große Einzäunung einer Vorrath- kammer; darin lag eben ein Haufe Mais. Weil aber der Wind bisweilen den Sand hineinstäubt, so werden die Leute genöthigt, den letztern von Zeit zu Zeit wegzufeihen. Der Vorrathskammer fchließen sich die Wohnungen in Form des griechischen II an; fie find mithin auf einer Seite ganz offen für Sonnenhitze und Regen. Auf die Kunde, welche sich in dem wilden Dorfe ver- breitete, daß ich ein Arzt fei, kam ein etwa fünfzigjähriger, dürrer, kinderloser Mann mit feiner zum Geschenke bestimm- ten, rothen, Mütze voll Datteln, mich zu fragen, was zu thun fei, damit er Kinder bekomme ? Ich hätte den Mann mir jung gewünscht, um wegen einer Antwort nicht in Verlegenheit zu gerathen. Als ich in der Runde spazieren 313 ging, fchauten die Weiber und Kinder wie närrisch meine gelb metallenen, glänzenden Knöpfe an, und als ich ihnen meine Taschenuhr zeigte, so sperrte die Bewunderung gar im höchsten Grade ihre großen Augen auf. Laut lachten die weitmundigen, entschleierten Weiber. - Den 12. Der Weg zog über Hügel gegen Berlaupt. Als ich hier abstieg, fror es mich fo nachhaltig, daß ich mich ans Feuer fetzte, und nach der Spende der Sonne fehnte. Junge Burschen, die uns umgaben, machten freundliche Mienen, und ich glaubte an ihnen schon einen Uebergang in den wei- ßen Stamm zu bemerken. Vor meinen Augen wandten fie mit ebenso viel Gleichmuth, als Gewandtheit das Glüheisen bei einem Pferde an, - - In der Besorgniß, daß mein Dromedar mitten auf dem Wege erliege, sahen wir uns nach einem andern um. Der Posthalter war vor wenigen Tagen gestorben, und die jun- gen Sprößlinge von leichtem Stoffe, wie Spinnengewebe, trugen kein Bedenken, uns ein Thier anzuvertrauen, fo ernstlich auch die im Harem verborgenen Weiber, als wür- dige Stellvertreterinnen des zarten Geschlechtes, dagegen fchreien mochten; nur forderten jene zu stark. Wir wurden endlich einig; fchnell ging man, den weidenden Dromedar zu holen. Tobler, Morgenland- 14 314 Nun hatte ich einmal einen guten Läufer, und die Wüste wurde für mich ein Paradies, Indeß bot die Gegend hier auch wirklich die reizendsten Partien dar. Auf einmal kamen wir in einen großen Keffel. Gin Theil des Bodens fah aus, als wenn er mit gefrorenem Waffer und Wafferpfützen überzogen wäre. Dieses Schauspiel gab unser Weg öfter, und eines Morgens konnte ich mich kaum überzeugen, daß ich, statt gefrorenen Waffers, krystallisiertes Salz vor mir hätte, Wie wir aus dem Keffel herausrückten, welch"Ent- zücken. Eine ungeheure Ebene, gleich einer Eisdecke, dehnte fich aus, mit einer Lehne gegen Sonnenaufgang, welche die Ginbildung zu Seeufern umschuf. Im Nordost spielte die Täuschung mit Palästen einer in großer Ferne liegenden Stadt, und im Norden mit dem Meere, Man durfte dem frohlockenden Herzen kaum offenbaren, daß die Fata Mor- gana eine Wüste ohne ein einziges Grün fei. In meinem Leben noch nie fah ich eine fo vollendete Landebene. Wie fehr ergötzt schon ein kleines, ebenes Gartenbeet; hier aber felle man sich die fundenlange und fundenbreite Fläche vor. Freilich findet man dergleichen bloß auf kurz anger nehm; auf längere Zeit widert die Einförmigkeit an. Wir durchschnitten jetzt andere große Salzebenen, und erst be- griff ich die einsamen Schreckniffe der eigentlichen Wüste. Gegen Mitternacht gewann der weiße Salzboden - - 315 ein fo gefälliges Ansehen, daß er an glänzendem Weiß dem Alabaster nicht nachstand. Gin dumpfes Braufen, das ich von der Linken her hörte, blieb mir lange unerklärlich. Den Gruß entsandte das gleichsam hinter der Bühne schwe- bende Meer; denn von Salzfluthen bot fich nicht eine dem Auge dar. Daß der durchrittene, muschelreiche Boden ein Waffergrund war, leidet keinen Zweifel. Wahrscheinlich breitete sich hier der Sirbonis lacus (Sirbu) aus, der einst 150 Meilen im Umfange hielt und zur Zeit des Pli- nius nur ein mäßiger Sumpf mehr war. Von der alten Stadt Ostracine (Straki) erblickte ich keine Spur. Die Poststazion war überaus groß. Doch langten wir vor Untergang der Sonne in Choanat, dem Ziele unserer heutigen Reise, an. Der Postmeister, ein recht artiger Mann, bewirthete uns mit süßem Trinkwaffer aus Gl-Arysch, womit uns ungemein gedient war. Wir würden Cham- pagner-Wein nicht vorgezogen haben. Auch durften wir uns etwas darauf zu gute thun, daß er uns nicht, gleich andern Reifenden, unter freiem Himmel lagern ließ, sondern gaftlich in seine Wohnung aufnahm. - Die Posthütte war für mich nicht ohne Intereffe. An ihren Mauern bemerkte ich mehrere Verfeinerungen. Der kranke Postmeister verlangte von mir ärztliche Hilfe. Es liegen indessen solche Wünsche fo augenscheinlich auf der Z16 Hand, daß ich sie in der Folge schwerlich mehr berühren werde. Freitags den 13. Wintermonat. Mit Tagesanbruch bestiegen wir die Dromedare; ich wieder meinen alten. Rechts erging fich mein Auge an den Sandbergen. Unter den Füßen starrte Salz und Salz. An manchen Stellen bildete dasselbe weißen Krystal, an andern lag es zerbröckelt, grau und mit Sandkörnern ver- mengt. Gine Weile lang machte ich allein den Weg in der Wüste. Da fähritt ein Beduine daher; bald kam auch ein anderer, und beide grüßten einander. Mir schien die Sache nicht geheuer. Ich machte mich in Gedanken mit einem Angriffe vertraut. Auf Hilfe hätte ich wohl nicht zählen können; in der Wüste wäre jeder Hilferuf umsonst verhallt. Ich erblickte kein anderes Wesen in der weiten Runde, als die zwei Beduinen. Ich ritt theilnahmlos an ihnen vorüber; fie schauten mir einige Augenblicke nach, und dann gingen auch fie ihres Weges. Ein solches Begegniß wäre unter andern Umständen ganz unbedeutend gewesen, und auch unter diesen will ich keineswegs mir einbilden, daß ich in Lebensgefahr gestanden habe. Die übrige Zeit hatte ich den Kameeltreit ber zum Gesellschafter, der fich fort und fort in feinem kopfstimmigen Singsang gefiel. Nach einem mehrstündigen 317 Ritte erhob sich endlich am Horizonte zu meiner Freude das Meer, das brausende. Heute begegneten uns überhaupt nicht selten Menschen und viel beladene Kameele. Am Meeresstrande ging es dann fort bis zu einem mit Grün umgebenen Brunnen, wo ich den Polen mitten unter mehrern Leuten und Thieren einholte; denn da mein Dromedar fchlecht trabte, ritt jener rückfichtslos weiter. Menschen, die fich um Andere nicht bekümmern, folten, zu ihrem eigenen Beßten, eine geraume Zeitlang weder ein vernünftiges Geschöpffehen, noch hören. Unter den am Brunnen gelagerten Leuten befand sich ein Beduine, auf defen Luntenflinte man mich aufmerksam machte. Von dieser lachenden, kleinen Au, in deren Um- gegend wahrscheinlich das alte Rhinocorura in Idumäa (Edom) oder genauer im Lande der Amalekiter (Beduinen), nach Andern in Ggypten lag, waren wir bald bei Gl- Aryfch. - - Werfen wir einen Rückblick auf die Reife. Unzweifel- haft gewährt fiel ihre eigenthümlichen Reize und Vortheile. Wer möchte in der theilweise kahlen und leblosen Wüste von Gespensterfurcht geplagt werden, weil etwa ein Baumwipfel lispelnd fich neigte, eine alte Giche knarrte, ein faules Holz fchimmerte, eine Maus nagte, ein Holzbock bohrte? Wer möchte sich bangen, daß eine Gule schrie, gleich als wenn 318 unsere alten Mütterchen ohne das Eulengeschrei nicht sterben könnten, und so alt werden müßten, wie der ewige Jude Ahasverus ? Und so ungehindert kann man in der Wüste wandeln. Weder einem glänzenden Könige muß man ausweichen, noch von einem lumpigen Bettler wird man angehalten. Wenden wir uns jetzt von der Lichtseite auf die Schattenseite. Wiewohl Person und Gigenthum während der Reise durch die Wüste, so zu sagen, sicher find, fo möchte ich dieselbe nicht geradezu rathen, weil fie in überwiegendem Maße beschwerlich und mehr Unglücksfäl- len preisgegeben ist. Wer seltene Merkwürdigkeiten schauen will, darf aber Opfer nicht scheuen. Es verdient Würdigung, daß durch die Wüste Post- einrichtungen bestehen, und daß fomit das menschenarme Land gleichsam in den Bereich der Kultur gezogen wurde. Dem schaffenden und durchgreifenden Geiste des Mehe- met-Ali müffen wir auch hier Gerechtigkeit widerfahren laffen. Wir dürfen indeß nicht in Vergeffenheit bringen, daß die Posteinrichtungen keinen allgemeinen, sondern einen speziellen, keinen bürgerlichen, sondern einen militärischen oder Regierungszweck haben. Der Postillon nimmt keine Pakete an. Die Briefe gehen nicht regelmäßig. Gs scheint, daß diejenigen Privaten einer besondern Begünstigung be- 319 dürfen, welche der Wohlthat einer ordentlichen Verbindung durch die Post theilhaftig werden wollen. Uebrigens find Kameel- oder Dromedarposten nicht das Erdachtniß unserer Zeit. Schon Salomo Schweigger redet von der Kameel- oder Dromedarpost. Zu Rosette, sagt er, hab’ er eines Tages. Einen fehen auf der Post rei- ten „auf einem Cameel” oder „Dromedar.” - Unsere Reise dauerte fünf Tage und fünf Nächte. Wir brachen in der Regel fehr frühzeitig bei Nacht auf, lagerten und ruheten am Morgen und Abend, im letztern Falle bis über Mitternacht. Wir legten ebenso in der Regel täglich zwei Posten, nur einmal drei zurück, so daß im Ganzen von Kairo bis El-Arysch elf Stazionen gezählt werden. Mit Waffermangel würde man sich im Grunde vergeblich martern, weil das Waffer auf allen Posten genießbar ist, und von den Leuten daselbst wirklich genoffen wird. Wir haben freilich lieber einigen Waffermangel gelitten, als mit falzigem Waffer unfern Durst gänzlich gestillt. Die Witterung war während der Reisefchön, die Nächte vom Monde beleuchtet, die Mittagshitze auf dem Thiere leicht erträglich, und nur an ein paar Morgenstunden ver- spürte ich strengere Kühle. Es ist gut, wenn man sich ge- gen die Morgenkühle durch Kleider wohl verwahrt. Das Bedürfnis dem Auge ringsum sich anschließender Steppen- 320 brillen gegen den Sandstaub fühlte ich niemals bei der Windstille oder bei dem fehr leisen Winde, die während meiner Reise herrschten, fo angelegentlich man mir jene, als etwas Unentbehrliches, in Kairo empfahl. Statt mit Freudigkeit, erblickte ich die auf einem Sand- hügel einsam stehende, niedrige Moschee von El-Arysch eher mit Mißmuth; denn hier wartete auf uns die Quarantäne. Zelt an Zelt, Leute, Kameele, Efel bezeichneten im bun- ten Neben- und Durcheinander die Gesundheitsanstalt. Wir fchauten nach einem Zeltplatze. Gben gefiel uns einer, als es hieß, daß heute dort drei Personen an der Cholera far- ben. Unter folchen Umständen fuchten wir uns, fo viel als möglich, abzusondern, und wir schlugen unser Zelt an einem erhabenen Orte, mit der Aussicht auf das Meer und die Wüste, auf das Gebirge des feinigen Arabiens in der Ferne, und auf die in der nahen Vertiefung liegenden Zelte eines Bei, mit Namen Mustafa, eines Gardeoberften. An das Zeltleben noch nicht gewöhnt, sollte ich zwölf Tage hier verbringen, ein Gedanke, der wie Blei auf mein Herz drückte. Mir that es leid, mit dem Oberaufseher der Quaran- täne gleich Anfangs mich zu zerwerfen, als er uns auf einer günstig gelegenen Stelle nicht sitzen lassen wollte, Ich machte ihm vorstellig, daß es unsere Pflicht sei, für 321 die Gesundheit bestens zu forgen, daß keine Regierung, welche für die Menschheit mit Achtung durchdrungen sei, uns die Besetzung eines Lagerplatzes von Krankheiten zu- muthen könne, und daß, wenn man meinem Wunsche nicht - willfahre, mir in Aussicht gestellt sei, die Anstalt nach Ver- dienen in Europa bekannt zu machen. Dieser Worte Stachel empfand der Mann so lebhaft, daß er einige Schritte vor- wärts ging und dann bemerkte: „Ich fähicke Sie zurück, wenn – – “ Er wurde endlich nachgibig, indem er uns an dem ausgewählten Orte das Zelt aufrichten ließ, worauf ich nun gerne schwieg. Die Quarantäne in El- Arysch. Gefängniß unter dem Zelte; Regen; Mangel und Ueberfluß; Koch und Küche; Schreibpult und Schreibfand; Macht der Gewohnheit; Mustafa-Bei und feine Frauen; Minnefinger; ein freies Wort über die Einrichtung der Quarantäne. Der Oberaufseher der Anstalt war aus Livorno gebür- tig und von Beruf ein Apotheker. Er fähien ein guter Mann zu feyn; auch ließ er fich später mit uns recht freundlich an. Ich vernahm aus feinem Munde kein ein- ziges wissenschaftliches Wort. Wenn ich fragte, welche Krankheiten in diesem Dorfe endemisch herrschen, wie die Sterblichkeit sich verhalte, ob die Cholera in der Nähe 322 oder Umgegend feuche u. f. f., fo erwiederte er selbstzufrie- den mit nichtssagenden Empfindungswörtern. Oefter wie derholte er den Schmatzlaut, defen sich der Araber be- dient, um fein la (nein) zu ersetzen. Kenntniffe find keine Last, nur ihr Grwerb ist fchwer. Gs würden weit mehr Menschen ernster nach jenen streben, wenn sie nur, ohne eine Dornenbahn zu betreten, dazu gelangen könnten. So wenig haffen fie, felbst unwiffendere und unthätigere, die Kenntniffe, daß sie vielmehr solche häufig genug an An- dern beneiden. Es ist übrigens eine über Geisteshoheit und Gemüthsglück Gedanken mächtig anregende Eigenthüm- lichkeit, daß wissenschaftlicher Indifferentismus oder Liebe zum Leeren und Leichten manchmal aus nicht minder hei- terem Auge strahlen, als große Schocke von Wiffen. In Begleitung eines Arztes oder Halbarztes aus der Abusabler-Schule *) und eines Effendi Dragoman kam der Direktor zu Pferde in der Regel täglich zweimal, am Morgen und Nachmittage, bloß um nachzusehen, ob die Zahl vollständig sei. Als wir, ein Trupp von fünf Män- *) Wie hoch die Aerzte aus der Abusabler - Schule gewer thet werden, erhellt fchon daraus, daß man einem Europaer, welcher von der Medizin rein nichts versteht, einen solchen Arzt unterordnet. - 323 mern, anlangten, ließ er den Namen mehr nicht, als eines Einzigen aufschreiben; man erkundigte sich nicht ein- mal, woher wir kämen. Nach dem Gepäcke ward fo we- nig gefragt, als dieses untersucht. Mein Reisegefährte, der polnische Kapitän, fchüttelte den Direktor fcherzend an den Schultern. Gin benachbarter, kontumazirender Türke, der mehrere Tage nach uns eintrat, hieß, in der Luft, einen unserer Dromedare zu kaufen, feinen Bedienten das Thier reiten. Ich möchte das merkwürdige Schauspiel des Wett- rennens auf den Dromedaren im Lazarethe jedem Guro- päer gegönnt haben. – Einmal ging ein Knecht des Mu- stafa - Bei ohne Erlaubniß, die Eifel auszutreiben. Er wurde dafür mit Stockschlägen bestraft. Ich kann dies fo weit bezeugen, daß ich selbst den Schatten des flie- genden Prügels hätte wahrnehmen können, wäre ich darauf aufmerksam gewesen. Der Bei felbst stattete uns einmal einen Besuch ab. Tages vorher pfiff eine Kugel über unsere Köpfe und sank ermattet einige Schritte von uns in den Sand. Ich richtete meinen Blick umher und erkannte den Bei als Thäter. Er wollte eben persönlich fich damit ent- schuldigen, daß er bloß nach dem Meere geschoffen habe, um die Flinte von der Ladung zu befreien; und der Mann, der bei einem Franken wegen eines Schuffes sich entschul- digte, ist ein Türke. Es traf sich gerade zu, daß der 324 Direktor in die Quarantäne ritt, als der Bei bei uns weilte. Gr fuhr diesen barsch an, daß er die Gesundheits- linie überschreite. Kennst du den Befehl der Regierung nicht? fragte er ihn. Wenn man erwägt, wie oft die Quarantäneordnung, um den mildesten Ausdruck zu wäh- len, verletzt wird, fo muß eine folche einseitige Strenge als lächerlich oder gar als eine Kinderpoffe erscheinen. Strenge kann immerhin ihren beredten Anwalt bekommen, wenn ihre Nothwendigkeit und Nützlichkeit über den Zwei- fel hinausliegen; es glättet sich um so mehr ihr rauhes Aeußere ab, je gleichmäßiger und gerechter fiel in allen Thei- len gehandhabt und je. Größeres und Gdleres ihr zum Lohne wird. An der Anstalt befinden sich mehrere Marketender. Der eine ließ das Geld eher in den Sand werfen, bis er es annahm; der andere ergriff es aus dem Waffer, we- nigstens vor den Augen des Direktors; der dritte steckte das Geld ohne Zeremonie ein, je mehr je lieber. Die Marketender fetzen fich keineswegs außer alle Berührung mit den Kontumazirenden. Ich nehme keinen Anstand, die Behauptung aufzustellen, daß von ihnen eine ansteckende Krankheit verschleppt würde. Wüste und Meer find Gottes Mauern, welche die Qua- rantäne umringen. Ohne Aufsicht, doch mit Erlaubniß, begaben sich der Kapitän und ein Türke, jener Kafaß 325 (Polizeidiener), der durch einen Theil der Wüste in unserer Gesellschaft reifete, ans Meer, um sich darin zu baden. Zum Spazieren lag weiter Raum offen. Die Kameelfüh- rer trieben ihre Thiere zur Weidung in die Steppe. Nachts konnte man unschwer einen Abstecher ins Dorf machen, von wo man auch Besuche erhielt. Man war sicher, daß von den trägen Quarantäne aufsehern die Leute der Anstalt zur Nachtzeit nie überrascht wurden. Auf der Wanderung durch die Wüste wiegte ich mich in der süßen Hoffnung wenigstens auf ein ordentliches Ob- dach. Kleine Sandhügel mit den Vertiefungen dazwischen waren der Quarantäneplatz und Zelte das Wohngebäude. Ich hoffe, daß die Verfaffer von Handbüchern die Defini- zion einer Quarantaineanstalt erweitern, und wen die mors genländische Sitte mit Zaubergewalt an sich zieht, dem möchte ich den Aufenthalt in der El-Arycher - Quaran- täneanfalt empfehlen. Er kann da unter Zelt fchlafen, wie unsere Erzväter Abraham, Ifaak und Jakob; ihn werden die Kameele höchlich ergötzen, das eine liegend, ein Wiederkauer mit mürrischen Hänglefzen, das andere auf allen Vieren stehend, das dritte auf drei Beinen, weil, um das Thier im Gehen zu hemmen, das vierte aufgebun- den wurde; die Gfel werden unseren Dilettanten vor Ta- gesanbruch mit einer Ouvertüre entzücken, gegen welche 326 die sogenannten Meisterwerke Roffini's nichts, als kläge liche Machwerke find. Und nun zu unserem Zelte. Gin schmutziges, übelrie- chendes, löcheriges, kleines Zelt war das ganze Obdach zweier Männer. Ich wußte nicht, ob es den nämlichen Tag, als ich mich unter ihm legte, Leichname gedeckt habe. Ich mußte diesen Gedanken immer plötzlich entfernen, damit er in meinem Gemüthe nicht das Gleichgewicht störe. El- Arysch befizt einen Reichthum an füßem, gutem Waffer, und die Vorsteher der Anstalt geizen mit ihm, daß sie nicht einmal die Zelte waschen laffen, obschon die Zeit des waschenden Regens nicht vier Monate lang dauert. Ich richtete mein Bett möglichst gut ein, deckte des Nachts mich ganz, felbst über dem Gesichte, zu, und ich schlief leidlich, ohne zu frieren. Mehrere Tage machte es unter dem Zelte fehr heiß, ja heißer, als in Alexandrien und Kairo. Schwarzes Gewölke drohte einige Tage mit Waffer. Ich hoffte immer, es werde, uns verschonend, fich zerstreuen. Es war vergebene Hoffnung. Der Regen, der fo lange nicht mehr in meiner Nähe fiel, netzte unfer Zelt und unsere Kleider. Das Schicksal war in der That etwas herbe, und wenn ich es rühmen wollte, fo müßte ich der Wahrheit untreu werden. Die Hälfte unserer Quaran- tänezeit begleitete regnerische Witterung. Doch darf man - - 327 sich die Sache nicht gar so böse vormalen. Die Witterung beobachtete ihre Nachläffe, und während der letzteren fanden wir leicht Zeit, Zelt und Kleidung zu trocknen. Die Temperatur war über die Regenzeit nicht kalt, vielmehr günstiger, wie vorher, insofern, daß fiel weit minder wechselte. Bei wenigen Graden blieb sie Tag und Nacht dieselbe. Ich muß gestehen, daß sie mir vollkommen behagte. Mit den Marketendern hatten wir mehr, als einmal Schwierigkeiten, da fiel die Speisen nicht zu rechter Zeit brachten. Die ersten zwei Tage fühlten wir auf befrem- dende Weise einigen Nahrungsmangel; denn wir konnten, außer Brot, keine Lebensmittel uns verschaffen. Später hingegen hatten wir eher Nahrungsüberfluß, wenigstens Butter und Schaffleisch, Hühner und Gier, Reis und Brot genug. Deffen konnten sich wohl nicht alle Kontu- mazirende rühmen. Ginen Tag nach unserer Ankunft ver- lautete es, daß drei Personen starben, – nach der Ver- ficherung des Direktors, an der Cholera. Es wäre mög- lich, daß diese Personen den Folgen des Hungers oder einer schlechten Ernährung erlagen. Keine Oberaufsicht auf die Lebensmittel haltend, überläßt der Direktor die Kontumazirenden den Launen und Erpreffungen der Mar- ketender. Man wäre fast geneigt, vor Gott den Mangel der Anordnung zu beklagen, daß derjenige, welcher am 328 Unglücke Anderer aus Theilnahmlosigkeit Schuld ist, nicht sogleich mitfühlt. Die Fahrlässigkeit des Direktors geht so weit, daß er nicht einmal für eine Apotheke forgt. Es möchte nun in der Quarantäne erkranken, wer nur wollte, an eine geregelte ärztliche Behandlung dürfte man nicht denken; ein blinder Zufall oder die Kraft der heilenden Natur müßte des Kranken sich erbarmen und ihm die Ge- fundheit wieder fchenken. - - Butter, Reis und Fleisch waren unsere Elemente zu schmackhaften Gerichten. Ich kochte felten. Ich war alle- zeit linkisch ohne die häuslichen Bequemlichkeiten, und mit dem Feueranmachen kam ich bei den wenigen Hilfsmitteln am wenigsten zurecht. Auch unser arabische Geleitsmann, – ich nenne ihn erst jetzt bei seinem Namen Abu- Tropo, – übertraf mich weitaus in dieser Sache *). Wenn er nur ein Glimmchen hatte, fo umfreute er es mit Stroh, hielt dieses an den Wind und bald fing es Feuer. Gelang es auf diese Weise nicht, so befächelte er jenes mit feinem breit gestreiften Abba. Dagegen kochte beinahe im- *) Auf arabisch Abu, Vater. Sobald der Araber Vater eines Sohnes ist, fo wird er nach dem Namen desselben gehei- ßen. Hätte bei uns der Vater einen Sohn mit Namen Wil- helm, so wurde der Araber im befern Tone erstern nie anders, als Vater Wilhelms heißen. 329 mer der Kapitän, und zwar verstand er dieses Geschäft vortrefflich. Ueber dem englischen Halbbraten aus unserer Küche im Freien vergaß ich wegen feiner Güte jeden aus einem Gasthofe. Der Holzmangel machte uns mehrere Male guten Rath theuer. Bald krabbelte Abu - Tropo den Dromedarmist zusammen und zündete ihn unter unsern Koch- geschirren an; bald, und das meist, ging er aus, Holz, Stroh oder das faudige Sodagewächs der Steppe zusam- menzulesen. Man half sich wohl oder übel, übel zumal dann, wenn der ungezügelte Wind den Regen in das Feuer peitschte. Der Kafaß lebte ein wenig einfacher, als wir. Knetete fein Bedienter den Brotteig in dem dicken und gro- ßen Napfe, welchen er auf der Reise mit sich schleppte, fo brannte fchon ein Haufen Kameelkugeln. Sobald diese in Asche verwandelt waren, legte er den in einen großen Kuchen geformten Teig in die heiße Miftasche. Ein wenig gebacken, und man brach und aß. Mit Zwiebeln, folchen Kuchen, altem arabischen Käse und mit Waffer bereitete fich der Kafaß ein Mahl, welches mein eigensinniger Gau- men verschmähte. Auch wir rösteten einmal, in Grmange- lung des Beffern, den Kaffee in der heißen Asche des Dro- medarmistes. Schlimmer, als unsere Küche war jedoch das Viktualienmagazin bestellt. Ginmal über das andere wurde uns Brot, das dritte Mal eine Keule Fleisch, das vierte 330 Mal ein hübscher Holländer - Käfe gestohlen. Durch diese Erfahrung wurden wir zum mindesten etwas vorsichtiger gegen die Raubthiere. Weil Abu-Tropo während der Reise mit zu langen Fingern nach unserm Brote langte, fo schöpften wir zuerst auf ihn Verdacht, bis ich in einer Nacht das raubende Thier mit der Beute aus unserm Zelte eilen fah. Die Zeit vertrieb ich mit Schreiben, Lesen, Kochen, Spazieren und Schlafen. An zehn Tagen fetzte ich mein Tagebuch so weit fort, daß ich an jedem Tage beinahe müde ward, und im Ganzen wenig Zeit verlor. Die Noth macht erfinderisch. Ich vermißte mein Federmeffer, und ein chirurgisches Bifouri verfah feine Dienste. Ich faß auf meine Matratze, nahm das Kiffen auf die feitlich gesenkten Kniee, legte das Papier auf diesen Polstertisch und schrieb in folcher Beschränkung recht leicht; ich dachte sogar felten an Unbequemlichkeit, selbst wenn die Regen- tropfen auf dem Papiere die Tinte neckten. Ich genoß doch des Vortheiles, keinen Mangel an Schreibsand zu leiden; denn nicht nur mein Lager umränderte schöner und feiner Sand, nämlich derjenige der Wüste, fondern felbst aus dem Bette konnte ich ihn faffen, welcher des Nachts fich die ungebetene Mühe gab, zum Erfatze des Stundenrufes mich an die Sandwüste zu erinnern. 331 Besonders während meines Aufenthaltes in der Quaran- täne stellte sich die Wahrheit in lebhaften Farben vor die Seele, wie viel Bedürfniffe und Bequemlichkeiten der Mensch entbehren kann, wenn er nur will oder, fo zu fa- gen, muß. Wie würde ich zu Hause oder in einem Wirths- haufe gemurrt haben, wenn man mir keinen Tisch zum Schreiben oder keinen Seffel zum Sitzen gebracht hätte? Ohne diese Bequemlichkeit fchrieb ich Vieles und, ich darf bei guten Treuen verfichern, nicht mehr. Undenkwürdigkeiten, als vor dem glatten Tische und auf dem weichen Lehnstuhle. Wenn nur ein Wind unsanft ins Zimmer bläst, wie run- zelt man die Stirne? Unser Zelt war fo löcherig, daß der Wind oben freiherrlich lustwandelte, ohne sich vor den Kopf zu stoßen, und ich nahm gar keine Notiz mehr von der Wind – beutelei. In dem Brotkuchen, einem schlech- ten und fchweren Gebäcke, fand ich Haare und Spreue. Anderes Brot war nicht zu bekommen, und ich fchätzte es fo fehr, als unser weißes. Läßt die Köchin ein einziges Haar in die Suppe fallen, man hebt einen Spektakel an, daß die Balken des Hauses sich biegen; welch ein Kapital- verbrechen hat fie begangen; allerwenigstens packt man die Verbrecherin bei den Zöpfen und jagt sie fort. Ich liebe die Reinlichkeit von Haufe aus; bei der Unausweichlichkeit aber, im Leben draußen mit unreinen Dingen hin und wie- 332 der fürlieb nehmen zu miffen, drängten fich mir manche Widersprüche der Europäer auf. Kann man viel unrein- licheres erfinnen, als jenes Ekelhafte in ein Tuch auffan- gen und bei fich aufbewahren? Der Athem eines Andern kann höchst unreine Stoffe ausführen, und wir athmen diese ganz vergnüglich ein. Beinahe jedes Geld- stück trägt feinen Schmutz. Wir betasten gleichwohl das Geld und das Brot fo oft und oft am gleichen Tage und mit der gleichen Hand, ohne diese zu waschen. Die Macht der Gewohnheit ist groß, und man denke fich nicht bald etwas fo fchlimm, an das man fich nicht mit Zeit und Weile ziemlich leicht gewöhnen könnte. Die Gewohn- heit macht das Schwere nach und nach leichter, das Harte gelinder, das Bittere füßer. Die Vorstellungen ver- düstern das menschliche Leben am meisten. Die Gegenwart erscheint selten so herbe, als das ängstlich wartende Gemüth fie noch unten in der Zukunft zu fühlen glaubt. Unser Nachbar, der mehrerwähnte Mustafa - Bei, hatte seine Zelte in einer Telle aufgeschlagen, welche unser Auge beherrschte. Den Preis des fchönsten Zeltes ver- diente das Haremzelt, das heißt, der abgesonderte Ort der Frauen. Bei innen. Dieses Zelt war grün, und als Zierde verbreitete oben ein Stern eine goldenen Strahlen. Von 333 dem Hauptzelte lief ein Zeltgang in ein kleines Zelt, defen Nutzen fich leicht errathen läßt. Die Frauen, vier an der Zahl, gingen felten aus. Die Kinder hörte ich zuweilen bis in unser Zelt weinen. Die Dienerschaft des Offiziers war fehr zahlreich. Das Aufbrechen aus den Zelten zwei Tage vor unserer Abreise gewährte einen köstlichen Anblick. Der morgenländische Luxus belud über zwanzig Kameele mit Gepäcke. Die Frauen verließen wie Gefangene das Harem, die Erstbegünstigte voran. Schöner grüner, auch rother Zeug umkleidete die Sitze (das Schekdof) auf jeder Seite des Lastthieres. Unsere Luft erfüllten die Vögel mit vielstimmigem Ge- fange. Der Rabe krächzte, die Schwalbe zwitscherte, der Staar pfiff, wie bei uns der eben flügge gewordene, und der Sperling schnarrte in die Leier des Zeisigs. Vor dem Witterungswechsel und während desselben fah ich Staare mehrere Male in der Richtung von Sonnenaufgang gegen Niedergang fhaarenweise vorüberziehen. Einmal schwärmte der Storch hoch gegen Kairo. Nachts, bei Grabesstille, brausten die in unzähligen Muscheln des Meerufers gefan- genen Wellen mein Ohr voll. Erheben wir uns jetzt mit ruhiger Faffung auf den Standpunkt, um einen Gesammtüberblick auf die Quaran- täne zu werfen, so wird man die gute Absicht, Länder, 334 hier Syrien, vor der Pest zu sichern, nicht mißkennen, man wird sie ehren; man kann sich aber nicht bergen, daß, in dem gegebenen Falle, das Mittel dazu nicht nur unzurei- chend ist, sondern sogar die Menschen herabwürdiger. Denn das Sittengesetz erlaubt nie, daß man krank machende Anstalten, gleich der vor Augen liegenden Quarantäne, ins Dasein rufe, um einen krankheitsschützenden Zweck zu er- streben, wenn zu gleicher Zeit, wie hier, vom krankmachen- den Mittel, wenigstens zum Theile, Umgang genommen werden kann. Will Mehemet-Ali das zweckmäßige Sperrsystem der Guropäer nachahmen, fo foll er ihm nicht Kopf und Hände abschneiden, er soll es in einem ganzen Umfange aufnehmen, er foll wenigstens Gebäude aufführen, worin der Kontumazirende doch vor dem Ungestüme der Witterung möglichst sicher bleibt. Wie froh wäre ich ge- wesen, wenn nur eine elende Araber - Hütte, dergleichen man in Alexandrien und an den Gestaden des Nils und auf den Hoch in Kairo sieht, zu meiner Verfügung ge- stellt worden wäre. Man wird vermuthlich entgegnen, daß das europäische Sperrsystem in feiner Ganzheit befolgt, bloß den Sitten und den Verhältniffen der Leute und des Landes angeeignet ward. Diesen schweren Irrthum wider- legt nichts gründlicher und triftiger, als die Quarantäne- anstalt zu El-Arysch felbst, insofern man fiel mit unbe- 335 fangenen Augen betrachtet. So lange man in der That dem unwidersprechlich großen Uebel nicht steuert; so lange wird der aufmerksame Beobachter in der fraglichen Anstalt nichts, als ein Blendwerk für die Bewohner der vorwärts liegenden Länder erblicken, so lange kann er auch den Ge- danken an eine ungerechte und grausame Behandlung der Kontumazierenden nicht daniederhalten. In Kairo besteht ein Gesundheitsrath, welcher das Ge- fundheitswohl der vizeköniglichen Unterthanen, eigentlich mehr der Soldaten, überwacht. Es wäre gut, wenn er nicht nur die anzustellenden Aerzte der Armee und der Quarantänen, die Lehrer der Schule zu Abufabel dem Kriegsminister vorschlüge, etwa einige Arzneiformeln für die angestellten Aerzte entwärfe, die Pestordnung abfaßte, fon- dern wenn er allenthalben genauer beauffichtigte. Die Inspekzionsreife eines gewissenhaften Arztes nach El-Arysch müßte die Frucht bringen, daß einem Unwesen, welches das menschliche Gefühl in feiner Tiefe beleidigt, Einhalt gethan würde. Wenn mich jemals ein Kitzel zum Schreiben an eine fremde Behörde angewandelt hätte, so würde ich ihn diesmal gefühlt haben, um dem Präsidenten des Gesund- heitsrathes, Clot-Bei, und dem zweiten Mitgliede, Dr. Gaëtani, die Schattenseite der Quarantäne zu schildern. Ich ging für einmal über die Sache mit Stillschweigen 336 hinweg, mich glücklich genug fchätzend, daß ich während der Zeit meines Gefängniffes von keiner Krankheit ergriffen ward. Die letzte Nacht in der Quarantäne verlief nicht, ohne daß uns ein Kapitel über das Gigenthumsrecht gelesen wurde. Thiere fchlichen in unser Lager, und wirklich ward ein, mittels einer Schnur innen an das Zelt gebundenes lebendes Huhn von einem Hunde oder Schakal geraubt. Ende des erften Bandes. Austreise ins Morgenland. – – –----- - Lustreise ins M o r g e n l a n d. Unternommen und geschildert vyn Dr. Titus Tobler. Zweiter Theil. Z ü r i ch, bei Orell, Füßli und Compagnie. 1 8 3 9. Reise nach Jerusalem. Gepurzel; Gelage; Kameelschädel als Verzierungen; die angebaute Gegend entzückt; Grenzfcheide zweier Welttheile; Raphia und Jenifus; Schattenriß des Reisegesellschafters. Dinstags gegen Abend des 24. Wintermonates, als am zwölften so heiß ersehnten Kontumaztage, brachen wir fröh- lich auf. Die wiedererlangte Freiheit fchmeckte füßer, als Honigeim. Mein hochbuckeliger Kontumazist schien Eile zu haben. Kaum wollte ich auf ihn steigen, fo fand er auf. Ich konnte mich nicht mehr halten und purzelte, das Rad schlagend, hinunter. Die Freude meines türkischen Nachbars, welcher dem Gepurzel zusah, dauerte jedoch nicht lange; gleich faß ich auf dem Dromedar fest und wir trabten von dannen. Echt morgenländisch bewirthete uns der Quarantänedirektor, dessen Einladung in feine Wohnung Tobler , Morgenland. II. 1. 2 wir mit Geneigtheit entsprachen. Beim Anblicke der vielen Trachten, die fich am Abendmahle folgten, hätte man nicht glauben sollen, daß so viel Ueppigkeit an einem Orte anzu- treffen wäre, wo uns an den ersten Tagen die Lebensmit- tel zum Theile mangelten. Da weder Meffer, noch Ga- bel vorgelegt wurden, fo mußten wir zum Gerichte die Finger orientalisieren. Dieser patriarchalische Gebrauch ist wirklich sehr bequem; nur wollte mir der Sitz auf dem Boden am kleinen, niedrigen, runden Tische nicht behagen. Ich könnte die Wonne nicht beschreiben, welche im Hause des Pharmazisten mich, als Freigelaffenen aus dem Zelte, beseelte. Ganz komfortable fand ich das Gebäude mit einem einzigen Zimmer, mit blinden Wänden, mit dem Boden von Erde, mit dem Dache von Palmstämmen, von Reifern und Laub. Wieder einmal ordentlich flehen und herumgehen zu können, ohne immer mit dem Kopfe karamboliren zu müffen, war ein unaussprechliches Vergnü- gen. Nicht mehr plagte die Furcht vor den Thränen des Himmels. El-Aryfch, das Dorf selbst, liegt etwa eine halbe Stunde füdöstlich von der Quarantäne. Von Aloe, Dat- teln und indischen Feigen umkränzt, lacht es for traulich aus der Wüste entgegen. Eben blühten die Bohnen und Alles athmete den Frühling. Der Ort, obwohl nicht groß, Z hat einen Baffar. Ueber den Thüren der Häuser stehen als Verzierungen Kameelschädel. Die Bevölkerung besteht größtentheils aus Weißen, und gerne begegnet man dieser Menschenfarbe wieder, wenn man eine Zeitlang fast lauter Halbschwarze gesehen hat. Am Abende zeigte ich dem Pharmazisten einen Theil meiner wenigen, aus Kairo mitgebrachten Alterthümer. Eine aus Stein gehauene Figur faßte eben ein Araber recht ins Auge, als er bemerkte, daß er auch fchon Steine auf dem Wege gesehen, aber keine Lust gehabt hätte, fiel mit- zunehmen. Weil ich nicht arabisch konnte, so hielt mich ein arabischer Jüngling für erz dumm und verglich mich einem Kameele, welches auch nicht reden könne. Während wir fchon in unsern Betten ruhten, wurden von arabischen Jünglingen einige Tänze aufgeführt. - Den 25. Vor Tagesanbruch rief der Pharmazist feine jungen Burschen herein, um die Pfeifen anzünden und einen schwar- zen Kaffee bereiten zu laffen. Sie brachten die glühende Kohle in der Zange auf die gestopfte Pfeife, und wir rauchten; sie trugen den heißen Kaffee herbei, und wir tranken. Unser Gastwirth hat die morgenländischen Sitten aufs gutherzigste eingeschlürft, und oft pries er sie als echter Lebemann. d Der Hauptmann und ich ritten mit drei Dromedaren weg. Auch dieser Theil der Wüste war hie und da mit Gewächsen bedeckt. Auf dem Wege erblickten wir dann und wann eine Kameel-, Schaf- oder Ziegenherde. Mit tags gelangten wir zu einer Post, um welche ein zahlrei- ches Volk. Hühner wimmelte. Vor derselben erinnerte eine Strecke Salzboden an die Gegend von Choanat. Bei der Post, wo wir nur kurz anhielten, begann angebautes Feld inmitten wüster Ländereien zu meinem Entzücken; es über- fiedelte mich wieder nach Europa. Entbehrungen haben doch das Gute, daß fie meistens mit erhöhtem Genuffe enden. In Ggypten streift keine Ackerfurche durch Hügelabhänge. Neu waren mir wieder die durchfurchten Abdachungen. Ein Kameel zog an zwei Stricken mit den Schulterblättern den Pflug, welcher nur kleine, etwa vier bis fünf Zoll von einander entfernte Gräben aufwühlte. Dem Ackerfelde folg- ten Triften, worauf viele Schafe und Ziegen unter der Hut von Mädchen weideten. Die Erde hatte ein anderes Kleid an. Die unermüdlichen Vögel fangen ohne Unterlaß. Der Weg frich gegen Nordost. Als ich einmal das Meer wahrnahm, lag es gegen Abend. Es stieg in mir der Gedanke auf, daß ich nicht mehr in Ggypten, nicht mehr in Afrika, sondern in Alfien fei. Dieser Gedanke 5 versetzte meine Seele in angenehme Schwingung. Ich durfte wohl die Grenze des asiatischen Bodens nicht überschreiten, ohne lebhafte Begeisterung für die folgenreichen Thaten fei- ner längst entschwundenen, ehrwürdigen Bewohner, welche jetzt noch bei uns zum Vorbilde genommen werden. Stau- nend fenkte sich mein Blick auf den alten Welttheil, das Geburtsland von Christus aus Nazareth, das Stromge- biet religiöser Grundanfichten, welche mir schon in früher Jugend am fernen Alpengebirge Europens eingeflößt wur- den. Ich möchte meine Gedanken und meine Gefühle beim Betreten Asiens nicht näher bezeichnen, aus Besorgniß, daß man sie als unzeitige Ergüffe mißdeuten könnte. Statt alles. Mehreren werfe ich bloß die schlichte Frage auf: Kann ein Unterrichteter ohne eine Regung des Geistes und ohne eine Bewegung des Gemüthes den Boden dieses Welttheils berühren? Ich erinnere mich noch der Kinderjahre, in de- nen ich mir das biblische Afien, die Gegend meiner Sehn- fucht, als die Hälfte des Weges in die Ewigkeit vorstellte. Die Träumereien der Jugend verdienen keineswegs die Verachtung, die ihnen gemeinglich widerfährt; sie haben allerdings nicht felten Bedeutung und Werth; sie find ein trüber Waldbach, der nur durch die Seihe der reiferen Jahre fließen darf, um klar und genießbar zu werden. Rafa, Raphia bei den Alten, ist fast ganz vergangen. 6 Eine halb in die Grde gestürzte Säule trauert am Wege in Gesellschaft von zwei aufrecht stehenden. Jene foll die Grenzfäule zwischen Asien und Afrika fein. Wir kamen diesen Nachmittag neuerdings in die Wüste und über mehrere Sandhügel. – Einmal verlor ich den Hauptmann und unsern neuen Führer, einen Mohren, völ- lig aus den Augen. Auf einem Scheidewege fiel die Wahl mir schwer. Ich schlug den linken Weg ein, ungeachtet ich dazu den Dromedar, der gerade vorwärts wollte, nur mit Mühe bewegen konnte. Kaum aber war eine Anhöhe erstiegen, fo verschwand der Weg und ringsum verdüsterte die Wüste den Ausblick. Ich wendete mich wiederum rechts, der Dromedar fand richtig den Weg und bald vers kündigte fleißigerer Bodenbau die Nähe einer Ortschaft. Wir waren schon im Städtchen Kan-A)unos. Yunos, Jenius der Alten, ist in Feigen-, Dattel- und Oelbäume gebettet. Im lebhaften Baffar lächelten den Wüsteentronnenen die Dinge an, welche fo verschiedene Bedürfniffe beschwichtigen. Grinnerungen an mein Heimath- land wurden beim Anblicke grüner Wiesen, des Viehes und der weißen Bevölkerung aufgefrischt; fogar die Breter, als eine Seltenheit in Egypten, erregten meine Aufmerk- famkeit. Die große Moschee, von farazenischem Geschmacke, erhielt sich in gutem Zustande. 7 Wir mußten diesmal in einem Kän oder Karawanserai einkehren. Gs hatte ein Obdach, war aber von zwei Seit ten offen. Auf der einen lag ein korinthischer Knauf. Man trifft in Jenius überhaupt manche Trümmer, mehr oder minder verfehrte Denkmäler des Alterthums. Im Ka- rawanserai befand sich eben der Stadtgouverneur. Die Her- ankommenden küßten ihm den Saum des Kleides. Er ließ in gastfreundlicher Gesinnung durch feinen Bedienten vorzüglich gute Brote und eine dicke Kräutersuppe uns zu- reichen, die, von Farbe grün, Kaldaunenstücke und Fleisch- bröckchen enthielt und mir nicht fonderlich schmeckte. Gs war indes mein Appetit ein wenig verdorben; wir wollten den Rest der Butter in der Quarantäne noch zu Rathe zie- hen und buken in derselben Brotkuchen, welche zwar dem Gaumen zusagten, allein dem Magen nicht wohl bekamen. Wir belohnten unsern Gastfreund, nach morgenländischer Sitte, mit Stillschweigen. Gin Kerl versuchte eine feltsame Betrügerei. Mein Reisegesellschafter fähickt ihn, ein Geldstück zu wechseln. Er bringt die Münze, aber nicht vollständig. Vor Zorn wie rasend schilt der Hauptmann den Jungen aus, und schon zuckt er die Peitsche gegen ihn. Gr öffnet den Mund und das Fehlende tritt unter der Zunge zum Vorscheine. Mit Sonnenuntergang legte ich mich und schlief zwar 8 fest ein, aber nicht ruhig fort; denn einmal hörte ich un- deutlich, daß ein Mann in einem Streite lärmte, ein an- deres Mal beschnüffelte ein Hund mein Bein, und ein drittes Mal kam die Katze, sich einer Beute zu bemäch- tigen. - Den 26. Gott sei Dank, die Wüste, die beschwerliche, die arm- felige, die langweilige, ist am Rücken. Von jetzt an leitet der Weg durch lauter befferes Land, bald gepflügtes, bald Weideland. Die Vögel schienen, in ihrem unaufhörlichen Geschwätze über die Gegend so hoch erfreut, als ich. Selbst mein Reisegefährte fang in das Tutti, und gerne hätte ich ihn in einen der nächsten Singvögel verwandeln mögen, so lieblich klang feine Stimme. Das Gepräge des Winters auf ganz dürren, abgestorbenen Pflanzen konnte hin und wieder nicht verkannt werden; hingegen war dazwischen der frisch angefchoffene, kurze, feine Grasteppich mit um fo größerem Zauber des Lenzes gewoben. Der fchönste Früh- lingsmorgen bei uns kann den heutigen Wintermorgen ge- gen Gaza nicht übertreffen. Ueber fließendes Waffer fetz- ten wir nie, nur zweimal über tiefere Bachbetten, wie über dasjenige des Besor, an defen Mündung ins Mittel- meer das alte Anthedon sich ausbreitete. Von Bethagla, 9 zwischen Anthedon und Jenius, bemerkte ich nicht eine ". . ." - - - - Spur. Minarets glänzten gegen Norden in einem grünen Haine; es war Gaza, die Hauptstadt der Philister, die Stadt des Starken, des Samfon, welcher, nach der Schrift, ein eisernes Thor auf den Berg getragen hat. Wir durf- ten nicht mehr weit, und dann einzig noch an der Menge von stämmigen Kaktus vorbei, und wir ritten durch ein enges Thor in die Stadt. Der Hauptmann begab sich in feine Herberge, und jetzt war der Augenblick der Trennung, da, nachdem wir mit einander drittehalb Wochen verlebt, hatten. Nun ein Wort über den Reisegefährten. Eine solche persönliche Seltsamkeit lernte ich noch niemals kennen, und darum lohnt es der Mühe, von ihm einen Umriß zu lie- fern. Er ist aus Galizien und von Adel. Ich weiß fei- nen Namen recht gut; ich will ihn aber verschweigen und vergeffen. Zuerst Kämpfer als Hauptmann in den Reihen der polnischen Umwälzer, entfloh er dann nach Frankreich und schloß sich der Schaar Polen an, welche aus dem „neuen Vaterlande“ in die Schweiz einbrach. Gr wußte sich später Mittel zu verschaffen, um von Marseille auf einem französischen Kriegsschiffe nach Egypten zu kommen. 10 Hier trat er in Kriegsdienst unter dem Feldherrn Abra- ham (Ibrahim-Pafcha) als Kavallerieinstruktor. Ein Selbstling im wahrsten Sinne des Wortes, fucht er immer feine eigenen Zwecke. Grfchmeichelt den Gro- ßen und verachtet die Kleinen, damit die einen ihn beför- dern, und weil die andern ihm nichts nützen. Er wählte sich überall das Beßte aus, fo immer den besten Drome- dar, den bequemsten Sattel, die leichteste Ladung, die schmackhafteste Speise u. f. f., um das Uebrige mir zu überlaffen. Wenn ich mich über das Reiten beklagte, so tadelte er mich, daß ich nicht reiten könne, und dennoch hielt ich, bei meinem kräftigern Körperbau, das Reiten beffer aus, als dieser Rittmeister. - - - - Dabei hegt der Hauptmann wenig Liebe für Wahrheit. Was er erzählte, mußte ich auf der Goldwage prüfen. Auf einer Lüge ertappt, hatte er natürlich Recht, und würde gern in Schimpfungen auf mich losgebrochen fein. Sonst besaß er eine Fülle von Lebensgewandtheit, und im Bezahlen war er redlich; nie belog er mich in Geldange- legenheiten, - - Weil mir die Kenntnis der arabischen Sprache abging, so leistete er mir unläugbar wesentliche Dienste, und er übernahm in der Kontumazanstalt fast das ganze Geschäft - der Küche, indeß ich ruhig unter Zelt schrieb, und am 11 Ende lüstern in das gute Gericht biß. Mich tyrannisierte übrigens noch kein Mensch so eigentlich, wie dieser pol- nische Freiheitsmann. Meine Lage fing sich erst zu beffern an, als ich mit dem Oberaufseher der Quarantäne auf freundlicherem Fuße fand und dem Hauptmanne erklärte, daß ich nun forgenlos fei; denn auch im Nothfalle könnte ich recht gut weiter kommen, weil jener für meine Kameele sorgen würde. Er sah seine Entbehrlichkeit jetzt selbst ein. Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, dieser Schwerpunkt des geistigen und fittlichen Menschen, hängt an einem dün- nen Faden, dessen Riß uns, wo nicht augenblicklich, doch in feinen Folgen wehe thut. Ich kann nicht umhin, noch zwei Dinge zu erwähnen. Zu Choanat wurde der Reisegefährte von einer Krankheit, heftig überfallen. Ich stand ihm mit Rath und That bei, ich brachte ihm Reis u. dgl. Tags darauf befand er fich wieder wohl. - Der Dank war, daß er für meinen schlech- ten Dromedar keine Geduld wußte. Einmal wollte ich ab- steigen, um ein Stückchen Naturfalz aufzuheben und mit- zunehmen. Da regnete es zentnerschwere Vorwürfe über Tändelwaare u. f. f. Gs gibt Menschen, welche die Sterne am Himmel gleichgültiger beschauen, als meffingene Knöpfe an einem Rocke. - Der Kapitän, mag er auch immer feiner forgfältigen 12 höhern Bildung und feinem Adel keinen geringen Werth beilegen, ist ein Auswurf des Menschengeschlechts. An der Spitze eines Volkes wäre er spröde, ohne Mitleiden, ein Wütherich. Er hatte indeß, wie andere Tyrannen- feelen, bewegte Zeitpunkte, da das Herz aufhaute; er würde fich dann, der männlichen Würde uneingedenk, wie ein Kind hingegeben haben. Gr wäre unzweifelhaft Mu- felmann; allein er muß es fühlen, daß der kindliche Schmelz feines Gemüthes, in gewissen Augenblicken, nach der Abschwörung des Glaubens ihm das Herz zum Bruche drängte. Am Ende der Reife bat der Gefährte mich um Verzei- hung, wenn er mich etwa beleidigt haben sollte. Ich achte einen folchen „Zug, und doch empfand ich ein wahres Ver- gnügen bei der Scheidung von einem solchen Menschen, deffen Gesellschaft eine Qual und Pein war, und zwar eine um so größere in der Wüste und in einer spottschlech- ten Quarantäne. -, Ehe ich Gaza näher beleuchte, fähicke ich einige einlei- tende Bemerkungen über Syrien nach feinen topographischen Eigenthümlichkeiten, sowie über die Leute, die es bewoh- nen, nach den Verschiedenheiten ihrer religiösen Grundan- fichten voraus. „Zuerft 13 Einige geographische Bemerkungen über Syrien. - - - Das eigentliche Syrien gränzt im Norden an Klein- afien, im Westen ans Mittelmeer, im Süden an Egypten und im Osten an Arabien, also, daß es mit letzterem ums fangsreichen Lande gleichsam eine große Insel bildet, welche vom mittelländischen und rothen Meere, dem Ozean, dem perfischen Meerbusen und dem Guphrat umspült wird. Syrien sticht mehr oder minder schroff ab gegen das Ggyptenland, nehme man die Einwohner, den Himmels- strich oder das Erdreich in Anschlag. Egypten hat einen flachen Boden, der ein Thal mit einem der größten Ströme unseres Erdenrundes vorstellt; Syrien dagegen wird von einer Menge Thäler durchschnitten, woneben Hügel und Berge, am Maßstabe fünf Sechstheile, fich erheben. Eine Gebirgskette zieht durch ganz Syrien, Schritt für Schritt mit der Küste des Mittelmeeres, nur einige Wegstunden davon. Der Libanon (der Weiße) und ihm gegenüber der Antilibanon, der Thabor und der Karmel, der Oelberg und der Hebron, wem find diese Kuppen des Gebirges nicht bekannt? Der Orontes und der Jordan (el-Arden), die Hauptflüffe Syriens, entspringen auf dem Antilibanon. Denn der und der Libanon fchürzen den Knoten des gan- zen Gebirges. Von da fließt der Orontes gegen Mitter- 14 macht; ihm zur Linken, Berg an Berg, zur Rechten theil- weife Arabien. So wälzt er seine Gewäffer über fiebenzig Wegstunden fort und schüttet es in die See, nahe an der Bucht von Antiochien. Der Jordan entquillt keine zwan- zig, Wegstunden vom Orontes, richtet sich von Mitternacht gegen Mittag und verliert sich im todten Meere oder asphal- tischen See (Birket-Luth), welcher von den Jordanquellen bei vierzig, Wegstunden abliegt. In manchen Gegenden von Syrien regnet es ungefähr wie in heißern Gegenden Europas. Das Klima ist im Ganzen sehr gesund. Viele Lagen des Landes sind reizend. In Menge gibt es Berge und Thäler mit zahlreichen Wei- den, worauf große Viehherden sich nähren. Man sieht Bäume gar verschiedener Art, vor allen viel Oelbäume. Die christlichen Dorfbewohner, auch die Drufen bereiten vorzüglichen Wein. - Die ganze Statthalterei zerfällt in vier Paschalik: das jenige von Tripolis und Akre, Aleppo und Damaskus. Zu letzterem gehört das alte heilige Land. Alle Paschalik wurden im Jahre 1833 von Ibrahim-Pafcha, dem Stiefsohne des Vizekönigs von Egypten, erobert und dem- zufolge vom türkischen Kaiser demselben abgetreten. Haleb und Damask übertreffen an Größe und Wichtig- keit weit alle übrigen Städte Syriens. Am Mittelmeere ist 15 Beirut (Bexytus) noch am wichtigsten mit feinem ziemlich sichern und geräumigen Hafen, in den europäische Kauffah- er nicht sehr selten einlaufen. . . . . . . Beinahe von allen Kriegen des elften, zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, als den blutigen Begleitern der Kreuzzüge, wurde Syrien heimgesucht, (UM drückendsten die drei Städte Jaffa und Alfre und Damaskus, Bis auf den heutigen Tag find die Spuren von den Waffen und dem Aufenthalte der alten Kreuzfahrer, welcher Jahrhun- derte lang dauerte nicht verwischt. Nun einige Bemerkungen über die verfchiede- - - - nen Religionsbekenntniffe der Bewohner in S yrien - - L. Der Mohammetanismus heißt auch Isla - mismus, nach dem arabischen Worte Islam, welches Er gebenheit in Gott bedeutet, Vom berühmten Mo - hammet gestiftet, begann er in Arabien gegen das Jahr 614 der christlichen Zeitrechnung. Wie damals das Juden- und Christentum unter den Arabern große Fortschritte machte und der Stamm, dem Mohammet angehörte, der Abkunft von Abraham und Ismael sich rühmte, so glaubte der neue Prediger beiden Religionen einige Grund- - ansichten abborgen zu dürfen , um sie in diejenige Religion 16 überzutragen, welche er zu stiften im Begriffe war. Er nahm das alte und neue Testament großentheils an, indem er Mofes, David und Jefus als Gesandte Gottes anerkannte. Er aber ging von der Ansicht aus, daß ihre Lehren mit der Zeit verderbt worden seien, und behielt sich darum vor, der wahren Verehrung des höchsten Wesens auf dem ganzen Erdkreise Bahn zu brechen. Die Haupt glaubenslehren des Islams find: Es ist nur ein Gott (Allah uhu) und außer Gott ist kein Gott, und Mohammet ist fein Prophet (Nabi). Es gibt böse und gute Gngel. Jene verfolgen unablässig den Menschen, damit er Böses thue; diese find von Gott beauf- tragt, ihn auf dem Wege der Versuchung im Guten zu unterstützen. Das Schicksal eines Jeglichen, das Gute, wie das Böse, ist voraus bestimmt und erfolgt unabänder- lich, was man Fatalismus heißt. Die Seele ist un- sterblich, und am jüngsten Gerichte wird. Jeder den Lohn nach feinen Werken empfangen." Unter dem heißen Himmel gleichsam glühend, suchen die Moslim ihr größtes Gut in den finnlichen Vergnügungen und glauben auch, daß die Auserwählten des Himmels inmitten frischer Gebüsche, am Gefade lauterer Bäche, am Rande reicher Brunnquellen ruhen, umgeben von den verführerischen Huris mit ihren schönen, immerdar jugendlichen Augen, umkofet von jenen 17 Jungfrauen, welche nichts zu thun haben, als den Seligen Genuß zu verschaffen. Die Hauptfitten lehren find überhaupt Ghrerbie- tung, Vertrauen und Gehorsam gegen Gott, Gerechtigkeit, Versöhnlichkeit und Mildthätigkeit gegen die Menschen und Gehorsam der Kinder gegen die Aeltern. Insbesondere aber wird den Gläubigen vorgeschrieben: 1) Die Reinlich- keit, zumal durch die Waschungen. 2) Das Gebet. Gs wird im Tage fünfmal verrichtet, allein oder mit Andern und wo? ist freigestellt; nur am Freitage muß es in der Moschee oder in Versammlung geschehen. Obgleich dieser Tag der eigentlich Gott geweihete Tag ist, fo können den- noch die Gläubigen an demselben die Zeit vor und nach dem Gottesdienste mit Arbeiten zubringen, welche jeder Stand und Beruf erfordert. Lediglich zwei Feste verlan- gen gänzliche Ruhe der Arbeit, nämlich das große und kleine Bairam. 3) Das Fasten durch einen Monat (Ra- mafan), während defen man die ganze Tageszeit hindurch weder Speisen, noch Getränke zu fich nehmen, felbst nicht Tabak rauchen darf. 4) Das Gntrichten des Zehnten. 5) Die Wallfahrt nach dem Heiligthume zu Mekka, welche jeder freie Mohammetaner wenigstens einmal in feinem Le- ben unternehmen soll, insofern seine Gesundheit es zuläßt. Das Beispiel der alten Araber und Ismaels, des 18 Sohnes Abrahams, befolgend, verrichten die Mohamme- taner die Beschneidung. Sie unterscheiden nach Mofes die unreinen Thiere. Der Islam verbietet den Genuß des Weins und jedes andern berauschenden Getränkes. Hin- gegen gestattet er dem Manne zur nämlichen Zeit vier Weiber und daneben fo viel Beichläferinnen (Sklavinnen), als er halten will oder kann, Die Lehren und Vorschriften der Moslim stehen ge- fchrieben in einem Buche, welches man nach dem Arabischen el-Koran nennt. Die Anhänger geben vor, daß die ver- fähiedenen Abschnitte dieses Buches von Zeit zu Zeit Mo- hammet, ihrem Propheten, von dem Erzengel Gabriel geoffenbaret worden seien. Ausgenommen die Lehrsätze des Glaubens, handelt der Koran auch von der Sittenlehre, von der Ehe, von der Scheidung, der Nachfolge. Mit einem Worte, er vertritt, in dem religiösen Gewande, mehr oder minder ein Zivil- und Kriminalgesetzbuch. Da - - er arabisch abgefaßt ist, so wurde diese Sprache die heilige der Perfer, Türken und anderer mohammetanischer Völker, welche fämmtlich darin übereinstimmen, daß sie ihre Zeit- rechnung mit der im Jahre Christi 622 erfolgten Flucht Mohammets von Mekka nach Medina beginnen. Diese Zeitrechnung nennen sie Hedschra, was Auswanderung oder Flucht bedeutet. Das Jahr der Mohammetaner ist 19 übrigens ein Mondenjahr, das heißt, es zählt elf Tage weniger, als das unfrige. Unter den Mohammetanern gibt es ebenfalls Leute, welche ein frommes Leben in der Zurückgezogenheit wählen. Diese Art von Mönchen wird mit einem Namen belegt, welcher einen Dürftigen bezeichnet; im Arabischen Fakir, im Türkischen und Perfischen Derwifch. Diejenigen, welche sich einem beschaulichen Leben überlaffen, tragen den Namen Ssüfi. Die mohammetanischen Mönche bilden ver- fähiedene Orden, deren Alter auf die ersten Khalife zurück- reicht. Die meisten Brüder, wie fie fich gegenseitig nen- nen, haben ein frenges Noviziat und lange Prüfungen zu bestehen, bevor sie in den Orden aufgenommen werden. Viele leben gemeinsam in einem Kloster; Andere führen ein Ginsiedlerleben; noch Andere laffen sich in einer Gegend nieder, oder ziehen Land auf Land ab. Allen steht es frei, ihren Stand zu ändern und das Leben fo einzurichten, wie es ihnen am besten gefällt. Die meisten Brüder, welche einem beschaulichen Leben fich ergeben, befleißen fich einer Weltüberwindung, die man nicht weiter treiben könnte, und beträchtlich ist die Anzahl Bücher, worin ihre Hirngespinste verzeichnet sind. Die anderen Brüder dagegen, welche die Welt lieben, leben zügellos, und man vermag nichts fo Ausschweifendes auszusprechen, das von ihnen nicht be- 20 gangen würde. Solche heißen Kalendris und San to me. Die mohammetanische Kirche war zu allen Zeiten in viele Sekten gespalten, welche, nicht beffer, als die Chri- ften gegen einander, fich grausam bekriegten. Der Krieg hob gleich nach dem Ableben Mohammets das Haupt empor. Der Prophet vergaß, feinen Neffen und den Ge- mahl feiner eigenen Tochter Fatima, mit Namen Ali, zu feinem Nachfolger zu erklären. Als daher die Anhänger Mohammets das Khalifat nach einander Abu beker, Omar und Othman übertrugen, gab es damals Recht- gläubige, welche wider die Ungerechtigkeit Lärm schlugen und fich weigerten, einen andern für einen gesetzlichen Für- fen anzuerkennen, als Ali. Wie dann später dieser zum Khalifen erhoben ward, warfen sich viele von den Wider- fachern gegen ihn auf, und der Bürgerkrieg tränkte mit Blut alle Gegenden, in welchen das neue Gesetz Gingang fand. Dies ist der Ursprung der beiden Hauptfekten, in welche heute noch die Anhänger Mohammets zerfallen, und welche von diesen durch die Namen Sunniten und Schiiten unterschieden werden. - II. Das Judenthum zählt eine große Anzahl von Gläubigen fast im ganzen Morgenlande, vorzüglich aber in Syrien, wo viele von ihnen heilig gehaltene Denkmäler 21 angetroffen werden. Diese Religion nimmt keine andere Offenbarung an, als die Jehovas durch Mofes und die Propheten für das auserwählte Volk. Die Juden, oder, wie man fiel auch heißt, die Hebräer oder Israeliten be- trachten in Gott nur eine Person. Ihre heiligen Bücher find das alte Testament, zum größten Theile in he- bräischer Sprache geschrieben. Sie erwarten die Ankunft eines Messias, welcher für die Gläubigen ein großes Reich gründen foll. Sie nehmen die Beschneidung vor, haben viel Zeremonien und heiligen den Sabbath. Als fie Judäa im Befitze hatten, fanden ihnen Opferpriester vor, genannt Leviten nach dem Stamme Levi. Statt der- felben lehren nun Meister in der Schrift, unter dem Na- men Rabbiner, in den Synagogen oder in den jüdi- fchen Tempeln das Gesetz. Auch diese Religion zählt ihre Spaltungsgläubigen. Am meisten geltend machten sich die Talmudiften und Rabbinisten, letztere fo geheißen wegen ihrer Achtung für die Lehren der Rabbiner, erstere wegen ihrer Verehrung des Talmud, eines Buches, das viel gute, mitunter aber auch wenig gesunde Dinge ent- hält. III. Mitten unter Mohammetanern und Maroniten le- ben die Drufen auf den Bergen Libanon und Antiliba- non. Sie machen aus ihrem Glaubensbekenntniffe, einem 22 bunten Gemische christlicher und mohammetanischer Reli- gionsvorschriften, ein großes Geheimniß. Sie haffen die Mohammetaner, bekennen sich aber äußerlich doch zum Islam. Sie wollen die Nachkommen jener Christen fein, welche in den ersten Zeiten des Nazarenismus über den Jordan fich zurückgezogen hatten. Die Akal find eine Art Priester; selbst Weiber werden in den Orden der Akal auf genommen. Dieselben stehen dem Gottesdienste in den Ka- pellen oder Khalue vor. Die Kinder werden bei den Dru- fen nicht beschnitten. Gastfreundlichkeit wird an dieser Völ- kerschaft vor Allem gepriefen. IV. Unter den eigentlichen Christen versteht man solche, welche, ohne an die Lehren Mofes und der Pro- pheten fich ausschließlich und streng zu binden, an die Of- fenbarung im neuen Testamente, an Christus, an die Vergebung der Sünden und an die Auferstehung des Flei- fches glauben. Sie nehmen die Taufe vor und feiern den Sonntag. Von fo vielen Glaubensbekenntniffen, in die sich die Christen theilen, nimmt man in Syrien neun wahr, welche fämmtlich einige Priester in Jerusalem und zum Theil im großen Tempel des Christus - Grabes unter- halten. - 1. Die griechische oder morgenländische Kirche. Die Hauptunterschiede derselben von der römisch-katholischen - - - - - - . 23 Kirche betreffen die hierarchische Selbstständigkeit außer der Linie der päpstlichen Oberherrschaft, die Lehre, wonach der heilige Geist nur vom Vater ausgeht, das Abendmahl un- ter zwei Gestalten und die Priesterehe. Die Griechen ha- ben fieben Sakramente, welche sie Geheimniffe nennen; allein fie verknüpfen damit nicht den gleichen Begriff , wie die Lateiner. Sie betrachten nur zwei als von Gott einge- fetzt, nämlich die Taufe und das Abendmahl. Die übrigen fünf Sakramente halten fiel für Anordnungen der Kirche. Sie verrichten die Firmelung zugleich mit der Taufe, welche letztere in einer dreimaligen Gintauchung des ganzen Kör- pers in Waffer besteht. Sie verwerfen die Unauflöslichkeit der Ghe, z. B. bei Ehebruch, und fiel verbieten das Hei- rathen zum vierten Male. Sie unterwerfen sich den streng- fen und den härtesten Bußübungen. Sie halten an den Beschlüffen der ersten und zweiten mitzänischen, der ersten, zweiten und dritten konstantinopolitanischen, der ephefischen und chalcedonischen ökumenischen (allgemeinen) Kirchenver- fammlung. Der ökumenische Patriarch in Konstantinopel gilt als das Oberhaupt der nicht - russischen Kirche. 2. Die armenische Kirche, welcher beinahe alle Armenier angehören. Diese Christen begehen wenig Feste, und verwerfen die Verehrung der Heiligen. Sie haben etliche Patriarchen. Der erste unter ihnen führt den Titel: 24 Katholikos, und hat seinen Sitz in Etschmiazim bei Gri- wan. Ihre Abweichungen von der lateinischen Kirche fim- men mit denen der griechischen ungefähr überein. Viele Armenier traten in den Schooß der römischen Kirche. 3. Die Kopten, die auch unter dem Namen der Chriften von Ggypten, Nubien und Habesch bekannt find. Diese Monophyfiten haben die Verehrung der Bilder ange- nommen, und zwei Sonderbarkeiten zeichnen fiel aus: Sie behielten, obschon fiel die Taufe einführten, die Beschnei- dung bei, welche indeß mehr als angeerbte alte Volksfitte, denn als religiöse Zeremonie angesehen werden darf; fie heiligen den Sonntag und einen Theil des Sabbaths. Ihr Patriarch, ziemlich arm, hat feinen Sitz in Kairo, den Titel: Patriarch von Alexandrien und Jerufa- lem, und er bestellt für Habesch einen Generalverweser, welcher Alb unak heißt. 4. Die Kirche der Maroniten, genannt nach Maron, ihrem Stifter, der im fünften Jahrhunderte lebte, und welcher der Kirche eine eigene Verfaffung gab. Die meisten Maroniten halten sich am Berge Libanon und in Zypern auf. Sie unterwerfen sich den Beschlüffen der vier ersten ökumenischen Kirchenversammlungen, und erken- nen in Christus eine Person und zwei Naturen. Allein als Monothe leten laffen fiel diesen zwei Naturen nur 25 einen Willen zu. Ein großer Theil dieser Glaubensbekenner fchloß fich den Lateinern an, hielt jedoch beinahe an allen Gebräuchen der morgenländischen Kirche fest. Diesen Ma- roniten wird das Oberhaupt von Rom gegeben. Es führt den Titel: Patriarch von Antiochien, und wohnt im Kloster auf dem Libanon. 5. Die chaldäische (syrische) oder Nestorianische Kirche. Ihre Anhänger verwerfen die Beschlüffe der dritten, zu Gphesus gehaltenen ökumenischen Kirchenver- fammlung, wo ihre Lehre verdammt wurde. Sie nehmen in Christus zwei Personen an, und weigern sich, Marien, der Gattin Jofefs, den Namen Gottesge- bärerin zu verleihen. Sie verabscheuen die Verehrung der Bilder. Seit dem Jahr 1599 vereinigten sich viele Ne- storianer mit den römischen Katholiken, unter Vorbehalt der Priesterehe und des Abendmahls in zwei Gestalten. 6. Die Kirche der Eutychianer oder Monophy- fiten heißt nur die drei ersten ökumenischen Kirchenver- fammlungen gut, und nimmt in Christus einzig die Mensch gewordene göttliche Natur an. Deswegen wird das Zeichen mit einem Finger gemacht. - 7. Die Jakobiten. Sie nennen fich also nach Ja- kob Baradai, einem syrischen Mönche des fechsten Jahr- hunderts, welcher in der Abficht Syrien und Mesopotamien Tobler , Morgenland, II. 2 26 durchzog, um die Monophyfiten in eine Kirche zu vereinigen. Gr brachte sie in der That unter eine kirchliche Oberherr- fchaft. Sie stehen unter zwei Patriarchen, unter dem fri- fchen zu Diarbeker oder Aleppo und unter dem mesopota- mischen im Kloster Saphran bei Medin. Die Jakobiten, haben mit den koptischen Christen die Gewohnheit der Be- schneidung gemein, verehren die Bilder, und die meisten traten zur lateinischen Kirche über, indem sie jedoch einigen eigenthümlichen kirchlichen Gebräuchen forthuldigten. 8. Die alte abendländische, die lateinische oder römifch- katholifche Kirche. Alle Welt weiß, daß fiel den rö- mischen Papst als Statthalter Jefu Christi und ihr Oberhaupt anerkennt, welchem die meisten Lateiner die Ei- genschaft der Unfehlbarkeit in Glaubenssachen ausschließlich zutrauen. Die Römischen haben fieben von Gott einge- fetzte Sakramente; sie verrichten die Taufe durch Begießung mit Waffer; sie nehmen beim Abendmahle die Verwandlung an; fie halten Ohrenbeichte, verehren Heilige, glauben an ein Fegfeuer, thun Werke der Buße, empfangen Ablaß der Sünden, die Mönche werden durch Gelübde gebunden, die Priester müffen im ledigen Stande leben. Die Kirchenver- fämmlungen find unfehlbar, nicht bloß die allgemeinen, welche vor der Trennung der morgenländischen und abend- ländischen Kirche gehalten wurden, mit Ausnahme des 27 Concilium Trullanum oder Quinisextum, fondern auch viele andere. Die letzte Kirchenversammlung war in Trient vom Jahre 1545 bis 1563. - 9. Man darf sich nicht wundern, daß die abendlän- dischen Christen ohne ein fichtbares Oberhaupt der Kirche, nämlich die Protestanten, welche für die Bekehrung der Heiden eine rastlose Thätigkeit entwickeln, auch Geistliche aufweisen können, die, aus Religionsabsichten, in Jeru- falem festen Sitz genommen haben. Die Mannigfaltigkeit der Religionsbekenntniffe fordert zur ernfesten Betrachtung auf. Es ehren bis auf diesen Tag die Menschen Gott auf ihre verschiedenen Weisen, trotz des Glaubenszwanges, trotz der Bannflüche, trotz der Blutströme. Dem über strengen Vater entläuft der Sohn im Augenblicke feiner Ermannung. Die Sadduzäer, die abendländischen Christen, die Protestanten waren nicht aus fich selbst erzeugt, sondern sie hatten ihre rechtmäßigen Gr- zeuger in dem Pharisäismus, in der morgenländischen Kirche, in dem römischen Papstthume. Wir feiern die Männer, welche Duldsamkeit predigen. Wie todt muß die Wahrheit der Geschichte sein. Die Duldsamkeit folte sich wohl von felbst verstehen. So viel als einleitende Bemerkungen. 28 Gaza. Gaza, sprich Gäfa, liegt reizend auf einer kleinen Anhöhe, drei Viertelstunden vom Meere (vom alten Hafen Majumas). Gegen Aufgang stellt fich der Hebron. Bäume, Fruchtfelder und Wiesen wechseln in der Umgegend, um das Auge zu ergötzen. Eben fah ich die Kühe im Grünen friedlich weiden. Die Stadt ist nicht groß, und enthält, nach den Versicherungen des Militärarztes daselbst, Dr. Tara bra, eines durchaus kenntnißreichen und einfichts- vollen Mannes, fechs- bis siebentausend Einwohner. Die Gaffen find schmal, krumm, uneben, ungepflastert; die einen Häuser haben platte, andere dagegen kuppelförmige Dächer. Die Moschee, einst eine griechische Kirche, ist groß und schön. Man findet viele alte Ruinen, z. B. Säulen mit Knäufen, und Nachgrabungen müßten Schätze aufdecken. Die Bevölkerung ist weiß; viele Männer zeichnen fich durch Schönheit aus; das verschleierte Antlitz der Frauens- personen entzieht sich der Beurtheilung; die Kinder find blaß oder gelblich. Die Baffar durchrauschet viel Leben. Un- weit von denselben erblickte ich wieder die Zelte unters Kon- tumaznachbars Mustafa - Bei und in ihren Sternen viel Freundlichkeit, 29 Ich hatte eine Gmpfehlung an den Dr. Tarabra , welcher mich sehr gastfreundlich aufnahm und behandelte. Ich verdanke ihm, außer den Mittheilungen über die Größe der Bevölkerung, noch andere, welchen ich hier zum Theile einen Platz anweisen werde. Die arabischen Weiber empfangen - in Gaza fehr leicht; sie gebären ohne Hebammen, felten aber fünf bis sechs Male. Als die Pest ihre Verheerun- gen anrichtete, mußte Tara bra, in der Eigenschaft eines Physikus der Provinz, alle Todesfälle bewahrheiten, und da fand er das Verhältniß der gestorbenen Kinder zu den gestorbenen Erwachsenen wie 5 zu 1. Dieses Verhältniß beweilet eine schreckliche Sterblichkeit der Kinder, selbst wenn fich dasselbe wie 3 zu 1 umwendet. Am meisten klagte Tarabra über die griechischen Weiber. Durch ihr un- finnig strenges Faften, welches sich beinahe einzig auf fchlecht gekochte Linsen und Oliven beschränke, bedingen fie die Absonderung einer schlechten Milch, welche den Säug- ling bisweilen nicht zu ernähren vermöge. Gr fah sich bewogen, den griechischen Bischof deshalb um Dispensen anzugehen. Die Bewohner von Gaza leiden vorzugsweise an Rheumatismen und Katarrh (nicht aber an Lungen- katarrh). Oft verschlimmern fie letztere Krankheit durch die landesüblichen Bäder. Auch kommt der Scharbock nicht felten vor. Die Araber werfen sich am liebsten in die Arme 30 unwiffender Menschen. Gine große Plage anderer Länder, nämlich die Lungenschwindsucht, geißelt die Ginwohner von Gaza fehr felten, und hier dürfte vielleicht der Schwind- füchtige mehr Linderung hoffen, als in dem gepriesenen Nizza. Fortsetzung der Meise nach Jerusalem. Allee; Um- und Unfall; Ebene Sephelah; Aushaltigkeit der Thiere; verführerischer Weg; Nutzen des Hundegebels; Länge des Philisterlandes; Freude über eine fränkische Herberge in Ramle. Den 27. Wintermonat. Ich faßte ungerne den Gntschluß, das anmuthige Gaza fo bald zu verlaffen. In Egypten zauderte ich immer noch mit der Ausfüh- rung der Reise nach Asien. Wäre fiel unterblieben, ich würde einen unverzeihlichen Unterlaffungsfehler begangen haben. - Dr. Tarabra hatte die Güte, Alles für die Abreise zu veranstalten. Die Regierung raffte für den Bedarf der nach Arabien beorderten Truppen alle Kameele zusammen, und ohne die menschenfreundlichen Bemühungen meines Kunstgenoffen für die Auswirkung eines Regierungsbefeh- les würde ich zuversichtlich keines sogleich bekommen haben. Z1 Ich nahm in dankbaren Ausdrücken Abschied von meinem Gastfreunde, und fchwang mich auf das Kameel; mein ganzes Gepäcke lag neben und unter mir. Einen Schritt vor Gaza wurde ich angehalten. Die Sonne ging immer höher, ohne daß ich um die ursache des Stillstandes wußte. Es fammelten“ fich immer mehr Zuschauer um mich herum. Gndlich verlor ich – die Geduld. Ich krächzte in der Sprache der Kameeltreiber chch, das Kameel fiel auf die Kniee, und ich stieg ab, im Vorhaben, bei Tara- bra meine Klage vorzubringen. Im Nu kam mein Treiber auf einem Efel dahergeritten. Wahrscheinlich wollte man durch die Verzögerung ein Geschenk erzwingen, oder der Treiber harrte auf der Lauer, um Zeit zu gewinnen da- mit ich heute nicht mehr in Ramle anlange. Kurz, jetzt ging es. Der Weg zog durch einen Wald alter, in Menge zerklüfteter, in regelmäßigen Reihen stehender Oelbäume. Gaza muß nach dem Zeugniffe unserer Tage ehedem von großer Bedeutung gewesen sein. - Wenn man die ausgetretenen Wege befieht, so träumt man fich hinter Jahrtausende zurück, da auf ihnen der Fuß der Menschen, um nur der alten Kananäer, Philister und Juden zu gedenken, schon wandeln mochte; überschaut man den Boden des Feldes, so wird man seine Güte lob- 32 preisen, daß er ohne Speisung fort und fort mit Ueppig- keit die Früchte hervorbringt. Beinahe mitten auf dem Wege nach Ramle hatte mein Thier einen kerngesunden Ginfall. Um den Reiter los zu werden, fiel es auf die Kniee und legte sich auf die Seite. Ich kroch vom Sattel hinweg. Mit bestaubten Kleidern fetzte ich mich fogleich wieder auf das Kameel, welches dann ohne weitere Umfälle den Weg fortsetzte. Der Kalkstein fenkt sich von Südwest nach Nordost, und guckt mit feinen Höckern hie und da hervor. Die Erde ist fahl bis gegen Ramle, wo sie röthlich zu werden beginnt. Etwa an acht Dörfern auf der Ebene Sephelah kam ich vorüber. Wie nahe ich an den alten Ortschaften Askolon, Aftod, Gath, Jabueh und Ekron vorüberritt, vermag ich freilich nicht zu bestimmen. So viel ist gewiß, daß kein fließender Bach, weder der Gschkol (Traubenbach), noch der Jarkon, überschritten wurde, und die gerühmten Wein- pflanzungen entgingen meinem Auge. Die Häufer Sep- helahs stehen alle städteartig beisammen. Weil sie niedrig und die Dächer bauchig oder gewölbt sind, so erkennt man von der Ferne ein Dorf mit einiger Schwierigkeit; anders verhält es sich, wenn der Giebel hoch aufragt. Das palä- flinische Dorf fieht häßlich aus. Die Häufer find von unbearbeiteten Steinen aufgeführt, die Dächer derselben fehr 33 dick, mit einer feuerfesten Rinde von Grde, so daß sich darauf hie und da ein geschloffenes Grün ansetzt. Dieser Umstand vermehrt noch die Schwierigkeit, mit der man ein Dorf aus der Ferne erkennt. Die Weiber auf dem Felde, deren Gefichter ich mit meinem Auge gleichsam erhaschen konnte, waren hübsch. Andern fah ich nur einen Streifen vom Antlitze, welches der Schleier in ein noch größeres Geheimniß verhüllte, als bei den Ggypzierinnen. Bis Ramle sind zwölf Kameelstunden. Das Thier mußte diesen Weg unaufhörlich gehen, ohne daß es Nah- rung bekam. Selbst dem kleinen Esel ward kein besseres Loos zu Theil, und durch den größten Theil des Weges trug er den Führer. Die Thiere halten im Morgenlande mehr aus, als in Guropa. Sind fiel etwa in diesem Welt- theile verwöhnt oder verzärtelt? Ich fah, erzählt Wesling, unter der heißen Sonne ziemlich locker angebundene Pferde der Beduinen mit zwei oder vier Loth Waffer für einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hinlänglich gelabt werden. Zwei Männer zu Efel schloßen fich nicht weit von Gaza als Reisegefährten an. Bei einem Dorfe wollte einer von ihnen links auf einen kleinen Weg mich leiten, der mir ein verführerischer Feldweg zu fein fähien. Ich fagte: Nein, ritt rechts davon, und man folgte mir auf dem wirklich 34 richtigen Wege. Etwa drei Stunden von Ramle verließen mich diese Leute, und lenkten in ein Dorf, wohin sie auch mich locken wollten. Uebrigens darf ich nicht verschweigen, daß dieser Reisegefährten einer mir eine Mütze einhändigte, die ich verloren hatte. Es scheint der gute Eindruck noch nachgewirkt zu haben, den er dadurch bekommen mochte, daß ihm ein wenig Speisen aus meinem Vorrathe darge- reicht wurden. Ich gab sie zwar nicht ihm felbst, sondern dem Treiber; allein die Araber haben es im Brauche, die Speisen. Andern mitzutheilen, und dem Geber in aufrich- tiger Gefälligkeit erkenntlich zu fein. Ich hätte wohl ein ganzes Register von Klagen über meinen Treiber. Er war ein junger, unbärtiger Kerl, und wußte nicht einmal den Weg nach Ramle. Darum fragte er oft darnach; darum wollte er das Uebernachten in einem Dorfe erpochen. Die Sonne war untergegangen, und ich ritt mit diesem unwiffenden Jungen. Gegen acht Uhr hörte ich das Gebell eines Hundes. Dasselbe gab mir die Gewißheit, daß ich von Hunden und – folglich auch von Leuten nicht mehr ferne fei. So unwillkommen das Hunde- gebell fonst, so willkommen war es mir dieses Mal. Schon zeugte der Boden von fleißigerem Anbaue; die indischen Feigen begleiteten wie ein Geländer die breiter werdende Straße; nun schon entdeckte ich Licht; das Minaret 35 glänzte in der frei - und festtäglichen Beleuchtung; es er- fcholl ein Chor von Hundegebell. Völlig verschwanden meine Zweifel über die Nähe der Stadt. Unser Weg aber kreuzte fich, und der unwissende Bursche fragte deutend mich um Weisung. Ich war entschloffen, nach der Gegend, wo die Hunde bellten, zu reiten, und winkte sogleich mit der Hand. Noch follte mir ein kleiner Unfall begegnen. Nahe fchon am Orte meiner Bestimmung trank ich gerade in vollen Zügen das füße Glück, als ein niedriger Baumzweig mir ins Auge fuhr, daß ich im Augenblicke nichts, als einige Funken fah, und daß ich wund und blau wurde. Endlich bin ich in der Stadt Ramle. - Um den Umfang des Philisterlandes zu würdigen, darf ich nur daran erinnern, daß ich es an einem Tage in feiner Länge durchritt; die Breite desselben ist nur unbedeutend, Die Grzählung von den Kriegen, welche die Juden mit den Philistern führten, ist geeignet, die Vorstellung von der Größe des Philisterlandes irre zu leiten. - Müde, aber fehr müde, gleichsam wie zerschlagen stieg ich am Stadtthore ab. Man versicherte mich, daß man beim Reiten auf einem Kameele oder Dromedare ähn- lichen Beschwerden ausgesetzt fei, wie auf dem Schiffe. Dies war bei mir wenigstens nicht der Fall, ohne daß ich die Aussage eines Deutschen bezweifeln möchte, welcher dieses 36 Reiten glatterdings nicht ertragen konnte, und daher mit dem Reitthiere zu Fuß ging. Als ein gutes Vorbauungs- mittel gegen die Beschwerden, welche das Reiten etwa ver- ursachen könnte, empfiehlt man allgemein das feste Gürten des Unterleibes. Auch ich bediente mich dieses Mittels, das mir in der That fehr behagte. Ich hatte Gmpfehlungen an zwei im Dienste des Vize- königs stehende Franken. Wie sollte ich fiel bei Nacht in den menschenleeren Gaffen aufsuchen? Ich ließ an einem Haufe derb anklopfen. Die Stille in demselben verkündigte die Ruhe aller Hausgenoffen. Doch man ließ vom Klopfen nicht ab. Zum Glücke endlich öffnete ein halb gekleideter Mann die Thüre. Er wußte die Wohnungen der bezeich- neten Franken. Der Antheil nehmende, gute Mann war bald beredet, mir jene zu zeigen. Leider verfehlte ich die Franken, die sich in Akte befanden. Mir blieb nichts übrig, als in dem lateinischen Hospizium der Spanier, die man mir eben nicht zu ihrem Vortheile schilderte, Herberge zu nehmen. Dieser Tag war ein unfriger Sommertag. Die Wolken, durch welche die Strahlen der Sonne in Strähnen brachen, arbeiteten an einem Schauer, und der Regen drohte bei der schwülen Witterung. Tags lärmten in großer Menge die Thiere der Luft, die Vögel, und Nachts die Thiere der 37 Erde, die Infekten. Alles, was da lebt auf und über der Grde, fingt Tag und Nacht das Hochzeitlied, zur Freude der Menschen. Ach, wie war ich bei meiner Müdigkeit froh, in einer fränkischen Herberge ausruhen zu können. Von den Patres freundlich begrüßt, ward ich ins Refektorium eingeladen. Sie setzten mir Eier, Fische, Käse, Brot und Wein vor, und ich fättigte mich mit Wohlgefallen. Den 28. Ueber Nacht rollte Sommerdonner. Ich wollte nach Jerusalem abreifen; allein da der Eifele treiber noch durch das Beladen der Eifel mit Fischen (vom Hospizium, welches mir es verheimlichte) mich zum Warten nöthigte, und da ich unter folchen Umständen nicht glauben durfte, daß ich noch bei Tageszeit in Jerusalem anlangen würde, so blieb ich, obwohl sehr ungerne, zurück. Bereits nämlich verließ ich das Hospizium. Ich fand fchon am Orte, wo die Eifel beladen wurden; das Felleifen war fchon aufgepackt. Ich drängte auf schnelle Abreise. Gs half nichts, indem der Muchero (Efeltreiber) wähnen mochte, daß ich weder felbst das Felleifen forttragen, noch bei der fchwachen Morgendämmerung das Hospiz finden werde. Der Mann aber thäte fich verrechnen. Ich hob das Fell- eifen auf die Schulter und trug es ins Hospiz. 38 - Rama, Ramla oder Ramle, ungewiß das Ari- mathia der Bibel, ist weder hübsch, noch groß, aber in einer fehr fruchtbaren Gegend und unter einem milden Himmel. Auch hier liegen Ueberbleibsel von Alterthümern, z. B. Säulen, herum. Von der Stadt aus eröffnet sich eine köstliche Aussicht ins Gebirge Juda bis zum Gphraim. Der Baffar ist unansehnlich. Ich konnte der Anlockung nicht widerstehen, Brot und einige Früchte zu kaufen, die ich mit Luft verzehrte. Zum Zeitvertreibe besuchte ich das griechische Kloster, welches ebenfalls Pilger beherbergt. Der Grzpriester empfing mich mit vieler Freundlichkeit, verstand aber keine der frän- kischen Sprachen, und so mußten wir uns begnügen, ein- ander anzuschauen, was doch unstreitig viel bequemer ist, als eine auf Nadeln setzende Anrede von Komplimenten zu halten. - Ende der Meise nach Jerusalem. Uebereinkunft unter den Augen der reverendissimi patres; Abreise um vier Uhr Morgens; Trümmerchroniken; St. Jere- mias und fein Brunnen; Terebinthenthal; Einförmigkeit des Juda- gebirges; si mira Gerusalemme ; im Neuhause abgestiegen; vor- trefflicher Wein; vor Freude fast Leid am Moriah. Sonntags den 29. Wintermonat. Ich habe mich einen Abend vorher mit dem asiatischen Eseltreiber des Hospiziums unter den Augen der Mönche - 39 abgefunden. Heute griff man der gestrigen Vergeßlichkeit damit unter die Arme, daß man mein Gepäcke ohne größere Bezahlung nicht mitnehmen wollte. Mit dem Hospizium war kein Streit anzufangen. Froh, von nicht sehr wür- digen Vätern mich einmal entfernen zu können, gab ich nach, obgleich ich über das Vorgefallene ein wenig schmollte. Weit mehr ärgerte mich, daß der roth- und triefäugige Knecht des Hospiz mir die Flasche voll Rhum zerschlug oder zerbrechen ließ. - Etwa um vier Uhr in der Frühe reiste ich einzig in Begleit eines jungen Menschen ab. Ich durchritt eine Ebene, welche die Nacht mir verbarg. Beim Grauen des Tages erreichte ich den Anfang des Gebirges von Juda. Auf einem Hügel hart am Wege fand ein Dörfchen. Nun schlängelte sich der Weg gegen Morgen durch ein Thal, deffen Hügel allmälig zu Bergen fich aufthürmten. Der Paß ist nur eine kurze Strecke enge. Hie und da unter- brechen den Boden Bäume und der Pflug. Ueberdies wird die Gegend durch die lärmenden Hirten belebt. Bevor man den Scheitel des nächsten Berges gewinnt, wo eine schöne Fernsicht bis auf das Mittelmeer fich aufschließt, erblickt man rechter Hand, auf einem Hügel, vom Wege unfern ein Dorf inmitten von Oelbäumen. Dort mag die Hälfte - des Weges von Ramle bis Jerusalem fein. Von dem 40 Scheitel jenes Berges läuft der Weg zuerst ziemlich eben, dann hinunter und hinauf. Jetzt hinunterfteigend, kommt man an dem Dorfe St. Jeremias vorüber, welches an die nördliche Abdachung eines Berges gebaut ist. Den heitern Blick desselben erwiedern mit einem ernsten und finstern einige Ruinen daneben, welche wohl aus den Zeiten der Kreuzzüge stammen. Diese, wie andere Trümmer an ver- fchiedenen Stellen im Gesichtskreise auf der Bergreife sprechen wie Chroniken. In Jeremias ist das jüdische Gebirge milde; der Feigenbaum trug noch die Blätter, während die Kälte fie in höhern Gegenden gepflückt hat. Gelangt man von St. Jeremias ins Thal, fo zieht rechterseits ein Brunnen die Aufmerksamkeit auf fich. Es liegen jetzt noch Stücke einer Marmorsäule herum. Sie war vielleicht ein Bestandtheil der Verzierung eines Brun- nentempels. Weiter beginnt das Weinland. Die Rebe steht da fämmig wie ein Baum, ohne Stütze, ohne Band. Der Blätter gelbe Farbe feierte den Herbst. Auch ander- wärts am Wege nach Jerusalem trifft man Weinfeld. Ich bestieg dann eine Bergspitze mit malerischer Aus- ficht – auf den wenigstens anderhalb Stunden offen lie- genden Weg. Darauf kam ich in eine tiefe Thalfehlucht, ins Terebinthenthal, ehe ich aber fiel erreichte, an einem Brunnen vorüber, auf dem eine arabische Inschrift steht. 41 Die Sitte der alten Morgenländer befolgend, errichten die Mohammetaner über den Quellen kleine Tempel. In der Thallschlucht selbst, welche von dem Laub der Feigen- und Zitronenbäume beschattet wird, weilt das Auge des Wan- derers auf einem ziemlich freundlichen kleinen Dorfe. Von dem Bollwerke einer Ruine herunter redete mich ein Mann an, der vielleicht mich gastlich einladen wollte. Jetzt ging es auf die letzte Bergkuppe, fast oben neben einer langen Reihe von Kameelen langsamen Schrittes gegen Sonnenuntergang. Der Weg auf dem Juda ist zwar ein wenig schmal, doch schwierig nirgends, vielmehr überall deutlich, fest aus- getreten, in Summa fürtrefflich für den, welcher die schwei- zerischen Berge bereitet hat. Neben diesem Wege erhebt fich das Land hier und da fufenförmig, gleich Weingärten, was unzweifelhaft läßt, daß der Anbau des Bodens einst weit mehr geblühet hatte. Gleich am Gingange ins Ge- birge erkennt man ohne Mühe die Vierecke der Felder, nun- mehr voll kleineren Steingerölles. Auf Geschiebe stößt man im Gebirge ungemein häufig, und der Hauptzug desselben ist Kahlheit. Zwischen den Steinen und Felsen gedeihen wohl gewürzhafte Kräuter, grüne Gebüsche, lachende Bäume; allein diese find unvermögend, die Gegend im Ganzen lieb- lich und freundlich zu kleiden. Im Uebrigen verdient der 42 Juda wirklich den Namen eines Gebirges, felbst nach dem Wörterbuche des Hochländers; nur mangeln höhere Berge, die einen majestätischen Eindruck machen. Meist find die jüdischen abgerundet, und böfchen fich gleichmäßig. Kein Bach wälzte sich rauschend bergab durch die Schluchten und Thäler; nirgends tofete der Berggeist in wildem Schaum über einen Felsabsturz; ich konnte im Terebinthenthale höch- fens über eine Brücke fetzen, welche über einen trockenen Bach fich wölbte. - Auf dem Wege über das Gebirge begegneten mir nicht felten Leute, darunter unverschleierte, aber eben nicht fchöne Frauen und Mädchen, auch ein Weib auf einem Kameele. Mein Hut vor Allem fähien fie zu befremden. Ginigen las man auf ihren Gesichtern: Ach wäre nur die Polizei nicht fo frenge, wie gerne wollte ich diesen Menschen ausplündern. Möchten die leidenschaftlichsten Gegner einen Mehemet- Ali und Ibrahim-Pafcha nur als Urheber zahlloser Ungerechtigkeiten und Verbrechen auslästern, so viel Unpar- teilichkeit werden auch fie befitzen, um diesen Männern nach- zurühmen, daß unter ihrem mächtigen Arme die Abend- länder eines unschätzbaren Gutes, nämlich öffentlicher Sicher- heit, fich erfreuen. Wie ich auf dem letzten Bergscheitel stand, entschwebte mir der Gedanke, daß ich von der Tochter Zions nicht mehr 43 ferne fein könne. Ich durfte eine kurze, nicht fehr merklich abschüssige Strecke fortrücken, bis ich weißgraue Thürme und Streifen von Mauern erblickte. Ich hielt sie für Je- rufalem. Ich wurde in dieser Meinung bestärkt, weil Weiber, nach Art der Marktleute, mit beladenen Köpfen uns begegneten. Als ich zudem das Schmettern der Trom- peten vernahm, gerieth meine Seele in den Zustand der größten Spannung. Noch ein wenig weiter, und der Füh- rer, ein arabischer Jüngling, fchlug auf einmal meine Un- gewißheit aus dem Felde, mit den fränkischen Worten: Si mira Gerusalemme (Man fieht Jerusalem). Da ist denn die Schaubühne so verschiedenartiger Auftritte, fofchroffer Zerwürfniffe, so blutiger Kriege, so mächtiger Umwälzun- gen, fo harter Drangsale, fo freudiger Begeisterungen. Das ist die vielgenannte Stadt, wie keine auf dem ganzen Erd- balle so reich an Erinnerungen für den gläubigen Christen und den Staub von Israel. Glaubst du Jerusalem in einem Thale, wo es von oben her einen köstlichen Anblick darbiete? Du lebst in der Täu- fchung. Es liegt nur wenig tiefer, als der letzte Bergfcheitel und von diesem in der Gntfernung etwa einer kleinen Stunde. Glaubst du Jerusalem in der Mitte anmuthiger Fluren? Du wirst dir der lieblichen Trugbilder aufs schmerzlichste 44. bewußt. Der Weg leitete bloß durch steinigen Boden, wie ihn Strabo fchon nannte, felbst bis zu den Mauern; das feltene Grün zwischen den Felsen und Gefchieben leistet wenig oder keine Gntschädigung. Als die Stadt ganz nahe vor mir lag, so erschien fie ohne eigentliche Bedeutung und ohne Pracht. Eben übte sich das egyptische Militär in den Waffen vor den Mauern am Berge Gihon, und die Einsilbigkeit der Stadt ließ mir Muße übrig, das Kriegs- volk zu durchmustern. Ich kam etwa um zwei Uhr Nachmittags im Zickzack durch des Jaffathor, und wenn auf dem ganzen Wege mein Auge in keinem einzigen murmelnden Bächlein fich badete, so fiel mit gleich eine Pfütze auf, mitten in der äußerst schlecht gepflasterten Gaffe. Diese Pfütze, dieses Straßenpflaster und elende Häuser, – das ist, was in Jerusalem zuerst meinen Blick feffelte. In die zweite Gafft links bogen wir ab. Bald erreichten wir das Neuhaus (casa nuova), ein Gebäude, welches dem Kloster der Franziskaner oder des Erlösers (S. Salvatore) angehört, wiewohl ein Gäßchen jenes von letzterem trennt. Mein Gepäcke wurde in den Hof des Neuhauses ge- legt und, nachdem mir von dem freundlichen Klosterver- walter der Aufenthalt bewilliget worden, in ein Zimmer geschafft. Ich fchnitt ein faures Gesicht, als ich vergebens 45 Fenster fuchte. Auf meiner Wanderung über das Juden- gebirge war es kühl, jetzt fing es mich an den Füßen or- dentlich zu frieren an, und später fror es mich so stark, daß ich Mühe hatte, mich zu erwärmen. - Da das Mittageffen fchon vorüber war, fo mußte ich mit übrig gebliebenen Speisen mich begnügen. Der reichlich vorgesetzte Wein schmeckte mir vortrefflich, und je mehr ich nippte, desto herrlicher mundete mir der edle Saft der Rebe. Auch genoß ich feit meiner Abreise von Kairo kein fchöneres und befferes Brot. Ich verspürte einige Müdigkeit, zwar nicht vom Gehen, obschon ich den weitaus größten Theil des Gebirgsweges zu Fuß zurücklegte, sondern vom Reiten wegen des unförmlich breiten Sattels. Darum unternahm ich diesen Tag nur noch einen kleinen Spaziergang durch etliche Gaffen der Stadt. In meiner frohmüthigen Stimmung zu Jerusalem zwischen dem Gehinnon und Josaphat, dem Zion und Oelberg und Golgatha fang ich mitten durch den Baffar unter der Menge von Menschen. Mein Gesang aber hörte plötzlich auf. Warum? Das will ich erzählen. Bei meinem Mangel der nähern Kenntniffe von der Stadt schritt ich arglos durch das Thor an der Vormauer der Omarsmoschee, welche auf der Stelle des Salomonstempels erbaut fein foll. Die Mohammetaner liefen gegen mich drohend heran, ich 46 merkte, den Tempel im Angesichte, daß ich mich verging, und unverzüglich kehrte ich um. Mein unsaumseliges Be- uehmen hatte jedoch keine andere Folge, als die, daß der Gesang sich in Pausen auflöste. I e r u f a l e m. Oertliche und klimatische Verhältniffe. Jerusalem oder Soliman, bei den Arabern Gl-Kots (die Heilige), liegt an einem ziemlich steilen Bergabhange. Der Berg beginnt eben sich schroffer zu senken, und es erheben sich die Mauern der Stadt, auf drei Seiten von einem tiefen und schmalen Thale, wie von einem Festungs- graben, umgeben. Die Natur war so zuvorkommend, um die Stadt zu befestigen, daß die Kunst aus Dankbarkeit ihren Theil beitragen sollte. Beinahe in der Mitte der Abendseite der Stadtmauern steht das Jaffathor (Bab-el- Kalil). Hier beginnt das Thal Gihon, streicht, den Berg Gihon zur Rechten, eine kurze Strecke gegen Mittag, und läßt kaum einen zum Theil verfhütteten, zur Zeit waffer- leeren Teich, den Teich Berseba (nach Jonas Korte) oder Berhfabe (nach einem andern Schriftsteller), zurück, als es sich gegen Morgen wendet, unter dem Namen Ge- hinnon etwa eine halbe Viertelstunde weit, um links mit 47 dem Thale Kidron oder Josaphat zusammenzustoßen. Das letztere Thal, von der Brücke an keine Viertelstunde lang, geht von Mitternacht gegen Mittag. In dem Thale Gi- hon fließt der Bach Gihon, und in dem Thale Kidron der Bach Kidron. Der Wafferüberfluß ergießt sich in den Lothsfee (todte Meer). Also auf drei Seiten ist Jerusalem von einer Thalschlucht umfangen: auf der Bethlehem nähern Abendseite vom Gihon, auf der Mittagsseite vom Gehinnon und auf der Morgenseite vom Kidron. Indeß ist vom Jaffathor an gegen Mitternacht, wo die Stadtmauer gegen Sonnenaufgang umlenkt, gegen Gmaus und vor dem Da- maskusthore kein Thal, sondern ziemlich ebenes, aber rauhes Land. Der Boden der Stadt ist uneben; im Allgemeinen neigt er fich nach der aufgehenden Sonne. Eine Felsanhöhe und zwei Hügel find deutlich zu unterscheiden. Der Zion steigt von Mitternacht fehr fanft an. Desto fchroffer stürzt er gegen die Bergthäler Gihon und Gehinnon. „Zion nennen die heutigen Schriftsteller die Felsanhöhe im Winkel dieser Thäler. Das Thor, welches auf den Zion sich öffnet, heißt Zions- oder Davidsthor (Bab-el-Nabi-Daud), und man gelangt nicht geradenweges über die Schlucht Gehinnon zu der gegenüberstehenden Schluchtlehne Hinnon, über welche der Weg nach Bethlehem weitet, sondern man geht durch 48 das Zionsthor und das Jaffathor, bis man auf langem Umwege dem „Zion gegenüber fich befindet. – Das Fran- ziskanerkloster liegt im Nordwest der Stadt. Beim Neu- haufe geht es feil hügelan. Wenn man durch die Thüre von Mitternacht her zu ebener Erde eingeht, so muß man mehrere Treppenstufen hinuntersteigen, bis man auf der Süd- feite zu ebener Grde herauskommt. Selbst die Gaffe süd- lich am Kloster fällt gähe gegen Morgen. Ich will den Liebhabern alter Namen die Freude nicht mißgönnen, diesen Hügel im Nordwest der Stadt Akra zu benennen, ob er gleich, darf ich meinen Augen trauen, an Höhe den Zion übertrifft, welcher, wenn ich recht deute, einst die Ober- fadt hieß. – Unter dem Akra, dem Josaphatsthalle näher, im Nordwest der Stadt erhebt sich ein anderer Hügel. Der Bequemlichkeit willen in der Beschreibung und des geschicht- lichen Anklanges wegen belege ich ihn mit dem Namen Bezetha. Der Anfang der fogenannten Schmerzensgaffe (via dolorosa) richtet sich in ziemlicher Neigung von Morgen gegen Abend, und von dort zieht eine andere Gaffe auf der ent- gegengesetzten Seite und in entgegengesetzter Neigung von Abend gegen Morgen, nämlich gegen das Josaphatsthal. Unter den Stadtmauern durchgängig hat dieses Thal besonders gähe Wände. – Die Moschee Omars soll auf der Felsnadel Moriah stehen, wo der weise König Salomo die Bau- 49 stelle für den Tempel kaum groß genug fand, weil fie, „überall gähe, gegen das Thal hing (Flavius Jofe- phus)“. Die Felsnadel war längst abgetragen. Moriah steht von Mittag dem Bezetha gegenüber, wie der Zion dem Akra. Und die vier Anhöhen oder Hügel in Jerusalem heißen, nach den alten Urkunden, Moriah und Bezetha, Zion und Akra. Ich aber unterschied mehr nicht, als zwei Hügel; denn Zion ist eine Felsanhöhe, und der Name Berg verwirrt in der Sprache der Deutschen den Sinn. Ich ermangelte nicht, Flavius Jofephus, welcher nicht lange nach Christus lebte, so genau, als möglich zu vergleichen. Aufrichtiges Geständniß der Unzulänglichkeit im Verstehen fördert das Gedeihen der Wahrheit mehr, als unklare, anmaßende Vielwifferei. Wie man mich auch immer beurtheilen mag, ich gestehe frischweg, daß ich nicht im Stande war, das Dunkel völlig zu verdrängen, welches einige Stellen in der Lagebeschreibung des Jerusalemers Jofephus umschwebt. Mich spornt keine Lust an, ge- fehen zu, haben, was ich nicht gesehen hatte. Denjenigen, welche sich mit der Erklärung behelfen, daß durch gewal- tige Naturereigniffe der Boden. Jerusalems eine andere Gestalt angenommen habe, erwiedere ich mit den Worten: Warum ragen noch fo merkwürdige Ueberbleibsel des hohen Alterthums in unser Zeitalter herein, hier der Brunnen Tobler , Morgenland, II. Z 50 der Tiefe zwischen Moriah „Zion, in jenseits am Ki- dron die Grabmale, dort außer der Stadt gegen Mitter- macht die Grabhöhlen? Ich will allerdings die außerordent- liche Zerstörung und Umwandlung Jerusalems gerne zu geben, und in Kraft defen selbst bemerken, daß ich keinen einzigen von jenen ganzen Steinen antraf, welche, nach der Geschichte, zwanzig Ellen lang und zehn breit waren. Man fragt mit Grftaunen: Wohin find sie denn verschwun- den? Wer hat sogar diese fchweren Maffen entführt oder zerstört? So wenig oder fchwer ich Flavius Jofephus verstehe, so treu und faßlich finde ich dagegen die Ortszeich- nung des Pilgers Hans Jakob Ammann, welcher ihr mit den Schweizer-Wörtern „Halden“ und dem „Tobel“ Josaphat gleichsam eine vaterländische Farbe auftrug. Zur Zeit meines Aufenthaltes floßen in Jerusalem keine Bäche, weder der Kidron, noch der Gihon. Jener ist ein wildes Waffer bei stärkerem und anhaltenderem Regen. Die Grundlage ist etwas röthlicher und so harter Kalk- felsen, daß er die Politur nicht versagt. An vielen Orten tritt er nackt hervor, und an andern überkleidet ihn eine dünne Schichte von Grde und vielen kleinen Geröllen. Der Boden ist demnach weder gut zur Weide, noch zum Anbaue. Mit Mühe sucht das Auge die Palmen, gleich wären sie aus Ggypten hieher verbannt. Oel- und Feigenbäume, fast 51 die einzigen Stammgewächse, verdichten sich nicht zu Wäl- dern wie bei Gaza und Ramle, fondern fehen ziemlich einzeln. Von unausdauernden, wildwachsenden Pflanzen verbreiten mehrere einen gar angenehmen Geruch. An we- nigen Stellen wird das Grün der Wiesen von den Steinen nicht unterbrochen. Wo man es erblickt, wirkt feine Leb- haftigkeit wohlthuend, und wenn man die Kühe darauf grafen fieht, möchte man in patriarchalischem Entzücken die Steine und Gerölle der Wüste vergeffen. Langsam gleitet der Pflug an den Abhängen des Kidrons und Gehinnons. Derselbe ist einfach genug, daß er die Steingeschiebe oder die Schuttsteine nicht scheuen darf. Ein Eifen, das in die Grde wühlt, ein dünner Baum, welcher dieses Eifen hält und den Zugstrick aufnimmt, noch eine Handhabe hinten für den Ackermann, – das ist der Pflug unter dem Moriah, auf welchem ehemals der reiche Tempel des israelitischen Volkes stolz emporstrebte. In den Thälern, worin einst fo heilige Stimmen hinauf zum Throne Jehovas erhalten, zittert jetzt die Luft von dem rohen Geschrei des Pflügers. Nicht allein der Strich gegen Ramle, wohl aber die ganze umgegend trägt überhaupt das Gepräge der Unebenheit, der Zerriffenheit, der Kahlheit, der Unergibigkeit. Was ist nachsichtiger, als die Vaterlandsliebe welche die Häßlichkeit einer Gegend läugnen kann? 52 Der Himmel ist weit minder heiß, als in Kairo. Der Ostwind wehte kalt. Während des Sommers regnet es äußerst selten, und die strengern Wintermonate find die eigentliche Regenzeit. In der regenreichern Zeit herrscht naffe Kälte und fällt manchmal Schnee *). Mir dünkt, daß die Einwohner, vorzüglich die Weiber, zu wenig gegen die Kälte sich schützen. Auch find die Fensterscheiben eine Sel- tenheit, während sie doch zu Kairo in Menge vorgefunden werden. Gesundheitszustand und Bevölkerung. Jerusalems Lage und Himmelsstrich hält man für unge- fund. Wechselfieber, Durchfälle und Ruhren kommen häufig vor. Der in dieser Stadt fazionirte egyptische Militärarzt, ein Italiener, machte mir die Mittheilung, daß es gegen- wärtig mehrere Ruhrfälle unter den Truppen gebe. Selbst die Pest verschont die Stadt Davids keinesweges und im laufenden Jahre fah man sie übel haushalten. Die Ggyp- *) Es kam fpäter ein Engländer von Jerusalem über die reißenden Waldströme des Gebirges Juda mit Lebensgefahr nach Jaffa, und er erzählte mir, daß in jener Stadt ein knietiefer Schnee fich legte, welcher ihm den Besuch mancher Stellen er fchwerte. 53 zier sollen in der Regel im ersten Monate ihres Aufent- haltes zu Jerusalem von einer Unpäßlichkeit befallen werden, nach und nach aber fich gut an die Gegend gewöhnen. Es gebrach mir an Zeit zur Ginsicht in die Todtenbücher, um über die Sterblichkeit ein haltbareres Urtheil zu fällen. Ebenso wenig darf ich rühmen, etwas Zuverläffiges über die Bevölkerung vorführen zu können. Den bisherigen An- gaben mangelt es an Gründlichkeit, und neue Vermuthungen, die meinige von 12,000 Seelen, würden sich gerade mit dem gleichen Vorwurfe strafen. Bauart der Stadt. Die Stadt ist von zickzackigen, hohen, hin und wieder zu Thürmen emporragenden, maffiven, festen Mauern um- ringt. Außerhalb läuft neben diesen ein Fußweg im ganzen Umfange. Die Stadt, immerhin nicht groß, ist von Süd- west nach Nordost am längsten. Wäre eine gerade und gute Straße angelegt, so würde man sie in einer starken halben Viertelstunde gehen. Die Gaffen find krumm, dabei zwar gepflastert, aber ungemein schlecht. Ein oder mehrere Pflastersteine fehlen häufig. Die Gaffe hat zur Seite einen unebenen, erhabenen Weg für die Fußgänger und eine tiefere, hier und da sehr fchmale Mitte für eine andere Art Fußgänger, – für die 54 Thiere. Oft stockt hier übelriechendes Waffer, zum minde- ften in der Regenzeit, und der große Schmutz macht das Gehen zu einem überaus lästigen Geschäfte. Die erhabenen Fußwege find so schmal, daß zwei Personen, die einander begegnen, fich, oft nicht ohne Mühe, umdrehen müffen, UM vorüberzuschreiten. Wie treffend wären Ammanns Worte: Jerufallem hat viele wüfte, un faubere Gaffen, für das heutige Soliman. Man kann sich nicht verhehlen, Jerusalem eignet fich nicht am fchlechtesten zum Sitze einer gewissen weltweiten Schule. Die Baffar fehen aus, wie in andern Städten, find aber an Unansehnlichkeit und Schmutzigkeit vielen überlegen. Einer ist gewölbt, und das Gewölbe von einer Entfernung zur andern mit einer viereckigen Oeffnung durchbrochen, wo durch das Licht der Sonne auf Gaffe und Buden strömt. Die Stadt besitzt viele unterirdische Gänge zur Ablei- tung der Unreinigkeiten und des Waffers. Eben grub man auf dem Hügel Bezetha, wo jetzt eine Kaserne steht, und wo einst der Palast des Herodes gestanden haben soll. Man stieß etwa zehn Fuß in der Tiefe der Gaffe auf einen alten Gang, defen Mauerwerk man von einander riß, um daraus einen neuen zu bauen. Die Häuser haben entweder platte, oder kuppelförmige Dächer ohne Ziegel, find nicht hoch und durchwegs von 55 Stein; viele altern und weichen aus dem Senkel. Thüren und Läden scheinen zufällig durch den Wind hingeweht. Im Abendlande würde man über die meisten Häuser als Armseligkeiten die Achsel zucken und diejenigen bedauern, welche darin wohnen müßten. Gine große Zahl europäischer Beuchhütten verdiente im Vergleiche mit einer Menge Jeru- falemer-Häuser den Namen schöner Gebäude. Neben und mit fo manchen bewohnten Häusern im beßten Einvernehmen erhalten fich nicht felten Ruinen, wie: Gewölbe, umgestürzte Marmorsäulen oder aufrecht stehende Säulenstümpfe. Von Wehmuth ergriffen, wandelte ich unter diesen Siechen und Leichen, welche in unsern Tagen den Dienst erfüllen, daß fie das Andenken an die Größe und den Reichthum der Vorwelt auffrischen, während jetzt Kleinliches und Armseliges den Blick ermüden und verdüstern. Aus Jerusalem insbe- sondere ergeht der ernste Ruf, über den Wechsel der Dinge Betrachtungen anzustellen. Vor zwei Jahrtausenden wür- den es gewiß Wenige vom Volke Israel geglaubt haben, wenn man prophezeit hätte, daß die aramäische Sprache im Fortschritte der Zeit innerhalb der Markung Judäas die Herrschaft verlöre. Dafür wimmelt heute in der Stadt ein Babylon von Sprachen: das Arabische, Griechische, Latei- niche, Italienische u. f. f., das Arabische felbst im Munde der Hebräer. Eroberungen von Ländern und Völkern folgt 56 immer zuletzt und am zähesten die Eroberung des geistigen Volksschatzes, der Sprache. Und da ich gerade von den Sprachen rede, so bemerke ich im Vorbeigehen, daß in dem Theile des Morgenlandes, welchen ich bereitete, unter den abendländischen Sprachen die italienische oder die fogenannte lingua franca überwiegt. Man würde zwar mit der französischen Sprache in Kairo recht gut, nicht aber an allen übrigen Frankenorten aus- reichen. Die Kirche des Christusgrabes. Der Geist, in dem man die gefeierten Stellen besucht, darf weder zu zweiflerisch, noch allzu gläubig fein. Es unterliegt keiner Frage, daß mehrere große Greigniffe, deren die Schrift erwähnt, in Jerusalem und feinem Weichbilde sich aufgerollt haben; aber: Wo? – ob nun denn beim Fuß und Zoll hier und nicht dort, hüben und nicht drüben, oben und nicht unten, – das stelle man doch, bei der Fülle allwiffender Ueberlieferungen und bei der Dürftigkeit an rein geschichtlichen Haltpunkten, in den heiligen Zufluchtsort der Menschenseele, ohne zu verunglimpfen oder – zu verketzern. Zur Annahme der Wunder felbst fich zu bekennen, gehört nicht einmal zur Recht- und Strenggläubigkeit im engern 57 Verstande, damit auch nicht zur Ketzerei, fo man anders dieses Wort hier gebrauchen darf. Wenn der Anblick der Häuser für die Anstrengungen der Reise wenig Entschädigung verspricht, fo überrascht hin- gegen aufs angenehmste die Kirche des Christusgrabes durch ihre Größe und den Adel ihres Baustyls. Der majestätische Dom rührt den Christen, zieht ihn an, ladet ihn ein. Die Kirche liegt unter dem Kloster des Erlösers und über der Omarsmoschee, ungefähr in der Mitte des Dreiecks, wenn man eine Linie vom Zion zum Bezetha, vom Bezetha zum Akra und vom Akra zum Zion zieht. Gs war an einem Montage, als ich den Tempel besuchen wollte. Ich ging mehr, denn einmal vergeblich zur Thüre. Indeß öffneten die Griechen dieselbe ebenso wenig ihren glaubensverwandten Pilgern, welche fich vor der Kirche in ziemlicher Anzahl versammelten. Tages darauf hatte ich die Freude, die Grabeskirche offen zu sehen. Ich trat hin- ein, und fiehe, da hockten zur Linken zwei Türken in aller Bequemlichkeit auf dem Diwane, indem sie eine Pfeife rauchten und ihre lebhaften, schwarzen Augen sehr weltlich herumdrehten. Ghemals galt es als eine Art Begünstigung, wenn man gegen Grlegung eines Kopfgeldes das Christusgrab besuchen durfte. Ohne Anstand wird jetzt der Zutritt zu den Heiligthümern gestattet. Die Christen verdanken die 58 Abschaffung der mannigfachen Scherereien dem Bezwinger Syriens, Ibrahim-Pafcha. Hier bin ich nun im Tempel, der, nach der Behauptung der Gläubigen, fich über Golgatha und das Grab Christi wölbt. Wer zählt die Andächtigen, welche in dem Got- teshause schon Labsal tranken? Wer möchte aber auch die abscheulichen Auftritte des Parteihaffes unter den verschie- denen Bekennern der christlichen Religion schildern? Gleich beim Eintritt in die Kirche fallen marmorne Steinplatten, nahe in der Mitte zwischen Golgatha und dem Grabe, auf. Dort soll Christus gefalbet worden sein. Wendet man fich links, d. h., gegen Abend, fo sieht man eine über den Boden der Kirche und des Kirchenplatzes fich erhebende kleine Kapelle, welcher die Merkzeichen des Felsens oder der Fels fenhöhle abgehen. Sie heißt Grabeskapelle. Wenn fie äußerlich nicht dem Künstler genügt, so mag sie doch den Freund irdischen Glanzes befriedigen. Der Gingang in das Innere ist fo enge, daß nicht zwei Menschen neben einander durchkommen könnten. Darin wird das heilige Grab oder das Grab Jefu Christi verehrt. Dem Eintretenden steht zur Rechten, als das Grabmal, ein platt gedeckter, etwa einen halben Fuß hoher, von Morgen gegen Abend gerichteter Sarg, aus weißem Marmor, worüber eine fchwere Menge blendend funkelnder Goldleuchter hängt. Auf der an- 59 dern Seite der Kirche, gegen Morgen, führt, wie es heißt, unter dem Kalvarienfelfen eine Treppe in einen Keller, die Kapelle Adams. Was ich aber von Golgatha und dem Grabe im wahren Grunde halte, werde ich später mit Umständlichkeit erörtern. An der Wandung der Kirche wechseln viele Altäre. Die Lateiner befitzen eine besondere Kapelle. Lateinische Pilger weilen wohl auch drei Tage und drei Nächte in dem Tempel. Man bringt dannzumal die Speisen aus dem Kloster in die Küche der Kirche, um fiel hier aufzuwärmen und zu ver- theilen. Die Griechen können unmöglich verbergen, daß fie über das Christusgrab den Meister spielen. Sie betragen sich fehr hochmüthig, und fchauen mit Verachtung auf die an- dersdenkenden Christen herab. Es ist in der That eine wohl- thätige Maßregel, daß die Mohammetaner in der erften Kirche der Christenheit Polizei halten. unzweifelhaft wären sonst die Zänkereien und Balgereien unter den Nazarenern des verschiedenen Kirchengebrauches weit häufiger und ernster. – Einige Gläubige konnten fich nicht oft genug niederwerfen und bekreuzen. Vor und in der Kirche schwärmen zudringliche Bettler herum, die wahrhaft Aergerniß erregen. Neben denselben werden von Andern an der Kirchenpforte Kreuze und andere 60 sante cose (Heiligthümer), z. B. der ausgeschnitzte Christus am Kreuze, feil geboten. Die Christen in Jeru- falem forgen gar wohl dafür, daß der Pilger, ehe er die Schwelle der Grabeskirche überschreitet, das Ginmaleins wiederhole, und fich der vergänglichen Güter, des Geldes, erinnere. Gs verdient doch wohl die Beherzigung eines Jeglichen, daß um den Baum eines zwar unerschütterlichen, aber nicht verdauten Glaubens an die Lehren aus dem Munde der Priester und Gefetzkenner – die Wucherpflanzen der Weltbegierde gerne ihre Netze stricken, wenn diese Priester und diese Gesetzkenner in ihrem Eifer vergeffen, auf den Stamm des Glaubens die Zweige der Tugend zu pfropfen. Ich kann mich vom Grabe Christi nicht entfernen, ohne einer schaudervollen Begebenheit zu gedenken. Als um das Neujahr 1834 der Feldherr Ibrahim dasselbe be- fuchte, entstand ein solches Gedränge, daß in der Kirche zweihundert Menschen vom Leben abgerufen wurden, ohne diejenigen in Rechnung zu bringen, welche an der Pforte im Gedränge sogleich oder später in Folge desselben starben. Ein Pater erzählte mir, wie er über die Todten wandeln mußte, und einen andern erschütterte das gräuelvolle Schau- spiel fo tief, daß er seither an Schwermuth leidet. Und nun halte ich fille, um auf die Schädel- und Grabstätte zurückzublicken. Habe ich denn viel Lohnendes 61 wahrgenommen? Wurden meine Erwartungen erfüllt? Ich will meiner Antwort einige Worte vorausschicken, in Gr- innerung der Menge, von welcher die Jetztzeit unbedenklich des Unglaubens beschuldiget wird. Ich will zuerst Männer reden laffen, welche, nach der Volksmeinung, in der guten Vorzeit des Glaubens lebten. Nachdem Salomo Schweig- ger, der Pilger des fechszehnten Jahrhunderts, die Heilig- thümer Jerusalems angeführt, bricht er in das unumwundene Geständniß aus: Ich für meine Person habe all' dergleichen Heiligthümer anders nicht gesehen, find mir auch weniger zu Herzen gegangen, als das geringste Ding. Ich kann auch weniger davon fagen, als wenn ich nie wäre dafelbst gewesen, ausgenommen das heilig Grab. So weit Schweigger, dem ich die Unpartei- lichkeit schuldig bin, feine Worte über dieses Heiligthum anzuführen. Das heilig Grab, spricht er, bedünkt mich aber kein erdichtet Heilthum, sondern in Wahrheit das Grab Christi zu sein, in Ansehung, daß daselbige ohne Schrecken und ohn” Entfetzen von Niemand, es seien Chriften oder Türken, mag gefehen werden. Denn als ich's gesehen, ging ich nicht dergestalt hinein, als hielt" ich's für das Grab Chrift i, fondern, wie alle anderen Heilthümer mir verdächtig waren, als wenn es nur er- dichtete Heilthümer wären oder Geldnetze, also auch dies. 62 Als ich aber hineinkam in das Gewölb, kam mich - und auch die Herren aus der Gesellschaft folche Furcht und Schrecken an, daß uns alle Härlein gen Berg fanden, und uns bedünkte, wir fchwebten zwischen Himmel und Grden, ja als wären wir von der Grden verzuckt. Gs er- weckt auch eine folche herzliche Andacht und Gifer in uns gegen Christo zum Gebet und christlicher Danksagung, daß's über alle Maßen ist. Wie man eben von Schweigger vernimmt, unterlag er am Christusgrabe einem fo außer- ordentlichen Eindruck, daß man feine Worte zwar nicht in Abrede stellt, aber doch kaum begreift, weil fo Manche heutzutage dahin wallen, ohne über die Maßen ergriffen zu werden. Hans Jakob Ammann, der im Jahre 1613 das Christusgrab besuchte, drückt sich so aus: Auf jetzt be- schriebene Weise wird das heilig Grab gezeigt, und fiehet, der dahin reifet, von dem Orte des Felfes, da Christus begraben, ebenfo viel, als der, fo gar nicht dahin kommt. . . . . . . . Ob man schon die Leute also bereden will, es fei das rechte in Felsen gehauene Grab, fo hab ich doch das Wider- spiel augenscheinlich gefunden, da ich mit einem Meffer den Kalk zwischen den Fugen, da die marmelsteinernen Tafeln zusammengestoßen, herausgestochen, und keinen Felsen, fon- dern nur Mauern gefunden habe. 63 So sprachen vor Jahrhunderten Schweigger und Ammann, der eine gegen die Echtheit von Golgatha, der andere gegen die des Christusgrabes. Jetzt werde ich mich selbst bestreben, eine der wichtigsten Fragen aus der Orts- beschreibung Jerusalems zu lösen. Liegt das Grab Christi in oder außer der jetzigen Stadt Jerusalem? Es schiene im hohen Grade befremdend, wenn eine fo wichtige Stätte, wie das Christusgrab, von den Urchristen nicht genau ins Auge gefaßt, und diese Ortskunde nicht von Geschlecht auf Geschlecht mündlich überliefert worden wäre. Schenkt man, wird man entgegenhalten, fo vielen weltlichen Stellen Aufmerksamkeit und Glauben, fo fordert die Gerechtigkeit, daß man auch heiligen Stätten die Auf- merksamkeit nicht entreiße, und den Glauben an fiel nicht tödte. Dazu kommt noch, was die Weltgeschichte erzählt. Hadrianus ließ nämlich, zum Aergerniffe der Christen, am Orte, wo Christus hingerichtet und begraben worden, einen Götzentempel erbauen; allein fchon im vierten Jahr hundert unserer Zeitrechnung erhob sich unter Helena, der Mutter Konstantins des Großen, an der Stelle des im heiligen Eifer geschleiften Götzentempels die Grabes- kirche. 64 Offen lege ich das Geständniß ab, daß die mündlichen und diese schriftlichen Ueberlieferungen für mich völlig ge- nügend waren, um die Gchtheit der Schädel- und Grab- stätte anzunehmen. Man darf indeß nicht einseitig uud nicht zu rasch vorgehen; es müffen nothwendig und vor Allem die biblischen Urkunden geprüft und verglichen werden. Schweigenfie über die Oertlichkeit, so ergänze ich die Lücke mit der Weltgeschichte und den mündlichen Ueberlieferungen; reden fie, so stelle ich auf ihren Gntscheid ab. Die vier Gvangelisten Matthäus und Markus, Lukas und Johannes erzählen, daß Christus auf der Schädelstätte (mons calvariae, hebräisch Golgatha) gekreuziget, und dann daneben in dem Felsengrabe eines Gartens beigesetzt worden sei. - - Wo liegt Golgatha mit dem Grabe daneben? Nahe der Stadt Jerusalem war der Ort, wo Jesus gekreuziget worden, überliefert der Jünger Johannes- (19, 20). Ist es von allem Zweifel ferne, daß Golgatha außer, doch nahe bei der Stadt lag, fo bleibt man gleichwohl bei Aus- mittelung der Stelle nahe um Jerusalem, d. h., in feinem ganzen Umkreise, im Ungewifen, und diejenigen, welche die fragliche Nähe bei der Stadt auf dem Gihon erblicken, haben, wenigstens meines Wiffens, nichts für sich, als Schlußfolgerungen. 65 Wo Gihon und die Grabeskirche liegen, darüber wurde früher Aufschluß ertheilt, und es leuchtet aus Allem aufs gewiffefte hervor, daß die jetzige Grabes- kirche dem Gihon nicht angehört. Ich urtheile nicht bloß nach dem Augenmaße, sondern auch nach einem Grundriffe der Stadt, welchen ein Ingenieur, Failoni, gezeichnet hat, und welcher ganz besonders deutlich darlegt, daß das alte Jerusalem eine aller Wahrscheinlichkeit wider- sprechende, beinahe krüpplichte, gleichsam kerbthierförmige Lage oder Gestalt haben mußte, wenn man das heutige Christusgrab außer die alte Stadt versetzte. Man wird genöthiget, zwischen dem Zion und Akra von West einen tiefen Ausschnitt zu machen, von welchem auch bei Fla- vius Jofephus überall nicht die Rede ist. Wer auch nie das Glück hatte, in Jerusalems Mauern zu leben, wem bloß vergönnt ist, eine treuere Abbildung von der Stadt zu fehen, der wird beim ersten Anblicke der Grabeskirche gleich über der Omarsmoschee, gleich über dem Moriah, die Be- denklichkeiten nicht unterdrücken können. So lange mir nicht mehr Belege zu Gebote stehen, dürfte ich freilich nicht geradezu mit unbiegsamer Hartnäckig- keit behaupten, daß das von den christlichen Priestern ge- zeigte Golgatha und Christusgrab eine geschichtliche Täu- fchung feien; ich habe aber hinlänglichen Grund, zu neuem 66 Denken und Forschen in dieser Sache aufzumuntern. Wollte man sich denn in Erläuterungen einlaffen, so mochte eine solche Täuschung um so leichter Wurzel schlagen, je fehn- licher man die Baustelle für den Grabestempel dort wünschen mußte, wo man vor feindlichen oder räuberischen Ueberfällen ficherer sein konnte. Es kann Niemanden entgehen, daß eben die Mauern der Stadt diese größere Sicherheit gewähren. Schon die einzige Thatsache – um auf andere nicht zurück- zukommen – daß ein christliches Kloster auf dem Zion, will heißen, außer den Stadtmauern, den Türken abge- treten werden mußte, nimmt entschieden Partei für folche, die eine Täuschung für wahrscheinlich halten, und hätte dieser Fall niemals fich ereignet, fo würde man vernünf- tigerweise zwischen einem armseligen Kloster und einer Kirche mit ansehnlichen Schätzen eine Unterscheidungslinie durch- führen. Das Grab felbst oder die Kapelle desselben, welche die Grabeshöhle vorstellen foll, ist über- dies, fie kann nicht beffer, zu Erregung von Zweifeln geeignet. Nach der Erzählung der Evangelisten wickelte Jofef von Arimathia den Leichnam Christi in Leinwand, legte ihn ins Grab (xoré-Gyxey), welches in Felsen ge- hauen war, und wälzte einen Stein über die Grabesöffnung 67 Er ry Gügoy)*). Das ist ebenso einfach, als gegründet in den morgenländischen Sitten. Man wickelt in unsern Tagen den Leichnam in weiße Leinwand, und versenkt ihn uneingesargt ins Grab. Im Evangelium geschieht des Um- fandes keine Erwähnung, daß Christus in einen Sarg gebracht wurde. Gs meldet vielmehr, ohne ein Weiteres, daß derselbe eingewickelt ins Grab gelegt wurde, welches dann ein Stein deckte. Wenn man in der Grabeskirche, an der Stätte, da Christus gekreuziget ward, einen Garten, und im Garten ein neues Grab (Johannes 19, 41) fucht, so lacht heute kein Garten, und es thut fich kein Grab auf; aber das Auge überrascht ein Sarg, unzwei- felhaft die fromme Zugabe von Priestern. Allerdings wüßten Zweifler, wenn man felbst die Todesgruft, felbst den Stein, felbst die Spezereien heute noch auf das klarste sähe, einen Ausweg dahin, daß Alles nachgekünstelt fei; allein die Gin- falt hat vor ältern Zeiten viel zu wenig erwogen, daß *) Markus 15 K. 46 V. Es scheint diese Stelle für ein senkrecht eingehauenes Felsengrab zu sprechen, während andere Stellen und die drei übrigen Evangelisten nicht eigentlich da- gegen aussagen. Man bückte sich, um genauer nachzusehen, und man ging ins Grab. Man würde heute noch in ein gewöhn- liches Grab steigen, wenn ein Leichnam fehlte, um sich der er- staunlichen Erscheinung recht zu vergewissern. 68 der treueste Befund nach dem Wortlaute der biblischen Ur- kunden vor den Angriffen der Zweifelsucht weitaus am sichersten schützen würde. Gs war zwar die Grabeskapelle früherhin nicht ganz fo, wie jetzt, aber doch im Wesentlichen gleich: fets enge, wenig zugänglich, mit brennenden Leuchtern. Vormals mußte man fogar, um zum Grabmale zu gelangen, durch eine kleine viereckige Oeffnung, als eine feltsame Grabes- öffnung, schlüpfen, wovon Salomo Schweigger in feiner alten Treuherzigkeit eine Abbildung lieferte. Ich werde mich jedoch wohl hüten, die Abbildung von diesem Schlüpfen in Worten ausführlich auszudrücken, weil ich besorgen müßte, den Besuch des Grabes ins Lächerliche herabzuziehen. Man war, wie es fcheint, schon beim Bau der Kapelle befliffen, die Wirkung hervorzubringen, daß das Gefühl vorherrsche, und der überall beengte Geist vor demselben erfumme. Dem übertriebenen Eiferer widerfährt oft das Loos des Lügners, welchem man zuletzt die Wahrheit nicht mehr glaubt. Gs bedarf keines Beweises, daß, zumal im Streite für die Religion, der überspannte Eiferer in feinen Seiten- sprüngen gerne die einfachsten Dinge mit Wundern ver- goldet, und so kann er auch in der Regel auf den Beifall der Männer mit nüchterner Urtheilskraft wenig rechnen, wie 69 willig und gerne fiel immer die Wahrheit ver- nehmen und glauben. Die Menschen, in deren Brust die Flamme maßloser Leidenschaft auflodert, haben die Schuld offenbar fich felbst zuzumeffen, wenn ihnen der un- wiffende oder wenig unterrichtete Haufe mehr glaubt und vertraut, als Leute, die mit einem größeren Vorrathe an Kenntniffen ausgerüstet find. Es ist fehr wahrscheinlich, daß überhaupt der religiöse Glaube beffer und fester fände, wenn nur nicht die Verkündiger und Verbreiter desselben über die Schale (die Form) den Kern (das Wesen) zu oft übersehen hätten. Die Gräber der Könige. Außerhalb des Thores von Damaskus (Bab-el-Scham) liegt gleich zur rechten Hand die gegen die Stadt schauende Felsenhöhle, in welcher Jeremias feine Klagelieder ge- fungen haben soll, und ungefähr in einer halben Viertelstunde davon erreicht man die sogenannten Gräber der Könige. Der Boden zwischen der Stadt und den Gräbern ist mit vielen Steinen übersäet. Darunter zeichnen sich hin und wieder Mosaiksteine aus, an welchen ich den festen Mörtel deutlich unterscheiden konnte. Will man die Gräber besehen, fo tritt man durch ein mit Schutt mehr, als bis zur Hälfte gefülltes Thor in einen großen, unbedeckten Raum, welcher, 70 wie dieses, aus dem Kalkfelsen gehauen ist. Der Grund war grün, und diente den Kühen zur Weidung. An der Abendseite dieses Raumes öffnet sich der Eingang zu den Grabhöhlen. Ihn zieren halb erhabene Arbeiten, welche von einem so einfachen, als edeln Geschmacke zeugen. Man kommt, nicht ohne Komplimente zu schneiden, durch den theilweise verwitterten Gingang in einen Vorsaal. Dieser führt in vier Kammern, die fich hin wieder in Nebenkammern verzweigen. Alle sind Hauwerke im Felsen ohne Schmuck und Inschrift. Dagegen tragen die Grabdeckel, hohle Halb- walzen von Stein, auf der einen Seite. Verblümungen als Zierath. Die dicken Thüren der Todtenkammern von gleichem Felsen haben auf der einen Fläche einfache Zeichnungen von Vierecken, wie Täfelthüren. Man findet sowohl ganze Thüren, als auch Bruchstücke, keine aber eingehängt. Vor zwei Jahrhunderten liefen dieselben noch in ihren Angeln. Die Aushöhlung des harten Felsens muß ein mühsames, kostspieliges Werk gewesen und jedenfalls von Vielvermö- genden des Landes angeordnet worden sein. Man schreibt jetzt die Todtenkammern den Römern zu. In frühern Zeiten hielt man sie für die Gräber der Könige von Juda. 71 Die Grabhöhle der Maria. Hinweg durch das Stephansthor, vorbei am Stephans- platze, vorwärts über die kleine, feinerne Brücke des Ki- drons, – und man fieht gleich linker Hand den Eingang in eine Höhle. Siebenundvierzig Stufen von glattem Marmor leiten in ihre Tiefe. Gs ist die Grabhöhle unserer lieben Frau, ihres Gemahls und ihrer Mutter. Eine Menge Blendwerk, Goldleuchter, geschliffene Steine der Kapelle verkümmern den Gedanken an eine natürliche Höhle. Eben lasen die griechischen Priester ihre Meffe. Das Näselnde der Stimme widerte mich in hohem Grade an. Noch am widerlichsten näselte ein Knabe das Kyrie (Herr). Ich habe am Gottesdienste wenig Ernst, wenig Würdigkeit zu rühmen. Hart an Mariens Grabhöhle stößt eine Höhle der Lateiner, worin die Apostel geschlafen haben sollen. Sie bildet den schroffesten Gegensatz der erstern: einfach und glanzlos. Ueber der Marienhöhle fand in ältern Zeiten eine Kirche, bekannt unter dem Namen Marienkirche. 72 Die Grabmale Abfaloms, Josaphats und Zachariaffen. Ueberschreitet man die Kidronbrücke, und hält man am Fuße des Oelberges fille, so wird man faunend den Blick gegen Morgen auf Denkmale heften, die sich aus der grauen Vorzeit fo gut erhalten haben, als die Pyramiden und Obelisken Egyptens. Es find die Grabmale Ab- faloms, Jofaphats und Zachariaffen. Das Grabmal Abfaloms ist zum Theil aus dem Felsen gehauen; der thurmähnliche Aufsatz dagegen besteht aus Mauerwerk. Im Widerspruche mit der Ueberlieferung aber wurde, nach Flavius Jofephus, zwei Stadien von Jerusalem dem Abfalom eine marmorene Säule er- richtet. Das Grabmal Jofaphats, ein einziger, aus dem Felsen gehauener Stein, stellt ein kleines Häuschen vor. Schutt füllt fast das ganze Innere, welcher mit einem so geringen Aufwande wegzuschaffen wäre, und der mehr ein Denkmal auf die Trägheit der Zeitgenoffen, als das Denkmal eines Verstorbenen zu fein fcheint. Unverantwort- licherweise hält man es nicht einmal der Mühe werth, das- jenige recht zu betrachten, was die Urväter mit Anstrengung und Sorgfalt ausgearbeitet hatten. Nahe dem Grabmale 73 Jofaphats liegt jenes des Zacharias und an der west- lichen Abdachung des Oelberges überhaupt eine Menge ge- hauener Grabhöhlen und jüdischer Grabsteine. Diese find unförmliche Grabdeckel, höchstens an ihrer Oberseite glatt gemeißelt und mit einer hebräischen Grabschrift versehen. Kenner stimmen mit einander nicht überein, ob die Grabmale Abfaloms, - Jofap hats und Zachari- affen wirklich jüdische feien. So lange dieser Hauptstreit nicht geschlichtet ist, bleibt es unerheblich, das erste, zweite oder dritte Denkmal nach Abfalom , Jofap hat oder Zacharias zu nennen. Niemand aber bezweifelt ihr hohes Alterthum. Der Brunnen Siloah. Geht man vom Zionsthore links hinunter, steigt man an der Südostseite Jerusalems, gegenüber dem Dorfe Si- loah, nicht hoch über dem Kidron einige Stufen in die Tiefe, fchreitet man vorüber an dem baufälligen, kleinen, steinernen, einst von Säulen überragten Wafferbehälter, die vielleicht den Siloahthurm getragen haben; fo bemüht man fich dann noch eine Treppe hinunter, und wen gelüftet oder dürftet, der darf nur fich neigen, um aus dem unverschloss fenen, gänzlich in den Kalkfelsen greifenden Brunnen Sie loah zu fchöpfen und zu trinken. Ein Gang von zwei Tobler, Morgenland. II- 4 74 Fuß. Breite, durchläuft er eine Ebene von dreihundertund- fiebenzehn Schritten. Anfangs ist er zwei Mann hoch; nach zweihundert Schritten aber nimmt die Höhe ab, bis man zuletzt nicht anders, als auf beschwerliche Weise, mit geducktem Leibe, fich vorwärts bewegen kann. Schutt ver- hindert das weitere Vordringen gegen den Moriah. Das Waffer hat überall die gleiche Höhe von etwas mehr, als einem Fuß. Die auftretende Sohle fühlt Sand und unter diesem den Stein. Der Gang wendet sich rechts. So erzählte mir der sonst nicht fehr verläßliche Führer, welchen ich zu diesem unterirdischen Spaziergange bewog. Der über fünfhundert Fuß in den Kalkfelsen eingehauene Brunnen ist unstreitig ein ungeheures Werk. Der Tiefe und Breite nach verdient er kaum Grwähnung; allein wegen feiner beträchtlichen Länge enthält er einen Reichthum an füßem Waffer, das wohl auch vor Alters zu Bewäfferung naher Gartenanlagen benützt worden sein mag. Wäre von den Alten ein folcher Gang unter dem Felsenbette eines Stromes getrieben worden, so würde er ein denkwürdiger Vorgänger des Londoner-Tunnel fein. Ammann gedachte des Siloah- Brunnens mit mehr Bestimmtheit, als andere, die nach ihm denselben beschrieben haben: Unten an dem Berg Zion fleußt ein ziemlicher Bach aus dem Felsen heraus. Der Weg oder Gang dieses Waffers 75 ist in den Felsen künstlich gehauen, daß man weit dem Waffer nach in den Felsen fchliefen kann. Und fleußt dieses Waffer in den Felsen vom Tempel und der Stadt Jerufa- lem hinab. Auf der Höhe dieses Felsens foll auch der Thurm Siloah gestanden sein. Und gleich vor diesem Felsen gibt es ein klein Teichlein. Darinnen soll sich der Blinde im Gvangelio gewaschen haben, da Christus zu ihm ge- sagt: Gehe hin, und wasche dich im Teich Siloah. So weit Ammann. - Zwischen dem Stephansplatze und dem Siloahbrunnen zeigte man mir noch eine Quelle unter dem Namen Ma- rien quelle, vielleicht den Drachenbrunnen Nehemias. Die Felsanhöhe Zion. Am Jaffathore gegen Mittag erhebt sich ein großer, alter Thurm, ehemals das Pifaner-Schloß, jetzt aber von den Wegweisern Davidsthurm genannt. Man verdeutete mir fogar das Fenster, durch welches der König David feine Augenweide an der sich badenden Bath Seba fand, obschon der Verfaffer der Bücher Samuels (2, 11, 2) erzählt: Von dem Dache des königlichen Palastes sah David ein schönes Weib fich baden. Nähert man sich von da dem „Zion, fo liegt links an 76 der Gaffe das Kloster der Armenier. Gs gibt bei- nahe nichts Glänzenderes, als die Kirche desselben. Nie- mand unterbrach darin die feierliche Stille, kein Sterblicher war da, meine Aufmerksamkeit abzulenken, und so konnte man um fo ungestörter fich ergehen an dem morgenländischen Prunke, an den edeln Steinen und Metallen, die überall zur Schau gelegt find, und das Auge fähier blenden. Gs mag für die Morgenländer tief berechnet sein, daß die Priester ihre heiligen Stellen mit Dingen ausschmücken, welche einen mächtigen Eindruck auf die Sinne erregen. Dem kalt forschenden Verfande des Abendländers ist damit freilich wenig gedient, welcher auf höherem Standpunkte die Beschaulichkeit gerade von der Sinnlichkeit unabhängig machen möchte. Die Kirche foll über dem Orte aufgeführt fein, wo der Apostel Jakob enthauptet worden war. Man öffnete sie mir ohne alle Schwierigkeit. Außer dem Zionsthore, gegen den Brunnen Siloah, - fieht man einen Theil der alten Wafferleitung von Bethle- hem, welche die Stadtmauer durchdringt. Von dem Thore kommt man beinahe eben bis zur Moschee und zum Spitale auf dem Zion. Man wird vielleicht diesen Worten mit Mühe Glauben schenken, und ich möchte nicht zürnen. Der Wegweiser mußte mir felbst an Ort und Stelle mehr- mal betheuern, daß „Zion der Zion fei, weil meine Ein- 77 bildungskraft so ungerne von einem Berge laffen wollte. Auch der ehrliche Ammann, welcher aufs allernaivefte die Riffe des Kalvarienfelsens beschreibt, ging „fast eben hin- aus auf den Berg Zion.“ Man will auf der Felsanhöhe die Haustelle des jüdi- fchen Hohenpriesters Kaiphas gleich vor dem Zionsthore noch wifen. Beinahe blindes Mauerwerk, ein armenisches Bruderhaus, sichert ihr bei den Gläubigen ein bleibendes Andenken. Ginige Schritte weiter vorne und links gegen den Blutacker, näher der Gehin nonfchlucht, steht eine Moschee und ein Spital, nach der dragomanischen Sage, am Platze, welchen die Burg Davids eingenommen und auf welchem Jefus das Abendmahl eingesetzt habe. Andere verlegen die alte Burg in die Mitte oben auf der Felsanhöhe, wo der Finger einiger Mauertrümmer in die inhaltsschwere Vergan- genheit hinaufzeigt. Gewiß ist, daß die Moschee und das Spital ein Kloster der Barfüßermönche war, woraus fiel vor zwei Jahrhunderten von den Türken verjagt wurden. Wenig erquicken Grabsteine den ziemlich kleinen und eher öden Scheitel des Zions. Mit gerührter Seele begrüßte ich den Ort, wo, nach den Ueberlieferungen, jene Palmen gesungen wurden, die, voll religiöser Wärme, durch Jahrtausende tönten bis auf heute, und fortwährend noch fo viele Gemüther mit Be- 78 geisterung für die Gottheit erfüllen. Wie denn, dürfte man fragen, konnte man in einer Gegend, welche im ganzen Umkreife das felfichte Trauerkleid trägt, zum Dichten der erhabenen Pfalmen bewegt, wie angefeuert werden? Das Geräusch und der Glanz der großen Stadt in der Nähe mochten das Herz des königlichen Sängers, in welchem die Gindrücke des frühern Hirtenlebens noch nicht erloschen waren, zur kindlichen Einfalt und Frömmigkeit stimmen. Gihon und Gehinnon und Jofaphat ziehen das Auge in die Tiefe; auf den Oelberg und den Berg des bösen Rathes muß es aufwärts im Fluge; es fchwebt in der Furche von Mitternacht gegen Mittag, um darin vergebens nach dem Jordan zu spähen; es ruht auf dem fernen, bläulichen Gebirge des ostjordanischen Landes; jetzt steigt es in den azurblauen Himmel, ins Unendliche empor. Empfängt das Auge denn in der That nicht ein großes und großartiges Bild, dessen ganze Farbenfrische in ein reicheres Gemüth zurückgeworfen werden muß? Wenn in der Nähe die vielen Steine dem düstern Gefühle rufen, fo leiht ihnen die Ferne eine gefällige Gestalt und Farbe, und in der weitesten Ferne, welche an den Himmel streift, träumt man sich gar fchon die Herrlichkeiten des Ueberirdischen. 79 Der Oelberg. In der Stadt, links am Wege zur Stephanspforte und in der Nähe der letztern bemerkte ich einen ausge- mauerten Wafferbehälter. Man nennt ihn den Teich Be- thesda. Er fand einsam, und es find um ihn die Kranken verschwunden, welche in demselben einst ihr Heil fuchten. Kein Engel durchfächelt mehr den Spiegel des Waffers. Gs scheinen die Bethesdaengel ins Abendland, zu den Priestern Aeskulaps entflohen zu sein. Durch die Stephanspforte und über den Stephansplatz erreichte ich bald Mariens Grabhöhle. Von da an aber ging es ziemlich gähe hinan, auf einem breiten Fußwege, kaum eine Viertelstunde lang bis zum Gipfel des Oelberges, welcher über ganz Jerusalem emporragt. Nicht die günstigste Stim- mung bewirkt auf der Höhe ein arabisches Dorf elender Häuser mit Kothdächern. Ich fah am Wege ein Weib, wie es Mist in die Hand nahm, um damit eine Ginfrie- digung von Steinen zu beklecksen oder, wie es meinte, zu bemörteln. Auf dem Oelberge verwahrt der Moslim den Schlüffel zu der Stelle, welche der Christ verehrt, nämlich zu der kleinen Moschee, welche über jene sich wölbt. Man erblickt 80 in der Mitte derselben das Stück eines nackten Felsens, von dem aus Jefus in den Himmel gefahren fein soll. Ver- tiefungen des Steines gibt man für Eindrücke der Fuß- tritte aus. Ich bestieg den Thurm der Moschee, um die Aussicht freier zu genießen. Ich brannte vor Begierde, Jerusalem, in der Tiefe gegenüber, zu überschauen. Von hier aus gewährt die Stadt einen angenehmen, merkwürdigen An- blick. Der Prachttempel Omars, groß und buntfarbig, unten grün, daneben gegen Mittag der Tempel der Prä- fentazion, nunmehr eine Moschee, und die Dome des Grabes Christi zeichnen sich vortheilhaft aus. Nördlich thürmt sich das Gebirge Ephraim auf, fo die Berge Garizim und Ebal in Samaria; östlich zunächst liegt Bethanien; weiter weg die Ebene von Jericho, dann die Senkung, welche das Thal des Jordans andeutet, und felbst ein kurzer, glänzender Streif dieses Fluffes, so wie auch das obere Gnde des Lothsees, im fernen Hintergrunde Peräa, ein Theil des Gebirges Gilead; füdlich erheben sich die Anhöhen von Bethlehem, südlich und westlich das Hochland Juda. Wären auch die Gegenstände, über die man in wenig Augen- blicken dahineilt, nicht voll hehrer Erinnerungen, so würde man die Aussicht köstlich heißen, und man fcheidet ungerne von dem wahrhaft feffelnden Standpunkte. Der Oelberg, 81 wiewohl er nicht eigentlich hoch ist, übertraf weitaus meine Grwartungen. - unten am Wege auf den Oelhügel stehen acht unge- mein alt aus fehlende Oelbäume, wie man versichert, im Garten Gethsemane. Es wachsen übrigens am Oelberge auch andere Oelbäume und auch Feigenbäume, aber in dünner Zerstreutheit, und die Steine maßen fich daneben fo viel an, daß der Hügel eher über Unfruchtbarkeit klagt. Die übrigen Merkwürdigkeiten, welche in Jerusalem und feiner Nähe gezeigt werden, will ich hier, nach den Mittheilungen der Führer, bloß in Kürze berühren. Der eine Dragoman weiß wohl auch etwas mehr, als der andere, und der dritte und vierte zu viel oder zu wenig. Das zugemauerte goldene Thor unter der Omarsmoschee in der Stadtmauer; der Palast des Pilatus; die Häuser der heiligen Frauen, des Markus, Thomas, Jakob; der Bogen des Ecce Homo, der verfluchte Feigenbaum, die Schweißhöhle, der Jeremiasbrunnen; die Stellen, wo Jefus das Unfer Vater lehrte, fein Todesurtheil vor- aussagte, wo er gefangen genommen wurde, wo er feiner - Mutter, wo er den heiligen Frauen begegnete, wo er das Schicksal Jerusalems beweinte, wo er fiel oder fich auflehnte, 82 und dadurch Gepräge auf dem Steine zurückließ, wo Petrus feine Sünden beweinte, dem Malchus ein Ohr abschnitt, und wo er gegeißelt ward, wo Simon genö- thiget, das Kreuz aufzunehmen, wo Judas sich erhängte, wo Stephan gesteiniget wurde (der Stephansplatz zwi- fchen dem Damaskusthor und der Kidronbrücke); das Lager der römischen Armee, als Titus Jerusalem belagerte, das Lager des Grafen der Normandie, das Quartier des Grafen von Flandern, di Paolo, Guftach Tankred, des Gottfried von Bouillon und des Grafen von To u- loufe, u. dgl. Physiologischer Karakter der Einwohner. Wenn ich mich befleißigen werde, den Jerusalemer nach feinen körperlichen Eigenschaften hervorzuheben, so verstehe ich unter demselben hauptsächlich die Bauersleute der Um- gebung, weil sie wohl das Bild der Vorältern treuer bewahrt haben werden, als der städtische Mischmasch. Die Haarfarbe ist fchwarz, die Hautfarbe weiß oder bräunlich; insbesondere macht sich ein schöner Anflug eines zarten Wangenroths bemerkbar. Rothe, blauäugige und blonde Leute gibt es felten. Der Körper eher groß, dabei gut und fest gebaut; das Zellgewebe mit ziemlich viel Fett. Die Stirne nicht sehr hoch und mäßig breit. Die Nase 83 lang, gebogen, mit herabstehender Spitze und dünnen Flü- geln, im Ganzen ziemlich groß. Die Lippen eher dünn und der Mund groß. Die Zähne fhön. Das Gesicht spitzt sich, nach dem Umriffe eines Eies, von der Stirne nach dem Kinne zu. Das Ohr von mittelmäßiger Größe schließt fich dem Haupte an. Der Gang und überhaupt die Be- wegung ist lebhaft, die Haltung des Leibes gerade. Die Weiber stehen den Männern an Schönheit nach. Vielleicht waren aber die schönen weiblichen Schätzbarkeiten verschleiert oder zu Hause. Aus den Augen der Männer, worunter bildschöne, strahlt eine ruhige Gluth. Ich sah nicht leicht etwas Ausdruckloseres, als den Blick und namentlich den halboffenen Mund der Frauen und Mädchen, welche fich vor dem Denken ordentlich zu fürchten scheinen. Sitten und Gebräuche. Sie herrschen im Allgemeinen ungefähr so, wie in Ale- xandrien, wo sie bei meiner Ankunft aus Europa mich bei- nahe betäubten. Wenn ich in Alexanders Pflanzstadt über die Gaffe ging, fo überraschte mein Ohr eine Art Geraffel. Ich trat näher; es war eine Mühle; ein Thier mit verbundenen Augen trieb im Zuge das Mühlerad. Also traf ich es auch in Jerusalem. Ein Mann, in den Gaffen Großkairos herumziehend, bemüht sich, mit einem 84 Kruge unter dem Arme, die Aufmerksamkeit der Menschen dadurch zu wecken, daß er, zwei Schüffelchen auf einander fchlagend, ein hohes Geklingel verursacht. Gs ist ein Meth- oder Sorbetverkäufer. Also fah ich es auch in Jerusalem. Auch hier hockt man bei Arbeiten. Lange Reihen von Kameelen, eines oder zwei mit einer Klingel, fchreiten gleich- fam als lebendige Alterthümer durch die Stadt. Eine besondere Würdigung verdient Die Tracht. Ich will die Kleidung des Weibes voranschicken; denn da dieses überhaupt fo viel Werth auf fie fetzt, fo gebührt ihm doch wohl der Vorrang. - Das Weib trägt ein blaues Hemde (Leibrock), das bis auf die Fersen flattert, und defen Aermel in ein langes, spizes, frei herumfliegendes Band enden. Dieser Leibrock, welcher durch einen Brustschlitz angezogen und mit einer Binde um die Lenden gegürtet wird, ist die einfachste Klei- dung. Zu der zusammengesetztern gehört ein gestreiftes Ueberhemde (Ueberrock), welches bloß bis an die Knie und mit den Aermeln bis an die Ellbogen reicht, fo daß der Leibrock die Vorderarme und Unterschenkel allein deckt. Vorne gespalten, kann das Ueberhemde wie eine Jacke an- gezogen werden. Die Leibkleidung wird der Morgenländer * - - - - - - - - 85 nicht als unzüchtig bezeichnen, welcher kaum beachtet, daß fie einen Theil des Busens den Blicken nicht entzieht. Den Kopf verhüllt ein weißer Schleier, ein lumpiger bei der armen Klaffe, ein grober und schmutziger bei der mitt- lern, ein feiner und zierlicher bei der reichen. Die Schleier bei der letztern find ungemein groß, fallen über die Schul- tern, die Brust und den Rücken, und verlaufen in Spitzen über den Fersen. Dieser Kopfschleier vertritt die Hauben und Hüte der Europäerinnen. Die Christinnen tragen im Durchschnitte keinen Gesichtsschleier. Die Mehrzahl der Weiber geht barfuß. Sogar an ziemlich kalten Tagen des Chrifmonats fah ich viele über die schmutzige Gaffe barfuß ziehen. Die Uebrigen gehen in Schuhen von verschiedener Form, die meisten in rothen mit langem Ueberleder. Da- bei fiel mir das Schuhgestelle außerordentlich auf. Um nämlich die Schuhe, die im Morgenlande auf die Dauer nicht wafferdicht sind, trocken zu erhalten, befestiget man auf jede Sohle quer über zwei etwa vier Zoll hohe Bretchen, und man wandelt mit einer folchen Vorrichtung trocken des Weges. Allein dieses Gehen kostet Mühe, zumal auf den glatten und naffen Steinen der unebenen Gaffe. Gin Weib ging so langsam auf den Schuhbretchen einher, daß es mir verleidet und ich beinahe lieber bis auf die Haut durchnäßt worden wäre. 86 Ohren- und Fingerringe nahm ich nicht wahr, wohl aber filberne oder meffingene Spangen am Vorderarme. Für jene Ringe tragen indeß die Frauensleute andere Zier- den, die so recht in den wilden Kram noch taugen. Gleich unter den Nasenöffnungen wird ein Fleck des Gesichtes auf jeder Seite blau gefärbt, und, die Wahrheit gestanden, es würde fich dies ohne weitere Zugabe nicht einmal fehr übel ausnehmen. Dann fitzt ein solcher Fleck auf der Stirne zwischen den Augenbraunen; oder zur Seite des Kinns die Figur –––; oder mitten im Kinne : : ; oder zur Seite der Mundwinkel - - Eines oder Mehreres, wo nicht. Alles zusammen, befremdet den Abendländer bald bei dieser, bald bei jener Frauensperson. Andere Beobachter könnten, wie ich nicht zweifle, noch mehr erzählen. Mir fähien fchon das Gegebene zu viel, selbst wenn die Punktierung eine finnige Schrift vorstellen sollte. Gs wäre für die Abend- länder ein neuer Quell des Gewerbsfleißes geöffnet, ge- riethen fiel je auf den Ginfall, Bücher an fich abzutato- wiren oder auf Menschen Bücherfälle zu bauen. Der Mann trägt ein langes, vorne in der Länge ge- spaltenes, um die Lenden zugegürtetes Hemde meist von blauer Farbe. Das kürzere Ueberhemde steht am Vordertheile der Länge nach offen, und hat, wie dasjenige der Weiber, ebenfalls breite Streifen, z. B. von rother Farbe. Ich 87 durfte mich ordentlich zusammenfassen, um die Tracht der Jerusalemer festzuhalten; denn in einer Stadt, wo so viel Trachten durch einander wimmeln, wird die Aufmerksamkeit gar leicht zerstreut. Bald ein polnischer Jude, bald ein ruffischer Edelmann, bald ein Grieche, bald ein Franke c. mischen sich in das dem Landeseingebornen Gigenthümliche. Die Tracht europäischer Juden hat viel Gemeinsames mit derjenigen der Eingebornen; fie gewinnt unstreitig geschichtliche Bedeutsamkeit, und keinen Augenblick schwebe ich im Zweifel, daß die Israeliten des alten Testamentes fich ähnlich klei- deten, wie die neuen Rabbinisten oder Talmudisten. Der Bauer des Landes trägt einen üppigen Bart ungeschoren; hingegen laffen die meisten Städter bloß den Schnurrbart fiehen und fcheren den übrigen Bart, alle aber den Kopf. Der morgenländische Christ bedeckt sein Haupt mit einem Turban gleich andern Morgenländern. Man fieht rothe, grüne, weiße, blaue, bunte Turbane. Viele Mohamme- taner haben, wie in Ggypten, eine rothe Mütze (Fes) auf ohne Bund. Das Kriegsvolk. Seit Syrien unter egyptische Botmäßigkeit gebracht ist, wird es von Kriegern überschwemmt. Ginzig und allein mit einer zahlreichen, bewaffneten Mannschaft vermag der 88 Statthalter Ggyptens die Syrier zu zügeln, auf daß sie ihm nicht abtrünnig werden. Es ist eine ausgemachte Sache, daß das Land unter der Last Pflastertreter fchwer leidet. Es drängt sich die beherzigenswerthe Frage auf: Würde der Vizekönig nicht mehr besitzen, wenn er mit Egypten fich begnügt hätte? Man kann sich auch in Jerusalem nicht bergen, daß die neue Ordnung der Dinge in Bezug auf Polizei fich aufs herrlichste bewährt. Ob aber das Alles fich halten werde, wenn einmal die Menge achtunggebietender und furcht- einflößender, fremder Wehrmänner das unterjochte Land räume, liegt unenthüllt im Schoße der Zukunft. Freilich verheißt die Art und Weise, wie die Verbefferungen einge- führt wurden, nicht die ficherste Gewähr. Denn der neue Verwalter begann fiel nicht von Grund und Wurzel aus; er trachtete nicht, die Hauptsache, in der eigentlichen Volks- schule die Landeskinder in Kenntniffen vom Guten und Nütz- lichen mehr unterrichten zu laffen. Nur durch eine Schre- ckenherrschaft, vor der jedwedes menschliche Gefühl zurück- bebt, verscheuchte er die Weglagerer, die Räuber, die Mörder. Diese unterlaffen Frevel, Raub und Mord nicht, weil sie von Gott und dem Fürsten verbotene Handlungen find, sondern weil sie vor der unausbleiblichen strengen Strafe zittern. Beseelte die feigen Syrier ein Gran Muthes, so 89 würde die fhöne Polizei des neuen Gebieters wie eine Seifenblase zerplatzen. Strabo nennt die Bewohner der Gegend, woher ich gebürtig bin, Räuber, Streifhorden, und schildert in Be- ziehung auf Geistesbildung die alten Syrier zu ihrem Vor- theile. Ich wandere nun in Palästina, und kann hier er- zählen, daß bei uns die Sicherheit der Person und des Eigenthums auf einer fittlichen Grundlage, dem gewissen Zeichen der Gntwachsenheit aus dem barbarischen oder rohen Zustande, ruht. Was würde der Kappadozier heute dazu fagen? - Um zu den Verbefferungen. Mehemet-Ali's zurückzu- kehren, fo will ich nicht verhehlen, daß er eine neue medi- zinische Schule in Damaskus gründete. Man müßte in- deffen eine Binde vor den Augen haben, wofern man nicht die blutige Richtung felbst in dieser so menschenfreundlich scheinenden Maßregel erblickte. Zum Kriegen braucht MON Leute, und fobald man Leute braucht, fo muß es. Einem daran liegen, daß sie am Leben erhalten werden. Die Regierung Mehemet - Ali's reibt sich an so manchen Gegensätzen: Grnst neben Spiel, Geschäftigkeit neben Faulenzerei, Geizen neben Verschwenden. Es ver- dient Grwähnung, daß selten einer der europäischen Ange- stellten die Regierung aufrichtig lobt. Wenn einige unbe- 90 fritten vom edeln Triebe zu Vermehrung der Kenntniffe in Künsten und Wiffenschaften geleitet werden, womit fie einmal ihrem Vaterlande zu nützen hoffen; fo verrichten da- gegen die meisten ihre Geschäfte nicht aus Liebe zum Fort- schritte auf dem geistigen Gebiete, sondern aus Liebe zu einer guten Bezahlung, nicht aus Liebe zur Regierung, sondern aus Liebe zu Ehr und Ansehen, zu einem be- auemen und üppigen Leben vor einer reich besetzten Tafel, bei Weibern und auf der Jagd. Hat einmal der Mensch feine fittliche Spannkraft verloren, fo bleibt er bloß noch ein fieches Schattengewächs. Ich kann nicht aussprechen, wie sehr mein Herz beklommen ward, wenn ich dem kalten, lahmen, maschinenmäßigen, felbstsüchtigen Gange der Re- gierung zufah. So viel als allgemeine Bemerkungen über die egyptische Regierung. Sie find kurz, wie die Prüfungszeit selbst war. Begeben wir uns wieder zu den Heerschaaren, fo führt der Faden der Beschreibung zur Bemerkung, daß ebenfalls Jerusalem von der egyptischen Plage, dem Militär, heim- gesucht wird. Ich hätte schon an andern Orten, voraus in Kairo, Gelegenheit gefunden, über die egyptischen Truppen ein einläßlicheres Wort fallen zu laffen. Ich bin dem Militär von jeher fremde geblieben, und was man am wenigsten versteht, berührt man am ungernten. 91 Ich schilderte früherhin, daß, bei meinem wenig feier- lichen Ginzuge in Jerusalem auf dem müden, fast knie- fälligen Efel, vor den Mauern der Stadt Truppen meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Gewandtheit und Regel- mäßigkeit bei ihren Waffenübungen überstiegen alle Erwar- tung. Wie der Künstler feine Bildsäulen in einer geraden Reihe aufstellt, so stehen die Wehrmänner neben einander, nur darnach fchauend, was sie ablernen sollen, und darnach horchend, was man ihnen befahl. Die Bewaffnung des Soldaten besteht in einem wohl- geputzten Gewehre, wozu ein Säbel und eine kleine Patron- tasche gehören. Letztere trägt der Soldat an einem gelb- ledernen Riemen über dem Rücken, auf welchem er zugleich in einem Habersacke die nöthigsten Bedürfniffe nachschleppt. Die Kleidung ist bald von weißem, bald von rothem, bald von anderfarbigem Zeuge. Pumphosen umgeben enge die Unterschenkel, und enden innen und außen halbmond- förmig, dergestalt, daß die Bogenlinie nach unten gekehrt ist. Den Oberleib und den Hals umschließt genau eine vorne zugeknüpfte Weste, und von den Aermeln derselben werden die Arme klamm umfpannt. Eine Bauchbinde hält die Hofen und deckt ihre Verbindung mit der Weste. Die Kopf- bedeckung ist eine rothe (Fes) und darunter eine weiße Mütze (Tarbusch), welche letztere gewaschen wird. Strümpfe 92 fehlen. Der Schuh hat ein fehr langes Ueberleder. Der Soldat bewegt sich in der ganzen Kleidung mit Leichtigkeit, nur in den Schuhen nicht. Niemand wird abredig sein, daß man in der Montur die fränkische und morgenländische Tracht mit Klugheit zu vereinigen wußte. Die egyptische Soldatenkleidung von grünem oder blauem Tuche nimmt, etwas Plumpes abgerechnet, fich recht gut aus. Indeß vermochten die Europäer ihren Einfluß noch keinesweges in dem Grade geltend zu machen, daß das Pfeifen und Trommeln nicht etwas Wildes, Türkisches verriethe. Noch mehr aber fällt auf, wenn der wachhaltende Soldat mit dem Gewehre im Arme niederhockt u. dgl. Zur Nahrung erhält der Soldat für zehn Tage das Quantum Reis, Bohnen, Linsen und Butter. Fleisch be- kommt er zweimal in der Woche, im Fastenmonat aber alle Tage nach Untergang der Sonne. Die Speisen kocht der Soldat sich felbst, und das Getränke mag er holen, wo er will. Was die Ausrüstung anbelangt, so gibt die Regierung dem Gemeinen alle fechs Monate ein Paar Schuhe und Hofen, eine Weste (Jacke) und ein Hemde, alle Jahre - dagegen die rothe Mütze, einen Kaputrock und einen Teppich zum Lager oder als Bettung. Die weiße Mütze, die Bauch- binde und etwa Strümpfe schafft er sich felbst an. Beim 93 Gintritte in den Dienst wird erfogleich vollständig bewaffnet; er ist jedoch gehalten, die Waffen auf eigene Kosten auszu- beffern. Der monatliche Sold des Gemeinen beträgt 14% Piafter; es fallen somit auf einen Tag nicht einmal 4 Kreuzer R. W. Ueberdies wird der Sold auch in Syrien sehr nachläffig aus- bezahlt. Zur Zeit war er schon vierzehn Monate im Rück- fande. Und wenn noch die Bezahlung erfolgt, so macht fie nicht reinen Tisch, sondern fiel tilgt bloß einen Theil der Schulden. Ueber nachläffige Zahlung wird allgemein Klage geführt, und mit ihr vorzüglich ist der Leichtsinn oder vielleicht gar die Nothwendigkeit des Schuldenmachens eingeriffen. Einmal über das andere langweilt man sich mit der Frage: Wann wird der rückständige Sold ausbe- zahlt? Ich hörte übrigens nie, daß die Zah- lung, mag fiel auch noch fo fpät geleistet wer- den, je ausblieb. Je geringer der Lohn ist, welchen der gemeine Söldner empfängt, desto glänzender werden die Offiziere befoldet. Ohne den Taib (gut, Vergütung, Entschädigung) zu rechnen, steigt die monatliche Besoldung eines Obersten auf 16 Beutel (Seckel); den Beutel zu 500 Piaster. Er kann fomit täglich etwa 34 Gulden R. W. verzehren. Der General erhält monatlich 24 Beutel. Die Verleihung des 94 Generalstitels hatte für Clot auch besonders in Beziehung auf das Ginkommen eine vortheilhafte Seite. Dem Bau taillonsarzte (medico maggiore) find für den Monat 750 Piafter Sold, 140 Piafter Taib und überdies jährlich 1000 Piafter für die Ausrüstung ausgesetzt. Die Anstellung ge: währt wenigstens das Bequeme, daß sie nicht bindet, weil zu jeder beliebigen Zeit die Entlaffung angenommen wer- den muß, fobald man fiel einreicht. Die Pilger. Die griechische Kirche liefert am meisten Pilger, nicht nur viel Griechen, sondern auch viel Ruffen, und die ver- fchiedenen Trachten vergönnen einen ergötzlichen Anblick Wenn der russische Krieger fein Blut in den Schlachten nicht gespart hat, wenn er schon nicht mehr fähig ist, die Waffe zu tragen; er kehrt doch nicht zur Ruhe zurück, es erwacht in ihm, statt des weltlichen, der religiöse Kampf und er wallfahrtet nach Jerusalem, um mit feinen Heilig- thümern einen Frieden, nicht für das Hienieden, aber für die Gwigkeit abzuschließen. Die Griechen, sogar arme, verlaffen ihren heimathlichen Herd, um Gott ihre Dienste anzubieten. Würden sie sonst das Leben mit Kargheit da hinbringen, so scheuen sie die Auslagen für die Wallfahrt und den Aufenthalt nicht. Ich sage ausdrücklich: den Auf- - - - - - - - - - - - - - - - - - - –-- ------ -------- 95 enthalt; denn die griechischen Priester reichen ihren Pil- gern die Nahrung nicht auf Kosten des Klosters. Die Pil- grime müffen, wie verlautet, vielmehr froh fein, wenn ihre Seelsorger sich nicht von ihnen bereichern. Lateinische Christen unternehmen die Pilgerfahrt unge- mein felten. Zu ihrer Beherbergung ist das Kloster des Erlösers bestimmt. Freie Bewirt hung, felbst auch für Protestanten, ward großmüthig vom Papfte geboten. Unter den abendländischen Pilgern gibt es nicht lauter fromme, sondern auch folche, die von Kloster zu Kloster herumstreifen, und darin gut effen und trinken, da- mit die auf folche Weise zurückgelegte Prachtreife ihnen am Ende daheim zur Fundgrube eines müßigen Glückes werde. Ich kannte einen folchen Pilger, der durch ganz Palästina ohne einen Reisegefährten zu Fuß herumwandelte. Einen Andern traf ich in Ramle, später auch in Jerusalem. Ein Schlesier, sprach er deutsch. Ich erinnere mich kaum einer schmutzigern Kleidung, als dieser deutsche Gärtner trug. Man muß die Beweggründe zu seiner Reise hören, um den Gehalt des Mannes zu prüfen. Zweimal fei er auf den Tod krank gewesen, und habe zuletzt das Gelübde gethan, das heilige Land einmal zu besuchen. Mit nichts, als mit dem fchmutzigen Hemde am Leibe, mit Hosen, einem Rocke, Hute, Halstuch und mit fchlechten Schuhen, mit wenigen 96 in Tücher verpackten Habseligkeiten, die er an einem Stocke auf der Schulter trug, durchtrich er das jüdische Land bis auf den Libanon, und zwar ohne Kenntniß des Arabischen oder Türkischen, des Griechischen oder Lateinischen, des Französischen oder Italienischen. Drei Tage hielt er sich in Damaskus auf, ohne den Namen der Stadt zu wissen. Heuchlerisch fuchte er mich zu überreden, daß er auf einer abenteuerlichen Nachtreife das Zeugniß vom Kloster des Erlösers verloren habe. Weil ihm die Sprache abging, um sich den Mönchen verständlich zu machen, konnte er mich bewegen, daß ich mich für ihn als Dolmetscher ver- wendete, und die Patres waren gutmüthig genug, ein zweites Zeugniß auszufertigen. Mich erfüllte ein seltsam Grstaunen, als er mir später erzählte, daß er Alles erlogen habe. Es ist der Nämliche, welcher, nach eigenem Ge- fändniffe, einen österreichischen Reisepaß sich zu erschleichen wußte. Ein Franzose ohne Habe, aber mit einer reichen Lügenzunge, ebenfalls ein Pilger, verwendete all' feinen Witz, um mich zu betrügen. Der Umstand, daß ich immer fchußfertig auf dem Anstande war, machte ihn gegen mich unmuthig und bitter. Solches Gesindel betet unter Knie- beugungen und Bekreuzungen an den heiligen Stellen, wo, nach den biblischen Urkunden, Christus für die Menschen fein Blut vergoß, und wo fein Leichnam ins Grab gelegt wurde. 97 Es ist zudem merkwürdig, daß derlei geldentblößte Leute, die sich gegen den Gastfreund mit einem Geschenke nicht erkenntlich zeigen können, am lautesten aufbegehren und die Unverschämtheit am weitesten treiben. Die Speisen und Getränke sollen in den Klöstern des jüdischen Landes durchgängig fehr gut fein. Vorzüglich rühmt man die Freundlichkeit der Klosterleute auf dem Li- banon und ihren köstlichen Wein. Der Geist der Christen. Die heilige Stadt – welcher Wortmißbrauch. Man tadelt allgemein den Geist der Christen zu Jerusalem. Hier, wo man zum reinsten Christusfinne anfgefordert werden sollte, wächst so viel Unkraut unter fo wenig Waizen. Schlaffheit vertritt lebendiges Streben nach Wahrheit, Formenwesen geläuterte Begriffe, Pharisäismus religiöse Wärme. Man räumt dem Mohammetaner den Vorzug ein, ich glaube, mit Recht. Viele der verschiedenen christlichen Glaubensbekenner benehmen sich so unwürdig, daß man sich beinahe schämen möchte, ein Christ zu heißen. Gine weite Kluft unauslöschlichen Haffes gähnt zwischen den viele farbigen Bekennern des Christenthums. Die Griechen verdienen zuerst den Tadel. Um zu einem Zwecke zu gelangen, laffen fiel keine Mittel unversucht. Man Tobler, Morgenland, I. 5 98 weiß kaum, wie man von Leuten denken soll, welche, wie die griechischen Priester, ausdrücklich berufen sind, Heilig- thümer zu verehren, und an ihrem eigenen Heile zu arbeiten, und welche gleichwohl fo viele Heillosigkeiten begehen. Daß fie vom Glauben an einen vergeltenden Gott durchdrungen find, hält zu begreifen fchwer, und wenn sie diesen Glauben noch hegen, so ist er ein schlechter, weil er mit der Annahme gepaart fein muß, daß der Glaube ohne Tugend felig mache. Ich will zwar nicht behaupten, daß es unter den griechischen Priestern nicht auch wackere Männer gebe; nur sind diese, nach übereinstimmenden Aeußerungen, nicht häufig Die lateinischen Priester fehen im Allgemeinen ziemlich alltäglich aus. Wenige liebten das lateinische Gespräche, und doch lesen alle die Meffe in lateinischer Zunge. Freilich begnügen sich manche Menschen dieses Schlages, in majorem Dei gloriam auf der Oberfläche herum- zuschwimmen, ohne daß ihnen der Gedanke beifällt, in der Taucherglocke vom Grunde die Schätze heraufzuholen. Ich darf kaum bemerken, daß die lateinischen Mönche genei- niglich alle Andersgläubige bemitleiden, weswegen man mir wohlmeinend rieth, ja nirgends den Protestantismus durch blicken zu laffen. Der rothbäckige Verwalter rühmte eines Abends die Gastfreundschaft des Klosters mit den Worten, 99 daß es alle Franken beherberge, klopfe ein Katholik oder ein – – – an. Ich verzeihe dem guten Pater eine folche wenig würdige Sprache, für die ich Gedankenstriche, als die geeignetesten Schriftzeichen in unserer Zeit, wählte. Vom Pater Superior, unter dem Titel Reverendiffimus, spricht Jedermann mit Achtung. Es befinden sich jetzt, wie man mich versicherte, zwei protestantische Missionarien, ein englischer und amerikanischer, in Jerusalem. Man lobt fie, und die protestantischen Frem- den, wenigstens die Gngländer, ziehen größtentheils ins Missionariat. Ich besuchte weder den einen, noch den andern. Hätte ich mich aber in der Stadt länger aufgehalten, so würde ich ihre Bekanntschaft gerne gemacht haben. Sie stehen, meines Wiffens, mit den übrigen Christen in kaltem, jedoch in keinem feindlichen Verhältniffe. Der Ablaß der römisch-katholischen Kirche. 1). Gänzlichen Sündenablaß erhält man: a) beim Betreten des heiligen Landes, wenn man sieben Vater unser und Ave Maria betet; denn die Müh- feligkeiten und Gefahren, welche mit der langen Reise verbunden find, werden als eine Buße für die eigenen Sünden betrachtet; 100 b) C) d) e) f) g) beim Gintritte ins Thor von Jerusalem, nach Ver- richtung von ebensoviel Gebeten; in der Franziskanerkirche zum Erlöser in Jerusalem, und zwar am Altare der Verkündigung fowohl, als des Abendmahls von Christus und feiner Erschei- mung vor Thomas; in der Kirche des Christusgrabes, nämlich an den Altären der Kreuzerhöhung und Kreuzigung, am Steine der Salbung, an der Säule der Geißelung, in der Kapelle des Christusgrabes und der Helena, am Orte der Kreuzerfindung; in Jerusalem an den Plätzen, wo Maria, die Mutter des Christus, empfangen und geboren ward, am Bogen des Ecce Homo, im Palaste des Pilatus, nahe am Orte der Geißelung, in der Umgegend vor Jerusalem, nämlich bei der An- kunft auf dem Zion, im Besondern im Hause des Hohenpriesters Kaiphas, am Bächlein Kidron, auf der Brücke, wo Christus feine Kniee eindrückte, am Grabe feiner Mutter Maria und des Lazarus in Bethanien, auf der Burg von Magdalo, an der gol- denen Pforte; in Bethlehem, und zwar am Altare, wo Christus geboren ward, am Altare der Krippe, so wie der Anbetung der Weisen aus dem Morgenlande; 101 h) in der Umgebung Bethlehems, im Lande der Hirten, wie am Orte der jetzt verlaffenen Kapelle, wo den- felben der Engel erschien; i) in St. Johannes auf dem Berge, am Altare feiner Geburt, in der Wüste, wo er das Gvangelium predigte; k) in Nazareth, nach dem Gintritte in die Stadt und am Altare der Empfängniß; l) in der Umgegend von Nazareth und in Galiläa und zwar auf dem Berge Thabor, in der Stadt Nain, in Sephoris (Szaffad), wo die Aeltern Marias geboren wurden, in Kana, am Geburtsorte der drei Apostel Bartho- lomäus, Matthäus und Simon, am Jordan. 2) Ablaß auf fieben Jahre und zweihun- dert und achtzig Tage: a) zu Jerusalem in der Grabeskirche, am Altare der Kleidervertheilung, an der Kleidersäule, ferner im Gefängniffe auf dem Bezetha und am Orte, wo Chri- fus Magdalenen erschien; b) in Bethlehem, am Grabe der Unschuldigen, im Ora- torium des Hieronymus, an feinem Grabe, am Grabe der Paula, ihrer Tochter Euftochia und des Eufe bius, in der Schule des Hieronymus; 102 c) d) in der Umgegend von Bethlehem, am Grabe der Rahel, im griechischen Eliaskloster, auf dem Felde, wo der Engel den Habakuk wegtrug, in der Zisterne der heiligen drei Könige, am Terebinthen- baume, in St. Saba; in St. Johannes auf dem Berge, an der foge- nannten Marienquelle, am Orte, wo die zwei Bafen einander begegneten, an dem Orte, wo Philip den Eunuchen der Königin von Aethiopien taufte; in Nazareth, im Hause Jofefs, am Tische des Herrn, " an der Quelle der Jungfrau; in der Umgegend von Nazareth und in Galiläa, bei der Maria der Furcht, auf dem Seligkeitsberge, dem Aehrenfelde, am Orte der Speisung mit Broten und Fischen, am See Genesareth, in Bethfaida und Kapernaum. Ich glaubte irrig die Ablaßstellen, wovon ich mehrere besuchte, wenigstens durch Kreuze bezeichnet. Ohne einen Führer würde man, im Geiste des Ablaffes, fehr wichtige Stellen unbeachtet überschreiten. Der alte deutsche Pater und die große Apotheke. Im Kloster des Grlösers lebt ein grauer Achtziger aus Mähren, Pater Vital. Mich verlangte, den Greis zu (03 fehen. Ein schöner Mann mit blauen Augen, rosigem Wan- genschimmer und gebeugtem Körper begrüßte mich mit der einnehmendsten Herzlichkeit. Mir wollte Jerusalem und feine Umgebung nicht gefallen, und ich fragte ihn um seine Meinung über das Leben in diesem Lande. „Ja, was ist es?“ antwortete er. „Man ist nun einmal da. Es muß gut fein.“ Der Sinn der Worte war leicht zu deuten. Ich traf den Pater gerade in der Werkstätte. Er treibt im Kloster das Geschäft eines Apothekers und Arztes. Dazu ist er also noch Pater. Alle gute Dinge sind drei. Von der Werkstätte gingen wir in die Apotheke. Wenn nur das Halbe wahr ist, was an den Büchsen und Gläsern geschrieben steht, so besitzt sie einen reichen Schatz von Arz- neistoffen, daß man sich in der That verwundern muß, wenn man die Lage Jerusalems in einer bildungsarmen Gegend berücksichtigt. Die herrschende widrige Witterung machte mich ein wenig unpäßlich. Ich ermangelte nicht, dies dem Pater Vital zu eröffnen, zugleich aber die Bemerkung beifügend, daß ich ein Arzt sei. Ohne irgend zu untersuchen, trug mir der Mann Gottes einen Schnapps Rosoli aus der Apo- theke mit einer Schnelligkeit und Zuversicht an, daß ich unwillkürlich auf die Vermuthung geführt wurde, es mögen hin und wieder die Klagen eines Preßhaften mit diesem 104 leckern Safte beschwichtigt werden. Ich verbat mir dieses Mittel darum, weil es mein Uebelbefinden nothwendig ver- schlimmern würde. So mag denn hier die Arzneigeberei beschaffen fein. Schnappskuren wären gar zu schmackhaft“). Meine Zelle im Kloster des Erlösers. Ich hatte eben kein fürstliches Aussehen, und ich kann mir es wohl erklären, wenn man mir nicht aller Orten die beßten Zimmer anwies. Ich habe früher die freundliche Aufnahme von Seite des Klosterverwalters erwähnt, und diesmal bloß nachzu- tragen, daß er dem Klosterbedienten Elias zu verstehen gab, er folle mir ein kleines, doch gutes Kämmerlein ein- räumen, weil man die andern Zimmer für die hohen Per- fonen, die man eben erwarte, bereit halten müffe. Mein Zimmer, mit einem Bette, Tisch und Seffel, war durchaus fählecht, ohne Fenster, nicht einmal mit gut schließenden Läden, und eine Oeffnung über der Thüre hatte gar keine Vorrichtung zum Sperren. Luftig pfiff der ge- fällige Wind, die zum Theil fchlaflosen Nächte mir zu *) Es macht mir Mühe, alles Obige stehen zu laffen. Nicht lange nach meiner Abreise, nämlich am Vorabende der Weih nachten, starb der liebens- und ehrwürdige Greis. - - - - - - - - - - - 105 vertreiben. Gs scheint allenthalben dafür gesorgt, daß die Welt zum Himmel hinauf lacht. Wäre es nur nicht ziemlich kalt gewesen, ich würde die Orgeltöne des Windes noch füßer gefunden haben. Beim Schreiben war ich in einen Mantel, die Füße in eine wollene Decke gewickelt, und dennoch konnte ich mich auf diese Art mit genauer Noth wärmen. Die Ueberzeugung wurzelte in mir fest, daß ich in einem folchen Zimmer von meiner Unpäßlichkeit nicht genesen könne, und daß ich daher auf die Abreise dringen müffe, wenn mir anders die Gesundheit am Herzen liege. Die Schattenseite des Lebens bietet doch ungemein viel Abstufungen dar. Auf dem Meere dachte ich: Wenn ich nur zu Lande wäre, ich wollte zufrieden fein. Bei den Pyramiden von Memphis dachte ich: Wenn ich nur wieder unter Franken wäre, ich wollte zufrieden fein. Und in Kairo dachte ich: Wenn ich nur wieder in einem kältern Himmelstriche wäre, ich wollte zufrieden fein. Und in der Wüste dachte ich: Wenn ich nur wieder auf bewohnten Boden meinen Fuß setzen könnte, ich wollte zu- frieden fein. Und in dem Gefängniffe unter dem Zelte dachte ich: Wenn ich nur wieder ein vor dem Regen schützendes Zimmer und die Freiheit hätte, ich wollte zufrieden fein. 106 und beim beschwerlichen Ritte von Gaza dachte ich: Wenn ich nur einmal wieder Ramle erreichte, oder wenn mir nur wieder die Bequemlichkeiten des Schiffes auf der See vergönnt wären, ich wollte zufrieden fein. Wie vielmal wollte ich zufrieden fein, und wie vielmal war ich es nicht? Das kann sich so fügen: Im Augen- blicke, da man eine Widerwärtigkeit fühlt, erscheint fiel am größten; die vergangene tritt in dem Grade kleiner vor die Seele, als ein Gegenstand vor das Auge, der sich immer weiter entfernt. Billig stimme ich in das allgemeine Lob auf die gute Bewirthung des Klosters. Die Speisen waren alle fchmack- haft. Mir that es wehe, daß ich die in einem zinnernen Becher mir zugereichte Porzion weißen Wein wegen meiner eine strengere Lebensweise gebietenden Unpäßlichkeit nicht ganz trinken durfte. Ich kostete noch keinen edlern Wein, und ich nahm davon sogar als Arznei auf die Reise mit. Nach der Versicherung des Klosterbedienten wächst er in Beth- lehem. Der Führer um und in Jerusalem. „Zu den Sehenswürdigkeiten ist ein Führer vonnöthen. Wendet man sich – das Vorzüglichte, das man thun kann – ans lateinische Kloster, fo wird es für einen Dra- goman forgen. –- – – – – – – – 107 Die Kirche des Christusgrabes ist nicht immer offen. Deswegen muß man im Kloster darnach fragen, wann sie aufgeschloffen werde, um nicht vergeblich fich hin- und her- zutreiben. Diefe Kirche zu fehlen, foll das erfte Augenmerk fein. Zu ihrer Auffuchung wird kein Führer gerade nothwendig. Es weiß den Tempel Jedermann. Viele auf der Gaffe verstehen italienisch. Doch in der Grabeskirche felbst bedarf man einiger Anleitung. Man schlägt mit dem Führer folgende Wege ein: 1) Um die Stadt. Durch das Thor von Damaskus zur Jeremiasgrotte. Dann zu den Gräbern der Könige. Nun richtet man fich gegen das Josaphatsthal; man über- fchreitet die Kidronbrücke. Jetzt nach einander die Grab- höhle Mariens und der Apostel, sowie der Garten Geth- femane. Hernach auf den Oelberg. Herab zu den Grä- bern Alb faloms, Jofap hats und Zachariaffen. Zurück über den Kidron. Unter dem Moriah (Moschee Omars) die Brunnen, insbesondere derjenige Siloahs. Auf letzterem Wege laffe man sich das blinde Thor des, wie man vorgibt, ehemaligen Salomonstempels zeigen. Jetzt ersteige man den Zion; die Haustelle des Kaiphas und die Stelle der Davidsburg. Das Alles wird man ohne Hinderniß besuchen können; einzig die Mariengruft ist meist gesperrt. Es genügt, daß der Führer sie einmal 108 weife. Man fragt, wann sie offen fei, und man macht allein einen Spaziergang dahin, da fie fehr leicht zu finden ist. In das Dunkel der königlichen Gräber und des Si- loahbrunnens muß man sich leuchten. 2) In der Stadt. Wir waren schon in der Kirche des Christusgrabes. Unweit von hier glaubt man den Palast des Pilatus; man gehe durch die fogenannte Schmerzens- gaffe bis zum vorgeblichen Palast des Herodes und zum fogeheißenen Kerker Christi. Von da begibt man sich in die Nähe der Omarskirche, die man doch von außen ein wenig befehen kann. Der Führer wird nicht umhin können, mannigfaltige Erinnerungen und Grzählungen, z. B. von heiligen Gin- drücken in Steinen, von Häusern heiliger Weiber und Männer, an die Wege zu knüpfen. Ich geleitete bloß zum Sehens- würdigten. Bei guter Witterung wird man in einem Tage, bei schlechter in zwei Tagen zuversichtlich allenthalben herum- kommen. Rückblick auf Jerusalem. So wenig der erste Anblick der Stadt meiner Grwar- tung entsprach, fo tief, ich muß es laut gestehen, wurde fie beschämt, als ich anfing, die Denkwürdige mit Auf- 109 merksamkeit zu zergliedern. Wenn auch nicht der Buchsta- bengläubige und der ungestüme Zweifler, fo kehrt doch der ruhige Prüfer aus der gefeierten Stadt zurück. Jerusalem verdient mit vollem Rechte von dem Alterthumsforscher, - zumal aber von dem Israeliten und Christen, besucht zu werden. Gs erscheint nicht wenig auffallend, daß hier die Nachgrabungen, um Alterthümer zu entdecken, nicht nach einem durchgreifenden Plane, wie an fo manchen andern, geschichtlich vielleicht weniger wichtigen Orten veranstaltet werden. Gs liegt über allen Zweifel hinaus, daß der Nacht grabende in Jerusalem mannigfaltige Schätze der Vorwelt hervorziehen würde, die zu Erklärung des alten und neuen Testamentes ungefähr fo viel beitragen könnten, als das ganze Heer von Stuben- und Schriftgelehrten feit Jahr- hunderten wirklich dazu beigetragen haben. Es versteht sich wohl von selbst, daß, um so zu fagen, keinerlei heilige oder unheilige Besorgniffe von den Nachgrabungen abhalten dürfen. Die Wahrheit ist in der That heiliger zu achten, als daß es erlaubt wäre, auf das Erforschen derselben ZU verzichten, weder den Einen, weil sie etwa fürchten, daß der NEUe Fund den bisherigen Glauben fchwäche, noch den An- dern, weil sie besorgen, daß er ihn stärke. 110 Ausflug nach Bethlehem. Holperiger Weg; das unscheinbare Elias mit einer reizenden Aussicht nach Jerusalem und Bethlehem; Rahels Grab; in Bethlehem Pfützenreichthum, das Franziskanerkloster, der Stall und die Krippe; die Bethlehemiten und Bethlehemitinnen; zu Fuß nach Jerusalem zurück. Durch die Erzählung der Unannehmlichkeiten mit einem Eseltreiber will ich Niemand belästigen; man hat manchmal mit solchen Leuten fo viel Mißliches, daß man beinahe das alte Gebot zurückwünschen möchte, nach welchem den Christen untersagt war, in und um Jerusalem zu reiten. Ich ging durch das Jaffathor, wendete mich links über das Thal Gihon, und bald war ich auf der Thallehne Hinnon, Jerusalem gegenüber und mit diesem ungefähr in gleicher Höhe. Der Anblick der Stadt verheißt von hier aus nicht viel; kaum zeichnet fich der Zion aus. Der holperige Weg gleicht unsern Bergwegen. Die Leute laffen sich die Mühe reuen, ein kleines Sträßchen anzulegen, fo leicht, es wäre. Man hat nicht ganz Unrecht, vom Zustande der Straßen auf die Bildungsstufe der um- wohnenden Menschen zu fchließen. Jetzt bekam ich über dem Hinnon einen Gfel. Ich ritt durch eine Gbene in der Richtung gegen Mittag. Wo 111 dieselbe zu einem langen, von Abend gegen Morgen oder gegen das uneigentlich sogenannte todte Meer streichenden Hügel aufschwillt, liegt in der Mitte und auf dem Rücken selbst das griechische Kloster des Elias: wenig vorstellende Mauern, welche fchwerlich ein Abendländer für ein Gottes- haus ansähe. Das reizlose Aeußere mag der Lüsternheit des Beduinengefindels am besten wehren. An dem Glias- kloster vorüber, und auf dem Scheitel des Hügels erwei- tert sich die Aussicht nach Mittag und Mitternacht. Rück- wärts nimmt man Abschied von Jerusalem, und vorwärts gegen Mittag begrüßt man Bethlehem, welches wie an einen Abhang gekleibt ist. Im Glanze der Abendsonne fiel das felbe vortheilhaft ins Auge. Es scheint hier fehr nahe, und doch haben wir erst die Hälfte des Weges am Rücken. Vom Lothsee erblickt man nur ein kleines Silberdreieck, welches von Gebirgen des ostjordanischen Landes majestätisch überragt wird. Zwischen dem Eliaskloster und Bethlehem steht an dem, von Elias aus, fehr unebenen Wege rechts, nach der Ueberlieferung, Rahels Grab unter einer moham- metanischen Kuppel. Man kommt vor Bethlehem gerne aus der feinichten, mehr oder minder öden Gegend in eine gewächsreichere, worin wenigstens Rebe und Feige und Kohl gedeihen. Unter einem Gewölbe hindurch tritt man ins Dorf. Kaum weiß 112 man vor Waffer und Schlamm, wo man den Fuß hin- fielen darf. Bethlehem, an der nördlichen Abdachung eines Hügels, gewährt keine erhebende Aussicht. Den zwar gut gemauerten Häusern mangeln Fenster. Im Franziskanerkloster stieg ich ab. Der Pater Guar- dianus, ein einsichtiger und kenntnißreicher Mann, empfing mich mit Freundlichkeit, und es wurde mir ein gutes, großes Zimmer angewiesen. Abends ereilte mich das Mißgeschick, von der Prozession, mit brennender Kerze in der Hand, gleichsam fortgeriffen zu werden. So gerne würde ich mit einem Führer allein und in der Stille den Ort, wo, der Ueber- lieferung zufolge, Christus geboren ward, besucht haben, Es ist diese Stelle, unmittelbar unter der Kirche, von einer köstlich gezierten Kapelle überwölbt. Als die Patres in diese herabgestiegen waren, fanken fiel in Demuth auf die Kniee, und erhoben die Stimmen des Gebetes. Der Guar- dian schenkte mir die Aufmerksamkeit, daß er mir ein gedrucktes lateinisches Büchlein mit den Gebeten einhändigte, welche vor jedem Altare verrichtet werden. Wer würde auf dieser Stätte fich nicht in ernste Betrachtungen vertiefen? Welche große Gröffnungen find, nach dem Glauben der Christen, von dem Manne ausgegangen, dessen Geburtsstätte vor meinen Augen lag (, hic de virgine Maria Jesus Christus 113 natus est“). Aber auch welches Unheil erzeugte der Aber- witz, welcher mit Herrschsucht im Reiche der Meinungen sich in den Sinn der Worte unsers großen Meisters hinauf- wagte? Wie lange noch bleibt es bloß frommer Wunsch, daß nur einen Hirten eine Heerde umgeben möchte? Man zeigt auch die Krippe, welche zum Lager des neugebornen Kindes gewählt worden fein foll. Außer der Geburtskapelle wallt man in mehrere Höhlen, worin die fromme Grinne- rung Altäre und Grabmale gebaut hat, einen z. B. auf Hieronymus, einen hochwürdigen Mann. Gs ist von einem Engländer behauptet worden, daß, im Widerspruche mit den Urkunden, die Geburtskapelle unterirdisch sei. Ich möchte dieser Behauptung aus guten Gründen nicht bei- pflichten. An der Baustelle des Klosters schießt der Boden der Grde gähe ab, und wenn der Boden der Kirche in ebener Linie durchgeführt wurde, so konnte der Stall den Raum zwischen dem Erd- und Kirchenboden einnehmen. Das Kloster ist ziemlich groß; feine Mauern find fo dick und maffiv, wie die einer Festung. Großen Schaden litt es letztes Jahr durch ein Grdbeben, und eben war man mit Verbeffern des Gebäudes beschäftiget. Mehrere Mädchen gingen aus und ein, um die Maurer zu bedienen. Diese, wie andere Bethlehemitinnen gewannen in meinen Augen nicht den Preis der Schönheit, welchen Reisende ihnen zu- dachten. 114 Die Betlehemiten sind lauter Christen, und zwar bei nahe alle lateinische, nur in geringer Zahl griechische. Aus ihren Gesichtern sprechen die Züge von Schlaffheit, Schlau- heit, von Niederträchtigkeit. Ich verdanke dem Pfarrer des Klosters, einem Spanier, die Mittheilung, daß im ver- wichenen Jahr 122 (lateinische) Kinder geboren wurden. Die ganze Gemeinde von Bethlehem nähert sich der Zahl von 4000. Im laufenden Jahre starben binnen fünfzehn Tagen über 40 Kinder an den wahren Menschenpocken und bloß eine erwachsene Person. Es werden in Bethlehem fehr viel heilige Dinge, meist aus Perlmutter, gearbeitet. Kurz nach meiner Ankunft be- gab sich zu mir ins Zimmer ein Bethlehemit mit einer Menge Kruzifixe , Marienbilder, Rosenkränze u. f.f, wo- von ich mehreres einkaufte. - Zu fpät in Bethlehem, das zwei leichte Wegstunden von Jerusalem entfernt ist, eingetroffen, blieb ich dafelbst über Nacht. Ich rühme billigermaßen die freundliche Be- wirthung und den guten Wein; nur war es mir unange- nehm, daß ich, in Berücksichtigung meiner Gesundheit, nicht nach allen aufgetragenen Speisen langen durfte. Am folgenden Morgen wollte ich zu Fuß zurückkehren; allein man – – –. Ich wußte zum Glücke noch, daß ich nicht weit von meinem Kopfe Füße habe, und ohne 115 Worte zu machen, trat ich den Rückweg an. Meine kurze Fußreife war ein Luftwandel, während defen ich die Ge- gend mehr genoß, als es bei einem Ritte hätte der Fall sein können. und Gewinn war schon der lebendigere Ge- danke, daß Taufende und Tausende von Menschen vor längst verfloffenen Jahrhunderten von Bethlehem nach Jerusalem zu Fuße einherwandelten, wie ich nun dahin ziehe. Verläßt man das Dorf Bethlehem, fo schaut linker Hand oben das Kloster Johannes auf uns herab. Ungefähr auf der Hälfte Weges holte ich Gesellschaft ein, nämlich einige Marktweiber, welche auf dem Kopfe Holzreifer trugen. Nicht fehr lange aber hielten sie Schritt mit mir; es war eine Strecke über Glias, als ich sie verließ. In dem ungestörten Besitze meiner Ge- dankenwelt, in der frohen Vergegenwärtigung der Vorzeit, welche der alte Boden unter meinen Füßen heraufbeschwor, ging ich wieder meines Weges allein, wie vor Bethlehem, und ohne irgend ein unangenehmes Begebniß erreichte ich Jerusalem. - Die Beschiffung des Lothsfees. Obgleich ich den Lothsee, in den sich der Jordan er- gießt, ohne daß er einen fichtbaren Ausfluß hat, nicht felbst besuchte, fo fcheint es mir doch am Platze, mitzu- theilen, was ich zu wiederholten Malen erfuhr, daß dieses 116 gefürchtete Waffer , in dessen Nähe Tacitus ein großes Naturereigniß (Kräuter der Wiesen und Saaten des Feldes verwandelten sich gleichsam in Asche) verlegte, im Sommer des Jahres 1834 von einem Gngländer (vielleicht vom Ir- länder C arnagan) beschifft wurde. Er ließ von Jaffa einen Kahn hinüberschaffen, und mit einem Bedienten be- fchiffte er den See. Der Unternehmer starb nach der See- fahrt; der Bediente aber lebt noch. Die übrigen Mähren zu erzählen, will ich am liebsten fchuldig bleiben. Nach Jaffa am Mittelmeer. Abermals allein gereist; der Regen des heiligen Landes bei hagt mir nicht; Beschwerden vom Reiten her; ein Araber, der ein Huhn verloren, redet mich auf italienisch an; Nachts in Ramle; Clausura per le donne, quoique und parceque; durch die Ebene Saron mit naffem Sack und Pack; bald in Jaffa. Freitags den vierten Christmonat fchied ich von Jerusalem. Den Rückweg bis Ramle kennen wir. Ich bemerke bloß ein paar Dinge: Ich reiste abermals allein, nach der goldenen Regel: Lieber keine, als eine fehlechte Gesellschaft. Gin Franzose, dem ich mich anheischig machte, die Reise nach Jaffa zu bezahlen, wenn er die Merkwürdigkeiten. Jerusalems mit 117 zeige*), folte zwar mitreifen; weil er aber ein Trunken- bold und ohnehin ein unzuverlässiger Mann war, fo zog ich vor, ihn vorangehen zu laffen. Daher kam es, daß ich über das Gebirge bloß einen Araber, den Führer, zum Gefährten hatte. Erst gegen eilf Uhr Mittags verließ ich das Neuhaus, nachdem ich den Führer lange umsonst erwartet hatte. Dar- aus erwuchs mir der Nachtheil, daß gerade fchlimme Wit- terung fich einstellte, die fich während des ganzen Zuges über das Judengebirge wirklich fehr unordentlich aufführte. Der Regen goß in Strömen hernieder, indeß dann und wann der Nebel in feiner gespenstergrauen Farbe herumschlich. Einmal wollte ich mich gerade in einer tiefen Gebirgsschlucht trocken decken. Ich entfaltete den Polster, auf dem ich faß, um mich in denselben, wie in einen Mantel, zu hüllen. Naß, müde, ja halb krumm unter der Regentraufe und für den Augenblick der Besinnung gleichsam bar, legte ich den durchnäßten Deckmantel, den ich bisher trug, auf den Sattel. Nun wurde ich natürlich auch da, wo ich bis jetzt trocken blieb, benäßt. Um das Maß der Unannehmlichkeiten zu füllen, trat noch ein anderer übler Umstand hinzu. Der *) Zu einem Theile davon führte er mich in Begleitung eines eingebornen Ortskundigen, 118 - - Sattel des Thieres war ungebührlich breit und überhaupt schlecht, so daß mein rechtes Bein roth und blau fichrieb*). Von der Bergreife will ich noch eine Begebenheit be- rühren. Es kamen Araber entgegen, welche mit Hühnern beladene Efel vor sich hin trieben. Einer derselben fragte mich auf italienisch, wie viel Uhr es fei. Ohne anzuhalten, antwortete ich: Non sò (ich weiß es nicht). Ich möchte mich für den Verdacht nicht bestimmt erklären, daß der Fragesteller gerne meine Uhr gesehen und als gelegene Beute mitgenommen hätte. Verdacht wäre fonft um fo gegrün- deter, als die Uhren oder die Werkzeuge zur Zeitmessung unter den Arabern, insbesondere unter den Beduinen, als eine große Seltenheit gelten, weil sie das Bedürfniß künft- licher Zeitmessung in ihrem, dem Naturzustande nahe sie henden Leben bereits gar nicht fühlen. Schon waren die Araber wenige Schußweiten von uns entfernt, als ich ein Huhn, unzweifelhaft einen verlorenen Theil der Ladung, am Wege daliegen fah. Ich war im Begriffe, die Araber, als die höchst wahrscheinlichen Eigenthümer, zu rufen; allein der Grund überwog, den verdächtigen Burschen nicht gleich *) Das Wadengeschwür, welches in Folge dieses Rittes über das Gebirge entstand, heilte erst nach Verlauf von zwei oder drei Wochen. 119 fam die Hand zur Rückkehr zu bieten, und mein Führer unterließ beides, zu rufen und das Huhn für sich aufzu- heben. Kaum recht aus dem Gebirge, kaum die Ebene von Ramle vor den Augen, und die Nacht ließ ihren dunkeln Vorhang vor mir, dem bis auf die Haut. Durchnäßten, fallen. Mich fror es inzwischen nicht eigentlich; denn die Witterung, auf den Bergen und dem Niederlande so ver- fchieden, wie dort Tag und hier Nacht, war jetzt lieblich, gleich dem milden Blicke unschuldiger Kinder. Ein Regen- bogen beim Mondescheine (erstes Viertel) entzückte mich zum ersten Male. Ich langte wiederum Nachts in Ramle an. Ich nahm fchon deswegen die Einkehr im lateinischen Hospiz, weil ein Theil meines Gepäckes dort zurückblieb. Es wäre un- gerecht, wenn ich das Nachteffen tadeln wollte; aber zur Schmeichelei werde ich ebenso wenig hinunterkriechen, daß im Hospiz Reinlichkeit an der Tagesordnung fei. Bei uns fpeitet mancher Bettler mit einem faubern Löffel, mit einem reinern Meffer und einer gefälligern Gabel, als der Reis fende in diesem mönchischen Gasthaufe. Ueber einem Gange steht, wie im Erlöserkloster zu Jerusalem, in italienischer Sprache geschrieben (clausura per le donne), daß den Frauen der Eintritt verboten sei. Ganz wohl; denn die 120 unreinlichen Männer müßten fich vor den Weibern fchämen, die in der Küche nach einem beffern Geschmacke fich einzu: richten wifen. Den 5. Mit naffen Hand- und Druckschriften im Felleisen und selber noch nicht in trockenen Kleidern, setzte ich, bei guter Witterung und in Gesellschaft eines Militärinstruktors, eines italienischen politischen Flüchtlings, den Weg fort nach Jaffa durch eine ausgedehnte Ebene, die Saron, welche mit dem Brautgewande des Lenzes geschmückt war. Man erblickt die Küstenstadt schon in einer Stunde Gntfernung von einer fanften Anhöhe aus, wodurch die Saronebene bei nahe nichts Nennenswerthes an ihrer Einförmigkeit verliert, Gleichsam zur Entschädigung dafür belebt vor den Mauern der Stadt den Ankömmling der angenehme Geruch üppiger Gärten, worin Goldäpfel die Bäume beschweren. Vor Mittag schon ritt ich durch das Thor von Jaffa. Von Gaza bis Ramle sind zwölf Stunden zu Fuß, von Jerusalem bis Ramle ebenso neun Stunden und von hier bis Jaffa viertehalb Stunden. 121 J a ff a. - Lage, Gaffen, Hafen, Bevölkerung. - - Das heutige Jaffa, das Joppe der Bibel, ist größer, als eine Abbildung es mir vorstellte. Es liegt am Meere auf einem Hügel, den es vollständig umhüllt. Von Mit- ternacht aus, auf dem mohammetanischen Gottesacker, ge- nießt man den günstigsten An- und Ueberblick, und die vielen Kugeldächer rufen Gaza ins Gedächtniß zurück. An die Stadtmauern find inwendig die elendesten Hütten gebaut. Die Mohammetaner haben zwei Moscheen. Die eine, mit einem niedrigen Thurme, feht unten am Meere, einige Schritte vom armenischen Kloster; die andere, größere oben im nördlichen Stadtviertel. Daneben in Mitte des Dop- pelthores, welches auf das Land führt, spendet ein präch- tiger Brunnen ein erfrischend Waffer, wovon auch die christ- lichen Pilger fleißig holen. Die Gaffen find unregelmäßig, enge, löcherig, in der Regenzeit fchmutzig. Die Haupt- gaffe streicht einerseits an dem griechischen, lateinischen und armenischen Hospizium, andererseits an dem Hafen als Kai vorbei, und gegen Mitternacht eben davon bis zur kleinen Moschee. Hier biegt sie sich um, und steigt neben Hand- werks- und Kaufbuden ein wenig gähe hinan, um sich in Tobler, Morgenland. II. 6 122 einen kleinen, ziemlich ebenen Platz zu öffnen. Hier herrscht besonders viel Regsamkeit, schon der Fleischbänke willen. Von diesem Marktplatze ziehen gegen Morgen drei Gaffen: die eine zu den Getreideläden, einem großen Kaffeehaufe und zur großen Moschee; die andere und mittlere zum Thore auf das Land; die dritte als Nebengäßchen zur Stadtmauer. Neben der Hauptgaffe, deren Richtung dem lateinischen S am nächsten kommt, öffnet sich eine enge Gaff in den Markt- platz, welche erst gähe zu dem auf der Höhe der Stadt oder des Stadthügels liegenden Festungsschloffe hinauf-, von diesem aber herabsteigt. Die Gaffen auf dem Gipfel und im südlichen Theile der Stadt sind, mit Ausnahme der letztern Gaffe, ziemlich menschenleer, und verdienen auch keine nähere Würdigung. -- Der Hafen, wenig Rührigkeit darbietend, ist eher eine Rhede, schlecht und klein, von Klippen umfangen, für größere Schiffe unzugänglich. In der Rhede lagen bei meiner Ankunft fünf Schiffe vor Anker; auf offener See in viertelstündiger Gntfernung eine griechische Brigg*). Wie foll ich muthmaßen, daß die Stadt von 5000 Menschen bevölkert sei. Ich bin, wie in Jerusalem, •) Ich besprach schon vorläufig den Vertrag mit dem Schiffs- hauptmanne. Er wäre unerfüllt geblieben, weil das Schiff in Kaifa Bruch litt. 123 auch hier mit nackten Muthmaßungen über die Zahl der Bevölkerung, ohne über fichere Angaben gebieten zu können, selber vielleicht am meisten unzufrieden, und ich würde diese mit großem Vergnügen verzeichnen, wären sie nur er- hältlich gewesen. Haben die ungefähren Ansichten von der Volkszahl weiter keinen Werth, fo mögen sie doch als Wink dienen, andern Angaben nicht ficher zu vertrauen. Die Anzahl der Christen ist nicht geringe; die Lateiner und Maroniten zählen aber bloß 340 Seelen. Die Christen be- wohnen den untern oder Hafentheil der Stadt, in welchem am Sonntage viele Läden geschloffen waren. Jaffa, wie es ehemals war. Ich will keine Geschichte von Jaffa liefern; nur kann ich mich nicht enthalten, drei Schriften aus der jüngern Vergangenheit Auszüge zu entheben. „Jetziger Zeit“ (1581), sagt Salomo Schweigger, „ist keine Behausung mehr vorhanden, denn auf einem nicht gar hohen Berge zwei Gebäu, groß und weit, ziemlich fark. Darinnen eine türkische Besatzung etlicher Araber von wegen der Anlände aus Egypten. Sonst sieht man am Berge etliche alte Gewölbe. Die meiste Waare, fo dahin gebracht wird aus Ggypten, ist Salz und Reis. Da- gegen ladet man Oel. Haben der halb keine Herbergfunden, 124 sondern mußten unterm freien Himmel für gut nehmen im Sande zunächst am Meere.“ - - “ Vernehmen wir de la Mottraye: „Nach einer Fahrt von sechszehn Tagen und nach verschiedenem Unge- mach kamen wir den 19. Merz 1697 auf der Rhede vor Jaffa an. Dieser Ort ist von fo vielen Reisenden be- schrieben, daß ich mich der Mühe überheben kann, eine neue Beschreibung davon zu geben, zumal da derselbe jetzt kaum mehr den Namen eines Dorfes verdient. Von dieser uralten Stadt ist nichts mehr übrig, als ein großer, halb eingefallener Thurm, und zwei kleinere, die noch ganz find, auf dem Gipfel eines benachbarten Berges, und einige in den Berg gegrabene Höhlen; denn Häufer find es wahr- lich nicht. Nur eine Herberge für den Fremden, welche den Namen eines Hauses verdient, steht am Ufer des Meeres. Der Hafen ist nicht sonderlich, und wird, aus Mangel der Unterhaltung, von Tage zu Tage fchlechter. Ginige Spuren von dicken, wohl zämentierten Mauern, die nicht weit vom Ufer aus dem Waffer hervorragen, scheinen die Ueberbleibsel eines Dammes oder Molo zu sein, der noch heutzutage sehr nützlich sein würde, um den Nordostwind abzuhalten, welcher die Gebäude hier ziemlich in Gefahr fetzt, wenn er heftig weht.“ - - Jonas Korte fand vor bald einem Jahrhunderte (1738) 152 in Jaffa ein Haus, Hospiz genannt, worin beständig ein Pater und Frater vom Franziskanerorden sei, und sagt dann weiter: „Das Hospizium, darin ich war, gehört auch den Patribus de Terra Sancta. Es liegt just am Meere, und man steigt nur etliche Stufen dazu hinauf, und ist an einen Berg, worauf die Stadt meist liegt, angebauet. Die Kapelle und ein paar Kammern waren auch in den Felsen oder Berg hineingemacht und also schön kühl, Die Herren Patres behaupten, dieses Haus stehe an derselben Stätte, wo Simon, der Gerber, gewohnt, und wo Petrus das Gesicht oder Offenbarung gehabt, wiewohl man mit Augen sehen kann, daß die See viel von dem Berge ab- geriffen, und Stücke von den alten Stadtmauern und Thür- men über zwei Steinwurf in der See liegen.“ Die Tageslänge. Wenn man einmal Reifender ist, fo richtet man die Auf- merksamkeit auf alle Verschiedenheiten, Notabene auf alle, die Ginem nicht entschlüpfen. Außer den Temperatur- und Witterungsverschiedenheiten wird man in Syrien unter dem 32. Grade nördlicher Erdbreite einen bedeutenden Abstand in Bezug auf die Tageslänge wahrnehmen. Ich hielt mich während des kürzesten Tages in Jaffa auf, und fieben Uhr - - - - - - - - - 126 Morgens fchon und noch fünf Uhr Abends konnte man an einem hellern Orte leicht liefen. Für die Klöster im jüdischen Lande (Tabula secunda pro Conventibus Judaeae sub elevato Polo per gra- dus 32) liegt eine gedruckte Tabelle vor mir, worauf in der Regel von sechs zu sechs Tagen die Zeit des Sonnen- auf- und Untergangs durch das ganze Jahr angegeben ist. Ich will am liebsten die Tabelle selbst redend einführen, da fie, längst anfäßig in Syrien, mir aus einer Verlegenheit helfen und auch Auskunft ertheilen kann, wie weit der längst Tag feine Flügel von einander ausspanne Am kürzesten Tage schläft die Sonne allerdings nicht so lange, wie bei uns; denn fie steht um fieben Uhr und drei Minuten auf, und fiel legt sich um vier Uhr und siebenundfünfzig Mi- nuten nieder. Dafür läßt sich die Sonne am längsten Tage zum Aufstehen mehr Zeit, indem fiel um vier Uhr und fiebenundfünfzig Minuten aufgeht; und als wenn fie durch ihren heißen Schein leichter fich erschöpfte, fiel nimmt schon um fieben Uhr und drei Minuten Reiß – unter. Und nun denn den ersten besten Kalender zur Hand, ist eine Vergleichung der Tageslänge in dem jüdischen und dem Abendlande nicht ebenso belehrend, als die Betrachtung des Aderlaßmännchens, dem man wohl Blut, aber den Geist nicht, der auf dem Blute schwimmt, nämlich die Vor- urtheile, opfert? ------- -------- 127 Witterungsbeschaffenheit. Während meines Aufenthaltes in Jaffa ließ sich die Witte- rung im Ganzen milde an. Viele Leute gingen barfuß; an- dere badeten fich im Meere. Das Bedürfniß des Heizens machte sich nicht fühlbar. Die Regentage waren, nach dem Gefühle zu urtheilen, nicht kälter, als bei uns manche des Sommers, und zudem nicht fo eigentliche, wie die unf- rigen zu fein pflegen. Nach kurzem Regen oder Schauer blickte die Sonne zwischen den Wolkenklößen freundlich hervor. Bei dieser veränderlichen Witterung wechselte fast jeden Tag das Schauspiel des Sonnenscheins und Regens; bloß an einem einzigen Tage war die Sonne vom Gewölke allent- halben verhüllt. Zur Seltenheit sollen Schneeflocken fallen. Ich fah reichlich fchloßen. Die Regenzeit dieses Landes ist unsere Schneezeit, die Zeit der Regenlosigkeit unsere Regenzeit. Gott gab uns also zwei Dinge mehr, im Sommer den Regen und im Winter den Schnee. Zur Zeit der Regenlosigkeit wird das Erdreich ungemein trocken, und klafft an vielen Stellen breit und tief von einander. Die Pflanzenwelt verliert dann das fröhliche Aus- fehen, welches ihr die Regenzeit, der eigentliche Frühling, verleiht. Diese Zeit beginnt Ende Wintermonats, dauert 128 über den Christmonat und Jenner, und der Hornuug mag etwa vier bis fünf Regentage zählen. Der Meeressturm und der Schiffbruch. Nun aber hatte Joppe von Natur aus keinen Hafen und keine Anfurt; denn das Ufer war hoch und gähe, auch beider feits mit krummen und rauhen Felfen, daran das Meer heftig schlägt und brauset, wohl verwahret. Flavius Josephus. Zu beiden Seiten der Stadt Joppe liegen große Steine und Felfen, die aus dem Meere hervorgucken. Die Lage des Ortes und die Gestalt der Sachen zeigen an, daß Andromeda hier gewesen und dem Wallfische sei vorgeworfen worden, wie die alten Fabeln glaubwürdig sagen. Wenn der Nordwind gegen das Ufer geht, so treibt er das Waffer über sich, und schlägt es an die Felsen, daß es ein groß Getöfe gibt, und daß das Meer davon gar ungestüm wird, wenn die Wafferwellen zurück- fallen. Daher ist es viel gefährlicher am selbigen Orte, als in den Wüsten. Egefippus. Vor meinem Fenster tauchen Klippen aus dem Meere. Schäumend brechen fich die Wellen an den Felsen, selbst bei anscheinender Meeresstille. - In der Nacht des 28. Chrifmondes weckte mich fo lauter Donner, daß der Blitz in der Nähe niedergezuckt fein muß. Den Donner begleitete ein Chor von Geheul der erzürnten See. Wenn die Wogen über die Wehrmauer platschten, bebte unser Gotteshaus. Ich konnte den Schlaf nicht leicht wieder finden. - - – – – - - - - - - –- - - - - - - - - - – - - - - - - - -– – – - - - - 129 Endlich leuchtete mir der Tag auf das furchtbar schöne Schauspiel. Der Nordwind wühlte in den Waffern. Wäre von dem Meere, wie von einem Kochkeffel, Dampf empor- gestiegen, fo hätte man sich nicht täuschen können, daß es in Sud gerathen sei. Die Wogen spritzten ihren schaumigen Bogen über Mauer und Gaffe, über Schiffe und Häuser. Ich wohnte im Hospiz durch Mauer und Gaffe vom Ufer getrennt und über dem Erdgeschoße im zweiten Stockwerke, und selbst am Fenster ereilte mich der Sprengwisch des Meeres. Auf der Gaffe fhaukelten die Fäffer im Meerwaffer. Die griechischen Pilger, sonst jederzeit ziemlich langfingerige Holzaufleser, rafften abgesprungene Reife im Vorbeigehen zusammen. Mußte doch den Christusdurstigen felbst der Sturm behilflich fein. Pflaster- und Mauersteine löseten sich vor der Gewalt. Die Gaffe bildete ein Waffergerinne im Augenblicke, da die Woge überschlug. Wer vorüber- ging, war unsicherer, als unter dem Platzregen. Ghe er sich versah, fand er unter der Meerestraufe. Weiße Flocken flogen zierlich umher – etwa Schneeflocken? Gs waren vom Winde zerzettelte Bäufchchen fchneeichter Baumwolle. Von einem Haufe am Hafen, über defen Zinne die Wellen gleichsam scherzend hüpften, flüchtete man Waaren. Schon fchwamm Wrack. Es war der Fingerzeig, daß es Ernst 130 gelte. Richtig wälzten die Fluthen ein unbemanntes Schiff mit zerknicktem Fockmaste daher. Das Fahrzeug, gleichsam unwillig über die treulofe Rhede, riß sich von den Tauen los. Dem Beherrscher der Meere, dem Sturme, zu wohl- feilem Preise überlaffen, wippte es sich zuerst unsicher umher, bis es, gegen Mitternacht gleich an der Stadt, am halb- mondigen Strande fcheiterte. Im Ausfahren aus der Rhede riß indeß dieses Schiff das Tau eines andern ab, welches ohnehin mit genauer Noth fich hielt. Und so kam es, daß bald auch dieses Schiff flott war, nackt, gleich einem ent- blätterten Baume, doch noch mit einiger Bemannung. Graufig, wie der Anblick einer menschenleeren Brandstätte, war der- jenige des erstern entvölkerten Schiffes; beängstigend ist der Anblick eines der Menschengewalt entzogenen und der Will- kühr des Windes und Waffers dienstbar gewordenen, untät umherwiegenden Fahrzeuges, wie der Anblick eines kleinen Kindes, das mit einem scharfen Meffer fpielt. Die Mann- fchaft, welche dem zweiten Schiffe vertraute, schien ihre Hoffnung auf den Nordwind zu bauen, welcher nur gegen das Land treiben werde. Wirklich rannte es sich bei der Stadtmauer fest, ohne den größten Schaden zu erleiden, und gerettet waren die Schiffleute. Auf der Stelle bewegte sich eine Last Leute nach den losgerissenen Schiffen. Eilends mischte ich mich unter 131 die Menge. Ich fah viel Augen und lauter trockene; die meisten drückten weit mehr Neugierde, als Theilnahme an dem Unglücke aus. Abends und in der darauf folgenden Nacht wichen der Macht des Sturmes noch drei andere Schiffe. Eines ward mit Wuth ans Land geworfen, und in viele Stücke zer- schmettert. Nur ein Schiff trotzte standhaft im sogenannten Hafen. Der Meeresturm foll seit einem Jahrzehn nie mehr fo heftig geworden fein. - Vor einem Jahre ereigneten sich hier ähnliche Unfälle. Ich sprach in Jerusalem eine Deutsche, die, wie sie sagte, einzig durch Zufall ihr Leben davon brachte; manche Hab- feligkeiten gingen über dem Schiffbruche zu Grunde. Es wäre vielleicht unschwer, in Jaffa einen Hafen (NI- zulegen. Die Araber kennen freilich den Gemeinsinn, der solche nützliche Einrichtungen ins Dasein rufen würde, nicht mehr, und laufen lieber alle Jahre Gefahr, Schiffe und Leute zu verlieren. Die Reisenden erzählen einstimmig, daß die Menge gescheiterter Fahrzeuge an der phönizischen Küste in Erstaunen und Grausen fetze. Wer aber gleich- gültig genug ist, für die Gesundheit eines Beines keine Sorge zu tragen, klage denn auch nicht, wenn dasselbe, wegen der unheilbarkeit, abgeschnitten und mit einem höl- zernen vertauscht wird. 132 Gesundheitszustand. Die Witterung übt im Ganzen keinen ungünstigen Ein- fluß auf die Bewohner. Man sieht viele Graubärte und alte Weiber. Spaß bei Seite, je mehr es alte Weiber in einem Lande gibt, desto gesunder ist es. Um in den Gesundheitszustand der Jaffaner einzutreten, fo fah ich im Todtenbuche der Lateiner und Maroniten nach. Die Kopfzahl der Gemeinde beträgt, wie ich oben anführte, in runder Summe 340. Die Pfarrkinder, unter der Seel- forge des Hospiz, find beinahe lauter Gingeborne mit all' der morgenländischen Tracht, Sitten, Gebräuchen, Gewohn- heiten, der geistigen und fittlichen Erschlaffung. Obschon das Todtenbuch Manches zu wünschen übrig ließ, indem, statt genauer Verzeichnung des Alters, meist nur eine runde Zahl mit den Worten „plus minusve, circiter“ (mehr oder minder, ungefähr) oder „plus“ (darüber) genannt war, fo verdiente es in der Hauptfache doch Vertrauen. Aus der Gesammtzahl der Verstorbenen ließ ich, bei der Berech- nung der wahrscheinlichen und durchschnittlichen Lebensdauer, zwei „peregrini“, Fremde oder Pilger, und ebenso einen Erwachsenen weg, dessen Alter nicht angemerkt war. In 133 den 9 Jahren 1824 bis und mit 1827*) und 1829 bis und mit 1833 starben 123 Personen, im jährlichen Durch- fchnitte 13, und im gleichen neunjährigen Zeitraume wurden 455, im jährlichen Durchschnitte 16 geboren. Das wahr- scheinliche Leben fällt zwischen 5 und 6 Jahre, und wenn einige, vermuthlich übergangene, Todtgeburten hinzugerechnet werden, fo müßte es noch niedriger stehen. Unter 5 Jahren starben 56 Zwischen 5 und 10 Jahren farben „, 10 %, 20 39 1» „, 20 %, 30 99 99 » 30 - 40 % 99 „, 40 %, 50 39 99 14 F 7) 50 29 60 39 29 14 „, 60 , 70 99 09 9 29 70 99 80 99 99 39 80 39 90 99 » 123 Das höchste Alter (einer Frau) ging auf 84 Jahre. Der lateinische Schullehrer, ein geborner Palästiner, der 9 *) Ich übersprang das Jahr 1828, in welchem die Pest herrschte. Sie allein raffte vom 24. Merz bis zum 30. Mai 19 Menschen hinweg. 134 mich durch verschiedene Mittheilungen über die Sitten und Gebräuche des Landes zu steter Erkenntlichkeit verpflichtete, ist mein Gewährsmann für die Angabe, daß unlängst ein mehr denn hundertjähriger Grieche gestorben sei, und es follen auch Mohammetaner 120 Jahre alt geworden sein. In diesem Punkte aber darf man nicht schlechthin glauben; denn Verzeichnisse der Todtenbücher gehen ab, und man knüpft die Geburtszeit etwa an eine merkwürdige Begebenheit. Ließ ich in Egypten nach dem Alter eines Kranken fragen, fo erhielt ich meist zur Antwort, daß man es nicht wift. Die 123 Verstorbenen besaßen zusammen ein Alter von 2873 Jahren, 3 Monaten und 5 Tagen, was einen Durch- fchnitt von 23 Jahren gibt. Folgendes ist das Verhältniß der Verstorbenen nach den Monaten: - - a) in den 16 Jahren 1808 bis 1823: Jenner 3; Hornung 14; Merz 2; April 8; Mai 9; Juni 8; Juli 7; August 5; September 11; Oktober 15; November 11; Dezember 7. Summa 100. Jährlicher Durchschnitt 6. b) in den 10 Jahren 1824 bis 1833 (nebst den zwei Pilgern und dem Erwachsenen ohne Altersangabe): -FS = – | c - - ca - - - - - - e- - C- - - Q- - - - - - - - - Q Q - - = - - - = e - Z> - - - - – - - > - - - - - - T > - - - - - - - " | - - --- -- 136 Die heißesten Monate zeichnen sich in Jaffa durch die Menge der Todesfälle keineswegs aus. Der Jenner er- fcheint am unschuldigten; nach ihm der April. Dagegen find die vier letzten Monate des Jahres die reichsten an Todten; vor allen der Wintermonat, in welchem der Ueber- gang zu einer kältern Jahreszeit fich besonders merklich macht, und welcher der erste ganze Regenmonat ist. - Im verwichenen Weinmonate herrschte, wie in Gaza, auch hier die indische Cholera, doch richtete sie keine große Verheerungen an, indem ihr bloß 40 bis 50 Opfer fielen. Indeß aber die Pest Jerusalem heimsuchte, litt Joppe nichts von dieser Seuche. - Auf dem Hospizdache. In mehreren Stufen erheben sich die Plattdächer des lateinischen Hospiz. Sie find mit einer Brustwehr ver- fehen, und weißer, beinahe glänzender, sehr fester Mörtel überkleidet dieselben, auf daß der Regen nicht durchdringe. Die Fußböden der Häuser haben im Morgenlande - nicht felten einen Ueberzug von Pflaster (pavimentum), welches mit kleinen Steinchen von verschiedener Farbe durchsprengt ist. Wenn es hart geworden, fo werden diese Steinchen ab- geschliffen und der Boden bekommt dann ein schön glattes, lebhaft marmorartiges Aussehen. 137 Die Plattdächer find zugleich ein angenehmer Spazier- platz. Mit Gntzücken betrachtete ich auf dem Hospizföller in Ramle den Gebirgszug von Juda bis zum Ephraim, die fruchtbare Ebene im Umkreise und die Tempel und Wohnungen der Stadt. Oft weilte ich in Jaffa auf dem Söller des Hospiz, einmal in fingender Gesellschaft, manch- mal neben einem Ordensmanne in feiner röthlichen, groben Kutte und mit dem herunterbammelnden Kreuze, andere Male allein, bis ich den Ruf zum mangiare (Effen) ver- nahm; oft rollte ich mein Auge auf das Gebirge, insbe- sondere gegen Mitternacht auf den Ausläufer ins Meer, den man mir als den Karmel bezeichnete; oft fah ich dem Ge- triebe der griechischen Pilger und dem Spiele der Meeres- wellen zu; oft suchte ich mit vergebener Sehnsucht das Fahrzeug meines Hauptmannes, mit dem ich, man verzeihe mir die Wortwendung, das heilige Land verlaffen könne. Ich möchte Niemand glauben machen, daß die Sonne schöner unterging, als in unserer Gegend während der Sommer- monde; jedenfalls fehloß ich mit herzlicher Freude den Tag vor den letzten Blicken der himmlischen Tochter. Wenn diese in die hohe See fank, so fank auch ich ins Meer – meiner Gedanken, Gefühle und Entschließungen. Vergäße ich Alles von Palästina, fo bliebe mir der Lieblingsort auf dem Hospiz zu Jaffa in süßer Erinnerung. - - 138 Es wäre Undank, wenn ich die Wohlthätigkeit der Klöster und Hospizien in Judäa nicht anerkennen würde. Sie sind die willkommenen Herbergen und Zufluchtsorte der Reifenden und Pilger, ohne behaupten zu wollen, daß das Leben in den arabischen Khan nicht leicht erträglich wäre. Die Hospizien aber und die Klöster forgen für eine Menge Bequemlichkeiten, welche sonst der Europäer entbehren müßte. Ueberdies bringe ich noch die Sprache in Anschlag, die Gelegenheit, die Gedanken auszutauschen, weil den wenigsten fränkischen Reisenden das Arabische geläufig ist. Das Bauernhäuschen. Nachdem ich meinen Mittagsfisch zu mir genommen hatte, ergriff ich meine Peitsche, die gewöhnliche Waffe des frän- kischen Fußgängers, um zu kustwandeln. Wenn ich durch das lange Thor der Stadt ziehe, so sehe ich fast jedes Mal etwas Neues. Diesmal ergötzte mich die über meinem Wege grün emporrankende Rebe. Noch einen Tag, und es beginnt das Weihnachtsfest und für den Mann des Nordens war dieses grüne Ding etwas Einziges. Die Blumen schillerten im Grün der Au; die Schwalben und andere Vögel des Himmels lobten in angenehmen Weisen den Herrn; ein weißer Schmetterling schwenkte im bebernden Fluge ab. Ach, dachte ich bei mir felber, so viel Herr- 139 lichkeiten der Natur, womit fiel den Lenz ausschmückt, um- gaukeln deine Sinne. Wie magst du in der Klosterzelle dich länger abhärmen? Gehe öfter hinaus in das Freie, und verschließe dich nicht vor dem köstlichen Genuffe, welchen die gütige Natur so gerne einem Jeglichen darbietet. Indem ich den Weg nach Gaza einschlug, erblickte ich links mehrere Schilfhütten. Ihre Gestalt glich einer Halb- kugel, und fie waren nicht höher, als anderthalb Mann. Ich guckte nur ein wenig in eine der Hütten. Da hockte ein Weib inmitten der Hausgeräthe auf dem Boden in einem fo engen Loche, daß für Jemand anders wenig Raum mehr gewesen wäre. Ich warf zuletzt der von Stroh geflochtenen Thüre einen flüchtigen Blick zu, und setzte meinen Spazier- gang fort. Am Wege nach Gaza, ungefähr eine kleine Viertelstunde von Jaffa, kommt man zu einem Weiler von gemauerten Bauernhütten. Das freundliche Dörfchen umringten Man- delbäume, die eben in Blüthe gingen. Zwischen den Häuschen arbeitete ein Bauer auf dem Felde. Er behieb mit einer Axt die blätterlosen Feigenbäume. Die Axt war wie die unfrige, nur schlanker gegen das Oehr. Diese Beilart fiel wir hier auf, weil ich eine solche auf meinen Wanderungen im Morgenlande nie wahrgenommen hatte. Das Schlicht- beil des Zimmermannes z. B. sieht aus wie unser Hammer, 140 mit dem Unterschiede, daß der abgeplattete breite Theil scharf, und das ganze Werkzeug größer ist. Muß denn ein Baum geschlichtet werden, fo darf man, wegen der vor dem Stiele queren Richtung der Schärfe, den Baum nicht aufheben, und ihn fomit in einiger Höhe bearbeiten, sondern er kann mit diesem Werkzeuge auf dem Boden bequem behauen wer- den. Desgleichen braucht der Holzhacker kein anderes Werk- zeug, als diesen Hauhammer, richtet aber viel minder aus, als ein abendländischer. Dabei ist freilich nicht zu vergeffen, daß fämmiges Holz hier zwar weniger, wie in Ggypten, doch immerhin zur Seltenheit gehört. Ich wußte nicht recht, wie ich es anfangen solle, damit ich in eine Hütte gelaffen werde. Die Frage nach Milch führte mich nicht zum Zwecke, weil keine zu erhalten war. Oft bringt das stumme Geld Rath, wenn man sich keinen mehr weiß. Ich zeigte dem Bauer, welcher die Bäume behieb, eine kleine Münze, und fügte in meiner Geberden- fprache bei, daß ich in feine Wohnung eingehen möchte. Eine grüne Hecke verbot mir den geraden Weg dahin; der- felbe aber deutete mir den Umweg, den ich unschwer fand. Das Häuschen bildete ein Viereck. Die Mauern, theils von Stein und Mörtel, theils bloß von einer Art Mörtel und viel beffer, als in San Pietro di Nembo, halten Wind und Regen ab, und ihre Höhe mochte etwa zehn Fuß 14t meffen. Der Gingang, oben abgerundet, öffnete sich gegen Südost und fo hoch, daß er dem Gintretenden die Bück- linge ersparte. Das etwa einen Fuß dicke Dach gestaltete fich nur insofern zu einer Wölbung, als die obern Kanten der Dachdicke fehlten. Um zur Bauart des Daches überzu- gehen, so liefen Stützbalken und Sparren wagerecht von einer Mauer zur andern. Die Zwischenräume, welche das Ball- kengerippe übrig ließ, waren von kleinern Baumäften und von Heckengesträuche ausgekleidet. Darüber lag eine Schichte von Erde. Daher kommt es, daß die Dächer, wie die Wiefen, grünen, und fo eben keimte das zarte Gras auf dem Hausdache. Ich nahm es finnbildlich und las: „Mögen immer Friede und Freude in dem Hause grünen“, und mir fchien es ungefähr fo finnig, als wenn darauf der alte Satz der aufrichtigen, guten Schwaben und Schweizer geschrieben gewesen wäre: „Dieses Haus steht in Gottes Hand.“ Ei- gentliche Dachrinnen find an den palästinischen Häuschen nicht angebracht, wohl aber gegen Morgen und Mittag etwa drei kurze, röhrenförmige Ziegel, welche dem Regen leichtern Abfluß verschaffen sollten. Die Wandung neben der Thüre war recht einladend. Auf rothem Grunde figurierten weiß- farbige Händeabdrücke: eine Malerei, die an einem arabi- fchen Bauernhäuschen etwas heißen will. Ich betrat dann das Innere der Wohnung durch eine 142 von Holz nicht übel gezimmerte Thüre, die mit einem höl- zernen Riegel gesperrt wird, und nach innen sich aufschließt. Jene befand aus einem einzigen Raume oder Gemache. Ungefähr drei Fuß von der Thüre erhob sich der Boden in einem Abfatze etwa um einen halben Fuß. Der Boden war durchaus von Grde, aber fest gestampft. Weder Mauer, noch Dach hatten eine Oeffnung für Licht oder Rauch. Dazu hilft die Thüröffnung aus. Die Wand der Mauer war mit einer rothen Farbe überzogen, in der ebenfalls die weißen Flecken vom Andrücken der Handflächen, eines neumodischen Pinfels, fpielten. Den Raum wollen wir, der Bequem- lichkeit willen für abendländische Anschauung, in Stube, Kammer, Küche, Holzschuppen, Getreidehalle und Mühle eintheilen. Jeder übrige Platz wird benützt, um sich da aufzuhalten, da zu effen, da zu arbeiten. An der einen Mauerwand ragte ein kleines, aufgemauer- tes, hohles Gestelle hervor. Darin faß als Lampe ein fchalen- förmiges Gefäß mit einer Schnauze für den Docht. Da- neben fand, ebenfalls auf einem Mauergestelle, ein Oelkrug. An einer andern Wand war ein Gestelle gemauert, worin Nähzeug fak. Weder ein Tisch, noch Stühle oder Bänke, nichts dergleichen, versteht sich, fand sich vor. Ich fhaute nach der Stelle, wo die Leute fich schlafen legen. Sie war durch nichts angedeutet. Alte Kleider und 143 diejenigen, welche die Leute tragen, dienen zur Bettung; der Boden in der Nähe einer Wand, wo am meisten Platz ist, ersetzt die Bettstelle. Jammern ja nicht die Verweich- lichten über eine solche Armseligkeit. Von Kindheit an auf keinem andern Lager, würden diese Leute auf dem erhitzen- den und kitzelnden Polster der Federn mit Schwierigkeit zum Schlafe gelangen. Faft mitten in der Wohnung ist ein kleiner Raum auf drei Seiten, vom Boden an, nicht hoch ummauert, selbst etwas zierartig, indem die Ränder in Zähne sich endeten, – das war der Kochofen, rings die Küche. In einem Winkel neben der Thüre lag dürres Busch- werk. Vor diesem bläheten sich ungeheure, faßartige Töpfe auf, zwei an der Zahl. Meine Neugierde wollte wissen, was der Inhalt derselben fein möchte. Der Hauswirth, ohne Mißtrauen gegen mich, nahm daraus gereinigtes, ge- fchältes Getreide. Wenn die Bauern hier solche Vorräthe besitzen, so stehen sie nicht hinter manchen schweizerischen Webern zurück, welche vom Arbeitsherrn zum Voraus einen Theil des Lohnes beziehen, damit fiel die Kosten für ihren Lebensunterhalt befreiten können. Dieser Bauer, welcher das schönste Häuschen im Dörfchen bewohnte, schien indessen einer der wohlhabendern. Meine Beschreibung darf daher nicht strenge als Maßstab zu Beurtheilung der Bauernhäus- chen gelten. - 144 Wir laffen ja nicht unberücksichtiget den letzten Bestand- theil der Wohnung, einen Theil, der auch in andern Häu- fern felten fehlen wird: die Mühle. Gleich wenn man zur Thüre eintritt, liegen die Mühlsteine, ähnlich jenen in Loffin piccolo, vor den Füßen und nur ein paar Gllen weit von dem Kochofen. Ich traf in dem Häuschen bloß den Bauer, ein Weib und ein Kind. Der Gebieter machte eine etwas faure Miene, schien jedoch guten Gemüthes zu sein. Das Weib trug einen Schleier. Nach dem, was ich vom Gesichte erblicken konnte, und dafür zeugten auch die Hände und Arme, hielt ich die Frau für jung und für nicht häßlich. Ein Knabe, von etwa zehn Jahren, mit Schmutz bedeckt, der ihm vielleicht von Geburt an anhänglich blieb, überdies aufgedunsen wie ein geschlachtetes – „Zicklein, fand neben der Mutter. Die Kinder fürchten in der Regel die Franken ärger, als Vögel die Scheuchen. Ging ich auf der Straße, fo wichen fie oft auf die Seite, etwa hinter einen Baum, wie der Furcht- fame, welcher unter das Laubwerk flieht, um nicht vom Blitze berührt zu werden. Sind denn aber unsere Kinder, obwohl unter dem steten Einfluffe der Gesittung und Welt- aufklärung, in diesem Stücke beffer? Es sollte ein Türke in einem Bergdorfe sich herumtreiben, wie fehr würden sie von Furcht ergriffen. Mich wunderte, daß der Knabe im 145 Bauernhäuschen feinen Mund noch nicht verzerrte. Ich liebkofete ihn an den Wangen, und der Himmel war immer noch heiter. Da zogen sich auf einmal Regenwolken über dem Antlitze zusammen, und ich merkte bald auch am Knaben, daß die Regenzeit herrscht. Die lang dauernde gute Witterung durfte ich wohl dem Schutzgeiste der daneben hockenden Mutter, welche Kräuter zur Nahrung zerschnitt, beimeffen. Daß ich nirgends ein Kochfeuer, nirgends einen Geruch von Speisen wahrnahm, leitete mich auf die Ver- muthung, daß die Leute das Fastengesetz Mohammets frenge beobachten; denn schon vor etlichen Tagen verkün- digte der Donner der Kanonen den Anfang des Fasten- monates. Der palästinische Bauer fcheint mir wohler zu stehen, als der egyptische. In der Saronebene trägt der Boden unermüdlich Früchte, ohne gedüngt zu werden. Diese find Gigenthum des Anbauers, welcher felbst fie an den Mann bringt. Das Quarantänegebäude oder Pestlazareth. So eben baut man über den Ruinen an der Küste und bei den Mauern von Jaffa, gegen Mittag, eine Kontumaz- anstalt. Sie zerfällt in zwei Abtheilungen. Die obere ent- hält vierzehn Zimmer oder Häuschen. Jedes Zimmer, ge- Tobler, Morgenland. II. 7 146 räumig und hoch, hat Läden für das Licht und zwei Thüren, die eine gegen den Hof (Mitternacht) und die andere gegen die Ginfangsmauern (Mittag). Es wäre nicht am Platze, die Anstalt weitläufig zu beschreiben. Ich bin überzeugt, daß fie, unter übrigens günftigen Umständen, ihren Zweck nicht verfehlen wird, obschon an ihr Mehreres ausgestellt werden dürfte. So wurde ein Theil des griechischen Lei- chenackers in den Umfang des Gebäudes gezogen, in welchem wirklich einige Leichensteine hervorragen. Für die Unreinigt keiten sind einige, aber ungenügende Einrichtungen getroffen. Unten besitzt die sonst ziemlich hohe Ginfangsmauer Stufen, daß man sie leicht überklimmen kann, wenn man von innen aus Hilfe bekommt. Will man das Quarantänegebäude gleichsam vollpfropfen, so wird es 500 bis 600 Bewohner zählen. Die Anstalt foll vorzüglich für die christlichen Pilger bestimmt sein. Ich hörte aus mehr, als einem Munde, daß in Beirut, wohin dieselben sich begeben mußten, die Kon- tumazirenden fehr fchlecht gehalten und himmelschreiend ge- prellt wurden, und man betheuerte fogar, daß mehrere Pilger in der dafigen Quarantäneanstalt wegen fchlechter Verpfle- gung eine Beute des Todes wurden. Gott behüte Jeden davor, daß er einen Lebensabschnitt in einem Peflazareth vergähnen muß. Wirft aber Jemand das 147 unerbittliche Schicksal in die fes Gefängniß, so genießt er doch die Aussicht auf die Stadt und das Meer, und er wird von frischer Luft angeweht. In El-Arysch wäre ich über eine Unterbringung, wie man sie hier erwarten darf, überaus froh gewesen. Das Lazareth wird vorzugsweise dem- jenigen willkommen sein, der von Egypten aus nach Jaffa zu reisen gedenkt; denn seit der Errichtung einer Quaran- täne in Beirut mußte er sich den Umweg über diese Stadt gefallen laffen. Die pfiffigen Egypzier wußten die noch nicht völlig ausgebaute Quarantäne fchon zu einem Nebenzwecke zu be- nützen. Es rückte ein Bataillon Fußsoldaten, auf ihrem Zuge nach Egypten, in Jaffa ein, und man war nicht verlegen, fo viel Mannschaft, als nur thunlich, in der Qua- rantäne Obdach anzuweisen. Die Jaffanerin kommuniziert, besprengt sich . . . ; der Jaffaner. Die Kirche des Hospizium steht im zweiten Stockwerke, und von Morgen dem Zimmer des Pater Superior gegen- über. Obwohl klein, ist fiel doch ein artiger Bau mit einigen schönen Gemälden. Ich wohnte in derselben dem Gottesdienste mehrere Male bei, und ich mußte mich über die geringe Anzahl der Anwesenden, im Verhältniffe zur 148 Bevölkerung der Gemeinde, verwundern. Wenig feierlich schien mir die gottesdienstliche Handlung wegen des Markt- geschreies einer Handorgel, wenn man mir diesen Ausdruck erlaubt. Der Araber, welcher zwischen den Tönen verschie- dener Orgeln kaum unterscheidet, und die Gaffenorgeln unserer Straßensänger nicht kennt, wird mit mir den übeln Eindruck fchwerlich theilen. Lieber hörte ich das Klosterglöckchen, welches mit bescheiden hellem Klange die Gläubigen zur Andacht aufforderte. Als ich einmal die Kirche besuchte, fah ich zwei Levan tinerinnen kommunizieren. Sie waren in einen großen, weißen Schleier gehüllt. Der Priester reichte in seiner feierlichen Amtskleidung ihnen die Hostie. Wie sehr be- fremdete mich, unter dem großen Kopfschleier einen schwarzen Schleier vor dem Gesichte der Morgenländerinnen gewahr zu werden, den fiel doch beim Kommunizieren lüften mußten. Mühsam langten andere in die Kirche tretende Frauen unter dem Schleier hervor, um sich mit Weihwaffer zu besprengen, Auf der Gaffe begegnete ich ebenfalls weißen Damen, die in einen Schleier völlig verhüllt waren. An diese Maskerade war ich freilich gewöhnt, aber nicht daran, daß es an derselben raffelte. Ich spähte zuerst immer umher, und nichts gab Stoff, das Geraffel zu erklären. Endlich glückte mir der Aufschluß: Gs raffelten die unsichtbaren 149 Goldstücke, welche um das Haupt angelegt waren. Wird unfern Jaffanerinnen, unfern Araberinnen die belebende Hoffnung, mit den unverhüllten Gesichtchen die Männer zu bezaubern, so grausam geraubt, – billig läßt man ihnen doch den Geschmeidekram und den Grfatz, daß sie frei durch den Schleier fehen und schmarotzen, während umge- kehrt die züchtige und ziererische Abendländerin mit dem offenen Auge im Freien nur spärliche Blickchen sich er- laubt. Hinwieder erdenken die Schönen Europas, wer möchte es leugnen? auch Manches, um sich bei den Män- nern einzuschmeicheln, und es erschließt fich ihnen ein um fo weiteres Feld, als sie mit letztern die unschätzbare Frei- heit und Gleichheit der Gesichts – öffentlichkeit genießen. Und nicht zufrieden, nur das Auge zu entzücken, fie fuchen auch das Ohr zu feffeln, und geben sich gar viel Mühe, mit Wohlgerüchen zu berauschen. Die morgenländischen Christenmänner, welche der Bauern- klaffe nicht angehören, sind durch Schönheit ausgezeichnet. Ruhig brennet das fchwarze Auge; auf dem ganzen Ant- litze liegt der Ausdruck der Ruhe, der Bedächtlichkeit, der Unterwürfigkeit, der Schlenderei. Groß von Leibe, haben fie etwas Stattliches in ihren faltigen Gewändern, und mir schien, als wären sie auf ihren hochwulstigen, fchief um das Haupt gewundenen Turban stolz. Sogar während des 150 Gottesdienstes tragen fiel auf dem Boden hockend den Tur- ban, und bloß bei der Wandelung heben die Wenigsten ihn ab, wodann man ihre häßlichen Schurköpfe erblickt. Dafür werfen fie fich gottesfürchtig nieder, indem sie selbst mit der Stirne den Boden berühren. Auch in Jaffa hält man den morgenländischen Christen für schlimmer, wenigstens für unredlicher, als den Türken. Bei einem Schneider, einem morgenländischen Christen, ließ ich an einem Kleide umändern. Gr entwendete von meinem Tuche fo viel, als er nur konnte, was fchwerlich ein Klei- dermacher im Lande des Niederganges gethan haben würde. Dabei stellte jener für die äußerst fchlechte Arbeit eine un- verschämte Forderung, und ich darf versichern, daß ich selten einen verstocktern Schuft antraf. Andere Züge will ich auf einen andern Ort versparen. Die Pilger. Die Bombarda (eine Art Fahrzeug), worauf ich mich begeben sollte, brachte christliche Pilgrime. Auch auf andern Schiffen langten solche in Jaffa an, und eines Tages zählte ich zwölf Schiffe, theils in, theils außer dem sogenannten Hafen. Die Menge christlicher Pilger belebte den Kai Man ergötzt sich an ihren verschiedenen Trachten, welche der französichen schon ein wenig ähneln. So nenne ich die 151 häufigen Schürzen oder Halbröcke, welche diesen Gegenden fremde find. Ginige tragen Regenschirme, die ich in Egyp- ten nie und zum ersten Male wieder in Jerusalem zu Ge- fichte bekam. Die Pilger fchleppen ungemein viel Gepäcke, auch einen beträchtlichen Mundvorrath mit fich. Gs wird dasselbe in dieser Hafenstadt, manchmal nicht ohne Zänke- reien der Pilger fowohl unter fich, als mit dem Kameel- oder Gfeltreiber, auf Kameele, Gfel oder Maulthiere ge- laden, um es nach Jerusalem, dem Wallfahrtsorte, zu be- fördern. Die Pilger, der größten Zahl nach Christen aus der europäischen Türkei, werden bis auf 10,000 geschätzt, die alljährlich durch Jaffa ziehen, und hier im griechischen oder armenischen Kloster mehr oder minder lange beherbergt werden“). Das Wallfahrten der griechischen Christen dauert *) Neben dem lateinischen Hospiz gegen Mittag steht, nur durch eine schmale Stiegengaffe getrennt, das griechische Kloster. Von unserm Dache fah ich auf dasjenige dieses Klosters hinunter. Ich konnte die Pilger täglich beobachten, wollte fiel aber zuerst nicht für Mitchristen halten, weil sie auch des Sonntags arbei- teten. Die Pilgerinnen putzten sich auf dem Dache, als fähe fie. Niemand, und als hätten sie einem Luftanlaffe beizuwohnen. Eine junge Griechin wollte nicht einmal so viel Rücksicht nehmen, wie die halbschwarze Egypzierin. - - 152 bis Ostern, nicht ohne Meeresgefahren*). Ein Mönch aus Krakau, welcher nach mir in Jaffa eintraf, erzählte mit Schrecken von feinen Erlebnissen, und freute sich mit kind- lichem Herzen, daß er nun auf festem Boden fußen könne. Die arabische Knabenschule der Lateiner. Oefter besuchte ich die Schule am Hospizium. Das Zimmer ist ziemlich dunkel und eher enge, aber ein hohes Gewölbe. Vorne, der Thüre gegenüber, hing an der Wand ein Frauenbild. Zur einen Seite desselben las man das mit großen lateinischen Buchstaben geschriebene ROMA und zur andern Carta GO (wahrscheinlich Landkarte). Den Raum fchmälerte kein Tisch, außer dem für den Schul- meister; zu beiden Seiten des Zimmers war eine niedrige Wandbank angebracht, auf welcher die Schüler, beiläufig zwanzig, lauter Knaben, unordentlich faßen oder hockten. Sie hatten an der Hand oder auf den Knieen Blätter oder Bücher vor sich, aus denen fiel mit fchaukelndem Leibe nach einer eigenthümlichen morgenländischen Weise (Melodie) laut schreiend oder leiernd im Takte lasen. Das Geschrei oder Ge- *) Viele wurden ehedem auf dem Landwege nach Jerusalem meuchelmörderisch überfallen. Eine Menge fand schon in dem Abgrunde des Meeres den Tod. In der letzten Sturmeszeit sollen in einem Nachbarhafen 140 Pilger um das Leben gekom- men fein. 153 leier war fo wild, daß man weiter nichts hörte, als bisweilen das Klopfen mit einem Stocke. Die Unterrichtsart wurde mir nicht ganz klar. Ich glaube, sie beschränke sich lediglich auf das Lesen und Auswendiglernen. Ginmal las ein Schüler in Ge- genwart des Lehrers und Meisters, welcher verbeffernd nachhalf. Bei meinem ersten Besuche war der Schulmeister nicht gegenwärtig. Gin älterer Knabe mit übergroßen Stiefeln leitete das Unterrichtsgeschäft. Eine kleine Ruthe schwang er fo häufig über die Kinder, als wären sie Reitthiere. Am Schluffe des Unterrichtes stellten fich alle Schüler vor das Frauenbild und hoben einen wilden Gesang an. Ich ging und fagte den neben der Schulstubenthüre gelagerten Wei- bern einen Gruß, den fie wahrscheinlich nicht verstanden. Die Schulzucht ist ziemlich roh. Wenn ein Knabe durch feine Fortschritte fich auszeichnet, so wird ihm eine feife Mütze aufgesetzt. Führt er sich schlimm auf, fo wird er auf drei Hauptarten gezüchtiget. Man legt ihm das Zerrbild eines Gfels um den Hals und nennt ihn Gfelführer (muchero). Oder man ertheilt ihm Klappe auf die flache Hand mit einer hölzernen, gestielten, fein durchlöcher- ten, kleinen, doch derben Scheibe. Ein Knabe schien mir nicht übel und unfleißig in Gegenwart des Schulmeisters zu lesen. Nach hergelesener Aufgabe bekam der Schüler von dem Lehrer ohne weitere Umständlichkeit eine Anzahl 154 Schläge, indem letzterer die Worte hinzusetzte: Cosi si im- para (So lernt man). Oder auch man mißt Fußsohlen- freiche auf. Das Bändigungsmittel dazu war an einem Nagel des Schulzimmers aufgehängt. Es besteht aus einem Knüttel, durch defen Mitte zwei Oeffnungen in gegenseitiger Ent- fernung von etwa zwei Handbreiten gebohrt find. Die Bohrlöcher nehmen einen Strick auf, den aber Knoten hin- dern, damit er nicht durch dieselben ausschlüpfe. Dieses Mit- tel wendet man fo an: Die Füße der Knaben werden zwischen den Knüttel und den Strick geschoben. Jenen ergreifen zwei Gehilfen, jeder ihn an einem Gnde. Jetzt drehen sie den Knüttel um eine Achse, und wickeln den übrigen Theil des Strickes um ihn herum, so lange, bis der Knebel die Knöchel oder Beine zusammenklemmt. Nachdem die Knaben folchergestalt die Beine nicht mehr rühren können, erhalten fie die Tracht Schläge auf die Fußsohlen. Das Effen wird in der Schule nicht geahndet. Ein Knabe brachte kleine Rettiche, wovon er auch verschenkte. Einem andern trug man etwas Gekochtes zu. Gr aß es im Vorzimmer des Schulgewölbes, in welchem eben Schule gehalten wurde. Die Vergleichung mit dem, was Salomo Schweig- ger von den Kinderschulen Konstantinopels aus dem fechs- zehnten Jahrhunderte überliefert, hat zu viel Prickelndes, 155. als daß ich es nicht hier beifügen sollte: Die Kinder, sagt Schweigger, werden nicht infolcher harten Zucht und gro- ßen Furcht gehalten, wie die Deutschen, die mit Pochen, Pol- tern, Schlagen und Stoßen den Kindern alle Luft zum Lernen nehmen. Die Schulmeister strafen zwar die Kinder auch, aber mit Bescheidenheit, und können mit ihnen Ge- duld haben, welches denn die fürnehmste Tugend an einem Schulmeister ist. Wenn sie die Kinder schlagen, so schmei- ßen sie dieselben auf die bloßen Schuhsohlen mit einem Stäb- lein und brauchen die Ruthen nicht, wie bei den Christen bräuchig. Die Knaben haben eine feindselige Gewohnheit, daß fie durch einander das Lesen laut verrichten, davon fie follten toll werden und einander irre machen. Dabei filzen fie nicht still, fondern wanken von einer Seite stets auf die andere wie ein Schlafender oder Trunkener. Damit stimmt aber nicht völlig überein, was die „Hoff- haltung Des Türckhischen Keysers“ (1596) von den Knaben des Serai erzählt: Die Meister und Lehrer haben einen Befelch von dem Türken, daß sie keinen Knaben mehr, als des Tages einmal schlagen und trafen dörfen, und mögen keinem mehr, als zehen Streich mit einer kleinen fubtilen Ruthen geben, und wann fiel die Jugend mit Ruthen fäupen, geht es also zu: Sie legen den Knaben nach der Länge auf die Erden nieder, stoßen ihm die Füß durch 156 einen Stock oder Bret, welches durchgebohrt, und dazu ge- macht, daß sie fest und still liegen müffen. Als dann geben sie ihm mit der Ruthen unten auf der Sohlen des Fußes zehen Schläge über die Borzachinlein, das ist, kleine Stiefeln, die sie tragen. Nach dem laffen sie ihn wieder aus. Und wo der Meister oder Präzeptor einem mehr, dann zehen Streich gäbe, oder sie ohne des Kaisers Willen und Befelch fäupte oder schlüge, wird ihm alsbald die Hand abgelöst. Der Gruß. Im aufgeklärteren Theile der Welt waltet die Mode, daß man beim Gruße als Zeichen der Aufmerksamkeit oder Achtung den Hut oder die Mütze rückt oder, mit einem Worte, das Haupt entblößt. Im Lande der Turbane wäre diese Mode glücklicherweise eine wahre Pein. Gs gäbe den Morgenländern, wenn sie ihren Turban oder den zusammen- gedrehten, in vielen Gängen quer um den Kopf gewundenen Schleier auflösen und wieder umbinden oder auch nur mit den unfeifen Mützen, die er unten umfängt, ab- und auf haben müßten, ebensoviel zu schaffen, als den abendlän- dischen Frauenzimmern, bis ihre zarte Haube über Flechte und Kamm sich gehörig fügt. Es ist übrigens erstaunlich, daß die Frauenzimmer, die doch mit keiner Mütze und mit 157 keinem Hute sich und Andere bekomplimentieren, noch exi- firen und bei den Männern Gnade finden. Wenn hier zwei Männer im Freien zusammenkommen, so legen fiel sich die rechte Hand auf Mund und Stirne. Sind sie einander nahe, so fagt der Eine, wenn er ein Christ ist: „Gott mit euch“, und der Andere erwiedert: „Gott erhalte euch.“ Des Mohammetaners Gruß aber lautet: „Friede sei mit euch,“ und der Gegengruß: „Mit euch fei Friede.“ So zu grüßen, war früher den Christen - verboten. Der Mohammetaner nährte den Wahn, daß die Nazarener nicht würdig wären, über die Lippen die erhabe- nen Worte fallen zu laffen, welche vom Propheten Mo- hammet verkündiget worden seien. Wiewohl dieser Gruß unter Mehemet-Ali und Ibrahim geduldet ist, fo hören ihn doch die Mohammetaner aus dem Munde der Christen noch jetzt mit Murren. Stattet ein Christ dem innigen Freunde einen Besuch ab, so umarmen sich beide, und küfen einander einmal die Schultern. Gbenso umarmen sich die Mohammetaner, ver- fetzen aber den Kuß auf die Wangen. Ist man nicht in vorzüglichem Grade befreundet, so bietet man einander schlicht- weg die Hände, wobei man eine besondere Rücksicht beob- achtet. Es behält nämlich die Person höhern Ranges die Hand oberhalb, so daß der Rücken derselben aufwärts fhaut. 158 Stehen beide auf der gleichen Stufe des Ranges, so neh- men die Hände eine fenkrechte Stellung neben einander an, daß also weder die eine, noch die andere Hand nach oben kommt. Wenn anders der Gruß die verschiedene Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft ausdrücken foll, fo gewinnt in der That die verschiedene Richtung der Hände, zumal die Oberhand und die Unterhand, ungleich mehr Sinnigkeit, als alle Abstufungen beim Entblößen des Kopfes unter den Abendländern. Die bisher berührten Gruß weisen der Palästiner umfaffen bloß das alltägliche Leben. Auf Sitzen zur Rechten oder Linken wird nicht geachtet. Nach Empfang dargereichter Speisen und Getränke be- zeugt man in der Regel keinen Dank. Nur nach dem Kaffee hallen die Worte des Dankes: „Möget ihr euch immer er- halten.“ Trinkt der Gast Waffer aus dem Kruge (Bar- daka), was allezeit ohne Absetzen geschieht, so rufen fämmt- liche Anwesende: „Wohl bekomme es“, und jener erwie- dert: „Ich sage Dank.“ Also bei Mohammetanern und Chriften. Beim Lebenswaffer (Aquavit) verhält man sich fumm. - - - Begegnen sich die Frauen außer den Häusern, fo find fie still und rühren sich nicht. Macht eine Frau einen Be- fuch, fo entschleiert fiel fich beim Eintritte in das Zimmer, 159 und eröffnet das Gespräche mit den Worten: „Ich komme, euch zu sehen.“ Die Frau, welche den Besuch annimmt, lüftet auch ihrerseits den weißen Gesichtsschleier und ant- wortet: „Willkommen.“ Da wird denn nach dem Be- finden, nach den Kindern und nach Andrem gefragt, oben- drein viel eitel „Zeug geplaudert, etwas Süßes, etwa Kon- fekt, genascht oder auch eine Pfeife geraucht. Kürzer, als drei oder vier Stunden dauern die Frauenbesuche nicht. Die Mohammetanerinnen besuchen einander seltener, als die Christinnen. Die Brautwerbung und die Hochzeit. Will der Jüngling oder Mann heirathen, fo geht fein Vater, feine Mutter, sein Bruder, feine Schwester oder ein anderer Verwandter oder ein Freund zum Pfarrer, diesem das Vorhaben zu offenbaren, unter Bezeichnung des Mäd- chens, welches zu heitathen gewünscht wird. Darauf begibt sich der Pfarrer zu den Aeltern des Mäd- chens, den Heirathsantrag zu hinterbringen, und Auskunft zu verlangen, ob man ihn annehmen wolle oder nicht, und fucht dann den Brautwerber in feinem Haufe auf, um dem- felben die Antwort zu vermelden. Im bejahenden Falle fchickt die Familie desjenigen, welcher den Heirathsantrag stellte, fich jetzt an, einen Gesichtsschleier (zu 30 bis 35 160 Piafter) oder auch zwei Schleier nebst einem goldenen Fin- gerringe zu kaufen. Die weiblichen Mitglieder der Familie des Brautwerbers gehen, in Begleitung vieler Frauen, mit den eingekauften Kostbarkeiten zu der Familie des Mädchens, umfie diesem als Geschenk einzuhändigen. Bei dem Besuche benimmt sich die Holdfelige ungemein schüchtern, fanftmüthig wie ein Lamm; keinen Laut läßt fie hören; fie ist rein wie ein Gngel. Um so munterer find die Frauen, welche auf Besuch kommen; fie lachen und scherzen und fingen wohl auch. Danach veranstalten die Aeltern des Mädchens einen Ge- genbesuch in das Haus des Brautwerbers. Der Vater ladet Männer und die Mutter Frauen, nie aber unverheirathete Frauenzimmer ein. Im Hause des Brautwerbers treten die Männer in ein besonderes Gemach, und fo die Frauen. Grüßend fagt man zu ihm: „Gesegnet,“ und diejenigen Frauen, welche fich nicht enthüllen, fagen es auch feiner Mutter. Das Mädchen bleibt eingezogen zu Hause. Die Gäste, wenigstens die Männer, vertreiben die Zeit mit Rau- chen und Kaffeetrinken, mit Konfektnaschen und Plaudern. Nach dem Gegenbesuche geschehen zwei Monate hindurch keine weitere Schritte, und zudem wartet man auf ein großes Fest, um der Braut ein Geschenk zu überbringen. Dieser Besuch, der dritte und letzte vor der Hochzeit, heißt auf arabisch fchöfe (die Sicht), und ist der Vorbote baldiger 161 Vermählung. Das Geschenk hält an Werth von einigen hundert bis auf einige tausend Piafter. Es besteht aus un- geschnittenem und ungenähtem Kleidungsstoffe, so wie aus einem Kleinode zur Zierung der Stirne oder anderer Ge- bilde des Körpers. Die Reichsten ergreifen diesen Anlaß, um den Glanz ihrer Diamanten zu verbreiten. Es ist die Mutter des Bräutigams, welche, am erwarteten großen Feste felbst, das Geschenk der Braut überreicht und zwar fo, daß sie unter fpaßhaften Bemerkungen das Kleinod der Braut auf der gehörigen Stelle anlegt. Das fichöfe dauert etwa zwei Stunden. Nun bereitet man sich zur Hochzeit vor. Die Aeltern des Bräutigams und der Braut besprechen den festlichen Tag. Vom Heirathsantrage bis zum Hochzeitstage verfließt gemeinhin ein Jahr, felten nur ein Vierteljahr. Dreimal kündigt der Pfarrer die Hochzeit ab. Am Sonnabende vor dem Vermählungstage wird die Reinigung durch die Bäder vorgenommen. Die Braut endet, zum Zeichen der Gin- ladung, an jede Frau ein Stück Seife. Bei Männern ist dieses Zeichen eine Kerze, umhüllt von einem Zettelchen, worauf der Karakter des Gastes (z. B. französischer Kon- ful, Schulmeister) geschrieben steht. Die Braut besucht mit den Frauen, der Bräutigam mit den Männern, die einen und die andern in gefönderten Schaaren, ein öffentliches 162 Bad. An diesem glücklichen Orte bekommt die Mutter oder die Schwester des Bräutigams die Entfchleierte zu fehen, und fiel mögen dann zu Hause dem Sehnsuchtsvollen die Gntdeckung der Schönheit oder Häßlichkeit mittheilen. Darauf am Sonntagsabende gehen die einen Männer in das Haus des Bräutigams, die andern und die Frauen in das- jenige der Braut, wo sie sich in das Frauenzimmer fcheiden. Die Nacht wird in gespannter Erwartung hin- gebracht. - Um vier Uhr in der Frühe des Montag eröffnen Bräuti- gam und Braut, jener ein wenig voran, den großen hochzeit- lichen Zug nach der Kirche unter dem Jubel von Schal- meien und Tambur und Pauken, selten von Geigen. Der Bräutigam fieht fich in dem Tempel zum ersten Male neben der künftigen Lebensgefährtin; noch aber ist ihr Antlitz dem forschenden Blicke ebenso unzugänglich, als von Anfang der Bekanntschaft oder, besser gesagt, der Unbekanntschaft an. Das ganze Gepränge der römisch- morgenländischen Kirche mag das Seinige beitragen, das Gefühl des Geheimniß- vollen und des Ehrwürdigen zu steigern. Fragt der Priester am Altare die Braut um ihren Willen, so verbietet ihr die Schamhaftigkeit, ihn zu benicken. Wie gut ist, daß es in Fällen der Verzweiflung eine Grbarmung auf Erden gibt. Die Gevatterin, deren Wohlthätigkeit erst jetzt sich auf das 163 glänzendste bewährt, leiht den unentbehrlichen Arm der Hilfe; sie steht hinter der Braut und stößt das bräutlich geschmückte Haupt nach vorne, – – nur ja, weil einmal genickt werden muß, sei es aus freien Stücken oder aus Zwang. Williger entschließt sich der Bräutigam zum Ja- worte, aber für kein ordentliches Weib, sondern für eine vermummte Gestalt, für ein Larvengesicht. Gr er schaut vor sich einen mit einem rothen Schleier bedeckten Kopf und einen in ein weißes Gewand gehüllten Leib; der Reichthum an Gold mag etwa fein Auge blenden: aber kein Auge der Liebe strahlt ihm entgegen, kein Mund der Freude lächelt ihm zu. - Ich möchte indefen den bescheidenen Zweifel äu- ßern, daß eine solche beharrliche Strenge der Vermummung oft beobachtet werde. Ich weiß felbst zu erzählen, daß ich, als ich ohne Anmeldung in das Haus des Konsuls Damiani trat, feine Tochter unverschleiert antraf, die fich dann freilich schnell entfernte. Wie ich einmal durch ein Gäßchen spazierte, begegnete ich einem verschleierten Frauen- zimmer, welches im Augenblicke, da fiel fich von Niemanden bemerkt glaubte, den Schleier auf die Seite schwenkte, um ihr fchönes Gefichtchen zu zeigen. Nach empfangenem Priestersegen ziehen die Neuverlobten ins Haus des Bräutigams, die er zuerst. Sie und das Gefolge von Gästen genießen dort das Frühstück; reich 164 wird das Hochzeitpaar von den Zeugen der Hochzeitlichkeit mit Worten gesegnet. Schon aber verläßt ein Theil der Gäste die Gesellschaft, es bleiben bloß noch die Verwand- ten, endlich nur die Frauen. Nun fitzt die Braut auf einem thronartigen Polster in einem besondern Zimmer, in welches die neugierigen Frauen treten. Derlei Dinge schme- cken für sie viel zu füß, als daß fiel nicht davon kosten sollten. Bis zum Throne der Unsichtbaren machen die Frauen eine Gaffe. Schwere Augenblicke harren des Bräu- tigams. Man muß sich an ihm abmühen, daß er allen Muth zusammenfaffe*). Da fchreitet er mit kochendem Herzen durch die Gaffe, und gleichsam in der Wuth freift er den Schleier von einer unschuldigen Jungfrau hinweg. Zum ersten Male erblickt der Ehemann das Antlitz eines jungfräulichen Weibes, dem er für die guten und bösen Tage des Lebens Treue geschworen hat. Mag ihn jetzt die Grwartung betrogen haben, es ist zu spät, er bekümmert sich nur umsonst; wurde feine Hoffnung erfüllt, desto glück- licher für ihn der Wurf des Spiels. Wie der Schleier der Braut sich lüftet, fliegen alle “) Es gibt benachbarte Gegenden, wo der schüchterne Jüng- ling mit Stockprügeln zur Lüftung des Schleiers getrieben wer- den muß. Risum teneatis, amici. Wie weit weg vom ritter- lichen Heldenmuthe. 165 Schleier der Zuschauerinnen auf die Seite. Es erhebt sich die enthüllte Braut, fie küßt eine Hand des Gemahls, beide laffen sich neben einander auf den Polster nieder und beobachten einige Minuten ein tiefes Stillschweigen, indeß der Bräutigam die Verheißene gleichsam ins Auge verschlingt. Damit endet das Fest für die neugierigen Frauen, welche fofort das Zimmer räumen. Die Verwandten dagegen blei- ben bis Mittag, und erst nach dem Mittagsmahle kehren fie in ihre Wohnungen zurück. Jedermann gönnt dem Bräu- tigam und der Braut, daß sie fich von der schlaflosen Nacht erholen. Nachdem der Mann seine Frau erkennt hat, thut er sich mit einem weißen und fiel mit einem rosenrothen Ge- wande an. Auf den siebenten Tag nach der Hochzeit wird der Schlußbesuch in das Haus des Ehegemahls veranstaltet. Die Frauen werden vom älterlichen Hause des neu verlobten Weibes eingeladen; die Männer gehen diesmal uneingeladen. Der Besuch ist den Geschenken für das neue Ehepaar gewidmet. Wenn z. B. die Frau Al der Frau B. das Ge- fchenk P verehrt hat, und heirathet dann C, die Tochter der A, so gibt B das P zurück. Und kann man nicht mehr das Gleiche zurückerstatten, fo zielt man auf ein folches Geschenk ab, welches dem Werthe eines der Familie früher verliehenen möglichst nahe kommt. 166 Die Schilderung trifft eigentlich die hiesigen eingebornen“ Christen, in den meisten Theilen aber überhaupt die christ- lichen Palästiner, in manchen fogar die Mohammetaner. Das geheimnißreiche Vorgehen in der Heirath kann schwer- lich auf den Beifall des Abendländers hoffen. Die Sitte der Verhüllung reihe ich unter die fonderbarsten Dinge, fo fest fie eingewurzelt und so alt sie fein mag. Rebekka ver- hüllte sich zwar vor J faak (1. Buch Mofes 24, 65), doch nicht vor dem Liebhaber. Wenn der frengen Ver- hüllung, welcher das Mädchen vom reifern Alter bis zur Verheirathung wie einem Gesetze fich unterwirft, ein Lobes- fpruch gespendet werden foll, fo kann man ihr oder doch der Vereinzelung der genau beaufsichtigten Jungfrau nach- rühmen, daß Fehltritte beinahe bis zur Unmöglichkeit er- fchwert werden. Noch befitzen die Aeltern in Palästina die erzväterliche Gewalt über ihre Kinder bei der Verlobung, wobei letztern der Althem des freien Willens fast gänzlich gehemmt ist. Doch mangelt es aus den Zeiten der Erzväter nicht an Beispielen, welche für eine gelindere Gesinnung sprechen. So fragten die Aeltern der Rebekka in milder Weise, ob fie mit dem Knechte Abrahams ziehen wolle (1. Buch Mofes 24, 57 und 58). Zur Schließung des Ehever- trages gehört vor Allen dem Bräutigam und der Braut entscheidende Stimme. 167 Die Wöchnerin und das Kind. Im zwölften Jahre verheirathen fich die Mädchen sehr felten, felten noch im dreizehnten, nicht mehr felten aber im vierzehnten Jahre. Es ist daher keine Seltenheit, daß das Weib im fünfzehnten Lebensjahre gebiert. Nachdem die Frau geboren, ißt sie die ersten drei Tage nichts, als Hühnerbrühe ohne Salz und Schmalz. Zum Getränke erhält fiel mit Zimmet versetztes Waffer oder auch ein wenig Wein, welchen jedoch die Mohammetanerinnen, in Gemäßheit ihrer Religionsbegriffe, nicht bekommen. Nach Verfluß der drei ersten Wochentage geht die Kindbetterin zu einer kräftigern Nahrung über. Sie genießt dann nicht bloß die Brühe, sondern auch das Fleisch vom Huhn; An- dere effen wohl abwechselnd das Halsfleisch des Lammes. In den ersten fieben Tagen wäscht die Wöchnerin ihre Hände nach dem Effen nie mit Waffer, aber mit Wein. Gehört sie der Mittelklaffe, so steht sie am fiebenten Tage vom Bette auf, die reiche nach vierzehn Tagen. Der Reichthum ist da nicht zu beneiden, wo er den Menschen länger in Feffeln schlägt. Allgemein herrscht die Sitte, daß die Wöchnerin nach dem Aufstehen das öffentliche Bad, und unter den Christen zugleich, daß sie die Kirche befucht. 168 In jenem reibt man, zu Stärkung, in den Körper ein fcharfes Mittel. Im vierzigsten Tage wird das Bad wiederholt. Sobald das Kind ans Licht der Welt gelangt, wird feine Nabelschnur mit einem Faden unterbunden, abge- schnitten und die Schnittfläche auf der Kindeseite mit einer Wachskerze gebrennt. Darauf badet man es im lauen Waffer, um es zu reinigen. Hat das Kind drei Tage feines Lebens zurückgelegt, fo wäscht man das Zahnfleisch und die allge- meinen Hautbedeckungen mit Salzwaffer oder mit Wein, der mit Waffer verdünnt wurde, um einen guten Geruch mitzuheilen. Sonst wird bloß alle Wochen einmal das Gesicht und der Körper vom Nabel bis zu den Füßen ge- waschen. Ja, es gibt Mütter, welche ihr Kind ein halbes Jahr ungewaschen laffen. - Zur Bekleidung dient eine Binde, in welche der Körper so gewickelt wird, daß die Arme an der Seite des Kör- pers in ausgestreckter Richtung bleiben. Gin Schleier deckt das Gesicht. Die Ginwickelung (Einfatschung) dauert vier Monate. Sodann flattern die Röckchen um das Kind, und manchen Knaben fchmückt bei Zeiten über der kleinen, an- schließenden Mütze der Turban. Als eine ausgezeichnete Zierde fah ich um den Fußknöcheln eines Kleinen rothe Bändchen mit mehreren Schellen. Zur Nahrung erhalten die Kinder die Milch ihrer Mut- 169 ter, manche zwei bis drei Jahre hindurch. Es ist bemer- kenswerth, daß die Jaffanerin das Schnüren des Oberleibes nicht kennt. Solches mögen die gepriesenen, geschnürten Zierfräulein Guropens beherzigen, welche ihr befferes Ge- fühl nicht befragen, ob sie Hoffahrt mit demjenigen treiben dürfen, was Gott zu einem ganz andern Zwecke erschuf. Wenn die Jaffanerin außer Stande ist, Milch von der Mutterbruft darzureichen, fo behilft man sich wohl auch mit einer Amme, oder man streicht das Honig- und Granatsüß in den Mund des Kindes. Sogenannte künstliche Nährung aber, wie mit Kuh- oder Ziegenmilch, findet nicht statt. Daraus allein schon ließe sich die große Sterblichkeit der Kinder erklären, Zum Sauglappen, als Beschwichtigungsmittel, nimmt keine Mutter die Zuflucht; im beßten Falle flößt fiel ein wenig Honig in den weinenden Mund. Hingegen scheint die Wiege im Ansehen von etwas Unentbehrlichem zu stehen. Die Reichen haben eine eigentliche Wiege, wie bei uns. Die Mittelklaffe spannt zwei Schnüre unter der Zimmerdecke aus, welche ein Leintuch aufnehmen. Auf dieses wird das Kind, wie auf eine Hängematte, gelegt, und will man es fchaukeln, fo fetzt man die eine Schnur, die durch ein Zwischenstäbchen von der andern ferne gehalten wird, in Bewegung. Die arme Klaffe bedient sich einer Vorrichtung, Tobler Morgenland II. 8 170 die einer großen, ebenen Wagschale gleicht. Sie wird, wie ein Käfich, an der Decke des Zimmers oder sonst in der Höhe aufgehängt. Mit Säftchen führt man das Kind nicht ab, noch schneidet man defen Zungenbändchen ein. Der Schulmeister am Hospiz stutzte gewaltig, als er inne wurde, daß wir gelöste Zungen hätten. Das Zahngeschäft geht nicht fehr leicht von statten. Zur Erleichterung desselben wird gar nichts vorgekehrt, und viele Kinder sterben während dieser Lebenszeit. Die fratt gewordenen Stellen wäscht man nicht ab, fondern man behandelt fiel mit einem Stoffe, welcher im Arabischen ferakün heißt, mir aber nicht genauer be- zeichnet wurde. Bei der hinkenden Reinlichkeit darf man fich wundern, daß diese Krankheit nicht viel hartnäckiger und qualvoller auftritt. Gegen die Mundschwämmchen ge- braucht man die Asche von einem Knochen fo, daß der mit Speichel benetzte Finger fiel auffängt, und damit die kranken Stellen im Munde reibt. Wiegenlied und Kinderjucks. Das Wiegenlied singt die Mutter nach einer ganz eigene thümlichen Weise, und ich bedaure nur, daß ich kein Ton- fetzer bin, um sie beifügen zu können. Die Worte zum Einlullen lauten fo: „O mein Kind, schlafe; mein Auge, 171 ich hoffe, daß ich dich nie aus dem Auge verlieren werde.“ Zum schon schlafenden Kinde fingt die Mutter: „Meine Taube, dein Auge ist verschloffen; aber das Auge Gottes ist aufgeschloffen, und daß kein Leid dir wiederfahren kann, hat Gott den Menschen nicht auf immer verhärtet.“ Die Worte find gemüthlich und erhaben zugleich. Bei aller meiner Unbekanntschaft mit der Sprache und dem Bücherthume der Araber genieße ich vielleicht das Ver- gnügen, den Abendländern einen ihnen unbekannten Lappen arabischer Dichtungen überbringen zu können. Es fiel mir in Jaffa nicht wenig auf, als ich beim Einbruche der Nacht eben heimgekehrte Kinder anredend und antwortend in ge- regelten Weisen lärmen hörte. Auf meine Nachfrage dar- über wurde fogleich von der Gaffe ein Kind geholt; es sagte in Anwesenheit mehrerer Gingebornen das Gespräche her; einer davon übersetzte es ins Italienische, und ich fchrieb dieses deutsch nieder. So viel zur Rechtfertigung meines Botengeschäftes. Das Zweigespräch, wovon die Rede ist, halten übri- gens nicht bloß fünfjährige und ältere Kinder als Nacht- gruß, wenn sie sich trennen, sondern auch türkische Knaben, indem sie von Haufe zu Hause ziehen, um etwas zu ver- dienen. 172 A. O Gott. O Gott. Möge es uns hier wohl ergehen. O Gott. Was haben wir? Maria (denn es muß immer Jemand genannt werden) –, eine Braut wie der Mond. : Gott gebe es. Unter der Veste fahe ich fiel in zierlichem Gewand. Gott gebe es. Ich erblickte fie abwärts vom Diwane, die in Seide Gehüllte. A. N3. Gott gebe es. Ich fah fie abwärts vom Gemache ein Papier mit Zügen füllen, welche rühren das Herz. A. B. A. Gott gebe es. – – – abwärts von einer Urne. Ach, wie schön. Das Zweigespräch, wahrscheinlich nur ein Bruchstück, behandelt die Liebe auf eine nicht fehr fähickliche Weise für Kinder. Bei diesen scheint jedoch Alles bloßes Lippenwerk geworden zu fein. - 173 Die Verehrung der Todten. Stirbt eine Person, so hüllt man sie in ein gewöhn- liches Gewand; nur muß es ein befferes und weißes fein. Bei Nacht stellt man zwei brennende Kerzen neben die Leiche. Reichere legen ihre Verstorbenen in einen viereckigen Sarg; die Armen oder die weniger Vermöglichen deckt die Erde unmittelbar. Der Sarg oder die Leiche wird auf einer Bahre in den Gottesacker getragen. Ihr folgen im Zuge Männer und Weiber, jene aber voran, diese ihr Klage- geschrei erhebend und ein Tuch drehend. Alle nahe Anver- wandte find mit einem schwarzen Trauerkleide angethan, Wenn ein Ehemann stirbt, so geht die Witwe, welche sich in der Hoffnung glaubt, am Grabe einmal unter der Bahre des Todten durch, jetzt ausnahmsweise ohne Schleier. Sie will damit alle Anwesende zu Zeugen der Reinigkeit ihres Wandels auffordern. Ehe die Leiche noch im Grabe liegt, wird fie, zumal an der Hand, geküßt; der Ghemann küßt auch das Gesicht und das Kleid der verblichenen Ge- liebten; – fogar des Pestopfers? Von der Todesstunde an bis zum Begräbnisse dauern meist nur zwei oder drei Stunden. Erfolgt indeß der Tod spät Abends oder vor Mitternacht, so wird mit der Be- erdigung bis morgen in der Frühe zugewartet. 174 Ich sah die Beerdigung einer mohammetanischen Leiche bei Jaffa. Das Grab war etwa vier Fuß tief bis zur Stelle, wo es fich in zwei Absätzen verengerte, und von hier noch einen starken Fuß tief, aber gemauert. Nachdem auf den Grund des gemauerten Grabes ein Pulver gefreut war, wurden die in ein schönes und weißes Tuch gehüllten ferblichen Ueberreste feitlings, das Gesicht gegen Mekka gewendet, mit Schonung in die Tiefe versenkt, und dann darüber Steinplatten, die zur Seite auf den Maueransätzen ruhten, gelegt, so daß die Erde den Todten nicht drückte. Während des Beerdigens heulten die Weiber, das eine fehend, das andere hockend. Den Männern fähien meine Gegenwart ein Dorn zu fein; indeß fügten sie mir nicht das mindeste Leid zu. Die ganze Beerdigungsweise verrieth nichts. Rohes. Zum Andenken des Gestorbenen werden in defen Hause die ersten drei Abende nach einander gemeinschaftliche Ge- bete verrichtet. Am Ende dieser religiösen Handlung wird allen Beiwesenden, manchmal bis hundert an der Zahl, ein Todtenmahl gegeben. Die Reichsten sprechen dabei un- gerne oder gar nicht zu, um fo lieber aber die Armen. Desgleichen besuchen die Weiber drei Tage hinter einander in der Morgenstunde das Grab, und fiel vergeffen nicht, fich mit einem Mundbedarf zu versehen, auf daß sie im Felde der Leichen mit Kaffee sich laben können. (75 Dem Vater oder der Mutter, dem Bruder oder der Schwester, dem Manne oder der Männin wird ein Jahr hindurch Trauer getragen. Während dieser Zeit hüten fich die Trauernden vor Leckerbissen und dem Spiele, fie. ber fuchen weder die öffentlichen Bäder, noch heirathen Wittwer und Wittwe. - Von den eben geschilderten Sitten der römisch-maro- nitischen Christen zu Jaffa weichen diejenigen der Nazarener und Bethlehemiten mehr oder minder ab. Im Hause des Leichnams und später in der Nähe des Grabes stellen fich zwei Weiber, wie Fechtkämpferinnen, und schlagen die klir- renden Degen an einander. Dann antwortet ein Chor Weiber fingend und heulend, händeklatschend und tanzend. Darauf neues Degengeklirre der zwei Weiber; ihm nach der entsetzliche Lärm. Das ist die wilde, verwegene Todes- jagd – in Nazareth und Bethlehem. Zwei Dinge verdienen vor allen eine nähere Betrach- tung: Das Durchgehen unter der Bahre und die frühe Beerdigung des Todten. Dem Falle vorzubeugen, daß für einen lebenden Lüstling der hingeschiedene Ehemann als Vater unterschoben werde, strengte sich in Europa die ganze Weis- heit der Gesetzgeber, wie der Gerichtsärzte an, ohne daß es ihnen gelang, dem Betruge einen festen Riegel zu stoßen. Vielleicht versteige ich mich nicht, wenn ich behaupte, daß 176 die Sitte der Jaffaner einem in diesen Punkt einschlagenden europäischen Gesetze den Vorrang ablaufe. Drücken wir die Sitte in Form eines Gesetzes aus: „Jede Wittwe ist gehalten, innerhalb drei Stunden vom Ableben ihres Che- mannes an (beim gehörigen Orte) anzuzeigen, ob sie sich von ihm schwanger glaube oder nicht.“ Einem so klar ausgesprochenen Gesetze müßte jede Erläuterung beschwerlich fallen. Doch Gines will ich berühren. Man kann dasselbe der Grausamkeit zeihen. Wie dem auch immer fei, nur beherzige man bei dieser Gelegenheit, daß die Sitten, die freiwilligen Gesetze (ohne förmlichen Vertrag), worüber die Wenigsten klagen, oft minder milde sind, als die Zwangs- gesetze (laut förmlichen Vertrages), welche beinahe aus. Aller Munde mit Klagen überschüttet werden. Die frühen Leichenbestattungen verlieren sich unzweifelhaft in das graueste Alterthum. Sie gründen fich wohl auf die Ansicht, daß sie ein nothwendiges Gebot des heißen Himmels- friches feien. Die Rekruten oder die Konskribierten. Eines Abends überraschte mich nicht wenig ein Schau- spiel. Ginem Vortrabe zu Pferde folgte eine geschloffene Menge Männer. Gs waren für den Kriegsdienst einge- schriebene Leute, fchwarze, halbschwarze und weiße, paar- 177 weife fo an einander gebunden, daß allemal die Rechte des Einen und die Linke des Andern in einer Art Hamen faken. Eine hölzerne Spange nahm in Kerben die Hand- wurzeln auf und, fo viel ich erblicken konnte, war jene feitlich mit eisernen Schrauben versehen, wodurch zwei Spangen, als Handklemmen, festgeschloffen wurden. Ueberdies war mit einem Stricke ein Mann hinter den andern, wie ein Kameel hinter das andere, gebunden. Einmal führte ein Soldat einen Bauer am Gürtel des Bauches in die Stadt. Hinter ihm ging ein wehklagend Weib. In einem Haufe von Jaffa war ein anderes Mal eine bedeutende Anzahl Ausgehobener einquartiert, und etwa fünfzig Weiber heulten und schluchzten vor demselben, die einen mit dem Säug- ling an der Brust. Noch nie drangen so viel und so trübe Wehklagen in mein Ohr. Die Regierung machte mir einen langen Strich durch die Rechnung. Um größere Schiffe hier zu laden, muß man, wegen des unsichern Hafens, Meeresstille oder leisen Wind abwarten, wo dann fiel auf offener See von Kähnen aus befrachtet werden. Gben trat günstige Witterung zum Laden ein. Da hieß es, daß die Regierung zwei Schiffe befrachte, und alle Kähne in Anspruch nehme. Mein Schiffshauptmann mochte sich verwenden, wie er wollte, er durfte am Ende nur müßig zuschauen, wie nach Alexan- 178 drette Rekruten eingeschifft wurden. Unvergeßlich bleibt mir dabei ein rührender Auftritt. Ein Weib, in einem blauen Hemde voll Löcher und Lappen, kauerte am Hafen in einem Winkel; es weinte bitterlich und fehluchzte bitterlich; es deutete, daß ein ihr Theurer, vielleicht ihr Sohn, zu Waffer weggeschleppt werde. Und andere Weiber fanden da und weinten bitterlich über das Schicksal einiger Eingeschifften, bis die Polizei fiel unschonlich verjagte. Ich konnte bei diesem Auftritte den Gedanken nicht daniederhalten: Es muß unter den häßlichen Lumpen auch noch zartes Gefühl sich regen; ein Mutterherz bleibt Mutterherz – bei einer Christin oder Mohammetanerin; unter den unscheinbarften Lumpen pocht manchmal ein wärmeres Mutterherz, als unter Atlas nnd Sammet. Diese Wahrnehmung freute mich um fo mehr, da ich bei den arabischen Mannsleuten eine ungemeine Gefühllosigkeit, zumal gegen die Thiere, zu bemerken glaubte. Ich möchte das Gesagte durch Thatsachen erhärten. Als ich auf meinem Ausfluge nach den Pyramiden am Waffer lange warten mußte, hatte der Eifel mit angelegtem Zaume unter den Hufen gutes Gras, das, wie mir däuchte, keinem Einzelnen, sondern aller Welt gehörte. Dem Treiber fiel es nicht ein, das Gebiß abzunehmen, bis ich ihn dazu er- munterte. Als ich ein Kameel ritt, welches von einem In- 179 fekte am Bauche gequält wurde, wollte ich dem Führer zu verstehen geben, daß er jenes von der Plage befreie; allein ich konnte ihn glatterdings nicht dahin bewegen. Wie ich von Ramle nach Jerusalem wanderte, überließ ich am Fuße des Juda dem Treiber das Maulthier fammt dem belästigenden Felleisen, und ich ritt den Gfel, welcher keine Ladung weiter trug. Theils um dem Thiere Erleichterung zu verschaffen, ging ich fehr oft zu Fuß, und kam fchneller davon. Ich dachte immer, der Führer werde mein Bei- fpiel nachahmen. Es mochte der Weg noch so feil fein, der Stumpfsinnige faß auf dem langsamen Läufer, und ließ mich eher aus den Augen. So gefühllos können Araber fein, während die gemüthreichen Türken mit der herzlichsten Freude einen Vogel in einem Käfich kaufen, um ihn von der Gefangenschaft zu erlösen. Fortsetzung: Das Weinen oder die Raserei am Neujahrstag 11833G, Das Weinen ist der Ausbruch der Freude oder Trau- rigkeit bei Gescheiden und – Narren. Bei uns will die Züchtigkeit der Sitte oder der An- stand, daß man im Weinen sich mäßige, daß die Gefühle nicht ohne Rückhalt entströmen. Das eigentliche Choral- 180 weinen nach dem Laufe der Natur fcheint man bei uns kaum zu kennen. Bei uns weint man piano oder pianissimo, in Jaffa forte oder fortissimo. In den Landen der Ge- fittung hält man es für besonders schön und rührend, wenn etwa eine Thränenperle aus dem unumwölkten Himmel her- abfällt. Als ich nach Tische die andere Hälfte des Neujahrs- tages von 1836 verlustwandeln wollte, da hörte ich von einer Gaffe her ein wildes, klägliches Geschrei. Ich rückte näher. Vor der Thüre einer Truppenherberge harrte eine Menge Weiber, diesmal nur die wenigsten - mit einem Schleier, und die entschleierten Gesichter verbreiteten einen folchen Zauber, daß Jedem die ungelegenen Heirathsge- danken verschwunden wären. … Ich fah und hörte kaum jemals etwas Wilderes. Die Einen standen, die Andern kauerten. Die Einen konnten nicht genug ihre Hände um einander kreisen laffen, ohne daß diese sich berührten. An- dere schlugen die Hand auf die Stirne oder auf die Brust, oder fiel klatschten mit den Händen, indem abwechselnd bald die Rechte, bald die Linke die Oberhand war, und während der Oberleib vor- und rückwärts geschaukelt wurde. Die Meifen drehten unaufhörlich einen Zipfel des Kopftuches. Wieder Andere nahmen das kleine Kopftuch herunter, welches sonst den Kopf kronförmig umgibt, und das große Kopf- 181 tuch befestiget; mit jeder Hand faßten fiel ein Ende des heruntergenommenen Tuches, drehten es, und hielten es bisweilen in die Höhe. Auch eine alte Frau mit zahnlosem Kiefer und vorspringendem Kinne und gebeugtem Leibe und wogenden Schultern hob ein solches Tuch empor, lärmend und herumtrippelnd; es mangelte der Rolle einer europäi- fchen Tänzerin nichts, als die fröhliche Miene. Das schlug unverkennbar auf die erzkomische Seite. Cin Theil wim- pelte mit den Händen, wie unsere Prediger auf den Kan- zeln. Die meisten Augen schwammen in Thränen. Dabei war der Mund angelweit aufgesperrt. Die Ginen begnüg- ten sich fast einzig mit lautem Rufen. Andere gefielen sich darin, Empfindungslaute, manchmal quiekfende, auszustoßen. Gs gab auch solche Doppelfingspiele, indem unter fhau- kelnden Bewegungen die Eine der Andern auf die Schulter klopfte, oder ein Stück des Kleides packte. Nur die Kin- der, von ihren Müttern getragen, waren alle – ohne Saug- lappen ruhig und still. Sie schienen vielmehr an dem wilden Leben sich zu belustigen, und sie hätten, wie ich glaube, unfehlbar geweint, wenn die erwachsenen Leute in den Zustand der Beschwichtigung zurückgekehrt wären. Das ganze Schauspiel bot dem Europäer das Bild einer Raserei. Es war das Weinen in feiner Zügellosigkeit und unter allen Eingebungen der Traurigkeit. 182 Es ist nicht in Ferne meine Absicht, das Gefühl der Theilnahme mit meiner Schilderung zu beleidigen. In dem Rührenden fand ich, vom Hause aus mit andern Sitten, fo viel Poffierliches, daß ich mich hin und wieder des La- chens nicht erwehren konnte. Gs verfehlt auch nicht die Feuersbrunst, ungeachtet ihrer betrübendsten Folgen, auf das Gemüth einige angenehme Eindrücke im Augenblicke hervorzubringen, da das Glement in aller Pracht feiner Farbe und in feiner fiegreichen Ungebundenheit gegen den Himmel emporlechzet. Weiber, feid ihr nun die Erbinnen der uralten Sitten? fragte ich sie im Gedanken. Das Schauspiel dürfte viele leicht alterthümlicher fein, als der Sphinx, jener Riese bei Memphis. Die Verfaffer der alten heiligen Urkunden mochten so oft Zeugen ähnlicher Auftritte gewesen sein. Zuerst wußte ich das Klageschrei nicht zu deuten, später aber erfuhr ich, daß Mütter ihre Söhne, Weiber ihre Männer, Schwestern ihre Brüder beklagten, weil die dem Familienschooße Entriffenen fich auf die Laufbahn des Kriegers werfen mußten. Ich besorge inzwischen, lange weilig zu werden, weil ich das alte Trauerlied auf die Kriegsknechte wieder anstimmte. Ich verspreche mir jedoch durch das Langeweilen den Nutzen, daß die wiederholten bösen Einschreibungen neuen Kriegsvolkes sich um so leh- 183 hafter vor die Seele stellen, und daß die nunmehrige pein- liche Lage der Syrier um so ernster sich vergegenwärtige. Die Mannschaftsaushebungen befleckt eine Grausamkeit, die Ihresgleichen sucht. Manchmal werden alle Mehrjährigen männlichen Geschlechtes aus einem Hause weggeräumt. Wer wird hinter dem Pfluge gehen? Wer wird die Stütze einer alten Mutter fein? Was für eine Zukunft thut fich vor der militärischen Gewaltherrschaft auf? Die Mütter und Schwestern, denen die Anhänglichkeit an die Ihrigen zur Ehre gereicht, klagen nicht umsonst so laut, fo rafend; denn ist der Ausgehobene einmal Soldat, so bleibt er es fein Leben lang, wofern ihn nicht eine Laune des Gewalt- habers entläßt. Auch die Weiber werden mit Recht klagen, wenn ihnen die Hoffnung abgeschnitten wird, den Mann begleiten zu können, mit welchem nicht mehr, als ein Weib ziehen darf. Das ist freilich nach christlichen Begriffen genug, und hierin erscheint die Unbarmherzigkeit wirklich in einer viel mildern. Gestalt. Uebrigens gestattet der Herr- fcher offenbar nicht aus edeln Beweggründen dem Krieger fein Weib, sondern aus dem frostigen Grunde, damit aus altem Militär junges werde. Bereits schon bei einem an- dern Anlaffe wurde darauf aufmerksam gemacht. 184 Ibrahims Pascha. Er ist unstreitig der größte jetzt lebende Feldherr unter den Osmanen. Das Schicksal verlieh mir die Gunst nicht, ihn zu fehen, obschon er fich in Syrien aufhielt. Ich be- fähränke mich darauf, Einiges aus ziemlich glaubwürdiger Quelle nachzuerzählen. Ibrahim besitzt ein sehr fröhliches Gemüth. Gr lacht beinahe an Ginem fort. Die Franken hat er lieb; wenig stens überhäuft er sie mit Beweisen von Freundlichkeit Gründliche Kenntniffe im Militärfache gehen ihm gänzlich ab, und Unterrichtetere schreiben das Kriegsglück haupt- sächlich dem französischen Abtrünnigen Seve oder Soli- man-Pafcha zu, welcher selbst von Mehemet-Ali vorgezogen werden foll. Immerhin zeichnen Ibrahim Gei fesgegenwart, kluge Benützung der Umstände und persön- licher Muth aus. Voran in Anführung der Schlachten, befeuert er durch feine Grscheinung den Soldaten, an den ihn das Band gegenseitiger Liebe knüpft. Indeffen wußte der Feldherr dieses Band bisher nicht so fest zu fchürzen, daß er dem Araber höhere Offiziersstellen anvertrauen dürfte, die hinfort von Türken oder Ausländern besetzt werden. Als auf einem Feldzuge eine ziemliche Anzahl Soldaten vor Durst farb, und als ihm dann der Fund jenes unent- 185 behrlichen Lebensmittels glückte, das man beim Mangel nicht minder hochschätzt, als beim Ueberfluffe geringschätzt oder verwünscht, fo reichte er persönlich den Uebriggebliebenen den Labungstrank. Diesem milden Zuge reihe ich zwei grausame gegenüber. In Alexandrien erhob sich ein Sturm mit seltener Macht. Eine dort vor Anker liegende Fregatte litt Noth. Der Hauptmann, in der Voraussicht, daß fiel auf der Rhede zu Grunde gehen würde, feuerte in den Hafen. Ibrahim beschied den Fregattenhauptmann vor fich. Erst wälzte er den Vorwurf auf ihn, daß er ohne Befehl von der ange- wiesenen Stelle sich entfernte, dann fügte er hinzu, daß er fich dem Schiffbruche und der Lebensgefahr hätte preisgeben follen, und auf das hin schlug er fogleich dem Offiziere mit höchsteigener Hand den Kopf ab. Im Abendlande würde freilich Jemand wenig Herzen erobern, wenn man ihm nachsagen müßte, daß er oberster Feldherr und Henker zugleich fei. Eine andere Handlung legt kein geringeres Gewicht auf den grausamen Karakter Ibrahim s. Gin Engländer zeigte ihm in Syrien eine ausgezeichnet fchöne Flinte. Ibrahim wollte ihre Güte erproben. Er ließ fiel laden, und da eben ein Araber am Hause vorüberging, fo trug er kein Beden- ken, auf ihn zu zielen. - Puff! der Unglückliche fiel todt - - - - - - - - - - - - - - 186 nieder, und der Pascha ermangelte nicht, die Flinte zu preifen. Kleine Petschaften oder Siegel. Kleine Männer haben gerne große Schriftzüge und große Petschaften oder Siegel. Sie wollen ihre Neigung, größer zu werden, auch darin nicht verleugnen, daß sie ein hohes I-Tüpfel auf den Kopf und eine lange Semikolonkurve unter die Füße hinmalen. Die Beobachtung ist mitnichten gesucht. Sie wird fogar ohne den Scharfsinn möglich, welchen ein Ornithologe, wie ich neulich las, im Ernste an diesem und jenem Vogel hervorhob. Und ich? – wußte noch niemals, daß ich Scharfsinn besitze. Jetzt freue ich mich natürlich der glücklichen Entdeckung, den Fall voraus: gesetzt, daß die Herren Ornithologen einen Menschen den gefiederten Thieren nicht unterordnen. Laffet uns aber die Beobachtung einmal näher würdigen. Wir drückten vielleicht das Petschaft oder Sigill zu stark auf. Quod valet de toto, valet quoque de singulo, fagt die Universitätsfibel. In Ggypten und Palästina fand ich durchwegs auffallend kleine Petschaften oder Siegel, wovon zwei etwa ein abendländisches geben würden. Als gilt mein allgemein aufgestellter Satz nicht von diesen Län dern insbesondere. Wie ich zum ersten Male in Alexan- 187 drien den kleinen Fleck auf dem Amtspapiere erblickte, glaubte ich, es wäre ein Spaß, und ich fähmunzelte bei mir selber, fo viel man immer über etwas Amtliches fähmunzeln darf. Bisher hielt ich, als guter Abendländer, das amtliche An- fehen für unzertrennlich mit einem großen Siegel oder einem grandiösen Stempel, und in der Grfte schien mir die egyp- tische Regierung gerade um das minder werth, als das Siegel, gegen einem europäischen Amtssiegel, kleiner war. Auch mit folchen Begriffen verläßt man das gescheute Fran- ken-Land. Noch mehr. Sogar das kleine egyptische Regierungs- fiegel hatte eine unnütze Größe. Wie kann das fein? Ich bekam in Großkairo einen gestempelten Thorfhein; allein keine Zunge bekümmerte sich darum, weder am Thore, noch in und über der Wüste, und, außer dem meinigen, fah kein Auge den Stempel. Sollten etwa die Guropäer auch so unnütze fempeln, es ginge bei ihnen fo gewiß, als zwei mal zwei vier machen, mehr verlustig, und der Vortheil fiele offenbar auf die Seite der Egypzier; man versteht mich – der Vortheil oder Gewinn, weniger zu verlieren. Der Hakim. Mehrmals las ich, daß die Palästiner sich von den Eu- ropäern den Puls fühlen laffen, in der Meinung, alle 188 Franken wären. Hakim (Aerzte). Letzteres kann ich bei fätigen, nicht aber ersteres; denn felten begehrte man in Palästina von mir ärztlichen Rath oder Beistand. Um aber doch ein Beispiel anzuführen, so traten einmal in Jerusalem drei bis vier verschleierte Frauenzimmer in meine Klosterzelle und verlangten den Arzt. Ich hatte eben Besuch, und sie wurden von meinem Gate ziemlich derbe hinausgewiesen. Seit Syrien von egyptischen Truppen besetzt ist, zählt es mehr europäische Aerzte, und es bleiben, meines Wiffens, die reifenden Franken fo ziemlich ungeschoren. In Jaffa weilte ein herumziehender Arzt, ein Grieche. Vergebens wollte ich mit ihm ein ärztliches Gespräche an binden. Wahrscheinlich hat der Mann Arzneiwiffenschaft gar nie studiert. Ich rühme an ihm, als etwas Ausgezeich- netes, einen goldenen Uhrschlüffel, den er mit Selbstg- fälligkeit recht tüchtig auf dem Bauche bammeln ließ. Um die Höhe seiner wissenschaftlichen Bildung muthmaßlich und unmaßgeblich zu bezeichnen, will ich ihm den Glauben in das Herz legen, welchen das alte Wörterbuch Gemma genmarum (Ausgabe von 1508) über das Nolimetan- gere, auf deutsch: Rühre mich nicht an oder Krebs, aus- spricht: „Gs ist eine gewisse Krankheit, welche am Gesicht ex nictura glirium entsteht.” Das heißt, ferm gesprochen. Damals wußte man also die Ursache vollkommen gut; jetzt 189 zweifelt man. Oft werden wir weiter, wenn wir weniger wiffen wollen. Unser griechische Arzt verfügte sich, nach Ver- richtung gelungener und mißlungener Kuren, fowie auch guter Geldgeschäfte, in die Stadt Jerusalem. Solche her- umirrende Kurirer erinnern mich an die italienischen Zinn- gießer und die französischen Scherenschleifer, welche das Schweizer-Land durchkreuzen. Sind sie in einem Dorfe fertig, alsbald in einem andern zünden fiel das Kohlenfeuer an und stellen den Schleifstuhl auf, um die Kunden zu be- friedigen. Die Fleischbank. In der Absicht, meinen faden Reistisch zu verbeffern, ging ich zur Fleischbank am Marktplatze. Ausgezogene Schafe hingen an Haken. Die herumstehende Menge war fo groß, daß man sich, wie bei uns zu den Osterrindern, ordentlich durchdrängen mußte. Endlich öffnete sich eine Lücke am hölzernen Geländer, und ich füllte sie auf der Stelle, von allen Seiten gedrückt, nur von der Bank her nicht. Gin fauertöpfischer Fleischer konnte nicht genug ab- schneiden und abhauen, so sehr riffen sich die Leute um das Fleisch. Ein Wohlgenährter saß auf einen Beinen und nahm die Zahlung an. Gin Anderer war damit beschäftigt, die fonderbar geformten Gewichte in die Wagschale zu 190 werfen und daraus zu nehmen. Bereit lag ein Schreibzeug, eine lange metallene Büchse, welche fonst der Schriftgelehrt vor der Brust zwischen das Oberkleid schiebt, und nicht ohne einigen Stolz einen Theil davon hervorschauen läßt. Man fieht, daß der Fleischverkauf ja auf eine großartige Weise betrieben ward. Schon harrte ich längere Zeit; jetzt wurde ich aber des Wartens überdrüssig. Man hat mich als Fremden und Franken doch zu wenig beachtet. Ich verließ die Schlachtbank. Um meiner Mißstimmung mit einem Balsam zu begeg- nen, spazierte ich die Stadt hinaus. Beffer, als das saure Gesicht des Schlächters gefiel mir das üppige Grün im Mauergraben, welcher die Stadt in einen Halbzirkel sperrt. Indeffen wollte es mir auf dem mohammetanischen Leichen- acker auch nicht behagen. Meine Gedanken richteten sich noch immer nach dem übelriechenden Aas, welches in dem selben eine Woche früher ein Rudel Hunde mit einer Be- gierde aufzehrte, daß der Fraß mit Raufhändeln gewürzt wurde. Heute war. Alles aufgefreffen bis an die größern Knochen; nicht mehr verpestete das Aas den lieblichen Ort, – Dank der einsichtigen, wohllöblichen Gesundheits- polizei – der Hunde. Ich kehrte um. Vor mir schritt ein Offizier durch das Thor. Die Wache, ein alter Kerl mit einem magern G- 191 fichte, präsentierte unverzüglich das Gewehr. Kaum aber hatte er es zur Seite genommen, als er mit der rechten Hand buckelmachend die Lenden rieb, wahrscheinlich aus Ehrerbietigkeit gegen feine Leibwache. Umsonst war ich Willens, im Rückwege gegen meinen Fleischer eine recht mürrische Miene aufzupflanzen. Es fand eine andere Fleischbank offen, und ich fäumte nicht, mein Glück hier zu versuchen. Ich rief aus voller Kehle, und es half. Unter dem Nachrufe von haidi entfernte ich mich mit meinem Fleische in fröhlicher Stimmung. Die Araber, diese klugen Leute, glauben, daß der Fremde ein Strohkopf fei, sofern er, in Beobachtung der Beschei- denheit und des Anstandes, nicht spreche oder, um es ge- nauer auszudrücken, nicht maule. Wenn er nur den Mund spaltet, gleich viel, was er donnere, er wird sogleich ein Gegenstand der Ehrfurcht. Ich machte diese Erfahrung nicht nur dieses, sondern auch andere Male. Kurz und gut, im Nu ward, auf meinen Lärm, mir Fleisch zuge- wogen. Der Zuckerrohrmarkt. Niemand in Europa hat die absterbenden Zähne gerne; doch hätschelt man dort die Dinge, welche ihnen das frische Weiß rauben. Oder find fie, mit Erlaubniß zu fragen, liebenswürdig, die Zähne von der Farbe – geräucherter 192 Schinken und mit den Höhlen, worin die Schmerzen mit Vorliebe wüthen? Ach, wären nur die Zähne durch und durch Schinken, fo könnte man fiel anschneiden, und mit dem fpeckweißen Liebreize das ganze Menschengeschlecht ent- zücken. Allein felbst die Aeuglerin kann sich im dienstfer: tigsten Spiegel nicht ganz zurecht gucken die tintenen Zähne mit deren malerischen Schluchten, in welchen die balsami- fchen Quellen der Schmätze entspringen. Es thut mir leid; aber ich kann es nicht ändern. Gs ist zwar nicht der daumensdicke, manneshohe Pflan- zenhalm, nicht die binfenartigen, langen Blätter, welche zu drei Fingerbreiten über einander um denselben fich ansetzen, nein, nicht dieses Gras, dieses Zuckergras, dieses Zucker- rohr ist es, welches den Zähnen so viel Verderben bringt, sondern der Saft dieses Gewächses, nachdem er durch Kochen eingedickt und dann geläutert oder raffiniert worden: der „Zucker. Sehnlichst verlangte mich, den Vater eines so raffinierten Kopfes und Verwüsters der schönen Welt näher kennen zu lernen. Außer dem Thore der Stadt ist eine Menge frisches Zuckerrohr an einer Reihe ausgebreitet, worum Verkäufer und Käufer wimmeln, unter welch' letztern ich namentlich Soldaten mit ihren halbschwarzen Gesichtern bemerkte. Ich wollte mich zuerst satt fehen; allein das Sehen nur ver- 193 schafft nicht fehr viel Vergnügen, weil – es nichts kostet. Dachte ich doch, ich werde den Saft des Rohrs im Munde auch ausziehen können, wenn es Andere mit so vieler Luft thun. Ist man einmal draußen in der weiten Welt, so muß man etwas mitmachen, damit man daheim etwas erzählen kann, hört' ich so oft fchon fagen. Ich kaufte ein Zuckerrohr. Ich biß wohl oben; aber das Süßsalzige mundete mir nicht. Der Zuckerrohrhändler, meinen Fehler gewahrend, warf den obern Theil des Halmes gleich weg, und ich biß in den untern, der beffer fchmeckte. Ganz rein schmeckte das Süß hart über der Wurzel. Wie aber oben das Rohr weniger rein fchmeckt, fo schmeckt das unterste, zum Theil in der Erde steckende Glied nach Wurzeligem. Die grüne Pflanze enthält bedeutend viel Saft, welcher, wie im einge- dickten und geläuterten, so auch im frischen Zustande, die angenehme, reine Zuckersüßigkeit besitzt. Das Rohr wird fo genoffen, daß man rohe Stücke in den Mund nimmt, und fiel zerbeißt, um daraus den Saft zu verschlingen. Die faserigen Theile werden weggespieen. Der Tabakschneider. Roman Pane, welcher die alte Welt mit dem Ta- bak bescherte, geschieht fürwahr in alle Zeiten Unrecht, daß er nicht wenigstens zur Linken Mohammets von den Mos- Tobler, Morgenland. II 9 194 lim verehrt wird; denn wer möchte in Abrede stellen, daß diese den Tabak minder leicht entübrigen könnten, als den Koran ? Hätte ein Bursche nicht fo lächerlich gelacht, als er an der Hand einen türkischen Pfeifenkopf drechselte, nach den Gedanken der alten Zeit umwendend, schier gedankenlos modelte, durchstach und in wenig Zeit fertig hudelt, ich würde eher zum Tabakschneider geeilt fein. Hinter dem Handwerksmanne jene drei Wände von Mauer mit der offenen Seite und dem Thürverschluft gegen die Gaffe, mit dem platten Dache von Holz müssen ja das Audienzzimmer fein, welches er nur zur Seltenheit bei tritt. Denn – er hockt mit diesem Raume zwar auf glei- cher Höhe, aber auf einem Mauervorsprunge und unter einem Vordache, vielleicht auch damit er mit feinen Kunden leicht ter verkehren könne. Wie mag den Glücklichen ein Ande rer beneiden, dem bloß von außen an einer Bude ein kleiner obdachloser Winkel zu Verrichtung feiner Kunst vergönnt ist. Zu einem buchstäblichen Winkelhandwerke verurteilt, begrenzt sich die Handthierung des armen Teufels ein zig auf Zerschneidung und Zerschnitzelung des kundschaft“ weise anvertrauten Rauchtabaks, und für einen Piaster schnitt det er ein ordentlich Schock. Wenden wir uns wieder zu dem Tabakschneider in der 195 Bude. Gs find bei ihm so wenig Artikel ausgekramt, daß er sein Gedächtniß damit nicht überladen darf. Hau- fen von unzerschnittenem und zerschnittenem Tabak liegen unordentlich herum. Eine Wage mit meffingenen Schalen und einem hölzernen Balken lauert auf den Käufer. Da- mit aber den Verkäufer selbst das Warten nicht verdrieße, schneidet er für sich – und Andere Tabak in gar hüb- fchen Nadeln. Ein der Länge nach gespaltenes, ziemlich großes Rohr oder Halbrohr dient zur Aufnahme des Ta- baks. Jenes ist mit Gien gerändert, wo das Schneide- meffer hart vorbeifährt. Letzteres, auf einer Seite fo be- festiget, daß es mit geringer Mühe herab- und hinauf- läuft, ähnelt in den wesentlichsten Beziehungen unserem Schneidemeffer mit der Vorrichtung dazu, wie felbes die Apotheker zu Zerschneidung von Arzneien, z. B. von Wur- zeln, und die Liebhaber des Tabaks zu anderem Behufe gebrauchen. Noch ähnlicher, als unferm Schneidemeffer der Apotheker ist es dem Schneidefuhle, mittelf defen der Häckerling bereitet wird. Drückt der morgenländische Ta- bakschneider mit der Hand das ungeschnittene Kraut im Halbstiefel wohl zusammen und ein wenig über den Rand, fo fähiert er mit dem herunterschwirrenden Meffer gleichsam eine Scheibe ab, die, fogleich in viele Schnitzel zerzottelnd, auf eine Schilfdecke zu Boden fällt, 196 Der Nargilebediente; die Mauch virtuosität. Von den vielen Handwerkern, welche dem Abendlande angehören, dagegen im Morgenlande vergebens gesucht werden, will ich bloß den Kunstgärtner (im strengeren Sinne des Wortes) nennen. Ein Deutscher, dessen er- wähnt ward, that fich für einen Gärtner aus, und kannte wirkt lich einige Gewächse nach ihren lateinischen Namen. Hier aber beklagte er feinen Beruf, weil die Natur ohne Kunsthilfe Alles viel schöner hervortreibe, als es der erfahrungsreiche Gärtner Guropas den dortigen Anlagen und Treibhäusern abdringe. - Dem abendländischen Kunstgärtner hält indessen der Morgenländer einen andern Berufsmann entgegen, welchen gerade das Abendland nicht aufzuweisen vermag; ich meine den Nargile bedienten, den Nargieträger. Argik oder Nargile heißt eine Tabakspfeife mit einer Tasche voll Waffer, durch welches der Rauch gesogen wird. Mit drei bis vier Nargilen geht der Gewinnlustige auf der Gaffe umher, und erhascht er einen Liebhaber, fo stopft er ihm die Pfeife mit Tabak und fetzt überhaupt. Alles so in Bereitschaft, daß der Rauchlüfling bloß das Mund stück der Pfeife zwischen die Lippen und die Hand in den Geldbeutel fchieben darf. 197 Kaum fättiget man sich an diesem Auftritte, so schrei- tet ein wohlhabender Morgenländer stattlich daher; fchweig- fam und treu wie der Schatten folgt ihm ein fchwarzer Sklave, welcher die lange, brennende Pfeife feines Herrn trägt. Nun mache ich einen Besuch. Alsbald füllt der Diener oder gar die Dame des Hauses die mit einem bernsteinernen Mundstücke versehene Pfeife und raucht fie an, um sie mir darzubieten. Ich wische das Mundstück hübsch fein ab, und rauche mit der größten Bequem- lichkeit. So reicht auch der Diener feinem Herrn immer die angerauchte Pfeife. Im Rauchen find, die abendländischen Christen, im Ver- gleiche mit den Morgenländern, gleichsam Stümper. Es ist übrigens für den Reisenden eben nicht unumgängliche Nothwen- digkeit, daß er mitrauche. Ich lernte zwar das Rauchen erft auf der Reife, verzichtete darauf jedoch öfter längere Zeit. Der Kaffeeröster und Kaffeezerstößer. Ich trete in ein großes Gewölbe. An der Wand brennt es in einer Höhle. Ueber dem Feuer steht schief ein irde- nes, großbäuchiges und ziemlich enghälsiges Gefäß zur Rö- fung des Kaffees. Dieser wird von einem Manne mit einem Stäbchen fleißig umgerührt, bis er gar ist. In /98 einer offenen Pfanne würden während des Röstens offenbar mehr kräftige Bestandtheile fich verflüchtigen. Neben dem Herde nimmt der Mörfer feine Stelle ein. Gine runde, tiefe Aushöhlung des Fußwerkes von einer alten Marmorsäule ist er – fest ummauert. Ein Mann beschäftigt sich eigens mit dem Zerstoßen oder Zermörfern des Kaffees. Gr handhabt eine große, eiserne Mörser- keule, die durch ihren schweren Fall zermalmt. Dazu mu- fiziert der Arbeiter stöhnend auf echt arabisch bei jedem Plumps. Hat der Kaffee eine mehlichte Beschaffenheit er- reicht, so wird er durch ein Sieb gebeutelt. Das Sehfel fällt auf einen platten, großen, fein geflochtenen Strohteller; das Ueberbleibsel im Siebe wird in den Mörfer geschüttet, um es aufs neue zu zermalmen. Den letzten Ueberrest be- trachtet der Araber als Auswurf; allein leicht kann man hier übervortheilt werden. Der betrügerische Araber rechnet zu jenem gerne folchen Kaffee, den er noch gar wohl benützen kann. Ein Italiener von meiner Bekanntschaft kauft, um Ei- niges zu ersparen, unzerstoßenen Mokkakaffee. Er bringt ihn in die Werkstätte. Er muß warten; denn fo eben wird für einen andern fchon Daftehenden Kaffee geröstet. Nun geht es an den feinigen. Es faßt das irdene Gefäß und bald der Mörfer den Kaffee, und für die Röstung und 199 Pülverung bezahlt er eine Kleinigkeit. Fein wie Mehl ist der zermörferte Kaffee. Der Baumwollereiniger" und der Schilfdecken- weber. Die Baumwolle wird in der Nähe von Jaffa, aber nicht auf einem Baume, wie das deutsche Wort zu allge- mein fich ausdrückt, obschon es auch Baumwolle gibt, fon- dern an einem wenige Fuß hohen, strauchartigen Gewächse gewonnen. Genug, daß sie gedeiht, und zu den nützlichsten Erzeugniffen des Erdbodens gezählt werden darf. Die Baumwolle beschäftigt manche Hände, bis sie ge- reiniget ist. In einer Werkstätte fetzte. Einer ein größeres Rad mittelt eines Tretfchemels und ein kleineres mit der einen Hand an der Kurbel in Bewegung. Diese zwei Räder trieben zwei Walzen, die nahe über einander und in un- gleicher Richtung liefen. Wird die durchsämte Baumwolle mit der noch freien Hand in die Walzenfuge gehalten, fo erfchnappt diese den wollenen Theil und läßt ihn auf der andern Seite fallen; auf der nähern Seite bleiben die Sa- menkörner zurück. Selbst auf der Neige des Wintermona- tes verrichteten in Ramle das Geschäft der Samenabklapp- fung beinahe nackte Männer. Ich entfernte mich vom Baumwollereiniger, und wollte 200 lieber dem Schilfdeckenweber zuschauen. Der Webstuhl ist sehr niedrig, kaum über einen halben Fuß hoch vom Bo- den, und von Baum zu Baum find als Kette Schnüre an- gestreckt. Abwechselnd stehen zwei Schnüre fich nahe, um einen Zwischenraum von beiläufig drei Zoll offen zu laffen. Der hölzerne Kamm mit so viel Bohrlöchern, als Ketten- schnüre find, hängt nicht, fondern lastet auf den letztern, nachdem die Schnüre durch den Kamm gezogen worden. Da das Gewebe, nämlich die Decke, in der Breite etwa fünf Fuß mißt, fo weben zwei Burschen einträchtig neben einander, ein jeder die Hälfte der Breite, während jedoch der eine allein den Eintrag mit dem Kamme zuschlägt. Beide hocken vor diesem Werkzeuge auf dem Gewebe, und in dem Maße, daß sie weiter weben, rutschen fiel vorwärts, wie unsere Kinder, welche noch nicht gehen können. In der Nähe der Weber liegt der Schilf, bei dem einen unter den Füßen. Behende spalten sie ihn mit dem bereit gehal- tenen Meffer. Das Schilfband ziehen sie mit den drollig davon hüpfenden Händen abwechselnd über und unter zwei Schnüre des Aufzuges durch, auf gleiche Weise das nächste Band, nur gegenüber und fchließend, u. f. f. Von den Schilfbändern werden die Schnüre ebenso umschlungen, wie beim Flechten der Körbe von den Weiden die Stäbchen. Die Burschen weben mit großer Fertigkeit, und haben sie 201 zugewoben, so müssen die Schnüre durchschnitten, und al- lemal die zwei näher stehenden zusammengeknüpft werden, damit sie den Schilf da festhalten, wo er im Weben sich kreuzt. Man macht von den Schilfdecken ungemein viel Gebrauch. unter Zelten, in Häusern und Kirchen deckt er die Erde oder Steine. Der Betende zieht zuerst feine Schuhe aus, und dann wirft er sich in dem Tempel auf einer Schilf- oder Strohdecke nieder. Betet unter freiem Himmel der Mohammetaner, fein Antlitz gegen Mekka gewendet, und hat er gerade eine Schilf- oder Strohdecke bei der Hand, fo breitet er fie, oft unter feinen nackten Füßen, aus. Der wandernde Schiffer und Kinderspiele. Ich konnte zuerst nicht klug werden, als ich etwas er- blickte, das aus Schwarzem herausragte und im Meere herumzappelte. Es war ein bis an die Lenden entblößter Schiffer. Er saß in einem fo kleinen Kahne, daß dieser dem Manne mit ausgestreckten Beinen kümmerlich Platz ge- stattete. Er ruderte mit keinen eigentlichen Rudern, fon- dern mit kleinen Plattschaufeln. Er hielt diese in den Hän- den fest, je eine Schaufel in einer Hand, und platschte da- mit in das Waffer, wie, man wird mir die Vergleichung erlauben, der schwimmende Hund mit den Vorderpfoten. 202 Das Schiffchen fuhr ziemlich schnell von einem größern Schiffe zum andern, von Riff zu Riff, und wenn es in den Grund lief, fo trug der Schiffer es gleich weiter, bis er es wieder flott machen konnte. Um ja Alles auszuplaudern: Ein noch kleineres Schiff chen ließen die Knaben vor dem lateinischen Hospize auf der Gaffenpfütze herumfahren. Ich lobe an diesen Schiffchen, ich darf wohl fagen, die treffliche Eigenschaft, daß es keine Kameelfüße hatte; denn wenn die Buckeligen mit ihren schweren, breiten Füßen durch die große Pfütze trabeten, so ent- stieg dieser ein fehr unangenehmer Geruch bis in meine Zelle. Außer der kindischen Schifffahrt nahm ich bei den Kleinen fonst keine andere Spiele wahr, als eine Art Wett- lauf und das Gleiten auf einer geneigten Fläche, z. B. in dem ein Kind, Kopf voran, sich von einem andern an den Armen herunterschleifen ließ. - - - Spiel der älteren Leute. Die Araber überlaffen sich nicht sehr häufig dem Spiele, Karten trifft man allerdings bei ihnen, allein ziemlich selten. In Kaffeehäusern zu Kairo spielten Araber Schach, aber mit possenhaft plumpen Figuren. - An der kleinen Meeresbucht bei Jaffa fah ich ebenfalls 203 beim Spiele. Morgenländer, welche das Schachbret in den Sand gezeichnet hatten. Eines Tages bemerkte ich am Hafen von Jaffa zwei im Spiele begriffene Soldaten. Schnell trat ich näher. In ein Bret waren vierzehn schalenförmige Vertiefungen ge- arbeitet, wovon je sieben eine Reihe bildeten. Eine ziem- liche Anzahl Ziegelbröckchen legten sie in die mittlern fechs Gruben. Mir wurde der Zusammenhang des Spieles nicht völlig deutlich ; doch fo viel nahm ich wahr, daß aus ei- ner Grube die Steine gehoben und davon einer allemal in eine Vertiefung um die andere gesetzt wurde. Wenn dann der letzte Stein in eine leere Grube fällt oder nicht, so bringt es dem Spielenden Verlust oder Gewinn. Das Spiel ist wohl kein anderes, als das von Niebuhr und Burck- hardt beschriebene Manga l. " - Der eine der spielenden Soldaten war der am Hafen- thore wache haltende Soldat. Mit der linken Hand hielt er das Feuergewehr, und mit der rechten spielte er. Da gesellte sich ein dritter Soldat hinzu. Er hatte nichts Ei- ligeres vor, als feinen Mantel hart am Spielbrete nieder- zuwerfen und, nach Ablegung der Schuhe, fich auf den- selben barfuß zu stellen; denn nach folcher Vorbereitung ver- richten viele Mohammetaner das Gebet. Dieser Soldat mochte im Beten fehen oder hocken, oder auf das Gesicht 204 niederfallen, die Spielenden ließen sich nicht im mindesten stören. … Der Eine lachte unterdessen manchmal mit aller Herzlichkeit, andere Male kicherte er. Es ist eine bemer- kenswerthe Sache, daß, so viele Sprachen auch in der Welt den Tausch der Gedanken und Gefühle vermitteln, dennoch das Lachen, welches vom leisen Schmunzeln bis zum schallenden Gelächter so viele Gemüthszustände aus- drückt, meines Wiffens – allenthalben gleich ist sowohl in Beziehung auf die Beschaffenheit, als auf das Maß der Töne. Das gilt im Wesentlichen auch vom Weinen. Die afrikanischen und asiatischen Kinder können so unharmonisch weinen, wie die unserigen. Die Erscheinung erklärt sich dadurch, daß die Lach- und Weinlaute Naturlaute sind, welchen die Kunst weder Mark abbettelte, noch andichtet. Kehren wir zu den lachenden Spielern zurück. Der Neu- angekommene näherte sich, nach vollendeter Andacht (Af fer), alsogleich dem Spielbrete, und ohne Umständlichkeit schob er einen der Spielenden weg. Jetzt betrachtete ich erst mit mehr Aufmerksamkeit eine große Narbe am Vor- derarme des neuen Spielers, und wirklich glaubte ich die selbe als ein Ordenszeichen kriegerischer Tapferkeit mit sei nem herrischen Benehmen in Einklang bringen zu follen. 205 Meine Lebensart. Meine Lebensart würde nicht jeder Guropäer gepriesen haben. Ich kam in die römische Fastenzeit. Die lateini- fchen Mönche aßen nichts, als Brot, Kräutersuppen, Hül- fenfrüchte, Gemüse, Fische, Oelbeeren u. dgl. Zudem dürfen diese Speisen nicht mit Butter oder Schmalz, fon- dern fiel müffen mit Oel abgekocht werden. Das wäre al- lerdings eine engherzige und harte Vorschrift für Bewoh- ner von Ländern, wo das Oelfelten und theuer, die Butter hingegen im Ueberfluffe und zu wohlfeilem Preife zu ha- ben ist. Uebrigens wird von Kundigen die Thatsache nicht bestritten, daß das Pflanzenfett weniger reizende Gigen- fchaften besitzt, als das Thierfett, wie : die Butter. Die magere oder Fastenkoft (il magro) eignet fich, beim Lichte betrachtet, in der That, die finnlichen, d. h., die thierischen Gelüste des Menschen abzutödten, mithin die Weltüberwindung eher in den Kreis der Möglichkeit herein- zuziehen. Wundern muß man aber fich, daß der gemeine Genuß des Weins, welchen die strengste Diät, wie die mohammetanische Rechtgläubigkeit verbietet, und welcher schon fo manche Sünde veranlaßte, im römischen Fastenspeisezettel einen Platz behauptet. Gibt man nun auch zu, daß man mit dem Fasten 206 den Zweck der Weltüberwindung näher oder minder nahe erstrebt, so darf man darum auf der andern Seite das Nachtheilige nicht verschweigen, daß es hier und da den Zunder zu Krankheiten legt, nicht bloß, wenn auch vor- züglich bei den Griechen, wie wir fchon oben in Gaza ver- nommen haben, fondern auch bei den Lateinern. Da ich von einer Unpäßlichkeit immer nicht hergestellt ward, fo unterwarf ich meine Ernährungsweise der ernste- sten Prüfung, deren Ergebniß war, daß ich anfing, die ursache meiner Nichtwiedergenesung in der Fastenspeise zu suchen. Ich fann auf Abhilfe der magern Kof. Auf meine der Gesundheit geltenden Gründe erlaubte mir der Pater Superior mit aller Bereitwilligkeit, was ich wollte; bloß eine Kleinigkeit fehlte, nämlich der Koch vollführte nicht. Ich wünschte unter Anderem Milch. Ich wendete mich deswegen an den Pater Superior, an den Koch, an den Konsul Damiani, an den Schulmeister der Maroniten, an einen Italiener, dem ich empfohlen war, und der sie täglich trank, - ich goß nur Waffer ins Meer. Schienen die Einen vergeßlich zu fein, fo war die Ver- geßlichkeit in der That eine milde und tröstliche im Ge- genhalte derjenigen des Kaisers Klaudius, der Viele dem Tode überlieferte und einen Tag nach der Hinrichtung sie wieder zu Tische und zum Spiele einlud. 207 Zwei Tage aß ich freiwillig nichts, als Brot und im Waffer gekochten Reiß, ohne Oel, ohne Butter, ohne Salz, kurz, ohne eine Zugabe; Waffer diente als Ge- tränke. Beforgt endlich für meine bevorstehende Seereise bei dieser entkräftenden Nahrung, ging ich zu Markte, ver- schaffte mir ein Huhn, und fo wurde mir nach Belieben ge- kocht. Ueberdies kaufte ich Butter und Honig, – und Brot, Butter und Honig auf einander fchmeckten mir eben fo köstlich, als einst auf den Kindsbeinen, wenn ich diesen Leckerbissen aus der freigebigen Hand meiner alten Groß- mutter empfing. Indeffen würde man fich um die jafanische Butter, neben der vorarlbergischen und schweizerischen in der Gebirgsge- gend, schwerlich reißen. Wer leicht Ekel empfindet, ift fie nicht. Sie fieht schmutzig aus, und die Haare find in solcher Menge in sie geflochten, als wäre es mit Fleiß ge- fchehen, damit fiel nicht von einander falle. Deffen ungeach- tet schmeckt die Butter nicht übel, einzig etwas fäuerlich, keineswegs aber ranzicht. Sie wird auf dem Markte feil geboten. Gin Verkäufer hatte einen hohen, unordentlich gekneteten Haufen auf dem Teller. Zum Zeichen meiner Kauflust streckte ich ihm einen Piafter dar. Gleich ergriff er die kupferne Schalenwage, krabbelte mit den ausgebrei- teten Fingern flink von der Butter, wog ab und ich be- 208 kam, nackt von Hand zu Hand, mehr, als ich erwartet. Ich vergeffe nicht, beizufügen, daß der Verkäufer ein Mo- hammetaner war. Wäre er ein morgenländischer Christ ge: wesen, ich würde wahrscheinlich minder erhalten haben. Ich muß dieser Vermuthung an der Fackel einer neuen That- fache leuchten. Beim Ginkaufe des Mundvorraths fah ich mich um Zwieback um. Der käufliche aus Zypern ist sehr gut : kleine, runde, etwa zwei Daumen dicke Brote, oben mit fünf Punktierungen. In einer Bude, in die ich zufält lig trat, machte man das Anerbieten, mir sogleich Zwieback zu holen. Die Leute in der Bude benahmen sich mit so vieler Artigkeit, daß sie mir Zutrauen einflößten; sie bei zeugten auch Freude darüber, daß ich ein Christ, und zwar kein griechischer sei. Sie forderten für eine Ocke drei Pi- after. Wirklich kaufte ich sieben Ocken. Nach dem Kauf fragte ich gelegentlich vor den mohammetanischen Buden Keiner verlangte mehr, als dritte halb Piafter Der Abendländer erzählt mit Schmerz eine solche Thatsache, die einen so auffallenden Unterschied zwischen Christen und Moslim herausstellt. Honig findet man in einigen Buden. Man bewahrt ihn in einem enghälsigen Kruge, schöpft ihn mit einem hölzer- nen Löffel, und wägt ihn auf der Schalenwage. Zuerst, um eines kleinen Versuches willen, legte ich ein Kohlblatt 209 auf meine Hand, und begehrte für wenige Kreuzer. Ein Mohammetaner wies mich ab. Gin Anderer weigerte sich Anfangs, später aber deutete er mir, daß ich, weil ich mit keinem Gefäße versehen war, die Hand recht hohl ma- chen solle. Als in der Folge für sieben bis acht Kreuzer (R V.) eine Achtelsmaß (ein halber Schoppen) Honig in mein Trinkglas gewogen wurde, konnte ich mir leicht er- klären, warum der erste Mohammetaner an mich keinen ver- kaufen wollte; denn für das Geldstück, das ich ihm zeigte, würde mir mehr gehört haben, als ich hätte versorgen kön- nen. Der Honig, wenn auch ein wenig trübe, schmeckt gut. Ich lese die Bibel. Was mir ein hohes Vergnügen gewährte, war das Le- fen in der Bibel, während ich eben auf dem Schauplatze fand, worauf dieselbe fo oft führt; denn Joppe ward zu Judäa gezählt. Die Patres gaben mir eine Vulgata ohne irgend einen Anstand. Ich würde zwar Luthers ausge- zeichneter, kraftdeutschen Uebersetzung den Vorzug eingeräumt haben; allein eine folche war nicht aufzubringen, und unter den lateinischen Uebersetzungen verdient die Vulgata gewiß eine Ghrenstelle. Das Latein des ehrwürdigen Hierony- mus erhebt sich weit über das Mittelmäßige. Das alte Testament enthält einen so großen Reichthum 210 an Eigenthümlichem aus dem Leben der Israeliten, daß es ein wahres jüdisches Volksbuch ist. Es überrascht ins- besondere mit der Schilderung von Sitten und Gebräuchen. Hier, wo ich als Reisender die Aufgabe, diejenigen der heutigen Ginwohner im alten Lande der Juden zu beobach- ten, nach Maßgabe meiner Zeit und Kräfte löste, fühlte ich in mir gleichsam einen Drang, zwischen der Vergan- genheit und der Gegenwart. Vergleichungen anzustellen, wo- für mir der füße Lohn zu Theil ward, in der Bibel so treuen Zeichnungen zu begegnen. Ein Pater sagt, ich werde des Teufels. Der Umstand, daß ich nicht in die Meffe ging, schien die fechs Mönche, welche das Hospizbewohnen, unangenehm zu berühren. Die Stimmung derselben war mir bald nicht mehr zweifelhaft. Es fragte mich nämlich eines Mittags der Koch, Frater Gmanuel, ob ich die Meffe angehört hätte. Ich antwortete: Nein. Der Eifer wimmelte in feinen Händen, und ich merkte ihm an, daß er es darauf anlegen wollte, mich recht auszuholen. Ich fertigte ihn kurz mit den Worten ab, daß ich nur auf lateinisch in religiöse Ge- genstände mich tiefer einlassen würde. Im Nu fähritt der Pfarrer (padre curato) mit zwei Mönchen daher. Der Meinungskampf begann in der Kir- 211 chensprache der Katholiken. Jener stolperte unglücklich ge- nug über feine lateinischen Fehlbrocken. Um aber doch fei- nen Worten einen falbungsvollen Nachdruck zu verleihen, schlug er mit der Faust auf dem Tische den Takt, und glühender Eifer rollte eine Augen. Der ganze Rüstzeug von Verstand und Vernunft würde dem Menschen wahrlich wenig mehr nützen, wenn das Gepolter einer Faust Beweiskraft hätte. Der Pfarrer trieb sich auf dem Boden der faden Je- fuitenlogik herum, und ich merkte, daß mit ihm kein Satz ordentlich durchzuführen sei. Ich erklärte geradezu, daß ich mich zum Protestantismus bekenne. Auf diese Er- klärung fuchte man mir den bekannten Satz ins Herz zu prägen, daß einzig und allein die römisch-katholische Kirche felig mache; ich fei verdammt, hieß es, und laut rief ein Mönch mit einem buntscheckigen Barte, daß ich in die Hölle fahren werde *). Ich fei mit meinem religiösen Schatze zufrieden, erwiederte ich; ich wolle den Frieden meiner Seele wahren; ich könne glatterdings nicht bekehrt werden. So- fort erloschen die Flammen der Patres, und ich wurde nim- mermehr mit derlei Zwifen gequält. - *) Diese Männer Gottes verdammen wahrscheinlich nach der Lehre der Schrift: Nolite judicare, ut non judicemini (Urtheilet nicht, damit ihr nicht beurtheilet werdet . 212 Ich warne, aus dieser einzelnen Vorfallenheit allgemeine Sätze herauszufolgern. Die Patres haben höhern Auftrag, ihren Glauben zu verbreiten, und der Bekehrungsversuch darf wohl nicht befremden. Ich meine fogar, daß mein Tagebuch dadurch eher gewonnen, als verloren habe. Wie die Gleißnerei im Namen der heiligen Reli- gion einen Unfchuldigen prügelt; laue Konsulats - und Mönchspolizei. Der Franzose,. einer meiner Wegweiser in Jerusalem, machte eines Abends in feiner Trunkenheit nicht wenig Spektakel in und vor meiner Zelle. Weil mit einem Be- rauschten nichts anzufangen war, fo flieg ich hinunter zum Pater Superior. Mir nach eilte der Franzose bis zur Kirche, worin die Mönche beteten. Dies hinderte je- doch den Zornentbrannten nicht, vor der geweihten Stätte fo ungestüm zu lärmen, daß jene die Kirchenthüre zuschlos- fen. Und sich nicht begnügend mit bloßem Lärmen, schlug er mich mit der Hand und versetzte mir mit feinen Reit- stiefeln einen Fußtritt. Gegen die Ueberfälle vertheidigte ich mich mit genauer Noth, in der Ueberzeugung, daß eine ernste Gegenwehr mit Händen und eine kräftige Ver- theidigung mit Worten Anlaß darböten, einer falschen An- klage Gewicht zu geben, und mich nicht minder zu be- schuldigen, als den Angreifenden. Eben drohte der Fran- 213 zose mit dem Meffer, als endlich die Patres herzutraten, denselben beschwichtigten und mir beistanden. Der Pater Superior mußte wohl einsehen, daß unser von den Mönchs- zellen ziemlich gesondertes Wohnen zur Seite hoch oben in den Pilgerkämmerlein den Unfrieden allzu fehr begünstigen würde. Er befahl Trennung; da ich aber mein Gepäcke holen wollte, spektakelte der Franzofe von neuem auf dem Dache, und hob, unter Drohungen gegen mich, einen Stein. Indeß hatte das rohe Benehmen die gute Folge, daß ich neben den Patres eine weit bessere Zelle be- kam. Tages darauf war es mein erstes Geschäft, den Schutz des österreichischen Konsuls anzuflehen. Diesen Vorfall zu- erft tief bedauernd, äußerte er fich dann, daß er nicht ein- schreiten könne, und daß ich mich mit den Worten zufrie- den geben sollte: Questo è finito (die Sache ist abge- than), indem wir einander die Hand reichen und umarmen würden. Hiezu konnte ich mich deswegen um fo weniger verstehen, weil der eben anwesende Franzose feine im Rausche ausgestoßenen Beschimpfungen jetzt im nüchternen Zustande wiederholte, und weil er noch aus dem Grunde Recht haben wollte, daß ich kein Chrift fei. Mit dieser Gleißnerei hat er auch die Mönche zu berücken gesucht, Der Pater Superior bemerkte inzwifchen ganz 214 wohl, daß Schimpfen und Schlagen von feiner (des Franzofen) Seite nimmer angehe, welcher Religion ich auch zugethan fein möge. Ich ver: langte beim Konsulate förmliche Genugthuung und Sicher heitserklärung, die ich denn auch mit Zähigkeit erhielt. - Der Konsul fcheint dasjenige zu glauben, was der erste ihm vormalt. Die Dreieinigkeit theilte er ein in Gott, als Oberften, in unsere liebe Frau (Madonna) und in Jesus Christus. War der Konsul fich der Zeitfolge bewußt, fo foll vor der Hand keine Ginwendung geschehen, beson- ders dann, wenn er, ein öfterer Fall, in gewisser irdischer Begeisterung sprach. Der Konsul erregte erst meinen grº ßen Unwillen gegen ihn, als hart neben feinen Ohren ein Mann mir erzählte, daß der Franzose den Vater desselben am gleichen Abende mit Stockschlägen mißhandeln wollte, Still, still, lispelte der etwas verlegene Konsul, welcher die Sache zu vertuschen fuchte, und als er sie nicht mehr leug nen konnte, beschönigte er den Franzosen damit, daß die: fer, in der Wuth über mich, auch einen andern Handel an gesponnen habe. Es war erdichtet; denn das Hospiz wird gleich nach Einbruch der Nacht gesperrt, in welcher ich um ter die unsanften Hände gerathen bin. Viel vermag für wahr bei einem Morgenländer die glatte Zunge und die rothen, unten mit Leder überschlagenen Reitknechthofen es 215 nes Franzosen, solche mit einer weiter gediehenen Bildung natürlich unzertrennliche herrliche Erscheinungen des Abend- landes. Doch die Sicherheitserklärung ist da nur Schein, wo man straflos fähimpfen und fchlagen darf. Mit persönlicher Sicherheit wanderte ich bisher unter der arabischen Polizei, aber nicht unter der fränkischen. Im Unwillen über die Lauheit oder Machtlosigkeit des Konsuls, welcher österreichi- fcher und französischer zugleich ist, entschlüpften mir einige Worte, welche den Mann fachelten und in etwelche Be- stürzung brachten. Vater und Sohn, welcher letztere ei- gentlich die Konsulatsgeschäfte besorgt, arbeiteten von nun an, in Verbindung mit dem Superior, angelegentlich an der Herstellung des Friedens. Im Zimmer des Paters bat der Franzose kniefällig ab, und, die Hand auf ein Buch haltend, fchwor er bei einem Heiligenbilde und legte das Handgelübde ab, daß er mir nie etwas Leides zufügen wolle. Diese plötzliche Demuth des Kerls mußte mich neu- erdings mißtrauisch machen. In einer solchen Lage war kaum ein anderer, ehren- hafter Gntschluß mehr möglich, als der, die Abreise nach Beirut in Gesellschaft des Franzosen auf das bestimmteste abzulehnen. Einem Menschen, der sich mehr, als viermal treulos zeigte, darf man nicht trauen. Mein Entschluß 216 wurde noch dadurch befestigt, daß der Vater des Rais, mit welchem wir nach Beirut übersetzen sollten, und der kein fränkisches Wort verstand, in Gegenwart des Konfuls für die Ueberfahrt zweimal mehr forderte, als man gewöhnlich bezahlt. Ich glaubte die Falle zu erken: nen. Wahrscheinlich war verabredet, die Ueberfahrtskosten für den Franzosen und Deutschen auf mich zu wälzen. Im mer lebhafter überzeugte ich mich, daß es hohe Zeit sei, diese zwei befizlosen Leute, die wahrsten Abenteurer auf Erden, vom Halse zu schütteln. Nach einem siebentägigen Aufenthalte in Jaffa begaben fiel sich an Bord. Wie find doch die Verhältnifie so eigenartig, welche die Furchen der Stirne auszuebnen vermögen ? Unter an dern Umständen wäre das längere Warten auf eine Reise- gelegenheit für mich eine Pein gewesen, während ich es unter diesen leicht erträglich fand. Ich miethete mich in eine Bombarda des Hauptmanns Kiriako Bagfino, eines Hydrioten, bis in die Nähe (fechs Stunden) von Smyrna. Das Schiff war nach Konstantinopel bestimmt; ich glaubte aber den Weg nach Smyrna wählen zu müf fen, weil ich eine kleine Geldanweisung für den Noth- fall an das Haus Sturzenegger und Prälat in Smyrna bei mir hatte. Das größere Kreditschreiben laut tete auf den österreichischen Konsul in Beirut, Herrn Lau- 217 rella, bei welchem das Geld wirklich bereit lag, ohne daß ich es der angeführten Verumfändigungen wegen wirk- lich bezog. Der Konsul Damiani; mein Besuch in feinem Haufe. Nach der Ankunft in Jaffa flieg ich beim Herrn Kon- ful Damiani ab. Heute noch trägt er im morgenländi- fchen Gewande den Militärhut aus den Zeiten Napole- ons. Der Hut geht zur morgenländischen Tracht gerade fo gut, als zur europäischen; denn das häßlichste Klei- dungsstück, das man erdenken konnte, steht nirgends gut. Der ehrwürdig aussehende Greis nahm mich freundlich auf. Sein Sohn geleitete mich fogleich in eine Zelle des Gastgebäudes (ospizio della Terra Santa). Ich fah den Konsul bisher nur in feinem Waarenlager am Kai, gleich neben dem armenischen Kloster. Ich wurde von Andern in fein Haus geführt, ohne daß ich den Be- fuch beabsichtigte. Täusche man sich nicht über die Woh- nung des Konsuls. Sie ist sehr unansehnlich, fo daß un- fere Bauern in fchönern Häusern wohnen. Der Konsul faß unten im Hofe. Den Hut vertrat diesmal eine abgeblichen rothe Mütze, und um den Kopf über die Ohren war ein Tuch gebunden; denn die Zähne litten Schmerzen. Man - Tobler, Morgenland. II. 10 218 prangt immer mit der Weltweisheit, man verehrt die Seele als das Ewigwährende am Menschen, man fähmäht auf den vergänglichen Staub des Körpers, man lehrt Verach- tung der Kleiderpracht, und doch vermag man nur mit Mühe den widerlichen Gindruck zu besiegen, den man beim Anblick einer mit häßlichen Kleidern bedeckten, höher ge- stellten Person empfängt, selbst wenn noch so hoch deren Seelenadel emporflackerte. Hätte ich nicht schon gewußt, daß Damiani Konful wäre, ich würde ihn schwerlich beachtet haben. Er pflegte font feinen langen, grauen Schnurrbart hinauszustreichen und zu zwirnen. Diesmal ließ er ihn fein in Ruhe, weil er überzeugt sein durfte, daß zwischen dem unreinen Tuche um dem Kopfe keine Hof- fahrt mehr möglich fei. Nicht die köstlichsten Treppen leiteten hinauf ins Gaf- zimmer. Darin hing eben die Wäsche an zwei Reihen von der Linne herab. Der Christ beging feinen Sonntag und die Wäsche deswillen doch keinen Fehler, weil–das Trok- kenwerden keine Hände erfordert. Zuerst wurde ich im Zimmer. Niemand gewahr; bald dann erschien der Sohn des Konsuls hinter der Wäsche, fo ganztheatermäßig, wie der Schauspieler hinter der Blendewand. Nach den theil- weise erzählten Vorgängen durfte ich auf keine andere, als auf eine kalte Aufnahme rechnen. Nach der Begrüßung 219 fetzte sich der junge Mann wieder auf den Strohteppich, von Papier und Siebenfachen umgeben, die alle kreuz und auer durch einander lagen, wie ein Neft voll junger Ka- ninchen. Gs wurde durch einen fchwarzen Sklaven mit Ta- bak und Kaffee aufgewartet. Mehr, als dies interessierte mich die Ausstattung des Zimmers mit Hausgeräthen. Fratzen aus Europa, z. B. Gipsfiguren, fchämten sich vor reich gefickten morgenländischen Gewändern. Um das christliche Europa noch feierlicher herüberzubeschwören, fand an einem Orte der ans Kreuz genagelte Christus. Der Sohn war nicht wenig bemüht, mit den Schätzen des Hauses die Be- wunderung des Zuschauers zu erwecken. Es wurde angeb- lich ein Gegengift in Form eines Steines, das Horn einer Schlange, Alterthümer, ein massiver Klumpen Silber u. ff. vorgewiesen. Ich wurde dabei, zu meinem Leidwesen, nicht im mindesten gerührt. Dem gutmüthigen und gesprächigen Konsul, der schon eine hohe Stufe des Alters erklommen hat, horchte ich mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Freilich sichern nicht gerade die Jahre, nicht die Silberlocken (die im Morgenlande dem Barbier und Turban gehören), nicht der höhere Rang, nicht die größere Macht als Familienhaupt dem Greife Aufmerksamkeit und Liebe, Ehrfurcht und Vertrauen, fon- dern die reichern und reifern Kenntniffe und Erfahrungen, 220 die weisen Sprüche und Warnungen, ja die lebendige Ge- fchichte eines Menschenalters, die er auf der Zunge herum- trägt. Damiani erzählte eine breite Historia von einem Mylord, und als ich gelegentlich die Bemerkung einwob, daß im Abendlande. Manche nicht rauchen, daß hier da- gegen das Rauchen den Hauptgenuß verschaffe, fo erwie- derte er: In Jerusalem ist es wieder anders; dort schnupfen fiel mehr; schon kleine Dingerchen (er deutete die Höhe mit der Hand) fangen das Schnupfen an. Es war ein Wunder, daß der Herr Sohn nicht immer in unser Gespräch einfiel. Sonst kann er fich des Plauderns mitten hinein fo wenig enthalten, als hin und wieder eine mit seltenen Rednertalenten begabte Jungfer Köchin, wenn man mit dem geistlichen Herrn ein paar Worte reden möchte. Mein Besuch währte länger, als dem Konsularschutz angemeffen war, und wie ich mich vom Sitze erhob, im Begriffe, zur Thüre hinauszugehen, duckte ich mich recht höflich, um nicht an der Wäsche anzustreifen, die ich, den Spuren ihrer irdischen Vergänglichkeit zum Trotz, wegen der Schönnähtereien bereits angestaunt hatte. Ich besuchte schon früher den griechischen Konsul. Der ist ganz nach europäischem Geschmacke gekleidet, dazu sehr gewandt und gefällig. Die abendländische Kleidung flößt 221 dermalen hier zu Lande Achtung ein. Der Konsul kre- denzte mir Punsch. Ich lächelte über mein gutes Europa, dem in manchen Dingen mehr Ehre widerfährt, als es ver- dient. Gichte Bildung ist dort keineswegs so heimisch, wie man gemeiniglich glaubt. Bei Vielen beschränkt fie fich darauf, nach der Mode fich zu kleiden, die Kompli- mente gehörig zu fchneiden, die Formeln der Begrüßung und Unterhaltung fich geläufig eingetrichtert zu haben, über Konzerte, Theater und Dichter ein wenig zu plaudern, wo nicht französisch zu sprechen, doch die Kinder oder Ver- wandten, das Möpschen, einige Geräthschaften, Klei- dungsstücke, Speisen oder Getränke französisch zu nennen, wenn man nicht gerne einen Besuch annimmt, zu Hause zu fagen, daß man nicht zu Hause fei, oder auf dem Gipfel der Gesundheit zu erklären, daß man sich unwohl be- finde, etwa zu einer Zither zu fingen, niedlich zu spielen und zu tanzen u. dgl. Ich bitte um Vergebung. Diese Toilette – serviteur – souffleur – charade – Jeannette – mièce –joli – secrétaire – corsette – côtelette-liqueur- excuse – guittare – dames – &cossaise - Bildung, wenig- fens ein fehrhonnetes Wort, klingt doch allerlieblichst ins Ohr. Auch die Ruffen haben einen Konsul, in der Person eines Griechen. An den Festtagen wehen die Flaggen der verschiedenen Konsuln ganz zierlich über Jaffa, und fo 222 stolz, als wären hier die Christen Meister. –– ich fand die Festtage über an diesen Flaggen doch Freude. Vorbereitung zur Abreise. In Jaffa hatte ich zwei Stunden früher Tag, als die Leute in meiner Heimath. Ich saß oft am hellen Morgen mit der Feder am Tische, indes fiel im finstern Zimmer – zweifelsohne fchliefen. Ungeachtet dieses heitern Glückes wollte ich nicht länger im alten Kanaan weilen; ich fehnte mich immer heißer nach – der Morgennacht meines Va- terlandes. - Es war nun meine Abreise gewiß. Man zimmerte, freilich erz langsam, mehr und mehr sturmbeschädigte Kähne zu recht, um die Befrachtung unseres Schiffes zu fördern. O freudige Aussicht für mich, der ich länger, denn fünf Wochen auf günstige Witterung für die Abfahrt hoffte und harrte. Wiewohl in Jaffa, Kaifa, Akre, Said und Bei rut achtzehn Schiffe durch den letzten Sturm losgeriffen oder zerschmettert wurden, so bemächtigte sich dennoch meiner nicht die mindeste Bedenklichkeit, dem Winde und Waffer mich anzuvertrauen. Mein Hauptmann hatte ja fein Schiff gerettet, und wie hätte ich zu ihm nicht Zu- versicht faffen sollen. Auch rechnet heiße Sehnsucht nicht mit dem Griffel der Aengstlichkeit. 223 Ohne Zahlung zu leisten, konnte und wollte ich billiger- weife nicht abreisen. Ich darf versichern, daß die Patres nichts weniger, als unfreundlich wurden, fo oft sich mein Geldbeutel öffnete. Ich hielt für gerathener, kurze Zeit nach meiner Ankunft mich mit denselben zum Voraus über Kost und Wohnung förmlich einzuverstehen. Die Zahlung dafür war, nach der Versicherung Damianis, ziemlich fark; ich habe indeß keine Ursache zur Unzufriedenheit. Es mag aber vielleicht befremden, daß noch Keiner mit größe- rer Strenge meine Goldstücke untersuchte und erlas, als der Präsident (Pater Superior) Martin; fast alle von ihm ausgeworfene Stücke brachte ich an, die einen vollzählig, die wenigen mit fehr geringem Verlust. Mehr noch stutzte ich, als nach der Räumung meiner Zelle, gleich vor der Abreise, der Superior mit dem langfädenen Kohlenbarte sogleich spähend in dieselbetrat, vielleicht in Kraft des von ihm unter dem 11. Jen- ner mir ausgestellten Zeugniffes, „daß ich musterhaft gelebt habe.“ Ich erwähne folches nicht, um meinem Herzen gegen Ordensleute, als folche, Luft zu machen. Ich liefere nach- gerade den fchlagendsten Beweis dadurch, daß ich. Alles nachtragen werde, was ich von den Patres Rühmliches weiß. Ich fetze dabei voraus, daß man die Vorurtheile, welche die Spanier in ihrem Vaterlande einsaugen, kenne, und daß man Niemanden ein gewisses Mißtrauen gegen die 224 Franken im Allgemeinen verübele, weil durchschnittlich lockere Abendländer vom Schlage der Glücksritter in Sy- rien sich herumtummeln. Der Deutsche, defen ich oben gedachte, wurde weit schlimmer behandelt, als ich, ob er gleich sich für einen guten Katholiken ausgab, und die Meffe alle Tage barfuß anhörte. Er bewohnte ein schlechtes Zim- mer, welches dem Winde und Regen nicht ganz zu weh- ren vermochte. Seine Bettdecke war feucht und fähmutzig. Es ist der Welt. Brauch, die Leute so zu empfangen, wie fie entgegenkommen. Auch reichte man ihm schlechtere Nah- rung, als mir. Diese Behandlung wirft zwar allerdings im Grunde kein vortheilhaftes Licht auf die Patres; allein es erhellt daraus, doch das Günstige, daß dieselben hier gar keinen Unter- schied der Glaubensbekenntniffe berücksichtigten. Ueberdies legte man mir feit dem oben berührten Strauße nicht das geringste Hinderniß in den Weg. Als ich mich, zum Zei- chen, daß ich den Sonntag der Christen ehre, gegen den Pater Superior äußerte, ich wolle während der Meffe mich in die Kirche begeben, erwiederte er: Thun Sie, was Sie wollen. Mit dem Frater Emanuel lustwandelte ich nach jenem Wortwechsel mehr, als einmal, und half ihm für unsere Küche Spargeln suchen, die in der Umgegend von Jaffa wild wachsen. Ich kann zum Ueberfluffe beifügen, daß die Ordensmänner fehr viel Zeit mit Beten hinbringen 225 und, so viel ich bemerkte, ein durchaus fittliches, eingezo- genes Leben führen. Den Reisepaß holte ich, ohne ihn unterschreiben zu laf- fen. Von einem Konsulate, das mich nicht schützen konnte, wollte ich keine Unterschrift. Mit dem Schiffshauptmanne war die Uebereinkunft ge- troffen, daß ich die Lebensmittel felbst mir anschaffen müffe. Ich kaufte einen Vorrath von Aquavit, Kaffee, Zwieback, Reis, Zucker, Zitronen, Pomeranzen, Fleisch, Hühnern und Durra, letzteren zur Fütterung dieser Hausthiere. Schon aber im Hospiz aß ich wegen der schmalen Fasten- brocken oft vom Zwieback. Weil der Hauptmann auf Ein- fchiffung drang, fo übertrug ich den Ankauf von Hühnern einem fränkischen Knaben, welchen ich dazu mit dem nö- thigen Gelde versah. Er kehrte nicht wieder, und ich mußte felber zu Markte gehen. Auf dem Rückwege erwischte ich den losen Jungen in der lateinisch - maronitischen Schule; meine Piafter waren unter den Aermeln verborgen. Fast zu oberst am Kai besitzt die Stadt das einzige Schenkhaus, wo man Aquavit, Wein und kalte Speisen bekommen kann. 226 Nach Rhodos. Griechische Stille; das Meer rafet; Reiseerfahrungen; das herrliche Zypern; der Taurus; der Spiegel meiner Reisegefährten; Wolken von Weihrauch; der griechische Fasttag war für mich ein Fetttag; der griechische Koch; im östlichen Hafen der Koloffer vor Anker gegangen. Dinstags den 12. Jenner 1836. Abends beim Ginbruche der Nacht kam der Hauptmann Bagfino an Bord. Die Schaluppe wurde schnell eing- hoben, die Anker gelichtet, die Segel ausgespannt – Alles mit so wenig Kommandieren und Geräusche, daß der ita- lienische Lärm einen grellen Gegensatz zu dieser griechischen Stille bildete. Heftig brauste der Nordwind. D e n 13. Seit vor San Pietro di Nembo das Meer mit mir Schmollis machte, könnte ich es dann und wann ordentlich liebherzen. Ich betrachtete die rauschenden Wogen als laut ter scherzende Kinder, welche nur daseien, um den Gries- gram des Alters zu verscheuchen. Die Natur meint es gar nicht so böse, wie man oft ihr wildes Aeußeres mißdeutet. Uebri- gens tobte in der Nacht gewaltiger Sturm. Wäre man Rahm gewesen, man würde ohnfehlbar bis morgen Butter geworden fein. ') - 227 Allerdings muß man auch das Reisen lernen. Anfangs war ich gar linkisch. Auf der Fahrt von Alexandrien nach Bulak verwahrte ich den Reis fo schlecht, daß dieser, viel- leicht aus langer Weile, zu dem darunter liegenden Holze hinabspazierte. Der Kaffee wußte aus dem Papiere Aus- - wege zu finden. Auf der Reise von Kairo nach Gl-Arysch sorgte ich so nachläffg für den Zucker, daß ich ihn fchaben mußte, bevor er zum Gebrauche sich eignete. Der Rhum floß zur Hälfte weg, weil ich die Flasche fchlecht verstopft hatte. Durch Schaden gewitziget, verwahrte ich nun ein- mal meine Lebensmittel mit besonderer Sorgfalt. Ich mußte aber auch darüber wachen, daß nichts davon entwendet werde; denn man weiß, daß sich in manchen Menschen die wunderliche Begierde regt, mehr zu nehmen, als ihnen ge- hört. Ich stellte den Mundbedarf in meine Nähe. Da langte einmal in der Nacht ein knöpfiger Arm in meinen Brotkorb. Ich ergriff und erkannte ihn. Nur ein Reise- gefährte, ein Maure, trug Aermel mit Knöpfen. Ich wurde gerade zur rechten Zeit erinnert, wie ich mich gegen ihn verhalten müffe. Kaum aber war der fremde Arm aus dem Brotkorbe entwichen, so wurde dieser von einer Welle geneckt, weswegen ich ihn alles Ernstes in die Sicherheit flüchtete. - - Das Meer hat mir Ibrahim, Ali, Manfur, 228 Mustafa und all' die Namen der Moslim verrauscht, die ich auf Gaffen und Wegen fo oft hörte. Anders tönt es jetzt in meinen Ohren; im Schiffe gilt es dem Mitri oder Dimitri (Demetrius), Kiriako (Ciriacus) u. f. f. Ach, beurkundeten christliche Namen nur immer christlichen Sinn. Mittags wurde mir eine Suppe mit rothem, lebendigem Gewürze vorgesetzt. Auf der Reise ißt man, und man murmelt höchstens mit faurer Miene einige für den Koch unvortheilhafte Bemerkungen. Den 14. Nie werde ich das herrliche Schauspiel vergeffen. Wir lagen auf der Höhe der Insel Zypern. Hoch streckte der beschneite H. Kreuzberg (monte di Santa Croce, der Olymp der Alten) sein Haupt empor. Diese schweizerische Gebirgswelt wühlte in mir beinahe das Heimweh herauf. Den Tag über erfreute mich das beste Befinden; bloß ge- stern fühlte ich ein wenig Unbehagen im Kopfe wegen der fark bewegten See. Den 15. Ich fah einen Küstenstrich von Karamanien. Veränder- licher Wind und Wetter trübten hin und wieder meine gute Laune. 229 Den 16. Wir fegelten einem Vorsprunge des Taurusgebirges, dem Kap Chelidonium, nahe, und verloren die Küste von Klein- afien nie aus den Augen. Die Fahrt ist von nun an mehr derjenigen auf einem Landsee zu vergleichen. Schon find wir von Jaffa gegen den Nordpol vier Grade vorgerückt, und man konnte auch wirklich einige klimatische Verschieden- heit wahrnehmen. Sonntags den 17. Wir fegelten vorüber an Castelori und andern Ortschaft ten von Natolien. Vor dem nahen, hohen Gebirge der alten Lykier träumte ich mich auf einige Stellen des Vier- waldstätter-Sees in der Schweiz, so ähnlich war der Aus- blick. Die Fahrt gewährt in der That recht viel Unterhal- tung. Die Umriffe der schweizerischen, wie dieser Berge find mit ausnehmender Kühnheit gezeichnet. Wir bewun- dern einen folchen Zug auch an Kunstwerken, – wie ei- nen vorhängenden Fels, fo den Thurm von Pisa. Hinge- gen find die Berge um Jerusalem träge Maffen, Kegel oder Halbkugeln, gleichsam nur gut zum Faulenzen für das Auge. Ein frischer Wind jagte uns fomuthig vorwärts, daß wir schon vor der Mitte des Tages im pamphylischen Meere ein Korn, Rhodos, erblickten, und bis zum Eintritte 230 der Nacht steuerten wir diesem Eilande ziemlich nahe. Ein Berg hatte eben einen Wolkenhut auf, als die Sonne un- terging. - Ich halte nun einen Augenblick an, um meine Reisege- fellschaft zu zergliedern. Ein Engländer und ein Grieche, ein Maure und ein Jude, so wie ein griechischer, fähiffbrüchi- ger Hauptmann und feine Matrosen, das waren meine Rei- fegefährten. Der Engländer, ein Geistlicher, besaß einen edeln, gutmüthigen Karakter. Ich schätzte mich glücklich, in Jaffa feine Bekanntschaft zu machen, wo er bei dem eng- lischen Konsul, einem Morgenländer, einkehrte, allein die morgenländische Kräuter- und Hühnerküche nicht besonders rühmte. Das Französische sprach er als guter English- man. Wenn er in der fremden Sprache redete, war mit ihm fo schwer nachzukommen, als mit einer schlechten Tän- zerin. Ich erzähle von ihm zwei echt britische Züge. Er wanderte durch die Wüste bis in die Nähe von El-Arysch. Jetzt vernahm er, daß er der Quarantäne sich unterwerfen müffe. Alsbald entschloß er sich zum Rückfluge nach Kairo, um über Alexandrien und Beirut nach Jerusalem zu rei- fen. Ein paar Male des Morgens rief ich den Geistlichen, wenn sich ein merkwürdiges Schauspiel darbot. Gr hatte die Artigkeit, zu antworten, und seine Nichttheilnahme 231 damit zu entschuldigen, daß es bei ihm Gesetz fei, in der Frühe fo und fo lange zu lesen oder zu fchreiben. Die Gottheit hat dem Menschen ein bestimmt abgegrenztes Gebiet angewiesen, worüber er Herr und Meister ist. Man frage indessen nicht nach der geographischen Länge und Breite desselben; denn es erscheint fehr klein am Maßstabe. Es ist nun gut, wenn der Mensch in diesem feinem Gebiete, d. h., sich gewisse Gesetze vorschreibt; es ist aber nicht gut, wenn er folche in untergeordneten Din- gen mit eigenfinniger Strenge vollstreckt und fo zum Skla- ven feiner felbst hinabfinkt. Ich fah unfern Reifegenoffen nicht fehr oft, weil er in das Zimmer des Schiffsherrn und ich in den Schiffsraum eingemiethet war. Letzteren Platz hatte ich einzig dem Pater Präsidenten des lateini- fchen Hospizium in Jaffa zu danken, weil er sich mit ei- nem ungewöhnlichen Eifer in die Abschließung des Vertra- ges mischte, und jene fo fehr beschleunigte, daß es mir an Zeit gebrach, zu fragen, wo ich wohl im Schiffe unterge- bracht würde. Doch, außer der Kehrseite, wendete die Sache auch diesmal ihre Lichtseite zu. Ich lernte so dem Schiffs- raumleben auf den Puls fühlen. Hier liefere ich denn eine flüchtige Zeichnung meiner Gefährten im Schiffsraume. Demetrius, aus Chios (Scio) und Handelsmann, hatte eine fhöne Gesichtsbildung und sprach griechisch, ara- 232 bisch und türkisch. Seine Umgänglichkeit ließ mich wün- fchen, in einer feiner Sprachen meine Gedanken mit ihm auszutauschen. Der Maure aus Algier, ein Hadschi (Mekkapilger), mit einem gemeinen Gefichtsausdrucke, einem langen Barte und einem Turban, ließ keinen edlern Zug feiner überaus lockeren Seele durchblicken. Er plauderte zum Arabischen das Wenige fränkisch, womit er zwischen Demetrius und mir kümmerlich den Dolmetscher fpielte. Während un- ferer Fahrt von Jaffa nach Rhodos endete der mohamme- tanische Fastenmonat; allein dieser Anhänger des Islam nahm es nicht fehr genau, und er aß manchmal Kleinig- keiten bei Tage während der Fastenzeit. In Jaffa verletz- ten auch andere Mohammetaner vor meinen Augen das Fastengebot. Der Hadschi trank Wein und Branntewein. Dem Kleinhandel obliegend, kaufte er in Jerusalem Rofen- kränze, um fiel in Konstantinopel zu verkaufen. Gs ist überhaupt bei den Morgenländern Sitte, die felbst von den protestantischen Franken nachgeahmt wurde, mit einem Ro- fenkranze müßige Stunden zu vertreiben, indem fie eine Perle nach der andern von ihrer Stelle verschieben. Wenn die Leute des Niederganges bei ihren Besuchen nicht felten kaum wissen, welche fchickliche Haltung sie ihren Händen geben sollen, um fo weniger verlegen ist der Morgenländer, 233 welcher mit Bequemlichkeit auf dem Diwane hockt, und mit den Händen anständig den Rosenkranz durchtändelt. Der Algierer hatte, als französischer Unterthan, einen franzö- fischen Paß bei fich. Er fähien die Franzosen zu haffen. In Alexandrien besuchte er feinen alten Fürsten, den Dei. Der Jude, ein Konstantinopler und Rentner, begleitete feine Frau nach Jerusalem, um in der heiligen Gegend mit ihr die Tage des Lebens zu beschließen. Sie starb ihm weg, und darum war er auf der Rückreise nach Kon- fantinopel begriffen, um vielleicht für den fchmerzlichen Verlust der alten Geliebten bei einer jungen – Trost zu schöpfen. Viele Israeliten folgen bekanntlich einem reli- giösen Berufe, fich in der alten Königsstadt anzusiedeln, wenn sie sich bis zu einem gewissen Grade von ökonomi- fcher Unabhängigkeit emporgearbeitet haben. Der Mann war hochbetagt und grau. Ich gewahrte an ihm keine einzige Untugend; nur war er fähmutzig und voll Ungezie- fer, das selbst feinen ehrwürdigen Bart zu einem Parke für die komischen Jagden mit der Brille – auserkohr. Die fchönen Gesichtszüge und das ganze Benehmen, mit Vorbehalt einiger feltsamen Liebhabereien, gewannen dem Greife Zuneigung und Vertrauen. Das Beten verfand er aus dem Fundamente. Während des Gebetes konnte er fich die Kaffeeporzion zutheilen und andere Arbeiten un- 234 ter fast krampfhaften Zuckungen der Lippen verrichten. Seine Augen strahlten hinauf zu Jehova demüthig aus den Lumpen, in die er fich genistet hatte, und aus den, irgendwo mit einem Tuchanfchrote zugeschnürten Lumpen- fäcken, die ihn umschanzten. Das Schallah (wenn es Gott gefällt, fo Gottes Wille) wiederholte er oft und kräft tig im Fluffe der Rede. Von fröhlichem Gemüthe, stimmt unser Konstantinopler bisweilen ein Lied oder gar die „Cara Cascatella“ an. Und siehe, da tanzte er einmal mit feinen krummen, vor Alter unwilligen Beinen, mit seinem gebogenen, feifen Rücken und mit feinen Gisschollen am Kinne. Man hätte dabei herzlich lachen müffen, wem man selbst von keinem kleineren Unmuthe gebeugt gewesen wäre, als bei Hans Sachs die Bäurin wegen der faubern Wirthschaft ihres tölpischen Mannes: Wie hast du kocht, daß dich Bock schändt, Das Fleisch verschütt, das Kraut verbrennt, Die Katzn erschlagn, das Kalb ertränkt. Die Regungen der Freude find verschieden und groß bei Jung und Alt. Tanzte doch David aus allen Kräften und jauchzend, als er die Bundeslade holte. Nachdem ich einige Zeit in Mitte der Mohammetaner gelebt hatte, war die Gelegenheit mir recht erwünscht, Hie griechischen Christen in der Nähe ein wenig kennen - 235 lernen. Morgends und Abends zog der Schiffsjunge (Fri- andol) mit einem brennenden Weihrauchfaffe von Mann zu Mann, und an dem emporwirbelnden, angenehmen Rauche bekreuzte man sich gar vielmal und fchnell über einander, unter leisem und kurzem Gebete. Damit der Weihrauch ja nicht verfehle, wehte man ihn mit der Hand gegen das Gesicht. Der Koch war eine drollige Fettmaffe auf Kosten. Anderer, und ein Muster von kleiner Spitzbü- berei. Das Fleisch kochte er gleichsam zu dürren Holzfa- fern aus, damit er die Brühe schlürfen könne. Glücklich trat ein griechischer Fasttag ein, da mir doch eine natür- liche Suppe bereitet ward. Das erste Mal zwackte der Koch mir Reis. Beim zweiten Male, als er ein größe- res Quantum wollte, erklärte ich ihm, ich kenne das Reis- kochen zu gut, als daß er mehr benöthige. Wie er dann einfah, daß er mich nicht belugfen könne, meinte er: Gtwas für die Herren in dem Zimmer des Hauptmanns. O nein, antwortete ich. Aber etwas für den Koch. Da war es ausgeplappert. Sogar Pappenstiele, wie diese, welche bei- nahe nicht die Tinte werth find, können ins Innere des Menschen zeigen. - - Montags den 18. Jenner. Erwacht, aufgestanden, und die Stadt Rhodos 236 schwebte im Schleier der Morgendämmerung vor den Blik- ken. Mit Ungeduld wollte ich denselben lüften; doch bald entschwand er von selbst, und deutlich erschienen die Umriffe der Stadt. Auf eine niedrige Anhöhe gepflanzt, fiel sie lieblich ins Auge. Neben dem freudigen Grün der Wiefen, welche die Stadt halb umkränzen, streben die düsteren Festungsthürme empor. Wir ließen die Quaran- täneanfalt, ein fehloßartiges Gebäude, rechter Hand, und legten im östlichen Hafen an; ein Tannicht von Maften deutete auf den westlichen. Billig konnte ich nicht ans Land steigen – ohne Ehr- furcht und Dankbarkeit gegen die alten Hellenen, welche, der Ruhm des Menschengeschlechtes, Denkmäler eines so nützlichen und edeln Daseins aufrichteten; hier insbesondere pries ich die Koloffer. - R. h o d o s. Lage, Himmel, Volkszahl. Diese einst der Sonne geweihte Insel der Rosen, nach Kandia die größte des griechischen Archipels und die be- rühmteste der Sporaden, erstreckt sich von Nordwest nach Südost in die Länge, und erhebt den Atabyris (Artami) zum höchsten Berge. Die Fruchtbarkeit des Eilandes auf 237 dem glücklichen Grdstriche fucht Ihresgleichen. Der Himmel in Syrakus und Rhodos, rühmte schon Plinius, wird nie so bewölkt, daß die Sonne nicht an einer Stunde des Tages herabblicke. In die Sommerhitze fächeln unermüd- liche Winde angenehme Kühlung, und milde fließt der Win- ter dahin. Der gegenwärtige aber war ein wenig frenger; felbst das Waffer wurde von Gis überschoffen, was freilich mit außerordentlicher Seltenheit sich ereignet. Jedoch be- grüßten mich auf einem Spaziergange im Freien die Auen im fchweizerischen Maiengewande. In Jaffa, wo zwar die Blöker auch in der kältesten Zeit grafeten, ward das Grün durch den Frost ein wenig erschreckt und bleich. Hier, vier Grade weiter gegen Norden, scheint es minder gelitten zu haben. Die Bewohner des Eilandes theilen fich, wie der Sohn des österreichischen Konsuls in Rhodos, des Herrn Jo fef Anton Giulianich, mir bezeugte, in beiläufig 26,000 Griechen, 11,000 Türken und 2000 Juden. Ge- ring find an der Zahl die Lateiner, noch viel geringer die Protestanten. Man darf gar nicht zweifeln, daß die In- fel eine weit größere Bevölkerung ertragen würde, wäre der Boden beffer angebaut. Sie wird von einem türkischen Pascha regiert. Griechen beklagen den jetzigen als einen Wütherich, - 238 Die Stadt Rhodos. Kaum war ich angelandet, als ich einen Scioten traf, der mir in einem Althem feine Schicksale, feine Leiden schill- derte. Leidensgefährten leihen einander gerne das Ohr. Er erzählte, daß er, den 5. Chrifmonat des vergangenen Jah- res von Beirut abgereist, wegen der entsetzlichen Stürme erst vor acht Tagen hier anlangte. So schlimm diese Nach- richt an und für sich lautete, so sehr durfte ich nun froh fein, daß ich über das böse Wetter in Jaffa verblieb. Ich war doch auf festem Boden und unter trockenem Obdacht, und, wenn man so sagen will, auch bei trockenen Mönchen, Rhodos sprach mich sogleich freundlich an. Ich brachte Gott meinen Dank dar, daß ich den häßlichen Städten Palästinens entronnen war. Die Stadt nebst den einen Büchsenschuß abliegenden, städtisch gebauten Dörfern ist von nicht ganz unbedeutender Größe, und steht dem Unt fange nach dem schweizerischen St. Gallen nicht nach Die Häuser, mit meistens platten Dächern, sind ziemlich hoch, ihre Mauern gerade, davon manche mit Kalk über tüncht. Die Vorderseite vieler Wohnungen, gleich über " Pforten, schmücken die Wappen der alten Johanniter. Man freut sich hier ordentlich wieder der Glasfenster, von denen Wohnlichkeit entgegenglänzt. Die Kamine ragen als klein 239 Thürmchen hinauf, die eine Pyramidenspitze und auf dieser etwas Spießartiges tragen. Mehr, als neun runde, dünne Moscheethürme steigen empor, und, Abends beleuchtet, goßen fie goldene Säulen über den schwarzen Wafferspiegel des Hafens bis zum – vergangenen Riesenbilde. Anmerkung. Bekanntlich foll als eines von den sieben Wundern der alten Welt eine eherne Riesenfäule des Helios Phöbus am Eingange des Hafens gefan- den und als Leuchtthurm gedient haben. Dieser Koloß, woher die Rhodier Koloffer genannt wurden, war nach Plinius fiebenzig, nach Andern achtzig Ellen hoch; allein fechsundfünfzig Jahre nach der Aufstellung des Riesen fürzte der Stolz menschlicher Unternehmungen durch ein Erdbeben zusammen. So baut der Mensch mit Zuversicht in die Gegenwart, damit die Nachwelt staune, doch weni- ger über feine größten Werke, als vielmehr über das Wunder, womit eine andere Hand, als die feinige die Zukunft leitet. Noch die Trümmer wurden bewundert. Wenige vermochten den Daumen des Riesenbildes mit den Armen zu umspannen. Die Trümmer blieben bis zum Jahre 656 n. Chr., da sie an einen jüdischen Handelsmann verkauft wurden, welcher damit neunhundert Kameele belud. Die Gaffen find enge und krumm. Ueber denselben wölbt sich an manchen Stellen von einer Häuserreihe zur andern eine fchmale Bogenbrücke, jene zu verbinden, und fo eher den Schaden der Erdbeben zu verhüten, die, wie sie in den alten Zeiten, z. B. beim Sturze der Riesen- 240 fäule, ihre Stärke durch Verheerungen ankündigten, fo bis auf den heutigen Tag von den Rhodiern gefürchtet werden. Der Kai ergötzte mich mit feinem feinen Straßenpflaster, das überhaupt in der Stadt fehr fchön ist, felbst mit fei- nen wohlgemeinten Zierereien nicht überall in den Haupt- städten Europens Nebenbuhler findet. Es drängt sich das schneidende Gegentheil auf: In Syrien die elendeten Gas- fen, in Rhodos reine und zierliche. Die Pflaster find wohl eine der Hauptzierden und ein Ehrenpunkt bei den Rho- diern. Man betritt fogar hübsch gepflasterte Landwege. Man hat Ursache, das Lob, das Salomo Schweig- ger vor drittehalb Jahrhunderten dem Pflaster fpen- dete, vollkommen zu bestätigen. Die Baffar find fchön, gewiß schöner, als viele der unfrigen, aber nicht fehr be- lebt. In einigen Gaffen frohlockt als ein Siegeszeichen der Christenfeinde eine Gruppe sehr großer Steinkugeln, die von den türkischen Erobern hereingeschleudert worden. Die Stadt wird von einer mehrfachen Mauer und ei- nem doppelten Wallgraben umzingelt. An den sehr farken Thoren, wie an andern Theilen des Festungswerkes, find die Spuren der alten christlichen Machthaber, der Johan- niter - Ritter, noch nicht ausgelöscht. So erblickt man über den Thoren Kreuze, welche den Verehrern des Halbmon- des wenig Anstößiges darzubieten schienen. Wie bald wür- 241 den manche Christen Mond und Sterne zerstören, sobald fie ein Mond- und Sternland unter ihre Botmäßigkeit gebracht hätten. Ich fah über einem Thore, selbst in halb erhabener Arbeit, das Bild eines Mannes, wenn ich nicht irre, des Apostels Paulus. Ich verwunderte mich um fo lebhafter darüber, als bekanntlich sonst der Islam die Erzeugniffe der bildenden Künste nicht duldet. In und bei der Stadt bewegen sich mehrere Windmüh- len; eine neben einer großen, in den Felsen geteuften ur- alten Zisterne. Das Leichenfeld. Rings um die Stadt von Meer zu Meer streicht der Leichenacker. Den Leichen räumen die Mohammetaner un- gemein viel Feld ein, weil sie ungerne ein altes Grab ru- hestörerisch aufzubrechen fcheinen. Das steppenartige Weich- bild bewirkt daher wegen der vielen Steine einen unange- nehmen Gindruck. Es würde dieser allenfalls leidlich ge- mildert, wenn die Grabsteine, wie die Gebäude, zu Rathe gehalten und vom Zerfalle gerettet würden; allein deswil- len ladet man keine Sorge sich auf. Der eine Leichenstein feht gerade aufrecht und schön erhalten mit einem wohl- ausgehauenen und hohen Turbane, der andere ist halb, der Tobler, Morgenland. II. 11 242 dritte ganz umgestürzt, ein vierter zertrümmert, und zwi fchen den in frommer Erinnerung an die Verstorbenen ge: fetzten Zeichen lockt wucherndes Gras das Vieh zur Weit dung daher. Soll in der wilden Zerfallenheit der Grab mäler etwa das Sinnbild fich abspiegeln, daß eben noch hin- fälliger und vergänglicher die Hülle des Menschen sei, als der fallende und zerbrechliche Stein? Gine solche Betracht tung dürfte indessen über dem Gesichtskreise des gemeinen Muselmannes hinausliegen. Auch die Kinder, mehr oder minder der Wiederhall der Erwachsenen, beweisen, wie wir nig man sich um die Leichensteine bekümmere. Zwei Bu- ben warfen nach einem Ziele, und dieses war ein Turban auf dem Grabe. Gs wäre schade, wenn die Menschen nicht fürben; fonst könnten die Roffe nicht nach Luft in den Todtenkammern zu Alexandrien ein Freudenlied wie hern, noch die Rhodier-Buben die Turbane der Gräber zur Zielscheibe der Vergnügungen nehmen. - Im Uebrigen wird in Rhodos für die Stiftung von Grabmälern weit mehr gethan, als in Jaffa, von dessen Leichenacker man das Auge am liebsten wegwendet, weil es darin vergebens fich erbauen würde; in Joppe sogar zerschneidet die Grabhügel ein Weg, als ein gepflasterter da, wo Denksteine mit Füßen getreten werden. In Rhe dos gibt es auch, mitten im großen Leichenfelde, mehrere 243 kleinere Leichenhöfe, in deren Einfangsmauer an der Außen- feite dreieckige Ziegelbröckchen eingesprengt sind. Das heilige Feld (Campo Santo) erhält das Anden- ken der einst für den Schiffsbau im Dienste des Großherrn gestandenen Schweden. Die Bewohner; das lateinische Hospiz; ein Knabenspiel; große Hähne. - Die Bewohner zeichnen sich durch Schönheit aus. Ich begegnete auffallend hübschen Frauenzimmern. Die Grie- chinnen verschleierten sich vor mir nicht; sie follen sich jedoch vor dem Mohammetaner verhüllen. Es mag ersprießlich fein, daß die Schwärmerei den Gesichtsschleier befängt. Hinwieder find die Türkinnen um kein Haar beffer. Ich ging durch eine Gaffe, worin mohammetanische Weiber einen kleinen Kreis, wie es schien, zu Disputieübungen bildeten; ein großer Knabe daneben ergriff ängstlich und lärmend fogleich den Schleier eines Weibes, um defen Gesicht vor mir zu verbergen. Ich brach in Lachen aus, und kehrte den närrischen Leuten den Rücken. In der höft lichern Manier ist der Rücken der abendländische Schleier des Gesichtes. - - Nunmehr in dem Lande, wo der Sultan unmittelbarer herrscht, durchmusterte ich mit Verwunderung die Kleidung des Militärs. Sieht man einen Theil desselben, so glaubt 244 - man sich kaum mehr unter den Türken. Auch gibt es, außer den Kriegsleuten, nicht wenig fränkisch gekleidete Personen, und da ich in Syrien von den Weltneuigkeiten beinahe ganz abge: fchieden war, fo lebte ich gleichsam neu auf, als ich wieder so Manches erfuhr; denn Rhodos zählt immer eine beträchtliche Anzahl Schiffe in feinen Häfen, weil es die Straße von Konstan- tinopel und Smyrna nach Alexandrien und aufwärts nach der ganzen Küste bis hin zu dem gegenüber Himmel und Meer trennenden Streifen Natoliens berührt, und weil viele Schiffe vor der Insel fich mit frischem Mundvorrat versehen, letzteres um fo gewiffer, als die Lebensmittel in fehr billigem Preise stehen. Ich bekam für zwei Kreuzer so viel Pomeranzen, daß ich geflissentlich kleinere auslas, um fiel in den Taschen bequem tragen zu können. Eine kleine Maß (Ocke) vortrefflicher Wein kostet fechs Kreuzer R. W. Leute, wie die Bewohner dieses Landes, die sich beffer ausfinden, wissen ihn noch um die Hälfte wohlsei ler zu kaufen. Eine Ocke Honig kostet sechszig bis acht zig Para (12 bis 16 Kreuzer). Nur das Brot ist heuer und schlecht; denn der Pascha, welcher sich mit Alleinhan- del befaßt, zog die Bäckereien an sich. Sollte man etwa bedauern, daß nicht auch die höhern und edlern Güter des Menschen in den Bereich des Handels, des Alleinhandel fallen? Gewaltige der Erde fänden doch eine viel mächtiger 245 Quelle zu Vermehrung ihrer Schätze, und ohne Widerrede wäre es für einzelne Begüterte ein herrlicher Gewinn, wenn fie auf dem Ruhepolster das, worüber sie noch nicht ver- fügten, nämlich einen hellern Verstand und ein lautereres Gemüth, durch Geld fich aneignen könnten. Die Konsuln wohnen in einem griechischen Dorfe gegen West außerhalb der Stadt. In demselben besitzen die La- teiner auch ein Hospiz, welches von zwei Patres bedient wird. Die lateinische Gemeinde ist etwa 120 Seelen stark, Der eine Pater, ein gar freundlicher und gefälliger Mann. zeigte mir in der Kirche ein Frauenbild von gehauenem und gemaltem Marmor, welches sehr alt fein foll. Der Pater erzählte: In einem Grundstücke des Eilandes ward von einem Sklaven umgegraben. Da vernahm dieser eine Stimme: „Laß mich gehen.“ Als er tiefer drang, stieß er auf et- was Hartes, und siehe, es war ein Frauenbild, ein fehr wunderthätiges (molto miracolosa). Griechische Knaben belustigten fich, indem sie unter scherzenden Bewegungen über den Weg fangen, und tür- kische –, indem fiel spielten. Diese übten sich in einem Spiele, welches einem in der Schweiz unter verschiedenen Namen bekannten durchaus ähnelt. Gin Knabe stellt sich vorne, der andere hinten. Der vordere fetzt ein Pflöckchen vor eine Grube, in welche er ein kleines Stäbchen steckt. 246 Treibt er dieses nach vornen und aufwärts, so fliegt das von ihm getroffene Pflöckchen gegen den hinterm Knaben. Wenn der letztere mit der Hand das noch fliegende Pflöck- chen erhaschen kann, fo ist der vordere besiegt, und beide wechseln ihre Rollen; wo nicht, fo wirft der hintere nach der Grube. Bleibt das Pflöckchen in einer gewissen Nähe von derselben liegen, so ist es Gewinn; kommt es nicht nahe genug, fo schlägt der vordere Knabe mit einem Stäb- chen darauf, damit es aufhüpfe, und damit er es fodann im Fluge – fortschlage. Fliegt das Pflöckchen jetzt nur fo weit, daß der hintere Knabe die Grube von jenem an erspringen kann, so ist er verloren, sonst aber nicht. Glei- chermaßen darf der vordere Knabe nur bestimmte Male auf das Pflöckchen fchlagen, um es flügge zu machen. Schlägt er diese Male erfolglos, so ist er überwunden. Ich möchte den Alterthumsforscher mit nichten tadeln, wenn er fogar Staub und Moder ausbeutet; er darf aber auch mir nicht verargen, wenn ich in manchen Kinderspielen nichts min- der, als Kinderspiele für den Freund der alten Welt erblicke. Ueberlieferungen von Munde zu Munde können sich so rein bewahren, als Ueberbleibsel von Werken der Menschen- hand. - - Es würde der, im Vergleiche selbst mit palästinischen, auffallend großen Hähne keine Grwähnung geschehen, wenn 247 nicht schon die Alten die großen und freithaften Hähne von Rhodos gepriesen hätten. Der Abend im Schiffsraume Man führte mich in ein jüdisches Haus, wo ein aus- nehmend guter Wein ausgeschenkt werde. Ich kaufte einen großen Krug mit herrlichem rothen Rhodier. Der Rhodier-Wein, zu meinen Füßen gestellt, fchwänkt mir den Zwieback. Der Krug mahnt mich an die Wein- krüge, welche untreue Weiber oder Mägde in irgend einen Winkel verbergen, um daraus gelegentlich Muth zu Ver- blendung der Männer oder Meister zu schöpfen. Ich fitze auf Wrack, einer niedrigen Windenscheibe, die mit einem großen Damenbrete ausgemalt war. Unter mir breitet fich ein Strohteppich aus, neben mir das Bett mit einer Po- meranze darauf, damit sie den Wein mir kühle, – dann meine Habseligkeiten, vor allen der Spender des Segens, der Brotkorb. Gegenüber lagert der unsäuberliche Jude mit einem Graubarte, der fähmutzig auf die Brust herun- terkräufelt. Nahe über ihm steht eine Katze, deren Augen von der Begierde nach Beute glänzen. Würde der lau- ernde Vierfüßer ein wenig abwärts gerückt sein, – der Judenkopf wäre das segelnde Schiff unter der ehernen Rie- fenfäule der – Katze gewesen. Der Mann des Hebrons 248 fchläft fest und fchnarcht, daß die Nasenflügel zittern wie Gspenlaub. Vielleicht hörte das hebräische Schnarchen felbst der Maure, welcher, voll Freude über das einge- tretene mohammetanische Jubelfest (das große Beiram), in der Stadt sich gütlich that, und einmal eine ganze Nacht im Kaffeehause zubrachte. So hängt man gemeinhin an die Fasten ein Gegengewicht: Man enthält sich kürzer oder länger, mehr oder minder der Speisen und Getränke, man fammelt die Gßluft, und man leert nach der Hand um so leckerer größere Schüffeln und Becher. Bloß drei Fuß über der Schiffsladung von Sesam hängt vom Verdecke ein Laternchen herunter, welches die Höhle erleuchtet. All' diese Armseligkeiten betrachtend, bin ich doch zufrieden, und nun blicke ich durch die Oeffnung des Verdeckes gen Himmel zu Gott empor, dem ich mit gerührter Seele meinen Dank für die goldene Gabe der Gesundheit dar- bringe. Sie war mehrmals auf der Neige, und ich lernte fie fchätzen, die mich von fo manchem Joche befreite; unbe- sorgt genieße ich jetzt die frische Luft der Nacht, die grü- nen Früchte des Südens und eine glühenden Weine. Spaziergang gegen Trianda. Mich gelüftete , eine griechische Dorfchaft in einiger Entfernung von der Stadt zu besehen. Ich erfieg zuerst 249 den Hügel gleich über Rhodos; der Weg durchfach ein- mal einen Felsen. Jener foll heute Smiths Höhe hei- ßen, weil der englische Admiral Sidney Smith auf demselben wohnte, ehe feine Flotte nach Egypten abfe- gelte. Auf der Höhe eröffnet sich die köstliche Aussicht über die Stadt und einen Theil der Insel, auf andere Eilän- der und an die Küste des alten Karien. Von den schnee- bedeckten, kühn in den blauen Aether tauchenden Ausläu- fern des Taurus schwang sich mein Gedanke beinahe unwill- kührlich in die Gegend des Bodensees; denn das Meer, in engen Schranken zwischen Kleinasien und den Eiländern, glich einem See. Ich ging sofort eine Strecke weit auf dem Scheitel des Hügels, und lenkte dann rechts hinunter zum Meeresstrande, wo mir mehrere Marktleute mit Efeln und Maulthieren begegneten; Kameele traf ich nicht. Vor dem Siechenhause. (casa dei leprosi) faßen einige Men- fchen, die bettelnd ihre Hand schüffelförmig hervorstreckten; eben ruhte auf ihren Gesichtern die erwärmende Sonne, von dem kalten Nordwinde fich erholend. Eine starke Stunde im Westen von Rhodos liegt eine sehr weitläufig gebaute Dorfschaft mit fest gemauerten Häusern, die in Höfe eingesperrt sind. Gine Menge Oelbäume trägt dazu bei, daß die Häuser noch mehr in der Verborgenheit er- fcheinen. Die alte Stadt Rhodos foll in der bedeutenden 250 Länge vom Vorgebirge Bovo, dem gleich nördlich die neue Stadt Rhodos fich anschließt, bis nach Trianda fich ausgedehnt haben. Die Männer auf dem Lande waren mit einem Turbane bedeckt. Die meisten von denjenigen , welche an mir vor- übergingen, hatten eine wilde, unfreundliche Miene. Ein Mann, der viele Jahre auf der Insel verlebte, versicherte mich, daß die rhodischen Griechen durchaus wackere Leute feien, und daß man unter ihnen völlig ficher reise, bei Tag und Nacht, über Berg und Thal. Nach dem Aeuf- fern würde ich in der That ein ungünstiges Urtheil gefällt haben. Damit nicht dem Irrthume der Fang gelinge, foll Niemand verkündigen, daß er Fische gefangen habe, fo- bald er die Schwere des Netzes in der Tiefe des trüben Waffers verspürt, sondern erst dann, wenn er die Fische fühlt oder fieht. Auf dem Rückwege, immer am Meere vorbei, hörte ich, feit ich Triest verlaffen habe, wieder zum ersten Male einen Brunnen plätschern, zum ersten Male fah ich wieder den lautern Wafferstrahl mit den Perlen fcherzen. Man nennt die Infel fehr reich an Brunnquellen, welche auf wohlthätige Weise in der wolkenlosen oder wolkenarmen Jahreszeit die Stelle des Regens übernehmen, um, durch 251 die Hand des berechnenden Landmannes geleitet, das Feld zu berieseln und zu befruchten. Nach Konstantinopel, Triest und heim. Wir gingen am 20. Jenner fchon unter Segel; allein ein heftiger Gegenwind jagte uns gegen die nun öden Feuerschlünde zurück, die zu Ehren des Beiram fo laut gedonnert haben, er verbannte uns in den Hafen von Rhodos. Ich benützte diesmal die Zeit, meinen Reisepaß bei dem österreichischen Konful, Herrn Giulianich, un- terschreiben zu laffen. Die Hausfrau ist eine Deutsche, und mit einem innigen Vergnügen fprach ich wieder einmal mit deutscher Zunge. Die freundliche Aufnahme im Schoße einer europäisch gebildeten Familie erquickte mich wie ein Frühlingslüftchen. -- Die Rückreise über Konstantinopel werde ich nicht aus- führlich fähildern. Die Sehnsucht nach dem Abendlande, wirkliche Reifefattheit, ungewöhnlich ungünstige Umstände machten mich nachläfiger im Beobachten und im Aufzeich- nen des Beobachteten, obschon ich mein Tagebuch fort- fetzte. Am 24. Jenner feuerten wir endlich von Rhodos weg. Links erhoben sich die Sporaden, rechts bald das Vorge- birge Krio (Knidus der Alten) und linker Hand vorwärts 252 die Insel Kos. Mit ehrfurchtsvollen Erinnerungen hef- tete ich auf dieselbe meinen Blick; denn Kos ist das Ge- burtsland von Hippokrates. An der Morgenseite spielte das Halbgrün der Weiden bis an den Gipfel des Berges in der Sonne, welche von Karien lieblich herüberleuchtete. Wie vor Jahrtausenden kreiet noch die gleiche Sonne, noch umschweben das gleiche Land die Lüfte, noch bespülen das gleiche die Fluthen des Meeres, ach, muß es denn unabänderlicher Wille fein, daß der gleiche Sterbliche dort nicht umherwandle, und lehre, wie Andere, gleich ihm, die Krone der Unsterblichkeit verdienen? Der Theil der Morgenseite, welcher, gegen Mitternacht, völlig in die Nähe trat, war unbewohnt. Als wir umbogen, kam die Stadt Kos zum Vorscheine, großartig in der Schminke der Ferne. Die Thürme trugen sich schlank über den Mo- fcheedom, und die vielen weißen Landhäuser verliehen dem schönen Landschaftsbilde einen besondern Reiz. Nahe der Stadt belebten die Küste mehrere Windmühlen, auf welche das Schloß Putrun (das alte Halikarnaß) von Kleinasien herabschaute. Eben trieb ein Kahn die Meerstraße querein, schief in den Wind, gegen Kos. Ich beneidete die Leute in dem Fahrzeuge, in das ich hätte hinüberhüpfen mögen, um in die gefeierte Stadt der Aerzte zu wallfahrten; ich zürnte dem Winde, vor dem unsere Segel fo bereitwillig - 253 fich blähten, damit mein Auge an dem Lande der Koer um fo minder fich weiden könne. Es ist wohl verzeihlich, wenn ein Arzt, vor der Infel Kos vom Strome feiner Gefühle hingeriffen, die Feffeln der Kürze in der Beschrei- bung ausnahmsweise abwirft. Wir segelten vorüber an den Inseln Kalmino (Kalym- na), Leros und Pathmos, Samos und Ikaria (Nikarie) nach Tschesme, wo ich mich mit dem Hauptmanne Bag- fino über die Mitfahrt nach Konstantinopel verständigte. Chios lag herrlich vor den Blicken und nahe; ringsum Jonier-Land. In Tschesme wechselte ich ein freundlich Wort mit dem wackern österreichischen Konsul. Ipfara, Metelino , (das alte Lesbos); das figrische Vorgebirge dou- bliert; Blitz und Donner begleitete den Regen auf dem ägäischen Meere vor Tenedos (Bogdscha), gegenüber von Troas. Ich fetzte meinen Fuß auf den Boden dieses Eilandes. Der thrazische Chersonefus gewährte wieder den ersten Anblick Guropens; die Dardanellen (Hellespont), ihre Schlöffer; die Flüffe Simois und Rhodius; Abydos und Gallipolis; wir ankerten vor dem asiatischen Dorfe Kamares, dem Lande der Myfier; dann fchwamm unfer Fahrzeug im Marmarameere (Propontis) an der Marmara- infel (Prokonnefus) vorüber. Donnerstags den 4, Hornung Morgens liefen wir beim Mondescheine in den Bospor 254 - und, vorbei an Skutari, mit Tagesanbruch in den Hafen von Konstantinopel (Stambul). Einzig war das Schaufpiel. In der großen Kaiserstadt, welche meine nicht geringen Grwartungen fogar überbot, weilte ich bis zum 17. Hornung. Auf dem Dampfschiffe reiste ich ab; der Olympus thronte vor den Augen; es entzückte mich die Fahrt längs des trojischen Feldes, vor dem Kap Baba (promontorium Lectum), neben dem Ida, zwischen Les- bos und Äolien; und deutlich sah ich die Stadt Metelino (Mitylene). Spät Abends den 18. Hornung erreichten wir den Hafen von Smyrna (Ismir). Mich durchströmte die feltene Freude, einen Landsmann, Herrn Sturzen- egger von Trogen, so wie früher in Konstantinopel einen andern Schweizer-Bürger, Herrn Morelli, Handelsmann aus Bern, zu treffen. - Am 23. Hornung reitete ich am Bord der Brigg Ma- cacco, Kapitän Radonicich, mit dem Sohne des öfter- reichischen Konsuls in Rhodos von Smyrna ab. Das Ankertau hielt uns später im Meerbufen, dessen Hafen wir verlaffen haben; wir fuhren durch die Seestraße von Chios; zwischen den Inseln Tino (Tenos) und Mykone, zwischen Syra (Syros) und Delos, zwischen Paros und Thermia (Cythmus), zwischen Serfo (Seriphus) und Si- fanto (Siphnus); ein Sturm zwang uns zurück gegen 255 Hydrea vor Argolis; vorwärts, fegelten wir dann gegen Cerigo – rechts das Gebiet der alten Spartaner, links die Cykladen – und vorüber am Kap St. Angelo (Vorge- birge Malea der alten Lakedemonier). Statt die Meerenge nach der Bucht von Kolokythia (Laconicus sinus) zwischen Lakonien und dem englischen Cerigo (Cythera) zu wählen, um feuerten wir diese Insel; dort das Kap Ma- tapan (tänarische Vorgebirge) und das Mainagebirge (Tay- getus); die Küste von Meffene (Navarin sehr deutlich); weiter Zante, Cephalonia, Santa Maura, Antipaxos und Paxos; durch die Straße der Insel Korfu und nahe der freundlichen Stadt gleichen Namens; zum letzten Male er- blickte ich einen Moscheethurm im Epirus; wegen eines stürmischen Windes warfen wir die Anker aus im Hafen von Arcangelo der Dalmazier. Dinstags den 15. Merz langte ich mit einem Herzen voll Wonne zu Triest an. Schon waren die Bäume auf dem Felde mit ihrem Blüthenstrauße geschmückt. Der ju- gendliche Lenz erwies mir die Gefälligkeit, das harte, vierzigtägige Gefängniß im Theresienlazarethe wenig- fens einigermaßen zu lindern. Unbeschreibliche Freude ath- mete meine Brust, als ich mit dem neubesiegelten Freibriefe am 25. April aus der Quarantäneanfalt trat. Ich be- rührte einige Städte Oberitaliens, in denen die indische 256 Cholera wüthete; in Tirol, von Meran bis M als ging ich zu Fuß; am 1. und 2. Mai fuhr ich über Schnee, felbst am 3. noch im Schlitten, und am 4. schüttelte ich, im vollen Besitze der Gesundheit, zu Hause die Hand der Meinigen. Anleitung zu der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Es würden vielleicht mehr Abendländer nach Palästina pilgern, wenn ihnen eine umfaffende Anleitung zur Reife bekannt wäre. Ich will trachten, dieselbe fo zu geben, daß ich eine Antwort auf Fragen über wesentliche Dinge nicht schuldig bleibe. Was für polizeiliche Schriften werden er- fordert? Um in der Türkei, in Syrien und Egypten zu reifen, bedarf man keines Paffes der herrschenden Landes- behörde. Ein Reifepaß aus der Heimath genügt, fo- fern er von der Gesandtschaft desjenigen Staates beglaubigt ist, durch den man zu wandern vorhat. In der Türkei, in Syrien und Egypten wendet der Pilgrim fich an den Konful, unter defen Schutz er fich stellen will. Wie verfieht man fich am besten in Bezie- hung auf die Geldangelegenheiten ? Außer dem Reisescheine ist denn freilich der Nerv der Unternehmungen 257 nöthig. Den Vorzug verdient ein Kreditschreiben oder auch, an dessen Statt, mehrere Wechsel an Handelshäuser der Hauptstädte, durch die man reifef. Gs wäre aus einleuchtenden Gründen unrathsam, viel Geld mitzuschlep- pen. Bis an den Ort, wo man fich einschifft, weiß ein Jeder den Kurs des Geldes. Hier aber räth am beßten das Handelshaus, an welches man addreffert ist. Zu meiner Zeit kursierten in der Türkei, in Syrien und Ggypten z. B. die levantischen Thaler (tallero, österreichische Münze am Werthe von beiläufig 2 Gl. 24 Kr. R. W.). Auch Goldmünzen gehen, aß: die österreichischen und holländi- fchen Dukaten, die venezianische Zechine. Das ist zuver- läffig. Für Syrien nehme man bares Geld mit sich we- gen der wenig häufigen Geldgeschäfte mit diesem Lande und wegen vorauszusehender Unannehmlichkeiten oder Schwie- rigkeiten, welche ein an ein frisches Haus addrefirtes Kreditschreiben oder Wechsel verursachen könnte. Bezieht man in Alexandrien oder sonst wo egyptische Münze, so läuft fiel in Syrien; von Konstantinopel gehen dort wenig- fens die Silbermünzen, z. B. die Befehlik (Fünfpiafter- stücke). Faßt man die Sache fest und klar auf, fo wird man nicht leicht in Geldverlegenheit gerathen. Ich, für meinen Theil, wählte am liebsten Goldmünzen, und ver- wahrte fiel in einem Papiere fo, daß sie weder bemerkt, 258 noch bei einiger Vorsicht verloren werden konnten, noch auch im mindesten mich belästigten. Mit welcher Sprache kommt man am besten aus? Ich wiederhole, daß die italienische fchon seit Jahr: hunderten die herrschende unter den Franken im Morgen- lande ist. Welches ist der kürzeste und beißte Weg nach Jeruf alem und wieder nach Haufe zurück? Ich rathe, zuerst nach Marseille, Livorno oder Triest zu tei fen. Letzterer Hafen dürfte der beachtenswerthefte fin, weil die Gelegenheiten zur Abfahrt ich häufiger darbieten, wenigstens öfter, als in demjenigen von Livorno *). In Triest kann man manchmal schon am Tage der Ankunft auf einem Segelschiffe abreisen, und felten muß man nur eine Woche lang auf ein solches warten. Der gerade Weg führte allerdings nach Jaffa; allein hieher findet man, mit nes Wiffens, keine, nach Beirut felten eine Gelegenheit, welche übrigens schon deswillen vorzüglicher wäre, weil man eine Quarantäne ersparen würde. Von Beirut nach Jaffa und umgekehrt sind in der regenfreien Zeit, nach - - - - - - - - *) Wenn man nicht lieber auf dem Dampfboote des öfter reichischen Lloyd reisen will, welches allemal im Anfange und in der Mitte eines Monats von Triest abfährt (1839). 259 Versicherung des Konsuls Damiani, die Gelegenheiten, wenigstens auf arabischen Fahrzeugen, häufig. Sonst schiffe man sich nach Alexandrien in Egypten ein. Es mag auch dem Umstande, daß man meist nur auf Umwegen zum Ziele gelangt, der feltene Besuch Jerusalems durch die Abend- länder zugeschrieben werden. Der römische Hof, in manchen andern Dingen doch wohl über das Maß eifrig, thut nichts oder wenig zu stärkerer Bevölke- rung der Hofpizien im verheißenen Lande und zu Belebung der Wallfahrt nach dem wichtig- ften Wallfahrtsorte, und sie könnte nur fo leicht, zum mindesten alle Jahre einmal, auf eigene Rechnung ein Dampfschiff nach Jaffa ausrüsten, nachdem die Gläubigen vom Orte und von der Zeit der Abreife gehörig in Kennt- niß gesetzt worden wären. Oder warum forgt in unserm unternehmenden Zeitalter nicht eine Dampfschiffahrtsgesell- fchaft, wie diejenige in Triest, einmal für eine direkte Fahrt nach Jaffa? Wie angenehm müßte es für Manche fein, wenn fie, felbst in der Mitte Deutschlands, voraus- sagen könnten: In drei Wochen werde ich die Ostern in Jerusalem feiern. Von Alexandrien, nach Jaffa legte ich den Seeweg zwar nicht zurück; allein nach einem Gewährs- manne, Failo ni, fegeln täglich arabische, zwar nicht reinliche, aber sichere Küstenfahrer dahin ab. Ich glaube 260 auf das Wort; ich denke bloß hinzu: außer der Regen- zeit, da der Himmel heller ist, und sollte noch ein heftiger Wind die Sicherheit bedrohen, so ersteuert der Küstenfahrer bald das Land. Als ich Failonis Angabe las, wurmten in mir zuerst manche Bedenklichkeiten; die Worte arabifch, Barke, Meer waren mir anstößig, und ich würde mich einem arabischen Seemanne mit Widerwillen und Besorg- niß anvertraut haben: feit ich aber den nachgibigen Araber, die bedachtsame Küstenfahrt und die stillere, beffere Jahreszeit, theilweise aus eigener Erfahrung, kenne, fo wollte ich mit einem arabischen Küstenfahrer unbedenklich reifen. – Von Jaffa erreicht man bald Jerusalem. Dann kehre man nach Jaffa zurück. Hier miethe man fich an Bord eines griechischen, nach Konstantinopel laufenden Schiffes. Von Stambul bis Wien wird das Boot vom Dampfe getrieben. Ich überlaffe nun einem Jeglichen felbst, den Weg nach Hause zu fuchen. An der türkisch-österreich- ichen Grenze währt die Quarantäne kürzere Zeit, als in Trieft; auch foll fiel nicht fotheuer fein. Von Alexandrien nach Jaffa fährt man mit und ohne Dragoman, mit einem folchen fchon darum angenehmer und bequemer, weil ihm zugleich auch das Geschäft eines Koches übertragen wird. Wann foll man die Reife antreten? Der Pilger will in Jerusalem ein bedeutendes Fest feiern. An 261 Oftern mögen bei 10,000 griechische und armenische Pil- grime die Stadt besuchen, und wegen dieses Festes war- ten Schiffe auf der Rhede von Jaffa, welche ihre Bestim- mung nach Konstantinopel haben. Darauf muß man durch- aus das Augenmerk richten, wenn man nicht gleichsam an Jaffa gefeffelt fein will, wie Andromeda an die Felsen. Im Hornung oder Merz in die See zu stechen, darf Nie- manden bangen. Vor Korfu fchon kofet ein blauer Him- mel, und der Merz und April Palästinas, noch mehr des Egyptenlandes gehören zu der warmen, regenfreien Jah- reszeit, in welcher die Küstenfahrt gewöhnlich mit keinen, felten mit einigen Gefahren kämpft. Ich ertheile den Rath, die Reise, wo möglich, so zu veranstalten, daß man inmit- ten des Monates Hornung die Seefahrt beginnt. Wie lange dauert die Reife ? Ich will nun die Dauer annähernd berechnen, und lieber zu lang, als zu kurz. Von Triest nach Alexandrien . . . 20 Tage. Aufenthalt in Alexandrien . d 5 » Seefahrt von Alexandrien nach Jaffa . 4 » Quarantäne in Jaffa . s o 19 , Wanderung von Jaffa nach Jerusalem . 2 » Uebertrag . 48 Tage. 262 Uebertrag . 48 Tage. Aufenthalt in Jerusalem, den Ausflug nach Bethlehem inbegriffen e - , 8 » Nb. Kürze oder Länge des Aufenthalts würde hauptsächlich vom Erwarten des Festes bestimmt. Zurück nach Jaffa e - d 4 » Nb. Die Rückreise, auf der man sich nicht, wie auf der Hinreise nach Jerusalem, in Arimathia aufhält, wird deswegen einen Tag kürzer angegeben, als letztere. Abwarten eines Schiffes e - 4 , Reife nach Konstantinopel - . 20 , Aufenthalt in Konstantinopel - 14 », Wafferreise nach Wien mit Einschluß der Quarantäne (kürzestens 30 Tage) 41 , Zusammen 156 Tage. Man könnte bis Ende Brachmonates wieder zu Haufe eintreffen, nach einer Abwesenheit von etwa fünftehalb Mo- naten. Wie lebt man? Man kauft in Triest zwei Leintücher, eine Wollendecke, eine Matratze und ein Kiffen: die Schiffs- bettung, deren man, wenn auch nicht auf dem Dampf 263 fchiffe, doch auf der Küstenfahrt nach Joppe und fpäter bedarf. In jenem Schiffe kann man auf eine Beköstigung zählen, wie in einem Gasthof. Alexandrien befizt Wirths- häufer nach fränkischer Einrichtung. Hier verfehe man sich für die Fahrt nach Jaffa mit Nahrungsmitteln, z. B. mit gewöhnlichem Brote (Zwieback ist für die kleine Reise kaum nöthig), das acht Tage gut bleibt, mit frischem Fleische, mit Hühnern, mit Reis, Kartoffeln, Zucker, Kaffee, mit Zitronen und einer Flasche Aquavit, und man fchaue vor der Abfahrt besonders nach, ob der Rais füßes Waffer in gehöriger Menge gefaßt habe. Ohnehin wird man nicht vergeffen, eine kleine Kaffeekanne von Weißblech, eine eiserne Kafferole (zum Kochen des Fleisches u. dgl.) mit einem fchüffelförmigen, als Teller dienenden Deckel, fo wie Meffer, Gabel und Löffel, einen Becher und Holz- kohlen zu kaufen. Es gibt Araber, die fich fo gerne auf Andere fützen, daß man wohl thut, felbst an Salz und Feuerzeug fich nicht mangeln zu laffen. Nimmt man gleich von Hause aus etwas mit, um wenigstens den Zucker, Kaffee und Reis gehörig aufzubewahren, fo wird man es nicht bereuen. Für den Mundbedarf schafft man sich zu- gleich einen Korb nach egyptischer Art an“). Im jüdischen *) Wer bequemer reifen will, dem kann ich nicht nachdrück- lich genug empfehlen, daß er auf irgend eine Vorrichtung zum 264 Lande spricht man bei den Bewohnern der Klöster oder Hospizien zu. In Jaffa trifft man zweifelsohne einen grie- Schutze vor den Stechfliegen, den Schlafräubern, denke. Ich verbrachte die erste Nacht in Alexandrien wegen der Stech- fliegen fehr unangenehm. Ich betrachtete den Bettvorhang mit nordischen Augen, und glaubte, er folte das Bett umhüllen. Ich erzählte meine Widerwärtigkeit, und da vernahm ich, daß er ein Fliegen vorhang (Mosquetière) fei. Ich folle, hieß es, vor dem Schlafengehen nur alle Fliegen hinausjagen, und dann das Bett mit dem Vorhang umschließen. Ich that es, und fchlief ungestört. In meinem Zimmer brumfete eine folche Menge Fliegen, daß sie meinen Zucker buchstäblich fchwärzte. Eine Limonade zu bereiten, kostete viel Mühe, und bei aller Vorsicht konnte ich nicht hindern , daß nicht einige Fliegen in das Getränke fielen. In Abufabel bettete man mir vortrefflich auf dem Diwane; es fehlte aber ein Fliegenvorhang; ich deckte das Gesicht mit einem Tuche; dieses hielt zu warm, und ich mußte es entfernen. Die Fliegenqual gestattete mir wenig Schlaf. Ehe ich bei meinem Freunde in Kairo einzog, machte ich darum auch Schwierigkeiten, weil er keinen Fliegenvorhang besitze. In feinem Haufe feien wenig Fliegen, erwiederte er. In der That beunruhigte mich nur selten eine Fliege. Man un- terscheidet in Kairo die Häuser in folche, worin es viel, und in andere, worin es wenig oder keine Fliegen gibt, je nachdem ohne Zweifel die Häuser von der Sonne mehr oder minder be- schienen werden, und für jene mehr oder minder Köder enthal- en. Die letzten, doch nicht viele, Stechfliegen plagten mich in Ramle. In Jaffa sollen felbst in der Mitte des Sommers sehr felten fchwärmen. Die Bücher englischer Reifender find überaus erbaulich, wenn sie über die Stechfliegen fo gewaltig Lärm 265 chifchen Schiffshauptmann; feine Kost ist eher fchlecht. Beköstiget man sich selbst, so lebt man beffer und freier, während man zugleich um ein Bedeutendeswohlfeiler durch- kommt. Man kauft also einen Vorrath an Lebensmitteln etwa auf zwanzig Tage, Zwieback aber etwa auf dreißig Tage, auf längere Zeit ja nicht, da die Griechen bei fchlimmer Witterung gerne in einen Hafen feuern, wo man wieder frischen Mundbedarf aufkaufen kann. Beim Abschluffe der Uebereinkunft mit dem Schiffshauptmanne muß das Kochen und das hiezu nöthige Holz wohl bedungen werden. Wenn man sich recht deutlich erklärt, fo ist vom griechi- fchen Hauptmanne, welcher wenig zu fchreiben pflegt, ein schriftlicher Aufsatz nicht geradezu erforderlich. Meine Ueber- einkunft mit dem Hydrioten geschah mündlich; ich schrieb fie bloß in meine Brieftasche, worauf ich fiel noch dem grie- chischen Konsul anzeigte. Zu Konstantinopel, nämlich in Galata und Pera, laden den Reisenden, neben einem ospizio della Terra Santa, fränkische Wirthshäuser ein. Auf allen Dampfschiffen forgt die Küche für ein üppiges schlagen. Von Leuten, die auf eine Reise viel verwenden, sich aber wegen der wichtigen Kleinigkeit nicht vor- sehen, wie leicht man sich auch vor den Fliegen schützen könnte, muß man beinahe glauben, daß sie Stoff zu Klagen lieben und uchen. Tobler , Morgenland. II. 12 266 Leben. Ich müßte eine recht faure Mühe mir aufbürden, wenn ich, nach dem Beispiele der abendländischen Reise- handbücher, angeben sollte, welches das beste Wirthshaus in Wien fei. Der Ankömmling aus dem Lande des Auf- ganges kennt mehr Genügsamkeit. Wie viel kostet die Reife ? Es wäre leicht, zu antworten, würden nur die Preise zu verschiedenen Zeiten nicht schwanken. So waren die Lebensmittel zu meiner Zeit in Jaffa mindestens um ein Drittel kostspieliger, als vor der Besetzung Palästinas mit gyptischen Truppen. Und davon abgesehen, läßt sich der Voranschlag der Kosten nur beiläufig bestimmen. Wer gesonnen ist, den Reiseplan geradenweges zu verfolgen, und nirgends fich längere Zeit aufzuhalten, wer weder wissenschaftliche Forschungen anfel- len, noch durch großen Aufwand. Auffehen erregen will, immer und überall aber für die Gesundheit, als eine un- fchätzbare Juwele, Sorge trägt, und in steter Rücksicht auf dieselbe die verschiedenartigen Vergnügungen der Reife genießt: der wird diese mit 600 Gl. R. W. bestreiten können. Gs fiele nicht schwer, in die Einzelnheiten einzu- gehen. Jeder, welcher die Reise zu unternehmen Willens ist, wird übrigens leichter durch Grfahrung das Nähere finden, als durch die Uebung des Gedächtniffes in Anga- ben aus dem todten Munde eines Buches. Schlußbetrachtungen. Hier an meinem Ziele, wo ein weites Feld von Rück- erinnerungen fich fchließt, kann ich nicht umhin, darüber Rechenschaft abzulegen, wie ich die Reise in den gegen- wärtigen Blättern erzählte. Alles Wesentliche schrieb ich auf der Reife zwischen Triest und Afrika, in Alexandrien und in Kairo, in El- Arysch und in Ramle, in Jerusalem und in Jaffa, in Rhodos und Tschesme (auf dem Meere zwischen Jonien und dem thrazifchen Bospor, in Konstantinopel und in Smyrna, auf dem Seewege nach Triest) und im Theresien- lazarethe, am meisten jedoch in Kairo, El-Arysch, Jaffa und Triest, und selten blieb ich in bedeutendem Rückstande. 268 Mit dieser Arbeit, ich gestehe es, raubte ich mir manchen ruhigen Genuß; hingegen auch würzte ich damit, zu reich- licher Vergeltung, viele Stunden, zumal von denjenigen, welche in den Quarantäneanfalten vergingen. Im Garten bereitet man dem Rosenstrauche ein Beetchen, und er treibt Blätter und Dornen; aber man pflanzt ihn nicht wegen der Blätter und Dornen, sondern in der Hoffnung, daß mit der Zeit noch duftende Blumen aufquellen, womit die Freude fich einen Kranz winde, Ich fühle wohl, daß ich hätte zwei Dinge thun kön- nen: erstens das Geschichtliche einweben, und zweitens mit Auszügen neuerer Reisebeschreibungen meine ergänzen. Ich wollte weder das Gine, noch das Andere; das Eine nicht, weil auf der Reife zur Seltenheit eine kleine Garbe ge- erntet wird, sondern weil jeder Unterrichtete die Haupt- fache am Schreibpulte ausbeuten kann; das Andere nicht, weil ich die Rolle eines Plünderers verabscheue, und weil ich vermuthe, daß Manche ebenso gerne einen Rundreifen- den begleiten, als den Zusammenstoppeler und Erklärer inmitten eines Bücherhaufens. Ich behaupte zwar nicht, daß ich die eben bezeichnete Bahn aufs aller strengste ver- folgte, ohne ausnahmsweise in einen Seitenweg abzuwei- chen, indem ich glaubte, wenigstens einige, vielleicht nicht mit Gebühr gewürdigte Männer des fechszehnten und fie- 269 benzehnten Jahrhundertes, wie sie mir gerade in meiner literarischen Ginsamkeit begegneten, in diesen Sprechsaal einladen zu dürfen*). - Als Lustreisender hätte ich denn auch nicht dem Schul- zwange gehorchen mögen, um ein Ebenmaß zu beobachten. Bald ernst, bald scherzhaft, jetzt ausführlich und vielleicht gar gedehnt, dann kurz und abgebrochen, – so schrieb ich je nach meinen Lagen und Launen. Das Wanderbuch ist ein Spiegel verschiedener Gemüthstimmungen. Wie sollte ich nun am Ende meiner Fahrten, etwa zu Gunsten unter- geordneter Rücksichten, das Tagebuch anders zuschneiden, damit das Bild meines Reiselebens erbleiche? Es wäre ein wenig zu hart, wenn man stets nach den Geboten der Schule leben müßte, wie der Karthäuser nach feiner Kloster- regel. - Nicht die Städte der Welt find das Ziel einer Reise, sondern die Wahrheit. Mit Andern will ich in nichts wett- eifern, als in dem aufrichtigen Streben, der Wahrheit zu dienen. Das letzte Reiseziel aber ist viel schwieriger zu er- reichen, als Alexandrien und Kairo, Jerusalem und Beth- *) Die Bemerkungen über die verschiedenen Religionsbe- kenntniffe der Bewohner in Syrien überfetzte ich während meiner Wanderung größtentheils aus der vorne (S. 5 des 1. Bandes) genannten italienischen Schrift von Failoni. 270 lehem. Man gibt wieder, was ein Gingeborener oder ein fchon längere Zeit im Morgenlande weilender Franke erzählte; allein es hält nicht immer leicht, den rech- ten Mann zu finden. Man ist das Werkzeug der öffent- lichen Meinung unter den Franken; allein man kann die Ansichten Ginzelner mit derselben verwechseln. Man ver- faßt es in Schrift, was man felbst durch die Sinne wahr- nahm; allein diese werden gerne von Täuschungen getrübt. Mehrmals stellte ich mich vom Schreibpulte aufmerksam auf die Gaffe, auf daß ich dann wieder an jenem die Feder fiche- rer handhabe. Um die körperlichen Eigenthümlichkeiten, so wie die Tracht der Jerusalemer mit möglichster Genauigkeit zu schildern, setzte ich mich im Baffar auf eine steinerne Bank, und fchrieb, von den Leuten ungestört, gleich nieder, was mein Auge erspähte. Wenn ich auch nicht die leiseste Neigung hege, den Zweifel deshalb mundtodt zu erklären, fo brachte ich nun einmal, was ich vermochte, treulich und ohne Ge- fährde. Nützt meine Reisebeschreibung. Niemanden, so nützte fie doch mir, mehr aber noch die Reife felbst. Als Wan- derer lernte ich Welt und Menschen an einem größeren Maßstabe kennen. Oft beschmollte ich unfern Schnee, und träumte mich mit Wonnegefühl unter einen lindern, lachenden Himmel. 271 Ich konnte im Ggyptenlande "während des Wintermonats ahnen, welche Gluth die Sonne des Sommers auf dasselbe ausprühe. Uebrigens frieren die Leute im Winter auch an andern Orten, wie in dem gar fommerheißen Konstanti- nopel, obschon kürzere Zeit, ohne daß fiel durchgängig die bequemen Heizeinrichtungen befitzen, die uns, den von Eis Umringten, jenen lieblichen künstlichen Sommer in die Stube zaubern. Wahrlich, wir stehen nicht fchlimmer. Ich fah jenseit des Mittelmeeres fruchtbarere Gegenden, als in der Schweiz und in Teutschland, als felbst in Frankreich und Italien. Was frommt jedoch dem Bauer die Grgibigkeit der Fluren, wenn er die Bodenerzeugniffe zusammt dem daran klebenden Schweiße dem Machthaber unter die Füße legen muß? Ich fah aber auch viel un- fruchtbarere Gegenden, wie in der Nähe von Jerusalem, wo die Menschen Zähne haben müßten, um die Steine zu zermalmen, einen Magen, um fie zu verdauen, eine Werk- fätte, um fiel in Blut zu verwandeln, falls jene in der Nacktheit ihnen viel nützlicher werden follten. Wir stehen nicht schlimmer mit unsern grünen Hochweiden, vor denen viele Berge. Syriens und Kleinasiens, Thraziens und des peloponnesischen Archipels ihre Häupter ehrerbietig senken würden. Ich traf tugendsame Menschen, aber auch den schlim- 272 men, den feigen Araber, den schlauen, den treulosen Grie- chen. Bei uns versüßen mein Leben viel wackere Leute, die zugleich die Träger einer umfaffenderen Bildung und Weltaufklärung find, nicht zu gedenken, daß ich durch die Bande der Sprache, wie der Sitten, der Religion, wie des Vaterlandes und, ich will noch beifügen, der Vorurtheile an fie geknüpft bin. Und wer möchte vom Bande der Familie schweigen? Wir stehen einmal nicht schlimmer. Ich reifte durch gesunde Gegenden, fo Jaffa und Gaza in der peffreien Zeit, aber auch durch folche, welche, außer der Pest, noch von andern fchrecklichen Geißeln der Mensch- heit geplagt werden. Bei uns fallen wohl zahlreiche Opfer der langsam tödtenden Schwindsucht, aber seit Menschen- altern nimmermehr jenem Ungeheuer. Wir stehen in der That nicht schlimmer. Nein, wir stehen nicht fchlimmer, aber beffer. Nichts trug zur Aussöhnung mit den heimath- lichen Verhältniffen williger bei, als meine Reise und ge- rade diese mittlerweile gewonnene Wahrheit. Der Gedanke, daß das Schicksal gegen uns mehr Milde erzeigt, als ge- gen die Einen, hat jederzeit etwas Tröstliches, mag auch sonst ein herberes Schicksal uns beugen, als Andere. Ich darf die vollefte Zufriedenheit mit der Entwerfung und Aus- führung meines Reiseplanes ausdrücken. 273 Soll ich nun Andern die gleiche Reife, insonderheit die Pilgerfahrt nach Jerusalem, wie ich fie angab, rathen? Wem die Wanderlust beinahe im gebieterischen Tone zu- spricht, und wem gleichzeitig es nicht an Mitteln ermangelt, dieselbe zu befriedigen, der trete die Reise an mit heiterer Entschloffenheit. Wenn er einerseits freilich einen Kelch voll Bitterkeiten an die Lippen setzt, wenn er vielleicht der Gefahr sich in die offenen Arme stürzt; fo werden ihm an- dererseits der angenehmsten Augenblicke manche vergönnt, und mit einem güldenen Schatze neuer Kenntniffe und Er- fahrungen wird er fich bereichern. Geht auch ein kleiner Weltfchatz verlustig, dieser wird von den Kleinoden, wel- che man für Kopf und Herz fammelt, weit aufgewogen. Ich bin kein Schwärmer. Ich möchte die Erneuerung der Kreuzzüge nach dem jüdischen Lande nicht herbeiwün- fchen. Es taucht inzwischen aus dem Meere der Welter- eigniffe die merkwürdige Grscheinung, daß die meisten Ge- müther der abendländischen Christen für Jerusalem in fei- ner örtlichen Bedeutung gleichsam erforben find, und daß feit länger, denn einem halben Jahrtausende kein zweiter Petrus von Amiens sich erhob, die Abendwelt für das gelobte Land zu entflammen. Der Mensch liebt bis- weilen die Hindernisse, um sich im Kampfe gegen sie zu meffen. Je zahlreicher dieselben aus dem Wege geräumt 274 wurden, desto mehr lenkten in der Folge die Abendländer ihre Aufmerksamkeit von Palästina ab. Man möchte be- reits beklagen, daß, nach Beseitigung aller Hindernisse, nunmehr der Entschuldigung oder Beschönigung jede Aus- flucht abgeschnitten ist. Immerhin glaube ich, daß die Pilgerfahrt nicht nutzlos wäre für einen Schriftgelehrten. Derjenige, welcher daheim in einem Stübchen sich an einer Beschreibung von Jeru- falem fähier preßhaft zerarbeitet, indem er staubbedeckte Schriften gleichsam hungerig durchwühlt, und mit mühsam erborgten Stellen das magere Buch kaum genug auspicken kann, würde doch nicht übel thun, wenn er hinginge, die Brust in Jerusalem zu durchlüften, und das Auge auf der Wache Zions im Buche der Natur zu erfrischen. Ich glaube nicht, daß die Pilgerfahrt nutzlos wäre für den Bibelfreund. Sogar der beste denkgläubige Christ kann die Bibel, zum wenigsten ihren Ginschlag örtlicher Bezie- hungen, weder mit der Klarheit und Lebendigkeit der Vor- stellungen, noch mit der Fülle und Tiefe der Gefühle er- faffen, wie der Pilgrim, welchem insbesondere das Lesen der Urkunden einen Vollgenuß verheißen muß. Die unüber- treffliche Schilderung, wie jener fromme und treue Knecht zu Rebekka kam, wie die holdfelige Jungfrau, mit ihrem Waffergefäße auf den Schultern, heranschreitet, wie sie dem 275 Ankömmlinge einen Trunk Waffers anbietet, wie sie für feine Kameele aus dem Brunnen fhöpft u. dgl. –, folche Züge mögen Jedermann anmuthen; allein fiel erregen wohl einen ganz eigenthümlichen Gindruck im fchauenden Pilger, welcher in der feelenvollen Schilderung die heutigen Sitten des Morgenländers als eine Verjüngung der alten bewun- dert. Auch glaube ich nicht, daß die Pilgerfahrt nutzlos wäre für manche Mühselige und Beladene, Leichtsinnige und Welttrunkene. In Gaza weht gefunde, eine milde, die herrlichste Luft. Dort und in Jaffa fühlte ich mich, fo zu fagen, noch einmal so leicht auf der Brust. Beide Städte befällt die Lungenschwindsucht als eine große Sel- tenheit. Man darf ebenfalls von der Seereise Heil erwar- ten, bei gehöriger Behutsamkeit, z. B. vor dem Zuge des Windes. Nach der Rückkehr ins Vaterland fand meine Gefundheit auf befferem Fuße, als vor dem Anbeginne der Reife. Beleuchten wir jetzt die andere Seite. Unsere gnädigen Frauen und Fräulein, so wie ihre ergebenen Herren und Jünkerlein un- ternehmen im Laufe der günstigeren Jahreszeit glänzende Badereisen zu Wiederherstellung der Gesundheit, viele aber aus Luft zu einem üppigeren Leben, zu Liebe und Spiel, zu Tafel und Tanz, und mehrere von den üppig lebenden, 276 liebenden und spielenden, tafel - und tanzfreudigen Kurgästen wallfahrten vielleicht später reumüthig und bußfertig nach einem winzigen Gnadenorte; nur wollen sie diesen Glanz ihres Ueberfluffes an irdischen Gütern und diesen Schatten ihrer Hoffnung auf himmlische Schätze nicht nach ihrem Gnadenorte aller Gnadenorte, nach Golgatha, tragen. Sei es, daß die gewöhnlichen Wallfahrten des Abendländers, felbst im Schoße der Kirche, die fiel anordnet, einen übeln Klang haben, es will die Pilgerreise in ein so entferntes Land, wie diejenige nach Jerusalem, wenigstens zum Theile von einem ganz andern Standpunkte aus beurtheilt wer- den. Große Luftveränderungen sind ein kräftiger Balsam für verzärtelte oder fiechende Geschlechter; große Wanderung gen find ein starker Hebel der Kultur und Zivilisazion. 277 Inhalt des ersten Bandes. Reife nach Triest . - - - - - Mein Aufenthalt auf dem Eilande Loffin oder Offero . . . . . Seike Fahrt nach Alexandrien . Alexandrien. Lage . . . . . . . . . . Gebäude Krankenhäuser • • • • • • • Auch das Observazionsspital oder die Observa- zionshütten . . . . . . . Die Katakomben und der Pferdestall Die Nadeln der Kleopatra und der Flohfänger Die Pompejusfäule und die Schandfäule Die Nachgrabungen . . . . Leute. Bevölkerung Der Ritt zur Beschneidung Primarschule . Die Zeichenschule . 10. 25, 58. 59. 67. 70. 78. 80. 82. 85. 88, 94. 92, 93. 278 Seife Weiberhändel . . . . . . . . . . 95. Geld und Geldnoth . . . . . . . . 97. Das Schiff der Wüste . . . . . . . 99. Anleitung für den Reifenden " . . . . . 100. Die Nilfahrt nach Kairo . . . . . . . . 104. Kairo. Lage der Stadt, Strich des Himmels und Ge- fundheitszustand der Menschen . . . . 134. Die Stadt nach ihrer Bauart . . . . . 140. Das Schloß, der Juffufsbrunnen und die Grab- male von Käyd-Bei . . . . . . . . 148. Das Militärkrankenhaus . . . . . . . 155. Die Narrenmenagerie . . . . . . . - 157. Die Stadt der Einäugigen und der Blinden ... 162. Das öffentliche Bad . . . . . . . . 163- Wie die Egypzier im fechszehnten Jahrhundert die Bäder gebrauchten . . . . . . . 168. Der Sklavenmarkt . . . . . . . . . . 173. Das Katzenstift . . . . . . . . . . 177. Gärten - - - - - - - - - - - - 181- Die Esbekieh . . . . . . . . . . 183. Physiologischer und psychologischer Karakter der Einwohner . . . . . . . . . . 184. Tracht . . . . . . . . . . . - 194- Speisen und Getränke . . . . . . . 198. Kaffeehäuser . . . . . . . . . . . 204. Schneller Justizgang . . . . . . . . 208. Der egyptische Tanz . . . . . . . . 210. Der Brautzug . . . . . . . . . . 213. Der Leichenzug . . . . . . . . . . 216. 279 Der Straßenfänger . . . . . Der Versteigerer - Der Barbier . . . . . . . . . Der Lagerstellenmacher Der Glafer . . . . . . . . Der Schuhmacher . . . . . . Der Töpferwaarenflicker - Die Missionarien . . . . . - Die Renegaten . . . . . . . . . Müsterchen von Europäern in Egypten, oder ein Porträt über Kairo aus Europa d Seite 218. 219. 220. 221. 222, 223, 224. 226. 228, Undank für treue Liebe . . Unter österreichischer Protekzion Meine Wohnung . . . . . . Meine Nahrung und Getränke . . Umgebung von Kairo : Todtenstadt el- Seydeh'Omm Käfim Die Wafferleitung . . . . . . Altkairo und das armenische Kloster Das griechische Kloster und der Altar der h. Frau im koptischen Kloster Der Tempel A' mir u s . . . . . Der Garten Ibrahim - P a fchas und der Nilometer auf der Insel Ruda Ausflug nach Heliopolis und Abufabel Geschichtlicher Rückflug nach Mattarieh Abenteuerlicher Ritt nach den Pyramiden von Gizeh Wegweiser in und um Kairo Rückblick auf Kairo 230, 233. 235. 236, 238. 242. 244. 247. 250. 253. 258, 28(!). 281. 295. 297. 280 Reise durch die Wüste nach El-Arysch Die Quarantäne in El-Arysch Inhalt des zweiten Bandes. Reise nach Jerusalem - - - - - - Einige geographische Bemerkungen über Syrien Einige Bemerkungen über die verschiedenen Reli- gionsbekenntniffe der Bewohner in Syrien Gaza - - Fortsetzung der Reife Ende der Reife dahin Jerusalem- Oerkliche und klimatische Verhältniffe . . Gesundheitszustand und Bevölkerung Bauart der Stadt - - - - - Die Kirche des Christusgrabes . . . . . Liegt das Grab Christi in oder außer der jetzigen Stadt Jerusalem ? . . . . . Die Gräber der Könige Die Grabhöhle der Maria . - - - - Die Grabmale Abfaloms, Jo fap hats und Zachariaffen . . . Der Brunnen Siloah . Die Felsanhöhe Zion Der Oelberg . . . . . . . . . Die übrigen Merkwürdigkeiten . . . Physiologischer Karakter der Einwohner Sitten und Gebräuche . . . . . . . . Die Tracht g Seite 297. 321. 13. 28. 30. 38. nach Jerusalem 52. 53. 56. 63. 69. 71. 72. 73. 75. 79. 8 1. 82. 83. 84. 281 Seite Das Kriegsvolk . . . . . . . . . 87. Die Pilger . . . . . . . . . . . 94. Der Geist der Christen . . . . 97. Der Ablaß der römisch-katholischen Kirche . . 99. Der alte deutsche Pater und die große Apotheke 102, Meine Zelle im Kloster des Erlösers . . . 104. Der Führer um und in Jerusalem . . . . 106, Rückblick auf Jerusalem . . . . . . . 108. Ausflug nach Bethlehem . . . . . . . . , 110, Die Beschiffung des Lothsfees . . . . . . . 115, Nach Jaffa am Mittelmeere . . . . . . . 116. Jaffa. Lage, Gaffen, Hafen, Bevölkerung . . . . 121. Jaffa, wie es ehemals war . . . . . . 123. Die Tageslänge . . . . . . . . . 125. Witterungsbeschaffenheit . . . . . . . 127. Der Meeresturm und der Schiffbruch . . . 128. Gesundheitszustand . . . . . . . . . 132. Auf dem Hospizdache . . . . . . . . 136. Das Bauernhäuschen . . . . . . . . 138. Das Quarantänegebäude oder Pestlazareth . 145. Die Jaffanerin kommuniziert, besprengt sich . . . 147. Der Jaffaner . . . . . . . . . . . 149. Die Pilger . . . . . . . . . . . 150. Die arabische Knabenschule der Lateiner . . 152. Der Gruß . . . . . . . . . . - 156- Die Brautwerbung und die Hochzeit . . . 159. Die Wöchnerin und das Kind . . . . . 167. Wiegenlied und Kinderjucks . . . . . . 170, Die Verehrung der Todten . . . . . . 173, 282 Seite Die Rekruten oder die Konfkribierten . . . 176. Das Weinen oder die Raserei am Neujahrstage 1336 - - - - . . . . . . . . . 179. Ibrahim - Pafcha . . . . . . . . 184. Kleine Petschaften oder Siegel . . . . . 186. Der Hakim . . . . . . . . . . . 187. Die Fleischbank . . . . . . . . . . 189. Der Zuckerrohrmarkt . . . . . . . . 191. Der Tabakschneider - - - - 193. Der Nargilebediente ; die Rauchvirtuosität . 196. Der Kaffeeröster und Kaffeezerstößer . . . 197. Der Baumwollereiniger und Schilfdeckenweber 199. Der wandernde Schiffer und Kinderspiele . . 201. Spiel der älteren Leute . . . . . . . 202. Meine Lebensart . . . . . . . . . 205. Ich lese die Bibel . . . . . . . . . 209. Ein Pater fagt, ich werde des Teufels . . 210. Wie die Gleißnerei im Namen der heiligen Religion einen Unschuldigenprügelt; laue Kon- fulats- und Mönchspolizei . . . . . 212- Der Konful Damiani; mein Besuch in feinem Haufe . . . . . . . . . . . . 217. Vorbereitung zur Abreise . . . . . . . 222. Nach Rhodos . . . . . . . . . . . . . 226. Rhodos. Lage, Himmel, Volkszahl . . . . . . 236. Die Stadt Rhodos . . . . . . . . 238. Das Leichenfeld . . . . . . . . - 241. 283 Die Bewohner ; das lateinische Hospiz ; Kna- benspiel; große Hähne Der Abend im Schiffsraume . Spaziergang gegen Trianda - - Nach Konstantinopel, Triest und heim . . . Anleitung zu der Pilgerfahrt nach Jerusalem Schlußbetrachtungen - • • • - - Seite 243. 247. 248, 251. 256. 267. Verbefferungen im ersten Bande. S. 7 Z. 4 von oben lies Salvore-fatt Savoire. 25 f 36 44 48 53 64 68 72 74 92 95 p sy pp p 1 10 10 12 11 5 .4 v r „, Unten „ p p rp- p p einem Andern ist. einen Andern. bunt darauf, der Dorfschulze, versteht fich, am breitesten. Cefar oben setze nach Gebirge ein " „, lies: Vor gutem Winde. Unten p r r, anhaben f. anheben. vor f. von. oben streiche nach Mela das " (2 NC, unten lies: Wild- f. Waldgewächse. 17 p unsanft f. umfonst. von unten streiche zu obferviren. on unten lies asphyktisch f. asphytisch. r p oben r f p p welcher f. welches. p f von dem Abend länder. Geknirre ist. Gewirre. Schubbra ft. Subbra. 284 - - - „137, 6 „ unten „ Cham ffn f. Chamafen. „, 142, 11 „ oben „ lebt ist. liebt, „, 148 „, 6 , unten „ feinen Flitter. - „, 151 „ 3 „ oben „ Gffa ft. Gifä. „, 163, 9 , unten „ fischartige St. frifchartige. „, 170, 8 , oben „ Gebrauch ist. Geruch. „, 178, 8 , , „, bekehren ist. belehren. „,212, 9 „ unten „ des Gürtels f. der Gürtel. „,213, 11 „ oben lösche es. „219 „ 2 , „, lies stächen ft. stechen. „, 254, 4 , unten „ Abbate Caffiti gli animali. „, 261 „, 1 , „ „, von dem Mitmenschen. „,272„, 11 „ oben setze ein : nach Klinik. „,278 „ 7 „ „, lies echt ist. recht. „279 „ 8 „ „ „ erwecken ist. erzwecken. „, 280, 9 „ unten „ Matthiolus. „284, 9 „ „ „ ritt ist. will. p 287 10 „, ed ist. (2. r „, 4 „ oben fetze ein ; vor J dumäa. „305„, 9 „ „ lies knirrte st. kirrte. „306, 8 „ , „, er ist. es. Verbefferungen im zweiten Bande. S. 50 Z. 1 von oben lies: in der Tiefe zwischen Mo- riah und Zion; jenseits am. , 64 , 3 , pr „, wären für W) LU 2 M. „ 80 „ 11 „ unten lösche das ; vor weiter. „, 125 statt 152. „, 156 Z. 4 von unten lies heben für haben. „, 159 , 8 , „ „, heirathen für heitathen. „, 161 „10 „ oben “„, schöfe für schöfe, Nicht sinnstörende Druckfehler (z. B. 1, 19 Schemmel f. Schemel, 1,103 Letze ist. Letzte, 1,123 faulenzt ist. fau- lenzt, 1,181 schloffen ist. schloßen, 1,211 paucktest. paukte, 1,303 Regen ist. Regnen, 2,162 Montag ist. Montags), insbesondere der Interpunktion, wenigstens im ersten Bande (z. B. S. 8, 26, 28), so wie auch die Ungleichheit in der Rechtschreibung (z. B. Kroazien neben Kroatien, lange Weile neben Langeweile, Pfennige neben Pfenninge, Bogen neben Bögen, Reiß neben Reis) wolle der Leser selbst verbessern, - - - - - Österreichische Nationalbibliothek +Z165131003